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Distel - dornige Schönheit Auf Spurensuche in Schottland Schottland ruht auf vulkanischem Grund. Kein Wunder also, dass es ein Schotte war, James Hutton (1726-1797), der die These aufstellte, dass das Bild unserer Erde in erster Linie von vulkanischen Kräften geprägt ist. Die Highlands sind in ihrer landschaftlichen Großartigkeit unter dem stets wechselnden Himmel ein Erlebnis. Das Wilde, Eruptive aber finden wir auch in seiner Geschichte. Die freiheitsliebenden Clans kämpften nicht nur gegen den Urfeind England, sondern auch gegeneinander. Männer wie William Wallace und Robert the Bruce werden im Land unter dem blauen Andreaskreuz als Nationalhelden verehrt. Aber auch eine Flora MacDonald, die dem letzten Stuart, Bonnie Prince Charlie, zur Flucht verhalf, kann entdeckt werden. Das Land hat erstaunliche Beiträge wissenschaftlicher, technischer und kultureller Art geleistet. Meine Spurensuche lehnt sich an Theodor Fontanes Reisebuch "Jenseits des Tweed" an. Allerdings lege ich meinen literarischen Schwerpunkt in die Neuzeit. Autoren wie Muriel Spark, A.L. Kennedy, Robin Robertson und John Burnside gesellen sich zu den Klassikern wie Walter Scott und Robert Louis Stevenson.
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Seitenzahl: 267
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Für Siegfried
Annäherung an Schottland
Symbole Schottlands
Geschichtlicher Abriss
Das Referendum 2014
Edinburgh
Edinburgh Castle
Royal Mile (I)
Gegensätze – Doppelleben
Royal Mile (II)
Thistle Chapel
Adam Smith
Royal Mile (III)
Holyrood House
National Museum of Scotland
Edinburgh: UNESCO City of Literature
“Stolpersteine”
Robert Louis Stevenson
Muriel Spark
A.L. Kennedy
Zwischen “Auld Reekie” und “New Town”
Scottish National Gallery
Allan Ramsay
Henry Raeburn
Calton Hill
David Hume
Vorreiter der Fotografie
New Town
Charlotte Square
Welt der Jane Austen
Die Lowlands
Border country und Sir Walter Scott
Dryburgh Abbey
Sir Walter Scott
Der historische Roman nach Sir Walter Scott
Melrose Abbey
Thomas Carlyle
Robert Burns
Halbinsel Fife
Firth-of-Forth Bridge
John Burnside
Dunfirmline
Andrew Carnegie
Geschichte der Kirche Schottlands
St. Andrews und die Reformation
Die römisch-katholische Kirche in Schottlands
Dunkeld und Birnam Wood
Die Highlands (I)
Pitlochry
Blair Atholl Castle
Killiecrankie
Balmoral
Crathes Castle
Aberdeen
Old Aberdeen
Maritime Museum
National Museum of Scotland
Nördlich der Grampian Mountains
Sueno’s Stone
Gordonstoun
Culloden und Macbeth
Die Highlands (II)
Geologie Schottlands
Exkurs I: Neptunismus und Plutonismus
Exkurs II: Wahlverwandtschaften
Exkurs III: Goethe und der Vulkanismus
Hebrideninsel Skye
Flora MacDonald
Eilean Donan Castle
Ben Nevis
Fort Williams
Glencoe
Oban
Iona: Auf Fontanes Spuren
Inverary
“Sutherland Clearances”
Trossachs
Stirling Castle
Genealogie der Tudors und der Stuarts
„The Flower of Scotland“
Karten
Literatur
Kleine Wolkenbäuschchen über grünem Land. Der Main fließt in den randvollen Rhein. Die vorwiegend grün getönten Parzellen alternieren mit besiedelten Clustern. Blaue Streifen zwischen den Wolken, bis der Dunst seine Schleierdecke darüber zieht. Nach der holländischen Küste himmelblaues Meer, zart und monochrom. Der Himmel ist tiefer blau, geradezu virtuell. Über der unendlich sich dehnenden Meeresfläche zeichnet sich ein ameisenkleiner Flieger ab, ganz unten ein Schiff. Das Motorengeräusch der Maschine, einmal wahrgenommen, bleibt bedrohlich. Wolken wie Eisschollen auf dem Wasser, als näherten wir uns Grönland. Flug entlang der englischen Küste – einst auf der Fähre waren wir eine ganze Nacht unterwegs. Ein Wolkenkranz wie die Gipfelzone der Alpen umgibt uns. Dann plötzlich erscheint tief unten die Küstenlinie Schottlands. Über dem Land verdichten sich die Wolken. Was wie die Alpen aussah, rückt nun immer näher. Noch fünfzehn Minuten bis zur Landung. Weiße Wolkenberge mit tiefen blauen Einschnitten. Eine Anmutung von Arktis, Härte und ewigem Eis. Wir fallen und nähern uns dieser gewaltigen Wucht: Gletscher kalben. Der Druck auf die Ohren nimmt zu. Weißgraue Schatten. Erinnerungen an die Plastizität von Norwegens Fjorden. Durchblicke. Wir landen.
Die Distel steht in der keltischen Symbolik für Adel und Würde auf Grund von Charakter oder Geburt. Damit verbunden ist der Gedanke, dass ein Verletzen der Pflanze durch einen Fußtritt mit Schmerz bestraft wird. So lautet eine Legende, dass während einer Belagerung durch die Norweger ein barfüßiger Krieger versehentlich auf eine Distel trat, was ihm einen Schmerzensschrei entlockte, der den Schotten die Ankunft der Eindringlinge verriet. Jedenfalls gilt die Distel seit der Regierungszeit von Alexander III. (1249-1286) als nationales Symbol für Schottland. Im 15. Jahrhundert erscheint sie auf Silbermünzen. Sie ist auch das Symbol des höchsten Ordens des Landes, des Ordens der Distel [“The Most Ancient and Most Noble Order of the Thistle”], der einmal im Jahr in der „Thistle Chapel of St. Giles“ in Edinburgh tagt. Auch die Encyclopedia Britannica, die in Edinburgh ihren Ursprung hatte, trägt die Distel in ihrem Logo. Das Emblem findet sich ebenfalls in Kanada, so in der Flagge von Montreal und im Wappen der Carnegie Mellon University zu Ehren ihres Gründers Andrew Carnegie, der in Schottland geboren wurde. Die Distel verkörpert mit ihrer strengen, kargen Schönheit die Wehrhaftigkeit, die in dem Wappenspruch: „Nemo me impune lacessit“ zum Ausdruck kommt und die den schottischen Nationalcharakter trifft, wie er sich in der kriegerischen Geschichte des Landes wiederfindet.
Up wi’ the flowers of Scotland,
The emblems o’ the free
Their guardians for a thousand years,
Their guardians still we’ll be,
A foe had better brave the de’il,
Within his reeky cell,
Than our thistle’s purple bonnet,
Or bonny heather bell.
Hoch leben die Blumen Schottlands,
Die Symbole der Freiheit
Seit tausend Jahren ihre Wächter
Und auch weiterhin.
Ein Feind täte besser daran, sich
Mit dem Teufel in einer stinkenden Zelle
Anzulegen, als mit der Krone unserer purpurroten Distel
oder schönen Heideglöckchen.
James Hogg (1770-1835) „The Ettrick Shepherd“ war ein Schäfer aus den Lowlands, dem Border country, hatte sich selbst das Lesen und Schreiben beigebracht und schrieb Gedichte, deren einfache Reime die Bauern der Umgebung rührten. Der schreibende Schäfer zählt zu den Vorfahren der Nobelpreisträgerin Alice Munro. Von ihr stammt der Text: „A View from Castle Rock“, der die ländliche Gesellschaft und das alte Edinburgh charakterisiert.
Schottlands Fahne ist das weiße Andreaskreuz auf blauem Grund: Saint Andrew’s Cross oder the Saltire. Aber was hat der Apostel Andreas und Bruder von Petrus mit Schottland zu tun? Der Apostel missionierte in Kleinasien und wurde angeblich im Jahre 69 n.Chr. auf der Insel Patras an einem Kreuz aus zwei angeschrägten Diagonalen hingerichtet. Seine Gebeine sollten ans Ende der Welt gebracht werden. Und ähnlich wie Jakobus der Legende nach an der galicischen Atlantikküste strandete, so landete das Schiff mit dem toten Körper des Andreas an einer nördlichen Küste, an der Halbinsel Fife, wo heute der Ort St. Andrews liegt. Etwa im 11. Jahrhundert wurde der Heilige zum Schutzpatron Schottlands.
Das königliche Wappen der Schotten unterscheidet sich vom englischen. Die vier Felder des Schilds sind folgendermaßen gefüllt: Das erste und vierte Feld gehört dem schottischen Löwen, der die beiden anderen Felder wie eine Klammer umgibt. Die drei Leoparden Englands erscheinen im zweiten Feld, die irische Harfe im dritten. Schildhalter sind Schottlands Einhorn und der englische Löwe. Darüber stehen die schottische Königskrone und der Wahlspruch „in Defens“, was auf den Willen zur Verteidigung hinweist. Das Schild wird umrahmt von der Kette des schottischen Order of the Thistle. Über der Krone noch einmal der schottische Löwe mit den königlichen Insignien der Macht. Das einfache na tionale Emblem zeigt den schottischen Löwen auf Goldgrund, begleitet von einem Spruchband: „Nemo me impune lacessit“ [Niemand verletzt mich ungestraft.]
Um 7 000 v.Chr. lebt im heutigen Schottland eine Gesellschaft aus Jägern und Sammlern, zu denen etwa gegen 4 500 v.Chr. Einwanderer aus Irland und vom Kontinent hinzukommen, die schon mit Ackerbau und der Domestizierung von Tieren vertraut waren. Um 650 v.Chr. lassen sich Kelten vom Kontinent nieder.
43 n.Chr. landen die Römer auf der Insel. Nachdem in den Jahren 80-83 n.Chr. die Eroberung Schottlands aufgegeben werden musste, kam es ab 122 n.Chr. zum Bau des Hadrianswalls und schließlich zum Rückzug der Römer aus Großbritannien.
Das Königreich Schottland wächst zunächst aus zwei Völkern zusammen: den Pikten (römisch Picti: Tätowierte), 297 erstmals urkundlich erwähnt, und den Skoten oder Schotten (die Römer sagen Scotti), die aus Irland kommen. Der Skotenführer Kenneth MacAlpin vereinigt Skoten und Pikten zum Königreich Alba, später Scotia (House of Alpin). Unter Malcolm II. (1005-1034) erhält Schottland seine heutigen Grenzen. Eine unterschiedliche Entwicklung findet zwischen einem englisch-feudalistisch und zunächst römisch-katholisch geprägten Südosten (Lowlands) und einem stets rebellierenden, ursprünglich dem irischen Mönchtum verpflichteten gälischen Nordwesten statt. Hier herrschen die Clans.
Diese pikto-skotische Periode erstreckt sich bis 1289 n.Chr. Ab 793 nehmen die Raubzüge der Wikinger zu, die sich später in die Gesellschaft integrieren. Auf Duncan I. (1034-1040) aus dem ‘House of Atholl’ folgt der von Shakespeares Drama bekannte Macbeth (1040-1057). Sie werden die letzten Könige sein, die auf der Insel Iona begraben werden. Malcolm III. Canmore ist der älteste Sohn von König Duncan (1058- 1093) und folgt auf Macbeth. Spätestens durch seine Heirat 1068 mit Margaret, der später heilig gesprochenen Schwester des angelsächsischen Thronanwärters, kommt es zum Ausgleich mit den Angelsachsen und nach 1066 auch mit den Normannen. Unter David I., dem Heiligen (von 1124 an), Sohn Margarets, entstehen die Abteien von Melrose und Holyrood. Von nun an wird Dunfermline Begräbnisstätte der schottischen Könige. Alexander III. (1249-1286) verheiratet seine Enkelin Margaret mit Erik II. von Norwegen, sie wird 1286 als schottische Königin anerkannt. Ihr Tod führt zum Dauerkonflikt mit England.
Die Krone wird nun vom House of Balliol übernommen. Der englische König Edward I. verwüstet Schottland und bringt das Herrschersymbol, den Stone of Scone, nach London, wo er bis 1996 bleibt. Nun treten die großen Nationalhelden Schottlands in Aktion. William Wallace führt die Revolte an (1297/98). Robert the Bruce (bis 1370) besiegt die Engländer 1314 in der Schlacht von Bannockburn und ist nun anerkannter schottischer König (House of Bruce).
Ab 1371 regiert die Stewart-Dynastie, die erst unter der tragischberühmten Maria die französische Schreibweise Stuart annimmt. Die Stewarts haben es schwer, sich gegen andere Clans durchzusetzen. Von Anfang an fließt Blut. Maria Stuart (1542-1567), kehrt nach dem Tod ihres französischen Ehemanns François II.1561 nach Schottland zurück. 1568 flieht sie nach England und sitzt dort 19 Jahre lang unter Elizabeth I. in Haft. 1587 wird sie hingerichtet.
Im Zeitalter der Reformation gibt es konfessionelle Konflikte. Die katholische Maria Stuart muss ihrem protestantischen Sohn James VI. – beziehungsweise dem stellvertretenden Regenten, da James selber damals noch ein Säugling war – den Thron überlassen. Die schottische Bevölkerung ist zu diesem Zeitpunkt zu großen Teilen calvinistisch.
Nach dem Tod von Elizabeth I. wurde Jakob VI. (1567/1586-1625) als James I. König von England. Trotz Personalunion unter dem Stuart behielten beide Länder ihr eigenes Parlament, ein eigenes Verwaltungs- und Rechtswesen sowie Nationalkirchen. Dennoch kam es in Schottland zu weiteren religiösen Unruhen. Es gelingt dem König nicht, die Gegensätze zwischen episkopalischen (von Bischöfen regierten) und presbyterianischen (calvinistischen) Kirchensystemen auszugleichen. Im Grunde richtet sich der Konflikt gegen die englische Einflussnahme.
Der religiöse Konflikt ist nicht ausgestanden. Charles I. (1625-1649 Hinrichtung), mit einer französischen Katholikin verheiratet, versucht ein autokratisches Königtum (ohne Parlament) und eine bischöflich-hierarchische Kirchenverfassung wieder einzuführen. Die Schotten wehren sich dagegen erfolgreich. Doch es kommt zum Bürgerkrieg zwischen König und Parlamentariern in England mit Auswirkungen auf Schottland. Unter seinem Sohn, Charles II. (1949/1660 -1685) betritt ein neuer starker Mann in England die Bühne, Oliver Cromwell, der in Schottland, wie auch in Irland, konsequent und furchtbar durchgreift. Charles II. kehrt 1660 aus dem Exil zurück. Er und seine Nachfolger kehren in der Folgezeit zu einem absolutistischen Königtum zurück. Als Sieger aus der kritischen Situation geht der protestantische Schwiegersohn von James VII. (II.) Wilhelm II. von Oranien (William of Orange) hervor, der in der Glorious Revolution mit Königin Mary den englisch schottischen Thron besteigt. 1692 fordert Wilhelm III. (1689-1702) von den Führern der schottischen Clans den Treueid. In diesem Zusammenhang steht das Massaker von Glencoe.
1707 kommt es zu einer Union mit England aus rein wirtschaftlichen Gründen. Der Versuch, in Mittelamerika eine eigene schottische Kolonie aufzubauen, war fehlgeschlagen. Schottland droht der Bankrott. England übernimmt die Schulden, das ist der Preis für die Union. Schottland erhält dafür Sitze im neuen Parlament Großbritanniens, auch im Oberhaus. Es ist der Beginn des Vereinigten Königreichs. Nach dem Tod von Queen Anne, die 1714 kinderlos stirbt, folgt das Haus Hannover, zu dem enge verwandtschaftliche Beziehungen bestehen.
Dass sich die Emotionen nicht gelegt hatten, beweisen Aufstände der Jakobiten, die versuchen, die Stuarts wieder auf den britischen Thron zu bringen. Charles Stuart (geb. in Rom 1720, gest. in Rom 1788), der 23-jährige Sohn von James III., dem Thron-Prätendenten, versucht auf abenteuerliche Weise die Rückkehr für seinen Vater auf den schottischen Thron zu erzwingen. 1746 erleiden die schlecht vorbereiteten Truppen der Jakobiten-Clans eine verheerende Niederlage in Culloden gegen den Herzog von Cumberland, der systematisch alle Anhänger der Stuarts hinrichten lässt.
Ab 1710 entwickelt sich im Westen Schottlands eine fortschrittliche Textilindustrie. Die Erfindung des mechanischen Webstuhls schafft Cotton Mills (Textilfabriken). Gleichzeitig vollzieht sich regional eine Modernisierung der Landwirtschaft. 1739 wird die Kartoffel eingeführt, 1760 die Schafzucht ausgeweitet, was zu brutalen Eingriffen in den Highlands führt. Die Clearances führen zu einer Verarmung der dortigen Bevölkerung, die umgesiedelt wird oder auswandern muss. Andererseits entwickelt sich durch die Einführung des mechanischen Webstuhls im Raum Glasgow eine Baumwollindustrie. Durch den Ausbau des Kanalnetzes (Forth and Clyde Canal) wird die Wirtschaftskraft des Landes gestärkt. Zur Agrar –und Textilwirtschaft kommt nun die Schwerindustrie mit Kohle, Stahl, Eisenbahn- und Maschinenbau. Äußerst erfolgreich sind die schottischen Werften am Clyde. Glasgow wird Wirtschaftsmetropole.
Das schottische Selbstbewusstsein wächst mit der zunehmenden Wirtschaftskraft. Seit 1884/85 unter der Regierung von Premierminister Gladstone sind die Schotten auch proportional im britischen Parlament vertreten und erlangen so politische Mitbestimmung. Ein Schottland-Ministerium wird eingerichtet. 1880 war infolge zunehmender sozialer Probleme die schottische Labourparty gegründet worden. 1882 kommt es zu Aufständen der Bauern in den Highlands [Crofters War], wodurch sie immerhin erreichten, dass die Pacht unkündbar, die Zinsen erträglich wurden.
Im Ersten Weltkrieg fallen viele Schotten, 10% aller Männer zwischen 16 und 50, und die darauf folgende Weltwirtschaftskrise bedeutet wiederum einen großen Aderlass: Auswanderung. 1934 wird die ‚Scottish National Party’ (SNP) gegründet. Von nun an kommt eine Autonomiedebatte in Gang (Devolution, Home Rule), die während des Zweiten Weltkriegs verstummt, um danach wieder aufzuleben. Ab dem Jahr 1970 macht Downing Street einige politische Zugeständnisse an die Schotten. Dazu trägt nicht unerheblich bei, dass in den 1970er Jahren vor der Küste Schottlands Nordsee-Öl gefördert wird. Doch stoßen Margaret Thatchers Reformen wieder auf heftigen Widerstand (man erinnere sich an den Streit um die Poll Tax, was schließlich dazu führt, dass die Konservativen nur noch einen schottischen Abgeordneten für das Parlament in Westminster stellen. Pläne für ein eigenes schottisches Parlament begegnen Schwierigkeiten, bis Tony Blair, ein gebürtiger Edinburgher, einem Referendum zustimmt, das zum Erfolg führt. Drei von vier Schotten stimmen für ein eigenes Parlament, das am 30. Juni 1999 erstmals zusammentritt – nach fast 300 Jahren. Edinburgh, die Kulturhauptstadt, erhält ein modernes Parlamentsgebäude, das ganze Land höhere Subventionen. Statistisch gesehen bekommt jeder Schotte 1600 Pfund mehr aus öffentlichen Mitteln als ein Engländer. Und in der vorigen Regierung war die Region personell so stark wie nie zuvor vertreten: Sowohl Gordon Brown, Premier bis 2010, als auch Schatzkanzler (Chancellor of the Exchequer) Alistair Darling sind Schotten.
Trotzdem beschließt der Erste Minister Schottlands Alex Salmond, am 18. September 2015 ein Referendum abzuhalten, das über die Unabhängigkeit Schottlands von England entscheiden soll. Der 18. September ist nicht irgendein Tag für die Schotten, sondern der Tag, an dem die 700-Jahr-Feier der glorreichen Schlacht von Bannockburn ansteht. Man stellt sich nicht unbescheiden in die geschichtliche Tradition. Als Frage auf dem Stimmzettel heißt es: „Soll Schottland ein unabhängiges Land werden?“ (Should Scotland become an independent country?) Der Anspruch der Resolution ist weitreichend. Salmond sieht in der Blaupause für die Unabhängigkeit seiner Region auch einen Weg für andere Nationen, die eine solche anvisieren. („This is the most comprehensive blueprint for an independent country ever published, not just for Scotland but for any prospective nation.“) Und weiter heißt es: Unsere Vision ist die eines unabhängigen Schottlands, das seinen Platz als gleichberechtigtes Glied in der Familie der Nationen wiedererlangt. Wir suchen allerdings nicht die Unabhängigkeit als Ziel an sich, sondern als Mittel, Schottland zum Besseren zu verändern. („Our vision is of an independent Scotland regaining its place as an equal member of the family of nations. However, we do not seek independence as an end in itself, but rather as a means of changing Scotland for the better.”) Das Schriftstück verweist auch auf eine Reihe praktischer Ziele, die eine unabhängige schottische Regierung in Angriff nehmen will. Dazu gehören eine Aufstockung der Sozialausgaben, was das Gesundheitssystem, die Unterstützung von Kindern und Alten betrifft, die Senkung von Steuern, Lösung von Wohnungsproblemen. Nuklearwaffen, die England am Clyde stationiert hat, sollen nicht länger hingenommen werden. Das Papier geht davon aus, dass Schottlands Finanzen gesünder sind ohne die Vergemeinschaftung mit dem Vereinigten Königreich. Das britische Pfund und die Queen wolle man beibehalten, auch die Mitgliedschaft in der EU. Tat sächlich fühlen sich viele Schotten nicht als Briten. Sie haben eigene Nationalmannschaften, etwa im Fußball oder im Rugby. Sie spielen „Scotland the Brave“ oder „Flower of Scotland“ wie eine Nationalhymne. Und als ich in einem National Trust Shop in Dunkeld meine Anerkennung über die schönen Dinge, die der National Trust zum Verkauf anbietet, ausdrücken wollte, wurde ich sehr resolut darauf hingewiesen, dass es sich um den National Trust of Scotland handle. Da werden schon Unterschiede gemacht.
Alistair Darling führt die Gegenkampage an: „Better Together“. Er bezweifelt, dass die Dinge so einfach sind. Zu den offenen Fragen gehören auch die Währung, die Finanzierung der gemachten Versprechungen und die Mitgliedschaft in der EU. Er erklärt das Papier zur Fiktion, zur Wunschliste politischer Versprechungen. – Interessant ist auch, dass wählen durfte, wer in Schottland einen Wohnsitz hat, also Engländer und Ausländer, aber nicht die Schotten, die in England oder anderen Ländern leben. England und sein nördlicher Nachbar sind eng miteinander verflochten. Schottische Intellektuelle, Schriftsteller und Wissenschaftler leben und arbeiten in England, Engländer leben und arbeiten in Schottland. George Orwell beispielsweise schrieb seinen Roman „1984“ auf der schottischen Insel Jura. Schottland nimmt inklusive der Orkneys, Shetlands und Hebriden gut ein Drittel Großbritanniens ein, hat allerdings mit 5,1 Millionen Menschen die geringste Bevölkerungsdichte in Großbritannien.
Inzwischen hat Schottland gewählt. Die große Wahlbeteiligung von 84,6% beweist, dass die Schotten begriffen haben, dass sehr viel auf dem Spiel steht. Für die Abspaltung von England stimmten 44,7%, dagegen 55,3%. Damit hat das Referendum eine klare Antwort erhalten. Nur vier Wahlbezirke stimmten für die Unabhängigkeit: die Wirtschaftshauptstadt Glasgow mit 53,5%, die benachbarten Bezirke West Dunbartonshire und North Lanarkshire und die Industriestadt Dundee. Sowohl die Shetland Islands als auch die Orkney Island haben überwältigend mit „Nein“ gestimmt.
Der Kommentar der Süddeutschen Zeitung in ihrer Ausgabe vom 20. September 2014 unter der Überschrift „Scheidung vertagt“ lautet: „Eine Abspaltung Schottlands hätte ein Chaos ungeahnten Ausmaßes in London ausgelöst, das Premier David Cameron mit Sicherheit politisch nicht überlebt hätte. Nun aber geriert er sich schon als Bewahrer der Einheit der Nation. Fürs Erste hat er sicherlich recht. Aber die Separatisten haben bereits angekündigt, dass dies nicht ihr letzter Versuch war.“
Was nun? „Die Schotten bleiben Briten. Mahner und Warner haben sich durchgesetzt. Das Vereinigte Königreich wird nicht zerbrechen. Und doch wird das Referendum Großbritannien grundlegend verändern. Das könnte den enttäuschten Separatisten etwas Genugtuung bringen. Denn Schottland erhält nun mehr Autonomie denn je. Schon melden auch andere Ansprüche an: die Engländer, Waliser und Nordiren.“ Am Tage nach der Wahl ging es darum, ob sich die Separatisten und die Unionisten in Schottland jemals wieder vertragen werden, denn der Wahlkampf war extrem hart und führte zu Brüchen auch innerhalb von Familien. Eine andere Frage beschäftigte sich mit den schon oben angesprochenen Versprechungen, die die englische Regierung gegen Ende des Wahlkampfs den Schotten gemacht hatte. Wie würden sich die englischen Regionen nun verhalten, die durchaus ihre Probleme mit dem von London ausgehenden Zentralismus haben, der in Zeiten des Krieges einleuchtend erscheint, aber in Friedenszeiten zu Kontroversen führt. Englische Distrikte sahen sich in der Vergangenheit schon als diejenigen, die die Kosten der schottischen Selbstbestimmung zu finanzieren hatten. Soll ein bislang zentralistisch regiertes Britannien in einen föderalistischen Staat umgewandelt werden, der dem auch hier bestehenden Nord-Süd-Konflikt Rechnung trägt? Wird die englische Identität inzwischen einer britischen untergeordnet? Sind die Leute auf ihren lokalen oder regionalen Bezirk fokussiert? Welcher Einfluss geht vom Referendum auf andere europäische Regionen aus, die sich vom Mutterland abspalten möchten, wie etwa die Katalanen von Spanien?
Der frühere Labour Premierminister Gordon Brown, selbst Schotte, bemüht sich nach der Wahl auf der Halbinsel Fife, wo die schottischen Könige begraben sind, die Kontrahenten zu beruhigen, die geschlagenen Wunden zu heilen, indem er versichert, dass die von der Regierung gemachten Versprechungen eingehalten würden.
Charlotte Brontё 1850: „Edinburgh, verglichen mit London, ist wie eine lebendige Seite der Geschichte, verglichen mit einem riesigen, trockenen Traktat über politische Ökonomie.“ 1
“Schön wie eh und je, denn nichts kann großartiger sein als der Bergrücken der Altstadt, der sich klar abhebt gegen das Blau eines Sommertags.“
[“Beautiful as ever, of course - for nothing can be finer than the ridge of the Old Town etched on hot summer azure.”
“Dies ist eine Stadt, die von steter Veränderung lebt, Licht und Wolken ergeben ständig neue Perspektiven.“
[“This is a city of shifting light, of changing skies, of sudden vistas. A city so beautiful it breaks the heart again and again.”]
Alexander Smith on Edinburgh 2
Edinburgh – der Name geht wohl auf einen gälischen Eigennamen zurück, vielleicht auf Edwin, den König von Northumbria (617-633). Der Name könnte auch Niederlassung (burgh < borough) am Hang bedeuten. Besiedelt war der Fels aus archäologischer Sicht wohl schon um 800 v.Chr.
Vor 350 Millionen Jahren war der Burgberg ein in einer breiten Talaue unweit eines tropischen Meeres gelegener tätiger Vulkan. Nachdem der Vulkan erloschen war, versank er unter einer kilometerdicken Schicht aus Sand und Schlamm.
Während der Eiszeit legten die gewaltigen Kräfte des Eises den alten Vulkan frei und verliehen seinem festen Basaltkern seine charakteristische Gestalt, die sich dramatisch von seiner Umgebung abhebt. Die markante Silhouette wird von der Mulde, die das Eis um ihn herum gegraben hat, noch unterstrichen. Die Mulde verwandelte sich in ein sumpfiges Tal, aus dem nach 1450, als dessen Wasserläufe gestaut wurden, der See ‚Nor Loch’ entstand.
Die Klippe des Burgbergs bildete eine natürliche Verteidigungsposition, deren Bebauung um etwa 1125 begann. Im Jahre 1760 wurde der See trockengelegt, wenig später (1842) erfolgte der Bau der Eisenbahn, und auf dem ehemaligen Grund des Sees wurden die Gärten der Princes’ Street angelegt. In den Sommermonaten verwandeln sich diese Gärten in blühende Oasen, wo an prägnanten Punkten prächtige Disteln gedeihen und sich immer aufs Neue erstaunliche Ausblicke eröffnen. Der Besucher vergisst, dass er sich in einer Großstadt befindet.
Alice Munro beschreibt in einem Band autobiographischer Kurzgeschichten, wie der zehnjährige Andrew Anfang des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal mit seinem Vater nach Edinburgh kommt, wie er die Altstadt erlebt und die Burg erklimmt. Mit viel Gespür hat die Nachfahrin diese Situation beschrieben. 3
„Als Andrew zum ersten Mal nach Edinburgh kam [aus Ettrick], war er zehn Jahre alt. Mit seinem Vater und noch einigen anderen Männern stieg er eine glitschige, dunkle Straße hoch. Es regnete, der Rauchgeruch der Stadt lag in der Luft, und es gab Türen, deren oberer Flügel offen stand, so dass er in die von Kaminfeuern erhellten Wirtshäuser hineinspähen konnte, in die sie hoffentlich bald einkehren würden, denn er war nass bis auf die Haut. Sie taten es nicht, sie hatten ein anderes Ziel. Außerdem waren sie schon am frühen Nachmittag in einer dieser Schankstuben gewesen, aber das war nicht mehr als eine Nische, ein Loch in der Wand, mit einem Brett, auf dem Flaschen und Gläser hingestellt und Münzen hingelegt wurden. Er war fortwährend aus diesem Verschlag hinausgedrängt worden, auf die Straße und in die Pfütze, in die sich das Wasser aus der Traufe am Vordach ergoss. Um sich wieder ins Trockene zu bringen, war er unten zwischen den langen Umhängen und Schaffellmänteln hineingekrochen und hatte sich zwischen die trinkenden Männer gezwängt, unter ihren Armen hindurch.
Er war überrascht, wie viele Leute sein Vater in der Stadt Edinburgh zu kennen schien. Man sollte meinen, die Leute in der Schankstube seien ihm unbekannt, doch offenbar nicht. Inmitten der streitenden und fremd klingenden Stimmen war die Stimme seines Vaters die lauteste. Amerika, sagte er und schlug mit der Hand auf das Brett, damit ihm zugehört wurde, genau wie zu Hause. Andrew hatte dieses Wort von ihm in eben dieser Betonung gehört, lange bevor er wusste, dass damit ein Land jenseits des Ozeans gemeint war. [Das Wort „Amerika“ fiel offenbar häufig in der Familie und hatte recht ambivalente Untertöne, je nachdem wer es gebrauchte. Der Junge schlief schließlich im Stehen ein. …] Er wurde wieder wach, als mehrere Männer, darunter auch sein Vater, aus der Stube hinausdrängten. Einer von ihnen fragte: „Ist das hier dein Junge, oder etwa ein Schlingel, der uns in die Taschen greifen will?“, und sein Vater lachte und nahm Andrew bei der Hand, und sie begannen ihren Aufstieg. Ein Mann geriet ins Stolpern, und ein anderer Mann stieß mit ihm zusammen und fluchte. […]
Dann bog sein Vater mit den Freunden in eine wesentlich breitere Straße, die eigentlich ein Platz war, gepflastert mit großen Steinquadern. Der Vater wandte sich plötzlich um und sprach auf Andrew ein.
„Weißt du, wo du bist, Junge? Du bist auf dem Burghof, und das ist die Burg von Edinburgh, die seit zehntausend Jahren steht und noch weitere zehntausend stehen wird. Grauenvolle Taten wurden hier begangen. Diese Steine trieften von Blut. Weißt du das?“ Er hob den Kopf, damit alle ihm lauschten. […]
Andrew sah nichts weiter als gewaltige Mauern, vergitterte Tore und einen auf und ab marschierenden Soldaten im englischen roten Rock. Sein Vater ließ ihm kaum Zeit, sondern stieß ihn voran […]. Nun stiegen sie unregelmäßige Stufen empor, manche so hoch wie Andrews Knie - er musste hin und wieder krabbeln - in einem, soweit er erkennen konnte, Turm ohne Dach. […]
„Schaut euch um.“ Die Sonne war jetzt hervorgekommen, schien auf den Steinhaufen aus Häusern und Straßen unter ihnen und auf die Kirchen, deren Türme nicht bis in diese Höhe reichten, und auf kleine Bäume und Felder, dann auf eine breite, silbrige Wasserfläche. Und dahinter erstreckte sich blassgrünes und graublaues Land, teils im Sonnenlicht, teils im Schatten, ein Land so zart wie Nebel, der in den Himmel gesogen wurde.
„Hab ich's euch nicht gesagt?“, verkündete Andrews Vater. “Amerika. Allerdings nur ein kleines bisschen davon, nur die Küste. Und da drüben sitzt jeder Mann inmitten seiner eigenen Ländereien, und sogar die Bettler fahren in Kutschen umher.“
„Also das Meer sieht gar nicht so breit aus, wie ich dachte“, sagte der Mann, der inzwischen nicht mehr torkelte. „Es sieht nicht so aus, als würde man Wochen brauchen, um es zu überqueren.“
„Das ist die Wirkung der Höhe, auf der wir sind“, sagte der Mann, der neben Andrews Vater stand. „Die Höhe verringert dessen Breite.“
„Das ist ein glücklicher Tag für die Aussicht“, sagte Andrews Vater. „Tag um Tag kann man hier hinaufsteigen und sieht nichts als Nebel.“
Er wandte sich um und sprach zu Andrew.
„So, mein Junge, jetzt hast du nach Amerika hinübergeschaut“, sagte er. „Gebe Gott, dass du es eines Tages von Nahem siehst, mit eigenen Augen.“
Andrew hat seitdem noch einmal die Burg besucht, mit Jungen aUS Ettrick, die alle die große Kanone sehen wollten, Mons Meg. […] Er wusste, das war nicht Amerika, was er da sah, obwohl es einige Jahre dauerte, bis er so weit mit Landkarten vertraut war, um zu wissen, das, was er gesehen hatte, war die Grafschaft Fife. Trotzdem wusste er nicht, ob nun die Männer aus der Schankstube sich über seinen Vater lustig gemacht hatten, oder ob nicht vielmehr sein Vater ihnen einen seiner Streiche gespielt hatte. […]“4
Theodor Fontane meinte, dass die Burg von Edinburgh einem liegenden Löwen entspreche, die von Stirling, die auch auf einem vulkanischen Bergkamm erbaut ist, aber einem kauernden. Löwen aber sind Wappentiere Schottlands. 5
Die beiden Nationalhelden bewachen das Tor, rechts: William Wallace (mit Schild), links: Robert the Bruce, der Sieger über Edward I. in der Schlacht von Bannockburn 1314.
William Wallace: “Wir kommen nicht in friedlicher Absicht, sondern bereit zum Kampf, entschlossen das Unrecht, das uns geschah, zu rächen und unser Land zu befreien. Sollen sie kommen und uns angreifen. Wir sind bereit, sie Mann für Mann zu schlagen.“
[„We come here with no peaceful intent, but ready for battle, determined to avenge our wrongs and set our country free. Let our masters come and attack us: we are ready to meet them beard to beard.”]
Robert the Bruce übertrug Edinburgh die Stadtrechte. Sein Leichnam wurde nach Dunfermline gebracht, doch sein Herz liegt begraben in Melrose Abbey, the „Heart of Midlothian“.
Der Stone of Scone reicht zurück in mythische Ferne. Ein griechischer Prinz, der Scota, eine Tochter des ägyptischen Pharao geheiratet hatte, die wiederum ihren Stammbaum vom biblischen Noah herleitete, jener griechische Prinz soll den legendären Stein, der auch Jakobskissen genannt wird, von Spanien über Irland nach Schottland gebracht haben. Nachweisbar ist lediglich, dass die Skoten, gälisch sprechende Kelten aus Irland, Ende des 5. Jahrhunderts in Argyll ein Königreich errichtet haben. Mit ihnen soll der Schicksalsstein der Schotten ins Land gekommen sein. Die Skoten trafen auf die blau tätowierten Pikten. Und Mitte des 9. Jahrhunderts unter dem Skoten Kenneth MacAlpin kam es zu einer Vereinigung der beiden Stämme, und der neue Herrscher bestieg als erster König eines geeinten Schottlands den Krönungsstein in Scone, der damit zum Symbol der schottischen Einheit wurde. Edward I. hatte dann im Jahre 1296 den Krönungsstein als Kriegsbeute nach London gebracht. Erst 1996 kehrte der Stone of Scone auf Veranlassung von John Major in Übereinstimmung mit der Queen aus Westminster Abbey in London nach Schottland zurück. Heute befindet er sich in der Burg von Edinburgh. 6
Theodor Fontanes Begeisterung für Edinburgh Castle hält sich in Grenzen. Abgesehen vom Schicksalsstein der Schotten, und der gehört ja recht eigentlich nach Scone bei Perth, wo frühere Könige gekrönt wurden, findet sich wenig Authentisches in den Gebäuden aus sehr unterschiedlichen Epochen. Fontane meint wohl nicht zu Unrecht, dass sich Mobiliar und sonstige Gegenstände mit bestimmten historischen Personen verbinden müssten, um einen bleibenden Eindruck beim Betrachter zu hinterlassen. 7
Freilich kann man das Schlafzimmer der Maria Stuart betreten und das Zimmer, in dem ihr Sohn James VI. geboren wurde, der später als James I. zum König des Vereinigten Königreichs wurde.
Das älteste Gebäude ist St. Margaret’s Chapel, eher unscheinbar, frühnormannisch, im Jahre 1190 errichtet. Malcolm III. (Canmore) baute im 11. Jahrhundert hier eine Burg. Damals entstand auch die Kapelle für seine später heiliggesprochene Frau Margaret. Mit dieser Königin entfaltete sich auch der Einfluss der römisch-katholischen Kirche in Schottland und löste das irisch geprägte Christentum ab.
Die Royal Mile, bestehend aus Castle Hill, Lawnmarlket, High Street und Canongate, verbindet die beiden Pole des alten Edinburgh: die Burg am westlichen Ende und Holyrood Palace und die Ruinen der Abtei am östlichen. Hier residierten die kirchliche und die königliche Macht, hier war das Zentrum mittelalterlichen Lebens. Hier wohnten die Lords und Gesandten, die Kaufleute und Handwerker. Hier war das ganze Spektrum des urbanen Schottland auf engem Raum versammelt. Das heroische, dunkle mittelalterliche Leben mit dem Chaos der Hinterhöfe, der Closes, Lanes und Wynds in ihrer Steile und Gedrängtheit, ihrer Bedrängnis und Armut. Die Mietshäuser waren Wohntürme mit bis zu fünfzehn Stockwerken. Alle sozialen Schichten wohnten hier unter einem Dach. Samuel Defoe soll gesagt haben: „Ich glaube, in keiner anderen Stadt der Welt leben so viele Menschen auf so engem Raum wie in Edinburgh.“ Die Royal Mile ist den Bergkamm entlang gewachsen, sie führt von der Burg leicht abwärts und folgt den Biegungen, die der Grund vorgibt. Gladstone’s Land am Lawnmarket ist ein urbanes Pendant zum befestigten Wohnturm des Landadels. Hier finden sich bemalte Holzbalkendecken, schottische Renaissance-Dekoration im Stil von Crathes Castle.
Im Gegensatz dazu und weil die Altstadt, „Auld Reekie“, nicht mehr den Erfordernissen und Wünschen der Zeit entsprach, entstand im 18. Jahrhundert auf dem gegenüberliegenden Hügel „New Town“, das helle, georgianische Wohngebiet mit seinen Plätzen, ein Schachbrettmuster, das Weite, Übersichtlichkeit und Ordnung versprach, die am Reißbrett entstanden ist. Davon wird später die Rede sein.
In Muriel Sparks Roman The Prime of Miss Jean Brodie geht besagte Miss Brodie mit einigen ihrer Schülerinnen über die Royal Mile. Die Mädchen sind zu diesem Zeitpunkt etwa elf Jahre alt. Und es mag den Leser erstaunen, dass keines der Mädchen bis dahin wirklich dort gewesen ist. Kein Vater, keine Mutter war offenbar so an der Geschichte der Stadt interessiert, dass sie ihren Nachwuchs in