Psychoanalyse / Meditation - Günter von Hummel - E-Book

Psychoanalyse / Meditation E-Book

Günter von Hummel

0,0

Beschreibung

Psychoanalyse und Meditation sind keine grundsätzlichen Gegensätze. Auch der Analytiker muss mit 'gleichschwebender Aufmerksamkeit' (so S. Freud), also in halber Trance, seinem Patienten zuhören. Und dieser wiederum muss in ähnlicher Weise frei aus sich heraus sprechen, beide meditieren somit gemeinsam. Sie finden in einer Art von Bedeutungseinheiten, Lacan nennt sie Signifikanten, zueinander, und so etwas geschieht auch in einer Meditation. Hier muss der Übende mit der in ihm selbst wirkenden unbewussten Andersheit zusammenfinden. Ein Werkzeug, das aus derartigen, jedoch rein formalen, Bedeutungseinheiten gemacht ist, kann für ein neues selbsttherapeutisches Verfahren, das jeder selbst erlernen kann, genutzt werden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 97

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Bild auf der Umschlagseite zeigt ein auf das Bild des Gehirns geschriebenes Formel-Wort, das im Zentrum des in dieser Broschüre beschriebenen Verfahrens steht. Es enthält von verschiedenen Buchstaben dieser lateinischen Formulierung aus gelesen jeweils andere Bedeutungen, eine Struktur, die genau der des seelisch Unbewussten entspricht. Übt man meditativ-wiederholend ein derartiges Formel-Wort, muss das Unbewusste seine eigene Bedeutung freigeben. Damit ist in ein paar Zeilen schon fast alles Wissenswerte zu dieser Broschüre gesagt, was nicht davon abhalten soll, es dennoch zu lesen.

Inhaltsverzeichnis

I. Einführung in die Thematik

II. Die Triade des Unbewussten

III.

Analytische Psychokatharsis

IV. Erste Übung der

Analytischen Psychokatharsis

V. Zweite Übung der

Analytischen Psychokatharsis

VI. Schlussfolgerungen

I. Einführung in die Thematik

Psychoanalyse und Meditation sind kein Widerspruch. Wie in einer üblichen Meditation muss auch der Psychoanalytiker in seiner Arbeit bei sich selbst nach innen gehen und sich dem anfänglich unbekannten Dunkel überlassen wie es der Meditierende tut. Freud nannte dies eine „gleichschwebende Aufmerksamkeit“, mit der und aus der heraus der Therapeut seinem Klienten zuhören sollte. Die Aufforderung zu einer derartigen Passivität bedeutete, dass der Therapeut in diesem Moment nicht (oder vorwiegend nicht) rational-logisch denken kann und soll. Er ist aber wach, auf die Aussagen des Patienten hin orientiert, befindet sich aber dennoch fast wie in leichter Trance. Denn es kommt darauf an, die Zwischentöne in der Rede seiner Patienten herauszuhören und nicht die absichtlich geäußerten Argumente, die nur das sagen, was dem Patienten ohnehin bewusst ist und nicht aus dem Unbewussten kommt.

Der Therapeut hört also dem völlig freien, spontanen Redefluss (‚freie Assoziation‘ genannt) seines Patienten in einer Art meditativer Verfassung zu, und muss dabei auf die kleinen Schwankungen, Stockungen, Versprecher, aber auch auf Besonderheiten aus erzählten Träumen und Phantasien achten. So kann er versteckte und verdrängte Bedeutungen herausfiltern, in Bezug zum therapeutischen Verfahren bringen und interpretieren. Freud selbst drückte sich hinsichtlich der „gleichschwebenden Aufmerksamkeit“ auch so aus, dass der Analytiker dem Patienten „sein Unbewusstes als empfangendes Organ zuwenden sollte“.1 Das klingt ein bisschen seltsam. Denn wie diese Art jungfräulicher Empfängnis vor sich gehen sollte, konnte Freud nicht ganz klar definieren. Doch die ‚freien Assoziationen‘, die spontanen Einfälle des Patienten, kommen ihm entgegen, denn auch sie enthalten etwas Meditatives.

Der Patient muss sich dabei zwar nicht in Glossolalie (Zungenreden) üben, aber doch alles ohne Hemmungen, auch Peinliches und Unsinniges, das ihm einfällt, äußern. Er soll sich nicht aufs Denken konzentrieren, damit so aus dem Unbewussten genügend ‚Material‘ (Einfälle, Erinnerungen, Träume) zustande kommt, das gedeutet und interpretiert werden kann. Ganz Ähnliches passiert auch in der Meditation, wo man alle Gedanken beiseiteschiebt, und man sich ebenfalls mehr „gleichschwebend aufmerksam“ treiben lassen muss, also so, wie es in der Psychoanalyse der Therapeut handhabt. Der Meditierende wartet darauf (mit Hilfe einer Übung), bis sich von selber, also direkt aus dem Unbewussten, ein Bild oder eine Bedeutung, unabweisbar aufdrängt, die ebenso eine – wenn auch noch nicht immer vollständige – Interpretation, Deutung aufweisen kann.

Es liegt ganz am Aufbau der Übung, wie es dazu kommt, dass in meditativen Verfahren derartige Interpretationen aus dem Unbewussten ähnlich wie in der psychoanalytischen Therapie zustande kommen. Die Gemeinsamkeiten zwischen Psychoanalyse und Meditation sind in Form dieser beiden Vorgänge (gleichschwebende Aufmerksamkeit und freie Assoziation) jedenfalls klar sichtbar. In meditativen Verfahren wird man ihnen meist andere Namen geben, aber die Parallelen der beiden Verfahren sind deutlich. Vereinfacht könnte man also sagen, dass in der Psychoanalyse Therapeut und Klient gemeinsam meditieren und das Meditierte dann zusammen interpretieren, während in der Meditation der Übende selbst mit seinem Unbewussten in eine Art psychoanalytischen Kontakt treten, es z. B. direkt befragen muss.

Der Psychoanalytiker A. Ferro beispielsweise beschreibt, wie er mit seinem Patienten ‚gemeinsam träumt‘, d. h. beide phantasieren und erzählen sich alles Mögliche und versuchen dann therapeutische Schlüsse daraus zu ziehen.2 Und so tut der Adept, der eine Meditation erlernt, mit dem puren Etwas vor seinem inneren Auge, mit dem Geheiß seines Lehrers, eventuell mit einer Formel, mit dem Vorgang seines Atems oder etwas Ähnlichem das Gleiche. Er ‚träumt‘ mit seinem Lehrer, auch wenn dieser physisch gar nicht da ist, und unterhält sich so direkter, unmittelbarer mit dem eigenen Unbewussten. Er stellt alle persönlichen Gefühle und unpassenden Gedanken zurück und lässt in der Trance nur hochkommen, was in ihm stark zur Bewusstheit drängt und er nicht aufhalten kann. Auch hier unterbrechen also dazwischen tretende Gedanken – man könnte sie Abfalls-Einsichten nennen – das kontemplative Vorgehen, so wie die übermäßig freien Einfälle in der Psychoanalyse auch einen Redeabfall und nicht nur therapeutisch Verwertbares erzeugen. Wohl die meisten Psychoanalytiker jammern darüber, wenn der Patient vom Hundertsten zum Tausendsten kommt, ohne dabei wirklich etwas zu sagen. Er redet nur, aber sagt nichts.

Auch der in der Psychoanalyse so wichtige Begriff der ‚Übertragung‘ spielt in der Meditation eine vergleichbare Rolle. Man ‚überträgt‘ in der analytischen Psychotherapie Gefühle und Bedeutungen aus früheren oder aktuell anderen Beziehungen auf den Therapeuten. Diese ‚Übertragung‘ ist unbewusst, wenn auch meist positiv getönt, aber sie ist auch inadäquat. Denn der Therapeut hat ja nicht wirklich etwas mit den Bedeutungen der früheren Beziehungen des Patienten zu tun. Er kann nunmehr jedoch aus den auf ihn ‚übertragenen‘ Aspekten und Bedeutungen eine Interpretation der verschiedenen Beziehungsgeschehnisse geben und so die Inadäquatheit der Übertragung auflösen. Er ist somit der Angelpunkt, das Scharnier des therapeutischen Dialogs, kurz: das eigentliche Objekt, das ‚Übertragungs-Objekt‘, während sonst subjektbezogene Vorgänge stattfinden.

In der Meditation findet diese ‚Übertragung‘ in das Dunkel, in das Nichts vor einem im Inneren statt, wo sie in Bezug zum Meditationslehrer meist in einer Weise steht, als sei dieser gegenwärtig. Man könnte fast von ‚eidetischer‘, bildhafter, archaischer Übertragung sprechen, die nicht wie in der Psychoanalyse aufgelöst wird, sondern unterschwellig positiv weiter wirken kann und soll. Die Interpretation des Unbewussten wird dann durch eine bereits festgelegte Lehre gesteuert, das heißt, alle Erfahrungen werden im Rahmen dieser Lehre gedeutet. So bleibt die Interpretation wissenschaftlich und logisch ungenau, während sie in der Psychoanalyse dem Wissenschaftlichen der Freudschen Lehre folgt, die exakter formuliert ist. Dennoch kann man an ihrer herkömmlichen Form Kritik anbringen. Der Meditierende hat schneller Erfolg, der Psychoanalysierte ein präziseres Ergebnis, beide sind sie faszinierend, so gesehen aber für mich nicht mehr befriedigend.

Mich erinnert diese Thematik an die deutschen Romantiker am Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Die Historikerin A. Wulf hat kürzlich über sie ein Sachbuch veröffentlicht, in dem sie aufzeigt, wie die Gebrüder Schlegel, der Dichter Novalis, Alexander und Wilhelm von Humboldt, Goethe, der Philosoph J. G. Fichte, Schiller, einige Frauen und weitere dem sogenannten Jenaer Kreis Angehörende sich gegenseitig begeisterten – alle Gegensätze überwindend.3 Sie waren poetisierende Universalgelehrte (sie bezeichneten sich manchmal selbst so). Sie hätten keine Schwierigkeiten gehabt, Psychoanalyse und Meditation, und dazu auch noch Philosophie, Kunst und Natur in einem großen geistigen Entwurf zusammenzubringen. Es wäre wie ein Roman zu lesen gewesen und hätte doch Großartiges vermittelt. Doch leider geht so etwas heute nicht mehr. Das Ganze klingt wie ein längst vergangenes Märchen. Heute ist Intellekt, Logik, Wissenschaft gefragt, und innerhalb derartiger, eher scholastischer als akademischer Voraussetzungen, gibt es keine gegenseitige Offenheit und Begeisterung mehr.

Im Gegenteil, heute stört die Nüchternheit, Abflachung, Seelenlosigkeit isolierter Gruppen. Psychoanalytiker arbeiten in abgeschirmten Instituten vor sich hin, gut etabliert und gebildet, aber schulmeisterlich. Und Meditierende gelten als wundersame, meist esoterische Außenseiter und Sonderlinge, öffentlich kaum diskutiert. Miteinander reden könnten sie nicht, dazu sind dann doch gewisse Begrenzungen und Unterschiede vorhanden, so in der methodischen Verarbeitung, im weiteren inneren Vorgehen, in der Bedeutung des Intellekts und anderer Aspekte. Im Verfahren der Analytischen Psychokatharsis, wie ich die in dieser Broschüre zu schildernde Methode der Verbindung von Psychoanalyse und Meditation nenne, sind diese Unterschiede nicht mehr problematisch und ist die Praxis sogar leicht zu erlernen (es sind lediglich zwei konzentrative Übungen zu machen). Wissenschaftlich stütze ich mich auf die psychoanalytischen Seminare J. Lacans, die sich stark an der Linguistik orientieren und deswegen nicht unter den Begriff ‚herkömmliche‘ oder ‚klassische‘ Psychoanalyse (wie oben erwähnt) fallen.

Fast könnte man meinen, Lacan wäre wieder ein poetisierender Universalgelehrter gewesen weit über den Arztberuf hinaus, denn von Platon angefangen, über Augustinus und alle mittelalterlichen Schriften, über Shakespeare und Joyce, über Kant, Hegel, Freud, Sartre und zahlreiche andere Psychoanalytiker hat er Unmengen an Literatur gelesen. Er war sechs Jahre in Ausbildungsanalyse und hat fünfundzwanzig Jahre lang – frei sprechend – Seminare über die Psychoanalyse vor einer großen Zuhörerschaft an der Universität und anderswo abgehalten. Doch die Sache hatte einen Haken: seine Ausdrucksweise war tatsächlich so intellektualisierend poetisch, zudem angereichert mit Mathematik, Topologie, Freudscher Theorie und Beispielen aus allen kulturellen Bereichen, dass viele seiner Hörer sagten, sie würden ihn nicht verstehen. Oft sagte er zu ihnen, sie sollten ihm Fragen stellen, aber es traute sich kaum jemals einer etwas zu sagen, weil das Unverständnis desjenigen damit offenbar würde.

Trotzdem ist sein Renommee groß, und ich muss von ihm und einigen anderen Zitate verwenden, um die Wissenschaftlichkeit meines Verfahrens zu stützen. Ich muss Etliches zum psychoanalytischen Teil (zweite Übung der Analytischen Psychokatharsis) beitragen, und selbst was den meditativen Anteil (erste Übung) an dieser Methode angeht, sind die vorhin erwähnten sprachwissenschaftlichen Aspekte wichtig. Denn die auch hier ‚herkömmlich‘ und ‚klassisch‘ zu nennenden Formen der Meditation stützen sich auf mythisch, mystisch, magisch zu nennende Grundlagen, insbesondere wenn sie vom Sprechen und der Sprache sprechen. Das ist in der Analytischen Psychokatharsis anders, indem hier hinsichtlich des meditativen Vorgangs klar unterschieden wird zwischen einerseits zu dürftigen oder gar unzureichenden und andererseits ‚überdeterminierten‘ sprachlichen Ausdrücken. Der Begriff der Überdetermination (überausdrückliche, sich überlappende Formulierungen) stammt aus der Feder Freuds, der damit den Traum charakterisierte (mehrere Gedanken überlappen sich zu einem manifesten Traumgeschehen).

Gerade wegen all dieser unterschiedlichen Grundlagen ist es notwendig, dass man den wissenschaftlichen Hintergrund der Analytischen Psychokatharsis verstanden und akzeptiert hat, so z. B. das Phänomen der Überdeterminierung, zu dem ich noch kommen werde. Ein Lehrer, dessen Persönlichkeit man glaubt total vertrauen zu können und der suggestive Anweisungen gibt oder schon vorgefasste Wahrheiten verwendet, genügt heutzutage nicht mehr. Ein derartiger Lehrer wird immer von einer Art Guru-Kult umgeben sein, und dies mag im asiatischen Kulturkreis noch möglich sein, im hochzivilisierten Westen aber wohl nicht mehr. Umgekehrt muss man aber auch dem Intellekt und zu sehr Rationalisierenden kritisch gegenüber stehen.

In dieser den Intellekt stark fördernden westlichen Wissenschaftskultur muss das ‚Übertragungs-Objekt‘, will man es direkt wie in der Meditation nutzen, außer in der Leere des Inneren – und dies wurde immer schon durch Rückzug ins Abgeschiedene gestützt – auch im eigenen wenigstens minimalen verstandesmäßigen Verarbeiten von ein paar psychologisch wissenschaftlichen Aspekten liegen. Durchaus können Berichte von Mystikern, religiöse Kommentare, Schriften aus der Sparte des Yoga hilfreich sein, aber eben auch solche aus Psychoanalysen und therapeutisch wertvollen Biographien sollte man kennen. Deshalb fülle ich diese Broschüre mit einigen generellen Hinweisen aus der im Westen üblichen Wissenschaftskultur. Schon allein die in diesem Buch angegebenen Berichte sollten für ein prinzipielles Verständnis auseichen und Vorrang haben.

Und so stütze ich mich also in meiner Arbeit stark auf den französischen Psychoanalytiker J. Lacan, der umfassende geistes- und naturwissenschaftliche Kenntnisse besaß, die Psychoanalyse aus ihrer herkömmlichen, zersplitterten Form herausholte und somit bereicherte. So schwer seine Bücher auch zu lesen sind, enthalten sie jedoch auch Erklärungen, die in erstaunlicher Weise sehr gut auch die Grundlagen und den Vorgang des Meditierens betreffen. So geht es in einem seiner wesentlichen Gedanken um die Neotenie, das zu frühe geboren Sein des Menschen, seine Hilflosigkeit, die ihn von einer Bezugsperson (z. B. der frühen Mutter) enorm abhängig macht. Auch wenn im Weiteren die Mutter diesbezüglich eine weitreichende und liebevolle Unterstützung darstellt, bleiben doch Defizite bestehen, ja manchmal ist sogar eine Überprotektion, eine Überbetuttelung eher nachteilig.