Von Bäumen, Menschen und der Zeit - Ingeborg Bauer - E-Book

Von Bäumen, Menschen und der Zeit E-Book

Ingeborg Bauer

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Beschreibung

Von Bäumen, Menschen und der Zeit Was hat der Mensch mit Bäumen gemeinsam? Dieser Frage will ich in meinem Buch nachgehen. Lebensbäume werden in den Weltreligionen verwendet. Der Lebensbaum des Einzelnen ist der Stammbaum, in dem wir uns als Einzelne wiederfinden, in dem wir verbunden sind in einer Kette von Menschen vor und nach uns. Bäume tragen, ertragen Schicksale wie wir. Sie haben ein großes Lebens- und Leidenspotenzial. Bäume blühen, tragen Frucht, überstehen Wind und Wetter, sind Vorbilder für uns Menschen bezüglich der Resilienz, der Widerstandskraft. Im Leben der Bäume erkennen wir unser eigenes Leben als zyklisch, im Zyklus der Jahreszeiten den Zyklus unseres Lebens. Der Baum ist wie der Mensch Teil der Natur, ohne ihn ist Zivilisation nicht denkbar. Und so spielt der Baum auch in der Kunst eine große Rolle, etwa bei Malern wie Caspar David Friedrich, Paul Cézanne, Edvard Munch, Paul Klee oder Piet Mondrian. Der Baum steht zuweilen stellvertretend für den Menschen. In der Skulptur kommt es zu hybriden Darstellungen, die in die Abstraktion führen können. Während das Leben des einzelnen Menschen einem Wimpernschlag der Erdgeschichte gleicht, leben Bäume in anderen Zeiträumen. Das Erleben der Zeit ist dem Menschen wesentlich.Die mechanische Uhr stellt einen Einbruch dar, der Strukturierung bringt, aber auch Einengung.. Der Mensch wird in Schöpfungsgeschichten häufig mit Bäumen in Beziehung gebracht, in der Bibel, in der nordischen Mythologie. Im Gilgamesch-Epos spielt der Baum als schützenswert eine zentrale Rolle. Dantes Divina Comedia beginnt in einem Wald. Der ist auch häufig Schauplatz eines Märchens wie Hänselund Gretel. In Ostanatolien wird der Reisende eine Nähe der christlichen Tradition mit der islamischen Steinkunst erkennen. Was uns Ostanatolien lehrt In Stein gehauene, filigrane Motive: christliche Tradition eigenstädig verknüoft mit islamischen Elementen. Berührung der Kulturen, Annäherung an Ursprung. Ach, wüchse ein Begreifen: Nathans Ring und ein jeder verhalte sich so, als sei er ein Teil einer größeren Wahrhait.

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Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für Siegfriedundmeine Familie

… dass ich dir werd‘ einguter Baum,und lass mich Wurzel treiben …

INHALT

Der Baum in der Genesis, im GilgameschEpos,in Dantes „Göttlicher Komödie“, in den Märchen

Von den Bäumen I

Sämlinge

Geologischer Park von Marienbad

Die Buchen und andere Bäume der Schwäbischen Alb

Bäume im Norden

Birken

Im Skulpturenpark der Villa Domnick (Bäume und Skulpturen)

Bäume der näheren Umgebung

Exkurs: Die Buche, das Buch und die Schrift

Exkurs: Über Odin und die Menschwerdung aus Bäumen

Exkurs: Über Runen und das keltische Ogham

Vom Holz der Bäume

Von den Bäumen II

Das Individuum Baum

Bäume im Süden

Oliven und Zypressen auf Korfu

Korkeichen in Portugal

Palmen im Maghreb

Mensch und Baum als Metapher

Der Baum in der bildenden Kunst

Caspar David Friedrich

Anselm Kiefer

Claude Monet

Vincent van Gogh

Paul Cézanne Edvard Munch: Bäume im Wandel der Jahreszeiten

Paul Klee

„Der Apfelbaum bei Munch,Klimt und Paul Klee

Piet Mondrian: Von den Bäumen in die Abstraktion

Hybride Wesen: Metamorphose von Baum und Mensch

Alberto Giacometti: Wald und Lichtung

Mensch und Baum als Metapher

Lebensbaum

Der Lebensbaum in prähistorischer Zeit

Der Lebensbaum in der christlichen Kunst Mitteleuropas

Der Lebensbaum in der Ikonographie Anatoliens - Ikonographie von Christentum und Islam

Alte armenische Kirchen

Çifteminareli Medrese (Erzurum)

Im Išak Paša Sarayi (Ishak Pascha Palast)

Von der Zeit

Erdgeschichte und Menschheits-Geschichte

Die Evolution des Waldes

Zeitskulptur

Die Zeit in Orient und Okzident

Vom Messen der Zeit

Die astronomische Uhr im Dom zu Münster / Westfalen

Die Uhr der Bäume

Wie das Laub der Bäume

Sprachlaub

Ich trage, wo ich gehe

Die Uhren rufen sich schlagend an, /und man sieht der Zeit auf den Grund

Die Zeit im Grunde Thomas Manns Zauberberg

Ingeborg Bauer Von Bäumen, Menschen und der Zeit

Der Baum in der Genesis, im Gilgamesch- Epos, in Dantes „Göttlicher Komödie“, in den Märchen

Der Mensch am Anfang ist Teil der Natur. Im ersten Kapitel der Genesis leben die ersten beiden Menschen, Adam und Eva, in einem Garten Eden, in dem als erstes der Baum erwähnt wird. „ Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, lustig anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.“ 1. Mose 2. 8-9

„Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn baute und bewahrte. / Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten; / aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.“ [1. Mose 2.15-17]

Der Garten Eden, das Paradies, wird man sich als friedliches Miteinander vorstellen dürfen. Aber „die Schlange sprach zum Weibe: „Ihr werdet mitnichten des Todes sterben; / sondern Gott weiß, dass, welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ [Mose 3.4-5]. So ist der Mensch schon zu Beginn konfrontiert mit einem Baum. Die Geschichte der Menschheit nach der jüdischchristlichen Erzählung startet mit einem Baum. Und da findet sich auch der verhängnisvolle Satz: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet [über die Natur]. (2. Mose.28). Der Baum der Erkenntnis geht mit dem Wachsen eines menschlichen Bewusstseins einher. Der Mensch wird sich seiner Nacktheit bewusst und erkennt zugleich seine Sterblichkeit. Vielleicht ist es dieses Wissen, das ihn von anderen Lebewesen unterscheidet. Und damit beginnt die Geschichte der Menschheit mit einer Abgrenzung des Menschen von anderen Lebewesen und mit der Eroberung und Unterwerfung der Erde. 1

Der Baum spielt auch in anderen Narrativen vom Ursprung des Menschen eine Rolle. So wird im nordischen Heldenepos der Edda das erste Menschenpaar Ask und Embla von den Göttern aus Bäumen erschaffen, der Mann aus einer Esche, die Frau aus einer Ulme. In Bäumen scheinen wir uns wiederzuerkennen. Dazu trägt bei, dass wir im Wechsel der Jahreszeiten wie er sich an den Bäumen unserer Umgebung zeigt, den eigenen Lebenszyklus wahrnehmen.

Es geht in den frühen, zunächst schriftlosen Kulturen um ein polytheistisches Weltbild, ein Geflecht von Ahnen, Göttern und Göttinnen. Diese sind fast ausnahmslos Repräsentanten der Natur, eines Berges, eines Flusses, oder von Naturphänomenen wie Sonne und Mond, Regen und Sturm. Der Mensch steht der Natur gegenüber, die durch Götter verkörpert wird, die er zu respektieren hat.

Im „Gilgamesch“ – Epos, dem ältesten schriftlich fixierten Epos (man könnte auch in einem weiten Sinne von Roman sprechen), steckt schon der Grund für die Klimakrise, die wir heute beklagen. Mit der Erfindung der Schrift vor 4 000 Jahren beginnt die Ausbeutung der Natur. Ein Drache, ein Monster mit Namen Humbaba, ist der Schutzherr des Waldes. Der Kampf mit Humbaba wird systematisch vorbereitet und endet im Triumph des Gilgamesch. Er und sein Freund Enkidu zerstören den Wald, um menschliche Behausungen entstehen zu lassen. Die Zerstörung des Waldes ist also eng mit der Siedlungsgeschichte verflochten. Siedeln bedeutet Zurückdrängung, ja Ausbeutung der Natur. So wird Gilgamesch zur ökokritischen Lektüre, ein Dokument des menschlichen Denkens. Um zu bauen, wurden Bäume gefällt. Nun musste man die guten und bösen Geister des Waldes wieder besänftigen.

Die Entstehung der Bibel, die nun den Monotheismus einführt, ist zwar beeinflusst von diesen Kulturen, allerdings enthält die Bibel die Aufforderung: „Machet Euch die Erde untertan“. Damit wird der Mensch über die Natur gestellt, Kultur und Natur rücken in einen Gegensatz zueinander.

Zurück zu Gilgamesch. Er verfolgt den Gedanken der Unsterblichkeit und macht sich auf die Suche nach Utanapischti, der am Ende der Welt wohnt. Er und seine Frau sollen den Göttern gleich und damit unsterblich sein. Schließlich kommt Gilgamesch dort an und bedrängt den alten Mann, ihn an dem Geheimnis teilhaben zu lassen. Der gibt ihm schließlich eine Pflanze, die Herzschlagpflanze, die er nun bewachen muss. Sieben Tage und sieben Nächte soll Gilgamesch nicht schlafen. Aber, so heißt es, der Schlaf hauchte ihn an wie ein Nebel. Er kann dem Schlaf nicht widerstehen. Wie sollte er da dem Tode trotzen? Eine Schlange frisst die Pflanze unbemerkt von dem schlafenden Gilgamesch und häutet sich. Die Häutung der Schlange steht für die Unsterblichkeit, die Gilgamesch nicht gewinnen konnte. Hier ist die Natur die Gewinnerin, nicht der Mensch.

Vom Wald als besonderem Lebensraum

In der Karwoche des Jahres 1300 gerät Dante in einen düsteren Wald, aus dem ihn eine Vision entrückt: ins Jenseits, wo er den großen Toten der Geschichte und der Gegenwart, entstellt oder verklärt, begegnet. Von seinem Aufstieg durch die Hölle und das Fegefeuer in den Himmel erzählt seine Dichtung in Versen, „Die Göttliche Komödie“. Und so beginnt das berühmte Epos am Ende des Mittelalters in einem Wald, in den sich der Erzähler verirrt hat.

Inferno, Erster Gesang

Grad in der Mitte unsrer LebensreiseBefand ich mich in einem dunklen Walde, Weil ich den rechten Weg verloren hatte.

Wie er gewesen, wäre schwer zu sagen,Der wilde Wald, der harte und gedrängte, Der in Gedanken noch die Angst erneuert.

Fast gleichet seine Bitternis dem Tode,Doch um des Guten, das ich dort gefunden, Sag ich die andern Dinge, die ich schaute.

Wie ich hineinkam, kann ich kaum berichten, So war ich schwer vom Schlaf zu jener Stunde, Da ich den wahren Weg verlassen hatte.

Doch als ich dort zum Fuße eines Hügels Gekommen war am Ende jenes Tales, Das mir das Herz so sehr mit Angst gepeinigt

Blickt' ich nach oben und sah seine Schultern [die des Vergil] Schon von den Strahlen des Gestirns bekleidet Das uns auf jedem Pfade richtig führet.

Das Verirren im Wald ist ein bekannter Topos. Er taucht auch in den Ritterromanen des Mittelalters auf. Wir alle kennen ihn aus den Märchen. Um nur einige Beispiele zu nennen: „Rotkäppchen“ trifft dort auf den Wolf. Die Zwerge in „Schneewittchen“ sind Waldbewohner. „Hänsel und Gretel“ verirren sich im Wald, finden nicht mehr heraus, als Hänsel Brotkrumen streut, die aufgefressen werden. Der Wald ist für den Menschen damals beängstigend und stellt eine andersartige Welt dar, die Übernatürliches zulässt.

In Shakespeares „Sommernachtstraum ist der Wald ein magischer Ort, der die Liebenden in einen verwirrten Zustand versetzt. Die Dunkelheit schafft Verwirrung, enthält aber auch den Zauber, die Träume und die Albträume. Mit dem Morgen erscheint das Licht, im Wald öffnet sich eine Lichtung, die Vernunft führt zur Klärung. In der Romantik benutzen Dichter wie Novalis und Eichendorff die Waldeinsamkeit in vergleichbarer Weise als magischen Ort. Sie werden inspiriert von der Philosophie Schellings.

Dem Protagonisten in Joseph von Eichendorffs (1788-1857) „Taugenichts“ („Aus dem Leben eines Taugenichts“-1822/23 fertiggestellt, 1826 veröffentlicht) erschließen die schattigen Wälder ihre Magie. Das geheimnisvolle Rauschen der Wälder ist ein wiederkehrendes Motiv. Und es sind gerade die märchenhaften Züge, die den Zauber der Novelle ausmachen.

Eine Briefmarke der Deutschen Bundespost von 1988 zeigt das Detail eines Holzschnitts von Ludwig Richter zu dem Gedicht „Waldeinsamkeit, du grünes Revier“ von Joseph von Eichendorff: ein alter kraftvoll gewachsener Baum füllt fast die gesamte Fläche. Tief unten erstreckt sich zwischen Bergen ein Tal mit See und einer Burg oder einerStadt. Rechts erhebt sich ein grün bewachsener Hang. Der Baum wird als Einzelner aus einem Wald hervorgehoben. Mit der Romantik verliert der Wald seine eindeutig bedrohliche Wirkung und wird zum magischen Ort wie schon bei Shakespeare. Doch bleibt die Ambivalenz erhalten.

Im „Waldgespräch“ (1815) befasst sich Eichendorff mit dem Mythos der Loreley. Diese Verführerin bringt ihrem Gegenüber den Tod: „Es ist schon spät, es wird schon kalt, / Kommst nimmermehr aus diesem Wald!“ Hier ist es wieder das Bedrohliche, das der Wald in seiner Undurchdringlichkeit impliziert.

Eichendorffs Sprache mit ihren eingängigen Symbolen und Metaphern bietet gute Vorlagen für Vertonungen. Es sind Motive wie sie auch im sogenannten Volkslied gängig sind und Baum und Mensch in Bezug zueinander setzen.

1 Bibelstellen zitiert nach der Übersetzung von Dr. Martin Luther

Von den Bäumen

Sämlinge

Ganz klein beginnt was einmal ein Baum werden könnte groß und stattlich und Teil eines Waldes. Es wird dauern. Er braucht Licht und Raum und Luft zum Atmen.

Wie Blumen zu Blüten so wächst aus dem Samen der Keim, den Keimblätter bergend umschließen – so warten in den winzigen Trieben im Herbst die Blätter und Blüten der Bäume bis die Sonne hoch und warm genug sie aus ihrer Hülle befreit und sie wie Aschenbrödel zu Prinzessinnen macht.

Im Geologischen Park von Marienbad

Die kahlen Stämme der Buchen, sonnenbeschienen, von Schatten gestreift, werfen ihrerseits Schatten auf den von Buchenblättern des vergangenen Jahres bedeckten Waldboden, in die der Fuß einsinkt. Schattenfiguren tummeln sich auf dem Waldboden. Filigran und sich zum Netz verdichtend steigt das Geäst

nach oben. Immer wieder eine Bank als Ruhepol, der Mensch auf dem Weg zwischen Bäumen und Stein, als ginge er durch die Erdgeschichte in seine eigene Zeit.

Schattenschraffuren – der Mensch und der Baum und die Verquickung von beiden mit dem Urgestein, dem erhärteten Magma aus dem Erdinnern: Ursprung unserer Erde, Beginn der „chain of being“ der Verkettung des Seins.

Der Bach löste die Steinbrocken, rollte sie den Hang hinunter, Moos bedeckt sie nun, bringt Farbe ins monochrome Winterbild. Grüne Frösche hocken so zwischen den sprudelnden kleinen Wasserfällen. Die kahlen Stämme der Buchen schicken ihre Kronen ins Himmelsblau des Vorfrühlingstags. Sie werfen ihre Schattenschraffur wie einen Lattenzaun über die Wege, nicht wirkliche Hindernisse. Der Mensch auf dem Weg zwischen Bäumen und Stein, als ginge er durch die Erdgeschichte und doch wieder hinein in die eigene Zeit.

Die Buchen und andere Bäume der Schwäbischen Alb

Baumskulpturen vor verblauendem Albtrauf und März-weißem Himmel – jeder Baum verströmt seine eigene Physiognomie.

Hier dominieren die Buchenwälder wie auf Jasmund / Rügen, nur ohne Meeresrauschen. Buchen „bauen“ Laubdächer, wo Sonnenstrahlen sie erreichen. Die Hängevon der Traufkante abwärts sind bewaldete Blockschutthalden. In dem hier wachsenden Kalkbuchenwald stehen neben vielen Rotbuchen auch Stieleichen, Hainbuchen und Bergahorn.

Weißer Jura, von lichten Buchen beschattet – steinig die Wurzelpfade.

Zwischen Kiefern und Buchen freier Raum – Schreiten auf weichem Boden.

Grüne Schleier aus Laub filtern Luft und Licht und vermitteln Freiheit.

Ausgreifend die Gestik der Kiefern – leiser tönen die Buchen.

Gehen am Albtrauf – von Wurzeln durchzogene Pfade – sonnensatt.

Durchsonntes Buchen- Laub legt seine Schleier auf drohende Tiefe.

Weicher Waldboden vibriert unter unseren Schritten – durchzogen von Wurzeln und dem Spiel des Lichts mit dem Laub der Buchen.

Zarte Schleier aus Buchenlaub verhüllen den drohenden Abgrund.

Stämme von Narben gezeichnet, die der Wunden gewärtig, während beschattendes Blätterdach Pflaster auf die Wunden legt.

Baumwurzelwerk, gleich den Leibern urzeitlicher Reptilien, die zahm geworden, einer Wandlung unterzogen, verstummt sind.

Baumwurzeln, geballt ist die Kraft, die sich hält am Stein dieser Erde.

(Haikus und Tankas)

Baumwurzelwerk erstreckt sich über die Fläche. Geballte Kraft hält sich zwischen spärlichem Humus und uraltem Stein (den Gebeinen der Mutter Erde!). Auch diese Bäume sind Spätgeborene, Nachfahren einer uralten Art. Sie werden uns überleben.

Zerborstener Stamm, sich auflösend, bloßlegend sein Innerstes, begleitet von noch sehr jungen grünen Nachkommenden, die sich um ihn scharen, sich nähren von seinem Verfall.

Der Albtrauf im Sommer – Blick vom Breitenstein ins Tal – Erosion nagt am Fels

Der Albtrauf mit seinen senkrecht empor- strebenden Stämmen am steilen Hang wirkt in seiner Schraffierung wie ein Kunstwerk.

Bäume des Nordens

Birken

Ein Liedtext, der sich erhalten hat: Wuchsen einst fünf junge Birken, grün und frisch an Baches Rand. / Sing, sing, was geschah? / Keine in Blüte stand.“ Der Text entstand aus mündlicher Überlieferung in Westpreußen und wurde 1906 von Johannes Patock zum ersten Mal aufgezeichnet. Der Ursprung des Liedes liegt wahrscheinlich im Bereich der Danziger Bucht, wo der Verfasser lebte. Dafür spricht auch, dass der Memelstrand früher Ostseestrand hieß. Das Lied zieht eine Parallele zwischen Baum und Mensch, den Burschen, die nicht (aus dem Krieg) zurückkamen und den Mädchen, die wuchsen wie die Birken und ohne einen Brautkranz, also unverheiratet blieben. Es muss sich um einen Krieg vor dem Ersten Weltkrieg handeln und entstand wohl aus einer mündlich überlieferten Version. Bäume werden parallel zum Leiden der Menschen durch Kriege gesehen.

Birken gehören zu den ersten Bäumen, die im Frühjahr frisches Grün über das Land streuen, zarte Tupfer stehen für einen Neubeginn. Der Baum hat seit jeher künstlerisches Schaffen inspiriert. Im europäischen Norden, etwa in Russland gilt die Birke als nationales Wahrzeichen. Die Birke hält zweistellige Minusgrade aus, mag aber keine große Hitze, darum gehören Birkenwälder in den Norden. Wassily Kandinsky hat in seiner frühen folkloristischen Phase ein „Reitendes Paar“, zwei sich eng umschlungen haltende Liebende auf einem Pferd von Birken umgeben dargestellt, Birken, deren Blätter zu funkeln scheinen. Gustav Klimt malt in „Seeufer mit Birken“ zwei Bäume an einem magisch schimmernden Gewässer.

Fritz Overbeck (1869-1909): März (Vorfrühling), 1908

Vor dem weiten, moorigen Land, dunkelbraun und ocker mit Resten von Schnee, erheben sich Moorbirken mit ihrer hellen Rinde, noch unbelaubt an diesem Vorfrühlingstag. In blauen Pfützen spiegeln sich der gedämpfte Himmel des Nordens und eigenwillig verformte Stämme der Birken. Leichte Melancholie liegt über dieser Worpsweder Landschaft.

Im Frühjahr produzieren Birken literweise farblosen, leicht süßlichen Saft, der reich ist an Vitaminen, Mineralstoffen und Aminosäuren, den schon die Germanen und die Wikinger nutzten. Um die Flüssigkeit zu gewinnen, bohrt man ein Loch in die Rinde und leitet den Saft über einen Schlauch in ein Gefäß.

Die Birke, mit dem lateinischen Namen Betula, kann innerhalb von drei Jahrzehnten mehr als 30 Meter Höhe erreichen und bleibt bei einer Lebensdauer von bis zu 130 Jahren unter Bäumen eine ewig Jugendliche.

Birkenholz ist vergleichsweise hart und eignet sich für den Bau von Möbeln, auch wegen seines geringen Harzgehalts. Besonders die Weißbirke besticht durch ihre leuchtend weiße Rinde, die sich durch eine große Vielfalt an Musterung auszeichnet, die sich abrollt zu papierartigen Streifen und so skulpturalen Charakter annimmt. Diese Rinde ist biegsam und zugleich stabil. Der Mensch hat in diese Rinde schon vor 1000 Jahren kurze Botschaften eingeritzt, was sich durch archäologische Funde in Nowgorod nachweisen lässt. Es gibt auch die Tradition des Birkenbuschen, der vor der Tür der Angebeteten angebracht wird. Auch das anfangs zitierte Lied stellt sich in eine solche Tradition, die die Schicksale von Mensch und Baum verbindet.

Birken im Februar

Birkenstämme drücken ihr Weiß ins Himmelsblau – das Aufbrechen der Rinde die berstenden Ringe öffnen verdeckte Strukturen – Lebenszeichen unblutig vernarbt nach außen gekehrt und Kirschbäume

die Botschaft der Kirschbaumrinde aufgebrochen zu bizarren Mustern gelebter Jahre

Flechten und Moose haben sich ausgebreitet – Äußeres hat sich auf Inneres gelegt ach, legte sich Sinn wie Schorf über die offenen Wunden!

Das Moos schon grün – auf der schneewasser- trunkenen Wiese hinterlassen meine Schritte Spuren.

Im Skulpturenpark der Villa Domnick

Birken auf durchlichtetem Rasen erweitern den Raum geben den Skulpturen die Luft zum Atmen so dass sie beflügelt ihre Botschaft im Schleier des Geheimen verhüllend verbreiten Begegnung schaffen.

Zwischen Birken noch kahl, so dass die weißen Stämme ihren vollen Glanz verbreiten im frischen Grün mit Schneeglöckchen- und Anemonenweiß komplementieren sie die Patina der rostbraun verwitterten Skulpturen.

Auf den weißen Stämmen der Birken Wachstums- Spuren, die sie zu Stelen erhöhen, mit dem gelbgrünen Weiden- Vorhang zu einer Kulisse erweitern – Natur wird zum Rahmen für abstrakte Formen der Kunst zu Gedanken über Aspekte des Lebens.

Auch Birkenstämme mit ihren Rissen und Wunden ihren Häutungen erzählen Geschichten, die Biografien der Menschen gleichen und zu Metaphern werden für Erfahrungen und Begebenheiten des Einzelnen und der Vielen.

… im Park begleiten

die Bäume die Werke der Künstler – abstrakte Lebens- Entwürfe inmitten der Bäume mit ihnen verbunden …

Berto Lardera (1911-1989), Étreintes [Umarmungen], 1968

Zehn Jahre nach Eröffnung der Villa Domnick, die von Anfang an Wohnung und Sammlung verbinden sollte und heute der Staatsgalerie Stuttgart als Museum angegliedert ist, beginnt das Psychiaterehepaar Greta und Ottomar Domnick mit der Anlage eines Skulpturengartens. Ottomar Domnick hatte als junger Mann eine Lehre bei einem Schmied absolviert, so dass ihm Metall als Werkstoff vertraut war. Dies mag der Grund sein, warum er sich für Skulpturen aus Metall entschieden hat: Cortenstahl, Eisen, Edelstahl und Bronze. Allein Franz Bernhards „Dynamische Figur“ stellt in dieser Hinsicht eine auch nur teilweise Ausnahme dar.

Joannis Avramidis (1922-2016), Große Figur I, 1963

Der griechischstämmige Künstler presst die menschliche Figur abstrahiert in eine Abfolge entsprechender Körperteilein die Vertikale, so dass sie die Geschlossenheit eine Säule annimmt, die abstrahierte Form einer Karyatide.

Volkmar Haase (1930-2012), Vertikal II, 1962

Die vertikale Figuration steht inmitten heller Birkenstämme. Die Skulptur selbst kann als Abstraktion einer aufrechten menschlichen Figur erfasst werden. Auf diese Weise wird durch den Kontrast von Figur und Baum auch eine Nähe in den Blick gerückt.

Volkmar Haases „Aufrichtungen“ reflektieren die menschliche Figur, die in den schön gewachsenen Bäumen reflektiert wird.

Volkmar Haase (1930-2012) alte Stele, 1960 und vertikal II, 1962

Ein Wachsen entlang der Bäume – so drängt der Körper zum Licht – was hinter dem Menschen als Transzendenz des Lebensvollzugs unbestimmt wahrnehmbar wird, wird hier mit Patina vollzogen.

Scheitern und Gelingen sie gehören zusammen die Spirale des Lebens wird von Brüchen begleitet – im Park begleiten die Bäume die Werke der Künstler – abstrakte Lebens- Entwürfe was geschah und was geschehen könnte.

Berto Lardera (1911-1989), Étreintes [Umarmungen], 1968 (Foto S.27)

Die abstrakte Skulptur verweist durch den Titel auf seinen figurativen Ursprung. Überhaupt stehen alle Skulpturen des Parks im Kontext der Bäume. So kommt es zu einer Spannung, die mit Leichtigkeit Mensch und Baum in einen Bezug setzt, sie miteinander zum Schwingen bringt, was in den verschiedenen Jahres- und Tageszeiten unterschiedliche Assoziationen wecken kann.

Auch gibt es Darstellungen, die sich von der Figuration als solcher entfernen und doch an die menschliche Figur, ihren Lebensweg, ihr Schicksal anknüpfen wie die des eine Generation jüngeren Franz Bernhard (1934-2013), der mit seiner „Dynamischen Figur“ (1982) die menschliche Gestaltvöllig in einer einzigen Bewegung verknappt. Durch einen Wechsel des Materials von Cortenstahl auf Bangossiholz wird ein Bruch in der dargestellten Lebensgeschichte noch verstärkt.

Der Übergang von der noch im Kern erhaltenen menschlichen Figuration führt zu Skulpturen, die an den Lebensweg eines Menschen anschließen wie in der fast klassischen Form von Bernar Venet, der die jüngste Arbeit in dieser letztlich auf den Menschen bezogenen Gesellschaft von Skulpturen beigesteuert hat. Ähnliches deutet sich in Alf Lechners „Verformung“ an, die auf Konflikte, Brüche im Leben verweist.

Bernar Venet (*1941): Ligne indéterminée [Unbestimmte Linie], 1985

Unbestimmte Linie

Ein Kreisen der Linie unbestimmt und doch sich nähernd der Spirale. Das Zirkuläre der Lebensjahre, die größer oder kleiner unserer Erfahrung entsprechen – wo ist der Anfang? wo das Ende? Wesentlich wohl das InsichRuhen das Sich-Öffnen für das Leben in der Zeit.

Alf Lechner (1925-2017): Verformung, 1977

Aufstieg und im Abstieg die Verformung der Einbruch der bewältigt werden muss das Scheitern das erneut zur Bewältigung des Lebens zum Gelingen führen kann.

Alf Lechner (1925-2017): Verformung, 1977

Bei Oberensingen, nahe der Villa Domnick

Ein kahler Stamm gebeugt, streckt den einzig verbliebenen Ast in die andere Richtung als wolle er so ein Gleichgewicht halten und schickt nun junge Zweige nach oben ins Licht – so wird aus einem Ende ein neuer Beginn –so bricht Hoffnung auf aus den Bäumen.

Bäume der näheren Um- gebung

Früh im Jahr scheinen die Bäume zu tanzen befreit von Laub und Früchten sind sie ganz Stamm und Bewegung – sie nehmen die Gestik ihrer Nachbarn auf machen ihre Schatten zum Partner – andere verharren still bei sich in ihrer Struktur.

Beim Fernsehturm in Stuttgart

Rinde der Bäume – voller Schuppen und Male – Fingerabdrücke, die Eigenart bezeugen, Menschliches vermitteln.

Ein morscher Baumstumpf zerfasert, zerschlissen und ein alter Stamm mit zerstörter Borke – sie ragen aus dem verdorrten Laub vom Vorjahr – und drum herum üppig blühend: weiße Anemonen.

Noch unbeschattet der Waldboden – Blüten treten zart ins Licht.

(Haiku)