Die Rätsel der Germanen - Harry Eilenstein - E-Book

Die Rätsel der Germanen E-Book

Harry Eilenstein

0,0

Beschreibung

Von den Germanen sind weit über 100 Rätsel überliefert worden. Ihre Entwicklungsgeschichte läßt sich von der Frage-Antwort-Form, in der die frühen Priester und Skalden ihr mythologisches und historisches Wissen auswendiggelernt haben, über die Verwendung von Rätseln in religionspolitschen Streitschriften („Ist Odin oder Tyr der weisere Gott?“) bis hin zu den späten Denksport-Aufgaben verfolgen. Somit bieten die Rätsel sowohl Informationen zu dem Wissen der Priesterschaft (mit vielen mythologischen Hinweisen) als auch eine unterhaltsame Lektüre, die eben ein oft recht heiteres Rätselraten ist – mit der einen oder anderen erotischen Anspielung ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 201

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bücher von Harry Eilenstein:

Astrologie (496 S.)

Photo-Astrologie (64 S.)

Tarot (104 S.)

Handbuch für Zauberlehrlinge (408 S.)

Physik und Magie (184 S.)

Der Lebenskraftkörper (230 S.)

Die Chakren (100 S.)

Meditation (140 S.)

Drachenfeuer (124 S.)

Krafttiere – Tiergöttinnen – Tiertänze (112 S.)

Schwitzhütten (524 S.)

Totempfähle (440 S.)

Muttergöttin und Schamanen (168 S.)

Göbekli Tepe (472 S.)

Hathor und Re:

Band 1: Götter und Mythen im Alten Ägypten (432 S.)

Band 2: Die altägyptische Religion – Ursprünge, Kult und Magie (396 S.)

Isis (508 S.)

Die Entwicklung der indogermanischen Religionen (700 S.)

Wurzeln und Zweige der indogermanischen Religion (224 S.)

Der Kessel von Gundestrup (220 S.)

Cernunnos (690 S.)

Christus (60 S.)

Odin (300 S.)

Die Götter der Germanen (Band 1 – 80)

Dakini (80 S.)

Kursus der praktischen Kabbala (150 S.)

Eltern der Erde (450 S.)

Blüten des Lebensbaumes:

Band 1: Die Struktur des kabbalistischen Lebensbaumes (370 S.)

Band 2: Der kabbalistische Lebensbaum als Forschungshilfsmittel (580 S.)

Band 3: Der kabbalistische Lebensbaum als spirituelle Landkarte (520 S.)

Über die Freude (100 S.)

Das Geheimnis des inneren Friedens (252 S.)

Von innerer Fülle zu äußerem Gedeihen (52 S.)

Das Beziehungsmandala (52 S.)

Die Symbolik der Krankheiten (76 S.)

Die Themen der einzelnen Bände der Reihe „Die Götter der Germanen“

Die Entwicklung der germanischen Religion

Lexikon der germanischen Religion

Der ursprüngliche Göttervater Tyr

Tyr in der Unterwelt: der Schmied Wieland

Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 1

Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 2

Tyr in der Unterwelt: der Zwergenkönig

Der Himmelswächter Heimdall

Der Sommergott Baldur

Der Meeresgott: Ägir, Hler und Njörd

Der Eibengott Ullr

Die Zwillingsgötter Alcis

Der neue Göttervater Odin Teil 1

Der neue Göttervater Odin Teil 2

Der Fruchtbarkeitsgott Freyr

Der Chaos-Gott Loki

Der Donnergott Thor

Der Priestergott Hönir

Die Göttersöhne

Die unbekannteren Götter

Die Göttermutter Frigg

Die Liebesgöttin: Freya und Menglöd

Die Erdgöttinnen

Die Korngöttin Sif

Die Apfel-Göttin Idun

Die Hügelgrab-Jenseitsgöttin Hel

Die Meeres-Jenseitsgöttin Ran

Die unbekannteren Jenseitsgöttinnen

Die unbekannteren Göttinnen

Die Nornen

Die Walküren

Die Zwerge

Der Urriese Ymir

Die Riesen

Die Riesinnen

Mythologische Wesen

Mythologische Priester und Priesterinnen

Sigurd/Siegfried

Helden und Göttersöhne

Die Symbolik der Vögel und Insekten

Die Symbolik der Schlangen, Drachen und Ungeheuer

Die Symbolik der Herdentiere

Die Symbolik der Raubtiere

Die Symbolik der Wassertiere und sonstigen Tiere

Die Symbolik der Pflanzen

Die Symbolik der Farben

Die Symbolik der Zahlen

Die Symbolik von Sonne, Mond und Sternen

Das Jenseits

Seelenvogel, Utiseta und Einweihung

Wiederzeugung und Wiedergeburt

Elemente der Kosmologie

Der Weltenbaum

Die Symbolik der Himmelsrichtungen und der Jahreszeiten

Mythologische Motive

Der Tempel

Die Einrichtung des Tempels

Priesterin – Seherin – Zauberin – Hexe

Priester – Seher – Zauberer

Rituelle Kleidung und Schmuck

Skalden und Skaldinnen

Kriegerinnen und Ekstase-Krieger

Die Symbolik der Körperteile

Magie und Ritual

Gestaltwandlungen

Magische Waffen

Magische Werkzeuge und Gegenstände

Zaubersprüche

Göttermet

Zaubertränke

Träume, Omen und Orakel

Runen

Sozial-religiöse Rituale

Weisheiten und Sprichworte

Kenningar

Rätsel

Die vollständige Edda des Snorri Sturluson

Frühe Skaldenlieder

Mythologische Sagas

Hymnen an die germanischen Götter

Inhaltsverzeichnis

Rätsel in der germanischen Überlieferung

I 1. Die Bewahrung von Wissen

I 2. Die Formalisierung des Wissens

I 3. Der Wissens-Dialog

I 4. Der eingebettete Wissens-Dialog

I 5. Die Entstehung des Rätsels

I 6. „Mini-Mythen“

I 7. Die Rätsel der Germanen

I 7. a) Die Rätsel in der Saga über König Heidrek den Weisen

I 7. b) Vier anonyme Rätsel

I 7. c) Syrpas Verse

I 7. d) Die Rätsel aus dem Exeter-Buch

I 7. e) Ein Rätsel aus dem altenglischen Runenlied

I 7. f) Ein Rätsel aus der Morkinskinna

I 7. g) Zwei Rätsel aus der Saga über Fridthjof den Kühnen

I 7. h) Ein Rätsel aus der Gesta danorum

I 7. i) Das Rätsel aus der Saga über Ragnar Lodenhose

I 7. j) Das Rätsel aus der Saga über Kampf-Glum

I 7. k) Das Rätsel aus dem Chronicon Lethrense

I 7. l) Das Rätselraten in Gylfis Vision

I 8. Zusammenfassung

Rätsel in der indogermanischen Überlieferung

II 1. Rätsel bei den Kelten

II 1. Rätsel bei den Römern

II 2. Rätsel bei den Indern

II 3. Rätsel bei den Persern

II 3. Rätsel bei den Griechen

II 5. Ein germanisch-keltisch-indisches Rätsel

II 6. Rätsel in der indogermanischen Überlieferung

Rätsel in der jungsteinzeitlichen Überlieferung

III 1. Rätsel bei den Babyloniern

III 2. Rätsel bei den Ägyptern

III 3. Rätsel bei den Israeliten

III 4. Rätsel in der jungsteinzeitlichen Überlieferung

Themen-Verzeichenis der Reihe „Götter der Germanen

I Rätsel in der germanischen Überlieferung

Rätsel sind ein allgemein bekannter Bestandteil der germanischen Kultur. Wie alle Dinge haben auch sie eine längere Vorgeschichte.

I 1. Die Bewahrung von Wissen

In den allermeisten schriftlosen Kulturen gibt es Wissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Zu einem großen Teil geschieht dies durch das Erlernen der Alltagstätigkeiten, aber daneben gibt es auch abstrakteres Wissen wie die Mythen, die Geschichte des Stammes, die eigene Ahnenreihe, medizinische Kenntnisse u.ä.

In der Regel besteht dieses Wissen aus drei Teilen:

der Mythologie, d.h. der Schöpfungsgeschichte,

der historischen Geschichte, und

Einzelthemen.

Im Christentum wären dies z.B.:

die Schöpfungsgeschichte (1. Buch Mose),

die Geschichte der Juden und der Christen, und

die Dogmen, die Heiligenlegenden u.ä.

Der erste Teil besteht bei den Indogermanen aus den Mythen, bei den Germanen also z.B. die Götterlieder der Edda und der Gylfaginning des Snorri Sturluson.

Der zweite Teil bildet bei den Indogermanen das Nationalepos – bei den Germanen also die Siegfried-Sage einschließlich der Vöslungensage, die deren Vorgeschichte ist.

Der dritte Teil setzt sich bei den Indogermanen aus deren Sagen, Bräuchen, Magie u.ä. zusammen, bei den Germanen also z.B. die Runensteine, die Zaubersprüche u.ä.

I 2. Die Formalisierung des Wissens

Oft wurde dieses Wissen in einer formalen Weise angeordnet, um das Auswendiglernen zu erleichtern. Zu diesen Hilfsmitteln gehören unter anderem das Versmaß, Wiederholungen und verschiedene Formen von Reimen. Man könnte sagen, daß die Lyrik erfunden wurde, um es den Menschen zu erleichtern, sich große Mengen von Wissen zu merken.

Oft gab es Spezialisten für die Bewahrung dieses Wissens – in der Regel werden dies die Schamanen-Priester gewesen sein, die eine Vielfalt von Aufgaben gehabt haben.

Diese verschiedenen Tätigkeiten haben sich bei den Indogermanen erst recht spät in verschiedene „Berufe“ ausdifferenziert. So spaltete sich z.B. bei den Kelten der Barde von den Druiden ab und bei den Germanen der Skalde von dem Diar, d.h. die Bewahrung des Wissens durch die Sänger-Dichter wurde eine von den Priestern zunehmend unabhängige Tätigkeit.

Grimnir-Lied

Am deutlichsten hat sich diese frühe Entwicklungsstufe im Grimnir-Lied erhalten, in dem Odin den Königssohn Agnar belehrt.

Odin steht bei diesem Lehren in einem Feuer, das der Waberlohe und den Flammen, die aus den Hügelgräbern auflodern, entspricht. Er steht also im Jenseits und lehrt den Königssohn von dort aus das Wissen.

Am Ende des Liedes stirbt Agnars Vater Geirröd, der die Sagen-Variante des Riesen Geirröd, also des ehemaligen Göttervaters Tyr ist. Agnar ist somit der wiedergeborene Geirröd, der wie Tyr jeden Abend durch das Schwert stirbt. Der Hintergrund der Belehrung des Agnar durch Odin ist somit das Krönungsritual der Germanen, das wie alle frühen Krönungen vor allem eine Jenseitsreise des angehenden Königs ist, durch die er den Kontakt zu den Göttern erhält, mit deren Rat und Hilfe er dann herrscht.

Agnar erhält seine Belehrung für den Trank, den Agnar dem Odin reicht. Dies ist eine Umdeutung des Trankes, der bei der Belehrung und auch bei der Krönung getrunken wurde. Er wird u.a. im Sigdrifa-Lied und im Hyndla-Lied beschrieben. Die Wichtigkeit dieses Trankes kann man auch dran erkennen, daß für ihn solche großen Goldhörner wie die von Gallehus hergestellt wurden, auf denen Jenseitsreise-Szenen dargestellt sind. Solche kostbaren Trinkhörner sind auch von vielen anderen indogermanischen Völkern bekannt.

Das Grimnir-Lied ist somit eine Vision des Agnar bei seiner Krönungs-Jenseitsreise, bei der er dieses Wissen über das Jenseits und über Weg dorthin und von dort aus wieder zurück brauchte.

Die Vision der Seherin

Dieses älteste erhaltene Lied der Germanen ist ebenfalls ein Visions-Bericht: Eine Seherin beschreibt in ihm den Verlauf der mythologischen Ereignisse vom Beginn an bis in die Gegenwart.

Durch diese Darstellungsform erhält diese Übersicht eine deutlich größere Dramatik – was unter anderem auch pädagogisch sinnvoll ist, da es den Skalden-Schülern dadurch leichter gefallen sein wird, sich das Lied zu merken. Zugleich entspricht diese Form aber auch der Tatsache, daß die Mythen keine abstrakten philosophischen Spitzfindigkeiten eines kleinen Kreises innerhalb des Gesellschaft gewesen sind, sondern eben die grundlegenden Strukturen der allgemeinen Weltanschauung.

I 3. Der Wissens-Dialog

Das Lernen von Wissen wird auch geprüft worden sein, wodurch sich Fragen des Lehrers und Antworten des Schülers ergeben. Dadurch entstand die Form des Dialoges, deren Fragen der Ursprung der späteren Rätsel sind. In den meisten Kulturen gibt es Rätsel, doch bei den Germanen spielen sie eine besonders große Rolle.

Der reine Wissens-Dialog, also einfach die Fragen der Skalden-Lehrer und die Antworten der Skalden-Schüler haben sich bei den Germanen nicht erhalten, aber die folgende Entwicklungsstufe zeigt, daß es diese Form des „Unterrichtes“ gegeben haben muß.

I 4. Der eingebettete Wissens-Dialog

Bei der allgemeinen Neigung der Germanen zur Dramatik konnte es nicht ausbleiben, daß man die Wissens-Dialoge mit einer Rahmenhandlung versah, durch die diese Dialoge deutlich an Spannung gewannen. Für solche Einbettungen gab es verschiedene Möglichkeiten:

Hyndla-Lied

In den Strophen des Hyndla-Liedes geht es vor allem um die Darstellung des Stammbaumes des Helden Otar durch die Riesin Hyndla, die mit Hel identisch ist – und wer könnte für diese Aufgabe besser geeignet sein als die Jenseitsgöttin Hel-Hyndla, in deren Halle sich all die Toten befinden, die in dieser Genealogie aufgeführt werden? Ihre Gesprächspartnerin ist dabei ihre Schwester Freya – beide sind ursprünglich Aspekte derselben Göttin gewesen.

Die Rahmenhandlung ist die gemeinsame Reise von Freya, Hyndla und Otar, der wie bei Jenseitsreisen üblich die Gestalt eines Ebers angenommen hat, nach Asgard, also zu Odin. Diese Szene geht der des Grimnir-Liedes voraus, in dem der angehende König (Agnar) bereits bei Odin angekommen ist und von ihm die Belehrungen über die Götterwelt erhält.

Wegtam-Lied

Odin ruft die Seherin-Göttin Wala (Hel) aus der Unterwelt herbei, um von ihr das Schicksal seines Sohnes Baldur zu erfahren. Da die handelnden Personen in diesem Lied auch die Personen sind, über die die betreffenden Mythen berichten, verwandelt sich das mythologische Wissen in eine Handlung – die Darstellung rückt aus der Vergangenheit heraus in die Gegenwart und gewinnt dadurch deutlich an Dramatik.

Odins Rabenzauber

Dieses Lied hat dasselbe Thema wie das vorige, aber diesmal sendet Odin die Götter Heimdall, Loki und Bragi aus, damit sie im Jenseits die Göttin Idun, die auch unter anderen Göttinnen-Namen auftritt, über das Schicksal des Baldur befragen.

Dieses Lied ist sehr kunstvoll gedichtet worden und erhält eine Vielzahl von mythologischen Anspielungen, die man auch zu den Auflistungen des mythologischen Wissens zählen kann.

Fiölswin-Lied

Fiölswin-Odin ist in diesem Lied nicht der Schamanengott, sondern der Wächtergott am Jenseitstor, was eine häufige Umdeutung der Schamanengötter ist.

Der Wanderer, der zu dem Jenseitstor gelangt und zu der Jenseitsgöttin Freya-Menglöd eingelassen werden will, um sich mit ihr zu vereinen und dann von ihr wiedergeboren zu werden, ist Swipdag, der Sonnengott, d.h. der ehemalige Göttervater Tyr auf seiner nächtlichen Reise durch das Jenseits. Odin-Fiölswin und Tyr-Swipdag haben hier noch ihre ursprünglichen Funktionen, was auf ein recht großes Alter dieses Liedes oder zu mindestens der ihm zugrunde liegenden mythologischen Szene schließen läßt.

In dem Dialog zwischen den beiden Göttern belehrt Odin-Fiölswin den Tyr- Swipdag über das Wesen des Jenseits. Die Grundstruktur der Rahmenhandlug ist somit dieselbe wie im Grimnir-Lied und im Hyndla-Lied: die Reise des angehenden Königs im Jenseits bei seiner Krönung.

Lokis Streitreden

Dieses Lied bettet die Wissens-Darstellung in einen Beleidigungs-Wettstreit („flyta“) ein – für den natürlich kein anderer so gut geeignet ist wie Loki selber. Ein solcher Wettstreit hat natürlich schon aus sich heraus eine große Spannung (und enthält jede Menge interessante Peinlichkeiten), aber er beruht auch auf einem sehr alten mythologischen Thema: dem Streit zwischen dem Winter- und Jenseitsgott Loki und dem Sommergott und Göttervater Tyr. Durch diesen Bezug erhält dieser Streit eine Verankerung in der „mythologischen Realität“ und wird zu einem sehr plausiblen Teil der religiösen Weltanschauung der Germanen.

Harbard-Lied

Auch die Rahmenhandlung dieses Liedes spielt an der Jenseitsgrenze, die diesmal ein Sund, also eine Meerenge ist. Dort ist Odin der (Jenseits-)Fährmann, der für seinen Herrn, der der ehemalige Göttervater Tyr ist, arbeitet. Offenbar hat Odin im Zusammenhang mit der Jenseitsreise meistens seine alte Stellung als Schamanengott bewahrt und tritt nicht als Göttervater auf.

Sein Gesprächspartner bzw. genauer gesagt sein Streitpartner ist diesmal sein Sohn Thor, der seinen Vater Odin allerdings nicht erkennt. Dieser Streit ist vermutlich durch den sonst üblichen Kampf zwischen Thor und dem Tyr-Riesen (Hrungnir, Geirröd, Thrym usw.), der hier der Auftraggeber des Odin ist, inspiriert worden.

Odin verwehrt Thor die Überfahrt, was nicht nur den rhetorischen Anlaß für das Streitgespräch bietet, sondern zugleich auch Odin deutlich dem Thor überordnet – die Rahmenhandlungen konnten auch religionspolitische Aussagen enthalten …

Das dargestellte mythologische Wissen ist wie in „Lokis Streitreden“ in einen „flyta“ eingebettet worden, was die Möglichkeit bietet, viele einzelne mythologische Motive anzubringen und sie (zum Vergnügen der Zuhörer) möglichst peinlich zu formulieren.

Wafthrudnir- Lied

Odin reist zu dem Tyr-Riesen Wafthurdnir und besiegt ihn in einem Wissen-Wettstreit.

Die Rahmenhandlung dieses Liedes ist somit die Absetzung des alten Göttervaters Tyr (Wafthrudnir) durch den neuen Göttervater Odin, die um ca. 500 n.Chr. stattfand.

Die Rahmenhandlungen sind auch selber stets ein allgemein gut bekanntes mythologisches Motiv – sonst könnte das Lied für die Hörer nicht überzeugend wirken. Die neuen Lieder sind keine völligen Neuschöpfungen, sondern nur eine neue Art, die alten Themen zu erzählen und sie manchmal leicht abzuwandeln.

Alwis-Lied

Dies ist eine Variante des vorigen Liedes, in dem Thor den Tyr-Zwerg Alwis in einem Wissens-Wettstreit besiegt. Die Situation ist wieder die nächtliche Jenseitsreise des Tyr: Der Tyr-Zwerg Alwis hält bei Thor um die Hand der Jenseitsgöttin Thrudr an, die zu der Zeit, in der dieses Lied verfaßt wurde, bereits als Thors Tochter aufgefaßt worden ist.

Der Umstand, daß Thor den Tyr-Zwerg Alwis in für den Donnergott sehr untypischer Weise mit Worten statt mit Waffen schlägt, zeigt, daß es sich bei diesem Lied um die Übertragung eines Tyr/Odin-Motives auf Tyr/Thor handelt.

Eine ähnliche Überordnung des Thor über Tyr findet sich auch im Hymir-Lied.

Fafnir-Lied

Sigurd befragt den von ihm tödlich verwundeten Drachen Fafnir während dessen letzten Atemzügen über das Jenseits. Dies ist plausibel, da der Drache bereits der Totengeist eines Menschen ist und sich daher im Jenseits befindet.

Das Gespräch zwischen Sigurd und Fafnir entspricht dem zwischen Odin und der Wala: beide sind zu einem Hügelgrab in der Heide gegangen, haben eine Tote bzw. einen Drachen aus dem Jenseits herbeigerufen und sie um Rat gefragt.

Solche Totenbeschwörungen waren damals die übliche Weise, auch nach dem Tod der eigenen Vorfahren von ihnen noch weiterhin Rat und Unterstützung zu erhalten („Utiseta“). Daher ist diese Szenerie für einen damaligen Zuhörer ebenfalls plausibel gewesen.

Das dargestellte mythologische Wissen besteht aus vielen verschiedenen Einzel-Motiven.

Völsungen-Saga / Das andere Lied über Sigurd Fafnir-Töter

In dieser Saga bzw. in diesem Lied stellt Loki dem Zwerg/Fisch Andwari (Tyr) eine Frage zu ihm selber und eine Wissensfrage über die Strafe für Lügner im Jenseits – ein dezenter Hinweis darauf, was Andwari erwartet, wenn er Loki nicht aufrichtig und ehrlich antwortet.

I 5. Die Entstehung des Rätsels

Im Gegensatz zu dem Wissens-Dialog, bei dem der Fragende hofft, daß der Antwortende sich gemerkt hat, was er sagen muß, zielt das Rätsel darauf ab, daß seine Zuhörer zunächst ratlos und um eine Antwort verlegen sind. Aus dem Wissens-Test ist somit ein geistiges Geschicklichkeits-Spiel geworden.

Die wichtigste Voraussetzung für diese Entwicklung ist, daß die germanische Religion nicht mehr die gültige Weltanschauung gewesen ist. Unter solchen Umständen werden die Mythen zu Sagen und schließlich zu Märchen, während die Orakel zu Spielen werden (Tafl).

Auf diese Weise entstanden u.a. aus dem chinesischen I Ging die Spiele Dame, Schach und Gobang; aus der ägyptischen Osiris-Mythe das Spiel Senet und viele andere Weg-Spiele („Gänse-Spiel“ u.ä.); aus dem mittelamerikanischen Ball-Wettstreit, mit dessen Hilfe die Opfer in den Ritualen bestimmt wurden, Federball, Tennis, Fußball u.ä.; aus den mit dem kabbalistischen Lebensbaum aus der jüdischen Mystik verbundenen Bildern das Tarot-Orakel und aus diesen dann die Spiele Romee, Skat u.ä.

Die ernsthafte Wissens-Erlernung wurde auf genau dieselbe Weise zu einem geistigen Spiel, eben dem Rätselraten.

Dabei hat sicherlich auch die Vorliebe der Germanen für Kenningar, also die Umschreibung eines Dinges ohne es selber zu nennen („Wogen-Roß“ für „Schiff“), eine große Rolle gespielt, da ein Rätsel dieselbe grundlegende Struktur hat: Es wird eine Sache beschrieben, ohne sie selber zu nennen.

Das erste echte Rätsel in der germanischen Mythologie, das allerdings noch sehr ernst gemeint war und kein Spiel gewesen ist, ist Odins Frage, was er seinem toten Sohn Baldur in das Ohr geflüstert hat, als dieser auf seinem Scheiterhaufen lag. Die Antwort auf diese Frage war nur den Schamanen bekannt, also den Menschen, die selber bei einem Nahtod-Erlebnis oder bei einem Einweihungs-Ritual ins Jenseits gereist sind.

Das, was Odin dem Baldur ins Ohr geflüstert hat, ist die Wegbeschreibung in das Jenseits und ähnliche Hilfen für Baldur auf seiner Reise zur Hel. Dies wird einst bei jeder Bestattung in dieser Weise stattgefunden haben.

Schließlich gibt es bei einigen Rätseln, insbesondere bei dem germanischen Stamm der Angelsachsen, noch einen weiteren Aspekt der Rätsel: Es gab oft zwei mögliche Antworten – eine offensichtliche, die erotisch war, und eine zweite verborgene, die sich auf einen Alltagsgegenstand bezog.

Durch solche Rätsel konnte man den Befragten hereinlegen und anschließend, wenn er versehentlich die erste (erotische) Antwort gab, herzhaft auslachen.

I 6. „Mini-Mythen“

Die meisten Rätsel beruhen auf einem Gleichnis, d.h. auf der Beschreibung einer Sache mithilfe einer anderen Sache, die ihr von ihrer Struktur her gleicht.

Dieses Konstruktionsprinzip findet sich auch an mehreren anderen Stellen nicht nur bei den Germanen.

Das wichtigste Analogie-Element in einer Kultur sind die Mythen, also die Erzählungen darüber, wie die Welt ist. Diese Beschreibungen stammen aus dem Bereich der Menschen, d.h. die Dinge in der Welt, über die die Mythen berichten, sind häufig personifiziert worden oder werden mithilfe eines Gleichnisses aus dem Alltag der Menschen beschrieben.

So wird z.B. in fast allen Ackerbau-Kulturen die Aussaat, das Keimen und die Ernte des Getreides der Zeugung, der Geburt und dem Tod eines Menschen gleichgesetzt.

Die Weisheiten und Sprichworte der Menschen sind häufig auch solche Gleichnisse, durch die man eine Erkenntnis bildhaft beschreibt – wie z.B. das heutige Sprichwort „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ für die Erkennis, daß die Kinder den Eltern gleichen.

Die Kenningar der Germanen sind ebenfalls solche Gleichnisse, durch die etwas anders als gewohnt beschrieben wird: „Wogen-Roß“ ist eine Umschreibung für „Schiff“ mithilfe des Gleichnisses zwischen „Roß“ und „Schiff“ (beides sind Fortbewegungsmitel) und einer zusätzlichen Präzisierung des Fortbewegungsmittels, das gemeint ist (Wasser).

Der Witz beruht auf derselben Grundstruktur: Es wird etwas erzählt, das wie eine bestimmte Sache aussieht, aber sich dann durch die Pointe, die der Lösung des Rätsels entspricht, als eine ganz andere Sache entpuppt. Diese andere Sache ist stets etwas, was sehr gefühlsbeladen ist, d.h. aus den Bereichen Sex, Tod, Schmerz, Schadenfreude usw. stammt. Durch die Identifizierung des Zuhöres mit der anscheinend harmlosen Erzählung findet er sich plötzlich in dem hinter dieser Geschichte verborgenen Gefühl wieder. Diese verborgene Spannung setzt sich dann durch das Lachen frei.

Man kann somit Rätsel, Witze, Kenningar, Weisheiten, Sprichworte und zum Teil auch Personennamen als „Mini-Mythen“ auffassen.

I 7. Die Rätsel der Germanen

Im folgenden sind die verschiedenen überlieferten Rätsel, die meist in größeren Gruppen erhalten geblieben sind, chronologisch geordnet worden. Diese Sortierung orientiert sich an den Daten der ältesten bekannten Niederschrift. Man wird jedoch davon ausgehen können, daß ein großer Teil dieser Rätsel bereits vorher längere Zeit mündlich überliefert worden ist.

I 7. a) Die Rätsel in der Saga über König Heidrek den Weisen

Einst lebte ein Mann, der wurde Gestumblindi genannt, ein machtvoller und großer Feind des König Heidrek.

„Gestumblindi“ bedeutet „Gast des Blinden“. Dieser (Halb-)Blinde ist Odin – ein Einäugiger ist ein Halbblinder. Der „Gast des Odin“ ist somit ein Verehrer des Odin.

„Heidrek“ bedeutet „Licht-König“ und ist ein Beiname des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr.

In dieser Rätsel-Sammlung geht es also um einen Wissenswettstreit zwischen Tyr und Odin, durch den entscheiden werden soll, wer der Weisere von beiden ist – und folglich das Anrecht hat, Göttervater zu sein. Dieser Tyr von Räteslwettstreit stammt offenbar aus der Zeit um 500 n.Chr. als bei den Nordgermanen Thor und Odin Tyr als Göttervater abgesetzt haben.

Der König sandte ihm eine Botschaft und sagte, daß er kommen und die Dinge mit ihm bereinigen solle, wenn er sein Leben behalten wolle.

Gestumblindi war kein sehr weiser Mann und weil er wußte, daß er nicht in der Lage sein würde, gut mit dem König zu reden, und weil er auch wußte, daß es nicht gut ausgehen würde, wenn er sich dem Urteil der Weisen unterwerfen würde – da sie viel gegen ihn vorzubringen hatten – entschloß er sich, dem Odin zu opfern, um von ihm Hilfe zu erlangen und um ihn zu bitten, sich seiner Sache anzunehmen, und er versprach ihm viele Geschenke.

Durch sein Opfer an Odin bestätigt Gestumblindi, daß er ein Verehrer des Odin ist und „den Blinden zu Gast hat“, d.h. daß er hofft, daß Odin zum ihm kommt, wenn er seine Hilfe braucht.

König Heidrek ließ jedes Urteil von seinen zwölf Weisen fällen – aber es gab auch die Möglichkeit, dadurch einen Freispruch zu erlangen, daß man König Heidrek ein Rätsel stellte, daß er nicht lösen konnte.

Spät an einem Abend klopfte es an seiner Tür und Gestumblindi ging zur Schwelle und sah, daß ein Mann gekommen war. Er frug den Mann nach seinem Namen und der Fremde nannte sich selber ebenfalls Gestumblindi und sagte, daß sie ihre Kleider tauschen sollten – und das taten sie.

Der Hausherr ging fort und verbarg sich und der Fremde ging hinein und jeder dachte, daß es Gestumblindi sei. So verging die Nacht.

Odin übernimmt die Rolle des Gestumblindi.

Am nächsten Tag machte sich Gestumblindi auf den Weg zu dem Treffen mit dem König. Er begrüßte den König herzlich. Der König jedoch schwieg.

„Herr,“ sagte Gestumblindi, „ich bin hierher gekommen, um alle Dinge mit Dir zu bereinigen.“

Der König antwortete: „Willst Du das Urteil meiner Weisen annehmen?“

Er sprach: „Gibt es keinen anderen Weg aus dieser Sache?“

Der König antwortete: „Es gibt einen anderen, wenn Du es Dir zutraust, Rätsel zu stellen.“

Gestumblindi antwortete: „Darin bin ich nicht besonders gut. Aber die andere Wahl ist ebenfalls hart.“

„Würdest Du dann lieber,“ sprach der König, „das Urteil meiner weisen Männer annehmen?“

„Ich glaube,“ sprach Gestumblindi, „ich werde lieber die Rätsel versuchen.“

1. Rätsel

Da sprach Gestumblindi dies:

„Ich begehre das,

was ich gestern hatte;

weißt Du, was es war?

Der Leute Lähmer,

des Wortes Hemmer

und des Wortes Wecker.

König Heidrek,

kannst Du's erraten?

„Gut ist Dein Rätsel,

Gestumblindi,

doch gleich ist es erraten:

Man reiche ihm Bier:

Das lähmt vielen den Witz;

dem einen stockt

die Zunge davon,

der die andern werden redselig.