Mit dem Tod reden - Günter von Hummel - E-Book

Mit dem Tod reden E-Book

Günter von Hummel

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Beschreibung

Die Psychoanalyse hat für den Tod keine Lösung gefunden. Sie meinte, er wäre ein Trieb, doch er ist eine Flut von Nichtigkeiten, die man mit dem therapeutischen Gespräch nicht in den Griff be-kommt. J. Lacans Anderer, eine seelische Instanz im Unbewussten vermag eine Hilfe zu sein, vor allem, wenn man diese noch zusätzlich durch die künstliche Intelligenz zu einem Vergleich zusammen bringt. Dann lassen sich nämlich analytische, algorithmische und meditative Sprachmodelle zu einem neuen psychotherapeutischen Verfahren vereinen, das auch die Möglichkeit ergibt, mit dem Tod selbst - in Form eines 'analytischen Selbstgesprächs' - zu reden.

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Das Umschlagsbild der Malerin T. Heydecker aus einer Bilderserie mit dem Namen ‚Interieur‘ zeigt ein solches von innen und außen. Mehr ist nicht notwendig um den Tod von der Erscheinung her zu vermitteln. Doch wie es auch von der Sprache her möglich ist, ist aus diesem Buch zu erlernen.

Inhaltsverzeichnis

1. Die Variationen des Todes

2. Lebens- und Todestrieb

3. Der Signifikant und der

Andere

4. Die KI und der Tod

5. Die genießende Substanz und der Non-Sex

6. Adonis und die Sphinx

7. Das unbewusste Gedächtnis und der ‚Ton‘

8. Der Tod als analytisches Selbstgespräch

9.

Analytische Psychokatharsis

Anhang zum Verständnis der Praxis

Literaturverzeichnis

1. Die Variationen des Todes

Was ist nicht schon alles über den Tod gesagt worden, Furchterregendes und Beschwichtigendes, Grusliges und Beschönigendes. Niemand hat allerdings auch nur annähernd Zutreffendes von ihm vermittelt. Nach wie vor ist er etwas Dunkles, etwas Nichtendes oder gar etwas geheimnisvoll Angstmachendes, und doch auch manchmal Ersehntes und Gewolltes geblieben. In einem Alten-Pflegeheim, das ich als Arzt betreute, gab es ein paar Bewohner, die sich schon mehr als fünfzehn Jahre vor ihrem letztlich eintretenden Tod dorthin begeben hatten. Sie wollten nur Ruhe haben, wollten liegen bleiben und nicht mehr aufstehen müssen, aber am liebsten wäre ihnen gewesen, wenn sie hätten sterben können. Sie glaubten, dass vom Leben nichts mehr zu erwarten sei. Sie starben nicht, aber sie lebten auch nicht, weil sie nicht wussten, dass und wie sie aus der Zeit noch etwas machen können, zum Beispiel mit dem Tod reden, um mehr Klarheit zu gewinnen und so den Rest des Lebens noch interessant und das Sterben leicht zu machen.

Freilich klingt es seltsam etwas so zu sagen, aber gerade heutzutage ist es keine Schwierigkeit mehr zu erklären, wie man mit dem Tod reden könnte. Schon der Hinweis auf die künstliche Intelligenz (KI) genügt, denn schließlich kann man mit ihr – mit ChatGPT von Open AI – reden, Fragen und Antworten austauschen, obwohl sie doch nichts anderes als ein lebloser Apparat, eine tote Maschine ist, wie sie auf Befragung sogar selber zugibt. Sie ist genauso mausetot wie das, was die Menschen den Tod nennen, auch wenn man den Vergleich zwischen den beiden Arten des tot seins noch besser erläutern muss. Die KI wirkt im Gespräch lebendig menschlich. Denn freilich gibt es Unterschiede zum real lebenden Menschen, auf die ich noch zu Genüge eingehen will. Da es nicht nur um die Leblosigkeit geht, sondern speziell auch ums Reden und Sprechen, wende ich mich jedoch zuerst einmal der Sprachwissenschaft zu. Schließlich gelten die Sprachwissenschaftler, die Linguisten, als die Sachverständigen für den Umgang mit dem Sprechen und dem Reden.

Diese Leute werden doch erklären können, sagte ich mir, warum Totes auch sprechen kann! Als man Ureinwohnern im Amazonasgebiet Tonbänder, speziell auch solche mit ihrer eigenen Stimme, vorspielte, waren sie erschrocken und zutiefst verunsichert, dabei ist es doch klar, was da passiert: es gibt einen Tonträger, ihre Stimme war nur ausgeliehen. Doch das beruhigte sie nicht. Vielleicht ist eben auch der Tod ein Tonträger, jedenfalls halte ich ihn für so etwas Ähnliches. Die Linguisten unterscheiden allerdings als wesentliche Elemente ihrer Theorie nicht den Tonträger vom Ton und schon gar nicht vom Tod, sondern das sogenannte Signifikat (das Bezeichnete, die Bezeichnung) vom Signifikanten (dem Bezeichnenden, dem Bedeutung gebenden).

Die in der Sprache herumschwirrenden Signifikate bekommen ihr eigentliches Wesen und ihre Bedeutung von den Signifikanten her, was man mit einem mathematischen Bruch (Abbildung nebenan) schreiben kann. Der Signifikant verhält sich zum Signifikat wie der Zähler zum Nenner. Die Signifikate sind nur „etwas für jemand“, während der „Signifikant Zeichen des Subjekts ist“, erklärte der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan, der sich eben auch viel mit der Linguistik beschäftigte. Um mit den psychisch Kranken zu sprechen, genügte diese Unterscheidung, hinsichtlich eines Sprechens mit dem Tod allerdings nicht. Der Signifikant steht zwar im Zähler, er ist der, der im Grunde genommen zählt, auf den es ankommt, aber er wird von den simplen Signifikaten immer wieder in den Nenner, in die Plattitüden, ins Geschwätz der Vokabeln heruntergezogen, sagte Lacan, und das wirkt sich im Gespräch mit dem Tod besonders aus.

Die Nachlässigkeit beim herkömmlichen Reden zieht immer wieder die gleichen Wörter, ja den ganzen Bezeichnungsvorgang in den Nenner und macht die Worte somit zu Alltags-Gerede, zu Sprechblasen und zu Wort-Hülsen. Damit glaubt man die Sprache genügend sachlich und wort-verbindlich dingfest machen zu können, was Lacan vehement bestritt. Denn durch ihr Gerede sei die Sprache voller Missverständnisse, Ungenauigkeiten und Lügen, meinte er. Es verhält sich selbst beim normalen Sprechen schon so, dass man in einen Satz etliche Adjektive, Adverbien und andere Füllsel-Signifikate mit hinein fabrizieren muss, um sich verständlich zu machen. Die Juristen brauchen oft eine ganze Seite, um nur einen Gedanken glasklar auszudrücken, so dass an seiner Richtigkeit kein Zweifel mehr besteht, er besteht aber trotzdem.

Denn mit völliger Bestimmtheit kann man überhaupt nichts aussagen, wie der Semantiker G. Gamm schreibt.1 Lacan hob daher heraus, dass man, will man nicht nur im rein objektiven Bereich sprachlich agieren und nur sachlich Linguistisches verwenden, sondern das Subjekt Mensch in den Mittelpunkt stellen, also das Originäre, Spontane, Phantasievolle und Unbewusste des menschlichen Subjekts besonders betonen, man sich nur auf die Signifikanten allein stützen darf. So begründet man zwar keine objektive, universitäre Wissenschaft, aber doch eine Wissenschaft v o m Subjekt, eine Subjekt-Lehre, eine aufs Subjekt bezogene Linguistik. Dadurch wird das sprachliche Kuddelmuddel allerdings noch größer, dafür jedoch authentischer, echter, wahrer, ‚subjekt-realer‘, und das ist gemeint, wenn es darum gehen soll, mit dem Tod zu reden.

Das Reden mit dem Tod dient nämlich nicht der Kommunikation, sondern der Enthüllung, der Offenlegung der Wahrheit. Das sei, meinte Lacan, ohnehin das Wesen der Sprache. Wenn schon nichts Definitives gesagt werden kann, weil der Signifikant die Signifikate nie ganz einholt, so kann durch das Sprechen doch Originäres, Wahres und so Verschleiertes wie der Tod enthüllt werden, wenn man sich nur auf das Verhältnis der Signifikanten untereinander bezieht (Abbildung nebenan). Vorlage dafür ist die Psychoanalyse, in der der Patient alles sagen soll, was ihm spontan einfällt, was er – wie es heißt – ‚frei assoziiert‘, also kuddelmuddelig daherredet. Eben gerade daraus, und nur daraus, kann der Psychoanalytiker nach Maßgabe seiner Lehre die Wahrheit deuten. Das menschliche Subjekt wird also erst durch diese Stellung zwischen mehreren Signifikanten – ohne den Schrott der Signifikate – zu dem, was es eigentlich ist, ein Wesen ‚fra due fuochi‘ (zwischen zwei Feuern, wie die Italiener sagen), zwischen Sinn und Widersinn, zwischen Wahrheit und Lüge und zwischen Leben und Tod.

Ein Tier kann Furcht vor Verletzung haben, Panik davor überwältigt zu werden, aber nicht Angst vor etwas Endgültigen, Unheimlichen, Unerklärbarem wie dem Tod. Der Mensch benötigt dazu Signifikanten, Erklärungsund Behauptungs-Phrasen und verwickelt sich damit in Konfusionen. Aber im Hintergrund weiß er um den Tod, und dieses Wissen kann enthüllend gemacht werden, wenn man das Gewusel der Signifikanten durchdringt und dabei genau das Gegenteil tut wie es in der KI getan wird: gewalttätige oder sexuelle Inhalte, aber auch alles, was den Herstellern der KI missfällt, werden dort nämlich von sogenannten Content-Filter Personen aussortiert, während man in der Psychoanalyse darauf achtet, dass sich eben alle diese unpassenden Inhalte aus den ‚freien Assoziationen‘ enthüllen sollen. Was demnach die einen künstlich verleugnen und verdrängen, müssen die anderen ungekünstelt herauskitzeln und preisgeben.

Diese Kuriosität hat wohl mit dem Tod zu tun, was ich also weiter aufklären will. Aber um dem Ganzen noch einmal von einer anderen Seite her das Missverständliche und Seltsame zu nehmen: mit dem Tod reden heißt auch, in einer bestimmten Weise mit dem in einem selbst Unbewussten, Toten, aber Sprachfähigem sich auszutauschen. Mit sich selbst also in einem besonderem, das Unbewusste einschließenden Sprechen umzugehen, anders gesagt, eine Art Selbstgespräch zu führen. Denn wenn das mit der Sprache im Äußeren nur so beschwerlich funktioniert, so dass die KI-Inhalte sanktionieren muss, die die Psychoanalyse für besonders essentiell hält, sollte man sich ins eigene Innere wenden. Nicht ans eigene Ich, sondern ans sprachlich verfasste Unbewusste und Verschlüsselte, ans Andere (erneut ein Begriff Lacans), für dessen Öffnung man natürlich ein Instrument braucht, zu dem es noch weitere Erklärungen geben wird.

Jedenfalls handelt es sich um exakt das, was meine oben genannten Patienten nicht kannten. Sie dachten, wenn ihnen beim Sterben jemand die Hand hält, sind sie nicht allein. Oder sie waren ganz vernarrt in den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod. Aber die haltende Hand wird in der regressiven Bewegung des Sterbens schon bald nicht mehr gespürt, und auch von dem im Großhirn festsitzenden Glauben zieht sich der Geist als erstes zurück. In beiden Fällen wird man allein bei sich zurückgelassen, und deswegen – weil die Signifikanten in den basalen Gehirnabschnitten, das heißt im Unbewussten, das Primäre sind – ist ein Selbstgespräch mit dem unbewusst Anderen in einem selbst noch das Beste, was einem bleibt. Wie gesagt handelt es sich nicht um das, was man üblich unter Selbstgespräch versteht, sondern um eine Art Meditation, um einen kontemplativen Austausch mit dem Anderen, mit einer in einem selbst nicht künstlich, sondern symbolisch kreierten Intelligenz, die aber dennoch wie die künstliche Intelligenz eine Verwandtschaft mit dem Tod hat.

Meine Patienten realisierten nicht, dass sie grundsätzlich im Wort-Wirkenden, im Sprechen mittels der Signifikanten, in diesem Tohuwabohu der Bedeutungen fest eingeschlossen sind, und man sich von daher nur befreien kann, wenn man ins eigene Innere geht. Ins Innere, wo – wie der Philosoph M. Heidegger schrieb – die „Sprache selber spricht“,2 oder wo ‚Es‘, das von Freud als ‚Es‘ und von Lacan eben als l’Autre, als Anderes bezeichnete, sich sprachlich äußert, sich schafft, sich offenbart. Signifikate, das alltägliche Bla Bla, kann kein Gespräch mit dem Tod erzeugen, das Subjekt in seinem ihm selbst oft fremden Streben, Begehren, unbewussten Wünschen, etc. muss genuin mit dabei sein.

Wenn ich von Offenbarung rede, muss man sich also dieses Knäuel, diesen Knoten der Signifikanten fast noch mehr als nur etwas Subjektives vorstellen. Es ist ein Gewebe aus Signifikanten, etwas Bedeutungs- und Buchstaben-Überlappendes, Zusammengestückeltes und doch „Objekthaftes“ – wie Lacan betont – und in diesem Feld wird auch der Tod greifbar, sprachfähig, linguistisch fassbar und in seinem Wesen enthüllbar und verständlich. Ein sprachliches Gewebe muss nichts Materielles sein, aber auch nichts Eingebildetes, nur Vorgestelltes, es kann substanziell sein, wie beispielsweise bei Homer. Er schreibt zwar nicht vom Gewebe, oft aber vom „Gehege der Zähne“, dem Worte der Kraft entfliehen, und die, im Gegensatz zum ungeflügelten Sprechen „geflügelt“ seien, also Substanz, ein Netz, einen Stoff haben. Der Stoff, aus dem der Tod ist, hängt auch mit der unbewussten Seele, mit dem Anderen im Unbewussten zusammen.

Dieses Substanzielle, Gewebeartige, haftet also auch dem Tod an. Die meisten Menschen haben keine Angst vor dem Tod, wohl aber vor dem Sterben, das man allerdings heutzutage in vieler Hinsicht etwas erleichtern kann. Direkt herbeiführen lässt sich das Sterben nur unter den gesetzlich geregelten Umständen, was sehr selten genutzt wird, jedenfalls habe ich in den 45 Jahren meiner ärztlichen Tätigkeit keinen solchen Fall erlebt. Einige Male wurde der Wunsch nach einer Beendigung des Lebens an mich herangetragen, aber ich konnte immer eine für beide Seiten, Arzt und Patient, so halb befriedigende Lösung finden. Einmal gab ich jemanden eine Spritze mit dem Tranquilizer Diazepam, er schlief ein und wachte nicht mehr auf – doch starb er erst nach drei Tagen, da konnte das Diazepam gar nicht mehr gewirkt haben. Er hatte also auch so, ohne das Medikament, in Ruhe zu Ende schlafen können, aber nur ein bisschen früher damit angefangen.

Nun sind das alles Äußerlichkeiten, mir geht es in diesem Buch mehr um das Innerliche, das Unbewusste, das gelegentlich auch Phantasmatische, und daher zurück zum selbstanalytischen Gespräch als einer Methode, sich mit dem Tod auszutauschen. Die klassische Psychoanalyse orientiert sich an den sogenannten Objekt-Beziehungen, also unbewussten psychischen Elementen und Verfassungen, welche mit den erogenen Zonen am Körper zu tun haben, die noch aus der Kindheit stammen. Damit erreicht sie eben das vorhin erwähnte „Objekthafte“, auf das sich der Therapeut mit dem Patienten verständigen kann. So hat zum Beispiel das ‚Oral-Objekt‘ Bezug zur Brust der Mutter und zur eigenen Mund Zone, wofür als exemplarischer Fall selbst noch im Erwachsenen Alter der Gourmet gelten kann. Wie ein Objekt hängen an seinen Lippen und Gaumen das ‚amuse geule‘ und all die Delikatessen, von denen er nicht lassen kann. Auch in anderen Beziehungen, in denen ein derartiges Assimilierungs- oder Verschmelzungs-Begehren vorherrscht, wie es der Wunsch nach der Vereinigungslust von Mund und Brust oder der feinschmeckerische Gaumenkitzel darstellt, spricht man von Zuständen und Trieben und den Beziehungen zu diesen ‚Objekten‘.

Wenn der Psychoanalytiker lange nur zuhört und nichts sagt, entsteht beim Patienten oft schnell solch ein Assimilationswunsch, wie er auch bei üblichen Gesprächen in einer mittelgroßen Gruppe auftreten kann, wenn alle aus Verlegenheit oder sonstigen Gründen abgründig schweigen. Man wünscht dann ein Einheits-Gefühl, einen Assimilierungs-Zustand in der Gruppe. Es soll einer etwas sagen und nicht gähnende Leere herrschen. In der Therapie spricht der Patient in einem derartigen Fall aus Verlegenheit irgendetwas aus, vielleicht sogar diese Empfindung selbst, und der Therapeut kann deuten, dass er sich jetzt wie die Mutter vorkommt und dass das Oral-Objekt auf ihn übertragen wurde. Was war in der Kindheit geschehen, was gibt es da für Erinnerungen, die diesbezüglich im Unbewussten geweckt werden? Was ist da substanziell?

Bei dem Assimilierungs-Begehren geht es nicht um Instinkte, also biologische Triebe, sondern um solche, die – wie Lacan sagte – unter dem Drängen des Todes stehen, gerade oft dann, wenn sie als das Lebendigste gelten. Eben dies zeigt ja der Gourmet, dem sein lukullischer Spaß gegönnt sein soll, der aber dennoch auf der Suche nach immer weiter gesteigerten Genüssen der bekannten Qual der Wahl nicht auskommen wird. Seine Sucht wie sein wenig gesundes Verhalten bringen ihn dem Tod näher, aber meistens ist schuld, dass kein Wort die Sache klärt, sondern im Gegenteil solche wie Gaumenfreude, 3-Sterne-Koch, Luxus-Restaurant, Leckerbissen, Hochgenuss, sie noch weiter und weiter verfestigt.

Schon der Philosoph G. F. W. Hegel sagte, dass das Wort, das Symbol, Mord an der Sache sei, der Tod des puren Seis, des Erscheinungs-Wirkenden, wie ich es auch nenne. Die genannten Worte, von mir auch Wort-Wirkendes genannt, verderben also das gute Essen des Gourmets, ein Statement, dem Lacan hinzufügte, dass es dieser gewaltsame durch das Wort verursachte psychische Tod ist, der im menschlichen Subjekt die Verewigung seines Begehrens erst richtig weckt.3 Man ist nicht nur einmal Gourmet, man bleibt es ewig, weil das Wort und das Raunen aus alten Zeiten die eigentliche, dahinter liegende Sache umbringt, die – auch das muss man erwähnen – mit der Mutter und mit dem Assimilierungswunsch zu tun hat, anstatt dass sie diesen geklärt, analysiert und lösen würde.

Es klingt nach einem grundlegenden Verhängnis, nach einem durch die Sprache, durch die symbolische Ordnung bedingtem unfreundlichen Schicksal, und dass die Sprache so zu betörenden, täuschenden, verschleiernden und lügnerischen Funktionen gebracht und gebraucht wird. Doch ganz so schlimm ist es nicht, denn wie ja schon gleich anfangs erörtert, ist die Sprache, das Gespräch, das Selbstanalytische, doch auch der Ausweg aus der durch den Tod an der Sache herbeigeredeten Misere. Von der Psychoanalyse her gesehen liegt das Problem weniger darin, dass mit zu vielen und zu heftigen Worten ein Mord an der Sache stattfindet, sondern dass mit den Objekt-Beziehungen, mit den von den Körperzogen ausgehenden Trieben, nicht das ganze Psychische in Worten erfasst werden kann und somit nicht alles der Behandlung zugänglich ist. Das Oral-Objekt ist nicht alles, man nennt es ein Teil-Objekt, stets bleibt etwas übrig.

Vieles nämlich, das nicht so objekthaft im psychisch Unbewussten repräsentiert ist, ist für den Psychoanalytiker nicht erreichbar, ist also keiner Behandlung und keiner Deutung zugänglich. Schon Freud versuchte das Problem zu umgehen und es durch einigermaßen passende Konstruktionen, also intuitiv zu ersetzen, die seinem Wissenschaftsanspruch dann jedoch nicht mehr gerecht waren. Könnte es nicht am Tod liegen, dass es so schwer zu deuten ist? Normalerweise gilt das Ich als Widerstands-Ort im Unbewussten gegen die Enthüllung der Wahrheit. Wer will schon alles offenlegen und preisgeben. Aber Freud erwähnte auch den sogenannten Es-Widerstand, also eine Hemmung aus dem triebnäheren ‚Es‘, dem direkten Unbewussten selbst. Schon im Primären der Triebe, im Bereich des noch völlig ungesteuerten Begehrens, gibt es Reibereien und gegenseitige Blockaden, die Widerstände hervorrufen. Könnte das nicht der Tod sein, ist er nicht selbst der Es-Widerstand, der nicht in der herkömmlichen Weise zu deuten ist? Aber er hat auch Signifikanten-Struktur, man muss ihn von daher nicht direkt angehen, ansprechen und anrufen können?

Freud selbst sprach ja auch vom Todestrieb, den er dem Eros-Lebenstrieb entgegenstellte. In diesem Sinne könnte der Tod also ein Gegentrieb sein, der sich nicht nur den Eros-Lebenstrieben, sondern auch deren ‚Objekten‘ entgegensetzt und so deren Offenlegung und Deutung verhindert. Besonders deutlich wird dieses Problem auch bei ‚Blick‘ und ‚Stimme‘, die ebenfalls als psychische Objekte aufgefasst werden können, in denen das Schau- und Sprech-Begehren, die Blick- und die Verlautungs-Lust, zum Zug kommt. Es geht wiederum nicht ums Biologische, sondern um den Signifikanten-Bezug. Der Blick ist selbst die Schaulust, die Helligkeit, das Bild seiner selbst, und so durch seinen Überschuss an Visionärem seine eigene Blockade.

Diese Objekte ins Therapeutische einzubinden ist eben besonders schwierig, bei ihnen ist Trieb und Objekt so eng verbunden, so dass sie bereits aus sich selbst heraus nicht in den Griff zu bekommen sind. Tausendfach verwickeln sich diese Objekte der Lust von Blick und Stimme ins Beziehungsgeschehen von Menschen untereinander und zu Dingen zwischen ihnen, was ich also gerade als Selbstblockade bezeichnet habe. Das gleiche gilt für die Stimme, die, wenn sie nur gelispelt und nicht deutlich, ohne Blockade und auch definitiv sachbezogen zum Ausdruck kommt, keine Wirkung hat. Nicht nur die Wirkung nach außen ist das Problem, diese beiden psychischen, und das heißt in Bezug auf das Subjekt sich entfaltenden Objekte haben ihre je eigenen Innen-Verwicklungen.

Manchmal kommt die Schaulust nur im Voyeur oder im Exhibitionisten zur Geltung, und die Sprechlust nur beim Wichtigtuer oder Volksredner – bei letzterem allerdings häufiger, vielleicht sogar bei jedem zweiten. Alles blickt und brabbelt, liebäugelt und palavert über die Dinge und auch den Tod hinweg. Man kümmert sich nicht um ihn und kann ihn nicht in jedes Bild und jeden Dialog bewusst mit einbeziehen, obwohl er unbewusst bereits einbezogen ist, was ich wohl genug angedeutet habe. Aber man kann ihn durch ein eigenes Verfahren, durch eine meditativ-psychoanalytische Methode, die ich also in diesem Buch vorstellen will, aus dieser Einbezogenheit herausholen und ins allgemeine Leben doch wenigstens durch ein Selbstgespräch im Unbewussten integrieren.

Schon jetzt kann ich sagen, dass wegen dieser Komplexität ein Gespräch mit dem Tod sehr hilfreich sein könnte. Wenn Jesus am Kreuz ausrief: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen“, betraf dies den enormen Verlust des Aufbaus seiner Lehre, des Reichhaltigen seiner Ideen, der Vielschichtigkeit seiner Gefühle und Taten, kurz: das große Phantasma und Virtuelle der in seinem Inneren kreierten Visionen und göttlichen Programmatiken. Er hat in diesem Moment nicht mit dem Tod gesprochen, oder doch? Gott war für ihn eng mit der Vater-Metapher verbunden, und der Vater, selbst der Vater als solcher, lebt wohl nicht ewig, ist aber vielleicht dennoch so verbindlich, so weitertragend und symbol-wirkend, dass man in seinem Namen sprechen kann. Es ist ein Sprechen in nomine patris, wie man früher sagte, warum sollte es nicht auch eins in nomine mortis geben, vielleicht ist das sogar dasselbe. Für den Zweck, den ich hier verfolge, kann man wohl so sagen.

Dieser im Unbewussten hoch aufgerichtete Vater hat Jesus tatsächlich verlassen, aber letztendlich hat sein Phantasma, dass der väterliche Gott ihn dem Tod anheim gab, auch für ihn selbst nicht so endgültig und abweisend geklungen. Schließlich war dessen Vision, dessen Widerhall, dessen phantomschmerz-artiger, virtueller Anderer noch da, wie es ja auch bei körperlichen Verletzungen der Fall ist, wo die verlorene Gliedmaße immer noch weh tut. Und zu diesem Anderen konnte Jesus noch sagen, dass er ihm trotzdem vertraut und „seinen Geist in dessen Hände legt“. Freud behauptete, dass Gott auch schon vorher ein toter Vater gewesen sei, was er mit einem durch die Nachkommen verursachten Mord erklärte, aber im Falle von Jesus ist es naheliegender, den Gott mit einem woanders lebenden Vater zu interpretieren, phantasmagorisch, phantomatisch, virtuell, weil er doch ohne einen leibhaften Vater hat aufwachsen müssen.

Das heißt, dass er sich diesen hat erschaffen müssen. Umgekehrt wie Freud es sagte, hat er ihn so perfekt erschaffen, dass er als lebend erschien. Doch Freud meinte, dass er als Toter, viel mehr Wirkung hatte, als wenn er unter den Lebenden geweilt hätte. Doch nun existiert dieses Zwischenstadium, wo er als Anderer ‚lebt‘ und ansprechbar ist.4 Dieser Kampf um die Wahrheit der metaphorischen Vaterfigur hat wohl tatsächlich – nicht nur bei Jesus – viel mehr Lebenskräfte und Todesüberwindung freigesetzt, als wenn er so wie heute als netter Papa vor seinem Söhnchen hergelaufen wäre. Deswegen hat man immer mit ihm als diesem Anderen, diesem toten Vater, dieser transzendenten Intelligenz geredet. Wie hat das genau funktioniert? Kann man das nicht noch besser konkretisieren?

Ich lasse die Frage vorerst offen und versuche sie weiter über den Begriff des Unbewussten im Vergleich zur KI und zum Tod anzugehen. Lacan hatte das Freud’sche Konzept des Eros-Lebens- und des Todes-Triebs ein bisschen umformuliert. Den ersten fasste er als den Trieb etwas erscheinen zu lassen, das Begehren zu schauen, mehr oder weniger also als das vorhin genannte Blick-Objekt, als den Schau-Trieb. Den Todestrieb aber setzte er in die Nähe des Invokations- (Anrufungs-) oder Sprech-Triebs, des ebenfalls vorhin genannten Stimm-Objekts. Verkürzt heißt dies, dass die Menschen mit dem Sprechen zwar große Fortschritte gemacht haben, sich aber, wie schon eingangs angedeutet, ständig missverstehen, falsch kommunizieren, belügen und die Worte ständig um drei Ecken herumbiegen, so dass nur Täuschung, Fehlverhalten, Wort-Rätsel und Widersprüche entstehen, was tödlich ist.

Ein direkter und alleiniger Zugang mittel des Erscheinungs-Wirkenden, des puren Seins, ist auf andere Weise problematisch, denn wenn einen Worte, speziell solche aus dem Unbewussten, nicht so schnell überfluten, Bilder können solch eine Inflation des Unbewussten in heftigster Weise erzeugen. Das folgende Schema soll die differenten Begriffe einander gegenüberstellen. So geschrieben sind sie nämlich miteinander meist unvereinbar, und deswegen kommt es gar nicht darauf an, sie einzeln, isoliert, unabhängig zu schildern. Für das Sprechen mit dem Tod wird es darauf ankommen, ihre Verbindungen, Kombinationen, Zusammen-Wirkungen genauer zu untersuchen. Etliche Überschneidungen der beiden Seiten habe ich schon angesprochen. So beispielsweise im Begriff des psychischen Objekts und der Objektbeziehungen.

Wort-Wirkendes

Erscheinungs-Wirkendes

Tod

Leben

Signifikant

Signifikat

Stimme

Blick

Aber auch der und das Andere beinhalten den wortwirkenden Anderen und das erscheinungs-wirkende Andere. In Lacans Französischem wird nur von l’Autre gesprochen, dem umfassend Anderen. Doch wie schon bei der KI angedeutet, empfindet man das Sprechen selbst der toten Maschine als menschlich, während das von mir anvisierte unbewusste Selbstgespräch eher als das Andere erfahren wird. Doch dann vermischen sie sich wieder, und zwar in einem Sprachmodell, das mir genau mittels dieses Redens mit dem Tod eingefallen ist, und das ich hier darstellen will

1 Gamm, G., Nicht nichts, Studien zu einer Semantik des Unbestimmten, Suhrkamp (2000) S. 227

2 Heidegger, M., Unterwegs zur Sprache, Neske (1959)

3 Lacan, J., Ècrits, Le Seuil (1966) S. 319

4 Ich bezeichne als Leben nicht nur das biologische Leben, sondern auch das programmatische, neuro-psychische, komplex intelligente als unbewusst Andere(s)(r), das Mystiker bildhaft erfahren konnten, mit dem man heute besser, nämlich wissenschaftlich gestützt, reden kann.

2. Lebens- und Todestrieb