Die wohlgerundete Wahrheit - Reinhard Gobrecht - E-Book

Die wohlgerundete Wahrheit E-Book

Reinhard Gobrecht

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Beschreibung

Wahrheit ist Voraussetzung für Verträge, zwischenmenschliche Beziehungen, Kommunikation, Staats- und Rechtswesen und natürlich für Wissenschaft und Forschung. Was aber ist Wahrheit? Die Wahrheit ist ein hohes Gut. Die Wahrheit ist eine unsterbliche Idee. Als Idee ist sie zweifaches Prinzip: Einheit und Vielheit. Wahrheit zeigt sich immer als Übereinstimmung mit etwas anderem. In ihrer Vielheit zeigt sich die Wahrheit immer wieder anders: Als Eigenschaft von Aussagen, Erkenntnissen, und Theorien, aber auch Handlungen und sogar Dinge können Wahrheit anzeigen. In ihrer Einheit ist die Wahrheit als Wahrsein immer dieselbe, eine Norm und ein Idealmaß, das mit einem Gemessenen übereinstimmt. Die Wahrheit wird sowohl logisch als auch ontologisch betrachtet. Der Autor versucht eine Verbindung herzustellen zwischen logischer Klarheit und ontologischer Gewissheit. Die Wahrheit als Idee ist selbst Teil des Seins und zwar des eigentlichen Seins. Die Wahrheitskonzeption Tarskis wird dahingehend verallgemeinert, dass sie auf alle Seinsbereiche und Erkenntnisbereiche zutreffen kann, denn überall kann nach der Wahrheit gefragt werden. Das soll in dem Sinne erfolgen, dass nicht nur Übereinstimmung zwischen Objekt- und Metasprache bestehen soll, sondern allgemeiner ontologisch zwischen einer Gegebenheit einer Objektebene und einer Gegebenheit einer Bestimmungsebene. Das Buch versucht auch eine schlüssige Interpretation für das Lehrgedicht des Parmenides zu liefern und untersucht ferner die Relevanz, die sich hinter den Paradoxien des Zenon von Elea verbirgt. [...] Neue philosophische Untersuchung zur Wahrheit [...] Für Philosophen, die sich mit dem Thema Wahrheit befassen, kann Gobrechts neue Untersuchung zur Wahrheit interessant sein. [...] Der durchkonzipierte und klar strukturierte Aufbau des Buches von Reinhard Gobrecht, abgefasst nach der philosophischen Methode More Geometrico, macht es interessant für Studierende der Philosophie. Den Studenten kann die "Die wohlgerundete Wahrheit" eine einführende Orientierungshilfe zum Thema Wahrheit sein. Das Buch stellt aber gleichzeitig auch eine neue ontologische und kritische philosophische Untersuchung zum Thema Wahrheit vor. [...] mehr unter www.literaturmarkt.info

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Schön ist die Wahrheit, mein Freund, und unvertilgbar; doch scheint es nicht leicht, ihr in den Gemütern Eingang zu verschaffen.

[Platon: Gesetze, 2. Buch, Kapitel 8, 663]

Inhaltsverzeichnis

Vorrede

Einführung

Grundlagen der Untersuchung

Arten des Seienden

Seiendes bei Parmenides und Zenon

Arten der Wahrheit

Werden und Sein

Werden und Ursachen

Sein und Ursachen

Wahrheit und Ursachen

Werden und Unendlichkeit

Sein und Unendlichkeit

Wahrheit und Unendlichkeit

Wahrheit und Ursache im Sein

Wahrheit und Analogie in der Existenz

Wahrheit und Erkennen

Wahrheit, Falschheit und Rechtheit

Wahrheit, Reinheit und Verlässlichkeit

Wahrheit und Wahrheitsübertragung

Wahrheit und Rechtfertigung

Modalitäten von Werden, Sein und Wahrheit

Abstufungen im Sein und in der Wahrheit

Autarkie im Sein und in der Wahrheit

Seinsprinzipien und Wahrheitsprinzipien

Seinswahrheiten und logische Wahrheiten

Das Woraus im Werden und in der Wahrheit

Gutes und Schönes im Sein und in der Wahrheit

Denken, Urteilen, Sein und Wahrheit

Wahrheit, Logik und Entscheidbarkeit

Wahrheit und Übereinstimmung

Wahrheit und Idee

Wert und Zweck der Wahrheit

Personenregister

Sachregister

Literatur

Vorrede

In Platons Dialog ‚Das Gastmahl‘ sagt Sokrates zu Agathon: Mir kannst du widersprechen, der Wahrheit aber nicht.1 Der Wahrheit widerspricht man nicht. Jeder Mensch bedarf der Wahrheit, keiner möchte belogen werden. Andererseits aber gibt es eine Skepsis gegenüber der Wahrheit, die berechtigt oder unberechtigt sein kann. Keiner möchte Wahrheiten von anderen aufgezwungen bekommen. Einige Menschen glauben, dass es überhaupt keine Wahrheit gibt, andere wiederum werden intolerant, weil sie glauben im Besitz der Wahrheit zu sein. Glaube und Verstand streiten manchmal um die Wette, wenn es um die Wahrheit bzw. um den Besitz der Wahrheit geht. Ich möchte hier nicht so sehr auf die psychologischen und soziologischen Phänomene und Auswirkungen der Wahrheit zu sprechen kommen, sondern vor allem auf das eigentliche Wesen der Wahrheit.

Es gibt viele Möglichkeiten, wie man an das Thema Wahrheit herangehen kann. Von Seiten des alltäglichen Lebens, von Seiten der Logik, von Seiten der Einzelwissenschaft oder von Seiten der Philosophie. Geht es um Wahrheit im Alltag, braucht man dafür keine Philosophie. Wenn wir Wahrheit im Alltag einfordern, tun wir das intuitiv, wir wissen was wir einzufordern haben. Im Alltag will man Sicherheit, man will wissen, ob Dinge so sind, wie sie sind, man will wissen, ob Nachrichten Tatsachen berichten oder indirekt Absichten und Lenkungen mit ihnen bezweckt werden. Die Frage ist: Trifft etwas zu oder nicht? Man will sich verlassen können auf Aussagen, Verträge, Handlungen, etc. Man erwartet mit der Wahrheit auch Verlässlichkeit, wahre Freundschaft, wahre Liebe, wahres Glück, etc.

Eine andere der Möglichkeiten ist die Herangehensweise von der Logik aus, dies ist auch eine mögliche Sichtweise. Wenn etwas widersprüchlich oder unlogisch ist, hat es keinen Anspruch auf Realität. Der Logiker weiß, wie man auf richtige Weise mit der Wahrheit umgeht. Er kennt logische Prinzipien und Regeln. Wenn man in diese, nun bestimmte Wahrheiten, d. h., wahre Erkenntnisse irgendeiner Einzelwissenschaft, als Voraussetzung sozusagen, als Prämissen hineinsteckt, kann man sicher sein, dass bei richtiger Anwendung der Regeln, wahre Ergebnisse geschlossen werden können. Der Vorteil der modernen Logik seit Frege ist, dass sie extensional ist und damit unabhängig von Inhalten angewendet werden kann. Sie kann daher von jeder Einzelwissenschaft angewendet werden. Das macht aber die Logik in gewisser Hinsicht transparent, was die Wahrheit betrifft, denn die Logik achtet nur noch auf die richtige Form. Die Logik als Form wird bestimmt durch ihre Regeln und Gesetze. Der Stoff für die Logik muss dann jedoch, bis auf ganz wenige generelle logische und inhaltliche Erkenntnisse, von der Einzelwissenschaft selber kommen. Stoff und Form zusammen bewirken die Materie der wahren Erkenntnisse. Ohne Stoff, ohne inhaltliche Prämissen, ist Form und damit Logik nicht sinnvoll möglich. Damit obliegt dann auch der Einzelwissenschaft die Bewertung, ob eine bestimmte Erkenntnis wahr ist oder nicht. In dieser Hinsicht ist das Prinzip Wahrheit also nicht Gegenstand der Logik, sondern Gegenstand der Einzelwissenschaft oder der Philosophie, wenn es um philosophische Inhalte geht.

Was diese Sichtweise betrifft, ist zu sagen, dass es durchaus Sinn macht und wichtig ist, zwischen Logik und Realität eine Verbindung zu schaffen, denn Logik und Realität stehen in einem bestimmten Verhältnis. Es ist wichtig den Zweck einer Logik zu benennen, der als solcher noch weiter als die Semantik innerhalb der Logik gehen kann. Logik kann nicht Selbstzweck sein oder gar Liebe zur Genauigkeit bzw. zum Formalismus. Logik und Ontologie darf man nicht verwechseln. Logische Wahrheit und ontologische Gewissheit können aber in ein bestimmtes Verhältnis gebracht werden. Diese mögliche Verbindung nun herzustellen, kann eine Aufgabe der Philosophie sein. Erkenntnisse und deren Wahrheiten sind immer miteinander verbunden. Das Band, was sie verbindet, ist die Realität; die Realität kann durch Erfahrung, aber auch durch logische Gesetze überprüft bzw. gerechtfertigt werden. Wissen und Wissenschaft ist stets wahre Erkenntnis, die man auch rechtfertigen muss. Die Wissenschaft hat selbst ein Bedürfnis und ein Interesse an der Wahrheit. Dabei ist das Prinzip des Wahrseins bzw. das Prinzip der Wahrheit allen Einzelwahrheiten gemeinsam; eine Einheit in der Vielheit.

Der Einzelwissenschaftler hat einerseits die Logik als Werkzeug zur Verfügung, andererseits stellt er den Stoff bereit, der für die wissenschaftliche Erkenntnis seines Fachgebietes relevant ist. Er kennt spezielle Axiome, Annahmen und Prinzipien, die für sein Fachgebiet relevant sind. Außerdem gibt es vielleicht spezielle Analyse- und Rechtfertigungsmethoden, die fachspezifisch sind. Der Einzelwissenschaftler ist Spezialist und bewertet seine fachspezifischen Erkenntnisse durch wahr oder falsch. Er entscheidet, bewertet und beurteilt die Wahrheit für sein Fachgebiet.

Andere Herangehensweisen an das Thema Wahrheit hat es bereits immer schon von der Philosophie aus gegeben. Dabei gibt es viele Möglichkeiten. Man kann z. B. nach den Ursachen der Wahrheit fragen, so wie etwa Aristoteles, indem man fragt, ob das Sein die Wahrheit bestimmt. Man kann ähnlich wie Platon nach dem Sinn und Zweck der Wahrheit fragen, ob sie ein Gut ist, ob sie für Verlässlichkeit und Berechenbarkeit sorgt. Man kann nach dem Verhältnis zwischen Wahrheit und Erkenntnis, oder zwischen Wahrheit und Existenz fragen. Man kann auch nach dem Verhältnis zwischen Wahrheit und Rechtheit oder Wahrheit und Wahrhaftigkeit fragen. Kann Wahrheit ohne Erkenntnisse entschieden werden? Warum hat die Wahrheit im menschlichen Wesen so viele Namen, wie Ehrlichkeit, Redlichkeit, Aufrichtigkeit etc.? Welches sind die Anfänge des Werdens und der Wahrheit? Braucht die Wahrheit einen Anfang? Kann es unendlich viele Prämissen für eine Wahrheit geben? Welche Wahrheiten sind am autarksten? In welchem Zusammenhang stehen Wahrheit und Verborgenheit? Bedeutet Wahrheit immer Übereinstimmung und wenn ja mit was? Kann man Wahrheit messen und welches ist das Maß? Kann es Wissen und Wahrheit von den Göttern geben? Kann es Wahrheit jenseits des Seins und jenseits des Geistes geben?

Einige moderne Philosophen nähern sich dem Thema Wahrheit, indem sie sich bestimmter Wahrheitstheorien bedienen. Wahrheitstheorien sind zu einem großen Thema in der Philosophie geworden. Durch die Wahrheitstheorien selbst ist das Thema Wahrheit im gewissen Sinne überkomplex geworden; es zieht den Dissens förmlich an. Man streitet gerne, welche Wahrheitstheorie nun die richtige sei, auch ob Erkenntnis Voraussetzung für Wahrheit ist oder ob Wahrheit Voraussetzung für Erkenntnis ist. Sind nun Wahrheitstheorien selbst Erkenntnistheorie? Einige Philosophen betrachten das Thema Wahrheit auch auf ihre Weise manchmal nur rein sprachlich, so zu sagen als hermeneutische Herausforderung. Insgesamt ist bei manchem modernen Philosophen teilweise die Wahrheit selbst zum Problem geworden, zum Phänomen bzw. zu einer ungeahnten Schwierigkeit. Der gesunde Verstand weiß, dass die Lösung von Überlebensproblemen z. B. nicht von Wahrheitstheorien abhängt, sondern von der ganzen Wahrheit, der einzigen richtigen und wissenschaftlich erkannten Wahrheit.

Erkenntnisse des Prinzips Wahrheit, die Wahrheit als Idee, als Richtpunkt im Denken und in der Vernunft, das Positive und das Ideal von Wahrheit, wie man es noch bei Platon, Aristoteles und Plotin finden kann, scheinen förmlich in den Hintergrund gedrängt. Ein Wahrheitspluralismus macht sich breit; Pluralismus, Relativität und Meinungsvielfalt sind demokratisch, was Wahrheit betrifft, aber nicht vernünftig. Die Vernunft braucht genau ein Wahrheitsideal. Die normative und die praktische Ebene sind zu unterscheiden. Die Logik wird von einigen Philosophen gerne belächelt und man misst ihr manchmal auch nur wenig Stellenwert bei; es ist auch die Rede von einer Überbetonung der Logik, von Logizismus. Wahrheit und Vernunft werden teilweise selbst zum Problem bei einigen modernen Philosophen. Wahrheit und Vernunft sind so manchem modernen Philosophen fremd geworden. Redekunst, Sprache und Grammatik, manchmal auch Geschwätz, stehen höher im Kurs als Logik. Dabei sind Grammatik und Sprache etwas Lokales und Subjektives, Logik jedoch ist direkt nicht sprachabhängig und damit etwas Globales und Objektives; Objektives ist der Wissenshaft eigentümlicher als Subjektives. Die Wahrheit kann sich mühelos selbst verteidigen, sie ist eine objektive Idee, sie braucht keinen Beistand, keinen Beistand eines Religionsvertreters, keinen Beistand eines Politikers und keinen Beistand eines Philosophen. Die Wahrheit ist auf jeden Fall, auch wenn wir nicht anwesend sind, vgl. z. B. Cicero.2

Sowohl die Verstandestugenden als auch die ethischen Tugenden profitieren von der Wahrheit. Die Verstandestugenden leben von einem Höchstmaß an Wahrheit. Die Charaktertugenden oder ethischen Tugenden machen Gebrauch von einem gesunden und richtigen Maß, welches die Mitte bildet zwischen Übermaß und Untermaß, und gerade durch Wahrheit und Vernunft erkannt wird, und dadurch mit dem Willen zu einsichtigem Handeln führt. Ein vernünftiges Maß an Zorn nämlich, ist das, was recht ist, genannt Gelassenheit, dieses liegt bekanntlich gerade zwischen Jähzorn und Phlegma. Der Gelassene ist der Mittlere zwischen dem Gereizten und dem Sklavischen oder dem äußerst trägen Menschen. Nach Platon steht die Wahrheit nicht auf Seiten von Kraft, Größe und Vielheit, sondern auf Seiten von Reinheit und Maßvollem.

Von einigen modernen Philosophen wird das Denken als Sinn verortet, es wird auch manchmal so weit gefasst, dass es sogar schon eine tierische Eigenschaft ist; bei Aristoteles, Platon, Plotin, ja selbst bei Descartes, Leibniz und Kant, gehört das Denken noch zum Geist oder zum Denkvermögen in der Seele und die Sinne zur körperlichen Wahrnehmung und Anschauung. Der Geist ist über die Seele sicherlich in den Körper eingebunden, trotzdem sind Geist und Körper verschieden und damit auch Vernunftideen und Wahrnehmungsgegenstände. Während die Wahrnehmungsgegenstände vom Körper räumlich getrennt sind, sind die geistigen Gegenstände vom Geist nicht räumlich getrennt. Aus dem Ganzen aber resultiert dann der Unterschied zwischen Denken und sinnlicher Anschauung. Am Denkvermögen kann eine Seele teilhaben; wenn dies zutrifft, dann aber hauptsächlich und in vollem Umfang auf die menschliche Seele. Zum strukturierten Denken gehört auch Begrifflichkeit, diese ist aber eher den Menschen vorbehalten, Tiere besitzen keine Begrifflichkeit, dagegen können sie natürlich sinnlich erfassen und haben auch Gedächtnis und Lernfähigkeit. Es scheint als würden manche modernen Philosophen ihre eigenen Wahrheiten erfinden.

Einige moderne Philosophen wollen sogar die Bedeutung von Platons Höhlengleichnis nicht wahrhaben und auch nicht die Gewichtigkeit von Kants Untersuchungen zur Vernunft. ‚Philosophie to go‘ ist heute bei manchem begehrt und Schnelllebigkeit. Die Sprache ist flexibler geworden bei einigen modernen Philosophen, aber sie hat dadurch so ihre Beliebigkeiten. Gegen gewisse Begriffsarchitekturen einiger populärer Philosophen, wo nicht mehr scharf begrenzt wird, wo Begriffe umdefiniert oder beliebig vervielfältigt werden, wo Begriffe nicht mehr zugkräftig zur Wahrheit hin benutzt werden, wo teilweise zu viele Begriffsinstanzen konstruiert werden, wo bestehenden Begriffen innerhalb des eigenen Fachgebietes völlig andere Bedeutungen zugeordnet werden, regt sich so mancher Widerwillen; dies ist eine Misere in Teilen der modernen Philosophie. Bei komplizierten, sowie von Philosophen zu Philosophen manchmal sogar grundlegend wechselnden, Begriffsarchitekturen, bleibt jedes Denken stets unsicher, Fallstricke entstehen; eine schlechte Voraussetzung für methodisches und strukturiertes Arbeiten. Aber jetzt genug von dieser Misere!

Zur Philosophie ist generell Folgendes zu sagen: Die Vielfalt der Seinsbereiche, die Vielfalt der Existenz- und Realitätsbereiche, bewirkt ebenfalls eine Vielfalt der Erkenntnisbereiche. Auch die Vielfalt der Modalitäten, ob wir von Möglichkeit, Wirklichkeit oder Notwendigkeit reden, bewirkt eine Vielfalt unterschiedlicher Erkenntnisse. Um wahre Erkenntnisse feststellen zu können und damit Wissen bestätigen und beurteilen zu können, kann es ebenfalls viele unterschiedliche Methoden erfordern. Aufgrund dieser Vielfalt aber, kann es kein allgemeines Wahrheitskriterium geben, und daher scheint eine Herangehensweise direkt mittels Wahrheitstheorien an das Thema Wahrheit weniger sinnvoll. Ferner ist es sicher richtig, dass Wahrheit und Sprache und auch Wahrheit und Sprecher und dessen Absichten in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Eine Überbetonung der Sprache scheint aber, was das Thema Wahrheit betrifft, nicht sinnvoll zu sein. Des Weiteren erscheint es somit auch nicht sinnvoll, Wahrheit gar allein auf Sprachliches zu reduzieren.

Beim Suchen nach der Wahrheit kann man sich irren. Der Irrtum ist immer möglich. Ohne die Möglichkeit des Irrtums, wäre die Wahrheit schon von vornherein nicht zu verfehlen. Es gäbe dann keinen Wahrheitsantrieb, der den Willen herausfordert zu forschen. Der Wahrheitsantrieb bewirkt das Verborgene der Erkenntnis zu enthüllen zu versuchen. Der Mensch entscheidet sich, ob er neue Erkenntnis erzielen möchte oder ob er darauf verzichtet. Wille und Freiheit sind notwendig, wenn man den Weg zur Wahrheit gehen will. Wenn man sich ständig im gleichen abgesteckten Kreis bewegt mit der Anschauung oder den Gedanken, dann sind neue Enthüllungen und neue Erkenntnisse mehr oder weniger stillgelegt.

Das Prinzip Wahrheit an sich soll in der nachfolgenden Untersuchung im Vordergrund stehen und auch der Zusammenhang von Logik, Erkenntnis und Wahrheit. Wahrheit bedeutet immer Erkenntnisse zu bewerten, Bewertung aber, sich zu entscheiden. Wenn dies nicht punktgenau immer möglich ist, kann man eine Annäherung an die Wahrheit versuchen und gleichzeitig Revision zulassen. Wissen macht Wahrheit zur Voraussetzung, aber Wissen verlangt auch Rechtfertigung. Rechtfertigung aber kann sehr unterschiedlich aussehen, je nachdem ob es sich um eine mathematische Wahrheit, eine naturwissenschaftliche Theorie oder gar um eine metaphysische Wahrheit oder Theorie handelt. In der nachfolgenden Untersuchung soll versucht werden mehrere Herangehensweisen und Sichtweisen zum Thema Wahrheit zu betrachten, um eine möglichst wohlgerundete Wahrheit erfassen zu können.

1 Platon: Das Gastmahl, Kapitel 21, 201 ff.

2 Cicero: Akademische Abhandlungen Lucullus, Rede des Lucullus, Nr. [36]

Einführung

Was ist Wahrheit? Das fragte sich bereits vor ca. 2500 Jahren Parmenides3. In seinem Lehrgedicht öffnet ihm, mit seinem Gespann von Stuten, Dike4, die Göttin der Gerechtigkeit und jungfräuliche Tochter des Zeus, das „Tor der Straßen von Nacht und Tag“, durch welches er dann auf seinem kundereichen Weg weiterfuhr, bis er zu einer Göttin im Land des Lichts gelangte, nach seinen Fragmenten einer namenlosen Göttin, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vielleicht ganz allgemein eine Muse, die Göttin der Wahrheit (Aletheia) ebenfalls Tochter des Zeus5 oder eine Weisheitsgöttin gewesen sein könnte, so wäre zumindest zu vermuten. Von dieser Göttin im Lande des Lichts erfuhr er nun, welchen Weg man gehen und welche Wege man meiden muss, wenn man zur Wahrheit gelangen will; davon später mehr. Um zur Wahrheit zu gelangen, benötigt man auf jeden Fall Denkvermögen und Willen. Jedem Menschen ist von Natur aus, die Anlage zu beidem gegeben. Wahrheit ist der Antrieb für ein Streben nach Wissen, viele Menschen suchen danach. Der Wahrheitstrieb ist der Antrieb zu forschen. Man will wissen, ob eine Vorstellung von der Welt, die man hat, mit der Welt zusammenpasst. Man fragt nach Übereinstimmung. Man fragt danach, ob etwas zutrifft. Die Wahrheit darf man nicht verschmähen oder verachten. Wahrheit ist nützlich. Einen Logiker nach Wahrheit zu fragen ist nur bedingt erfolgreich. Viele Philosophen haben sich über Wahrheit Gedanken gemacht, nur wenige aber haben wesentliche Einsicht erlangt, was Wahrheit ist.

Die Wahrheit hat die besondere Eigenschaft, dass mitunter niemand sie in vollständiger und gebührender Weise erreichen kann, aber auch nicht alle total verfehlen können, so heißt es sinngemäß bei Aristoteles.6 Man kann die Wahrheit selten im Ganzen haben und man kann sie im Einzelnen verfehlen. Die Wahrheit selber verliert nichts, wenn man sie verfehlt. Der Morgen und die Wahrheit, beide kommen nach und nach zum Vorschein. Irgendwann kommt jede Wahrheit ans Licht. An jeder Meinung kann ein Fünkchen Wahrheit haften. Die Wahrheit ist prinzipiell jedem zugänglich. Das Wahrsein ist nicht subjektiv und in dieser Hinsicht auch nicht relativ; jeder kann jedoch an der Wahrheit unterschiedlich teilhaben und damit kann jeder seine eigene Wahrheit haben. Wer dem Toren Wahrheit und Wissen schenkt, verwendet dies schlecht, wer einem Interessierten die Wahrheit und das Wissen versagt, der es verdient hätte, handelt ungerecht, so heißt es sinngemäß bei Al-Ghazali.7

Bei der Erkennung von Wahrheit, haben wir immer eine Differenz zu überwinden, zwischen der Erscheinung eines Gegenstandes und dem Gegenstand an sich. Wenn wir zur Wahrheit vordringen möchten, müssen wir den Abstand zwischen dem Gegenstand und seiner Erscheinung überwinden. Gemeint ist hier die Erscheinung, wie sie für unser Erkennen möglich ist, gemeint ist nicht ein vorsätzlicher Trug oder eine Fiktion, sondern das Phänomenon im Sinne Kants. Die Erscheinung der Gegenstände hängt von den Gegenständen selbst und von deren Unverborgenheit ab. Können wir sie gut erkennen, haben wir eine gute Erscheinung und damit gute Voraussetzungen auf dem Weg zur Wahrheit.

Der Begriff der Wahrheit wird auf verschiedene Weise gebraucht. In einer Hinsicht ist die Wahrheit einfach, in einer anderen Hinsicht ist sie schwierig. Haben wir es z. B. mit einem einfachen und realen Tatsachenbericht zu tun, liegt die Wahrheit auf der Hand. In diesem Falle brauchen wir keine Philosophie. Ist die Kenntnis aber undeutlich oder gar verworren oder haben wir keine Kenntnis der genauen Ursachen einer Sache, dann ist die Wahrheit schwierig. Wie schwierig die Wahrheit sein kann, wird insbesondere durch Platons Höhlengleichnis8 deutlich, welches Platons Lehre von der Wahrheit und Erkennbarkeit enthält, wo zwischen der Erscheinung und dem eigentlichen Gegenstand Welten liegen können. Die Wahrheit ist für uns daher nicht immer erreichbar, wir sind in die Welt und ihre Gegebenheiten eingebunden. Die für uns erreichbare Wahrheit, ist nicht immer das Ding an sich in vollem Umfang, sondern ist die Welt der Erscheinung oder eine Perspektive auf die Welt. Das Bild der Erscheinungen lässt sich durch neue Erkenntnisse verbessern und vielleicht vervollständigen. Die eigentliche Wahrheit der Dinge, nennt Kant9, die Insel der Wahrheit, im Gegensatz zum endlosen Ozean des Scheins.

In einer Hinsicht gibt es genau eine Wahrheit, die lautere Wahrheit, die objektive Wahrheit, in einer anderen Hinsicht kann es die eine Wahrheit aber nicht geben. Im Unterschied zu der Vielfalt schwankender Meinungen, gibt es nur eine unverbrüchliche Wahrheit. Wahrheit ist einzig. In der anderen Hinsicht ist Wahrheit von der Sache, vom Bereich abhängig. In diesem Sinne kann es die eine Wahrheit nicht geben. Handelt es sich um einen anderen Bereich, gelten dort andere Voraussetzungen. Aus anderen Prämissen folgen auch andere Wahrheiten.

Die Göttin (im Land des Lichts) sagt zu Parmenides10: Du darfst erfahren, der wohlgerundeten Wahrheit unerschütterliches (felsenfestes) Herz. Ich verwende hier die Übersetzung ‚wohlgerundete Wahrheit‘; andere Übersetzungen, lauten etwa auf ‚runde‘ oder ‚überzeugenden Wahrheit‘. Ich beziehe mich hier neben der Übersetzung von Uvo Hölscher zusätzlich auch auf die Übersetzungen von Hermann Diels und Kirk/Raven/Schofield.11 Was bedeutet aber wohlgerundet? Nun wohlgerundet bedeutet abgeschlossen, vollständig, ideal und wohlgeformt. Ein Thema z. B. ist abgeschlossen und vollständig und damit eine runde Sache, wenn es mit Erfolg behandelt wurde, wenn seine Vielheiten an Ausprägungen erkannt wurden. Wohlgeformtheit, ist Schönheit, ein Idealtypus. Was ist aber an der Wahrheit wohlgerundet und schön?

Das Wohlgerundete an der Wahrheit ist einerseits, dass sie sich immer wieder anders zeigen kann, sie hat viele Gesichter und Gestalten; die Wahrheit ist Vielheit. Ein umfassendes und wohlgerundetes Verständnis von Wahrheit bekommt man, wenn man ihre Vielheiten erkannt hat. Seinsbereiche und Erkenntnisse sind vielschichtig, es gibt sehr unterschiedliche Bereiche; immer jedoch kann man nach der Wahrheit fragen. Wo aber auch immer sie sich zeigt, ist sie zwar immer anders und an einem anderen, aber in ihrem Kern, im Wahrsein, ist sie immer dieselbe, und dies gehört auch zu ihrer Wohlgeformtheit und Schönheit; die Wahrheit ist auch Einheit. Das Wohlgerundete der Wahrheit ist aber auch ihre Verlässlichkeit und Überzeugungskraft, die zu ihrem Kern gehört, denn sie benötigt keinen Beistand, sie spricht für sich selber. Bei Goethe heißt es, was die Vielheit der Wahrheit betrifft: Das Wahre ist gottähnlich - es erscheint nicht unmittelbar, wir müssen es aus seinen Manifestationen erraten.12

Wahrheit bedeutet immer Übereinstimmung mit etwas Anderem, und das nicht nur als Aussagenwahrheit, sondern auch Dinge und Handlungen können Wahrheit anzeigen. Was aber ist das unerschütterliche Herz der Wahrheit? Nun, auch wenn die Wahrheit sich immer wieder anders zeigt, im inneren Kern, wenn sie nicht mehr verborgen ist, ist doch ihr Wahrsein immer dasselbe, auch ihre Verlässlichkeit und Überzeugungskraft sind dann als ihr inneres Markenzeichen voll ausgeprägt, eine runde Sache; ihr Kern ist eben ihr Herz. Ihr Herz ist deswegen unerschütterlich, weil die Wahrheit als Idee ein immer Seiendes ist; sie ist Urbild für unsere Idee der Wahrheit, die deswegen nur ein Abbild ist.

Als Urbild ist die Wahrheit unvertilgbar und ewig, eine unsterbliche Idee des objektiven und allgemeinen Geistes. Als Urbild gehört die Wahrheit zum eigentlichen Sein, dieses ist abgeschlossen, unteilbar und unveränderbar. Das eigentliche Sein ist außerdem nicht verringerbar und nicht vermehrbar, denn es ist vollendet und unterliegt nicht dem Werden und Vergehen; es besitzt Ständigkeit und hat keinen Mangel, es ist eindeutig und nach allen Seiten einheitlich, ähnlich einer Kugel, wohlgerundet. Der Ausdruck ‚wohlgerundet‘ wird im Lehrgedicht des Parmenides13 (Fragment 1 und Fragment 8) sowohl für die Wahrheit als auch für das Sein, welches keinem Werden und Vergehen unterliegt, verwendet. Dieses unveränderliche Sein wird in unserer Untersuchung als eigentliches Sein bzw. eigentliches Seiendes bezeichnet, und zu diesem gehört auch die Wahrheit als Idee.

Wahrheit ist kontextbezogen. Je nach Bereich, ist die Wahrheit nicht immer ihrer Lauterkeit, Einzigkeit und Notwendigkeit nach fixierbar, sowie sie das in der Geometrie z. B. ist. Ist sie nicht in endlich vielen Schritten und mit Notwendigkeit fixierbar, kann sie aber durch einen Annäherungsprozess quasi mehr oder weniger erreichbar sein. Während die Wahrheit als Wahrsein den Charakter der Notwendigkeit besitzt, besitzen ein Annäherungsprozess an die Wahrheit und die Mittel dazu nur den Charakter der Möglichkeit. Maß und Gemessenes können also immer eine gewisse Differenz bilden.

Über Schönheit kann man streiten über Wahrheit nicht. Wahrheit ist nicht diskutierbar. Wahrheit ist nicht verhandelbar. Wahrheit ist kein Ergebnis einer Konvention und kein Ergebnis einer Festlegung durch eine Weltanschauung. Wahrheit ist auch nicht das Ergebnis einer wissenschaftlichen Theorie; wissenschaftliche Theorien können auch falsch sein und an der Erfahrung scheitern. Wahrheit ist etwas Großes, unvertilgbar, sie hat einerseits überragende Kraft, andererseits aber hat sie es schwer in den Gemütern Einlass zu finden. Wahrheit darf nicht verschwiegen werden.

Wahrheit ist das Ziel und der Zweck einer jeden Erkenntnis. Einerseits bedarf Wahrheit nicht unserer Erkenntnis, aber unsere Erkenntnis und unser Wissen bedürfen der Wahrheit. Andererseits kann aber eine wahre Erkenntnis zu weiteren Wahrheiten und weiteren wahren Erkenntnissen hinführen, und damit ist, in diesem Fall, diese wahre Erkenntnis Voraussetzung für die weiteren Wahrheiten und die weiteren Wahrheiten bedürfen dieser Erkenntnis. Wahrheit und Erkenntnis sind miteinander verbunden, miteinander befreundet. Ein Erkenntnisprozess macht ohne Fortschreiten der Wahrheit keinen Sinn und die Bewertung von Wahrheit als Übereinstimmung zwischen Erkenntnis und ihrem Objekt, kann nur durchgeführt werden, wenn auch eine ausreichende Erkenntnis vorliegt.

Wahrheit ist bereits ein Grundbegriff, der sich nicht mehr auf andere Begriffe zurückführen lässt. Wahrheit lässt sich also in gewisser Hinsicht nicht definieren, aber sie lässt sich bereichsbezogen bestimmen und beweisen bzw. begründen. Wahrheit hängt ja vom Bereich (Kontext) ab. Aristoteles14 nennt das die Gattung des Beweises.

Die Wahrheiten in einem formallogischen System, wie z. B. der Aussagenlogik, lassen sich durch die Gesetze und Axiome der Aussagenlogik bestimmen. Jede korrekt abgeleitete (bewiesene) Formel der Objektsprache (Sprache des logischen Kalküls) ist auch semantisch wahr, wobei die semantische Beurteilung nicht in der Objektsprache, sondern in der Metasprache erfolgt. Betrachten wir Tarskis berühmten Satz: „Schnee ist weiß“ ist wahr, dann und nur dann, wenn Schnee weiß ist. Dieser Satz liefert eine formallogische Definition der Wahrheit, in Form einer Äquivalenz zwischen Objektsprache und Metasprache. Die Metasprache ist aber immer Teil des jeweiligen Bereiches. Ähnlich ist es bei Begriffen, wo man eine Art Äquivalenz zwischen ihnen und den Gegenständen herstellt bzw. einen genauen Begriffsumfang, nämlich eine Gegenstandsmenge erwartet. Jede Einzelwissenschaft hat daher Entscheidungsgewalt über ihre Begriffe, Prinzipien und Gesetze, ob irgendein Satz ihres Bereiches wahr ist oder nicht. Es ist so Tarski15, nicht Aufgabe der Logik einen Satz durch wahr oder falsch zu bewerten, sondern Aufgabe der Einzelwissenschaft.

Das Wahrsein also, ob man kontextbezogen von einer Wahrheit sprechen kann, kann die Logik nicht aussprechen, sondern nur der Experte für den jeweiligen Kontext. Wahrsein bedeutet kontextabhängig Übereinstimmung zwischen gesprochener Wahrheit und Sein innerhalb des jeweiligen Bereiches und ist auch abhängig von der Redlichkeit der Expertisen. Wahrsein bedeutet auch Ehrfurcht vor der Wirklichkeit, die nicht bei dem Vordergründigen halt macht. Diese Ehrfurcht gestattet dem Auge keine Verschleierung16, so Jaspers.

In einem mathematischen oder physikalischen System, lassen sich Wahrheiten durch mathematische oder physikalische Gesetze und Axiome bestimmen. Dabei ist die Bestimmung der Wahrheiten schon sehr verschieden, je nachdem, ob es sich um ein mathematisches bzw. physikalisches System handelt. Sogar innerhalb der Mathematik oder Physik kann es bei der Bestimmung der Wahrheiten große Unterschiede geben. So kann man z. B. mit geometrischen Axiomen keine arithmetischen Wahrheiten beweisen. Auch Astronomie und Elektrodynamik handeln von sehr verschiedenen Wahrheiten, deren Grundwahrheiten nur für den jeweiligen Bereich relevant sein können. Gesetze und Axiome mit denen die Wahrheit bestimmbar wird, können bereichsübergreifend gelten. So ist das Gesetz vom ausgeschlossenen Widerspruch z. B. ein Seinsprinzip, dass für alle Seinsbereiche anwendbar ist.

Bei der Bestimmung einer Wahrheit ist der Kontext (Bereich) also ein maßgebendes Kriterium. Ferner können Wahrheiten sehr unterschiedlich bestimmbar sein. Was in der Mathematik auf reiner Vernunftbasis möglich ist, kann bei einer physikalischen Theorie ganz anders aussehen; hier wird man, durch wissenschaftliche Experimente, die aufgestellte Theorie nachweisen wollen oder mit Falsifikationsmechanismen Teile der Theorie widerlegen wollen. In anderen wissenschaftlichen Bereichen wird man vielleicht sogar auf einen Schluss auf die beste Erklärung abzielen, wenn man sonst keine andere Möglichkeit hat.

Bei einer Suche nach der Wahrheit, ist der wissenschaftliche Anspruch entscheidend, die objektive Wahrheit ist entscheidend, die von jedermann erkannt und nachgeprüft werden kann. Personenbezogene Wahrheiten oder kulturelle Anschauungen und Weltanschauungen können Wahrheiten zerstören. Geschlossene Systeme glauben manchmal die alleinige Wahrheit zu besitzen. Man kann die Wahrheit auffassen als die Idee der objektiven Bewertung einer Erkenntnis, durch wahr oder falsch. Als Idee ist sie im Immer und besagt die Übereinstimmung mit etwas Anderem. Ein Erkenntnisprozess der Wahrheit fordert jedoch eine Entscheidung, eine Bewertung, eine Fixierung auf wahr oder fasch. In diesem Sinne, können wir die Wahrheit nicht besitzen, wir können an ihr nur teilnehmen; wir dürfen bewerten, ob Wahrheit vorliegt. Wahrheit ist eine Idee, an der wir teilnehmen oder teilhaben können. Wir können manchmal in vollem Umfang an ihr teilnehmen, manchmal aber auch nur zu einem gewissen Bruchteil. Die Wahrheit verändert sich niemals, auch wenn wir sie nicht erkennen, ist sie da.

Obwohl beim Erkennen der Wahrheit das erkennende Subjekt eine Rolle spielt, kann unser Empfinden die Wahrheit nicht lenken, wohl aber kann die Wahrheit unser Empfinden lenken. Es gibt Dinge, die wir aus irgendwelchen Gründen, nicht so gerne wahrhaben wollen. Kommen solche Wahrheiten ans Licht, sind es für uns bittere Wahrheiten; kommt uns die Wahrheit aber gerade sehr passend, wollen wir sie zu hundert Prozent. Trotz alledem, der Wahrheit muss man sich stellen. Die Wahrheit ist zumutbar. Auf die Wahrheit böse zu sein macht keinen Sinn. Wenn wir unsere Vernunft durch bestimmte Sichtweisen fixieren oder gar verschleiern, können wir an der Idee der Wahrheit nicht in vollem Umfang teilhaben. Al-Ghazali beschreibt verschiedene Klassen der Verhüllung.17 Außer der Vernunft kann es andere Erkenntnisweisen geben, die uns an der Wahrheit teilhaben lassen; denken wir z. B. an ein Geschmacksurteil. Ein Geschmacksurteil ist im Gegensatz zu einem logischen Urteil nicht direkt durch Begriffe bestimmbar.

Vor jeder Wahrheit muss es Erkenntnis und ein Wissen zu den Ursachen der Wahrheit geben. Ohne fundierte Kenntnisse ist ein Urteil (eine Bewertung) durch wahr oder falsch und damit die Feststellung von Wahrheit nicht möglich. Voraussetzung von Erkenntnis sind aber Wahrnehmung und Denken als Quellen von Erkenntnis. Voraussetzung von Wahrnehmung und von jedem Denken, sind die realen, wirklichen Dinge, ohne die beide Erkenntnisquellen leer wären. Will man den Ursprung und das Wesen von Wahrheit erkunden, muss man sich an die realen Dinge halten, man muss sich mit dem Sein auseinandersetzen, nach Platon18 mit dem wahren (zeitlosen) Sein und nicht mit dem veränderbaren Sein (Werden) oder Nichtsein.

Alle Menschen streben von Natur nach Wissen. Es gibt in uns einen Drang nach Wahrheit. In unserem Sprachgebrauch gibt es das Wort wahrnehmen. Wir nehmen wahr. Wahrnehmung ist eine Voraussetzung für Erkenntnis. Vor der Wahrnehmung sind die realen Dinge, damit wir wahrnehmen können, vor unserem Urteil über die Dinge ist die Wahrnehmung und das Denken. Die Wahrnehmung allein reicht allerdings für Wahrheit nicht aus, Wahrnehmung kann uns auch täuschen. Wahrnehmung nimmt etwas auf, das verschieden ist von dem Aufgenommenen, Wahrnehmung nimmt ein Abbild auf. Darum steckt auch in der Wahrnehmung nicht die volle Wahrheit. In diesem Sinne sagt Plotin19: Der Wahrnehmung wohnt keine Wahrheit inne, sondern nur ein Annehmen. Die eigentliche Wahrheit, die ursachenunabhängig ist, d. h. das Prinzip Wahrheit bzw. die Wahrheit als Idee, ist aber etwas Unveränderliches, zeitloses und mit sich selbst identisches. Die Sinneswahrnehmung als Voraussetzung für Wahrheit allein, kann nicht ausreichen, die Seele und der Geist müssen denkend tätig werden.

Wahrheit hat in unserer Sprache sowohl eine prädikative Verwendung als auch eine attributive Verwendung. Einerseits bewerten wir Aussagen mit dem Prädikat wahr, andererseits setzen wir Wahrheit aber auch als Attribut. In letzterem Sinne bedeutet Wahrheit z. B. Verlässlichkeit oder Reinheit. Wenn wir etwa von „wahrer Freundschaft“ oder von „wahrer Liebe“ sprechen, meinen wir Verlässlichkeit. Wir messen die uns entgegengebrachte Freundschaft oder Liebe am Ideal der wahren Freundschaft bzw. am Ideal der wahren Liebe. Wenn wir vom wahren Gold oder den wahren Diamanten sprechen, meinen wir reines Gold bzw. reine Diamanten. In diesem Fall bedeutet Wahrheit also Reinheit und Unvermischtheit.

Erkenntnisse können in Abstufungen dargestellt werden, je nach dem wie weit die Kenntnis von etwas hinreicht. Vom Namen und Begriff, über die Definition eines Dinges oder einer Sache, schließlich über die Erscheinung des Dinges, kann man zu einer Art der wissenschaftlichen Erkenntnis gelangen. Die wissenschaftliche Erkenntnis verweist dann auf das verwirklichte Sein. Der Plan des verwirklichten Seins entspricht der Idee oder aber der rationalen Form eines Dinges, dem Urbild. Während Dinge sich ändern, bleiben Ideen und rationale Formen gleich. Den einzelnen Erkenntnisstufen kann man Wahrheiten zuordnen. Die höchste Wahrheit entspricht dem immer sich Gleichbleibenden, dem wahrhaften Sein.

In diesem Buch soll es verstärkt um die ontologische und transzendente Wahrheit und nicht nur um eine Wahrheit auf logischer Ebene, nicht nur um formale Aussagenwahrheit gehen. Die ontologische Wahrheit kann nicht nur gedacht, sondern auch durch unsere Existenz erfahren werden. Die ontologische Wahrheit bezieht sich auf das Sein als Ganzes, während die logische Wahrheit nur einen Teilbereich des Seins, nämlich das Denken, die Logik, die Sprache und die Erkenntnis umfasst. In diesem Buch soll es darum gehen, den Ursprung und das Wesen von Wahrheit zu ergründen. Wahrheit und Sein hängen eng zusammen. Zwischen Sein (Existenz) und Wahrheit gibt es viele Analogien. Wenn man die Frage nach der Wahrheit stellt, muss man auch das Seiende betrachten. Wir betrachten also Wahrheit nicht nur im logischen oder sprachlichen Sinne, sondern als Ganzes, im ontologischen Sinne.

Das Seiende und die Wahrheit sollen daher in diesem Buch systematisch behandelt werden. Ein strukturiertes philosophisches System soll aufgebaut werden, dabei soll die philosophische Methode More geometrico berücksichtigt werden. Diese Methode wurde bereits in der Antike, in mehr oder weniger ausgeprägter Form, von Aristoteles und von Proklos benutzt. Später wurde diese Methode insbesondere von Descartes und Spinoza angewendet. In der analytischen und mathematischen Philosophie wurde in ähnlicher Weise sehr strukturiert verfahren, wie etwa bei Frege oder Russell. Die Methode More geometrico ermöglicht eine explizite und kompakte Darstellung von Wesentlichkeiten, die dabei textlich hervorgehoben werden und beim Lesen zeitlich schneller erfassbar sein können. Ohne diese Methode würden diese Wesentlichkeiten eher implizit in seitenlangen Texten zwischen Erläuterungen verborgen bleiben und würden nur mit größerem Zeitaufwand zugänglich sein.

Man kann Philosophie als Wissenschaft der Wahrheit bezeichnen, denn das Ziel und der Zweck der theoretischen Philosophie muss es sein, die Wahrheit zu erkennen, d. h., die allgemeinen Wahrheiten, die über die Einzelwissenschaften hinaus gehen. Hierin stimme ich mit Aristoteles20 überein. Aber auch neben der Philosophie ist das Ziel jeder Erkenntnis und jeder Wissenschaft die Wahrheit. Das Wahrheitskriterium, d. h., wie man eine Wahrheit überprüfen will, kann bei den einzelnen Wissenschaften unterschiedlich sein. So wird man in der Logik und theoretischen Mathematik stets den strengen Vernunftbeweis als Wahrheitskriterium voraussetzen. In den Natur- und Technikwissenschaften wird man eher Experimente, d. h. praktische Beweise anwenden. In der Rechtswissenschaft müssen Rechtsnormen und Gesetze einerseits und Beweismittel zum Sachverhalt andererseits verhandelt und interpretiert werden, und der Weg zur Wahrheitsfindung ist stark subjektiv geprägt. Kann man sich rechtlich nicht einigen muss der Advokat seine Wahrheit durchsetzen. Bei allen Wissenschaften und auch in der Philosophie, spielt ein mehr oder weniger großer subjektiver Einfluss des Erkennenden bei der Findung und Behauptung von Wahrheit mit, und lässt sich nie ganz eliminieren. Deswegen unterscheidet Ockham21 auch zwischen einem begrifflichen Terminus (Eindruck der Seele) und einem geschriebenen bzw. gesprochenen Terminus (Sprecherintention).

Wahrheit ist Voraussetzung sowohl für die Verstandestugenden als auch für die Charaktertugenden. Gesunder Verstand, Vernunft, Urteilskraft, aber auch Klugheit, Weisheit, Erkenntnis und Wissen bedürfen der Wahrheit. Jede Rationalität, Wissenschaft und Forschung bedarf der Wahrheit. Klarheit, Richtigkeit, Verlässlichkeit, Wohlberatenheit und Festigkeit leben von der Wahrheit. Ethik und Reinheit des Charakters, Redlichkeit, Verantwortung und Wahrhaftigkeit bedürfen der Wahrheit. Wahrheit ist nützlich und ähnlich mit dem Guten und Schönen. Unwahrheit, Irrtum und Lüge sind verwandt mit dem Bösen, Schlechten und Hässlichen.

In der Wahrheit selber kann es Abstufungen geben, ebenso wie im Sein oder bei der Erkenntnis. Manche Wahrheiten sind am wahrsten, andere sind nur Teilwahrheiten oder Folgerungen aus diesen und deshalb weniger wahr. Neben den Abstufungen der Wahrheit, gibt es verschiedene Arten von Wahrheiten: Analytische, synthetische, kontingente, notwendige, apriorische und aposteriorische Wahrheiten etc. Im Laufe der Zeit haben sich zu dem auch verschiedene Wahrheitstheorien entwickelt. Trotz dieser Verschiedenheiten, kann es im eigentlichen Sinne nicht Grade im Wahrheitswert geben, d. h. von zwei Aussagen oder bewertbaren Gedanken kann nicht eine Aussage wahrer sein als die andere; wohl aber kann von zwei Gegenständen der eine schöner sein als der andere. Aus diesem Grunde sagt auch Frege22: Über das Schöne kann man nicht streiten, man muss es empfinden, das Wahre bedarf unserer Anerkennung jedoch nicht, sondern ist unabhängig von unserer Anerkennung wahr. Das Wort Gedanke benutze ich im Sinne von Frege. Ein Gedanke ist der bewertbare Sinn eines Satzes durch wahr oder falsch.

Was die verschiedenen Wahrheitstheorien angeht, sollen sie, in diesem Buch, nicht im Detail auf ihre Fruchtbarkeit hin diskutiert werden. Wichtig ist auf jeden Fall die Korrespondenztheorie der Wahrheit, insbesondere Tarskis semantische Wahrheitstheorie, denn eine Korrespondenz zwischen Wahrheit und Erkenntnis bzw. Wahrheit und Sein, ist entscheidend; wichtig ist aber auch beide Ebenen der Korrespondenz auseinanderzuhalten. Die Korrespondenztheorie der Wahrheit hat mit den anderen Wahrheitstheorien gemeinsam, dass sie kein allgemeines Kriterium zur Wahrheitsfindung oder Rechtfertigung angeben kann. Sie unterscheidet sich jedoch von den anderen Wahrheitstheorien darin, dass sie das Wesen der Wahrheit in Form einer Namensdefinition aussagt. Das Wesen der Wahrheit ist ja gerade Übereinstimmung bzw. Korrespondenz. Korrespondenz zwischen Erkenntnis und Sein, zwischen Urteil und Wirklichkeit, zwischen Mensch und Welt, zwischen Subjekt und Objekt. Neben der Korrespondenztheorie der Wahrheit, gibt es die Kohärenztheorie der Wahrheit, oder aber pragmatische Wahrheitstheorien, wie die Konsenstheorie der Wahrheit. Alle Wahrheitstheorien versuchen durch eine Wahrheitsdefinition, was sie unter Wahrheit verstehen, und ein Wahrheitskriterium, wie man die Wahrheit nachprüfen kann, der Wahrheit näher zu kommen. Jede Wahrheitstheorie möchte selbst wahr sein, aber in einem metatheoretischen Sinn, so Coreth.23 Damit haben wir eine Verschiebung aber keine Lösung. Viele Wahrheitstheorien bedeuten insgesamt einen Wahrheitspluralismus. Die Wahrheit muss aber als Idee betrachtet, als Norm- und Wertvorstellung betrachtet und auch als wissenschaftliche Wahrheit betrachtet eindeutig bleiben, und damit ist eine einzige umfassende Sichtweise von Nöten.

Eine Wahrheitsdefinition, die nicht nur formell ist, ist problematisch, da der Begriff Wahrheit, eine einfache und ursprüngliche Idee ist. Einfaches auf noch Einfacheres zurückzuführen ist kaum möglich. Um einen Definitionsregress zu vermeiden, muss man bei dem Einfachen und dem Ersten anhalten und dieses als Ausgangspunkt wählen. Deswegen sagt Locke24, dass die Namen der einfachen (nicht zusammengesetzten) Ideen undefinierbar sind. Auch Frege25 ist der Meinung, dass man Wahrheit nicht auf Einfacheres zurückführen kann. Das Wort ‚wahr‘ benötigt man manchmal nicht, wenn man Wahrheit ausdrücken will, es ist manchmal redundant, man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Redundanztheorie der Wahrheit. Ein Behauptungssatz, sagt eigentlich genau dasjenige aus, womit wir die Wahrheit ausdrücken, so Frege26. In ähnlicherweise kann man bei der Korrespondenztheorie, wie Quine27 feststellt, von Zitattilgung sprechen. Das Wahrheitsprädikat hebt die Anführungszeichen auf, die man für die Äquivalenz zwischen Objekt- und Metasprache eingeführt hat. Das Wahrheitsprädikat ist wie ein Bindeglied zwischen Wörtern der Metasprache und den Objekten bzw. den Tatsachen der Welt.

Beim Wesen von Wahrheit wird sich herausstellen, dass jede Wahrheit, sowie das Wahrsein an sich, als Übereinstimmung betrachtet werden kann. Tarskis formelle Definition der Wahrheit lässt sich erweitern in dem Sinne, dass Wahrheit Übereinstimmung oder Äquivalenz bedeutet, und zwar zwischen einer Objektebene und einer Bestimmungsebene. Bei einer Übereinstimmung auf einer Ebene, würde man eher von Gleichheit oder Äquivalenz sprechen. Bei einer Übereinstimmung, die über verschiedene Ebenen geht, kann man von Wahrheit sprechen. Zwei Begriffe oder Namen können z. B. Gleiches bedeuten, wie etwa Polizist und Schutzmann und wir vergeben für diese Übereinstimmung meist das Prädikat gleich. Für eine Übereinstimmung zwischen Idee und Verwirklichung (Sein) oder zwischen Sein und Rede oder aber auch zwischen Begriff und Gegenstand, können wir das Prädikat wahr vergeben und für die Nichtübereinstimmung das Prädikat falsch. Unter dieser allgemeineren Sichtweise gibt es immer noch die unverbrüchliche Wahrheit. Die Einheit der Wahrheit, im Gegensatz zu den vielen Meinungen, bleibt gewährleistet. Aber aufgrund der verschiedenen Ebenen wird Wahrheit damit in dieser Hinsicht relativ. Wenn wir dann über Wahrheit reden, müssen wir die entsprechenden Ebenen mitbenennen. Die einzelnen Ebenen repräsentieren die Abstufungen bzw. Bereiche, die im Sein und in der Wahrheit auftreten können.

Die Wahrheit kann sehr viele Formen annehmen. Sie zeigt sich immer wieder anders. In ihrer höchsten Form ist die Wahrheit Idee. Die Wahrheit als Idee zu erkennen und zu begreifen bedeutet, ihre Einheit als Prinzip in der Vielheit des Seienden zu erkennen und zu bergreifen. Als Idee ist die Wahrheit nämlich weit mehr als ein Begriff, sie ist ein Prinzip, das sich wie eine Regel des Wahrseins auf alle Seinsebenen und Erkenntnisebenen anwenden lässt. Die Idee der Wahrheit bedeutet Übereinstimmung mit etwas Anderem. Ein Erkennender hat die Verpflichtung eine objektive Bewertung einer Erkenntnis durch wahr oder falsch vorzunehmen. Als Regel besagt das Prinzip Wahrheit, dass mit einer Art Idealmaß, etwas Andersartiges zu messen ist, und dass es im Falle des Wahrseins, in bestimmter Hinsicht, dann zu einer Übereinstimmung kommen muss.

Damit beende ich die Einführung zu meinem Buch und lade Sie ein, Ursprung und Wesen der Wahrheit zu erkunden. Zwischen logischer Klarheit und ontologischer Gewissheit sind Verbindungen möglich. Logik und Realität stehen in einer bestimmten natürlichen Minimalbeziehung. Die Analogienvielfalt sollten Sie kennenlernen, die es zwischen der Wahrheit einerseits und dem Sein (der Existenz), dem Werden und der Erkenntnis andererseits geben kann. Sie sollten aber auch bestimmte Computeranalogien kennenlernen, die sich hin und wieder, was das Geistige betrifft angeboten haben. Ferner gebe ich eine ausführliche Interpretation des Lehrgedichts des Parmenides, die die Schlüssigkeit dieses Gedichts unterstreicht, wenn man es mit dem eigentlichen Sein, d. h. mit dem Unveränderlichen des Seins, wie etwa den Ideen, den mathematischen Dingen und den Naturgesetzen, in Verbindung bringt. Auch die Paradoxien des Zenon von Elea entstehen nicht, wie man später noch sehen wird, wenn man diese nur auf das eigentliche Sein bezieht, bzw. wenn man die Bereiche des Seins wohl unterscheidet.

3 Parmenides: Vom Wesen des Seienden, Fragment 1-6

4 Hesiod: Werke und Tage, 255-260; Theogonie 900-905

5 Pindar: Olympische Oden X, Zeile 3 ff.

6 Aristoteles: Metaphysik, Buch II, Kapitel 1, 993 a ff.

7 Al-Ghazali: Die Nische der Lichter, Einleitung A 40

8 Platon: Der Staat, Buch 7, Nr. 1-2

9 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 295

10 Parmenides: Vom Wesen des Seienden, Fragment 1;

11 Diels: Parmenides Lehrgedicht, Fragment 1; Kirk/Raven/Schofield: Die vorsokratischen Philosophen, Nr. 288

12 Goethe: Maximen und Reflexionen, Aus Makariens Archiv

13 Diels: Parmenides Lehrgedicht, Fragment 1, Zeile 25 ff. und Fragment 8, Zeile 40 ff.

14 Aristoteles: Zweite Analytik, 1. Buch, Kapitel 7

15 Tarski: Einführung in die mathematische Logik, Anhang: Wahrheit und Beweis, A 1 und A 2

16 Jaspers: Von der Wahrheit, Dritter Teil, Nr. III, Die Aufgabe des Wahrseins

17 Al-Ghazali: Die Nische der Lichter, Kapitel III, A-C

18 Platon: Der Staat, Buch 9, Nr. 10

19 Plotin: Die Geistigen Gegenstände sind nicht außerhalb des Geistes, Nr. 1, 60-65

20 Aristoteles: Metaphysik, Buch II, Kapitel 1

21 Ockham: Summe der Logik, Teil I, Nr. 1

22 Frege: Schriften zur Logik und Sprachphilosophie (Aus dem Nachlass), Logik (Einleitung: Das Prädikat wahr, Gedanke, Folgerungen für die Behandlung der Logik).

23 Coreth: Wahrheit in Einheit und Vielheit, IV. Wahrheit, Vielheit, Freiheit

24 Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Buch 3, Kapitel IV, Nr. 7

25 Frege: Schriften zur Logik und Sprachphilosophie (Aus dem Nachlass), Logik (Einleitung: Das Prädikat wahr, Gedanke, Folgerungen für die Behandlung der Logik).

26 Frege: ebd.

27 Quine: Unterwegs zur Wahrheit, § 33

1. Grundlagen der Untersuchung

Für die vorgelegte Untersuchung von Wahrheit sollen die folgenden Grundlagen gelten:

Begriffsbestimmungen

B 1. Der Begriff „Materie“ kann im modernen Sinne der Physik interpretiert werden. Materie kann sich in Strahlung verwandeln und Strahlung in Materie; Materie in welcher Form auch immer, bleibt jedoch philosophisch betrachtet, in bestimmter Hinsicht ein Stoff, dem eine gewisse Form zukommt, während dem Geistigen philosophisch betrachtet nur Form zukommt.

B 2. Der Begriff „Werden“ bezieht sich im gewöhnlichen Sinne auf das materiebehaftete Seiende. Im übertragenen Sinne lässt sich dieser Begriff auch auf Erkenntnisse und Wahrheiten übertragen.

B 3. Der Begriff „eigentliches Seiendes“ bezieht sich auf das geistige und zeitlose und unveränderliche Seiende, auf dasjenige, was immer seiend ist, auf das sogenannte wirklich Seiende oder wahrhaft Seiende. Dieses ist ein Unveränderliches und unterliegt nicht dem Werden und Vergehen. Es ist daher dasjenige Seiende, welches nicht Ergebnis des Werdens ist. Das eigentliche Seiende kann als Gesetz des Seins aufgefasst werden, identisch mit dem Geist (Ideen, rationale Formen, zeitlose Wahrheiten, etc.); in anderer Hinsicht kann es aber auch gesehen werden, dass es das Denkvermögen vervollkommnet und daher vor dem Geist liegt, nach dem Einen und vor dem Geist.

B 4. Der Begriff „Aussage“ wird in mehreren Bedeutungen, auf analoge Weise gebraucht, im Sinne einer formellen Buchstabenfolge (materielle Form einer Aussage), im Sinne einer formallogischen Aussage (objektiv), im Sinne eines Urteils (subjektiv), aber auch im Sinne einer sprachwissenschaftlichen Proposition (Satzinhalt). Für all dieses verwende ich einfach den Begriff Aussage, der im jeweiligen Satzzusammenhang also Verschiedenes bedeuten kann und dessen Sinn aus dem Zusammenhang dann hervorgeht.

B 5. Der Begriff „Tatsache“ als Verbindung von Dingen, aber auch als Verbindung von Dingen und Eigenschaften, soll in dieser Untersuchung das Wahrsein bereits enthalten. Tatsachen sind damit automatisch wahr. Tatsachen gehören zu unserer Welt. Wenn wir etwas Wahres sagen, dann ist eine objektive Tatsache die Ursache der Wahrheit. Das Gegenteil einer Tatsache existiert ontologisch nicht, sondern nur logisch als Falschheit. Tatsachen beziehen sich auf die Seinsebene, Wahrheit und Falschheit auf die logische Ebene. Das Sein ist positiv; Negation oder Falschheit sind keine ontologischen, sondern logische Größen.

B 6. Der Begriff „transzendent“ soll bedeuten die Grenzen des Gewöhnlichen, der Anschauung oder der Erfahrung überschreitend, aber eben nicht den Gesetzen der Erfahrung, der Logik oder des Seins widersprechend.

B 7. Im Begriff „ontologische Wahrheit“ wird auf die Obermenge des gesamten Seins Bezug genommen, als Dasein, Existenz, Logik, Erkenntnis etc. Der Begriff „logische Wahrheit“ dagegen nimmt Bezug auf eine Teilmenge des Seins, bestehend aus Denken, Sprache, Logik und Erkenntnis. „Logische Prinzipien“ sind Anfänge, Voraussetzungen bzw. Prämissen für die Logik und Erkenntnis, auf ihnen gründet sich die gesamte logische Ordnung. „Ontologische Prinzipien“ bzw. „Seinsprinzipien“ sind Anfänge und Ursachen des gesamten Seins, auf ihnen gründet sich die gesamte ontologische Ordnung.

B 8. Der Begriff „notwendige Wahrheit“ ist so zu verstehen, dass ein Gegenteil dieser Wahrheit entweder logisch unmöglich ist oder von niemand erfahren werden kann. Ist dieses Kriterium zu aller Zeit gegeben, dann ist die notwendige Wahrheit auch zeitlos oder eine unbedingte notwendige Wahrheit. Damit kann eine solche Wahrheit entweder nur von der Logik oder der Erfahrung in unserer Welt gerechtfertigt werden. Mögliche Welten existieren nach Leibniz nur in der Vorstellung (den Ideen) Gottes, in Wirklichkeit kann nur eine für uns vollzugängliche und erkennbare Welt existieren.28 Bei der Beschreibung von allen Modalitäten innerhalb dieser Untersuchung, wird daher ohne mögliche Welten auszukommen sein.

B 9. Der Begriff „Seele“ kann neben einer philosophischen Bedeutung, wissenschaftlich als eine Einheit verstanden werden, die Eindrücke empfängt und erinnert, die fühlt und entscheidet, die Entschlüsse fassen kann und die Wünsche entwickeln kann, die ihren Willen äußern kann, die zweckgebundene Handlungen durchführen kann, die am Denkvermögen teilhaben kann. Eine Seele ist in gesamtwirklicher Ordnung in ein biologisches Umfeld eingebunden, lässt sich aber fast sicher nicht, ausschließlich durch biologisch-materielle Gesetzmäßigkeiten allein beschreiben oder auf einfache und eindeutige Weise in Zusammenhang mit diesen biologischen Funktionen bringen.

B 10. Der Begriff des „Denkvermögens“ wird unterteilt in statisches Denkvermögen oder denkbaren Intellekt (Ideen, rationale Formen, zeitlose Wahrheiten, etc.) und dynamischem Denkvermögen oder denktätigen Intellekt (Denkvermögen innerhalb der Seelen). Das Denkvermögen entspricht dem allgemeinen Geist, das statische Denkvermögen den statischen Anteilen des Geistes (Ideen, rationale Formen, zeitlose Wahrheiten, etc.) das dynamische Denkvermögen dem Geist in einer lebenden Seele, der diese dann dynamisch macht. Das Denkvermögen kann aufgefasst werden als Urbild, welches vor den Seelen besteht, auch als göttlicher Intellekt oder eben als Abbild innerhalb einer Seele, als menschlicher Intellekt z. B., dies geht aus dem Sinnzusammenhang hervor. Die Begriffe Geist und Denkvermögen werden auf ähnliche Weise gebraucht.

Annahmen

A 1. „Erkenntnis“ wird, in dieser Untersuchung, in dem Sinne des Zusammenbringens der unmittelbar gegebenen Wirklichkeit (Sein) mit dem Denken, mit den Ideen, mit dem Begrifflichen gebraucht. Das Ganze geschieht als Tätigkeit zu dem Zweck des Sichtbarmachens des Wesentlichen bezogen auf das Sein, welches nicht unmittelbar durch Anschauung gegeben ist. Die Enthüllung durch den Erkenntnisprozess ist zunächst noch nicht gerechtfertigt und noch nicht bewertet. Erst durch die Rechtfertigung und Bewertung kann eine Erkenntnis zu einer wahren Erkenntnis werden. In diesem Sinne kann es wahre und nicht wahre Erkenntnis geben. Der Begriff Erkenntnis enthält daher nicht automatisch den Begriff Wahrheit.

A 2. „Erkenntnis“ ist, wenn die Erkenntnis entscheidbar ist, Wahrheitswertträger der Wahrheitswerte wahr oder falsch. Eine Erkenntnis kann sich auf Dinge, Tatsachen, Handlungen, Theorien oder Urteile beziehen; alle diese können Wahrheit anzeigen. Erkenntnisse müssen nicht immer notwendigerweise sprachliche Form haben. Wahrheit kann auch manchmal unabhängig von Sprache erkannt werden.

A 3. Der Begriff des „Wissens“ enthält bereits den Begriff der Wahrheit, denn Wissen soll wahre und gerechtfertigte Meinung bedeuten.

A 4. Die „Wahrheit“ im Sinne von Wahrsein ist die Idee der Übereinstimmung mit etwas Anderem. Ob es zu einer Übereinstimmung kommt, kann im Falle eines entscheidbaren Erkenntnisprozesses durch wahr oder falsch objektiv bewertet werden. Somit ist ein Erreichen oder Nichterreichen von Wahrheit auch die objektive Bewertung einer Erkenntnis durch wahr oder falsch.

A 5. Die objektive Bewertung einer Erkenntnis ist abhängig von der Sichtweise (Perspektive), bezogen auf die Erkenntnis. Es kann für eine Erkenntnis mehr als eine Sichtweise geben.

A 6. Die objektive Bewertung einer Erkenntnis ist abhängig von der Erkennbarkeit des Objektes bzw. der Sache und ferner abhängig von der Möglichkeit und dem Vermögen der erkennenden Wissenschaft.

A 7. Die objektive Bewertung einer Erkenntnis ist abhängig von den Unwägbarkeiten des Sprachgebrauchs.

A 8. Die „Wahrheit“ im Sinne von Wahrsein bedeutet immer Übereinstimmung zwischen zwei Gegebenheiten, jeweils auf unterschiedlichen Ebenen. Die praktische Feststellung der Übereinstimmung geschieht dadurch, dass ein gewisses festzulegendes Idealmaß auf ein zu Messendes angewendet wird. Stimmen Maß und Gemessenes überein, handelt es sich um eine Übereinstimmung und Wahrheit liegt vor. Zwischen Maß und Gemessenem liegt damit die Beziehung (Relation) der Übereinstimmung vor. Dies gilt für alle Arten von Wahrheit, für die formale Aussagenwahrheit, die ontologische bzw. transzendente und für die praktische Wahrheit. Dies gilt ferner im prädikativen, wie im attributiven sprachlichen Gebrauch der Wahrheit.

A 9. Die Vielheit der Seinsbereiche und die Vielheit der Erkenntnisbereiche erzeugt eine Vielheit von Einzelwahrheiten. Einzelwahrheiten können von den gleichen oder von unterschiedlichen Axiomen und Prämissen abhängen. Ihr Wahrsein an sich, ist jedoch allen Einzelwahrheiten gemeinsam und eindeutig, und immer auf die angegebene Weise der Übereinstimmung.

A 10. Kann das Wahrsein als Übereinstimmung nicht punktgenau erfolgen, sondern nur in einer Bandbreite oder als Annäherung, bedarf es einer (vorläufigen) Entscheidung um Wahrheit feststellen zu können, diese Entscheidung muss eine Revision ermöglichen.

A 11. Jede Einzelerkenntnis bestimmt die Gegebenheiten bzgl. der angestrebten Übereinstimmung, im Sinne des Wahrseins, das Wahrsein selber jedoch nicht. Wahrheits- und Rechtfertigungskriterien werden durch die Einzelerkenntnis mitbestimmt.

A 12. Als Prinzip des Wahrseins soll Wahrheit ein Idealmaß bedeuten, mit dem wir eine Erkenntnis messen. Liefert das Messergebnis eine Übereinstimmung, liegt Wahrheit als Eigenschaft dieser Erkenntnis vor.

A 13. Die Wahrheit wird aufgrund der enthüllten Erkenntnisse und deren Überprüfung und Bewertung hervorgebracht, im Sinne von entdecken, nicht aber im Sinne von erzeugen. An der Idee der Wahrheit als Übereinstimmung mit etwas Anderem bzw. als objektive Bewertung von Erkenntnissen kann man teilhaben, sie gehört einem jedoch nicht.

A 14. Die Wahrheit lässt sich nicht unabhängig vom Inhalt ihrer Erkenntnis prüfen. Wahrheit ist kontextbezogen. Ihre Rechtfertigungsmethoden sind nicht nur allgemein, sondern auch kontextabhängig. Die Rechtfertigungsmethoden können rein logisch, aber auch erfahrungsabhängig, sowie von praktischer oder experimenteller Art sein.

A 15. Für die allgemeinen Gesetze des Wahrseins ist die Logik oder Erkenntnistheorie gefragt. Für die Anwendung der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten und für die kontextabhängigen Prinzipien und Axiome, sowie die kontextabhängigen Rechtfertigungsmethoden, ist die Einzelwissenschaft gefragt.

A 16. Die als Tugend verwirklichte Wahrheit heißt zusammengefasst Wahrhaftigkeit und betrifft das Gesamtverhalten eines Menschen, das er zur Wahrheit hat. Wahrhaftigkeit kann in der Vielheit ihrer Ausprägungen z. B. Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Redlichkeit, Genauigkeit, Rechtheit oder Rechtschaffenheit mitbeinhalten.

A 17. Ideen im Sinne Platons und Plotins werden betrachtet als Idealzustände, als Richtpunkte im Denken und als Teile des Geistes. Ideen sind Musterbilder. Ideen gibt es nur vom Allgemeinen und Wesentlichen. Ideen sind konstant; sie unterliegen nicht dem Werden; sie gehören zum eigentlichen Seienden. Ideen können allgemeine Eigenschaften von materiellen und geistigen Dingen bezeichnen, Beziehungen zwischen Dingen, aber auch Normen und Tugenden, immer bezeichnen sie jedoch eine Idealität von diesen. Gerades, Ungerades, Großes, Schweres, Unteilbares, Weisheit, Gerechtigkeit, Besonnenheit, etc... Dinge können an unterschiedlichen Ideen, auch an gegensätzlichen Ideen teilhaben, ebenso unsere Handlungen und unsere Denktätigkeit. Als rein geistige Teile sind die Ideen nicht wie Wörter oder Begriffe zu verstehen, sondern wesentlich tiefgründiger als Idealmaße des Geistes, nicht als bloße Sprachanteile, sondern eher wie Prinzipien und Regeln, die auf die Vielheit der Existenzbereiche und Erkenntnisbereiche sich auswirken können und insofern auch eine umfassendere Bedeutung haben können. Die Bedeutung einer Idee besteht aufgrund des Zusammenhangs ihrer Einheit mit der Vielheit ihrer Verwirklichungen. In den Verwirklichungen kann sich die Idee immer wieder in anderer Form zeigen. Eine Idee ist als Einheit jedoch eindeutig und wie ein Richtpunkt, an dem ich meine Denktätigkeit ausrichten kann.

Postulate

Gefordert soll sein:

P 1. Sein und Seiendes sollen in dieser Untersuchung auf dieselbe Art und Weise gebraucht werden.

P 2. Seiendes soll grundsätzlich in dieser Untersuchung betrachtet werden, sofern es objektiv und schlechthin ist (im existentiellen Sinne), jedoch im wesentlichen Sinne, und nicht reine Zusätze betreffend. Dasjenige, welches nur bei einem Denkvorgang existiert, aber nicht schlechthin existiert, ist nicht wesentlich. Nicht betrachtet werden sollen ferner Dinge und Werke des menschlichen Geistes, die nicht objektiv zugänglich sind. Subjektive Vorstellungen sind in unserem Sinne unwesentlich und werden also nicht betrachtet. Da es in dieser Untersuchung um die Wahrheit geht, seien also damit Dinge und Tatsachen ausgeschlossen, die nicht objektiv zugänglich sind. In diesem Sinne ist z. B. Dänemark in Hamlet oder die Glocke in Schillers Gedicht ‚Die Glocke‘ objektiv zugänglich; trotzdem handelt es sich nur um Bilder realer Gegenstände, die in menschlichen Werken vorkommen, diese sind von der Wahrheit weiter entfernt als reale Gegenstände an sich.

P 3. Fiktives soll, wenn es nicht objektiv zugänglich ist, als Seiendes ausgeschlossen sein. Fiktives, welches objektiv zugänglich ist, und in mindestens einem existierenden Kontext vorkommt, kann als Seiendes in bestimmter Hinsicht angesehen werden. Meerjungfrauen oder goldenen Bergen kommt also eine gewisse bildhafte Existenz zu, bezogen auf bestimmte existierende Märchen, die objektiv zugänglich sein müssen.

P 4. Die Wahrheit soll nach wissenschaftlicher Methode Gegenstand dieser Untersuchung sein.

P 5. Die Wahrheit im Sinne von Wahrsein ist eindeutig und einzig im Gegensatz der Vielfalt von Meinung und Glauben. Wahrheit ist nicht relativ, sondern objektiv. Das Wahrsein ist auch Einheit in der Vielheit der einzelnen Wahrheiten.

P 6. Die objektive Bewertung einer Erkenntnis durch wahr oder falsch muss intersubjektiv möglich sein, universal und frei von subjektiver Perspektivität.

P 7. Angestrebt wird immer, die nach Möglichkeit aller Umstände, bestmögliche und bestumfassende objektive Bewertung vorliegender Erkenntnisse, und damit die beste Annäherung an das Wahrsein.

P 8. Eine Erweiterung vorliegender Erkenntnisse muss, wenn nötig, zu einer Anpassung, Korrektur und Verbesserung früherer Wahrheiten führen.

P 9. Die Wahrheit als Prinzip des Wahrseins bezieht sich auf alle Seins- und Erkenntnisbereiche. Sie soll nach Möglichkeit in einer umfassenden Vielheit Gegenstand dieser Untersuchung sein.

28 Leibniz: Monadologie, Nr. 53

2. Arten des Seienden

1. (Bereiche des Seienden) Alles was objektiv ist, alles was objektiv existiert, alle Gegenstände oder Dinge der empirischen Natur und alle Dinge der geistigen Natur, die objektiv gedacht werden können oder notwendig gedacht werden müssen, sollen Seiendes heißen. Sowohl rein Akzidentelles als auch Subjektives soll ausgenommen sein. Fiktives, welches nicht objektiv zugänglich ist, soll ebenfalls ausgenommen sein.

Da die Wahrheit als Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand verstanden werden kann, als ein Zutreffen auf Wirkliches also, ist zu fragen: Was ist wirklich? Alles was ist, so könnte man meinen im existentiellen Sinne. Wir wollen jedoch von dem was ist, rein Akzidentelles ausnehmen. Ferner soll Subjektives und Fiktives, welches nicht objektiv zugänglich ist, ausgenommen sein, wie schon früher in den Postulaten festgelegt. Dasjenige, welches nicht schlechthin ist, sondern nur ist, wenn es momentan gedacht wird, ist nicht wesentlich und wird ebenfalls nicht betrachtet. Das Seiende soll im Sinne von Aristoteles als Seiendes im wesentlichen Sinne mit dem ihm zukommenden Eigenschaften untersucht werden.29

Seiendes gehört zum Sein und das Sein bedeutet Existenz. Seiendes besteht also in verschiedenen Existenzbereichen. Die Existenz von Seiendem ist gesichert, wenn man abhängig vom Existenzbereich, objektiv feststellen kann, dass es existiert. In der empirischen Welt ist die Existenz eines Dinges oder Wesens z. B. durch Anschauung überprüfbar. Dinge der geistigen Natur müssen unabhängig vom Denkenden, jederzeit und jedem zugänglich sein, müssen objektiv sein. Ihre Existenz ist anders zu prüfen, als die der empirischen Dinge. Zahlen z. B. sind jederzeit und jedem vernunftbegabten Wesen zugänglich. Auch auf (allgemeine) Ideen, etwa die Idee der Gerechtigkeit, kann jedermann zugreifen. Die Idee eines Kreises kann ganz konkret durch dessen Konstruktion bereits von Kindern erfahren werden. Dichtungen, Mythen und Märchen sind fiktiv, aber sie sind objektiv zugänglich und deswegen kommt ihnen auch eine gewisse Existenz zu. Wegen ihrer objektiven Zugänglichkeit, weil es Dichtungen, Mythen und Märchen z. B. als reale Bücher gibt, bewirken sie einen gewissen Kontext. In diesen Kontexten kann es z. B. goldene Berge oder geflügelte Pferde geben. Das Nichts oder Nichtsein ist Gegenteil des Seins und deswegen kann es für das Nichts auch keinen Seinsbereich und keine Existenzweise geben. Dies ist ein zu beachtender Unterschied zwischen dem Fiktiven und dem Nichts. Ein hölzernes Eisen oder ein rundes Quadrat schließen schon auf logische Weise eine Existenz aus, denn hier werden Begriffe mit Eigenschaften verbunden, die der Begriff selber ausschließt. Der Begriff Eisen schließt die Eigenschaft hölzern aus. Der Begriff Quadrat schließt die Eigenschaft rund aus. Auch dieses macht einen Unterschied zum Fiktiven, etwa zu goldenen Bergen und geflügelten Pferden, die man sich innerhalb eines Märchens oder Mythos noch vorstellen kann.

2. (Existenzbereiche) Existenz lässt sich unterscheiden in reale Existenz und geistige Existenz. Die reale Existenz der Dinge lässt sich unterscheiden in natürliche Dinge und künstliche Dinge, sowie in physische und psychische Dinge. Die geistige Existenz lässt sich unterscheiden in vom Menschen unabhängig Existierendes und vom Menschen abhängig Existierendes. Verbindungen der Dinge zu anderen Dingen bzw. zu Eigenschaften heißen Tatsachen. Dinge existieren, Tatsachen sind der Fall.

Real existierende empirische Dinge lassen sich unterscheiden in natürliche und künstliche Dinge, also in vom Menschen unabhängiges und abhängiges Seiendes. Natürliche Dinge sind z. B. Steine, Pflanzen, Tiere, Menschen, Planeten, Sterne und Galaxien. Künstliche Dinge hingegen sind z. B. Häuser Autos, Flugzeige, etc. Die Realität der empirischen Dinge und der zugehörigen Tatsachen ist durch unsere äußeren Sinne erfahrbar. Eine andere Unterscheidung der realen Dinge kann in die Trennung von physischen und psychischen Dingen erfolgen. Bei den realen physischen Dingen ist alles Seiende materiebehaftet und veränderbar. Zu den realen psychischen Dingen können wir die vom Menschen abhängigen psychischen Dinge rechnen, wie etwa Schmerz, Bewusstsein, Wille, Begehren, Denktätigkeit und Fühlen. Die Realität der psychischen realen Dinge und Tatsachen in diesem Unterbereich ist durch innere Wahrnehmung des Menschen erfahrbar oder wird durch die menschliche Vernunft erkannt. Während Dinge des empirischen Bereichs bei Dunkelheit ihr Gesicht verlieren, sind die Dinge des geistigen Bereichs im Schlaf nicht mehr bewusst.

Im geistigen Bereich gibt es vom Menschen Unabhängiges, wie Zahlen oder Ideen im Sinne von Platon, als Urbilder betrachtet, vor allen Dingen, in einer Art oberen geistigen Welt; auch zeitlose und notwendige Wahrheiten kann man hierzu rechnen; dies alles ist materielos, zeitlos und unveränderbar. Dieser Bereich, ist der Bereich des wirklichen oder eigentlichen Seienden im Sinne Platons; es ist der Bereich der Urbilder. Die Existenz der Dinge und Tatsachen in diesem Bereich ist durch den Menschen geistig erfahrbar.

Ferner gibt es im geistigen Bereich vom Menschen Abhängiges, wie Begriffe, Urteile, Abstrakta vom Menschen gebildet, etwa Mengen bzw. Klassen, aber auch objektive Gedanken des Menschen, sowie wissenschaftliche Werke; all dies ist ein anderer Unterbereich des geistigen Bereichs, der nicht zeitlos ist, sondern zeitabhängig und veränderbar. Daneben gibt es Nicht-Wissenschaftliches und Fiktives, was allgemein zugänglich ist, wie etwa literarische Werke, Mythen und Märchen. Ein abstrakter Gegenstand, ist z. B. eine Menge oder Klasse; ein fiktiver Gegenstand ist z. B. ein geflügeltes Pferd. Diese beiden Gegenstände existieren auf unterschiedliche Weise, der eine abstrakt und wissenschaftlich, der andere fiktiv im Rahmen eines Mythos. Beides existiert auf geistige Art und vom Menschen abhängig und zugleich objektiv zugänglich. Man kann sagen, dass beide Gegenstände zwar nicht real empirisch existieren, aber dass sie semantisch existieren. Ferber nennt diesen Existenzbereich den Bereich der semantischen Existenz.30 Semantische Existenz ist eine vom Menschen geschaffene Existenz. Die semantische Realität dieser Dinge und zugehörigen Tatsachen kann erfahren werden, da sie allgemein zugänglich sind. Dieser Bereich lässt sich also unterteilen in einen abstrakten wissenschaftlichen und einen fiktiven Bereich; es ist insgesamt ein Bereich von Bildern, Abbildern oder Nachbildern.

Ein Schmerz kann z. B. objektiv wahrgenommen und praktisch gefühlt werden; in dieser Hinsicht kann der Schmerz zu den realen psychischen Dingen gezählt werden. Im Sinne eines Gegenstandes der Psychologie oder Medizin aber, kommt dem Schmerz ferner eine semantische Existenz zu. Die Existenzweise des Schmerzes erfasst man also über den Sinnzusammenhang, über den Kontext. Ähnlich ist es mit dem Willen. Ich erkenne, dass ich einen Willen habe. Für mich ist mein Wille real psychisch. Anderen Menschen geht es ebenso; der Wille ist etwas objektiv Zugängliches. Im Kontext der Psychologie hat der Wille eine semantische Existenz und keine reale. Wir benutzen dieselben Begriffe manchmal analog, und daher bestimmt der Kontext die Existenzweise mit und nicht der Begriff alleine.

Im oberen geistigen Bereich, dem zeitlosen, haben wir also z. B. die Idee einer Klasse oder Menge als Einheit, als Urbild. Im unteren geistigen Bereich, d. h. dem vom Menschen abhängigen Bereich, dem Bereich der semantischen Existenz, gibt es die Universalie der Menge oder Klasse. Ferner gibt es die konkreten Einzelmengen oder Klassen, diese sind als einheitliche Zusammenfassungen verwirklicht. Die Mengen in ihren Verwirklichungen, nicht mehr als Urbild, sondern als Abbilder des Idealtypus der Idee, sind z. B. die Menge aller ganzen Zahlen, sowie sie vom Mathematiker behandelt wird (semantische Existenz) oder aber die Menge aller in einem bestimmten Staat lebenden Menschen (reale empirische Existenz).

Zwischen allen Dingen, den real existierenden Dingen untereinander, den geistigen Dingen untereinander oder zwischen beiden Arten von Dingen kann es Verbindungen geben, ebenfalls gibt es Verbindungen zwischen den Dingen und ihren Eigenschaften, alle diese Verbindungen kann man Tatsachen nennen. Während Dinge existieren sind Tatsachen der Fall. Dinge (prädikatenlogisch formal: a) können