Die Wikinger - Kampf um die Krone - James L. Nelson - E-Book
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Die Wikinger - Kampf um die Krone E-Book

James L. Nelson

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Beschreibung

Norwegen und Irland im 9. Jh. Bei stürmischer See und mitten in der Nacht fällt den Wikingern um Thorgrim Nachtwolf ein unscheinbares Fischerboot in die Hände. An Bord: eine außergewöhnlich reich mit Juwelen verzierte Goldkrone, die Krone der Drei Königreiche. Sie allein vermag die einander ständig bekriegenden Stämme Westirlands zu vereinen. Sie allein bestimmt, in wessen Händen die Macht liegt. Ehe sie sichs versehen, stehen die Männer mitten im Kampf um das mythische Wahrzeichen, und nur die Tapfersten werden überleben ...

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Inhalt

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

Epilog

Historische Anmerkungen

Glossar

Über den Autor

Bevor er begann, über das Segeln zu schreiben, lebte und arbeitete James L. Nelson sechs Jahre lang an Bord traditioneller Segelschiffe. Seine zahlreichen Sachbücher und Romane wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit Preisen der American Library Association. Nelson liest in ganz Amerika aus seinen Büchern und erscheint regelmäßig im Fernsehen. Er lebt mit seiner Frau Lisa und den gemeinsamen Kindern in Harpswell, Maine.

James L. Nelson

DIE WIKINGER –KAMPFUM DIE KRONE

Historischer Roman

Aus dem amerikanischen Englisch vonAlexander Lohmann

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Der vorliegende Roman ist frei erfunden. Namen, Orte, Figuren und Ereignisse sind entweder ausgedacht oder werden vom Autor ausschließlich fiktional verwendet. Jede Übereinstimmung mit tatsächlichen Geschehnissen, Schauplätzen, Organisationen oder Personen, lebend oder bereits verstorben, ist rein zufällig und weder vom Autor noch vom Verlag beabsichtigt.

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2012 by James L. Nelson

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Fin Gall«

Originalverlag: Fore Topsail Press

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Frank Weinreich, Bochum

Titelillustration: © Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Motiven

von shutterstock/Ryszard Filipowicz; shutterstock/Jari Hindstroem;

shutterstock/alessandro guerriero; thinkstock/istock/johnnorth

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-2296-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Fin Gall – ein gälischer Ausdruck für Wikinger norwegischer Herkunft. Er bedeutet so viel wie »Weiße Fremde«.

Prolog

Die Saga von Thorgrim Ulfsson

Einst lebte ein Mann mit dem Namen Thorgrim Ulfsson, den man auch Thorgrim Nachtwolf nannte. Er stammte aus Vik in Ost-Agder in Norwegen.

Als Thorgrim ein junger Mann war, wurde er Hirdman eines mächtigen Jarls, dessen Hof ungefähr fünfzig Meilen entfernt von Vik lag. Dieser Jarl, Ornolf Hrafnsson, war auch als Ornolf der Rastlose bekannt, und drei Sommer lang gingen Ornolf und seine Männer auf Wikingerfahrt in England und Irland.

Thorgrim war ein ausgezeichneter Kämpfer und ein begnadeter Dichter, zwei Talente, die bei den Wikingern äußerst geschätzt wurden. Bald beförderte Ornolf ihn vom einfachen Hirdman zum Herse, seinem Stellvertreter und dem Anführer seines Kriegstrupps. Thorgrim war hoch angesehen unter den Männern, und Ornolf schätzte ihn sehr.

Zu dieser Zeit machten die Wikinger reiche Beute. Ornolf mehrte seinen Wohlstand beträchtlich, und alle, die mit ihm segelten, gelangten ebenfalls zu Reichtum. Nach drei Jahren ging Thorgrim eigene Wege und kehrte auf den heimatlichen Hof in Ost-Agder zurück. Mit dem Vermögen, das er bei den Wikingerfahrten gewonnen hatte, kaufte er sowohl zusätzliches Land wie auch Vieh und Sklaven und war bald einer der wohlhabendsten Bauern im Umkreis.

Ornolf der Rastlose war Thorgrim noch immer zugetan und vergaß nicht, was dieser alles für ihn getan hatte. Als Thorgrim entschied, dass es an der Zeit war, eine Frau zu nehmen, da bot Ornolf ihm die Hand seiner zweiten Tochter, Hallbera Ornolfsdottir, auch als Hallbera die Schöne bekannt.

Ornolfs eigene Frau war berüchtigt für ihre üblen Launen und eine spitze Zunge, dennoch waren all seine Töchter freundlich und von sanftem Gemüt. Ornolf liebte sie und hätte sie niemals gegen ihren Willen in eine Ehe gezwungen. Sein Angebot an Thorgrim stand darum unter dem Vorbehalt, dass Hallbera dieser Verbindung zustimmte. Aber Thorgrim war ein besonnener Mann, liebenswürdig und dazu noch überaus wohlhabend, sodass Hallbera die Heirat begrüßte.

Am Tage der Hochzeit überreichte Thorgrim dem Ornolf fünfzig Silbermünzen als Brautgeld, und Ornolf überließ Thorgrim einen ausgezeichneten Bauernhof im Norden des Landes als Mitgift.

Thorgrim und Hallbera führten eine gute Ehe. Sie waren sehr verliebt ineinander und zufrieden mit ihrem Leben auf dem Anwesen in Vik, das sie beständig erweiterten. Sie bekamen drei Kinder. Den ältesten Sohn nannten sie Odd, den zweiten Harald, und hinzu kam eine Tochter, Hild. Die Söhne waren fleißig, sie wuchsen zu starken Männern heran und zu guten Bauern. Als Odd das Mannesalter erreichte, gab Thorgrim ihm den Hof im Norden, der ihm als Mitgift zugefallen war, und Odd zog fort, um sein neues Land zu bestellen.

Zehn Jahre nachdem sie Hild zur Welt gebracht hatte, wurde Hallbera ein weiteres Mal schwanger. Doch sie war nicht mehr jung, und es gab Probleme. Trotz aller Bemühungen der Hebamme und ungeachtet der zahlreichen Opfer, die Thorgrim den Göttern darbrachte, starb Hallbera bei der Geburt. Das Kind jedoch überlebte. Es war ein Mädchen, und Thorgrim nannte es nach seiner Mutter Hallbera.

Ornolf der Rastlose hatte nie aufgehört, von einem weiteren Beutezug zu träumen, obwohl er längst Reichtümer besaß und ein behagliches Leben führte. Also erwarb er ein Langschiff, stellte eine Mannschaft zusammen und fragte Thorgrim, ob dieser noch einmal als sein Stellvertreter mitsegeln wolle.

Bis zu diesem Zeitpunkt war Thorgrim zuhause glücklich gewesen und hatte nie daran gedacht, wieder auf Reisen zu gehen. Aber nach Hallberas Tod fiel es ihm schwer, ohne sie an dem vertrauten Ort zu leben. Außerdem wollte er Ornolf nicht im Stich lassen, der immerhin sein Schwiegervater war. Auch die Aussicht auf einen Kampf kam ihm nicht ganz ungelegen. Also willigte er ein. Man schrieb das Jahr 852 nach dem christlichen Kalender, sieben Jahre nachdem Thorgils – der Däne, der sich selbst zum König von Irland erhoben hatte – von den Iren ertränkt worden war.

Thorgrims zweiter Sohn, Harald, war zu diesem Zeitpunkt fünfzehn, so kräftig, wie ein Jüngling nur sein konnte, und bereit, auf Wikingerfahrt zu gehen. Also nahm Thorgrim ihn mit.

Und davon erzählt die folgende Geschichte …

1. Kapitel

Nur der weitgereiste Mann versteht,was die Menschen, die er trifft,in ihrem Innersten bewegt.

Aus dem Havamal,einer Sammlung von nordischen Weisheiten

Der Sturm tobte immer heftiger. Eiskalte Gischt wehte waagerecht heran, und graue Wellenberge stürzten auf das mühsam gegen den Seegang ankämpfende Langschiff herab.

Ornolf der Rastlose war sturzbetrunken.

Aufrecht stand er am Bug des Schiffes, seines Wikingerschiffs, das er den Roten Drachen nannte. Sein kräftiger Arm schlang sich um den schlanken hölzernen Steven, der in einem eleganten Bogen aufwärtsstrebte und fünfzehn Fuß über ihm in dem grinsenden und zähnefletschenden Haupt eines Drachen auslief. Der Drachenkopf sah Furcht erregend aus, aber nicht halb so Furcht erregend wie Ornolf der Rastlose in diesem Augenblick.

Sein Haar war rot und grau und klebte ihm an Kopf und Rücken, sein durchnässter und verfilzter Bart sah wie Seegras aus. Die ausgepolsterte Tunika, die er mit einem breiten Ledergürtel fest um den fülligen Leib geschnürt hatte, war mit Wasser vollgesogen. Mitten im Sturm hatte der Jarl beschlossen, den Gott Thor herauszufordern.

»Gott von Blitz und Donner, ja?«, brüllte er zur dichten Wolkendecke empor, die tief und düster über dem aufgewühlten Ozean hing. »Is’ das alles, was du draufhast? Da musst du schon ’ne Menge mehr aufbieten, wenn du Ornolf umbringen willst!«

Der Bug des Langschiffs wurde von einer Welle angehoben, als trüge Odins Hand selbst Ornolf in den Himmel empor. Er jauchzte vor Begeisterung. Dann schoss das Schiff wieder hinab, tiefer und tiefer in das Wellental hinein. Die Backbordseite tauchte ins Meer und schöpfte eine halbe Tonne Wasser in den Rumpf, das in einer Flutwelle mittschiffs schwappte und sich am Mast brach, an den Dutzenden von Seekisten, die an Deck vertäut waren, sowie an dreiundsechzig tropfnassen und elenden Kriegern, die das Unwetter nicht halb so sehr genossen wie Ornolf.

»Ha!«, brüllte Ornolf dem Himmel entgegen. »Das ist alles? Da kann ich mehr Wasser in Bewegung setzen!« Und um Thor zu beweisen, dass er das ernst meinte, ließ Ornolf den Hals seines Drachen los, zog sich die Hosen herunter und pisste teils über die Reling, teils auf das Deck, während er versuchte, auf dem wild schwankenden Bug sein Gleichgewicht zu halten.

Neunzig Fuß achtern stemmte sich Thorgrim Ulfsson steuerbords gegen die Ruderpinne und führte das flache Wikingerboot durch die aufgewühlte See. Er wandte den Kopf aus der Gischt und spuckte das Meerwasser aus, das ihm am Gesicht hinab in den Mund lief. Er konnte Ornolfs trunkenes Gebrüll kaum verstehen unter dem Heulen des Windes, doch was er hörte war genug, um sich zu wünschen, dass der alte Mann endlich Ruhe gab.

Er wird Unglück über uns alle bringen, nur um Thor zu beweisen, dass er nicht mal einen Gott fürchtet … Thorgrim selbst hing dem Kult des Odin an. Dennoch hielt er wenig davon, Thor auf diese Weise zu reizen.

Die meisten von Ornolfs Kriegern kauerten mittschiffs unter ihren Decken und Pelzen und ertrugen stumm Kälte und Nässe. Andere schöpften wie wild und kippten das Meerwasser eimerweise über die windabgewandte Reling, wenn sie es nicht sogar mit ihren Lederhelmen rausschaufelten. Das Schiff der Wikinger maß hundert Fuß, doch im Grunde war es nur ein offenes Boot. Die an den Längsseiten aufgehängten runden Holzschilde boten kaum Schutz vor dem Wind.

»Komm schon, Thor, du armseliger Taugenichts!«, schrie Ornolf. »Hast du keinen Blitz für mich? Ich fange ihn auf! Und zwar damit!« Er streckte den nackten Arsch gen Himmel, so weit er es eben vermochte. Was so weit nicht war: Ornolf hatte Mühe, seine Körpermitte zu beugen.

Die Männer an Deck tauschten Blicke. Sie schüttelten den Kopf und funkelten ihren Jarl mit unverhohlener Wut in den Augen an. Thorgrim war nicht der Einzige, der sich wünschte, dass Ornolf endlich Ruhe gab.

Thorgrims Sohn Harald Thorgrimsson behauptete seinen Platz unter den Männern. Er war fünfzehn, auch wenn sein Körperbau ihn älter wirken ließ, und was ihm an Klugheit fehlte, glich er durch Eifer und Stärke wieder aus. Er war kleiner als die Übrigen, doch fast ebenso breit. Natürlich trug er noch keinen Bart, aber davon abgesehen unterschied er sich kaum von den anderen Kriegern. Er benutzte seinen Eisenhelm als Eimer und schleuderte Wasser über Bord.

Das rot und weiß gestreifte Segel des Wikingerschiffs war fest an die Rah gebunden, die im Sturm vor und zurück schwang. Es war auf fünf Fuß gerefft, aber nicht komplett hochgezogen worden, damit das Schiff manövrierbar blieb. Überall um sie herum ragten die düsteren stahlgrauen Wogen in endloser Folge über dem Schiff auf, die Kämme von weißem Schaum gekrönt, sodass kaum etwas anderes zu sehen war als Berge von Wasser. Und im nächsten Augenblick ergriffen die Fluten das Boot und hoben es an, immer höher, bis man durch die tosende Gischt und die ausgefransten Wolken die grünen Küsten von Irland erspähen konnte, wenige Meilen entfernt auf der dem Wind zugewandten Seite.

Vorn prahlte Ornolf weiter, unbeeindruckt von den bösen Blicken, die ihm zuflogen wie der Sprühnebel über der aufgewühlten See. Nur ein kurzer Zug am Ruder, dachte Thorgrim, und ich könnte den Bug ins Meer tauchen lassen und Ornolf fortspülen wie eine lästige Fliege. Aber natürlich würde er nichts dergleichen tun. Er war Ornolfs Hirdman, ja der Herse seines Jarls. Ornolf war sein Schwiegervater.

»Harald!« Thorgrim rief seinen Sohn und wiederholte den Ruf lauter, um im Sturm gehört zu werden: »Harald!«

Harald blickte auf und blinzelte gegen das Sprühwasser an. Seine Wangen waren gerötet, und er grinste, doch Thorgrim nahm die Furcht hinter dem Lächeln wahr. Das beunruhigte ihn nicht. Harald war jung, und in diesem Alter hatte Thorgrim selbst Angst gehabt. Er erinnerte sich an das Gefühl wie an eine Frucht, die er einmal gekostet hatte – vor so langer Zeit, dass er den Geschmack fast vergessen hatte. Heute gab es nichts mehr, was Thorgrim fürchtete. Nichts in der diesseitigen Welt jedenfalls, in der Welt der Menschen und der Stürme.

»Komm nach hinten!«, rief er, und Harald legte seinen Helm beiseite und machte sich auf den Weg. Er zwängte sich zwischen den Männern hindurch und setzte über die Seekisten, so behände, wie es nur ein Fünfzehnjähriger konnte.

»Ja, Vater?«

»Dein Großvater hat sein Glück weit genug herausgefordert. Schnapp dir das Seil hier und binde ihn am Steven fest!«

Harald grinste bei dem Gedanken. Er war der Einzige an Bord, der das wagen durfte. Jeden anderen Mann hätte Ornolf schon bei dem Versuch ins Meer geworfen, aber seinem geliebten Enkelsohn würde er niemals etwas antun.

Harald hob das Seil aus geflochtener Walrosshaut auf und sprang so leichtfüßig nach vorn, als liefe er auf einem festen Weg, daheim auf ihrem Hof in Ost-Agder, und nicht auf dem schlüpfrigen und teilweise überfluteten Deck eines heftig schlingernden Schiffes.

Thorgrim sah ihm zu, bewunderte sein Geschick und erinnerte sich an eine Zeit, als er sich selbst noch so bewegt hatte. Thorgrim war achtunddreißig. Zweieinhalb Jahrzehnte voller Kämpfe und Saufgelage, harter Arbeit und entbehrungsreichen Seefahrten hatten ihre Spuren hinterlassen. Mitunter fragte er sich, wie Ornolf, der noch sechzehn Jahre älter war als er, so weitermachen konnte. Aber Ornolfs Stehvermögen war legendär.

Am Bug zwängte Harald sich an dem schwankenden Jarl vorüber und warf das Seil um den hoch aufragenden Vordersteven. Thorgrim sah, wie die Münder der beiden sich bewegten, wie Arme wild gestikulierten, doch was gesagt wurde, war nicht zu verstehen. Dann schlang Harald das Seil um Ornolfs Mitte und zurrte es fest, ohne dass der Alte sich widersetzte.

Harald wusste, wie er seinen Großvater anpacken musste. Großvater und Enkelsohn waren einander sehr ähnlich, und Thorgrim fragte sich mitunter, ob das so eine gute Sache war.

Jetzt bewegte Harald sich wieder nach hinten und kam entschlossen auf seinen Vater zu. Thorgrim konnte nur gelegentlich in seine Richtung blicken, er hatte alle Hände voll zu tun, das Schiff im Seegang auf Kurs zu halten und dafür zu sorgen, dass es nicht mit seiner Breitseite vor die Wellen geriet. Er trug einen Mantel aus Bärenfell über der Tunika, und eine Zeit lang hatte dieses Kleidungsstück ihn warm und trocken gehalten. Nun allerdings war es durchnässt und so schwer wie ein Kettenhemd. Thorgrim taten die Arme weh vom ständigen Zerren an der Ruderpinne. Inzwischen hatte er jedoch ein Gespür für das Schiff entwickelt und wagte es nicht, das Steuer abzugeben. Keiner an Bord konnte es in diesen Dingen mit seinem Geschick und seiner Erfahrung aufnehmen!

»Vater!«, rief Harald ihm aus wenigen Fuß Entfernung zu.

»Was?«

»Großvater sagt, er hat ein Schiff gesehen. Dort draußen!« Harald wies leewärts, wo im Augenblick nichts als eine Wand aus Wasser stand, die mit dem Wind von ihnen fortrollte.

»Tatsächlich?«

»Er meint, wir sollen mal nachschauen, was die so treiben!«

Thorgrim nickte. Beute. Das war für jeden an Bord das Wichtigste, und bloße Unannehmlichkeiten – beispielsweise ein Sturm, der sie alle umzubringen drohte – reichten nicht aus, um ihren Appetit zu zügeln.

Es war nun einen Monat her, dass sie Vik in Norwegen verlassen hatten. Danach hatten sie ein Dorf an der Nordostküste Englands überfallen, was wenig eingebracht hatte, und später nach kurzem Kampf noch ein dänisches Handelsschiff gekapert. Wie sich herausstellte, war der Däne gerammelt voll mit wertvollen Handelsgütern – Pelze und Axtblätter aus Eisen, Bernstein, Tuchballen, Walrosszahn und Schleifsteine. Seitdem hielt Ornolf Kurs auf Dubh-Linn, den norwegischen Longphort in Irland, wo sie ihre Beute verkaufen wollten. Doch ein kleiner Nachschlag war stets willkommen.

Die nächste Welle schob sich unter den Roten Drachen und ließ ihn himmelwärts steigen. Thorgrim suchte den südlichen Horizont nach dem Schiff ab, das Ornolf entdeckt hatte, fand aber nichts. Es musste gerade in einem Wellental verschwunden sein.

»Hast du das Schiff auch gesehen?«, fragte Thorgrim.

»Nein! Vielleicht finde ich es jetzt!« Harald glitt an Thorgrim vorbei, setzte einen Fuß auf die Reling und schwang sich empor, während das Wikingerboot unter ihm erneut in die Tiefe stürzte. Er schlang die Arme um den hohen Achtersteven, drückte sich mit den Füßen ab und schob sich immer weiter in die Höhe.

Kurz darauf rief er: »Ja! Ja! Da ist es, unter dem Wind.« Harald rutschte am schlüpfrigen Holz hinunter und landete auf dem Deck. »Nicht sehr groß«, berichtete er fast entschuldigend, als wäre es seine Schuld. »Aber gleich leewärts.«

Thorgrim nickte. Er ließ die Information erst mal sacken. Es war vollkommen verrückt, bei diesem Seegang einem anderen Schiff zu nahe kommen zu wollen, geschweige denn, es zu entern. Doch ihm kam gar nicht erst in den Sinn, es nicht wenigstens zu versuchen – so wenig, wie irgendwer sonst an Bord das erwogen hätte.

»Gib den Männern Bescheid, dass wir wenden! Sag ihnen, wir stellen die Rah quer, sobald wir drehen!«

Harald grinste und war schon wieder auf dem Weg nach vorn. Thorgrim behielt das Wetter im Auge und schaute gelegentlich mittschiffs, wo Harald die Botschaft weitergab. Wenige Augenblicke zuvor hatten die Wikinger dort noch mürrisch vor sich hin gebrütet, nun warfen sie alle ihre durchnässten Decken und Felle zur Seite und richteten sich erwartungsvoll auf. Es war, als hätte sich der Himmel geöffnet, um sie in Met und Sonnenschein zu baden.

Ich bete zu Odin, dass die Beute es wert ist, dachte Thorgrim. Es war gut möglich, dass ihr Ziel nur ein erbärmliches Fischerboot war und die Gefahr eines Angriffs bei diesem Seegang nicht lohnte.

Weit vorn am Bug fingerte Ornolf eine halbe Minute lang an dem Knoten herum, mit dem Harald das Walrossseil gesichert hatte. Dann zog er den Dolch und schnitt es kurzerhand durch. Er stolperte zur Mitte des Schiffes und brüllte Befehle. Männer kauerten sich an beiden Seiten hinter das Dollbord, lösten die Brassen von den Klampen und machten sich bereit, die Rah in Position zu ziehen.

»Siehst du das, Thorgrim?« Ornolf trat neben seinen Hirdman ans Ruder. »Du musst Thor nur beweisen, dass du genauso große Eier hast wie er, und schon lässt er dir seine Gaben in den Schoß fallen!«

»Er könnte dabei etwas besser zielen!«

»Ach, ihr jungen Männer, so verzärtelt wie die Weiber! Ihr wisst gar nicht, was ein echter Kampf ist!«

Thorgrim lächelte über Ornolfs Sticheleien. Er fühlte sich weder zart noch besonders jung.

»Ich werde dafür sorgen, dass mein Enkel kein schwächliches Weibchen wird wie der Rest von euch, verlass dich drauf!«

Thorgrim hörte Ornolf nur mit halbem Ohr zu. Seine Aufmerksamkeit galt vor allem der Reihe von Wogen, auf denen sie ritten. Er fasste die Ruderpinne fester und wartete, wartete auf die eine ruhige Stelle, die winzige Lücke im sich auftürmenden Meer, in der er das Wikingerboot wenden konnte.

Und dann war die Chance da, nicht perfekt, aber das Beste, worauf er hoffen konnte. Er stemmte sich mit all seinem Gewicht gegen das Ruder und sah zu, wie der schlanke Drachenhals herumschwenkte, aus dem Wind geriet und wie die Männer mittschiffs die große Rah in Position zogen.

Die nächste Welle stieg unter dem Langschiff empor und drehte es. Thorgrim hielt mit dem Steuerruder dagegen, damit das Schiff nicht zu weit herumwanderte. Der Wind und die Wogen kamen nun von hinten, und der Rote Drache, der vorher so mühsam gegen den Seegang angekämpft hatte, schoss die Wellen hinab. Erst hob sich das Heck, dann glitt das Boot den Wellenhügel hinunter, bis die Woge unter dem Rumpf hindurch war und den Bug nach oben warf. Der Sturm wirkte mit einem Mal weniger heftig, und die Aussicht auf Beute ließ die Männer alle Gefahr vergessen.

»Da! Da!« Ornolf hielt sein Schwert in der Hand und wies nach vorn. Das zweite Schiff stieg gerade eine Welle hinauf. Es fuhr eine halbe Meile voraus in Windrichtung.

Iren, dachte Thorgrim. Es war ein Curragh, ein großes, das nur mit einem winzigen Stück Segel im Wind lag. Es mochte ein Fischerboot sein, oder ein Händler, der an der Küste entlangreiste. Das ließ es nicht sehr wahrscheinlich erscheinen, dass viel von Wert an Bord zu finden war.

Doch die Wikinger kümmerte das wenig. Sie waren zum Kampf bereit. Die Männer zogen ihre Schwerter, nahmen Äxte und Speere auf. Die runden Schilde wurden vom Dollbord gehoben. Kotkel der Grimmige schwang seine Axt in einem großen Bogen, sodass die anderen die Köpfe einzogen. Manch einer hielt Kotkel für einen Berserker, und wenn er keiner war, kam er dem zumindest sehr nahe.

OlafFlachsbart und sein Zwillingsbruder Olvir befestigten die Schilde an ihren Armen. Vefrod Vesteinsson, bekannt als Vefrod der Flinke, legte den schweren Pelzumhang ab und ließ ihn auf die Planken fallen. Harald schob sich den Helm über den Kopf und richtete ihn sorgfältig aus, bis er richtig saß. Thorgrim fragte sich, ob sie auf dem Fischerboot wohl genug Widerstand für all diese kampfeslustigen Männer fanden.

Als das Meer sie das nächste Mal anhob, hatte sich der Abstand zu ihrer Beute halbiert – das schwerfällige Curragh konnte in puncto Geschwindigkeit nicht mit dem Langschiff mithalten. Thorgrim fühlte, wie der Blutrausch in ihm aufstieg, und er atmete tief durch, weil er nicht wollte, dass diese Geister Macht über ihn gewannen.

Wieder ging es in ein Wellental hinab, und ein weiteres Mal nach oben, näher an das irische Schiff heran, das jetzt mit voll aufgezogenem Segel vor ihnen floh. Sie hatten den Wolf entdeckt, der sich an sie anpirschte.

Diese Takelung kann dem Sturm nicht standhalten, dachte Thorgrim, und als hätten seine Gedanken Macht über die Wirklichkeit, gab der Mast des Curragh in diesem Augenblick nach und stürzte um. Das Segel begrub den Bug des Bootes unter sich, und das Curragh drehte sich heftig schlingernd mit der Breitseite in den Seegang.

Jetzt waren die Wikinger über ihnen. Die Krieger versammelten sich mit wildem Gebrüll am Dollbord, und Thorgrim ritt das Schiff wie einen außer Kontrolle geratenen Schlitten auf das Ziel zu. Sie würden eher bei dem Versuch sterben, die beiden Boote längsseits zu bringen, als im Kampf mit diesen irischen Fischern.

In einem gewagten Manöver tauchte Thorgrim das Ruder ins Wasser, lehnte sich dann zurück und zwang das Langschiff herum. An Bord des Curragh hackte die Besatzung auf das gestürzte Segel und die Takelage ein und versuchte, Platz fürs Gefecht zu schaffen. Sie schwangen ihre Schwerter und Beile, und Männer in Kettenrüstung traten den Nordmännern an der Reling entgegen.

Thorgrim wartete auf die richtige Folge von Wellen, zog hart am Ruder und brachte das Langschiff neben die Iren. Und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass da für ein Fischerboot eine verdammte Menge schwer bewaffneter Krieger an Deck standen.

2. Kapitel

Wer den Morgen verschläft,versäumt vieles.Der Raschegewinnt die Beute.

Havamal

Die beiden Schiffe krachten ineinander, die Backbordseite des Wikingerschiffs gegen die Steuerbordwand des Curragh. Der Zusammenprall fiel heftiger aus, als Thorgrim beabsichtigt hatte, aber in der aufgewühlten See hatte er wenig Einfluss darauf. Wäre das Curragh stabiler gewesen, hätte es beide Boote auf den Grund des Meeres schicken können. Das lederbespannte Fahrzeug jedoch konnte den Eichenplanken des Langschiffs kaum etwas anhaben.

Thorgrim ließ die Ruderpinne los und stürmte nach vorn, als die Wikinger sich anschickten, über den Rand des Curragh zu springen. Vefrod Vesteinsson war der Erste. Mit dem Beil in der Hand und einem Fuß auf dem Dollbord, heulte er laut auf und setzte über den schmalen Spalt hinweg, der die Schiffe voneinander trennte. Kotkel der Grimmige kam als Nächster. Er drängte sich an Ornolf vorbei, der zu nass und zu dick war, um sich schnell bewegen zu können.

Kotkel schwang sich in die Luft, und der junge Harald folgte ihm auf dem Fuße. Thorgrim spürte, wie das Schiff unter ihm wegsackte. Er streckte den Arm aus, ergriff Harald am Kragen und zog ihn gerade noch rechtzeitig zurück, als das Wikingerboot in ein Wellental glitt und das Curragh hoch über ihre Köpfe emporstieg. Kotkel klammerte sich dort an der Seite des Iren fest.

Die Welle lief unter ihnen hindurch, und das Curragh sank wieder hinab. Einen Moment lang lagen die Schiffe erneut Seite an Seite. Von Vefrod dem Flinken war nicht mehr viel übrig. Er war allein zwischen zwanzig schwer bewaffneten Feinden gelandet, und in den wenigen Sekunden, als die Schiffe voneinander getrennt gewesen waren, hatten die Iren ihn regelrecht zerstückelt. Sie hackten immer noch auf ihn ein.

»Holt die Haken!«, brüllte Thorgrim. »Nehmt sie an die Leine!« So konnten sie nicht kämpfen – schon hob die nächste Welle das Wikingerschiff in die Höhe, bis sie auf das Curragh hinabschauten, auf die blutigen Überreste von Vefrod Vesteinsson und auf Kotkel den Grimmigen, der weiterhin unentdeckt außen an der Bordwand hing.

Dann ging es wieder abwärts, und ein halbes Dutzend Wurfhaken flog durch die Luft, verbissen sich im Lederboot und banden die Schiffe aneinander.

Jetzt hatten die Iren auch ihren blinden Passagier entdeckt, und einer der Verteidiger hob sein Schwert mit beiden Händen, um auf Kotkel einzuschlagen, der nur hilflos zusehen konnte. Olaf Flachsbart riss den Arm nach hinten, schleuderte seinen Speer und traf den Schwertkämpfer mitten in die Brust. Der Ire taumelte zurück, und Kotkel zog sich über den Rand in das Curragh, bevor die Masse der Wikinger mit lautem Geheul über die Reling strömte.

Thorgrim machte eine freie Stelle aus und sprang hinüber. Aber das irische Boot war gerade mal halb so lang wie das Wikingerschiff, und es gab kaum genug Raum, um zu kämpfen. Thorgrim zog sein als Eisenzahn bekanntes Schwert und hielt den Schild vor sich, eben noch rechtzeitig, um eine Axt aufzufangen, die auf seinen Kopf zusauste. Er hatte seinen Helm vergessen.

Das Beil traf den Holzschild und blieb darin stecken. Die Wucht des Schlages fuhr Thorgrim durch den ganzen Leib. Er drehte den Schild. Der Krieger, der die Axt so töricht geführt hatte, klammerte sich am Griff fest. Dadurch war ein Teil seines Körpers ungeschützt, und Thorgrim stach zu.

Sein Schwert verfing sich in der Tunika des Iren, durchtrennte den Stoff und glitt darunter vom Kettenhemd ab. Keine verdammten Fischer, dachte Thorgrim. Fischer trugen keine Brünne. Nur ein vermögender Mann konnte sich so einen Panzer leisten.

Thorgrim Nachtwolf fühlte, wie die rote Wut – so nannte er das Gefühl – an die Ränder seines Blickfelds kroch. Er unterdrückte die Aufwallung und versuchte, bei klarem Verstand zu bleiben. Er atmete rasch und heftig.

Der Axtkämpfer ließ seine Waffe in Thorgrims Schild stecken und griff nach dem Schwert. Zu spät. Thorgrim stieß ihm die Klinge durch die Kehle, und ein Schwall roten Bluts mischte sich unter die Gischt, die der Sturm über das Deck trieb.

Überall um ihn schrien und brüllten die Männer, und Thorgrim suchte den nächsten Gegner. Doch in dem Getümmel konnte er sich kaum bewegen. Er sah das Curragh jetzt wieder deutlicher, die Farben wurden klarer, als der Blutrausch wich.

Er stand fast ganz hinten im Boot. Links von ihm kniete einer der Iren am Boden und hatte sich vom Kampf abgewandt. Thorgrim nahm an, dass er betete oder sich erbrach – andernfalls wäre es verrückt gewesen, Angreifern den Rücken zuzuwenden. Dann aber erkannte er, dass der Mann etwas aus dem Raum unter den Decksplanken hervorholte.

Der Ire stand auf und drehte sich um. Es war ein junger Mann, vielleicht zwanzig, und er hatte nicht das Geringste von einem Bauern oder einem armen Fischer an sich. Er trug eine Kettenrüstung, Schwert und Dolch, und eine selbstbewusste Haltung verriet den Befehlshaber. Er hielt ein Bündel in den Händen, in Segeltuch gewickelt und so groß wie ein Laib Brot. Ihre Blicke trafen sich, und für einen Moment starrten Thorgrim und der fremde Krieger einander an. Dann wandte sich der junge Ire ab und wollte das Bündel über Bord werfen.

»Nein!« Thorgrim machte einen Satz nach vorn. Er wusste nicht, was in dem Paket war, aber wenn der Ire sein Leben riskierte, damit es den Nordmännern nicht in die Hände fiel, musste Thorgrim es haben!

Der Gegenstand war schon über dem Wasser, als Thorgrims Schwert von unten herangesaust kam, den gepanzerten Arm traf und den Iren herumwirbeln ließ. Das verhüllte Objekt fiel, aber es landete auf dem Deck des Curragh.

Wieder standen sie einander gegenüber. Der Ire hielt keine Waffe in der Hand, trotzdem zeigte er keine Spur von Furcht. Thorgrim wartete darauf, dass er nach dem Schwert griff. In dem Moment, da der junge Mann die lange Klinge freizukriegen versuchte, würde er ihn niederstrecken. Stattdessen riss der Ire jedoch seinen Dolch aus dem Gürtel und hielt ihn stoßbereit vor den Leib, mit einem Maß an Leichtigkeit und Selbstvertrauen, das von langer Erfahrung zeugte.

Thorgrim hielt inne. Schwert und Schild gegen einen leichten, flinken Dolch auf beengtem Raum. Ein interessantes taktisches Problem. Aber seine Kampfeslust war geweckt, und er hatte keinen Sinn für Raffinesse. Er kam näher und stieß mit dem Schild zu, dann führte er die Schwertspitze hoch zur Kehle des Iren.

Der Ire duckte sich schnell, und Thorgrims Klinge traf die leere Luft. Sein Gegner packte die Schildkante und riss daran. Das brachte Thorgrim aus dem Gleichgewicht. Jetzt waren die schweren Waffen ein Nachteil.

Thorgrim sah den Dolch auf sich zukommen, in einem Aufwärtsstoß, der unter das Kettenhemd fahren würde. Die Klinge kam ihm mit einem Mal ganz langsam vor, der rote Nebel waberte wieder am Rande seiner Wahrnehmung. Er beobachtete sich selbst, wie er Eisenzahn fallen ließ und die Messerhand des Iren umklammerte. Er umschloss sie derart, dass sein Gegner den Dolch nicht loslassen konnte, selbst wenn er es gewollt hätte.

So standen sie da, jeder Muskel angespannt, die Stärke des einen Mannes wog die des anderen auf, ein vollkommenes Gleichgewicht. Sie starrten einander an, die Gesichter nur wenige Zoll voneinander entfernt, und durch den Nebel erkannte Thorgrim den Hass auf dem Antlitz des jungen Edelmanns.

Dann sprach der Ire. Thorgrim verstand die gälischen Wörter nicht, doch der in ihnen liegende Zorn war unverkennbar.

Mit der roten Wut ging eine besondere Stärke einher, und Thorgrim spürte, wie sie ihn durchfloss. Ein Brüllen stieg in seinem Innersten empor. Er öffnete den Mund und heulte, ein Furcht erregender Laut, von dem er selbst nicht geglaubt hätte, dass seine Kehle ihn hervorbringen konnte.

Der Ire kam ihm plötzlich so schwach vor wie ein Kind. Thorgrim drehte ihm die Hand nach hinten und versenkte die Klinge in seiner Brust. Seine überlegene Kraft trieb die tückische schmale Spitze schnurgerade durch die Glieder des Kettenhemdes. Ganz nah an Thorgrims Gesicht riss der Ire die Augen auf und hustete, hustete noch einmal, und diesmal quoll Blut aus seinem Mund, und sein Körper wurde schlaff. Thorgrim ließ ihn aufs Deck fallen.

Einen Moment lang stand er nur da, bis sein Atem sich beruhigt hatte. Die Raserei fiel von ihm ab wie Wasser, das zurück ins Meer floss. Die Welt war wieder so, wie sie sein sollte, und Thorgrim wurde sich bewusst, wie still es geworden war.

Er drehte sich um. Der Kampf war vorbei. Zwanzig Kelten lagen tot da. Nicht ein Mann hatte sich ergeben. Alle hatten bis zum Ende gekämpft, obwohl die Nordmänner ihnen mehr als dreifach überlegen gewesen waren. So etwas hatte Thorgrim noch nie erlebt, nicht einmal, wenn Wikinger gegen Wikinger kämpften.

Dann fiel ihm das Bündel wieder ein. Er stürzte auf die Knie und warf einen verstohlenen Blick über die Schulter. Sein Gefühl verriet ihm, dass der Inhalt – was immer es sein mochte – nicht für aller Augen bestimmt war.

Er stellte den Schild ab und hob das Ding hoch. Es war schwerer, als er erwartet hatte, und fest mit Lederschnur umwickelt. Thorgrim zog den Dolch aus der Brust des toten Edelmanns und schnitt die Schnur durch. Vorsichtig packte er das Bündel aus.

Er wusste, dass er Gold in den Händen hielt, noch bevor er erkannte, was es war. Sein Blick fiel auf das gelbe Metall, das selbst in dem von Unwetterwolken getrübten Licht strahlend wirkte. Schicht um Schicht wickelte er das Segeltuch ab.

Es war eine Krone. Thorgrim hatte vorher schon Kronen gesehen – Norwegen war voller unbedeutender Könige –, doch nie eine wie diese: ein Reif aus massivem Gold, einen Viertelzoll dick und zwei Zoll hoch, mit einer Reihe filigraner Spitzen, die wie winzige Zinnen um die Oberseite liefen. Auf einer jeden glänzte entweder ein eingefasster Edelstein oder kleine Stücke von poliertem Bernstein. Und doch strahlte das ganze Werk eine reine Schönheit aus und war so frei von Protzerei, wie es eine Krone nur sein konnte. Über die gesamte Oberfläche zog sich ein feines Flechtmuster, das den verschlungenen Tiermotiven glich, die auch die Künstler der Nordleute liebten.

Thorgrim starrte die Krone an und drehte sie in den Händen. Ihre Schönheit schlug ihn in den Bann wie ein Zauber. Er wusste gar nicht, wie lange er dort hockte und das Ding in seinen Fingern wendete. Schließlich hörte er Kotkel rufen. Er zuckte zusammen und errötete schuldbewusst. Hastig schob er die Krone zurück in das Segeltuch, nahm seinen Schild auf und hielt die Krone dahinter verborgen. Dann stand er wieder auf und gesellte sich zu seinen Landsleuten.

Harald war unverletzt, von einem Kratzer an der Wange abgesehen, der eine blutige Spur auf der blassen Haut hinterließ. Er lächelte und lachte lauter als sonst. Thorgrim erkannte, dass der Junge von dem Hochgefühl erfüllt war, das oft auf einen Kampf folgte. Er selbst war zu alt und zu abgebrüht, um es noch zu empfinden, aber in seiner Jugend hatte er diese Ausgelassenheit oft erlebt. Alles fühlte sich lebhafter an, wenn man jung war – der Kampf, ein Festmahl, bei einer Frau zu liegen. Mit dem Alter stumpfte alles ab.

Harald half Sigurd Sau, einem der toten Iren das Kettenhemd auszuziehen.

»Thorgrim!« Ornolf rollte über das Deck des Curragh heran. »Eine Menge Mühe für nichts!«

»Ach?« Thorgrim umklammerte die Krone. Das schlechte Gewissen schmeckte säuerlich in seinem Mund.

»Diese Bastarde …« Ornolf trat gegen einen der leblosen Körper, um den Toten für die Enttäuschung noch zusätzlich zu bestrafen. »Sie haben ein wenig Silber am Leib und verdammt gute Kettenhemden. Ein paar Schwerter, mit denen man was anfangen kann.Bessere Waffen, als ich bei einem Haufen Fischer erwartet hätte. Aber darüber hinaus – gar nichts!«

»Ich glaube nicht, dass es Fischer waren.«

»Nein? Was sonst, Kaufleute?«

»Keine Ahnung.«

Wie es schien, war die Krone ihre einzige Fracht gewesen und zwanzig gut bewaffnete Edelleute die Besatzung. Hier verbarg sich eine Geschichte, und nicht ein Mann war am Leben geblieben, um sie zu erzählen.

3. Kapitel

Nur der Narr hofft,ewig zu leben,indem er vor den Feinden flieht.

Havamal

Der Longphort von Dubh-Linn kauerte hässlich und verdreckt an den Ufern des Liffey. Die Ansiedlung machte nicht viel her. Eine Viertelmeile hangaufwärts erhob sich eine kleine Festung aus Holzpalisaden über dem sumpfigen Flussufer, jeder Wall etwa hundert Fuß lang. Der landeinwärts gelegene Palisadenwall setzte sich nach Osten und Westen fort und bog sich langsam dem Fluss entgegen. So formte er einen großen Halbmond, der wie ein hölzerner Schild die Stadt hinter sich barg und den Rest von Irland auf der anderen Seite hielt.

Eine mit Holzbohlen befestigte Straße, kaum zu erkennen unter dem alles bedeckenden Schlamm, führte von der Festung zu einer Reihe von Anlegern, die von den flachen Stellen am Ufer hinaus ins tiefere Wasser reichten.

Entlang des Bohlenwegs reihten sich ungefähr dreißig Gebäude, die meisten klein und nur wenige mehrstöckig, mit Wänden aus lehmbeworfenem Flechtwerk und strohgedeckten Dächern. Diese Bauten dienten als Wohnstätten wie auch dem Gewerbe und beherbergten Zimmerleute, Grobschmiede, Goldschmiede und Kaufleute. Nur zwei aus festem Holz gefertigte Bauwerke konnte man groß und bedeutsam nennen: ein Tempel des Thor im Süden und näher am Hafen eine Festhalle.

Schon an guten Tagen wirkte Dubh-Linn nicht sonderlich beeindruckend. Doch an diesem Tag, da die tief hängenden Wolken alle Farben zu einem matten Grau, Braun oder Grün herabdämpften und der kalte Regen fast waagerecht durch die Straßen flog, wirkte die Siedlung sogar noch reizloser.

Orm Ulfsson war das vollkommen egal.

Er stand an den Toren der Festung, blickte den Hang hinab zum Fluss. Er wusste genau, dass der heruntergekommene Eindruck weder der Stadt noch ihrer künftigen Bedeutung gerecht wurde.

Dubh-Linn konnte sich natürlich nicht mit den größten Handelszentren messen, mit Kaupang in der Provinz Vestfold in Norwegen oder dem dänischen Haithabu. Noch nicht. Aber Dubh-Linn würde wachsen und schließlich seinen Platz unter den bedeutsamsten Häfen der Welt einnehmen. Davon war Orm überzeugt. Und darum hatte er auch in einem blutigen Handstreich die Norweger vertrieben, die die Stadt gegründet hatten.

Und schon kündigte er sich an, Dubh-Linns Aufstieg. Die Menschen strömten in Scharen über die schlammige Straße, unter schützende Felle geduckt und den Körper gegen den Wind gebeugt. Sie sahen Dubh-Linns Zukunft. Als Handwerker, Kaufleute oder Krieger waren sie hierhergekommen, um zu bleiben. Und sie brachten ihre Frauen mit, irische Frauen und Nordländerinnen, die den Männern als Ehefrauen oder Sklavinnen folgten.

So wie er über die belebte Straße und die kleineren Gassen hinwegblickte, die selbst bei diesem Wetter voller Geschäftigkeit waren, über die Hafenanlagen, wo Wikingerboote und Curraghs, Knorren und Handelsschiffe aus Nord und Süd im ansteigenden Seegang stampften, hätte Orm durchaus zufrieden sein können. Doch das war er nicht.

Seine Aufmerksamkeit galt einem ganz bestimmten Langschiff. Vom Sturm übel zugerichtet, kämpfte es hart gegen die Strömung an. Orm konnte sehen, dass die Rah an der Steuerbordseite geknickt war und wie ein gebrochener Flügel an der Fallleine hing. Der hohe Achtersteven war ebenfalls geborsten, und die meisten Schilde an der Bordwand fehlten. Auf der rechten Seite war ein Teil des Dollbords am Bug eingedrückt.

Asbjorn Gudrodarson, der zu Recht auch als »Asbjorn der Fette« bekannt war, stand unmittelbar hinter Orm. Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Das Wetter hat Magnus ordentlich zugesetzt, wie es scheint«, stellte er fest.

Orm grunzte. Magnus’ Probleme waren ihm gleichgültig. Er interessierte sich einzig für Magnus’ Erfolg! Wenn Magnus keinen Erfolg mit nach Hause brachte, würde er sich noch wünschen, dass der Sturm ihn geholt hätte. Dafür würde Orm schon sorgen.

Das Langschiff kroch auf das Hafenbecken zu, so langsam, dass man einfach nicht zusehen konnte. Orm machte auf dem Absatz kehrt. »Schick Magnus zu mir, sobald er an Land ist. Wenn er es überhaupt bis dorthin schafft«, befahl er Asbjorn. Er zog den schweren Pelzmantel auf seinen Schultern zurecht und strich sich mit einer Hand das Wasser aus dem dichten Bart. Dann bahnte er sich durch Wind und Regen den Weg zurück zu seiner Unterkunft.

Es dauerte eine weitere Stunde, bis Orm ein Klopfen an der Tür vernahm. Inzwischen saß er auf seinem imposanten Holzstuhl, ließ ein Bein über die Armlehne hängen und hielteinen Pokal mit warmem Apfelwein in der Hand. In der Mitte des Hauses, das sich an die nördliche Ecke des Festungswalls schmiegte, gab es nach nordischer Art einen viereckigen Kamin, der mehr eine Feuergrube war. Die Flammen darin loderten hoch und warfen einen gelben Schein auf den Boden aus gestampftem Lehm und in den düsteren Raum hinein. Der Rauch, der nicht durch die Fenster abziehen konnte, ballte sich unter dem Strohdach zu dichten Wolken.

Orms Ungeduld war zu einer schwelenden Wut herabgebrannt, doch als er das Klopfen hörte, nahm er noch einen tiefen Schluck und wartete ab, bis Magnus ein zweites Mal klopfte.

»Komm rein!«

Die Tür schwang quietschend auf. Magnus Magnusson stand im Rahmen. Der Wind fuhr an ihm vorüber und wirbelte die Dokumente durcheinander, die auf dem Tisch neben Orms Stuhl lagen. Magnus’ Fellumhang und sein langes Haar jedoch bewegten sich keinen Zoll, so vollgesogen und an Schädel und Körper gepappt waren sie von Gischt und Regen. Hinter Magnus hüpfte Asbjorn von einem Fuß auf den anderen, ob vor Eifer oder weil er einfach nur aufs Klo musste, vermochte Orm nicht zu sagen.

Magnus trat ein, Asbjorn folgte ihm und schloss die Tür hinter sich. Magnus verneigte sich beiläufig. Er war stattlich, glatt rasiert und hatte sich einen Namen gemacht. Außerdem war er ehrgeizig. Es fiel ihm nicht leicht, unterwürfig aufzutreten.

»Und?«, fragte Orm.

Magnus schüttelte den Kopf.

»Du bist gescheitert?«

»Sie sind gescheitert! Entweder haben sie sich gar nicht aufs Meer hinausgewagt, oder der Sturm hat sie versenkt. Am Fluss Boyne sind sie jedenfalls nicht angekommen.«

Orm presste die Lippen aufeinander, sein Blick schweifte ab in die finsteren Winkel des Hauses. Du unverschämter Bastard, dachte er. Magnus missglückte selten etwas, und wenn es doch einmal geschah, dann verstand er sich darauf, es nicht als Misserfolg dastehen zu lassen oder wenigstens jegliche Schuld einem anderen zuzuschieben.

Er sah wieder Magnus an, der ungerührt und ausdruckslos dastand. Orm konnte sich vorstellen, dass Magnus selbst die eigene Hinrichtung so kühl abwarten würde. Vielleicht finden wir das ja noch heraus, dachte er.

»Woher weißt du, dass sie nicht in den Fluss eingefahren sind? Woher weißt du, dass sie nicht in diesem Augenblick dort eintreffen? Während du hier herumstehst und meinen Boden volltropfst!«

»Wir haben so lange vor der Flussmündung ausgeharrt, wie wir nur konnten – bis mein Schiff dem Unwetter nicht mehr gewachsen war. Ein halbes Dutzend Mal hätte der Sturm uns fast auf den Grund geschickt. Wenn mein Langschiff das kaum überstanden hat, dann erst recht kein von Iren gebauter Kahn.«

Orm grunzte. Magnus mochte da durchaus richtig liegen. Orm war selbst ein wenig überrascht gewesen, als er Magnus’ Schiff hatte einlaufen sehen – er hatte es längst verloren gegeben. Jedem anderen, der einen solchen Sturm auf hoher See überlebte, hätte Orm widerwillig Respekt gezollt. Aber Magnus genoss nach Orms Ansicht Respekt genug, und zwar von allen Seiten. Er brauchte wirklich nicht noch mehr Anerkennung.

»Ich nehme an«, sagte Orm schließlich, »dass wir nicht genau wissen können, ob du gescheitert bist – nicht bevor diese keltischen Hurensöhne unsere Köpfe als Opfer für ihren Jesus auf ihre Spieße stecken. Meinetwegen. Du kannst gehen.«

Mit einer weiteren knappen Verbeugung wandte Magnus sich ab und verließ das Haus. Asbjorn blieb zurück, begierig auf neue Intrigen. Aber Orm hatte genug von seinem fetten, kriecherischen Berater.

»Du kannst auch verschwinden!«, fuhr er ihn an, und Asbjorn schwieg klugerweise. Er deutete eben noch einen zutiefst betroffenen Blick an, bevor er durch die Tür huschte.

Verflucht, dachte Orm und war nicht einmal sicher, wen er verfluchen wollte. Alles und jeden, vermutlich.

Magnus war vollkommen nutzlos gewesen. Er hatte nichts entdeckt, nichts gelöst und nur Zweifel zurückgelassen. Er hatte nicht mal den Anstand gehabt zu ertrinken.

Die Kelten waren ein ungeordneter Haufen, beherrscht von fast so vielen Königen, wie sie Schafe hatten. In diesem Zustand waren sie keine Bedrohung. Aber wenn sie es schafften, sich gegen die Nordmänner zu vereinen … Das wäre eine andere Geschichte!

Orm leerte seinen Pokal. »Verflucht!«, sagte er laut. Morrigan, die irische Sklavin, die er sich bei der Einnahme von Dubh-Linn genommen hatte, spähte besorgt aus dem Nebenraum herein. Orm schleuderte den Pokal nach ihr. Es reichte nicht, dass er die Stadt erobert hatte, dass er sie führte und auf eine Weise ausbaute, wie es diese dämlichen Norweger nie zustande gebracht hätten. Jetzt hockten ihm auch noch die Iren im Rücken, zusätzlich zu der Gefahr einer norwegischen Vergeltung aus Richtung des Meeres. Mitunter fragte er sich, ob es all den Ärger wert war.

4. Kapitel

Willst du eines MannesLand oder Leben nehmen,so solltest du früh aufstehen.

Havamal

Thorgrim Ulfsson träumte von Wölfen.

Er träumte oft von Wölfen. In seinen Träumen erblickte er niemals sich selbst, einzig die anderen Wölfe. Sein Blick war auf einer Höhe mit ihren Köpfen, und er lief zwischen ihnen, flink und unermüdlich.

Er war erschöpft, wenn er aus diesen Träumen erwachte. Manchmal fand er Blut, aber er wusste nie, woher es kam.

Aber dieses Mal sah er sich selbst mit den Wölfen laufen, und seine Augen glühten rot wie die der übrigen Tiere des Rudels. Sie rannten durch einen dichten Wald, die Bäume ragten wie düstere Riesen um sie herum auf und waren in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Thorgrim roch das Rudel in seiner Nähe, er hörte das Knurren aus den hundeartigen Kehlen, den gedämpften Schritt ihrer Pfoten auf dem Waldboden.

Er hielt etwas in seinem Maul. Es war warm und blutig, und das Gefühl erregte ihn. Etwas frisch Getötetes. Und es gehörte ihm allein.

Dann, plötzlich, lief er nicht länger. Er wurde aufgehalten. Andere Wölfe umringten ihn. Dies war nicht sein eigenes Rudel, sondern fremde Tiere, und sie wandten sich gegen ihn. Er sah ihre Zähne im Mondlicht glänzen, er hörte ihr zorniges Knurren. Das Rudel kam bedrohlich näher, vorsichtig, aber entschlossen. Thorgrim wich zurück. Er brauchte die Zähne, um sich zu wehren, doch er wollte das Ding in seinem Maul nicht fallen lassen. Er versuchte einen Laut von sich zu geben und konnte es nicht.

Schon waren sie über ihm. Er fühlte heißen Atem und verfilztes Fell, schnappende Reißzähne. Ein Dutzend wütender Kiefer riss an ihm. Er trat und schüttelte sich und versuchte zu kämpfen, aber das blutige Etwas in seinem Maul wollte er nicht hergeben.

Und dann wachte Thorgrim auf. So plötzlich, als wäre er durch eine Tür getreten. Im einen Augenblick kämpfte er gegen das Wolfsrudel, im nächsten lag er zwischen seinen Fellen auf dem Achterdeck des Langschiffs. Die Nacht war kalt, Regen stäubte in leichtem Dunst vom Himmel, dennoch war Thorgrim in Schweiß gebadet. Sein Atem ging schnell und abgehackt, als wäre er gerannt.

Er lag eine ganze Weile da, die Augen weit aufgerissen, bewegungslos. Die Wolfsträume ließen ihn erschöpft zurück, geschwächt wie nach langer Krankheit.

In der Dunkelheit und dem Nebel konnte er kaum den Mast über sich ausmachen, die Takelage, die in geschwungenen Bögen von dort herabführte. Am Abend hatten sie den Roten Drachen in eine kleine Bucht gesteuert, den Bug ein Stück auf den Kiesstrand hinaufgezogen und das Schiff schließlich mit einem Tau am Ufer gesichert. Sie aßen und tranken fast bis zur Besinnungslosigkeit und fielen dann auf Deck in einen tiefen Schlaf.

Thorgrim lauschte nach den Geräuschen der Nacht. Der Bug knirschte auf den Steinen, das Heck hob sich mit den einlaufenden Wellen und sank wieder hinab. Der Wind war noch immer stark und spielte mit der Takelage und dem aufgerollten Segel. Wasser schlug gegen den Rumpf.

Thorgrim dachte an die Wölfe.

Nach einer Weile schüttelte er den Schlaf ab und setzte sich auf. Harald schlummerte neben ihm, flach auf dem Rücken liegend und mit offenem Mund. Der Schnitt auf seiner Wange hatte eine dunkle Linie auf der blassen Haut hinterlassen. Er war kein hübscher Junge, aber auf seine Art nicht unansehnlich, breit gebaut und kräftig. Thorgrim liebte ihn innig. Er machte sich mehr Sorgen um ihn, als er Harald jemals wissen lassen würde.

Eine Zeit lang saß Thorgrim nur da und betrachtete seinen Sohn. Dann warf er das schwere Fell von sich und kroch darunter hervor. Jetzt trug er nur noch Tunika und Beinlinge und zitterte in der kalten, feuchten Luft. Das Schnarchen und Gemurmel von sechzig schlafenden Männern erinnerte an eine Herde wühlender Schweine, aber Thorgrim nahm es kaum wahr. Es war einfach ein Teil der Nacht. Behutsam schlich er um die Fellhaufen herum, die wie kleine Grabhügel überall auf dem Deck verstreut lagen – die schlummernden Krieger. Endlich erreichte er den größten Hügel, unter dem passenderweise ihr Jarl ruhte, Ornolf der Rastlose.

Thorgrim schüttelte Ornolf und erntete gerade mal ein schwaches Grunzen für seine Mühen. Er hatte nichts anderes erwartet. Thorgrim wusste genau, wie schwer sein Schwiegervater aufzuwecken war. Wie üblich war Ornolf beim Schmausen wie beim Saufen der Erste gewesen. Ein paar der Männer, die versucht hatten, mit ihm Schritt zu halten, lagen immer noch am Strand und streckten alle viere von sich. Mancher von ihnen stand womöglich nie wieder auf.

Thorgrim schüttelte ihn erneut. »Ornolf …«, flüsterte er und rüttelte heftiger. Fünf Minuten Schütteln und Flüstern bewirkten es schließlich, dass Ornolf die Augen öffnete. Eine weitere Minute später setzte er sich auf.

»Thorgrim … was?«

»Komm mit.«

Unter gehörigem Stöhnen, Ächzen und Fluchen wand sich Ornolf unter seinen Fellen hervor und folgte Thorgrim zum Heck. Auf der Backbordseite, gleich hinter dem Steuerruder, war Thorgrims Seetruhe befestigt. Dort hielt er inne, kniete daneben nieder, und Ornolf tat dasselbe. Thorgrim vergewisserte sich, dass keiner der anderen aufgewacht war. Er wartete, bis Ornolf wieder zu Atem kam.

»Da war etwas auf dem Curragh«, sagte Thorgrim, die Stimme so leise, dass kaum mehr als ein Wispern zu hören war. »Etwas, das niemand sonst sehen sollte.«

Er öffnete die Truhe langsam, griff unter seine Wollmäntel und Tuniken, bis er das grobe Segeltuch spürte. Behutsam zog er das Bündel heraus. Er wollte es auswickeln und Ornolf zeigen, aber der nahm es ihm aus den Händen und packte es selbst aus. Thorgrim ärgerte das, auch wenn er nicht wusste, warum.

Es gab kaum Licht, der Sturm verhüllte noch immer den Mond und die Sterne. Dennoch war es hell genug, dass Ornolf die Krone würdigen konnte. Der Jarl war still, während er sie in den Händen drehte und mit den Fingern über die feinen Gravuren fuhr. »Niemals habe ich etwas Vergleichbares gesehen«, stellte er schließlich fest.

»So wenig wie ich.«

»Das allein hat die Reise gelohnt. Aber was fangen wir damit an? Ich kann mir kaum vorstellen, dass es in ganz Irland genug Reichtümer gibt, um diese Krone aufzuwiegen.«

Thorgrim schüttelte den Kopf. »Es wäre nicht klug, sie hier zu verkaufen. Ich glaube nicht einmal, dass es klug wäre, sie nach Dubh-Linn zu bringen.«

Ornolf blickte auf und löste seinen Blick von der Krone – zum ersten Mal, seitdem er sie in den Händen hielt. »Warum nicht?«

»Ich denke, es ist mehr als der Schmuck eines Königs. Diese Krone hat eine Bedeutung. Da waren zwanzig irische Edelleute an Bord des Curragh, und sie gaben ihr Leben, um dies hier zu beschützen. Es war das Einzige von Wert, was sie bei sich hatten.«

»Pah. Iren. Wer weiß schon, was denen im Kopf rumgeht?«

Thorgrim runzelte die Stirn. Er hatte gehofft, dass er davon nicht reden müsste: »Ich habe es in einem Traum gesehen … dass irgendwer sie uns fortnehmen will. Dass man uns dafür töten wird.«

Thorgrim sah in der Dunkelheit, wie Ornolf die Augen aufriss. »Du hast die Krone gesehen … in deinem Traum?«

»Nein. Aber sie war dort, ich konnte sie fühlen.«

»Wölfe?«

Thorgrim nickte.

»Also gut«, sagte Ornolf. Er brauchte keine weiteren Erklärungen. »Was schlägst du vor?«

»Wir vergraben sie an Land. Du und ich. Jetzt sofort. Wir erzählen niemandem davon. Dort ist sie in Sicherheit, bis wir ihr Geheimnis enträtselt haben.«

Ornolf nickte bedächtig. »Also gut«, sagte er.

Thorgrim ging zurück zu seiner Schlafstatt und holte seine Waffen. Wie jeder anständige Nordmann war er mit dem Sprichwort aufgewachsen: »Geh niemals ohne Axt oder Schwert aus dem Haus.« Er würde ebenso wenig unbewaffnet herumlaufen wie unbekleidet.

Im Stauraum des Langschiffs fand er eine Schaufel und hob sie langsam heraus, darauf bedacht, keinen Lärm zu machen. Es war gut, was sie da vorhatten. Er wusste nicht genau, warum, aber er wusste, dass es das Richtige war.

5. Kapitel

Des Fürsten Gerechtigkeitbringt gutes Wetter zur rechten Zeit …

Das Vermächtnis MorandsFrüher irischer Fürstenspiegel

Máel Sechnaill mac Ruanaid vom Clan Uí Néill stemmte sich fröstelnd in der Dunkelheit gegen den strömenden Regen, den Mantel über Helm und Kettenhemd gezogen. Rings um ihn stand seine Leibwache, die kleine, erlesene Schar von Kriegern, die das Herz der Streitmacht seines Königreichs darstellte. Hinter den Wachen warteten weitere Kämpfer. Alles in allem waren zwanzig Bewaffnete hier versammelt.

Máel Sechnaill war der Rí Ruirech, der hohe König von Tara im Herzen des irischen Königreichs Brega. Er konnte ein Heer von Hunderten aufbieten, vielleicht sogar mehr als tausend Männer unter Waffen, wenn es nötig war. Aber zwanzig reichten aus für das, was in dieser Nacht zu tun war.

Die Krieger bewegten sich unruhig bei dem Wetter, blieben dabei jedoch so leise, dass sie im prasselnden Regen nicht auffielen.

Die Männer seiner Leibwache waren nur halb so alt wie Máel Sechnaill, und er achtete sorgfältig darauf, in ihrer Gegenwart keine Schwäche zu zeigen. Wenn die anderen auf einem Marsch erlahmten, beschleunigte Máel Sechnaill seine Schritte. Wenn einer seiner Leute bei der Wache einzuschlafen drohte, harrte Máel Sechnaill an seiner Seite aus. Sobald ein irischer König schwach wirkte, oder das Alter ihn zu übermannen schien, fielen die Anwärter auf seinen Thron oder die Herrscher der benachbarten Königreiche über ihn her wie ein Rudel Wölfe.

Máel hörte Bewegung im Gestrüpp vor ihnen. Die Wachen nahmen Haltung an und hoben ihre Speere. Die Krieger der vordersten Reihe rückten neben den König an ihren angemessenen Platz. Ein Ruf erklang – der Kundschafter, verborgen in Regen und Finsternis.

»Flann mac Conaing, melde mich zurück, Herr.«

»Tritt vor«, antwortete eine der Wachen. Flann mac Conaing, erster Ratgeber des Königs und Anführer seiner Leibwache, löste sich aus der Dunkelheit; eine schwarze Gestalt mit Schwert und Schild. Flann trug ebenfalls ein Kettenhemd, ein Luxus, der dem König und seinen engsten Vertrauten vorbehalten war. Zwei Männer der Leibwache folgten ihm.

»Mein Gebieter!« Flann verbeugte sich rasch. »Sie liegen immer noch auf der Lauer. Ich habe allerdings den Eindruck, dass sie sich auf den Aufbruch vorbereiten. Zehn Männer insgesamt.«

Máel Sechnaill nickte. »Wie sind sie bewaffnet?«

»Mit Schwertern, Äxten, Speeren und Schilden. Zwei tragen Rüstung.«

»Gut.« Máel wandte sich der Wache zu. »Sie ziehen ab, doch sie können uns immer noch Antworten liefern. Wir folgen Flann mac Conaing. Es muss schnell gehen. Sie sind besser bewaffnet als wir. Lasst die gepanzerten Männer am Leben.«

Máel Sechnaill zog sein Schwert – wie die Brünne war auch diese Waffe den Angehörigen der höchsten Stände vorbehalten. Es war ein Jahr oder länger her, dass er das Schwert im Kampf geführt hatte. Viele Jahre waren vergangen, seit er das letzte Mal persönlich an so einem kleinen Scharmützel teilgenommen hatte. Aber dieses Gefecht war etwas Besonderes: Hier ging es nicht um ein paar erbärmliche Viehdiebe, ihre Gegner waren eine Bedrohung für Tara und das Königreich Brega selbst! Máel Sechnaill konnte sich keinen Fehlschlag erlauben.

Die Iren schlichen durch die Dunkelheit, einzig der Schlamm schmatzte leise unter ihren weichen Lederschuhen. Regen tropfte von Máels Helm, er zwinkerte und wischte sich durchs Gesicht. Zu seiner Linken erhob sich auf einem Damm die Straße, die von Tara zum Königreich Leinster führte, das südlich des Flusses Liffey lag. Jede Gesandtschaft von dort wäre hier entlanggekommen.

Flann mac Conaing hob den Arm. Er duckte sich, bog rechts ab und bedeutete den übrigen Wachen, sich nach links zu wenden. Máel Sechnaill blieb hinter den Wachen, ebenso geduckt wie Flann, auch wenn seine Gelenke gegen die Feuchtigkeit und die unbequeme Haltung aufbegehrten. Doch bei allem Unbehagen erfreute es ihn, wie verstohlen sie vorrückten. Darauf verstanden sich die Iren: unbemerkt durch das Dunkel zu pirschen. Ihre Feinde waren Bären, stark und unbeholfen, sie jedoch waren Füchse, leichtfüßig und gerissen.

Sie glitten über die Straße, krochen beinahe, und der Schlamm spritzte in ihre Gesichter. Halb rutschten sie die Böschung auf der anderen Seite hinab. Gestrüpp wuchs am Wegesrand und bot gute Deckung, was wohl auch der Grund dafür war, dass der Feind diese Stelle ausgewählt hatte.

Die Wachen führten sie weiter, und einen Augenblick darauf erblickte Máel Sechnaill mit eigenen Augen die Wegelagerer, die vierzig Fuß entfernt neben der Straße kauerten und nach Süden schauten. Máel übernahm die Führung. Mit Gesten hieß er die Wachen auszuschwärmen, bis sie in einer Reihe angetreten waren und die Speere auf Hüfthöhe in Anschlag brachten.

»Bereithalten«, flüsterte er.

Máel wandte sich dem Gegner zu, korrigierte noch einmal die Haltung des Schwertgriffs. Sein Herz hämmerte, das Blut rauschte laut durch seine Adern. Alle Schmerzen und Unannehmlichkeiten fielen von ihm ab – er war nicht länger ein fünfzig Sommer alter König, sondern ein junger Fürst, kraftvoll und voller Leben, stolz und kühn.

Er hob das Schwert, trat einen Schritt vor. Dann einen weiteren. Die Leibwache bewegte sich im Einklang mit ihm. Der Schlamm hielt ihn auf, aber nicht allzu sehr. Ein Schlachtruf stieg in seiner Kehle auf. Als die Feinde merkten, dass etwas nicht stimmte, war er noch etwa zwanzig Fuß von ihnen entfernt. Die dunklen Gestalten wandten sich um, und Máel sah ihre blassen Gesichter – im Halbdunkel las er Schrecken und Überraschung von ihren Mienen ab. Der Schlachtruf flog ihm von den Lippen, und die Wache an seiner Seite fiel in sein langgezogenes, klagendes Heulen ein.

Mit unaufhaltsamer Wucht prallten die Iren gegen den Feind.

Zu seiner Linken sah Máel einen der Wegelagerer, einen riesigen Mann mit erhobener Axt. Er schrie etwas in seiner nordischen Sprache, doch bevor er die Axt schwingen konnte, durchbohrte ihn ein irischer Speer.

Ein anderer Gegner ragte vor ihm auf. Máel Sechnaill erhaschte einen Blick auf einen dichten blonden Bart, auf Helm und Kettenhemd. Er parierte einen Schwertstoß, sprang vor und spürte, wie die Spitze seiner Klinge über Eisenringe schrammte.

Der Wikinger wischte Máels Waffe mit dem Schild beiseite und schlug selbst wieder zu. Máel fing den Hieb mit dem eigenen Schild. Máel war der einzige Ire, der den Wikingern an Waffen ebenbürtig war. Doch das spielte keine Rolle, denn die Iren hatten die Überzahl und die Überraschung auf ihrer Seite.

Máel schlug auf den Wikinger ein. Misstönend und beinahe schmerzhaft klirrten die Klingen aufeinander. Ein weiterer Ire stürmte heran. Die Spitze seines Speers zielte auf die Kehle des Wikingers. Máel stieß den eigenen Krieger fort.

»Lebendig!«, schrie er. »Ich will diesen Mann lebend!«

Schon waren weitere Wachen zur Stelle, hinter dem Wikinger und auf jeder Seite. Mit vorgereckten Speeren hielten sie den Mann in Schach. Der Wikinger drehte sich um die eigene Achse, das Gesicht vor Wut verzerrt. Er rief etwas. Ob es Wörter in seiner Sprache waren oder nichts als unartikuliertes Gebrüll, Máel Sechnaill hätte es nicht sagen können.

Der Nordmann schwang sein Schwert in einem großen Bogen. Einer der Leibwächter griff zu, packte den eisengepanzerten Arm und riss ihn zurück. Ein weiterer ergriff den Schild, und sosehr der Wikinger sich auch wehrte, schließlich wurde er zu Boden gezerrt. Er brüllte und schlug um sich, und die Wachen konnten ihn kaum halten.

Máel Sechnaill streckte sein Schwert aus und ritzte eine lange blutige Wunde in die Kehle des Wikingers, gerade tief genug, um schmerzhaft zu sein. Das brachte den Mann zur Besinnung. Er gab den Kampf auf und blickte mit weit aufgerissenen Augen zu Máel empor. Er spuckte einige Wörter hervor, die in den Ohren des irischen Königs wie bloßes Gefasel klangen.

Flann mac Conaing erschien auf der Straße über ihnen und rutschte die Böschung hinunter. Sein Kettenhemd klirrte.

»Wir haben einen Toten, zwei Männer sind leicht verwundet, Herr«, berichtete er. »Die Nordmänner sind alle tot. Bitte vergebt mir, der mit der Rüstung wurde versehentlich auch erschlagen.«

»Egal«, befand Máel. »Wir haben den hier.« Er wies auf den am Boden vor ihm liegenden Wikinger. Die Männer, die ihn niedergerungen hatten, standen daneben und hielten mit den Füßen seine Arme und Beine unten.

»Nehmt ihm den Helm ab«, befahl Máel, und das taten sie. Der Nordmann starrte trotzig zu ihm auf. Einen Moment lang musterte der irische König schweigend das fremdartige Gesicht. Sie waren eine Heimsuchung in seinem Land, diese Fin Gall, diese weißen Fremden. Er wandte sich an Flann. »Hast du etwas gefunden?«

»Nein, mein Gebieter. Nur ein paar Vorräte, Waffen …«

Máel nickte. »Frag ihn, woher er kommt.«

Flann war weit gereist und hatte genug Zeit in den nördlichen Ländern verbracht, um die Sprache halbwegs zu beherrschen. Er redete mit dem Mann am Boden. Der sah ihn nur an, der pure Hass stand ihm in den Augen. Dann spie er ein einzelnes Wort hervor.

»Er hat ›Jelling‹ gesagt, Herr. Das liegt in Dänemark.«

Máel trat vor und schlug dem Fremden die flache Seite der Klinge gegen den Kopf, hart genug, dass dieser vor Schmerz ächzte. »Frag ihn noch mal.«

Wieder antwortete der Wikinger mit einem einzelnen Wort: »Dubh-Linn.«

»Frag ihn, woher er wusste, dass eine Gesandtschaft von Leinster hier vorbeikommen soll.«

Flann übersetzte die Worte. »Er sagt, sie wussten nichts von einer Gesandtschaft. Sie hielten nach Reisenden Ausschau, die sie ausrauben könnten.«

Eine Lüge, und nicht mal eine gute. Bei ihren Raubzügen auf dem irischen Festland waren die Nordmänner in großen Gruppen und beritten unterwegs. Sie plünderten Klöster und die Anwesen der Könige. Sie legten sich nicht im Dickicht am Straßenrand auf die Lauer, wo sie mit viel Glück ein halbes Dutzend Kühe erbeuten mochten, die über Land zum Markt getrieben wurden.