Dieser Fall macht uns Sorgen - Patricia Vandenberg - E-Book

Dieser Fall macht uns Sorgen E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Praxis Dr. Norden«, meldete sich Loni atemlos, denn eben erst hatte sie die Tür aufgeschlossen. Sie war heute besonders früh da. Es war erst halb acht Uhr. »Barkay, Wiesenstraße zwölf«, meldete sich eine erregte Frauenstimme. »Herrn Dr. Norden, bitte ganz dringend, mein Sohn – oh, er möchte ganz schnell kommen.« Das war ein Notruf. Der Name Barkay war Loni zwar noch nicht bekannt, aber in einem solchen Fall dachte man nicht lange nach. Sie sagte auch nicht, dass Dr. Norden noch gar nicht in der Praxis sei. Loni erreichte ihn noch daheim. Dr. Daniel Norden war eben im Gehen begriffen. »Wiesenstraße, ist ja ganz in der Nähe«, sagte seine Frau Fee. »Barkay, das ist doch …«, aber Daniel hörte das schon nicht mehr.

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Dr. Norden Aktuell – 8 –

Dieser Fall macht uns Sorgen

Patricia Vandenberg

»Praxis Dr. Norden«, meldete sich Loni atemlos, denn eben erst hatte sie die Tür aufgeschlossen. Sie war heute besonders früh da. Es war erst halb acht Uhr.

»Barkay, Wiesenstraße zwölf«, meldete sich eine erregte Frauenstimme. »Herrn Dr. Norden, bitte ganz dringend, mein Sohn – oh, er möchte ganz schnell kommen.«

Das war ein Notruf. Der Name Barkay war Loni zwar noch nicht bekannt, aber in einem solchen Fall dachte man nicht lange nach. Sie sagte auch nicht, dass Dr. Norden noch gar nicht in der Praxis sei.

Loni erreichte ihn noch daheim. Dr. Daniel Norden war eben im Gehen begriffen.

»Wiesenstraße, ist ja ganz in der Nähe«, sagte seine Frau Fee. »Barkay, das ist doch …«, aber Daniel hörte das schon nicht mehr. Es ging um ein Kind. Er war mittlerweile selbst Vater von zwei Kindern, und ein sehr besorgter Vater dazu.

Barkay, das war ein bekannter Name.

Erst kürzlich hatte Fee ihn in der Zeitung gelesen. Der Rennfahrer Michael Barkay, der von einem Sieg zum andern fuhr. Sollte das sein Sohn sein, zu dem Daniel jetzt gerufen wurde?

Es war Michael Barkays Sohn Manuel, der über Nacht hohes Fieber und eine schwere Bronchitis bekommen hatte.

»Gestern war es nur ein leichter Husten«, sagte Anke Barkay entschuldigend und mit zitternder Stimme. »Er ist sehr anfällig.«

Manuel war tatsächlich ein sehr zartes Kind. Man hätte ihn nie auf acht Jahre geschätzt. Er hatte mädchenhafte Gesichtszüge, bildhübsch auch jetzt, da seine Augen ganz klein waren. Dichtes dunkles Haar kringelte sich über der fieberheißen Stirn.

Er blinzelte Dr. Norden an. »Ich will Sonntag gesund sein«, flüsterte er. »Da ist der Grand Prix.«

Seine Stimme war ganz heiser, kaum vernehmbar, und schon sank er auch wieder in tiefen Schlummer. Er merkte nicht, dass Dr. Norden ihm eine Spritze gab.

»Da müssen wir schon mit stärkeren Mitteln nachhelfen«, sagte Daniel Norden zu der schlanken, zerbrechlich wirkenden Frau, die in dem mattblauen Hauskleid, mit ihren aschblonden Haaren, farblos und unauffällig wirkte.

Als Manuel den Grand Prix erwähnt hatte, war es Daniel auch bewusst geworden, woher ihm der Name Barkay bekannt war. Er interessierte sich zwar nicht übermäßig für Autorennen, aber ab und zu bekam er davon doch etwas in den Sportreportagen mit.

Jedenfalls war heute Mittwoch, und der Grand Prix war am Sonntag, und bis dahin war Manuel sicher nicht gesund. Das sagte er auch zu Anke Barkay.

»Autorennen sind aufregend, und es wäre gar nicht gut, wenn der Junge sich aufregen würde.«

»Ich will auch gar nicht, dass er zuschaut«, erwiderte sie leise. »Herr Doktor, ich befinde mich in einer sehr heiklen Situation. Bisher habe ich verhindern können, dass Manuel die Rennen anschaute, da sein Vater meist im Ausland fuhr und die Berichte immer sehr spät abends kamen. Wir sind nämlich schon seit drei Jahren geschieden, haben es Manuel aber verschwiegen, weil er sehr an seinem Vater hängt. Er war ja von klein auf gewohnt, dass sein Vater selten daheim war«, fuhr sie rasch fort, als Daniel sie erstaunt anblickte. »Für Manuel ist sein Vater ein Idol. Er wird von seinen Schulkameraden beneidet. Eine Welt würde für ihn zusammenbrechen, wenn …«, sie legte die Hände vor ihr Gesicht. Lautloses Schluchzen schüttelte sie. »Ich weiß sowieso nicht, wie es weitergehen soll. Einmal muss er es doch erfahren. Für Michael ist das einfach. Er kommt, bringt ihm Geschenke mit, spielt den fürsorglichen Vater, und ich möchte auch nicht bezweifeln, dass er den Jungen wirklich gern hat, aber er ist doch längst wieder verheiratet – und in manchen Zeitungen erscheinen auch Bilder von ihm und seiner Frau.« Sie machte eine kleine Pause. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie mit meinen privaten Dingen aufhalte, aber manchmal spielen meine Nerven einfach nicht mehr mit.«

So sah sie auch aus. Zerrissen war dieses sanfte Gesicht, blicklos die großen grauen Augen.

»Sprechen Sie sich aus, Frau Barkay«, sagte Daniel Norden ermutigend. »Das hilft manchmal auch ein bisschen.«

»Aber wir kennen uns doch gar nicht«, entgegnete sie. »Ich habe nur mal von Frau Leitner gehört, dass ich Sie rufen soll, wenn ich einen Arzt brauche. Ich kenne Claudia von früher und war sehr froh, hier überhaupt jemanden zu treffen, mit dem ich mal reden kann. Ich wollte so weit wie möglich von unserer früheren Umgebung sein. Mein Bruder hat mir dieses Haus besorgt. Er wohnt in der Nähe.« Sie sprach leise und schnell, zutiefst deprimiert. Sie presste ihre Hände aneinander. »Wenn Manuel sich den Grand Prix im Fernsehen anschaut, wird er auch Michaels Frau sehen. Sie begleitet ihn immer, und es gibt stets eine große Schau. Sie ist sehr attraktiv. Er zeigt sie gern vor.« Das klang nicht etwa bitter, sondern eher sarkastisch. »Mir fiel es nicht schwer, in die Scheidung einzuwilligen, da mir mein Sohn zugesprochen wurde, aber für Michael ist es heute noch ein Triumph, dass Manuel so sehr an ihm hängt. Denken Sie jetzt bitte nicht, dass ich gehässig oder gar eifersüchtig bin, aber ich möchte endlich ruhig leben mit Manuel und nicht in dieser ständigen Spannung. Ich kann so schlecht heucheln und lügen.«

Diesem Michael Barkay scheint das nicht schwerzufallen, dachte Daniel Norden für sich. Nun, attraktiv konnte man Anke Barkay nicht nennen, aber sie machte auch gar nichts von sich her.

»Sie brauchen auch ein nervenstärkendes Mittel, Frau Barkay«, sagte er, »ich schreibe es mit auf das Rezept.«

»Ich kann heute gar nicht aus dem Haus. Ich kann Manuel doch nicht allein lassen«, sagte sie leise. »Könnte mir Claudia vielleicht die Medikamente vorbeibringen?«

»Aber sicher. Ich werde ihr das Rezept vorbeibringen. Leider habe ich diese Mittel nicht in Reserve, da sie nur für den schnellen Verbrauch bestimmt sind. Aber ich denke, dass es Manuel morgen schon besser geht. Ich werde dafür sorgen, dass er am Sonntag noch das Bett hüten muss, aber vielleicht wäre es auch möglich, dass der Fernsehapparat kaputt ist?«

»Darauf wäre ich nicht gekommen«, erwiderte Anke. »Danke für den Hinweis.«

Sie ist durch und durch ehrlich, dachte Dr. Norden, als er zu seiner Praxis fuhr. Und er nahm sich vor, Claudia Leitner doch ein bisschen auszuhorchen, was es mit dieser seltsamen Scheidung auf sich hatte, die vor dem Kind verheimlicht wurde.

Er macht kurz halt vor dem Haus Dr. Hans Georg Leitners. Er war schon in der Frauenklinik, aber Claudia war daheim.

Staunend sah sie Daniel an. »So früh am Morgen solche Überraschung, Daniel?«, begrüßte sie ihn.

»Kannst du Frau Barkay diese Medikamente besorgen, Claudia?«, fragte er. »Der Junge ist krank.«

»Freilich mache ich das. Die arme Anke, nichts als Sorgen hat sie.«

»Auch finanzielle?«, fragte er betroffen, denn das Haus, aus dem er eben kam, hatte nicht den Eindruck gemacht.

»Nein, die bestimmt nicht. Geld hat sie wie Heu, aber damit kann sie sich nicht die ungeteilte Liebe ihres Jungen erkaufen, Daniel. Das ist ein Drama.«

»Können wir mal darüber sprechen, wenn ich mehr Zeit habe?«, fragte er. »Ich muss jetzt in die Praxis.«

»Können wir«, nickte Claudia. »Schorsch hat ja augenblicklich nie Zeit, aber er wird es mir schon gestatten, dass ich euch mal allein besuche. Ich überlege ja auch, wie Anke zu helfen ist.«

»Kannst du heute Abend mal rüberkommen?«

»Okay«, erwiderte Claudia. »Vielleicht hat Schorsch da auch mal Zeit.«

»Das wäre fein, und Fee freut sich.«

Er und Dr. Leitner waren alte Freunde, und auch die Ehefrauen hatten sich schnell angefreundet. Die Dritten im Bunde waren Dr. Dieter Behnisch und seine Frau Jenny. Und manchmal kamen auch noch andere Kollegen hinzu, wenn die gerade mal Zeit hatten.

Auf Daniel warteten nun schon viele Patienten in der Praxis. Loni saß an ihrem Schreibtisch und hatte schon eine Karteikarte bereit.

»War der Besuch wirklich dringend?«, fragte sie.

»Ganz dringend«, erwiderte Daniel. »Da sind die Angaben für die Buchführung.« Er legte ihr schnell den Zettel mit Manuels Daten auf den Schreibtisch.

Dann ging es an die Arbeit. Loni hatte schon alles vorbereitet.

Zweimal wurde Daniel an diesem Vormittag noch zu Hausbesuchen gerufen und einmal war es ein Herzinfarkt. Der Patient, noch ziemlich jung, musste sofort mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht werden. Für eine Familie mit zwei kleinen Kindern begann da wieder einmal eine Periode der Angst, für Dr. Norden war es in solchen Fällen besonders deprimierend, weil er nicht zuversichtlichen Trost spenden konnte.

Jedem Arzt waren Grenzen gesetzt. Es geschahen Wunder, sie wurden auch von ihm dankbar begrüßt, denn letztlich lag es doch im Ermessen einer höheren Macht, über das Weiterbestehen oder das Ende eines Menschenlebens zu entscheiden.

*

Claudia Leitner hatte indessen die Medikamente besorgt und zu Anke Barkay gebracht. Manuel schlief, und so konnten sich die beiden jungen Frauen eine halbe Stunde ungestört unterhalten.

»Dr. Norden ist sehr nett«, sagte Anke. »Er hat viel Verständnis und nimmt sich die Zeit, anderen zuzuhören.«

»Sonst hätte ich ihn dir nicht empfohlen, Anke«, erwiderte Claudia. »Wir sind befreundet. Manuel ist bei ihm in besten Händen, und du solltest dich auch einmal gründlich untersuchen lassen.«

Mit einem unergründlichen Blick sah Anke sie an. »Ich brauche nur inneren Frieden, Claudia, sonst nichts. Endlich nichts mehr von ihm hören und sehen. Ich war so dumm, so blind.«

»Du warst noch sehr jung«, sagte Claudia verständnisvoll.

»Er wollte doch nur Pas Rennwagen«, sagte Anke leise. »Ich war nur das Mittel zum Zweck. Jens hat mich gewarnt. Er hat auch Pa gewarnt.«

»Aber euer Vater hat sich von ihm auch täuschen lassen, Anke. Das ist nun mal die harte Tatsache. Immerhin hat er ja wenigstens Erfolge mit der neuen Konstruktion gehabt.«

»Aber Pa hat es das Herz gebrochen, und Manuel sieht in ihm den großartigsten Vater der Welt. Klingt es sehr verbittert?«

»Ich verstehe dich, Anke. Ich kann mir vorstellen, was du durchmachst. Aber Manuel wird jetzt älter und vernünftiger. Du solltest doch einmal mit ihm ehrlich sprechen.«

»Er würde mich nur ablehnen. Für ihn ist doch sein Vater das Größte. Er ist so sensibel. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass er lieber zu Michael und Yvonne gehen würde.«

»Dann wäre er rasch geheilt«, sagte Claudia. »Vielleicht wäre das sogar ratsam, Anke, wenn du die Kraft hättest, ein paar Wochen durchzustehen.«

Anke schüttelte entschieden den Kopf.

»Nein, die habe ich nicht. Manuel bedeutet mir zu viel. Er ist mein Kind. Von Anfang an war er mein Kind. Er ist alles, was mir von meinen Illusionen geblieben ist.

»Mami, wo bist du?«, ertönte plötzlich das heisere Stimmchen aus dem Kinderzimmer.

Claudia sprang auf. »Ich gehe jetzt. Kümmere dich um Manuel, Anke. Aber vielleicht siehst du alles falsch. Er hat dich lieber als du denkst. Du hast nur dazu beigetragen, dass der Glorienschein um Michaels Haupt nicht zerstört wurde. Denk mal darüber nach.«

»Es nützt nichts, Claudia. Ich kann Manuels Welt nicht zerstören. Jetzt noch nicht. Ich kann ihm nicht sagen, dass sein Vater keinen Charakter hat, dass er ein krasser Egoist ist, der sich nur um seinen Sohn kümmert, weil ihm sonst der Wagen, der ihm die Siege eingebracht hat, weggenommen würde. Jens war schon oft drauf und dran, einen anderen Lizenzfahrer unter Vertrag zu nehmen. Du ahnst nicht, was ich von ihm zu hören bekomme.«

Er denkt realistischer, ging es Claudia durch den Sinn. Sie kannte auch Jens Brügge, Ankes Bruder. Er machte seiner Schwester nur Zugeständnisse, weil er fürchtete, dass sie völlig zerbrechen konnte. Und wenn man sie anschaute, musste man das auch fürchten.

Darüber sprach Claudia dann auch am Abend, als sie mit Fee und Daniel Norden am Tisch saß. Schorsch Leitner war immer noch in der Klinik, aber er hatte versprochen, noch zu kommen, wenn es ihm irgend möglich sein würde.

Das Gesprächsthema im Hause Norden war an diesem Abend jedenfalls Anke Barkay, geborene Brügge.

»Michael war Mechaniker in Wilm Brügges Firma«, erzählte Claudia. »Ein fescher Bursche, ein guter Handwerker, aber sonst nichts dahinter. Er verstand etwas von Autos. Er konnte fahren. Er hatte Ambitionen. Er wollte Geld machen mit dem einzigen Talent, das er hatte. Anke war ein schüchternes Mädchen, sehr romantisch, ein bisschen sehr weltfremd. Sie verliebte sich in ihn, und er hatte das gleich heraus. Tiefer Gefühle ist er nicht fähig.«

»Du kennst sie schon lange, Claudia?«, warf Fee ein, als Claudia eine Pause machte und einen Schluck Wein trank.

»Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Genau sechs Jahre, dann änderte sich mein Leben. Aber wir haben uns geschrieben. Nicht oft, aber die Verbindung riss nie ab. Wir hatten uns sehr gern. Als Anke dann Michael Barkay heiratete, riss die Verbindung ab. Dann kam ich hierher und erfuhr durch Zufall, dass Jens Brügge mit seiner Familie hier ein Anwesen gekauft hatte. Zufällig haben wir uns dann später auch mal an einer Tankstelle getroffen. Jens ist acht Jahre älter als Anke. Er ist glücklich verheiratet und hat zwei Kinder. Er erzählte mir, dass Anke mit ihrem Sohn in seine Nähe ziehen würde. Dass sie von Michael geschieden war, erfuhr ich allerdings erst von ihr selbst. Es war von seiner Sicht gesehen nur eine Zweckehe. Eine vermögende Frau, Tochter eines berühmten Konstrukteurs, der ihm das phantastische Modell, das er entwickelt hatte, als Hochzeitsgabe präsentierte. Was konnte sich so ein Egoist wie Michael Barkay mehr wünschen? Dazu konnte er eine Zeit lang gute Miene machen. Das hat er wahrhaft verstanden. Sein Schwiegervater hielt viel von ihm. Wilm Brügge war ein Genie, aber niemals auf Äußerlichkeiten bedacht. Für ihn war Michael ein guter Mechaniker und ein noch besserer Rennfahrer. Und für ihn zählte, dass Anke ihn liebte. Sonst nichts.«

Claudia versank wieder in Schweigen. »Und dann?«, fragte Fee.

»Dann hatte er Erfolge. Anke erwartete das Kind. Sie konnte ihn nicht mehr auf den Reisen begleiten, weil der Arzt es ihr verboten hatte. Für Michael war das natürlich Gelegenheit genug, sich zu amüsieren. Er wechselte seine Freundinnen wie die Hemden, und das konnte weder Anke noch seinem Schwiegervater verborgen bleiben, aber Anke wollte es nicht wahrhaben. Zwischen Michael und Wilm Brügge gab es eine fürchterliche Auseinandersetzung. In der Nacht danach starb Wilm Brügge am Herzschlag. Er hatte sein Testament nicht mehr ändern können. Er hatte Michael die Nutzungsrechte an dem Rennwagen hinterlassen. Manuel war damals neun Monate alt. Anke wollte nicht glauben, dass ihre Ehe schon eine Tragödie war. Sie überwarf sich mit ihrem Bruder, der Michael beschuldigte, am Tode des Vaters schuld zu sein. Das hat sich später dann geklärt, aber Michael arbeitete auf die Trennung hin, und zwar sehr raffiniert, denn seinen Sohn hatte er längst auf seine Seite gebracht. Man glaubt gar nicht, wie bestechlich kleine Kinder sind. Und Anke war zu schwach, um sich zu wehren. Michael warf ihr vor, dass sie schuld an dem Dilemma sei und das so lange, bis sie es glaubte. Dann lief ihm Yvonne über den Weg, und sie war zäher als seine früheren Freundinnen. Sie war Fotomodell. Er war schon bekannt. Sie wollte geheiratet werden und gab sich nicht damit zufrieden, nur ein gut honoriertes Verhältnis zu sein. Manuel war indessen fünf Jahre geworden. Anke sah endlich klar und wollte auch die Trennung, aber nicht auf Kosten des Kindes. So kam es zu der Vereinbarung, Manuel von der Scheidung nichts zu sagen, solange aus der neuen Ehe kein Kind entspross. Aber Michael wollte ja gar keine Kinder mehr haben. Manuel akzeptierte er nur, um Anke zu unterdrücken. Und Yvonne wollte erst recht kein Kind. Alle vier Wochen kam Michael, manchmal auch nur alle sechs Wochen, aber Manuel war jedes Mal selig, wenn sein Vater da war. Ein so großartiger Rennfahrer, der von Sieg zu Sieg fuhr, konnte natürlich nicht immer daheim sein. Und Michael erpresst Anke mit diesen Besuchen, denn auch heute noch fährt er den Wagen von Wilm Brügge. Sogar Jens spielte dieses grausame Spiel mit, um seiner Schwester zu helfen. – Das ist eine üble Geschichte, meint ihr nicht auch«, schloss Claudia.

»Grausam«, sagte Fee. »Aber mir ist es unbegreiflich, dass ein Kind, das fast nur mit der Mutter zusammenlebt, so am Vater hängt.«

»Wer kann schon in eine Kinderseele hineinblicken«, sagte Claudia.

»Aber wenn Michael Barkay so prominent ist, müsste doch Manuel inzwischen auch erfahren haben, dass er eine andere Frau hat«, sagte Fee.

»Darüber hört ein Kind doch hinweg, wenn die Rede davon ist. Manuel ist ein verträumtes Kind. Anke hält ihn auch fern von äußeren Einflüssen. Ich will nicht sagen, dass sie ihn falsch erzieht, aber auf keinen Fall lebensnah. Wenn ich in ihrer Situation wäre, hätte ich dem Jungen schon gesagt, dass sein Vater nur seinen eigenen Profit im Sinn hat.«

»Das sagst du jetzt, Claudia«, warf Daniel ein. »Du bist nicht in ihrer Situation. Sie will das Kind nicht auch noch verlieren. Wahrscheinlich weiß sie sehr genau, dass es diesem Mann nicht darauf ankommt, ihr Leben auch noch restlos zu zerstören. Ich habe dir sehr genau zugehört. Ich habe Anke Barkay kennengelernt. Sie ist so zerbrechlich wie ein hauchdünnes Glas, wie ein kleiner Vogel, der von einem Habicht belauert wird. Sie liebt ihr Kind. Sie will es nicht verlieren und bringt dafür jedes Opfer. Sie würde sich auch selbst opfern. Wahrscheinlich bezahlt sie ihn auch noch dafür, dass er die Lüge aufrechterhält.«

Claudias Augen weiteten sich. »Ja, das tut sie. Das hast du gleich durchschaut, Daniel?«

»Es war nur eine Vermutung«, erwiderte Daniel dumpf. »Das ist allerdings wahrhaftig grausam. Man muss dieser Frau doch irgendwie helfen.«

»Aber wie?«, fragte Fee. »Du

musst dich intensiv um sie kümmern, Daniel.«

»Sie bräuchte einen Mann, der stark ist«, erwiderte er. »Einen Mann, der den Jungen davon überzeugen kann, wie schwach eigentlich sein Vater ist.«

»Niemals würde Manuel einen anderen Mann akzeptieren«, sagte Claudia. »Nein, niemals.«

»Nicht, solange sein Vater immer siegt«, sagte Daniel. »Er müsste ein paar Niederlagen hinnehmen. Er müsste nicht mehr der Großartige sein, den alle bewundern.«

»Und du meinst, dass sein Sohn ihn dann auch nicht mehr bewundert?«

»Es liegt in der kindlichen Natur, nur das zu bewundern, was von anderen hochgelobt wird, darüber müssen wir uns klar sein. Vorausgesetzt, dass nicht innige Verbundenheit und Liebe die Grundlage zum Vater-Sohn-Verhältnis ist. Ich verstehe diese Situation so, dass es selbst von Frau Barkay zu einem besonderen Fest gemacht wird, wenn dieser seltsame Vater seinen Sohn besucht.«

»So mag es sein«, gab Claudia zu.

»Liebt sie ihn etwa immer noch?«, fragte Daniel.