Die Torstein Saga Band 2 - Oliver Grudke - E-Book

Die Torstein Saga Band 2 E-Book

Oliver Grudke

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Beschreibung

Marius ist zurück in der Welt der Menschen. Doch nur er und Harms haben es geschafft. Gleichzeitig wächst eine neune dunkle Macht heran. Eine die teuflischer ist als der Tod selber. Die Feinde verbinden sich und stellen Marius eine Falle, aus der es kein entrinne gibt. teil 2 der Torstein Saga um Feen, Hexen und viel Magie.

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Seitenzahl: 445

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Oliver Grudke

 

 

Die Torsteine Saga Band 2

 

Occidere Maledicta

 

 

 

 

© 2024 Oliver Grudke

 

Website: www.torsteine.de

Lektorat im Auftrag von torsteine.de

Coverdesign von: torsteine.de

Verlagslabel: torsteine.de, www.torsteine.de

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Oliver Grudke, Ebingerstraße 52, 72393 Burladingen, Germany. 

Die Torsteine Saga

Band 2

Occidere maledicta

Prolog

Das Böse! Ist es eine Person? Ist es eine Krankheit? Oder ist es in uns wie das Blut, das unseren Organismus am Leben erhält.

Sind Sie böse?

Nein?

Keine bösen Gedanken gegen den Nachbarn, den Autofahrer, der Ihren Parkplatz wegschnappt oder Sie rüpelhaft überholt?

Nie gehabt?

Sind Sie- wenn auch nur gelegentlich- egoistisch, neidisch, nur auf Ihren Vorteil bedacht, sei es auch nur in diesem Moment?

Was denken Sie, wenn Sie im Fernsehen Berichte über Katastrophen sehen?

Gut, dass es weit weg ist!

Gut, dass es mich nicht trifft!

Die sind ja selbst schuld!

Gibt es nicht Menschen, welche Sie am liebsten vom Erdboden verschwinden lassen wollen?

Ja! Auch Sie haben wie wir alle das Böse gespürt. Es ist in uns, von Geburt an hat es Besitz von uns ergriffen. Es herrscht ein stetiger Kampf zwischen Gut und Böse in uns. Böse zu sein ist oft leichter als gut. Zu lügen ist leichter als die Wahrheit zu sagen, der krumme Weg oft bequemer als der gerade Weg.

Zu leicht ist es, das Gute zu verlassen und dem Bösen zu folgen. Meist gibt es dann kein Zurück. Man ist im Abwärtsstrudel bis zum Aufschlag.

Tod!

Vergessen!

Ehrlos!

Violett!

Er war außer Atem. Was nicht unbedingt daran lag, dass er eine schlechte Kondition hatte, sondern eher daran, dass er nun schon zwei Tage lang rannte. Auch durch das kleine Portal musste er sich zwängen. Es kam ihm schon fast so vor, als wäre es geschwunden. Noch kleiner: und die Seinen besäßen kein Portal mehr.

Dies würde ihre Aufgabe sehr erschweren oder fast unmöglich machen. Das kleine Papierkügelchen wurde auch von Stunde zu Stunde schwerer. Der Weg hinter dem Portal war steinig, die Luft stickig und voller Schwefel. Er fragte sich, wer es wohl geschafft hatte, bei dieser Umgebung die steinernen Stufen in den Fels zu hauen.

Doch für ihn waren es ja keine Stufen. Wie ein Hindernisläufer musste er bergauf sein ganzes Körpergewicht mit Schwung von Stufe zu Stufe wuchten, und bergab musste er sich sogar auf allen vieren langsam herunterlassen.

Doch seine Mission war wichtig. Wichtig für ihn, der sicherlich fürstlich entlohnt werden würde und wichtig für die Hexe. So nannten sie jedenfalls alle. Er war ja noch nie bei ihr, doch die welche vor ihm da waren, kamen-wenn überhaupt- verstört zurück und starben binnen Jahresfrist.

Lächerlich!

Er war anders! Jung und motiviert. Zäh! Und er würde die Bedingungen diktieren. Sie wollten die Information und er seinen Lohn. Fürstlich.

Immer wieder schlugen Lavablasen aus der Schlucht empor, in der ein Strom aus geschmolzenem Stein floss. Einmal hatte ihn fast ein Funke erwischt. Aber nur fast.

Er war auch schon zu trocken. Die Hitze und die trockene Luft hatten sein Holz fast ausgedorrt. Deshalb knarrte nun jede Bewegung zunehmend.

Doch es gab kein Wasser. Wasser war für die Wurzelgnome wichtig. Ohne begannen sie zu verdorren. Das wusste er. Doch es half nichts: hier gab es kein Wasser.

Er hatte mal von einem Wurzelgnom gehört, der war so ausgetrocknet, dass er bewegungsunfähig mehrere Tage seinem Tod entgegensehen musste.

Ob das bloß eine Geschichte war, welche sie jenen, die das Portal durchqueren, als Angstmacher mit auf den Weg geben?

Bestimmt.

Doch so langsam wurde ihm mulmig. Was wäre, wenn er den Weg nicht finden würde. Eines war sicher! Er brauchte Wasser- und das ziemlich schnell.

Andererseits konnte er ja nicht vom Weg abkommen, da es ja nur diesen einen gab.

Die Steintreppe entlang des Lavaflusses bergauf und bergab.

Plötzlich- nach der letzten Biegung - sah er einen enormen Bogen aus weißem Stein, welcher die Lavaschlucht überspannte und am Ende des Bogens auf einem dünnen Bergsporn ein dunkles riesiges Schloss. Die Dächer der Türme und die Fenster leuchteten violett.

Der Wurzelgnom lachte! „Endlich am Ziel! Ha, so schwer war das nicht!“ Vor seinen Augen sah er bereits Schätze und Reichtum, Macht und Ansehen, ja vielleicht würde er ja zum neuen Clan Chef ernannt werden. Ja so würde es kommen

Seine Ankunft würde nicht überraschend und nicht geheim sein. Sie wusste es. Sie hatte es gespürt, gerochen und gesehen.

Sie sah alles und jedes. Sie war grausam und unbarmherzig! Sie liebte den Schmerz, das Schreien, das Blut und den Tod. Nur zu ihr konnte er nicht mehr kommen. Sie würde der Tod nicht mehr besuchen. Denn er war hier! Schon vor hunderten von Jahren und hatte vor Ihr weichen müssen.

Sie wartete!

Auf den Gnom und sein Leben!

Der Gestank wurde schlimmer, ja fast schon unerträglich. Seine Schritte wurden langsamer, und dies obwohl es keine Stufen mehr gab und der Weg leichter wurde. Je näher er dem Imposanten Eingangsportal kam umso langsamer waren seine Schritte.

Es gab kein Tor. Links und rechts des Portals lagen angekettete Skelette. Irgendwann einmal waren diese Skelette Wachhunde oder etwas Größeres. Er wollte es nicht wissen. Auch empfand er das Scheinen des violetten Lichtes als unangenehm. Ihm wurde immer heißer, doch Aufgeben- das gab es für Ihn nicht.

„Komm näher, mein Freund! Ich habe dich sehnsüchtig erwartet. Komm, bring mir deine Gabe“ Die Stimme war kalt. So kalt als könnte sie die Lava zum Erstarren bringen. Auch sah er niemanden, und doch wurde er beobachtet und erwartet.

Warum?

Er hatte niemand von seiner Nachricht erzählt. Er allein hatte allen Mut zusammengenommen und sich durch das Portal gezwängt.

Waxel der Ältere hatte ihn gewarnt, als er nach dem Weg durch das Portal gefragt hatte.

„Nie ist einer gesund wiedergekommen!“ hatte Waxel gesagt.

„Alles Feiglinge!“ hatte er geschrien.

Doch dann erstarrte der Mutige Wurzelgnom.

Da lagen Sie. Freunde und Verwandte. Trocken und verdorrt. Tod!

Niemand hatte sich um die Überreste gekümmert. Wie ein trockener Stapel Holz. Bereit zum Verbrennen.

Sein Durstgefühl wurde stärker. Es war eigentlich unerträglich. Wasser- er brauchte Wasser. Seine Beine knirschten wie das Holz einer alten Eiche.

„Komm zu mir und du wirst klares kaltes Wasser erhalten. Siehe, ich zeige dir den Weg“

flüsterte die kalte Stimme, und wie von Geisterhand zeichnete sich eine violette Linie des Wegs ab.

So schnell er konnte folgte er dem obskuren Wegweiser.

Jetzt war der Durst das einzige, an das er denken konnte. Für alles Geld und Gold der Welt würde er einen Tropfen Wasser eintauschen. Seine Beine spürte er nicht mehr.

Endlich stand er in einer düsteren Halle, welche nur von violettem Licht und einem violetten Feuer in einem riesigen Kamin erhellt wurde. Vor ihm stand ein Sessel, in dem eine Gestalt mit dem Rücken zu ihm saß. Eine Hand aus verfaultem Fleisch - knöchern und mit langen violetten Fingernägeln - bedeutete ihm das Papierkügelchen zu übergeben. Wortlos.

Sie las die Worte:

Er kommt!

Und verstand alles.

„Wasser!“ bettelte der Wurzelgnom. All sein Streben nach Reichtum und Macht waren verblasst. Wasser: er hatte es im Überfluss und wusste doch nicht, wie reich er daran war. Sie stand auf. Ihr langes, krauses, ungepflegtes Haar strich sie mit der verfaulten Hand aus ihrem Gesicht. Alles an ihr war verfault und tot. Und doch lebte sie. Sie wollte sehen, wie er starb. Sich daran laben und dem violetten Feuer neue Nahrung geben.

Wahrscheinlich hörte sein Herz auf zu schlagen, bevor er verdorrte. Es spielte keine Rolle.

Er war tot.

Rums! Der Aufschlag war hart, und danach überschlug sich Marius noch etwa zweimal.

„Aua!“ sein Rücken tat ihm weh und er tastete in der Dunkelheit nach dem Etwas, auf das er aufgeschlagen war.

Eine Buche. Ja jetzt roch er es auch. Der Duft eines modrigen Buchenwaldbodens. Für einen Augenblick genoss er es. Es fühlte sich gut an. Sicher!

„Hallo!“ schrie er und bekam keine Antwort. Sehen konnte man auch nichts, da es ja stockdunkel war. Wo war er bloß, und wo waren die anderen.

Plötzlich hörte er Schritte im Laub. Langsam und mit Bedacht kamen diese auf ihn zu. Mist, wer war das. Zsora? Rufen wollte er lieber nicht, dann würde derjenige sofort wissen, wo er war. Es war zu dunkel. Angestrengt versuchte Marius durch das Zukneifen seiner Augen etwas zu erkennen. Nichts. Wie in einem Keller. Mist. Die Schritte kamen näher und steuerten zielsicher auf ihn zu. Konnte derjenige besser sehen? Sollte er lieber hinter der Buche in Deckung gehen? Wo waren die anderen?

„Na, hart aufgeschlagen?“ sagte Harms.

„Harms du hast mich erschreckt! Wo sind die anderen?“

„Ich habe bisher außer dir niemanden gefunden. Irgendwie habe ich das Gefühl, es ist etwas schiefgelaufen! Oder geht das immer so ab?“

„Was fragst du mich. Das ist schließlich auch erst das zweite Mal.“ Mürrisch richtete sich Marius auf. Er wusste zwar, dass Harms da war, doch sehen konnte er ihn immer noch nicht.

„Sag mal, kannst du was sehen?“

Harms lachte „Ja natürlich, du nicht?“

Marius kam sich blöd vor. Offensichtlich sahen Kelten in der Dunkelheit besser als Marius.

„Wir müssen die anderen suchen!“ sagte er nun entschlossen. Doch Harms hatte sich bereits an die Buche gelehnt.

„Noch zwei Stunden bis Sonnenaufgang. Das heißt: in einer Stunde dämmertes. Dann können wir mit der Suche beginnen. Ich weiß nicht wo wir sind und wer noch alles hier ist. Ich sehe mein Gegenüber lieber vorher. Gibt einem einen ungeheuerlichen Vorteil.“

Marius nickte. Er wusste, Harms hatte recht. Doch Geduld und Warten waren nicht seine Stärke.

Harms war sofort eingeschlafen. Die Ereignisse der letzten Tage nagten doch sehr an ihm. Viele Gefährten waren tot, und die Bedrohung war stärker geworden. Er wusste auch nicht, ob er eines Tages siegen würde. Vielleicht waren ja alle verloren. Doch im Moment spielte es keine Rolle. Er war müde und musste schlafen. Tief und fest.

Ein gellender Schrei ließ den Krieger hochfahren. Sofort hatte er seine Lanze bereit, um sich dem Angreifer zu stellen. Doch wer war der Angreifer? Woher kam der Schrei?

Er sah nur einen vor Freude jubelnden Marius.

„Es hat funktioniert! Sieh nur, ich bin zu Hause, ich weiß wo wir sind, komm.“

Marius war außer sich vor Glück. Ja er war zu Hause. Ja war das hier sein zu Hause?

Als er diese Worte herausschrie, wurde ihm bewusst wie falsch sie klangen und wie falsch sie waren. Hier war er nicht mehr zu Hause. Sein zu Hause war das Schloss, Niangeala, das Glück und der Friede, der dort einst herrschte und…. Zsora!? Er war verwirrt, doch nun galt es zu handeln. Wie lange war es her? Jahre? Tage? Oder nur Sekunden als er seine Mutter verließ. Er war feige, doch jetzt war er zurück. Alles würde nun gut werden. Jetzt würde er diese Missgeburt zur Rechenschaft ziehen.

„Auf geht es Harms, komm schon“ schrie er und war bereits einige Meter den Hang hinuntergerannt. Wie er das, ohne zu stürzen schaffte, war ihm ein Rätsel. Auch stellte er sich nicht die wichtigen Fragen wie zum Beispiel „Wo waren die anderen?“

Ein Ast, welchen Harms in geschickter Manier geworfen hatte, brachte Marius zu Fall und auch wieder etwas zur Besinnung.

„Aua, sag mal spinnst du“ schrie ein wütender Marius den Hang hinauf zu Harms.

„Warte einfach, und renne nicht weg!“ brummte ein müder und mürrischer Harms.

„Warten, worauf? Ich habe genug gewartet! Jetzt gehe ich meine Mutter retten!“

„So wie du aussiehst?“ Dies war eigentlich keine Frage, sondern eine spöttische Feststellung. Marius begann an sich herunter zu sehen. Harms hatte ja recht. Er war zurück in der Menschenwelt im 21 Jahrhundert und war gekleidet wie ein Knappe aus einem der alten Hollywood Filme. Vielleicht sah er auch wie ein Hofnarr aus. So genau wollte Marius es gar nicht wissen.

„Wenn wir so in dein Dorf gehen, werden alle auf uns aufmerksam!“ tadelte Harms.

„Ist mir doch egal“ antwortete Marius trotzig.

Harms sagte nichts, sondern zog nur eines seiner roten buschigen Augenbrauen hoch.

„Hamm, gut was schlägst du vor?“

„Wir warten bis es dunkel wird, und dann…“

„Nein, nie!“

„Na wie ist deine Idee?“

„Wir schleichen uns von den Feldern her über den Bach zu unserem Haus. Da ist nie jemand und wenn doch - keiner dem irgendetwas auffallen würde. Die sind hier alle etwas einfältig. Bei uns zu Hause können wir dann andere Kleidung besorgen!“

Harms sah, wie wichtig es seinem Freund war. Auch waren schon genug Fehler begangen worden, in deren Folge Menschen gestorben waren. Er willigte ein, beschloss aber, sehr wachsam zu sein. Er war noch nie in der Welt der Menschen. Hier herrschte der Tod schon länger als in Niangeala. Neid und Missgunst sind seine ständigen Begleiter. Er beschloss für sich, hier niemandem zu vertrauen.

„Da wäre noch eine Frage Harms: Wo sind die anderen?“

„Marius mein Freund, ich weiß es nicht, aber es beunruhigt mich sehr.“

Mit sicheren Tritten führte Marius seinen Freund über einen kaum zu erkennenden Trampelpfad weiter hinunter ins Tal. Beide schwiegen und doch lauschten sie auf alles, was ein Geräusch verursachte.

Nach einer Stunde traten sie durch eine Reihe Schwarzdornhecken auf eine buckelige Streuobstwiese hinaus. Vor ihnen lag ein kleines Dorf, welches von einer viel zu großen Kirche dominiert wurde.

„Das ist dein Heimatdorf?“ fragte Harms

„Ja hier bin ich aufgewachsen. Dort ist die Kirche, in der der grüne Stein lag.“

Die Wiesen standen im saftigen Grün, und Marius schätzte den Monat auf Ende Mai. Dies war komisch, da er doch mitten im Winter wegging und Zsora sie ja zum gleichen Zeitpunkt zurückbringen sollte. Eigentlich! Fragen konnte er sie ja nicht. Sie war verschwunden.

Ein flaues Gefühl machte sich in ihm breit. Plötzlich hatte er Schweißperlen auf der Stirn.

Dieses blieb auch Harms nicht verborgen.

„Was hast du?“

„Komm!“ sagte der Torgänger nur, und seine Hand lag auf dem Dolch, welchen er von Veronika bekommen hatte, und der nun ständig über seiner Brust in einer ledernen Scheide hing.

Harms rannte hinter dem immer schneller werdenden Marius durch das immer noch sehr nasse und fast meterhohe üppige Gras her. Er war das Rennen ja gewohnt, konnte heute jedoch kaum Schritt halten. Mit einem Satz übersprangen beide einen kleinen Bach und standen nun vor einem verrotteten Tor aus Holz. Dahinter begann das Chaos erst recht. Unkraut wucherte überall. Das war, oder ist der Gemüsegarten seiner Mutter. Sie hatte ihn gehegt und gepflegt. Warum hat sie ihn nur so verwildern lassen. Aber das war egal. Er war ja jetzt groß und stark. Im Handumdrehen würde er das wieder hinkriegen. Für seine Mutter.

Plötzlich blieb Marius wie angewurzelt stehen. Dort wo der hintere Eingang zur Küche war lag eine junge Frau nackt in der Sonne. Harms merkte die aufkommende Gefahr sofort. Er schlug den Griff um seine Lanze noch fester und war bereit einen Angriff abzuwehren.

„Wer sind sie?“ stammelte Marius während die junge Frau kreischend und um Hilfe schreiend über die Veranda in die Küche seiner Mutter rannte.

Unvorbereitet traf den jungen Torgänger der Aufschlag des alten Ascheimers. Marius ging sofort zu Boden.

„Du perverses Schwein was spannst du hinter meiner Freundin her?“

Doch bevor Hans es schaffte, auf den am Boden liegenden Marius einzutreten, hatte ihn der Schlag von Harms mit der Lanze von den Füßen gerissen und ebenfalls zu Boden geschleudert.

Schneller als erwartet stand Marius wieder auf den Füßen.

„Harms halte ihn in Schach, ich hole meine Mutter und dann…“

„Hahaha, deine Mutter, ja hol sie doch! Aber da solltest du auf den Friedhof gehen, du Missgeburt.

Es war als steche man Marius mitten ins Herz. Er konnte die Kälte des Stahls förmlich fühlen. Alles was ihn in der letzten Zeit am Leben erhielt, war in einem Augenblick zerronnen.

„Nein, du lügst!“ schrie er und stürmte ins Haus.

Harms wusste es. Er sah in die Augen des Mörders, und er spürte den Schmerz seines Freundes. Nichts was er sagen oder tun würde, konnte nun helfen. Doch er würde an Marius Seite bleiben.

„Ah du, dich kenne ich doch. Ich denke wir haben noch eine Rechnung offen.“ Hans wollte aufstehen, doch Harms schlug ihm mit dem Knauf seiner Lanze alle Zähne ein.

„Die Rechnung ist beglichen“ sagte Harms nun trocken, während Hans blutspuckend vor Schmerzen schrie.

Marius hatte das ganze Haus abgesucht. Keine Spur seiner Mutter. Nichts. Sogar die Türe ins Schlafzimmer hatte er aufgebrochen, nachdem die Nutte sich dort verbarrikadiert hatte. Nichts. Sie war geflohen, weg von ihm. Tot - das war sie nicht. Zsora hatte es ihm versprochen! Zur rechten Zeit zurück. Das hatte sie gesagt. Nun würde er diese Ausgeburt der Hölle zum Sprechen bringen.

Langsam schritt er die ausgelaufene Holztreppe in den Garten hinunter.

Dort lag Hans in einer Blutlache und wimmerte. Marius blickte zu Harms, und dieser zuckte nur mit seinen Schultern.

„Na, ich sollte ihn doch in Schach halten, oder?“

Marius ging in die Hocke und packte den blutüberströmten Hans.

„Wo ist sie? Ich frage das nur einmal!“

Hans lächelte „Auf dem Friedhof verscharrt, und weißt du was? Ich war`s! Ich habe sie totgeschlagen.

Marius zog sein kleines Schwert und wollte zustoßen, doch Harms hielt ihn mit beiden Händen zurück.

„Nicht mein Freund, er wird von den Gerechten gerichtet. Lass dich nicht von denen führen, die unseren Untergang wollen. Wir töten nur um uns zu verteidigen, nicht aus Rache, denn sonst sind auch wir dem Bösen geweiht.“

Nur langsam lockerten sich die Muskeln von Marius, und er ließ das Schwert fallen.

„Harms, sie ist nicht tot, wir müssen sie suchen!“ stammelte Marius, und die erste Träne lief über seine Wange.

„Ja wir suchen sie!“ sagte Harms und doch wusste er, dass die Mutter von Marius tot war. Auch wusste er von dem Versprechen von Zsora, doch die Zusammenhänge blieben ihm noch im Dunkeln.

Hans nutzte die Gelegenheit, griff das Schwert und stach zu. Doch der Hieb traf ins Leere denn Harms hatte Marius zur Seite gestoßen, um dann mit seiner Lanze den Kopf von Hans zu zerschmettern.

„…wir töten nur um unser Leben zu schützen! So steht es geschrieben!“ sagte der Kelte und spuckte auf die Leiche von Hans.

„Mörder, Hilfe, Mörder, so helft mir doch!!“ schrie die Nutte aus dem Küchenfenster.

Harms packte Marius und zog ihn hinunter zum Bach.

„Wir müssen jetzt weg von hier, sofort!“

„Aber ich muss noch meine Mutter suchen. Zu lange habe ich darauf gewartet, ich laufe nicht weg!“

„Also, ich weiß nicht wie das bei Euch so ist, doch denke ich, dass es gleich von Polizei nur so wimmeln wird. Die werden uns verhaften, und dann können wir deine Mutter ein paar Jahre nicht suchen. Wir ziehen uns in den Wald zurück und kommen im Schutze der Dunkelheit wieder. Gut?“

„Ja!“ sagte Marius mürrisch wusste aber, dass Harms recht hatte.

Sie hatten die Wiesen noch nicht erreicht, als bereits die Martinshörner durch das ganze Tal heulten. Als sie den Wald erreichten, übernahm Marius die Führung. Er wusste, wo ein sicherer Platz war, an dem sie auf die Nacht warten konnten.

Mitten in einer mehrere Hektar großen Fichtenschonung unter einer aus dem alten Wald übrig geblieben Fichte konnten die Kämpfer sich ausruhen. Nur Marius und sein Vater kannten den alten geheimen Weg. Er war von außen nicht zu erkennen, und doch war er breit genug, um befahren zu werden.

Zum Heulen war ihm zu mute. Doch er wollte sich nicht wie ein Kind benehmen. Nicht so lange Harms dabei war. Auch machte sich der Hunger langsam breit. Zu essen hatten sie nichts. Wenigstens gab es eine Quelle mit sehr weichem, leckerem, frischem, kühlem Wasser.

„Hier, trink das!“ Harms reichte Marius eine tönerne Flasche mit Korkenverschluss.

„Was ist das?“

„Es gibt Kraft!“

„Ich trinke nichts, von dem ich nicht weiß was es ist!“

„Mann, das ist Met. Bier gebraut von meinem Volk. Trink - das ersetzt die Nahrung über Tage und gibt Kraft.“

Widerwillig nahm Marius zuerst nur einen kleinen Schluck. Es schmeckte würzig und aromatisch. Es war eine sehr dickflüssige Masse, doch es schmeckte gut. Bereits nach dem ersten Schluck entspannte sich sein Körper und er merkte, wie die Kraft wieder in ihn zurückkam. Es tat ihm gut.

„He, nicht so hastig! Du musst dir Zeit lassen, sonst steigt der Alkohol in deinen Kopf und beraubt dich deiner Sinne.“

Marius nickte.

„Wo beginnen wir mit der Suche? Hast du Verwandte oder Freunde hier?“

Marius schüttelte den Kopf.

„Nur Herrn Hofer den Messner!“

„Gut den suchen wir auf!“ Harms hielt dies für die beste Idee. Sollte - und da war er sich fast sicher - die Mutter von Marius tot sein, so würde es der Messner am besten wissen.

„Aber wir warten, bis es dunkel wird, ja?“ Doch dies hörte Marius nicht mehr. Der Alkohol war doch in seinen Kopf gestiegen und hatte ihn schlafen geschickt. Damit wurde er ruhiger, denn bis Sonnenuntergang war es noch eine lange Zeit. Es war besser sich die Zeit mit Schlafen zu vertreiben als mit den Gedanken an das Unvermeidliche. Bald würden Sie es wissen. Doch Harms war sich sicher. Er hatte in die Augen eines Mörders geblickt. Einer der geschickt wurde zu töten.

Harms musste Marius wecken. Der Himmel zeigte bereits rote Streifen, und es wurde schon dunkel. „Die beste Zeit“ dachte Harms.

Marius war brummig und fluchte leise vor sich hin. Alles sei gegen ihn und überhaupt. Auch merkte Harms, dass er noch etwas unsicher auf den Beinen war. Dies lag wohl am Alkohol. Rein äußerlich war Marius nun ein junger Mann, doch der Geist hatte die rasante von Zsora veranlasste Entwicklung nicht so schnell mitgemacht.

Sollte es zu einem Kampf kommen, so wäre Marius, der ja eh noch nicht als Kämpfer ausgebildet wurde, jetzt noch gefährdeter. Wenn nur Zsora oder Cranford da wären, ja wenn!

Langsam gingen sie zurück in Richtung Dorf. Marius hatte wider die Führung übernommen. Er kenne den Weg auch blind, hatte er Harms wissen lassen, und schwieg seither.

Harms konnte nur erahnen, was in dem Torgänger vor sich ging. Panik machte sich in Marius breit. Mit jedem Schritt, den sie dem Dorf, der Kirche und dem daran angrenzenden Friedhof näherkamen, wuchs seine panische Angst. Sein Gefühl sagte ihm, dass Hans die Wahrheit gesagt hatte. Vielleicht das einzige Mal in seinem verdammten Leben. Doch er wollte es nicht glauben. Zsora hatte es ihm versprochen. Sie würde ihn nicht belügen. Nicht sie!

Endlich standen die Männer an der Mauer, welche den Friedhof vom angrenzenden Bach trennten. Da mussten sie hoch klettern. Was Harms besser gelang als Marius.

„Alles liegt im Dunkeln! Meinst du, es ist jemand in der Kirche?“ flüsterte der Kelte.

„Natürlich! Herr Hofer ist fast immer dort. Zu Hause habe ich ihn nur sehr selten angetroffen. Er betet meist die ganze Nacht, nur im Schein einer Kerze.“

In gebückter Haltung schlichen die Männer zwischen den alten und sehr hohen Grabsteinen entlang. Für Harms war ein Friedhof was Sonderbares. Sein Volk verbrannte die Toten, um ihnen so den Einzug in die Ewigkeit zu ermöglichen. Doch zu viele seines Volkes waren von den Seelenjägern getötet und ihrer Seele beraubt worden. Dann gab es keine Rettung und keinen Einzug in die Ewigkeit.

„Mist! Wie ist das möglich?“ schrie Marius viel zu laut.

„Psst! Mensch wir werden gesucht. Sei leise! Was ist denn?“

„Die beschissene Tür ist zu. Die ist zu dieser Stunde nie zu! Das gibt es doch nicht!“

„Tja dann ist wohl niemand zu Hause!“ Harms konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

„Komm, wir brechen die Tür auf“ sagte der Krieger und griff nach seinem Spieß.

Marius musste an seinen Freund denken und wie viel ihm die Kirche bedeutete. Er konnte es nicht zulassen, dass sie beschädigt würde.

„Nein, warte!“ schrie Marius wieder zu laut. „Warte - ich habe einen Schlüssel!“

Und tatsächlich in seiner Tasche, in der er den GRÜNEN STEIN aufbewahrte, steckte noch der Schlüssel, den er damals aus der Sakristei mitgenommen hatte.

Vorsichtig steckte er ihn ins Schloss: es knackte.

„Er passt noch“ bemerkte Marius und langsam mit einem für Harms zu lauten Knarren schoben die Männer die Türe auf.

Plötzlich standen die beiden vor einer provisorischen Wand aus Brettern. „Betreten verboten! Lebensgefahr! Erzbischöfliches Bauamt! Stand dort mit weißen Buchstaben auf einer roten Tafel.

Marius wurde kreidebleich.

Harms ließ ihnen zum Nachdenken keine Zeit. Mit einem Hieb entfernte er die Bretter, und sie konnten in das Kirchenschiff eintreten. Überall lag Geröll und Schutt. Die Brandspuren ihres Kampfes gegen die Seelenjäger waren noch deutlich zu sehen. Teile der Bänke waren verbrannt oder herausgerissen.

„wa…wa…waren das wir?“ stammelte Marius.

„Offensichtlich!“

„Aber dann ist meine Mutter nicht tot! Dann hatte Zsora recht, und wir sind fast zur gleichen Zeit zurück wie wir weg sind. Sonst hätten die längst die Kirche wieder repariert, oder Harms?“ Doch die Augen von Harms hatten die anderen Spuren längstens gesehen. Staub auf den Brandstellen. Staub von mehreren Jahren. Und kleine Fußspuren dazwischen. Diese waren jedoch nicht so alt. Auch waren einige der herausgerissenen Bänke ohne Staub. Jemand war hier - vor nicht allzu langer Zeit.

Oder?

Oder Jemand ist hier!

Jetzt in diesem Augenblick!

Mit seiner kräftigen linken Hand schob Harms den verdutzten Marius leicht hinter sich, während er mit seiner Rechten den Spieß fest packte.

„Kommt raus, oder ich hole Euch!“ schrie Harms in einem lauten Ton, welcher Marius sehr verwunderte.

„Was ist los?“ wollte dieser wissen.

Doch anstatt einer Antwort begann die Kirche zum Leben zu erwachen. Zumindest hörte es sich so an.

Zwischen Schutt und alten Bänken, ja sogar hinter dem Hochaltar fing es zu knacken an. Dann sah Marius auf einmal einen Hut. Dieser schien zwischen den Eichenbänken langsam auf den Mittelgang hinzuschweben.

„Zwerge!“ knirschte Harms. Und tatsächlich. Sie waren von sehr staubigen, recht modern angezogenen Zwergen umzingelt. Von der oberen Empore zielten zwei dieser Gestalten mit kleinen Armbrüsten auf Harms und Marius. Doch auch wenn diese wie Spielzeug aussahen, so war sich Marius sicher: die Pfeile wären dennoch sehr tödlich.

„Sieh an! Welch ein Glück! Da suchen wir schon den ganzen Tag nach dem GRÜNEN STEIN und dann wird er uns persönlich gebracht. Ich bin Knaster - der Beauftragte von Mollerat, dem neuen Herrscher über Niangeala und die Provinzen. Gebt mir die Tasche und es wird niemand Sterben.“

„Du wirst der erste sein, Zwerg!“ fauchte Harms, der sich aber auch der schwierigen Situation bewusst war. Die Bolzen der Armbrüste wären wohl zu schnell.

„Gut! Versuche es! Töte mich! Auf, los geht es!“ Marius hatte sich plötzlich vor Harms gestellt.

„Wie du es wünscht!“ Knaster verbeugte sich vor Marius und schnippte mit dem Finger.

Doch anstelle der Bolzen flogen beide Armbrustschützen durchbohrt von einer Lanze von der Empore auf den Schutthaufen.

Knaster wurde bleich und versuchte den Speerwerfer zu finden. Vergeblich. Auch die anderen Zwerge gerieten in Panik und wollten die Kirche verlassen.

„Jeder bleibt auf seinem Platz!“ schrie Knaster. Auch Harms konnte die ihnen zu Hilfe geeilte Person nicht ausmachen.

„Ich fordere euch Zwerge auf, die Kirche sofort zu verlassen. Diese Warnung werde ich nur einmal aussprechen!“ sagte eine tiefe Stimme aus dem Dunkeln des Chorraumes.

„Zeig dich du Feigling!“ schrie Knaster.

Dann knackte es, als stürze weiterer Schutt auf den Boden. Ein weißes Licht begann zu leuchten und eine der Figuren, welche an der Wand der Kirche befestigt war, bewegte sich. Es war ein alter Mann mit weißem Gesicht. Marius erinnerte sich. Eigentlich saß der Mann und sah starr auf den Boden. Nun aber stand er, und sein Blick war hart und unerbittlich.

„Dies ist der Ort des GRÜNEN STEINES. Ein heiliger Ort! Dies ist der Torgänger des GRÜNEN STEINES und ihr alle seid tot“ Das waren die letzten Worte des alten Mannes. Dann begann es überall in der Wand zu knacken. Harms warf sich auf Marius und schrie: „Die Kirche stürzt ein!“

Doch dem war nicht so. Aus den Kirchenwänden kletterten halbverfaulte Menschen und Skelette. Teilweise hatten diese noch Kleidung an, welche Marius zum Schluss kommen ließ, dass diese Menschen schon vor hunderten von Jahren gestorben und eingemauert wurden.

Sie waren tot und konnten nicht mehr getötet werden. Aber sie konnten töten und das taten sie auch. Mit bloßen Händen zerquetschten diese Zombies die Zwerge und zerfielen dann zu Staub.

Nun war es ruhig. Langsam stand Harms auf und griff fest nach seinem Spieß.

„Komm lass uns gehen!“ sagte er zu Marius.

„Was waren das für Gestalten?“

„Zwerge! Und das macht die Sache so gefährlich. Die waren auf der Suche nach deinem Stein. Die sind hier und wissen, wo sie suchen müssen.“

„Die meine ich nicht - die aus den Wänden!“

„Deine Vorgänger!“

„Was?“

„Das waren alles Torgänger, welche den Stein über die Zeit beschützt haben. Nun haben sie dich beschützt!“

Marius musste trocken schlucken.

Harms zog Marius ins Freie. Die Nacht war kühl und angenehm. Zwischen den Buchenbäumen am Berg konnte man schon den sichelförmigen Mond aufgehen sehen.

„Dann muss Herr Hofer zu Hause sein. Bestimmt!“

„Wir sollten uns fürs erste zurückziehen. Wir sind in Gefahr und werden beobachtet. Auch weiß ich nicht wo die anderen sind. Eigentlich weiß ich gar nichts“ brummte Harms.

„Nein! Wir müssen zuerst meine Mutter suchen. Dann werden wir tun weswegen wir hier sind. Nämlich die anderen Steine suchen und beschützen!“

Harms nickte.

„Aber zuerst meine Mutter, komm lass uns zum Haus von Herrn Hofer…“ Marius stutzte. Im fahlen Mondlicht sah er den Großen Luchs. Seine rechte Pfote lag auf einem Grabstein. Seine Augen schienen wässrig zu sein und der Blick galt Marius. Es war ein vorwurfsvoller Blick.

Wortlos ging Marius den Weg zum Luchs. Seine Beine wurden immer schwerer, und der Weg kam ihm unendlich vor. Er wollte den Weg nicht gehen, und doch zog der Blick des Luchses ihn an wie ein Magnet. Kaum noch konnte er die Füße heben. Sein Gang wurde schlurfend.

Der Luchs blickte ihn an. Marius konnte diesen Blick fast nicht ertragen. „Wo warst Du?“

Dann sah er das ungepflegte Grab. Anstatt Blumen und einer Kerze war es von Unkraut überwuchert. Doch die Schrift war gut zu lesen.

Im Ewigen Frieden heimgekehrt

Ingrid Gruber geb. Mayer

*18.03.1949 + 01.02.1994

„Nein. Bitte nicht. Nein!“ Marius fiel auf die Knie. Es war das Grab seiner Mutter. Sie war tot. Schon lange und sie waren nicht zum gleichen Zeitpunkt zurückgekehrt, an dem sie gegangen waren. Zsora hatte ihn belogen!

Er hatte seine Mutter im Stich gelassen. Der Schmerz durchbohrte ihn. Warum war er davongelaufen? Warum? Um sich zu schützen! Aus welchem Grund? Er war feige weggelaufen, ohne ihr beizustehen. Er hätte ihr helfen können oder es wenigstens versuchen können.

Das hatte er nicht getan. Feige war er - nur um seine Haut zu schützen -i n die Kirche gerannt. Nun war sie tot. Es waren alle tot! Sein Großvater, sein Vater seine Mutter. Zsora, die er liebte, hatte ihn betrogen. Und nun war auch sie weg. Es gab keinen Grund länger zu kämpfen! Für wen oder für was. Torgänger sei er. Das war ihm egal. Er würde den Stein dorthin zurückbringen, wo er hingehörte. Er würde ihn in die Kirche werfen und dann?

Ja und dann? Wo sollte er hin? Was sollte er tun? Es gab alles keinen Sinn mehr.

Von Weinkrämpfen geschüttelt lag er auf dem Grab seiner Mutter. Hans war tot. Sie war wenigstens gerächt.

„Ich weiß, was du durchmachst, mein Freund, und es tut mir leid!“ Harms hatte seine Hand auf den Rücken von Marius gelegt.

„Vorwürfe und die Sinnlosigkeit des Seins lähmen einem den Verstand. Glaub mir, ich weiß das. Schon oft habe ich ähnliches durchgemacht. Zu oft! Und ich möchte nie mehr erleben, dass Freunde und Menschen, die ich mochte zu Tode kommen. Nie mehr! Verstehst du? Deshalb müssen wir aufstehen, gerade im tiefsten Schmerz und weiter unseren Feinden entgegentreten. Hans war nur ein Handlanger. Er hatte einen Auftraggeber. Denselben der deinen Vater und meine Liebe getötet hat. Lass ihn uns suchen und ihn zur Rechenschaft ziehen. Es muss nun aufhören!“

Marius spürte plötzlich, wie das Blut zurück in seine Adern schoss. Harms hatte recht. Jemand spielte ein böses Spiel und wird weiter versuchen zu töten und zu morden. Es gibt noch viele Unschuldige, die es zu beschützen gilt. Das wird sein Ziel und seine neue Lebensaufgabe sein. Er wird das Töten beenden. Für alle Zeit wird er die Herrlichkeit von Niangeala wiederherstellen.

„Du hast recht. Aber wo sollen wir hin?“ stammelte Marius.

„Ich denke wir sollten dem Luchs folgen!“ sagte Harms entschlossen.

„Nur noch einen Augenblick!“ sagte Marius und begann das Grab seiner geliebten Mutter vom Unkraut zu befreien. Dann ging er in die zerstörte Sakristei und brachte eine Kerze. Diese entzündete er und flüsterte: „Es tut mir leid Mama“.

Danach schwang er sehr entschlossen seine Tasche über die Schulter und beide Männer folgten dem Luchs in den dunklen Buchenwald zurück. Der Luchs lief stets ca. zehn Meter voraus, wartete dann und blickte sein Gefolge an. Dann lief er wieder voraus. Marius war sich sicher, dass das Tier wusste wohin es die Männer führte. Was würde es für ein Ziel sein. Lauerte dort noch mehr Gefahr? Eines wusste er genau: Er brauchte dringend etwas zu essen.

Der Luchs führte die Männer immer tiefer in den Wald hinein. Nun waren sie so weit vorgedrungen, dass sogar Marius sich nicht mehr auskannte. Die befahrbaren Waldwege waren einfachen Trampelpfaden gewichen. Wenn der Weg, denn sie liefen überhaupt ein Trampelpfad war.

„Harms, bist du sicher, dass wir dem Tier trauen können?“ wollte nun Marius wissen.

„Ja!“

„Warum?“

„Ist so ein Gefühl. Ich denke das Tier ist einer von uns!“

„Einer von uns, wie meinst du das? Ein Mensch etwa?“

„Nur so ein Gefühl!“

Harms antwortete nur wage und gab auch Marius zu verstehen, dass er sich an keiner weiteren Diskussion mehr beteiligen wollte. Also musste Marius wohl abwarten, wo das Ziel war, zu dem sie der Luchs führen würde.

Allein - das war sie schon sehr lange! Einst war sie schön, beliebt und geachtet. Doch sie wurde betrogen und hintergangen. Von allen. Besonders von ihrem Bruder. Sie musste sich Hilfe suchen. Auf der anderen Seite!

Und die Hilfe kam. Schnell und unerbittlich. Das Töten und Sterben waren leicht. Vielleicht zu leicht, und doch: es war wie das Wasser der Meere. Es stillte den Durst nicht, sondern machte immer durstiger.

Doch dann wollte die andere Seite ihren Lohn. Sie wollten sie. Das konnte sie nicht geben.

Und sie fand ihre Waffe.

VIOLETT

Deren Existenz niemand auch nur erahnte. Sie lernte und nutzte die Waffe. Nun war sie mächtiger als der Tod und dessen Könige. Sie war unbesiegbar.

Doch der Preis war hoch. Einsamkeit und Leere. Sie merkte die Jahre schon nicht mehr die vergingen. Alle waren sie gleich. Einzig das Töten war ihr Nektar.

Doch die Nachricht veränderte alles. Er kommt. Die Prophezeiung ist wahr geworden.

Einer wird die Macht aller Steine vereinen. Dann wird er die Macht gegen das Böse richten und es vernichten.

Den Tod hatte sie besiegt. Doch diesen Emporkömmling würde sie fürchten müssen. Aber es war die Chance. Die Chance mit seiner Hilfe den Tod und ihren Widersacher zu vernichten und dann alleinige Herrscherin über die Welt der Finsternis sein.

Tief unten im Verlies - dort lag die Waffe. Sie würde sie nun zu neuem Leben erwecken und ihre Untertanen losschicken. Sie würden die Menschen infiltrieren und töten. Ein metallischer Geschmack machte sich auf ihrer fauligen Zunge breit. Ja, sie konnte das geronnene Blut schmecken. Ein Fest der Verdammnis würde auf sie warten.

Schon sehr bald.

Und der erste wird Marius Gruber sein.

Denn sie weiß von seiner Existenz.

Irgendwie konnte es Marius nicht verstehen. Ja, es gab hier sehr ausgedehnte Waldgebiete, aber in diesem Ausmaß? Auch sah man es dem Wald an, dass hier keine geregelte Forstwirtschaft mehr betrieben wurde. Die Bäume hatten Dimensionen von Urwaldbäumen. Und doch war es ein heimischer Wald.

„Vielleicht hatte er ja wieder ein Portal durchschritten. Doch es hatte nicht geknallt und er war auch die ganze Zeit bei Bewusstsein. Oder? Langsam schaute er sich zu Harms um welcher in einem Abstand von drei Metern hinter ihm lief und dem Luchs, welcher im Abstand von zehn Metern vor ihnen her trabte. „Nein, er konnte keine Veränderung bemerken.

Harms hatte dem Luchs vertraut. Nie gab es Antworten und nach langer Zeit nur Brocken.

„Halt! Ich gehe keinen Schritt mehr weiter. Wenn ich nicht eine Erklärung über das Ziel, sowie einen Plan über das weitere Vorgehen bekomme. Das ist mein letztes Wort!“

Zur anschaulichen Demonstration setzte sich Marius auf eine große Wurzel. Der Luchs schaute irgendwie noch missmutiger drein, begann zu fauchen und hob dabei drohend seine Pfote.

Harms blies seinen Atem pfeifend durch die Zähne.

„Keinen Meter mehr“ bekräftigte Marius seine Worte als ihn plötzlich ein warmes Gefühl der Nähe überkam.

Eine junge Frau in Marius Alter mit langem weiß blondem Haar, welches ihr bis zu den Fußsohlen reichte, kam auf die Gruppe zu. Instinktiv griff Harms wieder einmal fest nach seiner Lanze. Den Luchs schien das Auftauchen der Frau nicht zu überraschen. Das ansonsten so scheue Tier bewegte sich nicht. Auch Marius wusste, dass ihnen keine Gefahr drohte. Die Frau war ihm vertraut aus einem Grund, den er noch nicht kannte.

„Lass den Spieß stecken, mein Freund, uns droht keine Gefahr“ sagte Marius mit ruhiger Stimme.

Harms Finger ließen aber noch nicht locker. Dem Aussehen nach war die Frau seiner Meinung nach eine Hexe oder so etwas.

„Ich kenne dich. Du bist eine der Geister aus dem GRÜNEN STEIN!“ sagte Marius, der nun nicht mehr auf seiner Wurzel saß.

„Nein, ich bin Azzane deine Fee!“ sagte die Frau in einer ruhigen und sanften Stimme.

„Was meinst du: seine Fee?“ fragte Harms sehr feindselig.

„Du bist Harms, ein Kelte! Ich weiß - du kennst die Geschichte von den Feen, weißt, dass jeder seine eigene hat. Diese Fee dient dem Wohle und Schutz ihres Herrn. Auch du besitzt eine. Nur wenige lernen sie kennen und dürfen sie von Angesicht zu Angesicht sehen. Nun waren wir der Ansicht, es sei die Zeit gekommen. Ihr seid hungrig, nicht wahr. Ich bitte euch nun, mir in mein bescheidenes Haus zu folgen, wo ich bereits ein reichhaltiges Mal für euch vorbereitet habe.“

Mit ihren bleichen und sehr spitzen Fingern machte sie eine einladende Geste.

Harms kannte die Geschichten von Feen, welche einem in der Not helfen. Ja das wusste er. Doch genauso spürte er die Gefahr, welche ständig größer wurde. Es gab nur den einen Weg: ihr zu folgen. Aber er würde wachsam sein. Auch war sein Hunger sehr stark. Er beschloss ihr zu folgen. Marius war sehr fidel der Einladung gefolgt und bereits hinter der letzten Wegbiegung verschwunden.

Auf einer Lichtung mitten im Wald lag ein Gehöft. Magere Wiesen umsäumten die burgartige Anlage. Im Innenhof fanden die Männer neben zahlreichen merkwürdig alt aussehenden Tieren eine festlich gedeckte Tafel.

Mit bloßen Händen langten sie zu und stopften gierig alles in sich hinein. Einige Mägde gingen der Fee - oder was auch immer sie war - zur Hand. Marius ließ sich satt und erschöpft zurückfallen.

„Antworten, jetzt!“ kurz und prägnant zeigte Marius den Verlauf der weiteren Konversation an. Harms bemerkte seine Veränderung. Er war kompromissloser geworden und selbstsicher. Marius war nun ein Mann mit einem Ziel, welcher nichts mehr zu verlieren hatte.

Dies barg zahlreiche und sehr große Gefahren. Harms wusste, Marius würde nun zu einem Draufgänger mutieren.

„Aus dem GRÜNEN STEIN kommen aber immer Gestalten in hellem Weiß, die wie du aussehen. Kommst du nicht aus dem Stein?“

„Nein, aber das sind auch Feen und Geister der Hilfe. Auch meine Aufgabe ist es zu helfen. Sie gehorchen dem Torgänger, ich gehorche nur dir, Marius. Schon lange wusste ich von dem Schmerz, der dich beim Anblick des Grabes deiner Mutter befallen würde, und ich schickte den Luchs, dich zu holen.“

„Wo sind wir hier, in Niangeala? Wir haben weder Tor noch Pforte durchschritten, und doch sind wir in keinem Wald der Menschenwelt!“ sagte der Torgänger.

„Menschen mit ihren kleinen Gehirnen. Sie sehen nur das Eigentliche, das Nützliche, das Vergängliche. Sieh dich um, wir sind in der Welt der Menschen, und sie können diesen Wald nicht sehen. Hier lebe ich und bewache dich, Marius Gruber.“

„Na ja, bisher hat sie ihre Arbeit ja gut gemacht, oder? Sonst säßest du nicht hier!“ spottete Harms.

„Hüte deine Zunge Kelte!“ schrie Azzane.

Harms sprang auf und hob drohend seine Lanze.

„Nur zu, kommt doch. Ich und mein Spieß fürchten keine Hexe. Unter dem Rost ist pures Silber. Ein Stoß und ihr seid des Todes“

Azzane stand auf und ging ruhigen Schrittes zu Harms. Sie stellte sich vor den Spieß griff ihn mit beiden Händen und drückte ihn in sich hinein, bis die Spitze auf der anderen Seite aus ihrem Körper ragte.

Marius schrie, doch es geschah nichts. Kein Blut, keine Eingeweide. Azzane zog den Spieß aus ihrem nach wie vor makellosen Körper.

„Wie blind ihr doch seid! Von deinem Volk der Kelten hätte ich bessere Augen erwartet. Ihr seht: ich bin nicht von dieser Welt und sicherlich keine Hexe.

Harms wusste nicht, was er sagen sollte. Ja, dies war wirklich eine Fee. Sie war ein Geist der Hilfe und wenn sie wollte hätte sie bereits alle töten können.

„Es tut mir leid!“ gab Harms seine Niederlage zu.

„Heute Nacht könnt ihr hierbleiben. Ruht euch aus und stärkt euch. Morgen geht zurück und sucht die Steine“ sagte Azzane.

„Ja bloß wo?“ fragte Marius.

„Du hast die Karte, folge ihr!“

Marius schaute in seine Tasche, und dort lag das Pergament, mit welchem er eine Kopie der Karte im Trog der Höhle von Brommi angefertigt hatte. Er rollte das Pergament auf dem großen Tisch aus Ulmenholz aus.

Es waren keine Schriftzeichen, welche Marius kannte. So konnte er natürlich nichts lesen.

„Das sind Runen! Mein Volk schreibt so. Da steht: Folge der Farbe des Regenbogens“

sagte Harms.

„Hmmm, ja die Farben eines Regenbogens. Aber in welcher Reihenfolge. Zuerst die unterste oder zuerst die oberste. Und dann gibt es auch Farben, welche nicht in der Farbskala eines Regenbogens zu finden sind. Grün zum Beispiel!“

„Das ist doch egal. Grün haben wir schon, und weiß auch und…“

„Genau, weiß - auch eine Farbe des Regenbogens!“ stellte Marius fest.

„Was steht da noch?“

„Nichts!“

„WAAAAS? Nichts? Das kann nicht sein! Doch da schau!“ Die Augen von Marius waren besser als die von Harms. Unter der Zeichnung eines Torbogens stand ein Name.

„Und?“ Marius war ungeduldig.

„Meran! Das steht da, aber ich weiß nicht, was es bedeutet!“

„Aber ich, das ist eine Stadt in Tirol, genauer im italienischen Teil von Tirol. Wir waren da mal im Urlaub.“ rief Marius.

„Gut, dann solltet ihr dort mit eurer Suche beginnen“ sagte Azzane. Aber seid vorsichtig! Achtet auf alles was violett ist!

„Violett“ fragte Harms spöttisch und ungläubig.

„Ja, Violett. Von dieser Farbe droht euch schlimmes Ungemach!“

„Azzane, wo sind Zsora, und die anderen?“

„Diese Frage kann ich nicht beantworten. Doch ich spüre Gefahr. Ihr müsst sie finden. So schnell es geht!“

„Sie sind aber doch noch am Leben, oder?“

„Ja das sind sie, und sie sind in der Welt der Menschen. Doch sie sind in großer Gefahr. Ich spüre, dass diese Gefahr wächst.

Die Nacht kam schneller als erwartet, und Marius war müde und erschöpft. Die anfängliche Leere, als er am Grab seiner Mutter stand, war nun einer Wut gewichen. Ja vielleicht war es Hass. Da draußen gab es welche, mit denen er mehr als eine Rechnung offen hatte. Und nun hatte er beschlossen, den Kampf aufzunehmen. Wenn nicht für sich, dann eben für all jene, Unschuldigen, denen noch Böses widerfahren sollte.

Harms konnte nicht schlafen. So war es immer, wenn er kurz vor einem Kampf stand. Zu viele Dinge gerieten außer Kontrolle. Und dieses Mal war es schlimmer. Gemeinsam waren sie ausgezogen, die Steine zu sammeln und dann nach Niangeala zurückzukehren, um die Angreifer in die Flucht zu schlagen. Nun waren nur noch er und Marius übrig. Die anderen schienen in Gefahr zu sein.

Und dieser Kampf war anders als alles, worum er je gekämpft hatte. Er kannte den Gegner nicht, wusste nicht, wann und wo und in welcher Gestalt er zuschlagen würde. Doch der Gegner kannte sie. Ja, er beobachtete und überwachte sie, dessen war sich Harms sicher. Sie hatten nur den GRÜNEN STEIN und dessen Macht. Würde das ausreichen oder war auch der Stein in Gefahr. Nun stand er mitten in der Nacht an dem Lagerfeuer einer Frau, die behauptete, eine Fee zu sein. Die Fee von Marius. Gut sie hatte bewiesen, dass sie nicht von dieser Welt war und wohl mit Zauberei und Magie vertraut war, aber war sie wirklich Marius ‘Fee. Er wusste: eine sehr anstrengende Zeit lag vor ihnen. Er würde wachsam sein.

Es brannte! Plötzlich und ohne Vorwarnung stand alles in Flammen. Es waren violette Flammen, die alles verzehrten. Marius rannte. Er rannte - so schnell er konnte - den schmalen Gang entlang.

„Marius hilf mir, bitte hilf mir!“ Zsora!! Das war ihre Stimme. Doch wo konnte sie sein. Er rannte eine enge Steintreppe empor und stand plötzlich vor einer dicken Tür aus Eiche. Er hatte nichts, mit dessen Hilfe er die Tür aufstemmen konnte. Doch die Stimme kam drang durch die Tür, also war Zsora da drinnen. Der Stein!

Marius nahm den GRÜNEN STEIN und warf ihn so fest er konnte gegen die Türe. Der Stein zersprang in Tausend kleine Stücke und dabei brachen die Scharniere der Tür und diese stürzte in die dahinter liegende Halle. Eine Menge Staub wurde aufgewirbelt, und als dieser sich gesetzt hatte, sah Marius, dass auch die Halle schon von dem violetten Feuer betroffen war. Mitten in der Halle an einer dicken Säule stand Zsora angekettet.

„Hilf mir Marius, ich verbrenne. Das Feuer wird meine Seele rauben und verzehren. Bitte, so hilf mir doch.“ schrie Zsora und wand sich in ihren Ketten.

Ohne zu zögern, rannte er mutig durch das Feuer.

„Ahhh!“ Marius hatte sich die Finger verbrannt, als er versuchte die Ketten zu lösen. So ging es nicht. Also was sollte er nur tun. Nun hatte er nichts mehr als seine Hände.

Fest entschlossen wollte er gerade die Kette erneut packen, als diese wie von selbst herunterfiel.

„Komm, du bist frei!“ Marius griff die Hand von Zsora und wollte in Richtung Ausgang rennen als er bemerkte, dass mit der Hand von Zsora etwas nicht stimmte. Die sonst weichen samtigen Finger waren knöchern und fühlten sich verschrumpelt an. Sie musste sich bereits verbrannt haben dachte er, als er eine fürchterliche Stimme hörte.

„Nun gehörst du mir und wirst sterben. Deinen Stein hast du blind geopfert. Schau mich an bevor du stirbst!“ Marius sah in die Fratze einer toten und verfaulten Frau. Dort wo ihre Augen einmal waren starrten ihn nur schwarz violett glänzende Höhlen an. Er wollte weg. Er wollte schreien. Er wollte sich wehren. Doch er konnte sich nicht rühren. Seine Stimme versagte und keines seiner Gliedmaßen gehorchte ihm. Das Letzte was ihm durch den Kopf ging war, dass er nun versagt hatte. Er hatte alle Erwartungen enttäuscht.

Als Marius plötzlich laut schrie, war Harms wie vom Blitz getroffen in Marius` Zimmer gerannt. Doch dort kam bereits die Fee entgegen.

„Es ist alles gut. Er hatte nur einen schrecklichen Traum. Ich konnte ihn beruhigen. Er braucht ja noch seinen Schlaf. Es wartet eine schlimme Zeit auf ihn.“ flüsterte Azzane.

„Mach Platz. Ich überzeuge mich selbst davon“ knirschte Harms.

„Wenn ich dir sage, dass alles in Ordnung ist, dann musst du es mir glauben, Kelte!“ sagte nun Azzane in einem ernsteren Ton.

„Ich muss gar nichts!“ knirschte Harms und griff nach seinem Spieß.

„Oh, du starker Krieger, glaubst du, du könntest mir gefährlich werden? Hast du nicht gesehen, was dein Spieß mir anhaben kann? Möchtest du es noch einmal sehen, oder möchtest du lieber einen Vorgeschmack meiner Magie spüren, dann zeige ich dir gerne…“

„Was treibt ihr hier?“ wollte nun ein schlaftrunkener Marius wissen.

„Äh, nichts! Wie Azzane sagt, es ist alles in Ordnung. Schlaf noch etwas; wir haben einen weiten Weg morgen vor uns.“ Harms zog sich zurück. Doch nicht allzu weit. Er setzte sich direkt vor der Türe auf eine alte Holzbank. Diese Nacht würde er sehr wachsam sein. Das machte einem erfahrenen Krieger nichts aus. Viel zu oft hatte er schon solche Nächte durchwacht, um für den Feind bereit zu sein. Und dieses Gehöft war ihm nicht geheuer.

Nun konnte Marius besser schlafen. Auch der große Luchs hatte sich durch das offene Fenster in sein Zimmer geschlichen und lag nun auf dem Boden neben dem Bett von Marius. Irgendwie hatte er plötzlich ein Gefühl von intensiver Nähe, sobald der Luchs bei ihm war. Vielleicht sollte er Azzane fragen, ob der Luchs ihn und Harms begleiten könne. Doch allzu schnell verwarf er den Gedanken wieder. Er und Harms würden so oder so sehr auffällig sein. Wenn sie noch eines der seltensten Tiere der Gegend begleiten würde, dann wäre ihre Mission undurchführbar.

Beim ersten Licht stand Marius bereits an seinem Fenster. Noch lagen schwache Nebelschwaden über den taunassen Wiesen um das Gehöft. Es war ruhig! Nur der Bach, der sich gemächlich durch die Lichtung schlängelte, plätscherte leise vor sich hin. Unter dem Fenster sah er Harms sitzen. Offensichtlich war dieser immer noch wach. Der Luchs musste sich wohl im Laufe der Nacht aus dem Staub gemacht haben. Jedenfalls war er nun nicht mehr da.

„Oh, du bist schon wach! Gut, äh guten Morgen! Ich habe hier Kleidung, welche besser in das 21. Jahrhundert passt. Es wird wohl noch etwas Aufregung kosten, bis ich deinen Gefährten davon überzeugt habe, die Kleidung zu wechseln, aber so wie ihr jetzt ausseht könnt ihr nicht zurück.“ sagte Azzane.

„Morgen“ gab Marius mit belegter Stimme zurück.

Und tatsächlich, kaum war Azzane verschwunden, hörte man Harms schon lautstark fluchen. Sogar in der alten Sprache! Er dachte, Azzane würde das nicht verstehen, doch diese sprach die alte Sprache besser als Harms.

Als Marius in den Innenhof trat, konnte er sich kaum ein Lächeln verkneifen. Harms war perfekt als Rucksacktourist gestylt worden. Alles von namhaften Outdoorfirmen. Ein Vermögen musste Azzane dafür bezahlt haben. Marius fragte sich, ob Feen dies auch wirklich mit Geld in einem Laden kauften, oder sich einfach per Internet schicken ließ. Irgendwie war es ja egal. Er hatte schon wieder Hunger und es gab alles: Gebäck, heiße Schokolade, feinsten Joghurt und auch gebratenen Speck und Eier. Erst das köstliche Frühstück ließ die Wut, welche sich immer noch auf der Stirn von Harms abzeichnete, langsam verschwinden.

„Wenn du satt bist, dann gehen wir. Azzane hat sogar einen fahrbaren Untersatz - so eine Art Kutsche - für uns besorgt.“ sagte Harms.

„Das heißt Auto. Und ich habe eines mit Fahrer organisiert, da von euch zwei bestimmt keiner Auto fahren kann, oder?“

Harms und Marius schauten sich an und begannen laut zu lachen.

„Das werte ich als Nein!“

Während Marius seine Tasche fröhlich mit Proviant belud, zog Azzane Harms beiseite.

„Kelte, wir hatten vielleicht keinen guten Start aber - so glaube mir - wir kämpfen für die gleiche Sache. Ich bitte dich: achte auf Marius. Du weißt, welche Gefahr ihm noch droht! Er ist nun in Wut und fühlt den Hass. Er darf die Regeln nicht verletzten, sonst ist er für alle Zeit verloren. Auch wenn ich nun nicht mit euch ziehe, so werde ich doch bei euch sein.“

Harms nickte, was für einen Kelten schon ein großer Schritt war.

Als sie am Rande der Lichtung ankamen, wollte Marius noch einmal zurückwinken, doch ihm stockte der Atem von dem, was er sah oder vielmehr nicht sah.

„Der Hof!!“ schrie er, und auch Harms drehte sich um. Doch da war nichts mehr. Keine Gebäude, keine Tiere, keine Azzane. Es war so, als hätte es den Hof nie gegeben.

„Haben wir das alles nur geträumt?“ fragte Marius, doch Harms winkte ab.

„Schau uns doch an. Diese Kleidung ist sicherlich nicht aus einem Traum entstanden. Nun bin ich sicher: Azzane ist deine Fee, mein Freund. Genau wie in den Legenden. Die Feen kommen in größter Not. Doch dann verschwinden sie wieder. Ich denke, allzu weit weg ist Azzane nicht. Komm, lass uns gehen.

Sie mussten über acht Stunden gehen, da sie ja nicht in das Dorf von Marius zurückkonnten und so - geschützt vom Blätterdach des grünen Sommerwaldes - wanderten sie bis in die nächste größere Stadt. Dort sollten sie nach einem silbernen Geländewagen am Bahnhof Ausschau halten.

Es war ein schöner, aber - wie Marius fand - für eine Wanderung zu heißer Tag. Auf den Straßen war deshalb nur wenig los, und niemand nahm Notiz von den beiden Wanderern mit ihren Stöcken. Am Bahnhof war hingegen sehr viel los. Hauptsächlich waren es Schüler, welche aus und einstiegen.

Harms und Marius schlenderten am Taxistand vorbei auf den großen Parkplatz. Marius schätzte, dass mindestens ein Viertel aller hier abgestellten Autos silbern waren.

„Mist!“ fluchte er, als ein kleiner, pummeliger, südländisch aussehender Mann sich ihnen in den Weg stellte.

„I bin die Alessandro!“ sagte dieser und lächelte.

Marius war genervt und wollte ihn abblitzen lassen oder ihn am besten gar nicht bemerken.

„Schön für dich!“ sagte er nur und wollte den Mann links liegen lassen. Dieser jedoch rannte Marius hinterher und stellte sich erneut in den Weg.

„Du Aauto suche!“ fragte er in einem sehr schlechten Deutsch.

„Nein, danke!“

„Oh, i sicher du suche eine Aauto!“

„Ja, schon, aber…“

„Du suche Aauto von Azzane!“

Wie vom Blitz getroffen fuhr Marius herum. Das war ihr Fahrer, und was das Schlimme war, er hatte die beiden wohl sofort erkannt. So wie es aussah, fielen er und Harms wohl auf wie bunte Hunde.

Alessandro bugsierte die kleine Wandergruppe zu seinem silbernen VW Touran.

„Nie im Leben!“ brummte Harms, der bereits beim ersten Anblick einer solchen Höllenmaschine fast umgekippt war.

„Ich steige da nie im Leben ein! So viel ist sicher.