Die Wächterin der Krone - Beate Sauer - E-Book

Die Wächterin der Krone E-Book

Beate Sauer

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Beschreibung

Eine mutige Frau und ihr Schicksal in einer der schillerndsten Epochen Europas.

England im 12. Jahrhundert: Während König Richard im Heiligen Land weilt, reißt sein Bruder John die Krone an sich. Die junge Robin und ihr Bruder Luce werden Opfer des Bruderkriegs: Johns Vasall Edward de Thorigny, Erzfeind ihrer Familie, vertreibt die beiden von ihren Gütern. In den Wäldern finden sie sich mit Gleichgesinnten zusammen, um gegen de Thorigny zu kämpfen. Doch Robin hat sich, ohne zu wissen, wer er ist, in Edwards Halbbruder Cederick verliebt. Dieser erwidert ihre Gefühle. Als sie jedoch seine wahre Identität erfährt, scheint das Schicksal ihrer Liebe besiegelt. Robin ergreift erneut die Flucht – in ein unberechenbares Abenteuer ...

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Seitenzahl: 541

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Buch

England, im 12. Jahrhundert: Während König Richard im Heiligen Land weilt, versucht Prinz John die Herrschaft in England an sich zu reißen. Derweil werden die junge Robin und ihr Bruder Luce durch die de Thorignys – Gefolgsleute Johns und ihre Erzfeinde – von ihrem Land vertrieben. In den Wäldern finden sie Unterschlupf und kämpfen mit ihren Getreuen gegen Edward de Thorigny. Doch Robin steckt in einem schweren Konflikt: Ohne zu wissen, wer er ist, hat sie sich in Edwards Halbbruder Cederick verliebt. Dieser erwidert ihre Gefühle – doch als beide ihre wahre Identität erkennen, scheint das Schicksal ihrer Liebe besiegelt, und aus Liebenden werden Todfeinde.

Der Kampf zwischen den verfeindeten Parteien wird immer unerbittlicher. Dann zwingt ein Streit mit ihrem Bruder Robin, den Wald zu verlassen. Um ihren engen Jugendfreund, den Ritter Philip, zu retten, reist sie ins Heilige Land. Doch auch hier vermag die junge Frau Cederick nicht zu vergessen – und bald kreuzt er tatsächlich wieder ihren Weg …

Weitere Informationen zu Beate Sauersowie zu lieferbaren Titeln der Autorinfinden Sie am Ende des Buches.

Beate Sauer

Die Wächterinder Krone

Roman

1. AuflageOriginalausgabe Dezember 2014Copyright © der Originalausgabe 2014 by Beate SauerCopyright © dieser Ausgabe 2014by Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHDieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30287 Garbsen.Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, MünchenUmschlagmotiv: Ashley Lebedev / Trevillion ImagesTh · Herstellung: Str.Satz: DTP Service Apel, HannoverISBN 978-3-641-14469-2www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz:

Prolog

Während Robin über den Klosterhof ging, wippte der Köcher mit den Pfeilen bei jedem Schritt auf ihrer rechten Hüfte auf und ab. Sie war ein zierliches Mädchen, das man jedoch in dem groben Leinenkittel und den Hosen, die sie trug, ohne weiteres für einen hübschen Jungen hätte halten können. Ihre leuchtend roten, lockigen Haare hatte sie unter einer Mütze verborgen. Ihr schmales Gesicht wurde von großen braunen Augen beherrscht, die erwartungsvoll blickten.

Der Frühling war dieses Jahr besonders früh angebrochen. Deshalb hatte man die mit ölgetränktem Leder bespannten Holzrahmen bereits aus den Fenstern der Unterrichtsräume entfernt. Deutlich konnte sie hören, wie die anderen Schülerinnen lateinische Verben vor sich hin murmelten. Robin lernte gerne, anders als etliche ihrer adeligen Mitschülerinnen. Aber nach den ersten vier Wochen in der Klosterschule – Anfang April hatte ihr Stiefvater Yvain sie nach Barking gebracht – hatte sie die strenge Disziplin nicht mehr ausgehalten.

Deshalb hatte sie die Äbtissin Matilda aufgesucht und ihr erklärt, dass sie nur dann im Kloster bleiben würde, wenn sie gelegentlich ihrer eigenen Wege gehen dürfe. Schließlich habe ihr auch ihre Mutter immer viele Freiheiten gelassen. Wenn es nicht der Wunsch ihrer Mutter gewesen wäre, dass sie die Klosterschule besuchte, wäre sie ohnehin nicht hierhergekommen.

Die Äbtissin hatte sie nachdenklich und auf ihre immer ein wenig einschüchternde Weise gemustert. Aber schließlich hatte sie Robin erlaubt, jede Woche einen Nachmittag lang das Kloster zu verlassen.

Robin hatte nun auch den vorderen Klosterhof durchquert, an dem die aus grauem Stein errichtete Kirche mit dem wuchtigen quadratischen Turm lag. Die Pförtnerin am Tor – eine rundliche Nonne um die fünfzig – erkannte sie und ließ sie passieren.

Jenseits einiger Felder, auf denen die ersten grünen Getreidehalme sprießten, konnte Robin die Themse in der Sonne funkeln sehen. Wie an dem Tag, als sie mit Yvain hier entlanggeritten war, erschienen ihr das Glitzern auf dem Wasser und der gewundene Flusslauf sehr vertraut.

Ob ich mich noch aus der Zeit, als ich als kleines Kind schon einmal im Kloster gelebt habe, daran erinnere oder ob ich mir das nur einbilde?, fragte sie sich. Auch die Äbtissin war ihr gleich wieder sehr bekannt vorgekommen, und anders als ihre Mitschülerinnen fürchtete sie sich nicht vor ihr.

Robin hatte vorgehabt, zu einem kleinen Wäldchen zu gehen und sich dort im Bogenschießen zu üben. Doch vor dem Holzwall, der den Ort Barking umgab, entdeckte sie nun Marktstände. Robin zögerte kurz. Das Gut in Wales, auf dem sie den größten Teil ihrer Kindheit verbracht hatte, war recht abgelegen gewesen, und sie hatte deshalb nur selten einmal einen Markt besuchen können. Rasch traf sie ihre Entscheidung. Vier freie Stunden lagen vor ihr. Eine davon konnte sie guten Gewissens opfern. Kurz entschlossen reihte sie sich in den Strom der Leute ein, die in Richtung des Marktes zogen.

Die ersten Stände waren die der Töpfer. Staunend betrachtete Robin die Schüsseln, Teller und Krüge, die in unterschiedlichen Farben glasiert waren. Auslagen von Fleischern und Bäckern schlossen sich daran an. Sie schienen von Würsten, Schinken, Brotlaiben und Kuchen schier überzuquellen.

»Kommt und kauft unser Wolltuch – es ist das beste weit und breit im Umkreis von London. Die Elle Leinen nur fünf Shilling …« Überall warben Stoffhändler um Aufmerksamkeit. An einem anderen Stand wurden Wachstäfelchen und Griffel angeboten.

Dann entdeckte Robin die Auslage eines Garnhändlers. Unwillkürlich trat sie ganz dicht an den Stand heran. Es gab Garne in matten Grün-, Braun- und Grautönen. Aber auch leuchtendes Blau und Rot war vertreten. Robin spürte einen Kloß im Hals und schluckte hart. Eine ihrer ersten Erinnerungen an ihre Mutter bestand darin, wie diese bunte Wolle spann. Sie hatte es immer geliebt, ihrer Mutter zuzusehen, wenn sie spann oder webte. Besonders fasziniert hatte sie es, wenn ihre Mutter stickte. Wenn auf dem Stoff eine bunte Linie entstand, die größer und größer wurde und unterschiedliche Formen annahm, schien es ihr, als sei der Faden lebendig. Sie war so stolz gewesen, als ihre Mutter sie zum ersten Mal selbst hatte sticken lassen. Nun war sie die Herrin über den Faden und konnte ihn zum Leben erwecken.

Zwischen den Wollgarnen lagen auch Seidenknäuel. Das Licht brachte die Farben zum Glühen, und doch fühlte sich das Garn – wie Robin wusste – wunderbar kühl zwischen den Fingern an. Manchmal hatte ihre Mutter von ihrer eigenen Mutter Aline – Robins Großmutter – erzählt, die eine Dienerin am Hofe der Königin Matilda gewesen war. Deshalb hatte Aline häufig mit Seide sticken können. In Robins Zuhause war dies dagegen ein seltener Luxus gewesen. Sie glaubte wieder, die warme Stimme ihrer Mutter zu hören und den Duft der Kräuter einzuatmen, nach denen sie immer gerochen hatte, und ihr schossen endgültig die Tränen in die Augen. Hastig wandte sie sich von dem Stand ab.

Sie ließ sich mit dem Strom der Marktbesucher weitertreiben und kam erst wieder richtig zu sich, als sie gegen jemanden stieß. »He, Junge, hast du keine Augen im Kopf?«, knurrte sie ein Mann unfreundlich an. Robin fand sich am Rand einer großen Menschenmenge wieder. Neugierig schob sie sich an dem Mann vorbei. Dicht vor dem mit Erde verstärkten Holzwall, der Barking umgab, befand sich ein Podest. Darauf stand ein hünenhafter Kerl, um dessen nackte, dicht behaarte Oberarme dicke Bronzeringe lagen. Herausfordernd grinste er die Menge an.

»Wer wagt einen Dolchkampf mit Colin, dem besten Dolchkämpfer nördlich der Alpen, ja des gesamten Abendlandes?«, tönte ein bärtiger Mann und deutete auf den Hünen. »Kommt schon, Leute, ich weiß, dass Colin einschüchternd wirkt. Aber wer den Kampf gegen ihn gewinnt, dem winkt ein großer Preis, ein Pfund in Gold.« Er ließ die Münze aus einem Lederbeutel auf seine Handfläche gleiten und präsentierte sie der Menge.

»Ich wage es!« Ein großer, kahlköpfiger Mann, über dessen breitem Brustkasten sich ein Wollkittel spannte, stieg die Stufen des Podiums hinauf.

»Oft ist das Glück dem Mutigen hold.« Der Bärtige lächelte ihn an. Auf einen Wink von ihm brachten Helfer einen Lederpanzer sowie Bein- und Armschützer aus Leder. Während sie diese dem Kahlköpfigen anlegten, gingen andere Helfer mit Holztellern durch die Menge und sammelten von den Zuschauern Münzen ein. Robin hatte kein Geld dabei. Sie wich zurück, versteckte sich in der Menge und schob sich erst wieder nach vorne, als sich die beiden Kämpfer gegenüberstanden. Um den Mund des Kahlköpfigen lag ein angespannter Zug, während der Hüne Colin völlig gleichmütig wirkte.

Einige Momente lang belauerten sich die beiden mit erhobenen Dolchen. Plötzlich trat der Kahlköpfige einen Schritt vor. Ein metallischer Laut ertönte. Etwas wirbelte durch die Luft, Lichtfunken blitzten auf. Dann ertönten fast gleichzeitig ein dumpfes Krachen und ein sirrender Ton. Der Kahlköpfige lag auf den Brettern, dicht neben ihm steckte sein Dolch im Holz.

»Bravo …« Die Menge johlte, klatschte und lachte, während sich der Kahlköpfige benommen regte und ihn die Helfer auf die Füße zerrten. Colin musterte ihn desinteressiert, als wäre er ein Stück Unrat.

Der Bärtige riss Colins rechten Arm in die Höhe, während er rief: »Nun, Leute, wagt noch ein Mutiger sein Glück?«

Robin wollte weitergehen. Bestimmt werden alle weiteren Kämpfe genauso ablaufen, dachte sie. Colin wird sie mühelos gewinnen. Doch der Mann, der nun die Stufen hinaufschritt, veranlasste sie stehen zu bleiben. Er war drahtig und nur mittelgroß. Graue Strähnen durchzogen seinen dunklen Bart und sein Haar. Seine gebräunte Haut ließ darauf schließen, dass er viele Jahre in einem südlichen Land zugebracht hatte.

»Ich würde gerne mein Glück versuchen«, sagte er ruhig.

»Na, ob sich Matthew, der Schmied, da nicht ein bisschen viel vorgenommen hat«, hörte Robin jemanden in ihrer Nähe murmeln.

»Dann wollen wir einmal sehen, ob Euch der Brustpanzer und die Bein- und Armschützer passen oder ob sie nicht zu groß für Euch sind.« Der Bärtige grinste und musterte den Schmied mit schief gelegtem Kopf.

Die Menge lachte.

»Ich hatte ohnehin nicht vor, sie zu benutzen.« Der Schmied winkte ab.

»Ihr solltet Mut nicht mit Tollkühnheit verwechseln«, begann der Bärtige. »Wenn Ihr ungeschützt kämpft, kann dies Euren Tod bedeuten.«

Der Schmied beachtete ihn nicht. Er zog seinen Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel, ging auf Colin zu und blieb dann vor ihm stehen. Sein Gegner musterte ihn verächtlich. Einige Augenblicke belauerten sich die beiden. Schließlich riss der Hüne seinen Waffenarm hoch und sprang gleichzeitig in einer geschmeidigen Bewegung auf den Schmied zu. Die Menge stöhnte auf. Robin schloss die Augen.

Als sie langsam wieder die Lider öffnete, erwartete sie, den Schmied blutend auf den Brettern liegen zu sehen. Doch er war auf den Beinen geblieben und ganz offensichtlich unverletzt. Ja, er wirkte gänzlich wach und konzentriert, während der Hüne einen gereizten Eindruck machte. Erneut drang dieser nun auf seinen Gegner ein. Der Schmied wich ihm mit einer Bewegung aus, die so leicht und elegant war, als ob er tanzen würde.

Nun begann er den Hünen zu umkreisen, immer mit diesen tänzerischen Bewegungen. Sobald Colin ihn angreifen wollte, führte dessen Stich ins Leere. Urplötzlich erklang wieder ein metallischer Laut. Etwas wirbelte gleißend durch die Luft. Robin hielt den Atem an. Blut tropfte aus einer Wunde am Unterarm des Hünen, während sein Dolch auf den Brettern aufschlug.

»Du verdammter Mistkerl!« Mit einem wütenden Schrei stürmte der Hüne auf den Schmied los. Doch dieser drehte sich geschmeidig zur Seite, so dass Colin an ihm vorbeirannte. Gleich darauf trat der Schmied dem Hünen von hinten in die Kniekehlen. Bäuchlings schlug Colin auf die Bretter, während die Menge in ein johlendes Gelächter ausbrach.

Robin atmete tief und seufzend aus. Wenn ich so kämpfen könnte wie dieser Schmied, könnte mir niemand etwas anhaben, schoss es ihr durch den Kopf.

*

Unschlüssig stand Robin, die wieder wie ein Junge gewandet war, vor der Schmiede. In Hose und Kittel fühlte sie sich wohler als in den Kleidern, die sie immer im Kloster tragen musste. An einem Amboss bearbeitete Matthew das glühende Metall eines Spatens mit einem Hammer. Seine Schläge waren kraftvoll und geschickt. Während der Woche, die seit dem Markttag vergangen war, war es Robin ganz einfach erschienen, hierherzukommen und den Schmied zu bitten, sie im Dolchkampf zu unterrichten. Doch jetzt fühlte sie sich plötzlich unsicher. Nun packte Matthew das Spatenblatt mit einer Zange und tauchte es in einen Bottich voller Wasser. Zischend stieg Dampf auf.

Robin gab sich einen Ruck und trat auf den Schmied zu. »Ich … ich habe gesehen, wie Ihr gegen Colin gekämpft habt«, begann sie stockend.

»Ach ja?« Matthew legte das Spatenblatt auf einem groben Holztisch ab.

»Ich möchte Euch bitten, mich im Dolchkampf zu unterrichten.« Nun war es heraus. »Ich kann Euch auch bezahlen.« Robin berührte den Lederbeutel an ihrem Gürtel. Darin befanden sich Münzen, die ihr Yvain zum Abschied geschenkt hatte.

»Und warum sollte ich das tun, Junge? Abgesehen von der gewiss fürstlichen Bezahlung?« Der Schmied wirkte unverhohlen amüsiert. Seine Augen, das sah Robin erst jetzt, hatten einen hellen Grauton. So wie das Grau eines nebligen Tages oder Rauch, der von einem lodernden Feuer aufstieg.

»Ich bin kein Junge.« Sie zog die Mütze von ihrem Kopf. Ihr rotes Haar fiel auf ihren Rücken herab. »Ich lebe im Kloster und besuche dort die Schule.«

»Dass ein Schulmädchen lernen will, mit Waffen zu kämpfen, ist nun wirklich ungewöhnlich.« Matthew musterte sie. Seine Stimme klang trocken. Noch immer wirkte er belustigt und nicht im Geringsten gewillt, auf ihren Wunsch einzugehen.

Zorn stieg in Robin auf. Trotzig starrte sie ihn an. »Falls Ihr darauf hinauswollt, dass ein Mädchen weniger Kraft hat als ein Junge … Ihr hattet auch weniger Kraft als Colin. Trotzdem habt Ihr ihn durch Eure Gewandtheit besiegt.«

»Colin ist ein muskelbepackter Dummkopf.« Matthew nickte. »Wissen eigentlich die Nonnen, dass du dich im Ort herumtreibst? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dies gutheißen würden.«

»Die Äbtissin hat es mir erlaubt.«

»Tatsächlich? Nach allem, was ich über sie gehört habe, wundert mich das.«

»Ich lüge Euch nicht an«, erwiderte Robin hitzig. »Die Äbtissin hat meine verstorbene Mutter sehr geschätzt. Als Kind habe ich schon einmal im Kloster gelebt, als meine Mutter eine Zeit lang sehr krank war.«

»Wie lange ist deine Mutter tot, Mädchen?«

»Vor zwei Monaten starb sie an einem Fieber.« Robin blickte an Matthew vorbei. Noch immer stieg der Dampf in kleinen Wolken von dem Spatenblatt auf. Als sie den Schmied wieder ansah, wanderte sein Blick von dem Bogen, den sie über der Schulter trug, zu dem Köcher, der auf ihrer Hüfte hing.

»Du scheinst dich wirklich gerne im Umgang mit Waffen zu üben.«

»Ja«, antwortete Robin knapp.

»Und warum tust du das – statt wie andere Mädchen deine Fertigkeiten mit Nadel und Faden zu vervollkommnen?«

»Ich sticke auch gerne und gut.«

Matthew sah sie nachdenklich an.

Weil ich nicht möchte, dass mir ein Mann jemals das antut, was meiner Mutter angetan wurde, schoss es ihr durch den Kopf. »Ich … ich möchte mich verteidigen können, wenn mich jemand angreift«, sagte sie stattdessen ausweichend.

Der Schmied musterte sie weiter prüfend. Er weiß, dass ich nicht die ganze Wahrheit gesagt habe, begriff Robin.

»Wenn du es schaffst, das Ziel zu treffen, das ich dir zeige, unterrichte ich dich«, sagte er dann.

»Einverstanden.« Robin nickte.

Matthew führte sie um die Schmiede herum und in einen lang gestreckten Garten mit frisch umgegrabenen Beeten. Am Rande einer Wiese blieb er stehen und deutete auf einen der zart belaubten Obstbäume in etwa fünfunddreißig Schritten Entfernung, an dem eine aus Stroh geflochtene Scheibe mit einer roten Markierung in der Mitte befestigt war. »Dort hängt dein Ziel. Du hast vier Versuche. Einer davon muss in die Mitte treffen.«

Aber das Ziel ist viel zu weit weg, wollte Robin auffahren. Doch dann begriff sie, dass der Schmied bestimmt genau auf diesen Einwand wartete, und biss die Zähne zusammen. Sie nahm einen Pfeil aus dem Köcher und stellte sich mit leicht gebeugten Knien hin, so wie es ihr ihr Bruder Luce beigebracht hatte. Sie fixierte das Ziel, atmete ein und ließ mit dem Ausatmen den Pfeil von der Sehne schnellen. Der Pfeil fiel vor dem Ziel zu Boden und bohrte sich ins Gras. Nicht darüber nachdenken, konzentrier dich auf den nächsten Versuch, beschwor sie sich in Gedanken. Auch die anderen beiden Pfeile verfehlten die Scheibe. Erst der vierte traf sie am Rand. Sie hatte versagt. Die Schamesröte schoss Robin in die Wangen.

Sie wagte es nicht, Matthew anzusehen, denn sie fürchtete sich vor seinem Spott. Sie hob den Köcher auf und wollte über die Wiese gehen, um die verschossenen Pfeile aufzusammeln.

»Du hast deine Sache gut gemacht, ich unterrichte dich«, hörte sie Matthew sagen.

»Was …?« Robin wirbelte herum. Sicher machte er sich nur über sie lustig. Doch seine Miene war ganz ernst.

»Aber ich habe die Scheibe doch nur einmal und die Mitte gar nicht getroffen«, stammelte sie.

»Das wäre auch sehr unwahrscheinlich gewesen.« Matthew lächelte sie an. »Auch selbst ein kräftigerer und erfahrenerer Schütze als du hätte damit seine Schwierigkeiten gehabt. Wichtig war mir, dass du dich der Herausforderung stellst. Und trotz der fehlgeschlagenen Versuche hast du nicht aufgegeben.«

»Dann darf ich also wirklich nächste Woche zu Euch kommen?« Noch immer konnte Robin es nicht ganz fassen.

»Ja, aber sag der Äbtissin Bescheid, dass ich dich im Dolchkampf unterrichte.«

»Das werde ich tun.« Strahlend erwiderte Robin sein Lächeln.

1. Kapitel

Robin legte den Lederköcher auf den Waldboden. Sie nahm einen Pfeil heraus und ließ dann den Bogen von ihrer Schulter gleiten. Die geflochtene Strohscheibe an der Buche, siebzig Schritt von ihr entfernt, war schon reichlich verwittert, obwohl sie schon einige Male erneuert worden war. Vor drei Jahren, kurz nachdem Matthew sich bereit erklärt hatte, sie zu unterrichten, hatte Robin die Scheibe an dem Baum befestigt. Seither war sie regelmäßig zu der Lichtung gekommen, um sich auch allein im Pfeilschießen zu üben. Hier im Wald fühlte sie sich heimisch und frei.

Robin positionierte sich breitbeinig und fixierte den verwaschenen roten Kreis in der Mitte der Scheibe, ehe sie den Pfeil auf die Sehne legte und den Bogen spannte. Diesen Bogen besaß sie erst seit einem Jahr. Matthew hatte ihn von einem arabischen Händler erworben und ihn ihr geschenkt. Die Enden der Waffe waren gerundet, und sie konnte damit viel weiter schießen als mit einem normalen Bogen.

Du musst eins mit dem Pfeil werden, hatte Matthew ihr immer wieder geduldig erklärt. Robin atmete tief ein. Mit dem Ausatmen ließ sie den Pfeil von der Sehne schnellen. Er blieb einige Fingerbreit neben dem roten Kreis stecken. Robin nahm einen weiteren Pfeil aus dem Köcher, konzentrierte sich wieder. Ärgere dich nicht über einen Fehlschuss, hatte Matthew sie gelehrt. Das raubt dir nur Aufmerksamkeit und Kraft. Wichtig ist nur der nächste Versuch.

Der Pfeil landete nicht direkt im Zentrum, aber innerhalb des Kreises. In rascher Folge schoss Robin weiter. Als der Köcher leer war, hörte sie die Geräusche des Waldes, das Zwitschern der Vögel und das Rascheln eines kleinen Tieres im Unterholz, erst nach einigen Momenten, so sehr hatte sie sich auf das Schießen konzentriert. Zufrieden stellte sie fest, dass nun fast alle Pfeile ins Zentrum getroffen hatten oder zumindest dicht daneben steckten.

Nachdem Robin die Pfeile aus der Scheibe gezogen und wieder in dem Köcher verstaut hatte, raffte sie an einer sonnigen Stelle trockenes Laub zusammen und setzte sich darauf. Der Apriltag war warm, wie auch überhaupt der Frühling in diesem Jahr wieder recht zeitig angebrochen war. Da und dort spitzten weiße und gelbe Blüten zwischen Moos und braun verfärbten Blättern hervor.

Robin nahm eine Kalebasse aus ihrem Bündel und trank einige Schluck Wasser. Schon bald, ging es ihr durch den Kopf, werde ich nicht mehr auf diese Lichtung kommen können. Yvain, ihr Stiefvater, würde sie abholen und mit sich nach Wales nehmen. Sie freute sich darauf, ihn wiederzusehen, und auch auf sein Gut und seine Knechte und Mägde freute sie sich. Denn sein Anwesen war ihr Zuhause.

Die Äbtissin Matilda, überlegte sie weiter, werde ich vermissen. Denn die illegitime Tochter König Henrys II. war für sie zu einer strengen, aber auch großherzigen mütterlichen Vertrauten geworden. Der Unterricht würde ihr ebenfalls fehlen. Gut, auf die Heiligenlegenden hätte sie verzichten können. Aber sie liebte die antiken Fabeln und Erzählungen und die Artus-Legenden, und es hatte ihr Freude bereitet, Latein und Französisch zu lernen. Fortschritte in diesen Sprachen zu machen war so ähnlich gewesen, wie eine immer längere Linie aus Stichen auf einem Stoff auszuführen. Zuerst war alles sehr verwirrend, nur um sich allmählich zu klären und Gestalt anzunehmen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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