Die Versuchung der Chiara Frohmut - Elisabeth Dreisbach - E-Book

Die Versuchung der Chiara Frohmut E-Book

Elisabeth Dreisbach

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Beschreibung

Mehr als nur das Erlebnis des sonnigen Südens bedeutet es für Chiara Frohmut, dass sie mit der Familie ihres Chefs an den Luganer See reisen darf; ist es doch die Heimat ihrer Mutter, die sie dabei kennenlernen wird. Aber bald ziehen dunkle Wolken am Himmel ihres Ferienglückes auf. Die uralte Josephsfrage: »Wie sollte ich ein solch großes Übel tun und wider Gott sündigen?« steht in ihrer ganzen Schwere vor ihr. Fast scheint die Versuchung zu groß für das Mädchen Chiara. Nur ein wenig brauchte sie dem Drängen ihres Chefs nachzugeben, um gleich einige Wünsche erfüllt zu erhalten, die nicht nur ihr, sondern vor allem auch der kränklichen Mutter das Leben leichter machen würden. Es kommt die entscheidende Stunde, aus der sie wie ein gehetztes Wild in die Nacht hinausflieht. Aber am nächsten Morgen darf sie Menschen begegnen, die ihr Hilfestellung leisten und ihr vertrauen. Ein Buch, das sich mit einer der brennendsten Fragen unserer Zeit offen auseinandersetzt und die eindeutige Antwort vom Wort Gottes her nicht schuldig bleibt. Bei allem Ernst des Themas liegt über dem ganzen Geschehen der Zauber der südlichen Landschaft, dem sich der Leser nicht zu entziehen vermag. Elisabeth Dreisbach (1904 - 1996) zählt zu den beliebtesten christlichen Erzählerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre zahlreichen Romane und Erzählungen erreichten ein Millionenpublikum. Sie schrieb spannende, glaubensfördernde und ermutigende Geschichten für alle Altersstufen. Unzählig Leserinnen und Leser bezeugen wie sehr sie die Bücher bewegt und im Glauben gestärkt haben.

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Die Versuchung der Chiara Frohmut

Band 13

Elisabeth Dreisbach

Impressum

© 2017 Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Elisabeth Dreisbach

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-134-3

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

Shop: www.ceBooks.de

 

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Autor

Elisabeth Dreisbach (auch: Elisabeth Sauter-Dreisbach; 20. April 1904 in Hamburg; † 14. Juni 1996 in Bad Überkingen) war eine deutsche Erzieherin, Missionarin und Schriftstellerin.

Elisabeth Dreisbach absolvierte – unterbrochen von einer schweren Erkrankung – eine Ausbildung zur Erzieherin in Königsberg und Berlin. Sie war anschließend auf dem Gebiet der Sozialarbeit tätig. Später besuchte sie die Ausbildungsschule der Heilsarmee – der ihre Eltern angehört hatten – wechselte dann aber zur Evangelischen Landeskirche in Württemberg, für die sie in den Bereichen Innere Mission und Evangelisation wirkte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gründete Dreisbach in Geislingen an der Steige ein Heim für Flüchtlingskinder, in dem im Laufe der Jahre 1500 Kinder betreut wurden. Dreisbach lebte zuletzt in Bad Überkingen.

Elisabeth Dreisbach war neben ihrer sozialen und missionarischen Tätigkeit Verfasserin zahlreicher Romane und Erzählungen – teilweise für Kinder und Jugendliche – die geprägt waren vom sozialen Engagement und vom christlichen Glauben der Autorin.1

1 Quelle: wikipedia.org

Inhalt

Titelblatt

Impressum

Autor

Die Versuchung der Chiara Frohmut

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Die Versuchung der Chiara Frohmut

„Chiara Frohmut?“

Fritz Sylverbeck, der Besitzer des Hotels am Markt, wiederholt den Namen des vor ihm stehenden jungen Mädchens. „Chiara? – Sie meinen gewiss Klara?“

„Nein – ich heiße Chiara Frohmut.“

„Hab' ich noch nie gehört. Aber es klingt schön, so wie – wie eine kleine liebliche Melodie.“

Er wirft einen Blick auf Chiara. „Es steht Ihnen gut, wenn Sie erröten, Fräulein Frohmut.“

Die Angesprochene greift in ihrer Verlegenheit nach den Ausweispapieren, die sie vor ihrem neuen Chef auf dessen Schreibtisch ausgebreitet hat. In diesem Augenblick ahnt sie, dass ihre Mutter nicht damit einverstanden sein wird, dass sie diese Stelle antritt. Und ganz abgesehen von der Mutter – sie selbst empfindet jetzt deutlich, wie wenig sympathisch ihr dieser Mann ist. Einen kurzen Augenblick schwankt sie. Dann aber denkt sie an das unvergleichlich günstige Angebot und verscheucht alle in ihr aufsteigenden Bedenken, indem sie sich sagt, dass es ihr von nun an möglich sein wird, weit besser als bisher für ihre leidende Mutter zu sorgen; und schließlich ist es auch für sie selbst verlockend, sich endlich einmal eine Anzahl sehnlicher, bis dahin stets zurückgedrängter Wünsche erfüllen zu können.

„Ich erwarte Sie also am zweiten Januar morgens um acht Uhr im Büro.“ Der neue Chef reicht Chiara lächelnd die Hand. „Auf gutes Zusammenarbeiten, Fräulein Frohmut.“

Sie geht rasch auf dem roten Plüschläufer über den langen Flur zum Portal. In diesem Hause also wird künftig ihr Arbeitsplatz sein. Langstielige Chrysanthemen stehen in einer mächtigen Keramik-Bodenvase neben dem hohen Spiegel. Auf der anderen Seite der mit einer Seidentapete bespannten Wand hängt eine Reihe goldgerahmter Fotografien berühmter Filmschauspieler, mit deren Unterschrift versehen. Herr Sylverbeck ist stolz darauf. Er betrachtet es als Selbstverständlichkeit, dass sie nur bei ihm absteigen, wenn sie in die Kreisstadt kommen.

Der Portier steht lässig an die Zentralheizung gelehnt. Chiara findet sein Lächeln frech und herausfordernd, als er fragt: „Na, hat's geklappt?“ Soll sie ihm Antwort geben? Sie nickt ihm kurz, aber zurückhaltend zu. Er reißt mit ironischer Verbeugung die Tür auf, um sie hinauszulassen.

Ein eiskalter Wind weht ihr entgegen, als sie über den Marktplatz geht. Sie klappt ihren Mantelkragen hoch und zieht sich die schottische Mütze über die Ohren. Grau ist der Himmel. Sicher würde es schneien, wenn es nicht so kalt wäre.

Chiara ist nun doch froh, dass es mit der neuen Stelle geklappt hat. So kann sie bei der Mutter bleiben und die Abende und Sonntage mit ihr verleben. Viel mehr erwartet sie vorerst nicht vom Leben. Manchmal kommt eine furchtbare Angst über sie, die Mutter, die so zart und gebrechlich geworden ist, könnte sie ganz plötzlich verlassen. Es wäre schrecklich. Sie hätte dann keinen Menschen, dem sie sich wirklich zugehörig fühlte. Chiaras Freundinnen lachen manchmal über sie. „Willst du eine alte Jungfer werden?“ Sie alle besitzen längst einen Freund, einige sind sogar schon verheiratet.

Chiara zählt neunzehn Jahre, und ihr Leben ist immer sehr behütet gewesen. Ihr Vater war Kunstmaler und starb vor sieben Jahren. Er war ein prächtiger Mensch, und die Ehe der Eltern hätte nicht glücklicher sein können. Aber über seinen Beruf hinaus zeigte er wenig praktische Veranlagung. Als er starb, standen die Seinen ohne jede Hilfe da.

Frau Frohmut dachte nicht einen Augenblick daran, die Fürsorge in Anspruch zu nehmen. Sie nahm Verbindung mit einigen Handarbeitsgeschäften auf und hielt sich und ihr Kind durch großen Fleiß über Wasser. Oft, wenn Chiara längst schlief, saß sie noch über den Stickrahmen gebeugt oder verfertigte wunderschöne Bastarbeiten, wie man sie hier nicht kannte. Nie aber gedachte sie ihres verstorbenen Mannes auch nur mit dem leisesten Vorwurf. Was bedeuteten ihr schon die Jahre mühevollen Arbeitens im Vergleich mit der so überaus glücklichen Zeit ihrer Ehe!

Chiara wurde eine gute Schülerin. Am liebsten hätte sie das Abitur gemacht und später studiert. Kinderärztin wollte sie werden. Dann aber kamen Zeiten der Krankheit für die Mutter. Chiara erkannte, dass sie so rasch wie möglich Geld verdienen musste. Sie begrub gleichzeitig die Hoffnung auf den ersehnten Beruf, als sie auf das Studium verzichtete. Der Mutter aber kam der Gedanke, ob ihre Tochter nicht Kindergärtnerin werden könnte. Die Ausbildungszeit würde verhältnismäßig kurz sein. Sie wusste, wie befähigt Chiara war, mit Kindern umzugehen. War es ihr schon versagt, Kinderärztin zu werden, so sollte sie doch wenigstens einen Beruf ergreifen, in dem sie Kinder um sich hatte.

So kam Chiara in ein Kindergärtnerinnen-Seminar. Der Klassenlehrer, der sie jahrelang in der Oberschule unterrichtet hatte, war dafür eingetreten, dass sie eine Freistelle erhielt. Aber noch während dieser Ausbildungszeit erkrankte die Mutter so schwer, dass Chiara sich sagte, sie müsse nach dem Examen zunächst eine Stelle antreten, die ihr bessere Verdienstmöglichkeiten biete. So besuchte sie neben der Seminarzeit Abendkurse, in denen sie Maschinenschreiben und Kurzschrift lernte.

Sobald sie das Examen als Kindergärtnerin hinter sich hatte, nahm sie noch an einem kaufmännischen Tageskurs der Handelsschule teil in dem festen Entschluss, für einige Jahre eine Stelle als Stenotypistin anzunehmen, um besser für die Mutter sorgen zu können. Die Vorsteherin und die übrigen Lehrkräfte des Seminars bedauerten es sehr, dass Chiara nicht als Kindergärtnerin, wofür sie sich nach ihrer Meinung glänzend eignete, tätig sein sollte. Aber das junge Mädchen blieb bei seinem Entschluss: „Meine Mutter hat jahrelang ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit, weit über ihre Kräfte für mich gearbeitet. Jetzt bin ich an der Reihe, für sie zu sorgen.“

Gestern nun hat Chiara in der Zeitung eine Anzeige gelesen: „Junge, gut aussehende Büroangestellte gesucht.“ Heute hat sie sich vorgestellt und ist sofort angenommen worden. Das ihr gebotene Gehalt übertrifft all ihre Vorstellungen. Ihr Chef jedoch gefällt ihr nicht sehr. Es ist etwas in seinen Augen, das ein Warnungssignal in ihr erklingen lässt. Aber sie wird schon auf der Hut sein. Er soll nur nicht denken, dass sie eine von denen ist, die sich für alles hergeben. – Ach, Chiara ist mit ihren neunzehneinhalb Jahren noch so unerfahren. Was weiß sie in Wirklichkeit vom Leben!

Mit ein paar Sätzen ist sie im dritten Stock des Hauses, in dem Mutter und Tochter zwei Zimmer bewohnen. Nach dem Tod des Mannes konnte Frau Frohmut die schöne, große Wohnung am Berghang nicht mehr halten. Seitdem wohnen sie hier, zwar auch am Stadtrand, mit dem Blick hinüber zum Wald, aber doch viel bescheidener als damals.

„Mutti – stell dir vor, ich habe die Stelle bekommen! Der Chef hat mir erzählt, dass zwanzig Bewerberinnen vor mir bei ihm waren, aber mich hat er genommen.“

„Nicht so stürmisch“, wehrt die Mutter liebevoll der temperamentvollen Umarmung ihrer Tochter. „Du wirfst mich ja beinahe um!“

„Ich kann dir nicht sagen, wie ich mich freue!“ Chiara zieht einen Stuhl zum Diwan, auf dem die Mutter, von Kissen gestützt und warm in Decken gehüllt, sitzt. Und nun beginnt sie ihre Erlebnisse vom Nachmittag zu schildern. Vor den Augen der Mutter ersteht das prächtige Hotel am Markt mit der blumengeschmückten Empfangshalle, den teppichbelegten Treppen und dem schön eingerichteten, warmen Büro, in dem sie nun arbeiten soll. Dabei merkt sie, dass es im Wohnzimmer der Mutter ziemlich kalt ist. „Du hast keine Kohlen mehr oben? Ich springe rasch in den Keller.“ Schon ist sie weg. Liebevoll blickt die Mutter ihrer Chiara nach. Die Tochter ist ihre einzige Freude.

Nach dem Abendessen, das Chiara in kurzer Zeit bereitet hat, sitzt sie wieder bei der Mutter und schwärmt ihr vor, was sie alles für sie tun will, wenn sie ihr erstes selbstverdientes Geld nach Hause bringt: „Und dann, Mutti, es muss ja nicht in diesem Jahr sein – dann fahren wir auf Urlaub in deine Heimat, nach Morcote – nach Carabbietta. Meinst du nicht auch?“

Frau Frohmut antwortet nicht gleich. Aber in ihren Augen ist sie zu lesen, diese immer wiederkehrende Sehnsucht, das seit Jahren unterdrückte Heimweh.

„Morcote“ – wiederholt sie leise, „und Carabbietta – ach, Chiara, es wäre zu schön, aber ich fürchte, ich werde es nie mehr erleben. Das kostet so viel Geld, und ich habe auch gar nicht mehr die Kraft zu einem solchen Unternehmen.“

Aber Chiara lässt den Einwand der Mutter nicht gelten. „Du wirst dich wieder erholen. Ich werde dir Wein, Früchte und lauter gute Dinge kaufen. Und dann fahren wir zusammen an den Luganer See. Mutti, ich muss endlich deine Heimat einmal kennenlernen – ich muss. Solange ich mich erinnern kann, habt ihr, du und Vati, es mir versprochen. Immer kam etwas dazwischen, und seit Vatis Tod war natürlich nicht mehr daran zu denken. Aber jetzt, jetzt soll es einmal Wahrheit werden. Ich weiß, du sehnst dich auch danach. Und vielleicht wirst du dort im Süden, wo es doch viel wärmer ist, Rieder ganz gesund. O Mutti, ich habe jetzt ein Ziel, auf das ich lossteuere, für das ich arbeite!“

So viel Ähnlichkeit hat Chiara mit ihrem verstorbenen Vater, als sie jetzt aus ihren tiefblauen Augen unter den langen Wimpern die Mutter unternehmungslustig anschaut. Auf der anderen Seite erinnert nicht nur ihr tiefschwarzes Haar, das ihr in natürlichen Locken auf die Schultern fällt, sondern auch das bei mancher Gelegenheit durchbrechende Temperament an die Herkunft der Mutter.

Wohin mag dein Weg dich führen, Chiara? denkt diese. Aber sie will des Mädchens Freude nicht trüben und lässt sie Pläne schmieden. Ist es nicht das Recht der Jugend?

Mutter und Tochter liegen schon eine ganze Weile in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer, da sagt Frau Frohmut: „Du hast mir noch gar nichts von diesem Herrn Sylverbeck erzählt. Wie ist er denn, dein neuer Chef?“

Ein hörbares Gähnen folgt. „O Mutti – ich bin so schrecklich müde. Morgen erzähle ich dir davon, ja?“

„Gut, schlafe nur gleich ein, mein Kind.“

Chiara aber liegt noch lange wach. Irgendwie hat sie eine Scheu, zu der Mutter von diesem Manne zu reden. Sie denkt über ihre Zukunft nach, und die Namen Carabbietta und Morcote spielen darin eine gewichtige Rolle.

Nun arbeitet die neue Stenotypistin schon einige Wodien im Büro des Hotels am Markt. Der Portier hat aufgehört, ihr gegenüber dumme Bemerkungen zu machen. Das junge Mädchen hat trotz seiner Jugend irgendetwas an sich, was ihm Respekt einflößt. Außerdem hat es sich schon einige Male nach seiner kranken Frau und den Kindern erkundigt. Sie scheint doch anders zu sein als ihre Vorgängerinnen …

Chiara sitzt an ihrem Schreibtisch und wirft einen sehnsüchtigen Blick hinaus auf den Marktplatz. Es will in diesem Jahr gar nicht Frühling werden. Immer wieder setzt heftiges Schneetreiben ein. Heute Morgen hat sie einen Strauß Veilchen auf ihrem Schreibtisch gefunden. Wer mag ihn hingestellt haben? Hoffentlich nicht der Chef! So sehr sie Blumen liebt, in diesem Fall möchte sie die Veilchen nicht auf ihrem Platz belassen. Der Mann wird ihr immer unsympathischer. Merkt er denn nicht, dass sie sich gegenüber seinen beinah plump zu nennenden Annäherungsversuchen mehr als zurückhaltend, ja oft geradezu unhöflich verhält?

Heute früh hat er sich erdreistet, sie einfach Fräulein Chiara zu nennen. Sie ist einen Schritt zurückgetreten und hat betont korrigiert: „Bitte, Fräulein Frohmut.“ Da hat er nur gelacht und vor sich hingemurmelt: „Kleine Kratzbürste!“ Sie hat es aber gut verstanden.

Chiara gibt sich große Mühe, ihre Arbeit korrekt und flink zu verrichten. Er hat sie schon einige Male gelobt, ihrer Meinung nach zu überschwänglich. Sie weiß nicht: ist er nun wirklich zufrieden mit ihren Leistungen, oder bezweckt er mit seiner Anerkennung etwas anderes?

Ihrer Mutter hat Chiara bisher nichts gesagt von diesen Dingen. Auf die Frage nach ihrem Chef antwortet sie: „Er scheint mit meiner Arbeit zufrieden zu sein und ist sehr nett zu mir.“ Wüsste die Mutter, dass Chiara sein Verhalten ihr gegenüber keineswegs als angenehm, sondern im Gegenteil als lästig empfindet, sie würde darauf drängen, dass sie den Platz wechsle, zumal sie immer wieder meint, Chiara solle eben doch in ihrem eigentlichen Beruf tätig sein. Aber wenn sie sieht, wie glücklich ihre Tochter das erste Monatsgehalt nach Hause bringt, wie sie sich freut, notwendige Anschaffungen machen und die Mutter mit kleinen Überraschungen beglücken zu können, dann lässt sie Chiara gewähren. Und wenn diese, wie das jetzt öfters der Fall ist, zu planen und zu schwärmen beginnt und der Mutter eine Fahrt in die alte Heimat in den leuchtendsten Farben ausmalt, dann widerspricht sie ihr nicht. Sie selbst glaubt zwar nicht daran, dass es ihr noch einmal beschieden sein wird, nach Morcote zu kommen. Aber warum soll sie Chiaras frohe Erwartung trüben?

Chiara sieht eines Tages Frau Sylverbeck mit ihren beiden kleinen Mädchen über den Marktplatz kommen. Die Kinder haben sie am Fenster entdeckt und winken ihr freudig zu. Chiara erwidert den Gruß. Frau Sylverbeck, von ihren kleinen Töchtern auf sie aufmerksam gemacht, nickt ebenfalls zu ihr herauf. Aber wie immer sieht sie dabei ernst und leidend aus. Trotz ihres Pelzmantels scheint sie stets zu frieren.

Die Familie des Chefs wohnt nicht im Hotel. Draußen vor der Stadt besitzen Sylverbecks ein reizendes Einfamilienhaus mit großem Garten und Schwimmbassin. Wegen der Unruhe, die seine Frau nicht ertragen könne, sagt er. Die Zimmermädchen aber flüstern sich anderes zu.

Wenige Tage, nachdem Chiara ihren Arbeitsplatz hier eingenommen hatte, war Frau Sylverbeck mit allen drei Kindern gekommen. Chiara nahm gerade im Büro des Chefs ein Stenogramm auf.

Er stellte sie seiner Frau vor. „Das ist Fräulein Frohmut, Eleonore.“ Sehr zurückhaltend reichte diese Chiara die Hand. Ein müder, resignierter Ausdruck auf ihrem an sich sehr schönen Gesicht ließ kein Lächeln aufkommen. Die beiden kleinen Mädchen, sie mochten vier und fünf Jahre alt sein, schauten sich die neue Stenotypistin ihres Vaters kindlich neugierig an und waren bald zutraulich, während der siebzehnjährige Sohn im Hintergrund stehenblieb und Chiara beinahe feindselig musterte. Ihren Gruß erwiderte er kaum.

„Möchtest du nicht wenigstens die Hände aus den Taschen nehmen!“ fuhr der Vater ihn an. „Fräulein Frohmut hat dich soeben gegrüßt.“ Auf die leise und beinahe bittend ausgesprochene Mahnung der Mutter „Justus!“ trat er näher und reichte Chiara flüchtig die Hand. Es kostete ihn aber sichtlich Überwindung, ja, das Mädchen meinte beinahe, etwas Feindseliges in seinen Augen aufblitzen zu sehen.

Über diese erste Begegnung mit der Familie des Chefs denkt Chiara jetzt nach, als sie Frau Sylverbeck mit ihren beiden Töchtern sich wieder dem Hotel nähern sieht. Dem Sohn ist sie seitdem nicht mehr begegnet, obgleich er des Öfteren im Hause war. Sie empfindet, dass er ihr absichtlich aus dem Wege geht. – Wie soll sie sich das Verhalten des Jungen erklären?

Die Glocke des Chefs reißt Chiara aus ihrem Sinnen. Er ruft sie zum Diktat. Sie kann es nicht verhüten, dass wiederum heiße Röte in ihr Gesicht steigt, als sie auf seinem Schreibtisch ebenfalls ein Sträußchen Veilchen stehen sieht. Solch eine Geschmacklosigkeit! Er will sich also als Spender kenntlich machen. Chiara merkt ganz deutlich, wie er sie ansieht, während er ihr, im Büro auf und ab gehend, einige Briefe diktiert. Geradezu körperlich spürt sie seine widerlichen Blicke. Am liebsten möchte sie aufspringen und hinauslaufen. Aber letzten Endes ist sie die Angestellte und er der Chef. Doch als sie zu ihrem Schreibtisch in das kleine Nebenbüro zurückkehrt, reißt sie die Veilchen aus der Vase und wirft sie in den Papierkorb. Hoffentlich sieht er nachher, wo sie gelandet sind!

Zu Hause sieht Frau Frohmut die Tochter prüfend an. „Hast du Ärger gehabt?“

„Ärger? – Wieso? Nein – ich habe sogar ein Sträußchen Veilchen auf meinem Schreibtisch gefunden.“ Chiara bereut es im gleichen Augenblick, dass sie es der Mutter verraten hat. Nun wird sie wissen wollen, von wem sie waren. Und wirklich, Frau Frohmut fragt: „Wer hat sie dir hingestellt?“

Chiara zögert, dann antwortet sie: „Ich weiß es nicht, Mutter.“ Hat sie die Unwahrheit gesagt? Sie beruhigt sich selber: Im Grunde genommen weiß ich es auch nicht genau. Dass Herr Sylverbeck sie mir auf den Schreibtisch gestellt hat, ist doch nur eine Vermutung. Plötzlich tun ihr die kleinen Veilchen leid – sie können doch nichts dafür! Wenn die Putzfrau sie bis morgen früh noch nicht fortgeworfen hat, will sie ihnen im Speisesaal oder sonst wo einen Platz geben.

Wenige Tage später kommt Frau Sylverbeck wieder ins Hotel. Weil Chiara gerade im Büro ihres Chefs einige Augenblicke warten muss, wird sie von ihr angesprochen: „Sie haben einen schönen Namen, Fräulein Frohmut.“

Die letzten Worte hat der Chef, der eben hereingekommen ist, noch gehört.

„Nicht wahr, Eleonore, es ist ein schöner Name? Aber auch einen seltenen Vornamen hat Fräulein Frohmut: Chiara! Hast du den schon einmal gehört?“

Chiara ärgert sich über ihr heftiges Erröten und wagt Frau Sylverbeck nicht anzusehen. Diese aber antwortet ruhig: „Nein, dieser Name ist mir unbekannt. Wo stammen Sie her, Fräulein Frohmut?“

„Meine Mutter heißt ebenfalls Chiara. Sie ist eine geborene Poretti und in Morcote am Luganer See aufgewachsen.“

„Ah, Morcote!“ Fast lebhaft wiederholt es Frau Sylverbeck. „Dort waren wir auf einer Italienreise für einen Tag. Der Freund meines Mannes hat in Paradiso ein Sommerhaus. Den haben wir besucht und waren dann auch in dem berühmten Museum in Morcote.“

„Sie kennen Morcote?“ Chiaras Augen glänzen. „Ich war noch nie in der Heimat meiner Mutter. Aber ich muss unbedingt einmal dorthin. Mutti hat mir so viel Wunderschönes von dort erzählt. Ich spare schon fest, damit wir beide einmal hinfahren können.“ Ganz glücklieh ist Chiara, dass sie mit Frau Sylverbeck, die ihr heute längst nicht mehr so zurückhaltend und verschlossen vorkommt, über Mutters Heimat am Luganer See reden kann.

Erstaunt blickt sie auf, als Herr Sylverbeck ganz unvermittelt zu seiner Frau sagt: „Weißt du auch, Eleonore, dass Fräulein Chiara – äh, ich meine Fräulein Frohmut, eigentlich Kindergärtnerin ist?“

„Nein, woher soll ich das wissen?“

Erst viel später begreift Chiara diesen Gedankensprung. Heute eilt sie beschwingt nach Hause. „Mutti, denk dir, Herr und Frau Sylverbeck kennen Morcote.“ Sehnsüchtig schweift ihr Blick in die Weite. „Gewiss ist es dort schon Frühling …“

In den nächsten Tagen kann Chiara sich nicht beklagen. Herr Sylverbeck gibt kurz und sachlich seine Arbeitsaufträge. Auch beim Diktat ist er sehr zurückhaltend. Es fällt kein persönliches Wort zwischen ihnen. Chiara ist es sehr recht so. Sie arbeitet konzentrierter und unbefangener, wenn sie die störend um sie kreisenden Gedanken des Chefs nicht empfindet. Sie wünscht wirklich, er möge sich außer dem geschäftlich Notwendigen in keiner Weise um sie kümmern. Außerdem hat er eine so nette, sympathische Frau. Sie gefällt Chiara je länger desto besser. Oft denkt sie darüber nach, was wohl die Ursache der sichtlich über ihr lagernden Schwermut sein mag.

Noch immer will es nicht Frühling werden, obgleich der im Kalender dafür eingesetzte Termin schon eine Weile überschritten ist. Die Höhenzüge, die sich rings um die Stadt erheben, sind seit Weihnachten überhaupt noch nicht schneefrei geworden. Chiara hat erst gestern wieder eine für ihre Verhältnisse recht ansehnliche Kohlenrechnung bezahlt.

Es klopft an der Bürotüre. Auf Chiaras „Herein“ betritt Frau Sylverbeck den Raum. „Aber Sie müssen doch nicht anklopfen“, sagt das Mädchen und fragt sich, was die Frau des Chefs wohl für ein Anliegen hat.

„Haben Sie einen Augenblick Zeit?“ fragt Frau Sylverbeck.

„Aber bitte!“ Chiara hat sich erhoben und bietet ihr einen Stuhl an.

„Sie werden sich über mein Ansinnen wundern, Fräulein Frohmut. Ich hoffe aber, dass Sie sich zu einem freudigen Ja entschließen können.“

Chiara blickt Frau Sylverbeck fragend an.

„Auf Drängen meines Mannes bin ich in diesen Tagen bei unserem Hausarzt gewesen. Ich fühle mich schon längere Zeit nicht wohl und kann mich in diesem nichtendenwollenden Winter von einer schweren Grippe, die ich im Herbst hatte, einfach nicht erholen. Mein Arzt hat mir Luftveränderung verordnet. Irgendwohin in den Süden solle ich reisen, so meint er. Nun will ich mich aber nicht von meinen zwei kleinen Mädchen trennen. Ich war vor einem Jahr im Krankenhaus, musste sie währenddessen fremden Händen übergeben und war bei meiner Heimkehr erschüttert, als ich sah, wie sehr sie unter der Trennung gelitten hatten. So habe ich mich entschlossen, Stefanie und Adeline mitzunehmen. Sie gehen ja beide noch nicht zur Schule. Auch Justus wird für vier Wochen mitkommen. Dann muss er allerdings zurück. Aber weil er der beste Schüler seiner Klasse ist, hat sein Rektor ihm eine Urlaubsverlängerung zugebilligt, obgleich er in diesem Jahr seine Prüfung macht. Der Junge hängt sehr an mir.“ – Frau Sylverbeck schweigt einen Augenblick und schaut, einem unausgesprochenen Gedanken nachsinnend, vor sich nieder.

„Warum erzählt sie mir das alles?“ fragt sich Chiara. „Was habe ich damit zu tun?“

Ihr Gegenüber blickt auf und fragt nun direkt: „Fräulein Frohmut, hätten Sie nicht Lust, mit uns nach Carabbietta zu kommen? Mein Mann hat sofort mit seinem Freund telefoniert, der das Sommerhaus in Paradiso besitzt. Er kann es uns zwar nicht überlassen, hat sich jedoch gleich mit einem Bekannten in Carabbietta am Luganer See in Verbindung gesetzt, und dieser vermietet uns sein Landhaus für ein Vierteljahr. Bis dahin hoffe ich, wieder gekräftigt zu sein. Andernfalls will mein Mann möglicherweise selbst ein kleines Anwesen dort kaufen. – Um mich recht zu erholen, wird es mir nicht möglich sein, mich den Kindern so zu widmen, wie es nötig ist. Nun ist mir der Gedanke gekommen, Sie zu fragen, ob Sie nicht Lust hätten, die Betreuung meiner beiden kleinen Mädchen während der Zeit unseres Dortseins zu übernehmen. Sie sind doch geprüfte Kindergärtnerin.“

Chiara glaubt zu träumen. Soll das Wirklichkeit sein?

Da sie nicht gleich antwortet, sagt Frau Sylverbeck noch: „Ich will Sie natürlich nicht überreden. Ich dachte nur, es würde Sie vielleicht freuen, weil Sie kürzlich so begeistert von der Heimat Ihrer Mutter erzählt haben und doch selbst noch nie dort waren.“

Nun wird Chiara ganz erregt. Ihre Wangen glühen, als sie, von ihrem Stuhl aufspringend, ausruft: „Ich kann es einfach noch nicht begreifen! Es ist beinahe wie ein Märchen. Gerne, nur zu gerne komme ich mit. Aber – was sagt Ihr Mann dazu?“

Frau Sylverbeck lächelt. „Sie dürfen überzeugt sein, dass ich die Angelegenheit mit ihm besprochen habe. Eigentlich ist er es gewesen, der zuerst den Gedanken gehabt hat, Sie mit mir zu schicken.“

Chiara traut ihren Ohren nicht. So besorgt ist er also um seine Frau? Sie schämt sich in dem Gedanken, ihm Unrecht getan zu haben.

„Und die Büroarbeit hier?“

„Mein Mann meint, für einige Wochen käme er ohne Ihre Mitarbeit durch. Eine frühere, jetzt verheiratete Angestellte würde ihm das Nötigste erledigen. Ihr Gehalt läuft in derselben Weise weiter wie bisher.“

Am liebsten möchte Chiara Frau Sylverbeck um den Hals fallen. Weil sie das nicht kann, ergreift sie impulsiv ihre beiden Hände. „Ich verspreche Ihnen, mein Allerbestes zu tun. Sie sollen sich auf mich verlassen können. Ich bin ja viel lieber Kindergärtnerin als Büroangestellte. Nur wegen der weitaus besseren Bezahlung habe ich die Stelle hier angenommen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie ich mich freue, Frau Sylverbeck, und ich danke Ihnen viel-, vielmals für Ihr Vertrauen.“

Frau Sylverbeck lächelt ihr zu. „Ich freue mich auch, Fräulein Frohmut. Es ist schön, mit einem liebenswerten Menschen auf Reisen zu gehen.“

Eine Glutwelle überzieht Chiaras Gesicht. „Sie sind sehr gütig. Ich danke Ihnen.“

Der nächste Tag ist ein Sonntag. So hat Chiara Zeit, alles mit der Mutter zu besprechen. Zuerst ist Frau Frohmut fast ein wenig erschrocken. Es kommt ihr alles zu plötzlich. Aber Chiara schildert die Frau ihres Chefs als einen so reizenden Menschen, und die Freude der Tochter ist so mitreißend, dass der aus liebevoll sorgendem Herzen kommende Widerstand der Mutter schwindet. Sie beugen sich gemeinsam über Bilder von Morcote, dem Heimatort am Luganer See, und selbst die stille Mutter wird lebhaft und gesprächig.

„Ach, könnte ich dich doch mitnehmen!“ sagt Chiara. „Aber warte nur, wenn ich erst einmal dort war, dann ist der Anfang gemacht, und im nächsten Jahr fahren wir beide miteinander hin und verbringen Ferientage dort. – Aber Mutter –“ sie stutzt – „ich selbstsüchtiger Mensch rede die ganze Zeit zu dir von meiner Freude und habe überhaupt noch nicht gefragt, ob du wirklich allein hierbleiben kannst. Wenn du nun in meiner Abwesenheit wieder kränker wirst?“

Doch Frau Frohmut macht ihrem Namen Ehre. Sie weiß der Tochter ihre Besorgnis auszureden. „Es sind doch nur einige Wochen, und selbst wenn es ein Vierteljahr würde – es wird schon gehen! Frau Thüsi wird sich gewiss um mich kümmern. Sie hat noch immer gute Nachbarschaft gehalten. Ich brauche ihr nur an die Wand zu klopfen, dann kommt sie schon und schaut nach mir. – Nein, Chiara, wegen mir brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Und sollte wirklich etwas Unvorhergesehenes eintreten, so überweist Doktor Heslacher mich eben ins Krankenhaus. Dort bin ich ja gut aufgehoben.“

„Das wollen wir nicht hoffen, Mutti, aber ich bin dir so dankbar, dass du mich gehen lässt. Es ist gewiss eine einmalige Gelegenheit. Sicher wird mir nie wieder so etwas geboten.“

„Fährt eigentlich dein Chef auch mit?“

„Darüber haben wir gar nicht gesprochen. Vielleicht bringt er uns in seinem neuen Wagen hin. Der ist groß – ich kann dir sagen, ein tolles Gefährt. In dem haben wir alle bequem Platz. Aber dann wird er bestimmt rasch wieder zurückfahren. Er kann den Betrieb ja nicht so lange allein lassen. Weißt du, Mutti, ich muss ihm innerlich Abbitte leisten. Ich habe ihn bisher immer für einen richtigen Lebemann, oberflächlich und materialistisch, gehalten. Aber nun sehe ich, wie sehr er an seiner Frau hängt und wie er um ihre Gesundheit besorgt ist. Schließlich bedeutet es ein Opfer für ihn, wenn er mich, die er ja für seine Büroarbeit engagiert hat, seiner Frau als Kindergärtnerin mitgibt und damit eine zusätzliche Kraft bezahlen muss.“

„Dass du dabei in deinem wirklichen Beruf tätig sein wirst, freut mich am allermeisten. Wer weiß, vielleicht willst du gar nicht mehr zurück ins Büro.“

Chiara springt auf. „Erst muss ich einmal Geld verdienen – viel Geld! Später, wenn ich mein Ziel erreicht habe, dann kann ich danach fragen, was ich am liebsten möchte. – Und vielleicht, Mutti, lerne ich am Luganer See einen reichen natürlich nur einen netten – Mann kennen, der mich heiratet. Dann holen wir dich und leben in einem reizenden Haus ganz in der Nähe von Morcote.“

Frau Frohmut blickt ihre Tochter erschrocken an. „Allen Ernstes, Chiara, wenn du mit solchen Absichten reisen wolltest, würde ich dir nicht meine Erlaubnis geben.“

Laut auf lacht Chiara. „Aber, Mutti, kennst du deine Tochter so wenig? Wenn ich darauf aus wäre, würde ich längst, wie die meisten meiner Schulkameradinnen, verlobt oder gar schon verheiratet sein.“

„Na, na, übertreib nur nicht.“

„Bitte, ich werde in Kürze zwanzig Jahre alt. – Ach, an meinem Geburtstag bin ich dann ja gar nicht zu Hause. Aber den feiern wir nach, wenn ich heimkomme, nicht wahr?“ Sie legt beruhigend den Arm um Mutters Hals. „Mach dir keine Sorgen, ich komme ganz bestimmt wieder so zu dir zurück, wie ich gegangen bin. Sagst du nicht immer, der Weg eines Menschen sei ihm vorgeschrieben? – Na also. Dann hat der liebe Gott mir auch längst meinen Mann ausgesucht, und sicher finde ich den eher hier als an der italienischen Grenze. Aber vielleicht heirate ich auch gar nicht. Dann eröffne ich ein Kinderheim, denn ohne Mann kann ich sein, aber nicht ohne Kinder.“

Der Blick, mit dem Frau Frohmut ihre Tochter ansieht, kommt aus einem zwiespältig empfindenden Herzen. Freude an der Natürlichkeit ihres Kindes und Sorge um den einzigen ihr noch verbliebenen Menschen. „O Kind – was weißt du vom Leben!“

Während Chiara bald tief schläft und im Traum wahrscheinlich bereits in Carabbietta weilt, liegt die Mutter noch lange wach. Erinnerungen steigen in ihr auf, plastisch und greifbar.