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Eine mutige junge Frau, eine gemeine Intrige und ein Handel im Auftrag der Fugger - der neue Augsburg-Roman von Fugger-Experte Peter Dempf
Süddeutschland 1593. Gemeinsam mit ihrem Vater transportiert die Flößerin Annka im Auftrag der Fugger Kupfer und Zinn den Lech hinab nach Augsburg. Das Metall wird dringend für die Reparatur des Kupferdaches am Weinmarkt benötigt. Kurz vor dem Ablegen nimmt sie einen Fremden mit an Bord. Aber alles geht schief: Ein Ruder bricht, das Floß zerschellt, der Fremde verschwindet. Annka setzt die Fahrt mit ihrem Vater fort. Doch in Augsburg wird dieser verhaftet. Er habe das Kupfer unter der Hand für den Bronzeguss des Augustus-Brunnens weiterverkauft, heißt es. Schockiert macht sich Annka auf die Suche nach Beweisen für seine Unschuld. Sie ahnt nicht, in welch gefährliche Gewässer sie sich begibt ...
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Seitenzahl: 594
Cover
Inhalt
Über das Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
Die wichtigsten Figuren der Handlung
1593
Teil 1
1 Floßlände bei Füssen
2 Auf dem Floß vor Lechbruck
3 Auf dem Floß nahe Lechbruck
4 Auf dem Floß nahe der Litzauer Schleife
5 Im Lechtal vor Schongau
6 Im Lechtal, auf dem Weg nach Schongau
7 Bei den Steilhalden und Auen vor Schongau
8 Auf dem Lech bei Epfach
9 Floßrutsche bei Landsberg am Lech
10 Landsberg am Lech
11 Nahe Landsberg am Lech
12 Augsburg
13 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
14 Augsburg, Jakobertor
15 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
16 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
17 Augsburg, Pranger vor dem Rathaus
18 Augsburg, Zunfthaus der Schmiede
19 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
20 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
21 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
22 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
Teil 2
1 Augsburg, Elsbeths Haus
2 Augsburg, Elsbeths Haus
3 Augsburg, Elsbeths Haus
4 Augsburg, Floßlände
5 Augsburg, in der Stadt
6 Augsburg, vor dem Fugger-Palast
7 Hinter Augsburg
8 Auf der Straße nach Landsberg
9 Auf dem Weg nach Landsberg
10 Auf dem Weg nach Landsberg
11 Auf dem Weg nach Landsberg
12 Auf dem Weg nach Landsberg
13 Landsberg, am Ufer des Lechs
14 Landsberg, am Ufer des Lechs
15 Augsburg
16 Augsburg, hinter dem Schwibbogentor
17 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
18 Augsburg, Schuldturm
19 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
20 Augsburg, Haus von Elsbeth
21 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
22 Augsburg, Elsbeths Haus
23 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
24 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
Teil 3
1 Augsburg, Schenke am Jakobertor
2 Augsburg, Adlertor
3 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
4 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
5 Augsburg, Schuldturm
6 Augsburg, Schuppen bei Elsbeths Haus
7 Augsburg, Schuppen bei Elsbeths Haus
8 Augsburg, Schuppen bei Elsbeths Haus
9 Augsburg, Schuppen bei Elsbeths Haus
10 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
11 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
12 Augsburg 1593
13 Augsburg, Gießerei am Katzenstadl
1594
Epilog
Nachwort
Worterklärungen
Dank
Über das Buch
Eine mutige junge Frau, eine gemeine Intrige und ein Handel im Auftrag der Fugger – der neue Augsburg-Roman von Fugger-Experte Peter Dempf Süddeutschland 1593. Gemeinsam mit ihrem Vater transportiert die Flößerin Annka im Auftrag der Fugger Kupfer und Zinn den Lech hinab nach Augsburg. Das Metall wird dringend für die Reparatur des Kupferdaches am Weinmarkt benötigt. Kurz vor dem Ablegen nimmt sie einen Fremden mit an Bord. Aber alles geht schief: Ein Ruder bricht, das Floß zerschellt, der Fremde verschwindet. Annka setzt die Fahrt mit ihrem Vater fort. Doch in Augsburg wird dieser verhaftet. Er habe das Kupfer unter der Hand für den Bronzeguss des Augustus-Brunnens weiterverkauft, heißt es. Schockiert macht sich Annka auf die Suche nach Beweisen für seine Unschuld. Sie ahnt nicht, in welch gefährliche Gewässer sie sich begibt …
Über den Autor
Peter Dempf, geboren 1959 in Augsburg, studierte Germanistik und Geschichte und unterrichtet heute an einem Gymnasium. Der mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnete Autor schreibt neben Romanen und Sachbüchern auch Theaterstücke, Drehbücher, Rundfunkbeiträge und Erzählungen. Bekannt wurde er aber vor allem durch seine Historischen Romane. Peter Dempf lebt und arbeitet in Augsburg, wo auch viele seiner Romane spielen.
Weitere Titel des Autors:
Der Teufelsvogel des Salomon Idler
Mir ist so federleicht ums Herz
Der Traum von Eldorado
Die Botschaft der Novizin
Die Sterndeuterin
Das Amulett der Fuggerin
Fürstin der Bettler
Herrin der Schmuggler
Die Brunnenmeisterin
Die Tochter des Klosterschmieds
Das Gold der Fugger
Die Geliebte des Kaisers
Das Haus der Fugger
Die Magd der Fugger
Die Herrin der Farben
Peter Dempf
Historischer Augsburg-Roman
Originalausgabe
Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, Münchenwww.ava-international.de
Copyright © 2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln Textredaktion: Dr. Ulrike-Brandt-Schwarze, Bonn Covergestaltung: Birgit Gitschier, Augsburg Einband-/Covermotiv: © istockimages: ZU_09; © shutterstock: KathySG | enterphoto | brichuas | Lukasz Szwaj Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, PößneckISBN978-3-7517-4810-0
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Die Kursivsetzungen verweisen auf historische Personen.
Hans Biechler, Floßmeister aus Füssen
Ann-Kathrin, seine Tochter (»Annka«)
Säule (eig. Michel Betz), Flößer
Weitere Flößer (Spitznamen): Büchserl, Schnupf, Knaster, Sterz, Gscherr, Henne, Melchior, Sandler, Karl
Anton Haderer, Gießergeselle
Korbinian Saumweber, Hausierer
Peter Wagner, Augsburger Stadtgießer
Tassilo, der Altlehrling
Mattheis, sein zweiter Lehrling
Balthasar Breger, Augsburger Brunnenmeister
Vincenz, sein Sohn
Elsbeth, seine Tochter
Anton Christoph Rehlinger, Augsburger Stadtpfleger von 1576 – 1589
Hans Fugger der Jüngere, Kaufmann und Mäzen der Stadt
Octavianus Secundus Fugger, Patrizier, Schwiegersohn von Hans Fugger und Stadtpfleger von 1598 – 1600
JohannJakob Rembold, Patrizier, im Jahr des Romans Ratsherr und Katholik
Quirin Rehlinger, Ratsherr der Stadt Augsburg und Protestant
Hubert Gerhard, niederl. Künstler
Heinrich Gerhard, Künstler, sein Bruder
Alfred Bieber, Obermeister der Augsburger Schmiedezunft
Conrad, Wirt in der Schänke am Jakobertor
Hias, Scharwächter am Jakobertor
Ullin, sein Sohn, Wächter bei Fugger
Die Höllenfahrt nach Augsburg
Floßlände bei Füssen
Ann-Kathrin zog den schwarzen Flößerhut tiefer ins Gesicht, als sie an diesem Märztag im Morgengrauen zum Lech hinunterging. Sie ahmte den breitbeinigen Schritt der Männer nach, die damit auf den schwankenden Stämmen der Flöße so gut ihr Gleichgewicht hielten, als bewegten sie sich auf festem Land. Nur den Blick richtete sie zu Boden – und allein dadurch würde sie vermutlich auffallen.
»Der Flößer schaut geradeaus. Auf dem Wasser ist er frei«, predigte ihr Vater immer, wenn er wieder einen jungen Burschen als Floßknecht lehrte, wie man die schmalen Bretterflitschen zu größeren Riegelflößen zusammenband und dann auf dem Lech weiter nach Augsburg schickte oder Langholzflöße zusammenfasste, die oft bis Lienz und Wien getriftet wurden.
»Ein Flößer, der in den Boden starrt, sieht das Wasser nicht, Kerl!«, rief ihr tatsächlich der Vater zu, der als Floßmeister von einem erhöhten Platz aus den Aufbruch überwachte.
Ann-Kathrin nickte, hob den Kopf, blickte aber beiseite, damit er sie im schwachen Licht des Mondes nicht erkennen konnte.
Hatte sie als Kind, wenn der Vater sie und die Mutter bei ruhigem Wetter nach Augsburg mitnahm, noch die frühen Abfahrtszeiten gehasst, war sie jetzt dankbar dafür, denn in der erst anbrechenden Dämmerung und dem Trubel des Aufbruchs würde ihr Vater sie schwerlich entdecken.
Außerdem konnte sie kaum anders, als mit großen Schritten zu gehen, sonst wären ihr die schweren Lederstiefel, die ihr bis hoch über die Oberschenkel reichten, von den Füßen gerutscht. Bestätigend hob sie die Hand und hoffte, ihre Verkleidung und die Dunkelheit würden das ihre tun und sie verbergen.
Sie hatte heimlich mit Michel Betz verabredet, die Fahrt auf seinem Floß bis Augsburg mitzumachen. Schon oft war sie unter Vaters Aufsicht mit dem ruhigen Flößer gefahren. Er schätzte ihr Können und ihre Erfahrung, auch wenn er ihrem Vater nicht ins Handwerk pfuschen wollte, und verstand ihr Anliegen. Die Flößer arbeiteten bei den zusätzlichen Lasten auf eigene Kosten – die Stämme und weitere Transporte waren Sache des Floßmeisters, für den sie tätig waren.
Ann-Kathrin musste bei dieser ersten Fahrt nach dem Winter mitfahren, sonst würde von dieser Trift ebenso wenig Geld bei ihr ankommen wie von der letzten im vergangenen Jahr.
Sie suchte im Dunkeln nach dem Flößer und entdeckte Michel Betz, wie er am Bindeplatz noch Wieden, Seile aus gewässerten Haselnussruten, um die keilförmigen Floßkegel wand und so die Festigkeit verstärkte. Bei jedem Bücken gab er ein lautes Grunzen von sich, was ihm den Spitznamen Säule eingetragen hatte.
»Ich bin da!«, rief sie ihm mit gesenkter Stimme zu.
Mit seinen knapp über dreißig Jahren war Michel Betz recht jung für einen Flößer, gehörte jedoch schon zu den erfahrensten Männern in der Mannschaft ihres Vaters. Seine gedrungene Gestalt ließ erahnen, wie kräftig er war. Auf seinem kahlen Schädel saß der typische breitkrempige schwarze Flößerhut. Mehrere Male war er schon bis Wien getriftet und zu Fuß bis Füssen zurückgelaufen.
Im Licht des Mondes erkannte Ann-Kathrin etwa zehn Langflöße am Bindeplatz. Säule lag an Platz vier, das Floß ihres Vaters war wie immer das letzte, das aufbrechen würde. Der Flößer richtete sich mit einem lang gezogenen Brummen auf.
»Bist du dir sicher, Annka?«
»Halt den Mund, Säule. Oder willst du meinem Vater jetzt schon verraten, dass ich hier bin? Er weiß ja nichts davon, dass dein zweiter Mann nicht kann, weil er sich von den Premern Prügel eingefangen und sich den Arm gebrochen hat, und ich für ihn einspringe.«
»Er wird es spätestens in Schongau bemerken …«
»… wenn es zu spät ist, um mich zurückzuschicken. Bis dahin – sei still!«
Säule grunzte bestätigend und wandte sich den beiden Rudern im Bug zu. Er zog eines ein und legte es auf das Floß, weil er beim Ablegen nicht beide bedienen konnte.
Ann-Kathrin sah ihm einen Moment zu, wie er mit geschickten Bewegungen seine Wieden flocht, dann warnte sie ihn kurz, dass sie an Bord kommen würde und sprang auf das Floß.
Noch stand das Gefährt mit dem Heck gegen die Wasserströmung, sodass das Heckruder vorn lag. Es würde beim Ablegen mit den Rudern in Fahrtrichtung gedreht werden. Man drückte mit der Stange gegen die Kipfe, den Buchenpflock, an dem die Ruder befestigt waren, und das Wasser schob das Floß vom Ufer weg. Nur so gelangten die Flöße schneller in die Flussmitte. Ein riskanter Kunstgriff, um die Stämme in die Strömung zu bekommen, denn wenn das Wasser zu wild anschlug, bestand die Gefahr, dass das Floß zu kippen begann und die Ladung verrutschte.
»Hilf!«, blaffte sie der Säule an und warf ihr eine Wiede zu. Sie klatschte ihr vor die Brust, weil sie das Haselnusstau nicht kommen sah. Kurz gab sie einen Schmerzenslaut von sich.
»Säule? Gibt es Probleme?«, schallte die Stimme ihres Vaters zu ihnen herüber.
Michel fuhr hoch, als hätte man ihn erwischt. Ann-Kathrin schüttelte vehement den Kopf und hoffte, er würde sie nicht sehen.
»Nein!«, antwortete der junge Flößer. »Mir ist nur eine Wiede ausgekommen und hat mir gegen die Brust geschlagen.«
Die anderen Männer lachten freundlich und quiekten wie Ferkel.
»Der Nöck soll euch holen!«, fluchte Säule gut gelaunt und erntete weiteres Gelächter.
Inzwischen suchte Ann-Kathrin die Wiede, die zuvor ins Wasser eingelegt worden war, damit sie geschmeidiger wurde. Sie griff danach und begann sie um drei weitere Floßkegel zu winden. Sie hörte das Wasser zwischen den Stämmen unruhig gluckern, als würde es langsam nervös. Kleine Fontänen sprühten aus den Spalten der Langhölzer hervor. Sie zurrte das widerspenstige Tau mit aller Kraft fest, und nur dieses eine Mal bedauerte sie, ein Mädchen zu sein. Denn sie zog vergeblich, und Säule musste ihr zur Hand gehen. Ein kurzer Hilferuf an den Flößer genügte.
»Lass. Ich mach das!«, sagte er grinsend und schob sie beiseite.
Kaum waren sie damit fertig, rief der Vater dröhnend über den Bindeplatz. »Männer, wie steht’s?«
Zehn Stimmen hallten nacheinander bestätigend über das Rauschen und Platschen des Wassers gegen die Stämme hinweg. Die Flößer waren bereit.
Jetzt kam der schwierigste Teil. Alle nahmen sie ihre Hüte ab und drückten sie gegen die Brust. Die freie Hand legten sie obenauf. Dann stimmte Hans Biechler ein Vaterunser an, das laut und deutlich über die Köpfe der Männer hinwegschallte. Ann-Kathrin wusste, dass er jetzt jeden Einzelnen der Flößerknechte mit dem Blick suchte und in sein Gebet einschloss. Also würde sein Auge auch an ihr vorüberstreifen. Sie konnte nur hoffen, dass ihre roten Haare in der Dunkelheit nicht leuchteten.
Als das gemeinsame Amen ertönte, konnte sie ihren Hut nicht schnell genug wieder auf den Kopf setzen.
»Hausumgehen, Knaster!«, rief ihr Vater dem Flößer auf dem vordersten Floß zu. So nannte man das Drehen der Flöße, wenn sie vom Ufer weg gegen die Fahrtrichtung aufgestellt gewesen waren und ablegten. Dann drehten sie sich majestätisch, während sie sich langsam vom Ufer lösten. Die Strömung griff nach ihnen und die Drehung führte dazu, dass sie bis in die Mitte des Wasserlaufs gezogen wurden. Ann-Kathrin sah dem Schauspiel zu, bis das erste Floß in der Dunkelheit verschwand.
Das nächste Floß, das von Sterz, schickte sich an, in die Strömung zu drehen, als vom Ufer her ein Schrei ertönte.
»Herrgott, so wartet doch!«
Während sich das zweite Floss in die Strömung legte und abfuhr, wandte sich ihr Vater der Stimme zu.
»Was gibt es Wichtiges?«
»Fahrt Ihr nach Augsburg?«, rief ein junger Mann vom Ufer aus.
»Wer will das wissen?«, fragte ihr Vater barsch zurück.
»Anton Haderer, Schmied und Bronzegießer, Geselle. Ich bin zurück von der Walz und habe gehört …«
»Wir lassen niemanden mitfahren!«, unterbrach ihn der Vater und gab gleichzeitig dem Gscherr das Zeichen, mit seinem Floß abzulegen. »Es ist zu gefährlich. Das Wasser der Schneeschmelze schießt von den Bergen herab und macht den Lech wild.«
»Umso besser«, antwortete der junge Kerl. »Solch ein Ritt auf einem Höllenross fehlt mir noch!«
»Mit Verlaub …«, wollte ihr Vater sagen, doch da war der Bursche schon auf Säules Floß aufgesprungen, das gerade hausumging und sich als viertes Gefährt vom Ufer löste.
Säule und Ann-Kathrin stemmten sich mit beiden Lenkrudern am Bug gegen die Strömung. Das Vorderfloß wurde unter Wasser gedrückt, und das eisige Nass des Lechs überspülte die Stämme. Sie spürte die Kälte an den Stiefeln, mit denen sie bis zu den Knöcheln im Wasser stand.
Langsam wurde das Gefährt in die Mitte gezogen. Als ihr Floß sich an dem ihres Vaters vorbeischob, stieß dieser einen Fluch aus.
»Annka! Bei allen Wettern! Was soll das werden?«
Sie hatte keine Zeit, darauf zu antworten, denn das Langfloß nahm Fahrt auf, schaukelte in die gischtende Strömung und schoss an den noch wartenden Männern vorbei. Dabei leckten die Wellen immer wieder über das Holz. Sobald es ganz gedreht hatte, sprang sie zum Heckruder, um es zu stabilisieren.
Der junge Kerl, der sich so selbstsicher auf ihr Boot gewagt hatte, kniete auf den Balken und versuchte vergeblich, sich festzuhalten. Seine Hose war klitschnass, seine Hände lagen im Eiswasser. Der Beutel, den er an einem Stock über der Schulter getragen hatte, war ihm über den Kopf gerutscht und drohte, weggeschwemmt zu werden. Er schüttelte den Kopf und griff nach den Hölzern.
»Finger aus den Zwischenräumen!«, zischte Säule ihm zu. »Wenn Ihr nicht wollt, dass sie Euch abgequetscht werden, lasst es bleiben. Kniet Euch quer zum Wasser, rutscht bis zu den Floßkegeln vor und haltet Euch an den Wieden fest. Wenn Ihr allzu ängstlich seid, legt Euch einfach flach hin.«
Der Geselle rührte sich keinen Fußbreit von der Stelle. Er kauerte weiter auf den mit der Wasserbewegung sich mitwiegenden Stämmen und ließ seine Füße von dem kalten Nass überspülen. Ann-Kathrin sah ihm stumm zu.
»Was habt Ihr gesagt?«, rief er und sah sich nach Säule um.
»Ich hoffe, Ihr könnt bezahlen, sonst nagelt Euch mein Floßmeister, sobald es hell wird, auf das Floß zum Trocknen und verkauft Eure Haut als Zubrot.«
Noch immer versuchte der junge Bursche, irgendwie einen Halt zu finden. Schließlich kroch er ein Stück nach vorn und krallte sich bei der schaukelnden Fahrt an der Transportware fest. Die Kisten und Ballen waren in der Mitte auf dem Floß festgezurrt und würden den Gewinn beträchtlich erhöhen, den sie aus der Fahrt schöpften. Die Ware war Säule zugeteilt worden, weil seine Floßgröße in die Floßgassen bei Augsburg passte. Und je näher die Ware an der Stadtmauer abgeladen werden konnte, desto billiger wurde es.
Ann-Kathrin sah, dass der Fremde bis auf die Haut durchnässt war und zitterte. Er tat ihr leid. Dankbar dachte sie an ihre eigenen Lederstiefel, die alle Feuchtigkeit abhielten.
»Ich habe sagen hören, dass die Flößer eine raue Gesellschaft sind, aber dass sie gleich meine Haut zu Markte tragen wollen, ist mir neu.«
Sie musste lachen. Sein Humor schien ihm noch nicht abhandengekommen zu sein.
»Wir verdienen an allem, mein Freund. Wenn Ihr nach Augsburg wollt, dann solltet Ihr Geld bereithalten«, erklärte Säule.
»Aber ihr habt doch auch andere Fracht. Damit ist die Fahrt doch sicherlich bezahlt genug. Ich bin nur …«
Säule ließ ein unwilliges Grunzen hören. »Einen Viertelgulden, sobald es hell wird, auf die Hand, oder ich stoß Euch noch hier ins Wasser!«
»Ist ja gut, verflucht«, knurrte der Geselle. »Sobald ich mein Gleichgewicht finde und in meine Tasche greifen kann. Ich kann nämlich nicht schwimmen.«
Ann-Kathrin prustete, und auch Säule grinste und spuckte weit hinein in das schäumende Gletscherwasser. »Dann wärt Ihr besser zu Fuß gegangen«, spottete er. »Man ertrinkt schnell in diesem Fluss.«
Auf dem Floß vor Lechbruck
»Wann sind wir in Augsburg?«, fragte der Geselle, der sich mittlerweile auf eines der verschnürten Pakete gesetzt hatte. Er zog die Beine an den Leib, umklammerte sie mit den Armen und schlotterte vor Kälte. »Ich bin klatschnass!«
Ann-Kathrin konnte ihn im Licht der Sterne und des Mondes gerade so erkennen. Er war schlank und nicht besonders groß. Die lockigen schwarzen Haare hingen ihm bis auf die Schultern, und ein paar Strähnen klebten auf Wangen und Stirn. Seine Füße steckten in Stiefeln, die nur bis kurz über die Fesseln reichten – für Floßfahrten waren sie völlig ungeeignet. Die Absätze waren sichtlich abgelaufen. Für einen Wanderer um diese Jahreszeit war er zudem zu leicht bekleidet.
»Könnt Ihr nicht sprechen, oder wollt Ihr nicht?«, fragte der Geselle und sah in ihre Richtung. »Ich bin der Haderer Anton.«
Für Flößer war es eher ungewöhnlich, sich während einer Fahrt zu unterhalten. Sie lauschten dem schäumenden Wasser, dem Anschlagen der Wellen am Ufer und den Geräuschen aus den Wäldern ringsum und auf ihre Veränderungen. Nur so hörten sie Gefahren rechtzeitig und konnten ihnen ausweichen. Auf ruhigeren Strecken hingen die Flößer ihren Gedanken nach und saugten sich voll mit der Natur um sie her, was der Grund war, dass Ann-Kathrin, die hinten am Steuerruder stand, stumm blieb.
Haderer klopfte auf den Ballen, auf dem er saß. »Was transportiert ihr?«, fragte er mit zitternder Stimme.
Ann-Kathrin schwieg. Wieder breitete sich Stille aus, die nur vom Rauschen des Lechs und dem Gluckern des Wassers, das sich durch die Lücken der Stämme zwängte, durchbrochen wurde. Der Fluss schäumte, als würde er gären. Bei genauem Hinhören vernahm man sogar das knirschende Rollen der schweren Kiesel in seinem Bett. Dafür hatte der Passagier aber offenbar keinen Sinn.
»Also seid Ihr doch stumm geboren. Schade eigentlich, denn ich hatte gedacht, Ihr wärt etwas jünger als der grunzende Kerl vor uns.«
»Er heißt Säule. Und er ist kein grunzender Kerl, sondern einer der besten Flößer, die wir haben.« Es amüsierte sie, dass der Geselle Säules charakteristische Eigenschaft sofort bemerkt hatte.
»Also – wie lange?«
»Wartet, bis der Mond untergegangen ist, dann seht Ihr die Sterne und die Milchstraße. Das lässt einen staunen und verstummen vor der schieren Größe dessen, was sich da über unseren Köpfen abspielt. Es gibt mehr zwischen uns hier unten und dem dort oben, als sich ein Menschenkind erdenken kann. Dann wollt Ihr womöglich nicht mehr nach Augsburg.«
Haderer seufzte. Er deutete hinauf zum Himmelszelt. »Dahin komm ich nie, und hier unten ist mir zu kalt, was also soll ich Eurer Meinung nach tun?«
»Euch festhalten!«, knurrte Ann-Kathrin. Sie hörte das anschwellende Rauschen einer Stromschnelle, die sich hinter der nächsten Biegung verbarg. Sie mussten den längeren Weg nehmen, sonst würde das Floß auf dem flachen Kies des Ufers auflaufen, wo sich gewöhnlich größeres Gestein sammelte. Womöglich müssten sie dann ins Wasser und das Floß anheben, damit es wieder flott wurde. Sie stemmte sich ins Steuerruder, damit sie ihr Gefährt von der kürzeren Innenseite der Kurve wegbekam. Sie wusste aber aus den Erzählungen der Flößer, dass sie wachsam bleiben musste, denn mitten aus der Flut der Außenbiegung ragte seit letzten Sommer ein Findling, den es zu umfahren galt.
Aus dem gischtenden Brausen schälten sich Schreie, ein Krachen, Fluchen, Schimpfen, dann harsch gerufene Befehle, erneut ein Splittern – schließlich nichts mehr.
»Entweder hat es den Gscherr auseinandergerissen, oder er ist am Felsen vorbei«, rief ihr Säule, der am Vorderruder stand, zu.
»Los, her!«, schrie Ann-Kathrin den Gesellen an. »Helft mir, die Stange zu halten. Drückt nicht gegen mich, sondern mit mir! Aber flott! Und Augen auf!«
Widerwillig sprang Haderer von der Fracht. Er glitt auf dem nassen Rundholz ab, knickte um und geriet mit dem Fuß zwischen zwei Stämme. Ann-Kathrin wusste, wie fatal so ein Ausrutscher sein konnte. Wenn die Stämme während der Fahrt um eine Kurve auseinanderklafften und sich dann wieder schlossen, wenn der Ritt ruhiger wurde, konnte es einem den Fuß abquetschen. Allein dafür trugen sie jeder ein Beil bei sich, um sich oder anderen aus dieser Situation herauszuhelfen.
Doch Haderer konnte sich selbst befreien. Mit schmerzverzerrtem Gesicht humpelte er zu Ann-Kathrin und stellte sich neben sie ans Steuer.
»Ein Bengel, der ein Floß steuert. Wo gibt es das denn?«, fragte er spöttisch. Offenbar war ihm erst jetzt bewusst geworden, wie jung sie tatsächlich war.
»Ein Schmied, der nicht schwimmen kann? Wo gibt es das denn?«, antwortete sie ebenso sarkastisch, sah aber stur geradeaus. Für weiteres Geplänkel hatten sie keine Zeit. »Dort, verdammt. Der Gscherr blockiert die Rinne. Haltet Euch fest!«
Aus dem Dunkel tauchte am Ende des Bogens ein Fels auf. Quer dazu hing zwischen Felsbrocken und Ufer ein Floß, das vom Wasser überspült wurde, aber nicht freikam.
Ann-Kathrin drückte in die Gegenrichtung und musste Haderer anherrschen, weil der nicht nachgab. »Seid Ihr blöd, dass Ihr mir entgegendrückt?«
Sofort verlagerte er das Gewicht und zerrte am Ruder, statt es zu schieben. Sie schossen auf das querliegende Floß zu, aus dem sich etliche Balken gelöst und andere sich verschoben hatten.
»Wir prallen auf«, schrie Säule.
Ann-Kathrin wusste, sie kämen nicht an dem Floß vorbei. Wenn sie es schräg trafen, würden sich vermutlich aus ihrem Verbund Stämme lösen und Gscherrs Gefährt völlig zerschlagen. Das mussten sie verhindern. Zeit blieb ihnen nicht.
»Haltet Euch fest!«, brüllte sie aus Leibeskräften. »Ich ramme ihn mittig!«
Dann war ihr Floß bei dem havarierten Gefährt angelangt und nahm es auf die Hörner. Der Schlag war so heftig, dass Ann-Kathrin vom Steuer weggerissen und über die Stange geschleudert wurde. Sie prallte heftig gegen den unwillkommenen Passagier, der einen Arm um sie schlang und damit verhinderte, dass sie ins Wasser geschleudert oder gespült wurde. Das schwere Transportgut verschob sich einige Fuß nach vorn – doch der Weg war frei.
»Ihr Himmelhunde!«, schrie Gscherr ihnen zu, der auf seinem Gefährt zur Seite geschoben wurde, aber weiterschwamm und direkt hinter der schäumenden Biegung das Ufer ansteuerte. Er würde die Stabilität seines Floßes überprüfen müssen und vielleicht einige Stämme, die abgetrieben worden waren, zu sich hochtreideln. »Danke!«, rief er ihnen nach.
Ann-Kathrin suchte ihren Körper ab, und schob die Jackenärmel hoch. Sie spürte ein Brennen an den Ellbogen. Aber außer ein paar Schürfwunden an den Armen hatte sie nichts abbekommen.
»Was für ein Glück!«, sagte Haderer.
»Es war Berechnung«, widersprach sie ihm. »Wenn Gscherr weiter die Durchfahrt blockiert hätte, wären alle nachfolgenden Flößer in ihn hineingefahren. Das hätte sechs Mannschaften das Leben kosten können. So hat es uns nur etwas beschädigt, und Gscherr ist frei. Er kommt sicher einen Tag später auch nach Augsburg.«
Sie kletterte zurück über die Ruderstange.
»Ich … darf ich etwas fragen?«
Haderer sprach gerade so laut, dass sie ihn verstehen konnte, der Rest aber vom Rauschen des Wassers verschluckt wurde. Sie fuhren eben in einen Abschnitt des Flusses ein, bei dem die Bäume sich bis ans Ufer heranschoben und ihre Zweige über das Floßdeck streifen konnten. Hier war das Wasser harmlos, aber die Äste hatte der Teufel gesehen. Eine Unaufmerksamkeit, und man wurde von ihnen vom Floß gewischt wie Krümel vom Esstisch.
Ann-Kathrin sah ihn misstrauisch an. »Was?«
»Ihr seid eine Frau? Ein … Mädchen?«
»Woher …?«, wollte sie ansetzen, erinnerte sich dann aber daran, wie er zugegriffen hatte, damit sie nicht über Bord fiel. Seine Arme hatten ihren Brustkorb umklammert.
»Stört es Euch?«, fragte sie zurück und versuchte dabei, so beiläufig wie möglich zu klingen.
»Es hat mich gewundert.«
Sie streckte die Hand aus. »Weil wir ohnehin bis Augsburg zusammen sind: Ann-Kathrin Biechler, die Tochter des Floßmeisters.«
Der Geselle sah ihr ins Gesicht, ohne ihre Hand zu ergreifen.
»Also ich hätte Euch nicht aufs Floß gelassen, wenn ich Euer Vater wäre.«
Kurz überdachten einige gewaltige Föhren den Flusslauf und schirmten ihn gegen den Himmel ab. Schlagartig wurde es dunkel, und bis sich Ann-Kathrins Augen an das tiefere Dämmerlicht gewöhnt hatten, hatte sich Haderer schon wieder auf das Frachtgut gesetzt. Er streifte seine Stiefel ab, schüttete das Wasser aus und massierte seine Füße.
»Ihr seid ein sonderbarer Heiliger!«, knurrte sie.
»Warum, weil ich Frauen nicht zutraue, ein Floß zu steuern? Gerade eben habt Ihr doch bewiesen, wie wenig umsichtig Ihr steuert. Direkt auf den armen Kerl und sein Floß zu. Mir ist das Herz in die Hosen gerutscht – und dann habt Ihr Fracht und Holz riskiert. Einem Mann wäre das nie passiert!«
Ann-Kathrin konnte nicht recht glauben, was dieser aufgeblasene Kerl da von sich gab, und wollte ihm schon eine barsche Antwort geben.
Doch plötzlich verschwand die Dunkelheit unter dem Blätterdach und machte Platz für ein Meer aus Sternen, das sich über ihnen öffnete. Sogleich beruhigte sich ihr Gemüt bei diesem Anblick, und sie wollte nicht mehr sprechen, weil es das Aufwallen eines ergreifenden Gefühls beeinträchtig hätte. Es war dieser Blick in die Unendlichkeit. Wenn etwas Gottes Schöpfung pries, dann waren es nicht die selbstgefälligen Bauten, die Kirchen und Kathedralen, die allenfalls die menschliche Unzulänglichkeit bewiesen, sondern dieser gewaltige Himmelsbogen, der übersät war mit Sternen und dem Band der Milchstraße. Es war der Sog, der von diesem Firmament ausging, der eindrücklich bewies, um wie viel gewaltiger die Schöpfung gegenüber dem Menschen war.
Erst als sich dieses Gefühl in sie gesenkt hatte und sie es mehrere Atemzüge lang genossen und sich damit vollgesaugt hatte, fand sie wieder Worte.
»Am nächsten Halt verlasst Ihr das Floß, Haderer. Es wird Euch guttun, auf männlichen Beinen durch die Welt zu laufen. Stolpert nicht.«
Mit einem kurzen Druck lenkte Ann-Kathrin das Gefährt wieder in die Mitte des Lechs und sah starr geradeaus.
Auf dem Floß nahe Lechbruck
Erst nach einer Weile wurde Ann-Kathrin bewusst, dass sie keinen Ton von Säule vernahm. Sonst hörte sie ihn in regelmäßigen Abständen grunzend atmen.
»Säule?«, rief sie nach vorn.
Jetzt, da der Mond ganz untergegangen war, sah man den Bug des Floßes nicht mehr, so sehr sie auch durch die Finsternis starrte. Sie konnte gerade noch bis zu der festgezurrten Warenladung sehen und erkannte die Umrisse Haderers, nicht aber, ob der Flößer am Ruder stand. Allerdings spürte sie, dass vorn niemand mitsteuerte.
»Säule, jetzt sag doch was!«, rief Ann-Kathrin nach vorn. »Michel Betz! Säule!«
Erst in zwei oder drei Stunden würde es richtig hell werden. Bis dahin waren sie auf ihre Ohren angewiesen – und da galt es, dass vier Ohren besser hörten als zwei.
»Haderer, geht nach vorn und schaut, was mit Säule los ist, der sagt nichts.«
Der Geselle brummte unwillig und richtete sich langsam auf. »Vielleicht ist er stumm wie Ihr. Womöglich hat es ihn bei dem Zusammenstoß über Bord gespült, dann können wir ihn sowieso nicht mehr retten. Oder seht Ihr besser im Dunkeln als ich?«
Ann-Kathrin ging das selbstgefällige Geschwätz dieses Kerls langsam auf die Nerven. »Macht Euch nützlich bis zur nächsten Floßlände, danach kann ich Euch und Euer Gewäsch nicht mehr gebrauchen«, fauchte sie, fixierte das Ruder mit einem Haselnusstau und schlüpfte unter der Stange hindurch, um nach vorn zu sehen.
»Säule, jetzt sag schon was!«, brüllte sie gegen den Strudellärm an.
Keine Antwort. Langsam wurde Ann-Kathrin unruhig. Sie suchte den vorderen Teil des Floßes ab, bis ihr Blick auf zwei Hände fiel. Eine lag auf dem Holz, die andere klemmte zwischen zwei Stämmen.
»Säule!«, schrie sie und rannte auf die Hände zu. Kurz bevor sie anlangte, tauchte Säules kahler Schädel aus dem Fluss auf. Der Flößer versuchte, sich über Wasser zu drücken und gierte nach Luft, wurde aber beinahe sofort wieder unter das Floß gepresst. Dabei rutschte die freie Hand weiter ab. Nur der Arm, der zwischen den Stämmen steckte, hielt ihn am Floß.
»Haderer, kommt schnell!«
Ann-Kathrin griff sich die freie Hand und zerrte daran. »Wir müssen ihn an Deck holen!«, schrie sie. »Rasch, sonst ertrinkt er.«
Haderer stand neben ihr, die Hände in den Hosentaschen. »Oder er erfriert. Ich helfe Euch, wenn Ihr mich bis Augsburg mitnehmt!«
Nur kurz streifte Ann-Kathrin den Gesellen mit einem Blick. Meinte er das ernst? Doch seine Haltung ließ keinen Zweifel daran. Er rührte sich nicht, sondern sah zu, wie Säules Kopf wieder auftauchte, um sofort vom nächsten Wasserschwall erneut unter dem Floß zu verschwinden.
»Ja. Verdammt. Jetzt packt zu!«
»Schwört!«, sagte Haderer gelassen und lächelte sie an. Sein Mund war zu einem breiten teuflischen Lächeln verzogen, das beide Reihen Zähne zeigte.
»Ich schwöre!«, presste sie hervor, während sie Säules freie Hand umklammerte. Aber es gelang ihr nicht, den Körper herauszuziehen. Der linke Arm klemmte zwischen zwei Stämmen fest. Das verhinderte einerseits, dass Säule ganz versank, führte aber dazu, dass er langsam ertrank.
Stumm packte Haderer jetzt mit an – und mit der Kraft des Schmieds und Gießers gelang es ihnen, Säules Oberkörper aus dem Wasser zu hieven. Doch sie schafften es nicht, den Mann auf das Floß zu holen, denn der eingeklemmte Arm verhinderte es.
Säule war zu erschöpft, um zu schreien. Er war nur mehr halb bei Bewusstsein und stöhnte laut. Im Dunkel konnte Ann-Kathrin erkennen, wie die Lider über den weißlich schimmernden Augäpfeln flatterten.
»Er erfriert!«, schrie sie. »Haltet ihn ja fest«, befahl sie dem Gesellen.
»Was macht Ihr?«, keuchte Haderer, dessen Kraft langsam zu schwinden schien. Er musste sich gegen die Strömung und das schäumende Wasser stemmen.
Ann-Kathrin wurde bewusst, dass sie nicht mehr viel Zeit hatten, denn die nächste Stromschnelle kam in Hörweite. Vielleicht noch fünf Minuten, dann würden sie sich durch gischtende Wellenkämme schieben, unter denen Felsen und Steine lagen. Spätestens diese würden Säules Körper zu Brei zerschlagen.
»Axt!«, murmelte Ann-Kathrin und wankte zu der Warenladung hinüber, wo an einem Seil ihre Flößeraxt hing. Nie im Leben hätte sie gedacht, sie einmal einsetzen zu müssen. Sie hatte den Erzählungen gelauscht, wenn ihr Vater oder der Onkel davon berichteten, wie sie dem einen oder anderen Kameraden das Leben gerettet hatten, indem sie ihm den Fuß oder die Hand abgeschlagen hatten, um ihn zu befreien. Und obwohl die so verstümmelten Männer nicht mehr arbeiten konnten und die Hälfte von ihnen verstarb, waren die Lebenden wie der alte Schnupf, den sie persönlich kannte und dem der linke Unterarm fehlte, doch unendlich dankbar dafür.
Die Axt in der Hand lief sie auf den Flößer zu, dessen Augen mittlerweile geschlossen waren. Seine Lippen waren bereits blau angelaufen.
»Was habt Ihr vor?«, fragte Haderer, der schreckensbleich zusah, wie sie das Werkzeug über den Kopf schwang.
Sie ließ sie die Axt niederfahren und trennte die Wiede auf, die die beiden Stämme verband, in die Säules Arm eingeklemmt war. Dann fuhr sie mit der Klinge in den Zwischenraum und spreizte die Stämme. Der Arm rutschte tiefer in die Lücke. »Los, zieht ihn jetzt raus!«, befahl Ann-Kathrin.
Haderer schob den Arm aus der Lücke, packte den Flößer, und mit Ann-Kathrins Hilfe, die sofort die Axt losgelassen und in das Holz hatte fahren lassen, zogen sie Säule auf die Stämme.
»Los, auf die Warenkisten mit ihm. Der Höllenritt geht weiter!«, schrie sie und sprang ans hintere Ruder. »Nehmt das Vorderruder und haltet es gerade. Mehr müsst Ihr nicht tun!«
Ann-Kathrin wusste, welches Risiko sie einging. Säule lag nur auf dem vorderen Warenballen. Eine heftige Bewegung, ein Schrammen, ein Stoß, und er würde in hohem Bogen ins Wasser geschleudert werden. Sie schloss die Augen – zu sehen war ohnehin nichts. Sie verließ sich auf ihre Ohren, die ihr sagten, wohin sie steuern musste.
Kaum hatte Haderer das Vorderruder ergriffen, begann das Floß zu schaukeln, und Wasser überschwemmte die obere Ebene der Stämme. Es war keine der gefährlichen Stellen, aber sie hatte das Floß durch die Trennung der Wiede instabil gemacht. Es reagierte träge und durch die sich spreizenden Stämme widerspenstig.
Obwohl sie die Augen geschlossen hatte, lenkte sie das Gefährt sicher über die Steine und an den Felsen vorbei. Doch nach einer kleinen Ewigkeit, die höchstens zehn Minuten dauerte, hatte sich der Fluss beruhigt. Als sie langsam wieder in ruhigeres Fahrwasser kamen und sie die Augen öffnen konnte, lag Säule wie tot auf dem Warenballen mitten auf dem Floß. Die Kistenladung mit den Metallen hatte sich aus der Verankerung gelöst und war nach vorn gerutscht. Nur der Warenballen mit grobem Leinentuch, der leichter war, hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Durch das verschobene Gewicht tauchte der Bug tiefer ins Wasser, als gut war.
Sofort sprang Ann-Kathrin zu Säule und riss ihm die nassen Sachen vom Leib, sodass er nackt vor ihr lag.
»Was macht Ihr da? Ihr könnt doch nicht …«, protestierte Haderer und stieß sie von dem unbekleideten Mann weg.
»Dann macht Ihr weiter. Er braucht trockene Sachen. Zieht sie ihm an und dann nichts wie unter die Decke hier.«
Sie warf Haderer eine in Öltuch eingeschlagene Decke zu. Solche waren auf jedem Floß, denn sie wurden für den Rückweg gebraucht. Die Flößer liefen von Augsburg nach Füssen zu Fuß zurück und übernachteten auf offenem Feld unter ihren groben Decken und vor der Feuchtigkeit geschützt durch die Öltücher, in die sie wiederum die Decken gewickelt hatten.
Als sie sah, dass der Geselle noch nicht einmal wusste, wie man das verschnürte Bündel öffnete, schnaubte sie. »Wozu hat man Euch drei Jahre in die Welt hinausgeschickt, wenn Ihr die einfachsten Handgriffe nicht beherrscht?«, murmelte sie.
»Ich dachte schon, Ihr schlagt dem Mann den Arm ab!«, ließ sich Haderer vernehmen, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen.
Ann-Kathrin schluckte. Für einen kurzen Moment tauchte vor ihrem inneren Auge der alte Schnupf mit seinem verstümmelten Arm auf. »Das hatte ich eigentlich auch vor. Aber im Augenblick des Schlags habe ich es mir anders überlegt und gehofft, es würde reichen, die Wiede zu durchtrennen … Und es hat geholfen«, fügte sie nach einem Stoßseufzer hinzu. Sie sah zu Säule, der zitterte, dass ihm die Zähne klapperten. Sein kahler Schädel glänzte im Sternenlicht, als wäre er ein auf die Erde gefallener Mond. »Ihr müsst seinen Körper reiben. Mit den Händen. Wenn er überlebt, lass ich Euch auf dem Floß, stirbt er, versenke ich Euch mit ihm im Wasser.«
Ann-Kathrin ging vor zu ihrer Axt, die noch immer im Holz steckte, und sah nach dem Schaden. Soweit sie sehen konnte, waren die Floßkeile noch in Ordnung. Sie musste sie vorerst nur mit einer neuen Wiede verbinden. Allerdings würde das auf die Dauer nicht genügen, schließlich war das Flechtwerk durch ihren Schlag getrennt worden, was hieß, dass sich die Stämme in den raueren Stellen des Lechs, die ihnen noch bevorstanden, auseinanderbewegen würden. Damit würde das gesamte Floß Gefahr laufen, auseinanderzufallen. Um das zu reparieren, brauchte sie jedoch Tageslicht – und der Morgen war noch weit.
Sie schaute sich kurz um und suchte nach Säules Hut. Ein Flößerhut gehörte wie ein Körperteil zu seinem Besitzer. Ohne ihn war der Mann nur halb bekleidet. Doch der schwarze Hut war verschwunden.
Auf dem Floß nahe der Litzauer Schleife
»Sobald der Tag anbricht, landen wir irgendwo an«, sagte Ann-Kathrin. »Ich muss die Stämme frisch binden.«
Haderer stand am Rand des Floßes und schlug sein Wasser ab. Dabei überspülte der Lech seine Stiefel, die vollliefen.
»Verfluchtes Nass«, schimpfte er.
»Ihr hättet nicht zu uns aufzuspringen brauchen. Wärt Ihr zu Fuß gegangen, wären Eure Schuhe trocken geblieben und die Zehen ebenso. Und wenn Ihr nächstens Wasser lasst, dann mitten auf dem Floß. Der Fluss schwemmt irgendwann alles fort, aber ihr steht nicht im Wasser.«
Der Geselle drehte sich schwankend zu ihr um. Das Gefährt schlingerte hin und her, und Ann-Kathrin hatte Mühe, es gerade zu halten, was dazu führte, dass Haderer das Schließen des Hosenlatzes schwerfiel.
»Wie geht es Säule?«, fragte sie, während sie es mit einem kurzen Druck wieder in die Flussmitte lenkte. Ringsum stiegen die Ufer an und bildeten steile Kies- und Geröllhalden.
»Er schläft«, erwiderte Haderer und klopfte auf eine der Kisten. »Was transportiert ihr, außer Holz?«
»Geht zurück ans Ruder. Wir brauchen vorn jemanden, sonst beginnt sich das Floß zu drehen«, gab Ann-Kathrin schroff zurück. »Dann dauert es noch einmal so lange bis Augsburg.«
Missmutig begab sich der Geselle an den Bug des Floßes und stemmte sich gegen die Ruderstange. Sofort fühlte Ann-Kathrin, dass sich das Gefährt leichter lenken ließ. Es brach nicht mehr ständig aus, und sie musste nicht immerfort nachsteuern.
Was für eine Ware?, hallte Haderers Frage in ihr nach.
»Das geht Euch nichts an«, blaffte sie. »Und jetzt haltet endlich den Mund!«
Auf dem Schmelzwasser aus dem Gebirge schoss das Floß mit hoher Geschwindigkeit dahin. Wenn es so weiterginge, würden sie schon gegen Abend in Augsburg anlangen. Für die nächste Zeit hatten sie hoffentlich Ruhe vor irgendwelchen Felsstufen und Strudeln.
Ann-Kathrin horchte, ob die anderen Flöße hinter ihr waren. Ihr Vater musste irgendwann auftauchen – und da er sie erkannt hatte, würde es ein Donnerwetter geben. Zurückschicken konnte er sie jedoch nicht mehr, dafür waren sie schon zu weit von Füssen entfernt. Außerdem brauchte er jemanden, der Säules Floß führte, da dieser ausgefallen war.
Säule stöhnte und richtete sich langsam auf.
»Wie geht es dir?«, rief Ann-Kathrin ihm zu.
»Ohne dich wäre ich jetzt wohl Matsch!«, erwiderte er und grunzte, als suhle er sich in einem Schlammloch. »Aber kalt ist mir, als wären meine Knochen aus Eis. Das ist mir noch nie passiert, verdammt!«
»Es gibt für alles ein erstes Mal«, lachte Ann-Kathrin, froh, seine heisere Stimme zu hören und nicht mehr mit Haderer allein zu sein. »Jedenfalls bist du jetzt sauberer als zu Weihnachten!«
»Mir ist es lieber, ich bestimme selbst, wann ich mich wasche«, grunzte Säule. »Wo ist mein Hut, Mädchen?«
»Ich befürchte, den hast du verloren.«
Der Flößer seufzte tief. »Aber besser den Hut verloren als das Leben, stimmt’s?«
»Schlaf jetzt. Ich weck dich in einer Stunde, wenn es gefährlicher wird. Dann kannst du noch ein Bad nehmen.«
Der Flößer wickelte sich wieder in seine Decke und legte sich zurück. Sie hörte, wie ihm die Zähne aufeinanderschlugen.
»Ich hätte erst Ostern wieder gebadet!«, knurrte er noch, und kurz darauf hörten sie sein blubberndes Schnarchen.
»Der Kerl ratzt, und ich schlag mir die Nacht um die Ohren!«, protestierte der Geselle. »Ich kann nicht glauben, dass er schon wieder eingepennt ist.«
»Ruhe!«, fauchte Ann-Kathrin. »Wie oft soll ich es noch sagen? Ich brauche meine Ohren, um Hindernisse zu erkennen. Außer Ihr legt es darauf an, als Nächster von Bord gespült zu werden.«
Noch einmal horchte sie zurück, ob ein Floß hinter ihnen war. Die beiden vor ihnen konnte sie jedenfalls nicht mehr ausmachen. Knaster und Sterz jagten ihre Gefährte vermutlich durch die Stromschnellen. Sie waren jung und hatten nur wenig Erfahrung, deshalb durften sie die Fahrt anführen. Wenn sie scheiterten, konnte man sie aufsammeln und so vielleicht noch etwas von ihrer Fracht retten.
Aber auch hinter ihnen war alles ruhig, als wären sie allein auf weiter Flur. Vermutlich war der Vater angelandet, um Gscherr aufzusammeln oder ihm bei der Reparatur zu helfen.
»Noch einmal«, unterbrach Haderer ihre Gedanken. »Ich habe Metall gerochen und Stein. Was transportiert ihr?«
»Seid Ihr immer so neugierig?«, fragte Ann-Kathrin zurück.
Was bezweckte er damit, sie über ihre Waren auszufragen. Spionierte er sie aus? Der Lech wurde immer breiter. Räubern würde es nicht gelingen, ihr Floß zu entern. Es würde ihm also nichts nutzen. Er konnte sie allenfalls hinunterstoßen und das Gefährt dann selbst anlanden.
Sie beobachtete ihn genauer. So ungeschickt wie er das Ruder hielt und zu ihr herschaute, verstand er wenig vom Triften. Er würde ein Floß kaum gezielt lenken können.
»Muss man euch Flößern jedes Wort aus der Nase ziehen?« Haderer klang mehr amüsiert als verärgert.
»Dann hätten wir ellenlange Nasen«, entgegnete sie lachend. »Ich sagte schon, wir horchen auf den Fluss.«
»Ach, er spricht mit Euch?« Der Geselle legte eine Hand an sein Ohr und tat so, als ob er lausche. »Nun denn, mir sagt er: Erzählt dem Kerl ruhig, was Ihr geladen habt. Dann hält er eher den …«
»Unsinn!«, schnitt ihm Ann-Kathrin das Wort ab. »Haltet Ihr mich für blöd?«
Haderer verstummte und drehte ihr den Rücken zu. Für eine geraume Zeit herrschte Stille, die nur vom Gesang der Vögel durchbrochen wurde, die den langsamen Anbruch des Tages ankündigten, obwohl sie noch in völliger Finsternis dahinschaukelten. Der Lech war noch immer wild und riss an ihrem Fahrzeug, aber die Stromschnellen wurden seltener und die Biegungen breiter. Am Verblassen der Sterne konnte Ann-Kathrin erkennen, dass bald das erste Morgenlicht die Nacht vor sich herschieben würde.
Sobald sie genügend sah, mussten sie anlanden. Wenn sie schnell genug wäre, könnten sie schon weiterfahren, bevor ihr Vater die Stelle erreicht hätte.
Plötzlich fuhr Säule auf und stieß einen Schrei aus. »Bei aller Stammfäule, was ist passiert?« Mit einem Ruck wollte er vom Warenblock herunter, doch sein linker Arm knickte ein, und ein weiterer Schrei löste sich, der vom gegenüberliegenden Ufer als Echo zurückgeworfen wurde. Es klang wie eine Mahnung.
»Verdammte Axt!«, fuhr er auf und tastete seinen Arm ab. »Annka. Was …«
Weiter kam er nicht, denn sie war bei ihm und fühlte seine Stirn. »Hinlegen und zudecken, alter Mann!«, sagte sie und drückte ihn zurück auf sein Lager. »Du hast Fieber.«
Wie es um ihn stand, konnte sie allein an der Reaktion erkennen. Niemals hätte er sich alter Mann nennen lassen, wenn er ganz bei Sinnen gewesen wäre.
»Was ist … der Arm … als wenn er …«
Sie hielt ihn fest, bis er seinen Widerstand aufgab.
»In Augsburg setzt du dich zwei Tage in die Schenke und säufst dir die Hucke voll, dann ist das Fieber weg. Bis dahin: Ruhe!«
Der Flößer atmete schwer. Seine Haut war blass, die Lippen waren aufgesprungen und mittlerweile nicht mehr bläulich, sondern feuerrot.
»Es hat dich unters Floß gedrückt, Säule, und dein Arm war eingeklemmt. Ich konnte ihn retten. Immerhin hast du dir nichts gebrochen, nichts aufgerissen. Du hattest mehr Glück als Verstand.«
Sie deckte den Flößer wieder zu, strich ihm über die Glatze und betete kurz ein Ave Maria, weil sie etwas Hoffnung brauchte, damit das Fieber ihn nicht auszehrte.
Das Floß schlingerte übers Wasser, weil nicht nur sie ihr Steuerruder verlassen hatte. Haderer stand neben ihr und blickte auf Säule hinunter.
»Wird er es überleben?«
Ann-Kathrin zuckte mit den Schultern. Noch nie hatte sie mit einem derartigen Vorfall zu tun gehabt. Durchnässt zu werden war das eine, eine ganze Zeit im eiskalten Wasser zu liegen, das andere.
»Wir Flößer sind hart im Nehmen«, sagte sie. »Wenn er die nächsten zwölf Stunden durchhält, sind wir in Augsburg – so Gott will. Allerspätestens am Morgen darauf. Und jetzt geht zurück ans Ruder, sonst drehen wir uns bald im Kreis.«
Haderer verschränkte die Arme vor der Brust. »Nicht, bis Ihr mir sagt, was ihr transportiert. Ich sagte schon, ich rieche Metall.«
Ann-Kathrin verdrehte die Augen. »In Dreiteufelsnamen! Wir triften Marmor, Kupfer und Bauleinen. Und jetzt ans Ruder.«
Der Geselle rührte sich keinen Schritt weg. »Kupfer, Marmor? Für die neuen Brunnen?«
Wieder zuckte Ann-Kathrin mit den Schultern. »Damit kenne ich mich nicht aus. Wir arbeiten im Auftrag des Fuggers. Ich glaube, das Metall ist für ihn. Wozu immer er das braucht.«
Sie bemerkte, wie sich Haderers Körper versteifte. Er räusperte sich, und sein Kiefer mahlte, als müsse er an etwas kauen, das ihm aufgestoßen war. Außerdem stieß ihr das Verhalten des Kerls bitter auf. Er tat nie etwas als Hilfe für andere. Er erpresste sie nur ständig.
»Soso, für Fugger!«, sagte er, drehte sich um und stellte sich ans Ruder.
Die Art, wie er sich benahm, kam Ann-Kathrin seltsam vor. Sie musterte ihn aufmerksam, ging dann aber auch zurück an ihr Steuer. Etwas veränderte sich unmerklich um sie herum. Die Vögel begannen warnend zu zwitschern und flogen auf. Doch das Wasser blieb ruhig.
Im Lechtal vor Schongau
Ann-Kathrin hörte die Gefahr kommen, bevor sie in Sicht kam. Es war ein langsam ansteigendes Rauschen und Grollen. Doch es kam nicht von vorn, sondern rollte hinter ihnen heran.
Sie drehte sich um und musterte den Fluss, der zwar etwas aufgewühlt war, insgesamt aber recht ruhig wirkte, und dann den Himmel. Der langsam heraufdämmernde Morgen verbesserte die Sicht nicht. Hinter ihnen, gegen die Berge, türmten sich schwere dunkle Wolken auf.
Ein Gewitter jagte heran und entlud seine Wassermassen über dem Lech und der ihn umgebenden Landschaft. In der Wolkenschwärze zuckten unaufhörlich Blitze, die mit kreischenden Einschlägen auch den Boden erreichten. Darüber lag ein beständiges Grollen, als hätte der Himmel Unmengen Sauerkraut gegessen, das ihm im Magen umging. Eine dunkle Wand ragte aus dem Wald empor.
Über ihnen jedoch blieb der Himmel hell und stach ein Flirren in die Luft.
»Was passiert da?«, schrie ihr Haderer zu, der ebenfalls zurückschaute. In seinem Gesicht spiegelte sich Entsetzen über die Gewalt der Natur.
»Gewitter. Starker Regen. Der Lech wird anschwellen, und die Flut wird uns vor sich her treiben. Vor allem, wenn wir vor Schongau ins Tal kommen. Dort kann das Wasser nicht ins Land hinauslaufen und wird eingeengt.«
»Ist das gut oder schlecht?«, hakte der Geselle nach.
Sie blieb ihm die Antwort schuldig, denn plötzlich sahen sie eine Flutwelle von hinten auf sich zu rollen. Offenbar regnete es hinter ihnen schon länger und, wie Ann-Kathrin vorhergesagt hatte, ziemlich stark. Der Boden an den Ufern des Flusses war von der Schneeschmelze noch gesättigt und konnte das Wasser nicht aufnehmen, sodass es ungehindert in das Lechbett gelangte und dort flussabwärts schoss. Die steilen Hänge ringsum taten ein Übriges.
Diese anrollende Welle würde sie mit sich reißen. Ann-Kathrin hoffte, dass es ihr gelingen würde, das Floß so gegen die Flut zu setzen, dass sie nur von hinten, nicht aber von der Seite her getroffen wurden. Sie schätzte die Höhe der Welle auf etwas mehr als drei Fuß, konnte sich aber auch irren.
Innerlich verwünschte sie diesen Tag, der auch weniger Unannehmlichkeiten hätte bereithalten können. Einmal in ihrem neunzehnjährigen Dasein hatte sie das schon erlebt und wusste, welche Verwüstungen so eine Riesenwoge hinterlassen konnte, wenn sie mit Urgewalt durch ein Dorf fegte wie eine Verwünschung oder eine Strafe für den Übermut, am Wasser gebaut zu haben.
Plötzlich stand Säule neben ihr. Sein Gesicht glänzte im Fieber, seine Augen leuchteten feucht.
»Was machst du hier, Michel?«, schimpfte sie. »Zurück auf die Warenballen!«
»Das ist mein Floß!«, maulte Säule. »Außerdem kommt da mein Hut geschwommen. Und den will ich wiederhaben!«
Der letzte Satz verblüffte Ann-Kathrin und zwang sie wieder, die herannahende Bedrohung genau zu betrachten. Das Wasser riss Bäume und Büsche aus dem Uferbewuchs und trug sicherlich auch genügend Felsen und Kiesel mit sich, die das Floß zertrümmern konnten. Tatsächlich hing an einem der Büsche, die an vorderster Front mitschwammen, Säules Hut. Wenn die Welle mit derselben Geschwindigkeit weiter auf sie zukam, würden sie auf diesen Busch und den Hut stoßen, und Säule würde ihn hoffentlich aus dem Geäst pflücken können, bevor das Unheil über sie hereinbrach.
»Wir sind zu schwer«, erklärte der Flößer, der sich das zweite Lenkruder geschnappt hatte und am Heck einlegte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Ann-Kathrin überlegte kurz, was er gemeint haben könnte, doch dann begriff sie: Wenn die Welle sie traf, dann konnten sie normalerweise darauf reiten, was hieß, dass das Wasser ihr Floß hob und unter ihnen hindurchrollte. Wenn aber das Floß zu schwer war, dann würde die Welle über sie hinwegspülen und alles mit sich reißen, was nicht niet- und nagelfest war. Mit ihrer Ladung aus Marmor und Kupfer hatten sie eindeutig viel zu viel Gewicht. Und wenn neben ganzen Bäumen auch Geröll im Wasser mitgetragen wurde, dann Gnade ihnen Gott!
»Binden wir uns an das Floß. Schnell!«, schrie sie.
Doch Säule schüttelte den Kopf. »Du musst das Ruder im rechten Moment loslassen können. Versuch, ans Ufer zu schwimmen, Mädchen.«
Das dumpfe Grollen verstärkte sich zusehends und fühlte sich immer bedrohlicher an. Ann-Kathrins Magen vibrierte, und ihre Ohren sangen. Man konnte der Wasserwand zusehen, wie sie sich näher heranschob und höher auftürmte, wenn das Flussbett niedriger wurde. Die Welle war braungrau und schäumte am Kamm schmutzig. Immer wieder blitzten Äste und Stämme darin auf, die mitgetragen wurden und wie Keulen wirken würden, wenn sie auf Widerstand stießen. Außerdem bäumte sie sich immer höher auf.
»Und du?«, fragte sie zurück.
»Ich hätte schwimmen lernen sollen«, brüllte Säule. »Aber jetzt ist es vermutlich zu spät!«
Ann-Kathrin sah zu Haderer, der aufgehört hatte zu reden und mit vor Entsetzen geweiteten Augen das Monster anstarrte, das sie zu verschlingen drohte. Vermutlich hatte er nicht gehört, was sie gesprochen hatten. Dazu war es zu laut. Kurz dachte sie daran, zu ihm zu gehen und ihm zu helfen, aber dann erinnerte sie sich an sein Verhalten, als es galt, Säule aus dem Wasser zu ziehen. Sie deutete auf das Ruder und gab ihm mit Zeichen zu verstehen, dass er sich festklammern und das Ruder gerade halten solle.
Dann schoss ihr der Gedanke in den Kopf, dass das Floß womöglich kippen würde, da die Ballen und Kisten nicht mehr an ihrem Platz lagen, sondern ein Stück nach vorn verrutscht waren.
Im nächsten Moment hatte die Welle sie erreicht und zog zuerst das Floß zu sich her, als wolle sie sich des Gefährts versichern. Dann hob sie es hinten so stark an, dass die Steuerruder aus dem Wasser auftauchten. Gleichzeitig glitten die Waren noch weiter vor und drohten, ins Wasser zu stürzen und den Gesellen mit sich zu reißen. Die Welle überspülte sie. Sie hörte Haderer schreien, der beinahe unter Wasser gedrückt wurde und die verschnürten Waren auf sich zukommen sah. Doch die Wieden, mit denen sie vertäut worden waren, gaben zwar nach und dehnten sich, aber sie hielten. Ann-Kathrin hatte das Gefühl, im nächsten Moment müsste das Floß am Bug auf Grund laufen, und der Wasserdruck würde es einfach umwerfen. Doch dann rauschte das Heck wieder nach unten, schlug auf dem Wasser auf, dass es ihr die Beine beinahe in die Kehle rammte, und sie jagten im strudelnden Fluss hinter der Welle mit.
Im ersten Moment glaubte Ann-Kathrin noch nicht so recht an ihre Rettung. Sie blickte nach links und staunte. Auf Säules Kopf saß sein Hut. Sie hatte nicht mitbekommen, wie es ihm gelungen war, ihn zu greifen.
Haderer am Bug war nass bis zum Hals. In seinem Haar steckten Reste von Grassoden und vertrocknetem Schilfgras. Er spuckte und prustete, als hätte er davon gegessen.
Mit hoher Geschwindigkeit schossen sie vorwärts.
»In die Mitte!«, schrie Säule und drückte gegen das Ruder.
Langsam lenkten sie gemeinsam das Floß wieder zurück in die Flussmitte.
»Ich bin gespannt, wie viele von uns es überleben werden!«, sagte er, bevor seine Worte vom einsetzenden Rauschen des Regens verschluckt wurden.
Ann-Kathrin kontrollierte die Waren. Die Welle hatte sie noch weiter nach vorn geschoben, sodass sich ihr Gefühl, auf einem abschüssigen Hang zu stehen, verstärkte. Nur der Leinenballen hatte sich nicht gerührt.
Sie bemerkte noch, wie Säule an seinem Ruder zusammensackte. Offenbar hatte er seine letzten Kräfte zusammengenommen, um zu helfen. Sie musste ihn vorerst liegen lassen, denn jetzt galt es, den schwimmenden Hindernissen auszuweichen, die noch immer schneller dahintrieben als sie.
Erst als sich ihre Geschwindigkeit dem Wasser angepasst hatte, konnte sie zu ihm eilen.
Er stöhnte, als sie ihn auf die Beine zog und in Richtung des Leinenballens schleppte. Sie hatte darauf gehofft, Haderer würde sich erbarmen und mithelfen, doch der sah nur stur geradeaus und achtete nicht auf sie und den Flößer.
Allerdings zeigte sich auch eine andere Zerstörung. Das provisorisch zusammengebundene Floß begann sich zu teilen. Dort, wo Ann-Kathrins Axt die Wieden getroffen hatte, klafften die Baumstämme wieder auseinander – und zwar weiter als zuvor.
Der Tag graute herauf und gab den Blick auf eine zerstörte Uferlandschaft frei. Die Welle hatte sich in den Auwald hineingefressen und ihn teilweise gerodet. Doch es zeigte sich auch, dass der Uferstreifen langsam, aber sicher die Welle bremsen würde. Je weiter sie kamen, desto schmaler wurde das Band der Zerstörung, und als sich das erste Sonnenlicht über den Horizont legte, war von den Verwüstungen, die sie weiter oben noch begleitet hatten, nichts mehr zu sehen.
»Wir müssen ans Ufer!«, schrie sie Haderer zu, der sich noch immer nicht rührte. »Ans linke Ufer!«
Sie lehnte sich gegen das Ruder und drückte damit das Floß aus der Mitte des Flusses. Der Geselle vor ihr drehte sich zwar nicht um, schien aber mitzumachen, denn auch er lenkte in die von ihr vorgegebene Richtung.
Ann-Kathrin hielt Ausschau nach einem Landeplatz. Er sollte etwas sandig oder kiesig sein, um das Floß an der Spitze auflaufen lassen zu können. Wenn sie dann weiterfuhren, musste er es leicht wieder freigeben, wenn sie das Floß zurück in die Mitte drehte.
Doch sie sah bislang nur Wald, Wald und wieder Wald. Ab und zu hörte man Peitschen knallen und vernahm das Schlagen von Rädern. Westlich von ihnen verlief die alte römische Via Claudia Augusta, die immer noch benutzt wurde. Auf ihr bewegten sich Fuhrwerke nach Süden und nach Norden. Wenn sie Glück hätten und einen gut einsehbaren Landeplatz fänden, würde ihnen vielleicht einer der Fuhrwerker helfen. Sie überlegte, ihren Hut abzusetzen und ihr Haar offen fallen zu lassen, denn einer Frau gingen diese Männer gewiss lieber zur Hand als den als rau bekannten Flößern.
Sie gab kurz ihr Ruder frei und löste eine Eisenkralle, die an einem Tau aus Haselnussruten hing und mit dem Floß verbunden war, und legte sie sich zurecht.
Endlich zeigte sich eine Biegung, die in einem langen Bogen nach Osten wies. Auf der Innenseite würde sich vielleicht eine seichtere Stelle finden. Ann-Kathrin stemmte sich in das Ruder. Mit jeder Steuerbewegung spreizte sich das Floß weiter. Wenn auch die mittleren Wieden rissen, dann würde die Ware vom Floß rutschen und sang- und klanglos vom Lech verschluckt werden.
Ann-Kathrin steuerte ein geeignetes Uferstück an und schrie noch, sie sollten sich alle festhalten, als das Gefährt mit einem Ruck hängen blieb und es Haderer von den Beinen riss. Sie sah noch, wie er nach vorn geschleudert wurde und kopfüber ins Wasser stürzte, sich aber an der Stange festhalten konnte, bevor es ihn weitergespült hätte.
Sie hatte keine Zeit, sich um ihn zu kümmern. Sie nahm die Eisenkralle, warf sie mit aller Kraft in das Gestrüpp. Das Floß, das sofort gestockt hatte, wurde jetzt vom Wasser erfasst und begann langsam am Heck wieder auf das Wasser hinauszutreiben. Doch dann gab es einen Ruck. Die Kralle hatte gegriffen.
»Endlich!« Ann-Kathrin entfuhr ein Stoßseufzer.
Das Floß schlug mit der Längsseite ans Ufer. So lag es zwar falsch, nämlich mit dem Bug voraus, aber sie konnten es wieder sauber drehend in die Flussmitte steuern, wenn sie fertig waren. Allerdings war dann eine doppelte Wendung fällig.
Sie sah zuerst nach Säule, der unverändert dalag, fieberte und kaum bei Bewusstsein war. Sie packte ihn, und mit seiner Hilfe legte sie ihn auf den Leinenballen. Schwer atmend ging sie zu Haderer. Der Geselle hatte sich wieder auf das Floß wuchten können. Nun saß er auf den Stämmen, die Beine im Wasser, und keuchte laut.
»Wolltet Ihr mich loswerden?«, fuhr er Ann-Kathrin an.
»Wäre es schade um Euch gewesen?«, blaffte sie zurück. »Auf jetzt, sonst verkühlt Ihr Euch«, befahl sie harsch. »Außerdem brauche ich jemanden, der mir zur Hand geht.«
»Und Ihr glaubt, das wäre ich?«, stieß Haderer hervor. »Haltet Euch an Säule. Der weiß, was er tut. Hoffentlich.«
Ann-Kathrin konnte nur den Kopf schütteln. »Was seid Ihr nur für ein selbstbezogener Widerling?«, fauchte sie. »Aber ich komme auch ohne Euch zurecht.«
Das hoffte sie zumindest.
Sie besah sich den Schaden, der entstanden war, als sie die Wiede durchschlagen hatte. Die Reparaturstelle hatte sich weiter gelöst. Das Tau aus Haselnussruten war aufgegangen, und so hatten sich weitere Stämme gelockert. Sie musste die Hölzer zusammenführen und mit Wieden verknüpfen. Allerdings gab es ein Problem. Sie hatte nicht genügend Taumaterial, um das zu tun. Sie brauchte Verstärkung. Sollte sie so lange warten, bis einer der anderen Flößer mit seinem Gefährt vorbeischwamm und ihn nach Wieden fragen? Wenn es mit rechten Dingen zuginge, dann mussten in den nächsten Stunden mindestens sechs weitere Flöße vorbeikommen. Also hieß es warten.
Sie setzte sich auf eine der Warenkisten und betrachtete Säule, den sie wieder auf den Ballen gelegt hatten.
»Wollt Ihr nicht anfangen?«, ließ sich Haderer vernehmen.
»Kann ich allein nicht!«, antwortete sie mürrisch. »Ihr könnt aber Euer Säckel schnüren und zu Fuß weitergehen, wenn ich Euch zu langsam bin. Außerdem muss ich mich um Säule kümmern.«
Sie ging hinüber zu dem Flößer, der, eingewickelt in eine klatschnasse Decke, schlief und schnarchte. Seine Stirn fühlte sich glühend heiß an.
Ann-Kathrin ging zu einem Bündel, das fest verschnürt und gleichzeitig mit einer Schweinsblase gesichert war, damit es nicht untergehen konnte. Sie begann, das Wachstuch aufzubinden, und legte eine Ledertasche beiseite, die in eine weitere Decke eingewickelt gewesen war.
Wieder begann sie, dem Flößer die nassen Sachen vom Leib zu ziehen. Sie wickelte ihn in die trockene Decke. Diesmal beschwerte sich Haderer nicht.
Er starrte unentwegt auf die Ledertasche. »Woher wisst Ihr, dass das Kupfer den Fuggern gehört?«, erkundigte er sich. »Ist das nicht ein ungewöhnlicher Weg, über Füssen nach Augsburg?«
Ann-Kathrin drehte sie sich zu ihm um, die nasse Decke in der Hand, die sie zum Trocknen über einem der Warenballen ausbreitete.
»Was interessiert Ihr Euch dafür, woher Fugger sein Kupfer nimmt? Es sind, wenn ich es recht sehe, etliche bereits benutzte Platten, die er irgendwo hat abtragen lassen.«
»Ihr wisst, was in den Kisten ist?«, hakte der Geselle sofort nach.
»Natürlich. Ich habe geholfen, sie zu vernageln.«
»Und wieso seid Ihr sicher, dass sie dem Fugger gehören?«
Sie verengte die Augen zu Schlitzen und betrachtete den Gesellen, der aussah wie eine nasse Ratte. Die langen Haare klebten ihm im Gesicht und verlängerten seine Nase zu einer spitzen Schnauze. Sein Blick war durchdringend neugierig.
»Warum interessiert Euch das?«, fragte sie misstrauisch.
»Ich bin Schmied und Bronzegießer – und da ist es immer gut, wenn man weiß, woher das Metall kommt, mit dem man umgeht.«
Ann-Kathrin drehte sich um und wrang Säules Kleidungsstücke aus, die sie ebenfalls ausbreitete. Dabei deutete sie auf die schwarze Ledertasche.
»Da drin sind die Aufzeichnungen, die belegen, was auf dem Floß hier für wen bestimmt ist. Die Frachtunterlagen.«
»Und nur ihr transportiert Fugger-Kupfer? Die anderen Flöße nicht?«
»Ja. Ausreichend. Es heißt, dass ein Dach instandgesetzt werden muss. Aber das glaube ich nicht. Wer macht seine Dächer schon aus Kupfer? Vermutlich haben wir nur falsch verstanden, wofür das Metall gebraucht wird.« Sie lachte und schüttelte den Kopf über diese merkwürdige Idee, ein Dach aus Kupfer zu fertigen.
Haderer lachte nicht, sondern hob den Kopf. »Vermutlich habt ihr nur etwas falsch verstanden«, plapperte er ihr nach. Doch der Blick, den er ihr zuwarf, sagte ihr, dass sie mit ihrem Spott danebenlag.
Verunsichert holte sie aus dem Bündel noch etwas Brot und Käse und reichte dem Gesellen jeweils ein Stück. Langsam begann sie zu essen und merkte erst jetzt, wie hungrig sie war. Sie kaute gemächlich und musterte den Fluss und die Biegung, ob ein weiteres Floß auftauchte. Doch sie hörte und sah nichts.
Wäre sie jetzt allein mit Säule gewesen, hätte sie sich einfach auf die Stämme gehockt und ihrem Drang nachgegeben, Wasser zu lassen. Aber das ging nicht, weil der Geselle neben ihr stand. Sie suchte das Ufer nach einer Stelle ab, an der sie ihre Notdurft verrichten konnte, ohne gleich weggeschwemmt zu werden oder im Uferschlamm zu versinken. Sie nickte ihm kurz zu, bat ihn, auf das Wasser und die kommenden Flöße zu achten, und sprang an Land. Hinter einem Busch erleichterte sie sich.
Noch im Weggehen beobachtete sie, wie Haderer aus seinem Bündel ein in Öltuch eingewickeltes Brett holte, auf das mehrere Blatt Papier gespannt waren.
Als sie wieder zurückkam, hatte er die Wachstuchtasche mit den Proviantresten und der Ledertasche bereits wieder zu einem Bündel verschnürt und saß da und zeichnete.
»Ihr könnt malen?«, fragte sie.
»Zwangsläufig. Wenn man auf das Aushärten der Bronze wartet, wenn man eine neue Gussform erstellen will, wenn man Ideen niederschreiben muss, dann sind ein Blatt Papier und Kohle mehr als ein Zeitvertreib.« Er sah sie von unten an. »Setzt Euch auf den Ballen zu Säule.«