Die Selbstmörder - Jürgen Alberts - E-Book

Die Selbstmörder E-Book

Jürgen Alberts

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  • Herausgeber: 110th
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Mit Hilfe des Computers und seiner physikalischen Kenntnisse hatte er ausgerechnet, wie lange es dauern würde bis er aufschlug... Ein leitender Angestellter einer Computerfirma bringt sich um, weil er erpresst wird. Auf Schulungen in den USA wurde im Einführungsgespräch kräftig auf den Konzern geschimpft, die Tonbandaufzeichnungen davon hat der Personalchef erhalten. Ein glänzendes Geschäft, weil jeder zahlt und schweigt.

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Die Selbstmörder

Kriminalroman

von

Jürgen Alberts

 

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-057-2

MOBI ISBN 978-3-95865-058-9

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

 

 

Kurzinhalt

Mit Hilfe des Computers und seiner physikalischen Kenntnisse hatte er ausgerechnet, wie lange es dauern würde bis er aufschlug…

Ein leitender Angestellter einer Computerfirma bringt sich um, weil er erpresst wird. Auf Schulungen in den USA wurde im Einführungsgespräch kräftig auf den Konzern geschimpft, die Tonbandaufzeichnungen davon hat der Personalchef erhalten. Ein glänzendes Geschäft, weil jeder zahlt und schweigt.

1

Der letzte Schritt kam überraschend, obwohl er sorgfältig geplant war.

Ein warmer Septemberabend, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, eine leichte Böe brachte die erste Kühlung.

Er war in seine eigene Wohnung eingebrochen, hatte mit Hammer und Meißel die Tür beschädigt, das Schloss zeigte deutliche Spuren. Die Wohnungstür in weißem Schleiflack blieb angelehnt. Auf dem Tisch standen zwei Gläser, die Flasche Wodka bis auf einen trüben Rest geleert. Er warf die Sessel um, randalierte in den eigenen vier Wänden.

Niemand hörte ihn. Keiner kam, zu ihm herauf. Der letzte Schritt, um endlich frei zu sein. Nach Wochen des Versteckspielens, nach Monaten der Qual.

Im Badezimmer zertrümmerte er den Spiegel, der ihm rotunterlaufene, verquollene Augen zeigte, ein mutwillig zerkratztes Gesicht, eine Platzwunde an der Schläfe. Die hatte er sich selbst zugefügt.

Der Wodka hatte die Schmerzen gelindert.

Wenn wenigstens Sonja bei ihm geblieben wäre. Nur dieses eine Mal hätte er sie wirklich gebraucht. Sie hätte ihn abbringen können von seiner Raserei.

Mit Hilfe des Computers und seiner physikalischen Kenntnisse hatte er ausgerechnet, wie lange es dauern würde, bis er aufschlug. Die Sekunden zählen. Einfach laut zählen.

Schulten hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Längs. Darüber munkelte man, obwohl keiner es erwähnen durfte.

Strengstes Geheimnis.

Den Schlüssel platzierte er gut sichtbar neben dem Telefon.

Es hatte ein Kampf stattgefunden. Über Wochen, Monate, ein Kampf, den er jetzt aufgab. Keine Lösung in Sicht.

Nicht mal mit Sonja hatte er sprechen können. Die Kollegen wussten nichts.

Die Überraschung würde perfekt sein. Er wollte, dass sie wenigstens ein paar Minuten erschraken.

Nur ein paar Minuten innehalten, aufmerken. Mehr nicht. An ihn denken.

Lange hatte er gezögert, ob er sich eine Binde um die Augen legen sollte. Damit er nicht zurückschreckte, den letzten Schritt zu tun. Doch es störte seinen Plan.

Sonja, Sonja, warum bist du nicht hier? Ich bräuchte deine Wärme, nur für, einen Augenblick.

Die Wohnung lag im Dunkeln; die Terrassentür geöffnet, einen Vorhang hatte er heruntergerissen.

Der Lichtstrahl, der durch die Zimmertür fiel, kam vom Flur. Ein weißer, schmaler Streifen.

Bei Schulten soll es wüst ausgesehen haben. Es ging das Gerücht, dass seine Toilette mit Scheiße beschmiert war, Berge fleckiger Wäsche im Schlafzimmer aufgetürmt.

Die Teller hatte er abgespült, die Essensreste weggeworfen, morgen würde die Putzfrau gründlich saubermachen.

Er legte Wert auf Ordnung, auf Übersicht, auf rechteckiges Denken.

Auch sein Büro in der Firma hatte er vor zwei Tagen verlassen, als habe er dort nie gearbeitet. Die Vorgänge geordnet, die Unterlagen verfügungsbereit, die Berechnungen zugänglich.

Er hatte sogar eine kleine Anweisung im Programm des Computers hinterlassen, aus der ersichtlich war, welche Zugänge man benutzen musste, um• an seine Aufzeichnungen heranzukommen. Passwörter. Urlaubsantrag.

Man sollte ihn nicht gleich vermissen.

Nicht wie bei Schulten, da wusste es am nächsten Tag schon die ganze Abteilung.

Ein kleiner Fehler in der Planung.

Menschliches Versagen. Mal wieder.

Ich bin kein Versager, Sonja, bestimmt nicht, ich bin kein Versager, auch wenn du das immer behauptet hast.

Er nahm den letzten Rest Wodka, trank die Flasche leer und warf sie gegen das Sideboard.

Dann wieder Stille.

Sie hätten ihn hören müssen.

Zwei Tage nichts gegessen. Wie ein Wahnsinniger in der Wohnung herumgelaufen. Fünf Meter zwischen Terrassentür und der gegenüberliegenden Wand. Fünftausend Meter in zwei Tagen.

Er brauchte die Entscheidung.

Schulten war im schwarzen Anzug gestorben. Er hatte getrunken. Billigen Korn. Sparsam, wie immer. Eigentlich kannte er Schulten nicht. Geordnetes Besäufnis. Die Haut versaufen, bevor es andere tun.

Von seiner Penthouse-Wohnung konnte er über die Häuser sehen, langsam wurden die Lichter ausgeknipst, nach und nach die Fenster dunkel, wie ein tausendäugiger Drachen, ein letztes Aufbäumen.

Ertrug den blauen Monteuranzug der Firma, den er in den ersten Jahren täglich benutzt hatte.

Bügelfalte, polierte Knöpfe, frisch aus der Reinigung, ein wenig steif an den Schultern.

Er würde auf dem betonierten Spielplatz aufschlagen. Die leichte Böe würde ihn nicht bis zu dem schmalen Rasenstück tragen.

Auch darüber hatte er Berechnungen angestellt. Nicht auszudenken, wenn er mit schweren Verletzungen davonkommen würde.'

Er konnte sich Sonjas Gesicht vorstellen, wenn sie ihn im Krankenhaus besuchte. Dieses abschätzige Lächeln. Spezifisches Gewicht der menschlichen Hirnknochen. Zertrümmerungsfaktor.

Sollbruchstellen.

In diesem Augenblick, kurz nach dem letzten Schritt, fiel ihm dieser Witz ein, von dem Versuchsflugzeug, dessen Tragflächen immer abrissen, bis ein Lehrling auf die Idee kam, man solle sie perforieren, denn beim Klopapier würde an diesen Stellen nie etwas reißen.

Er lachte, als er stürzte.

Aus dem dreizehnten Stock.

Ein paarmal bläulich grässliche Schimmer, Fernsehbilder, rauschende Tänze. Was sollte schon geschehen. Niemand würde die Arbeit unterbrechen.

Ein Nichts. Gelöscht. Die Nummer aus dem Verkehr gezogen. Den Platz schnell besetzt.

Aufprall.

Zweimal flackerten wüste Traumgebirge auf, dann ruhiges Weiß.

Fast leicht.

2

Kriminalhauptkommissar Wolfgang Lindow lallte erheblich. Und er hatte allen Grund dazu.

Die Wohnung seines, Freundes Pinneberger war in einem Zustand wüster Fröhlichkeit, auf dem Boden standen leere Flaschen, die zum Slalomgehen benutzt wurden.

Nur Assistent Schlink saß senkrecht am Tisch, um seinen fortgeschrittenen Suff zu verbergen.

Eine private Feier, nachdem der offizielle Teil am Nachmittag so unerträglich war.

Lindow war zurückversetzt worden, endlich, nach Jahren der Pein im Wirtschaftsdezernat, endlich wieder zu den kalten Leichen, die er nicht liebte, aber für ganz handfest hielt, im Gegensatz zu den windigen Ausflüchten der Wirtschaftsverbrecher, die ihre Strafen meist aus der Portokasse zahlen konnten.

Am Nachmittag hatte Kriminaldirektor Lang von sich gegeben, dass jüngere Kräfte in der Wirtschaft gebraucht würden, spezielle Ausbildung vonnöten sei, dass man an ein »Revirement« dieser ganzen Abteilung, denken müsse. Sein grauer Anzug war faltenlos, die grünliche Fliege unter dem runden, rötlichen Gesicht zeichnete ihren Träger aus.

Warum Lindow wieder zur Mordkommission versetzt wurde, darüber hätte Lang nichts verlauten lassen, wenn dieser nicht unumwunden danach gefragt hätte: »Soll ich also mein Gnadenbrot in meinen alten Gefilden fristen?«

»Wie meinen. Sie das?« Lang konterte meist mit einer Gegenfrage, weil ihm das Antworten nie leicht fiel.

»Ich hab noch sechs Jahre bis zur Pensionsgrenze.« Lindow setzte ein böses Lächeln auf. »Da schickt man sogar teure Pferde auf die Weide.«

»Dienst nach Vorschrift«, zischte Lang, »das möchte ich mir ausbedingen.«

»Vorschrift nach Dienst«, erwiderte Lindow, der diesen Fliegenträger nicht ausstehen konnte. Kriminalistisch ein Versager auf der ganzen Linie, aber Weltmeister auf dem Personenkarussell.

Sie verabschiedeten sich ohne Händedruck.

Dafür war ihr Skatabend umso heftiger geworden. Schlink hatte so viel aufgeladen, dass er die Karten nicht mehr festhalten konnte. Und das bei einem Null-Ouvert-Hand, den er ohne Probleme gewonnen hätte.

Fritz Pinneberger war froh, dass Marianne auf Streife war, sonst wären seine trunkenen Freude längst nach Hause geschickt worden. Marianne kannte da seit einiger Zeit kein Pardon.

Der Oberkommissar hatte sich nichts mehr gewünscht, als dass Lindow wieder zur Truppe gehörte. Endlich war Gras über die Sache gewachsen, und Lang hatte ein Einsehen. Die damalige Strafversetzung ins Wirtschaftsdezernat war verjährt. Ganz gleich, warum der Kriminaldirektor sich zu diesem Schritt entschlossen hatte, seine Gründe waren niemals wirklich nachvollziehbar gewesen.

»Ich muss jetzt gehen!« Schlink stand plötzlich ganz gerade, als sei er an eine Bohnenstange festgebunden.

»Nichts da, hier wird gefeiert bis zum letzten Schluck!« Lindow lag schon auf dem Sofa, ausgestreckt, die Schuhe weggeschleudert. »Ich bestimme, wann wir aufbrechen.«

»Der letzte Schluck ist längst getrunken«, gab Pinneberger von sich, als sei ihm die Aufgabe des Getränkestatistikers zugefallen.

»Dann hol Nachschub, irgendeine Kneipe hat doch bestimmt noch offen«, insistierte Lindow.

In dem Viertel, in dem Pinneberger wohnte, hatten alle Kneipen offen, weil es dort keine Polizeistunde gab. Da waren sogar Kneipen, die erst kurz vor Mitternacht öffneten und die Zecher bis zum frühen Morgen bedienten. Einmal hatte Pinneberger jemand beobachtet, als er zum Dienst fuhr, der auf allen vieren aus einem Kellerlokal herauskroch und laut ausrief: »Mein Gott, ist das hell hier!« Dann drehte er wieder um und verschwand in der Kneipe. Der Taxifahrer fuhr erleichtert davon.

Fritz Pinneberger suchte eine Decke, um seinem Freund auf dem Sofa 'ein Bett zu bereiten. Der schwergewichtige Lindow würde am besten gleich dort einschlafen, auch wenn Marianne bestimmt nicht damit einverstanden war.

Schlink stand immer noch gerade und blickte gleichzeitig in drei verschiedene Richtungen.

»Du kannst gehen, Karl«, sagte Pinneberger leise, »die Tat ist aufgeklärt, und die Tatverdächtigen müssen jetzt schlafen.«

»Ich will aber noch nicht schlafen«, rief Lindow matt. Zehn Sekunden später schnarchte er.

Karl Schlink half seinem Vorgesetzten, die leeren Flaschen einzusammeln. Dabei geriet seine Magenfüllung dermaßen in Bewegung, dass er nur mühsam, mit zusammengepressten Lippen die Brühe bei sich behalten konnte.

»Am besten, du gehst am Flaschencontainer vorbei.« Pinneberger holte eine große Plastiktüte und stopfte die Flaschen mit lautem Getöse hinein. »Was is?« kam es vom Sofa, »hier wird nicht gerülpst.«

Pinneberger beachtete den Hauptkommissar nicht, er war mit Spurenverwischung beschäftigt. Wenn Schlink die leeren Flaschen gleich aus dem Haus schaffte ... So weit konnte er noch denken.

Es dauerte mehr als eine viertel Stunde, bis das Schlachtfeld einigermaßen vorzeigbar war.

Schlink hatte sich ausgekotzt und machte einen fröhlichen Eindruck.

»Wir sehen uns morgen in alter Schwäche.« Er grinste.

»Aber nur, wenn es unbedingt nötig is«, erwiderte Pinneberger, der nicht wissen konnte, wie schnell sie wieder zusammentreffen würden.

Bepackt mit drei gefüllten Plastiktaschen, verließ Schlink die Wohnung in der Feldstraße.

Pinneberger ging zum Eisschrank, öffnete eine Milchtüte und goss einen halben Liter der weißen Lauge in sich hinein. Wozu Journalisten doch gut sein können!, dachte er, denn das Rezept, am Ende eines Besäufnisses mit Milch die überschüssige Magensäure zu neutralisieren, stammte von Klaus Grünenberg. Der war Lokalchef bei den »Weser-Nachrichten.«

Kaum hatte sich der Oberkommissar hingelegt, hörte er, wie der heftig gefeierte Lindow im Wohnzimmer rumorte.

»Keine Umstände«, rief er so laut, dass auch die beiden Nachbarwohnungen von seinem Zustand erfuhren, »ich mach mich nach Hause. Auf so einem modernen Sofa kann ja kein Hund schlafen.«

Dann hau ab!, dachte Pinneberger und schlief ein.

Der festliche Abend der Firma ABP im Parkhotel schien ein voller Erfolg zu werden.

Die Smoking-Direktoren hatten die üblichen Drei-Minuten-Witz-Reden vom Stapel gelassen. Zur dezenten Musik einer englischen Tanzcombo bewegten sich linksgestrickte Kid-Mohair-Pullis mit nicht alltäglichen Kombinationen aus Sakkos und mutigem Karomuster und Streifenhosen aus festem, männlich-rustikalem Stoff.

Die Firma ABP mochte es nicht, wenn die Mitarbeiter in die formelle Kleiderordnung deutscher Festlichkeit eingezwängt wurden.

Es galt: amerikanisches Management, amerikanische Offenheit, amerikanisches Lets-have-some-fun.

So waren nur die Führungsspitzen als deutsche Kleiderständer erschienen, allerdings in weißen Smokingjacken.

Beim flotten Foxtrott kamen, sich das wuschelweiche Abendkleid und der schnittige Fischgrätanzug näher, und auch das kurze Jersey-Kleid, für Sexy-girls auch ohne Hose zu tragen, verschwand mal kurz mit dem Chikago-Sakko hinter den gewaltigen Stoffvorhängen.

Die Firma ABP liebte es an ihren Mitarbeitern, dass sie wussten, wie viel Offenheit ein jeder vertrug.

Fred F. Neusser hatte in seiner launigen Ansprache gesagt: »Wir von American Business Products haben immer nur ein Ziel vor Augen, wir wollen die Besten sein. Zweite Plätze gibt es nicht. Nur die Spitze ist für uns gerade gut genug. Und ich kenne viele unter Ihnen, die sich nicht mit weniger zufriedengeben.«

Der Beifall der Sakkos in Stratoblau und der witzigen Wuschelrollies war überwältigend. Selbst für diesen weißen Smoking, der seit zwei Jahren die Personalabteilung leitete.

»Wir von American Business Products haben uns nie gescheut, den anderen ein Schnippchen zu schlagen, wie man in Deutschland sagt; sie vom Markt zu verdrängen, wenn wir die Spitze erreichen wollten. Wir haben nie vor- nehme Zurückhaltung gewahrt, weil wir überzeugt waren, es gebe so etwas wie freie Marktwirtschaft.«

Neusser machte eine Pause und sah in die Runde. Die Firma ABP liebte es, ihre Mitarbeiter zu schockieren. THINK BIG war einer der Wahlsprüche, TH1NK FAST ein anderer.

»Wir sind die Haie, im Hechtteich, und wir bleiben bissig, wenn es darum geht, unsere Spitzenposition zu verteidigen. Wir sind die einsamen Berglöwen, die um jedes Stück Beute kämpfen, wir sind die Klapperschlangen, wenn es um die Werbung geht: giftig, verschlagen, gerissen. Aber nun genug der Tierwelt - ich weiß, der letzte Satz meiner Rede ist immer am beliebtesten: Das Buffet ist eröffnet!«

Neusser nahm die Ovation stehend entgegen. Sogar die drei Smoking-Direktoren waren für diesen Beifall aufgestanden.

Aber erst als Neusser die letzten Sätze in den Sprachen der ausländischen Business-Partner wiederholt hatte, stürzten die Mitarbeiter zum Buffet.

Die Auswahl, die das Parkhotel für diesen Abend anbot, war überwältigend: isländischer Lachs, afrikanisches Reh, argentinisches Steak. Die ganze Dritte Welt stand dieser Firma zur Verfügung. Nicht nur, wenn es ans Buffet ging.

Die Harris-Tweed-Jacke gab artig dem quergestreiften Stehkragenpullover eine Portion von dem russischen Beluga-Kaviar. Ein lindgrüner Taillenrock probierte die köstlichen Feigen und verwöhnte seinen Kollegen; der einen Anzug von Mr. Carefree trug.'

Es wurde gelöffelt, ausgelöffelt, eingelöffelt, leise geschlürft, gesüffelt, genippt.

Die Firma ABP verstand sich als Familie; nicht im deutschen Sinne der alten Generationen-Hierarchie, sondern als friendship family, offen, jeder konnte jeden ansprechen, alle Türen, auch die der Vorgesetzten, stets geöffnet, auch für die Beschwerden der untersten Mitarbeiter.

Es wurde niemals von Betriebsklima gesprochen, sondern stets von good vibrations. Jeder sollte sich wohlfühlen, denn jeder wurde nicht nur acht Stunden am Tag gebraucht. Das waren die alten Klassenkampf-Parolen. Jeder war stolz, ein Mitglied der ABP-Family zu sein.

Die Feier im Parkhotel bewies das. Andere Firmen veranstalteten Kohl-und-Pinkel-Fahrten in den >Blauen Heinrich< oder Betriebsfeste auf der Kegelbahn im >Kuhhirten< oder sogar gemeinsames Radfahren in den Wümmewiesen mit anschließendem kalten Getränk und Schnittchen an der >Schleuse<.

ABP, feierte im Nobelhotel und ließ sogar die ausländischen Freunde dort übernachten. Zum special prize.

Der hellblaue Glencheck-Anzug tanzte mit dem Seidenblazer in Schwarz und Orange den einzigen Rock'n'Roll, den die Combo am Abend spielte.

Die ersten Mitarbeiter verzogen sich, entweder nach Hause oder um an der geschützten Bar ein bisschen weniger diskret zu saufen oder um ein Stück weiter zu kommen beim gerade angeknüpften Flirt.

Auf der Einladung hatte gestanden: »Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ABP nicht auch Ihre Familienmitglieder einlädt. Das geschieht in gewohnter Weise auf Bereichsebene. Wir wollen unter uns sein und good vibrations verbreiten.«

Die Computerfirma ABP, der Marktführer weltweit, hatte in der Hansestadt für seine dreitausend Mitarbeiter einen eigenen Bowlingclub, Squash- und Tenniscenter, Opernabo und Theaterservice, organisierte eigene Busfahrten zu kulturellen Großereignissen und ließ die vorbestellten Plätze auf der Tribüne von Werder niemals leer.

Die Computerfirma war Spitze.

Als der weiße Smoking-Personalchef gegen drei Uhr morgens erfuhr, dass einer seiner Mitarbeiter aus der Marketing-Abteilung zu Tode gekommen war, ließ er sich nichts anmerken. Er verbot dem Pressemann den Zutritt zum Festsaal und vertröstete ihn auf den nächsten Morgen. »Sie würden wirklich einen schönen Abend stören.«

Der Journalist ließ sich an der Bar mit ein paar ausgewählten Leckerbissen beruhigen und trank einige Gläser des einheimischen Bieres.

»Willst du nicht aufstehen, Scheißbulle?« Marianne rüttelte an Pinnebergers rechtem Fuß. Seit zwei Minuten.

Kaum hatte sie die Wohnung betreten und alle Fenster geöffnet, um die alkoholischen Ausdünstungen zu entlüften, klingelte das Telefon. Wie gewöhnlich hatte sie sich mit Kohlhase gemeldet, und wie gewöhnlich hatte der Funkkollege in der Bereitschaft gefragt: »Is da nicht Pinneberger, erstes K?«

Marianne Kohlhase hatte in dieser Nacht keine Lust zu Erklärungen, zumal sie den Verdacht nicht loswurde, dass längst alle von ihrer Polizeiliaison wussten und sich trotzdem weiterhin diese Scherze erlaubten.

»Was issen?« Pinneberger wühlte seinen Kopf unter dem Kissen hervor.

»Für dich, Bulle.« Marianne reichte ihm den Hörer. Fritz Pinneberger versuchte, sich im Bett aufrecht zu setzen, aber das misslang gründlich.

Mit Mühe konnte er die Adresse behalten und schrieb sie vorsichtshalber auf den Meldeblock, der neben seinem Bett lag.

»Habt ihr gesoffen?«, fragte Marianne, die ihre grüne Polizeiuniform aufknöpfte.

»Wie kommste denn darauf?«, gab Pinneberger müde zurück. Er sah auf die Uhr. Nicht mehr als eine Stunde Tiefschlaf. Nach alkoholischem K.O.

»Es sind gar keine Flaschen mehr da.« Marianne Kohlhase streifte das grüne Unterhemd über den Kopf. Polizeiwäsche, wunderbar kratzig, wurde vom Dienstherrn gestellt.

»Ich denk, du hast Nachtdienst?«, rief Pinneberger aus dem Schlafzimmer, immer noch in der Hoffnung, dass dieser Spuk bald vorbeiging.

»Ich hab dem Kollegen gesagt, ich bräuchte mal schnell eine warme Dusche, auf dem Revier ist die seit Wochen kaputt. Da hat er mich für eine halbe Stunde ... Willst du eigentlich nicht langsam in die Flotten kommen, Bulle?«

»Nenn mich nicht Bulle, Marianne, sonst sag ich wieder Politesse zu dir.«

Seitdem Marianne Kohlhase ihre Ausbildung hinter sich hatte, fuhr sie Streife mit einem älteren Kollegen, im Schichtdienst, Früh-,Mittel-, Spätschicht. Immer so lange; dass sich der Körper nicht an den Rhythmus gewöhnen konnte.

Wenigstens in dieser Nacht hatte der Kollege, der vom alten Eisen war, eine Ausnahme gemacht und Marianne zur privaten Dusche zu Hause abgesetzt. Pinneberger hatte seine Bemühungen aufgegeben, Marianne zu beschwatzen, sich einen anständigen Broterwerb zu suchen.

Der Oberkommissar schwankte aus dem Bett. Vergeblich versuchte er, eine Gläserzählung in seinem Kopf vorzunehmen. Von allem zu viel. Zu viel Bier, zu viel Korn, zu viel Sekt. So war ganz schön was zusammengekommen. Wenn dieser Schlink nicht den blöden Mandellikör mitgebracht hätte, dann ständ ich jetzt ganz anders da!

Marianne duschte, während Pinneberger den Rasierapparat einschaltete, als könnte er so ein wenig wacher werden: »Dein Einsatz?«, rief sie.

»Da sind schon alles Spezialisten dran, und wenn ich dann komme, ist der Fall gelöst. Übermorgen steh ich in der Zeitung.«

Marianne schob den Vorhang zurück: »Aber morgen stehst du erstmal vor Lang; und der liest dir die Dienstvorschriften vor.«

»Kann ich auswendig. Geh ja schon.« Pinneberger betrachtete seine Freundin. »Schön siehst du aus, wenn du keine Uniform anhast.« '

»Verschwinde«, rief sie und schlug mit dem nassen Handtuch nach ihm.

Im, Auto überlegte sich Pinneberger den kürzesten Weg nach Tenever: über die Heerstraße oder über die Autobahn. Egal wie, er würde zu spät kommen. Da konnte er mal den längeren Weg nehmen:

Die Nachtluft war angenehm frisch, und so konnte der Oberkommissar kräftig inhalieren; damit seine Fahne weniger flatterte. Mal sehen, ob Schlink schon da ist?, dachte er.

Eine halbe Stunde später sah er den Fleischhaufen und musste sich sofort übergeben.

Warum die mitten in der Nacht immer alles so hell machen mussten, diese neuen Halogenscheinwerfer erleuchteten nicht nur die Opfer, sondern auch die Mordkommission.

»Er hat gekotzt«, kam es vernehmlich aus dem zweiten Stock.

Die Wohnsilos von Klein-Manhattan waren eine ausgezeichnete Zuschauerarena, alle Fenster erleuchtet, wie im guten Theater war die Spannung bis zum Schluss geblieben.

Schlink tippte Pinneberger an die Schulter: »Lass uns nach oben fahren. Da wirst du alles erklärt finden.«

Pinneberger war froh, dass sein Assistent die Führung übernahm. Er tat sehr geschäftig und sah niemand von der Spurensicherung an. Nur der neue Polizeifotograf blitzte ihm unverschämt ins Gesicht. Ein Foto fürs Album.

Sie fuhren im Aufzug zum dreizehnten Stock. Pinneberger atmete tief durch.

»Bist besoffen losgefahren?«, fragte Schlink und lächelte dabei.

»Restalkohol«, antwortete Pinneberger.

Sie betraten die Wohnung, die schon voller Kollegen war. Überall wurde gepinselt, fotografiert.

»Hier hat ein Kampf stattgefunden, ohne Zweifel«, begann Schlink seinen Vortrag. Er zeigte die Details, zeigte seinen Scharfsinn, verwies auf diese und jene Hypothese.

»Hast du schon den Täter?«, fragte Pinneberger erleichtert.

»Nein, nein!« Schlink wehrte ab. Auf dem Hemd gab es einen grünen Fleck, der Pinneberger interessierte. Wieso hatte sein Kollege einen grünen Fleck an der rechten Schulter. Tinte? Ölfarbe?.

Er kam von diesem Fleck nicht los.

Sein Assistent führte ihn auf die große Terrasse. »Und dann hat er ihn hier hinuntergestürzt.« Er zeigte über die Silhouette der Wohntürme.

Pinneberger wagte keinen Blick nach unten.

»Wer?«

»Der Mörder«, antwortete Schlink etwas unzufrieden, dass sein Chef ihm nicht gleich die Ehrenmedaille zweiter Klasse verlieh.

»Aha«, sagte Pinneberger. Was hatte dieser Fleck zu bedeuten? Ein grüner Fleck, der so aussah wie ein Ahornblatt.

»Wir müssen nur noch die Zeugen befragen.« Schlink marschierte zurück in das Wohnzimmer.

»Nur noch«; echote Pinneberger. Wie hatte Marianne gesagt, als sie zum ersten Mal in vollem Frust von einer Schicht kam: Das Schönste an der Polizei ist, dass sie immer gleich Bescheid weiß. Grün ist grün und rot ist rot.

Pinneberger hätte sich am liebsten auf das Sofa gelegt. Ein wunderschönes Stück in anthrazitgrau.

Wieso war dieser Schlink so wach?

Ein junger Kollege, dessen Namen Pinneberger schon dreimal vergessen hatte, meldete: »Der Ludwig Ronn hat bei der Firma. ABP. gearbeitet.«

»Sagten Sie ABP?« In diesem Augenblick wurde Pinneberger wieder schlecht.

»Ja, amerikanische Computerfirma ...«

»Da hatten wir vor Wochen einen Selbstmord, nicht?« Pinneberger starrte wieder auf den grünen Fleck auf Schlinks Oberhemd:

»Selbstmord scheidet hier aus«; gab sein Kollege selbstsicher von sich. »Alle Indizien ...«

»Indizien«, unterbrach der Oberkommissar ihn, »Indizien sind was für die Staatsanwaltschaft; wir brauchen Fakten.«

Er wusste, dass die um diese Zeit nur schwer zu beschaffen waren. Wahrscheinlich hatte wieder niemand etwas gehört.

Warum stand in der Dienstordnung nicht, dass betrunkene Polizisten nicht zum Dienst erscheinen brauchten? Und dieses Sofa da …

Dann begannen sie mit der Ochsentour.

3

»Ruhe!«, brüllte der Rektor, ganz entgegen seiner sonstigen akademischen Zurückhaltung.

Im Saal des Universitätssenats war ein Tumult entstanden, wie ihn manche der Anwesenden zum letzten Mal während der Gründungsjahre erlebt hatten. Als die Universität Anfang der siebziger Jahre ihren Lehrbetrieb aufnahm, hatten sich linke Professoren aller Schattierungen hier versammelt, und schnell war das Schlagwort von der »roten Kaderschmiede« geprägt worden. Wenige Jahre später waren die ehemals befreundeten Akademiker so zerstritten, dass sie nur die allernötigsten Sätze miteinander austauschten. Danach handelte es sich um eine tote Kaderschmiede.

»Ich lasse dieses Getöse nicht zu.« Der Rektor, ein Physikprofessor im stahlblauen Anzug mit wenigen Strähnen auf dem Kopf, war verzweifelt. Er hatte zwar mit Widerstand gerechnet, als er den Antrag an den akademischen Senat verlas, aber mit einem solchen Protest nicht.

Der langgestreckte Saal strahlte den Charme einer Zementfabrik aus, wie die ganze Universität. Beton aus den Schalbrettern, Teppichboden aus der Chemiefabrik, Raumbezeichnungen als Hinweisschilder im Labyrinth. Zwar fiel von der. Fensterseite etwas Tageslicht in den Saal, doch hatten. Die Architekten die Fensterfläche so klein gehalten, dass ständig Neonröhren eingeschaltet werden mussten. Während der Sitzungen herrschte strengstes Rauchverbot.

»Meine Damen und Herren, in diesem Stil können wir nicht miteinander umgehen.« Der Rektor erhob sich, als wollte er den Saal verlassen, dann nahm er sein langes Lineal und schlug auf den Resopaltisch. Es zerbrach.

Der Antrag, den der Rektor vor wenigen Minuten verlesen hatte, betraf die Promotion eines angesehenen Bürgers der Stadt. Er sollte zum Ehrendoktor gekürt werden. Kaum war der Name ausgesprochen; skandierten die Studenten.

»Wir sind keine Waffenschmiede!«

Der Konrektor, dessen Spezialität darin bestand, gelegentlich seine Einwürfe in Latein zu formulieren, verlor die Beherrschung und seine feinen Sprachsitten: »Wenn dieser Herr bei uns promoviert wird, dann trete ich zurück.«

Auch die beiden Germanistik-Professorinnen, die schon seit langem kein privates Wort mehr miteinander gesprochen hatten, riefen in den Saal: »Das ist reinste Liebedienerei beim Kapital.«

Noch immer gab es an dieser Universität die demokratische Dreiteilung: Professoren, Mittelbau, Studenten. Alle drei am universitären Lernprozess Beteiligten durften im akademischen Senat mitreden. Die Entscheidungen wurden allerdings niemals gegen die Professoren gefällt.

Der Rektor fuchtelte mit den Armen in der Luft: »Wir werden über diesen Antrag abstimmen.«

»Diktatur«, schrie einer.

»Abstimmungsmaschine.«

»Ohne Diskussion - das ist ein Hohn!«

»Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren!« Auch dieser Spruch hatte niemals an Bedeutung verloren, selbst wenn manche der hier anwesenden Professoren ihn zu ihrer Studentenzeit selbst gerufen hatten.

Der Rektor sah, dass einer der wissenschaftlichen Mitarbeiter beide Arme hob.

»Zur Geschäftsordnung, Herr Dr. Strunz, bitte!«

Der Mathematiker stand auf. Ein wenig beruhigte sich das Gremium.

»Liebe Kollegen, ich verstehe, dass hier manchem der Kragen platzt, aber was ich nicht verstehe, ist, wieso dieser Antrag uns nicht rechtzeitig schriftlich vorgelegt wurde. Wenn die Universitätsleitung beabsichtigt, Herrn Neusser ehrenhalber zu promovieren, so hätten wir rechtzeitig davon erfahren müssen. Ich beantrage Vertagung der Debatte auf unsere nächste, reguläre Sitzung.«

Die meisten der. Anwesenden klopften auf die Tische. Der Rektor blätterte in seinem Kalender. Die nächste Sitzung war erst in drei Wochen. Der Bildungssenator, dem er persönlich: versprochen hatte, dass die Promotion des ABP-Personalchefs in zehn Tagen beschlossene Sache sei, würde mit diesem Ergebnis nicht zufrieden sein.

»Abstimmung, Abstimmung«, skandierten die Studenten.

Der Rektor erhob sich wieder.

»Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, warum hier plötzlich so emotional auf einen ganz simplen Vorgang reagiert wird. Eine Promotion ehrenhalber ist doch kein Zugeständnis unsererseits. Herr Neusser macht sich verdient um unsere Universität. Wenn er nicht in den entscheidenden Gremien für uns immer wieder Forschungsmittel herausschlagen würde ...«

Weiter kam der Rektor nicht, weil ihn ein Apfel am Kopf traf.

»Die Sitzung ist unterbrochen«, rief er, bevor er zu Boden ging.

»Geh mal da rein«, sagte der Revierleiter, »die warten schon auf dich.«

Marianne Kohlhase, war ganz mulmig zumute. Ihr erster Einsatz bei einer Leibesvisitation. Wenn wir schon Frauen in der Polizei haben, dann sollen die auch die Dreckarbeit für uns machen! - ein Standardsatz der Männerpolizei.

»Dat is ne Nutte«, hatte ihr der Revierleiter zugezischelt, »die musste hart rannehmen. Und geklaut hat se auch.«

Beischlafdiebstahl, den Tatbestand hatte Marianne in der Ausbildung kennengelernt.

Frau Grundel war um die Vierzig. Langes, strähniges Haar, verklebter Pony. Sie stand in der Ecke des kahlen Dienstzimmers, betrunken. Marianne hoffte, dass sie nicht zu spucken anfing …

»Ich heiße Marianne Kohlhase«, begann sie mit leiser Stimme, »ich muss Sie durchsuchen.«

Fritzi Grundel schwieg. Ihr Blick starr geradeaus, auf irgendeinen fernen Punkt gerichtet.

»Haben, Sie mich verstanden?«

Ohne etwas zu sagen, begann die Frau sich auszuziehen. Ihre Feindseligkeit war am Mundwinkel abzulesen. Das Gesicht war mit zwei Schorfwunden bedeckt, die alte Blutkruste ganz schwarz. Drei Pullover übereinander. Wie alle Wohnsitzlosen trug sie alles, was sie hatte, am Körper.

Marianne sah ruhig zu. Hoffte, nicht härter werden zu müssen.

»Was solln sein«, murmelte Fritzi Grundel, »die Bullen holn mich doch jeden Tag, weilse mein Körper nackig sehn wolln, nich.«

»Sie brauchen sich nicht ganz auszuziehen, wenn Sie mir sagen, wo Sie das Portemonnaie versteckt haben.«

Fritzi Grundel hielt inne. Sie lachte. Zahnstummel, graue Zähne, die Zunge geschwollen.

»Ich klau doch nicht. Ehrenwort.«

Marianne wusste, dass sie einen Fehler begangen hatte. So kam sie nicht weiter. In der Ausbildung hatte es nur geheißen, der Verdächtige hat den Anweisungen zu folgen. Leibesvisitationen, die angeordnet werden, müssen auf jeden Fall durchgeführt werden.

»Also, was isn nu?«, wollte Frau Grundel wissen. Sie hielt die prall gefüllten Plastiktaschen hoch. »Fang schon mal an, Mädchen.«

Marianne ekelte sich.

Nacheinander schüttete sie den Inhalt der. Taschen auf den Tisch, während die Prostituierte halbnackt dastand. Sie sah zu, als sei sie selbst gespannt, welche Schätze zum Vorschein, kamen. Bierdosen, Pariser, Tampax, drei angebissene Brötchen, Wollsocken, zwei Kämme, die voller Schuppen waren, dass Marianne sie nicht anfassen konnte.

Von dem gesuchten Diebesgut keine Spur. Marianne verließ den Raum, um sich Plastikhandschuhe zu holen.

Als sie die Tür hinter sich zumachte, spürte sie die Übelkeit. Der Magen revoltierte.

Scheißberuf, verfluchter Scheißjob.

Mit einem unverhohlenen Lächeln reichte ihr der Revierbeamte die geforderten Handschuhe.

Marianne schnauzte ihn an: »Halt dich raus, Hermann, sonst werd ich bitter.«

Die Klamotten starrten vor Dreck. Der Geruch wird nie wieder weggehen, dachte sie, dieser Gestank aus Schweiß und Essensresten!

»Ausziehen«, sagte Marianne laut, als sie die Revision der Habseligkeiten auf dem Tisch beendet hatte.

»Mach schon hinne«, gab Fritzi Grundel von sich.