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Der Goldene Schnitt Teil II Kunst und Architektur Das Bauhaus, seine Vorläufer, seine Strömungen Im 20. Jahrhundert kommt es zu einer Erneuerung, die sich wieder auf die Geometrie beruft. Die Grundformen von Kreis, Quadrat und Dreieck sind geradezu das Logo des Bauhauses. Es hat nur eine kurze Zeit existiert. Seiner Konzeption gehen andere Strömungen voraus. Sie alle wenden sich gegen den Historismus, der die alten Stile wiederbeleben will. Künstlerfürsten wie Lenbach und Stuck stehen am Scheideweg. In England ist die Arts-and-Crafts-Bewegung ein Impuls. Der Jugendstil ist eine Bewegung, die in europäischen Ländern zu unterschiedlichen Formen führt und unterschiedliche Namen annimmt: den Modernisme von Gaudì in Barcelona, Eisenstein in Riga, Lalique und Mucha in Paris, die Secession und die Wiener Werkstätten in Wien, die Mackintoshs in Glasgow, die Mathildenhöhe in Darmstadt. Das Bauhaus wächst aus der Arts-and-Crafts-Bewegung. Auch die geometrische Fraktion des Jugendstils kann als Vorläufer betrachtet werden. Die Reformbewegungen der Zeit spielen herein wie die esoterischen Bewegungen der Theosophie, ergänzt von der Reformpädagogik, die sinnliche, ganzkörperliche Elemente wie den Tanz einbezieht. Schlemmers Triadisches Ballett gehört zum künstlerischen Bereich, der immer mitgedacht werden muss, wenn wir an Bauhausmeister wie Feininger, Klee und Kandinsky denken, die schwerpunktmäßig in Teil III besprochen werden. Was wollte das Bauhaus? Eine von der Kunst herkommende Richtung sollte mit der handwerklichen Seite kombiniert werden. Der Künstler sollte dem Handwerk dienen, der Handwerker dem Künstler. Das Gesamtkunstwerk wird angestrebt. Die industrielle Entwicklung, neue Materialien kommen hinzu. Viele Impulse, was Architektur und Kunst betrifft, gehen vom Bauhaus aus in die Welt, bis zum heutigen Tage. Doch gibt es auch andere Strömungen in der Architektur des 20. Jahrhunderts, die in Teil II zur Sprache kommen.
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Seitenzahl: 189
Für Siegfried, meinen treuen Reisegefährten
Vorläufer zum Bauhaus
Historismus und die Malerfürsten von München
Franz von Lenbach
Franz von Stuck
Vom Historismus zum Jugendstil
Antonio Gaudí
Riga und der Jugendstil
Prager Jugendstil
Alfons Mucha und Paris
Arts-and-Crafts
-Bewegung / England
Wien: die
Werkstätten
und die
Secession
Otto Wagner
Adolf Loos
Richard Neutra
Glasgow School of Arts
und Charles Rennie Mackintosh
Darmstadt – Mathildenhöhe
Joseph Maria Olbrich
Peter Behrens
Art Déco
Kasimir Malewitsch und der Suprematismus
El Lissitzky
Farbfeldmalerei –
De Stijl
-Bewegung
Gerrit Rietveld
Theo van Doesburg
Exkurs: Die Gegenbewegung der „
Amsterdamer Schule
“
Piet Mondrian
Der Weg zum Bauhaus
Henry van de Velde
Architektur am Bauhaus
Walter Gropius
Haus Sommerfeld
Baukastenprinzip
„Haus am Horn“
Meisterhäuser in Dessau
Bauhausgebäude
Hannes Meyer
Mies van der Rohe
Richard Neutra
Unterschiedliche Strömungen am Bauhaus
Theo van Doesburg versus Johannes Itten
Lázló Moholy-Nagy
Lucia Moholy
Josef Albers
Annie Albers
Marcel Breuer
Frauen am Bauhaus
Gunta Stölzl
Lilly Reich
Benita Otte
Otti Berger
Marianne Brandt
Alma Buscher
Andere, auch gegenläufige Architekturprojekte
Frank Lloyd Wright
Le Corbusier
Otto Niemeyer
Frank O. Gehry – Richard Serra – Louise Bourgeois
Freudenreich Hundertwasser
Rudolf Steiner
„Die ganze Welt ein Bauhaus“
Im späten 19. Jahrhundert gilt München als ein zentraler Ort der Kunst. Diesen Mythos verdankt die Stadt nicht zuletzt Franz von Lenbach. Er kommt aus relativ einfachen Verhältnissen und erhält eine Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste in München, die seit 1808 besteht. Großherzog Carl Alexander von Weimar macht ihn 1860 zum Professor an der Weimarer Großherzoglichen Kunstschule, der Schule, die 1919 mit der Kunstgewerbeschule von van de Velde zum Bauhaus zusammengelegt wird. Er ist dort zusammen mit Arnold Böcklin, mit dem es aber später zum Bruch kommen wird. 1862 verlässt er Weimar. Er hat das Gefühl, sich noch weiterbilden zu müssen. Er geht nach Italien und widmet sich dem Studium Alter Meister, offenbar mit großem Gewinn, denn zurück in München wird er in den 1870er Jahren zum gefeierten Porträtmaler. Er malt sowohl den Kaiser als auch Otto von Bismarck, er formt das Gesicht der höheren Gesellschaft der Zeit. In einem Porträt des Architekten Gottfried Semper zeigt er die Ambivalenz eines schwierigen Charakters. Er verfügt offenbar schon sehr früh über psychologische Einsichten, die in die Zukunft weisen. Die Großen der Gesellschaft gehen in seinen Räumen ein und aus. Sein Malstil entspricht dem der Alten Meister. Er orientiert sich an Tizian und Veronese, vielleicht noch mehr an den Niederländern, an Rubens. Auch bedient er sich schon der Fotografie als Vorlage für seine Porträts, die die Individualität betonen.
1875-1876 bereist er mit Hans Makart, dem Wiener Maler, Ägypten. In seinen Räumen im Lenbachhaus hängt ein Porträt eines Arabers und ein Gemälde, das das Interieur eines Palastes in Kairo zeigt: sehr exotisch anmutende Bilder, die den Vorstellungen der Zeit entsprechen.
1887 heiratet er die Gräfin Magdalena Moltke. Mit ihr hat er eine Tochter, die vielgeliebte Marion. Doch kommt es 1896 zur Scheidung, Marion bleibt beim Vater, die jüngere Tochter geht mit der Mutter. Im selben Jahr heiratet er in zweiter Ehe Charlotte (genannt Lolo) von Hornstein. 1899 wird ihnen die Tochter Gabriele geboren, die in die Verlegerfamilie Du Mont einheiraten wird. Zu Lenbachs Freunden gehören die Maler Hans Makart und Friedrich August von Kaulbach, das Ehepaar Cosima und Richard Wagner, sein Lehrer an der Akademie Friedrich Piloty und der Schriftsteller und Nobelpreisträger Paul Heyse. Lenbach selbst wird mit seiner inszenierten Lebensweise zum Malerfürsten, eine Stellung wie sie etwas später auch Franz von Stuck für sich in Anspruch nehmen wird.
Im Jahr der Heirat, 1887, beginnt Lenbach mit dem Bau eines der italienischen Renaissance nachempfundenen Palastes. Es ist die Zeit des Historismus, in der die Stile der Vergangenheit ins 19.Jahrhundert übertragen werden. Schon 1885 verkündet er nicht gerade bescheiden: „Ich gedenke, mir einen Palast zu bauen, der das Dagewesene in den Schatten stellen wird; die machtvollen Zentren der europäischen großen Kunst sollen dort mit der Gegenwart verbunden sein.“ In unmittelbarer Nähe zum Königsplatz und den Propyläen, direkt an der Straße, die von der königlichen Residenz nach Schloss Nymphenburg führt, wird die Villa entstehen, die er in Zusammenarbeit mit dem damals renommierten Architekten Gabriel von Seidl verwirklicht. Auch die staatlichen Kunstsammlungen sind in unmittelbarer Nähe. Die Anlage orientiert sich an toskanischen Villen. Im Zentrum steht der Wohntrakt mit Mittelrisalit, zu dem von zwei Seiten eine Treppenanlage empor führt, darüber ist ein Balkon, von dem Otto von Bismarck 1890 die Ovationen der Bevölkerung entgegengenommen haben soll. Daneben steht der als erstes entstandene prachtvolle Flügel des Ateliergebäudes. Beide Gebäude werden 1900 miteinander verbunden. 1927 wird ein weiterer Flügel hinzugefügt, der das Bauwerk zu einer herrschaftlichen Dreiflügelanlage werden lässt.
Heute sind einige Räume der Beletage der Villa renoviert (1996) und so hergerichtet, dass der Besucher einen Eindruck erhält von der Pracht der ehemaligen Künstlerresidenz. Es ist Gründerzeit. Es herrscht ein üppiger Dekorationsstil mit historischen Versatzstücken, und dennoch erhält er eine ganz spezielle Prägung, die der Persönlichkeit des Künstlers entspricht. Im Gegensatz zu dem meist rückwärtsorientierten Blick wird hinter den Kulissen ein für die damalige Zeit ungewöhnlich funktionaler Ansatz verfolgt. Es gibt Elektrizität, und die Räume werden von einer Dampfheizung bedient, zudem gibt es Badezimmer und ein Fotoatelier. Die neue Technik der Fotografie wird vom Hausherrn für seine Gemälde benutzt, was auch für das zu besprechende Familienporträt zutrifft. Davon abgesehen steht Lenbach der neuen Kunst, die sich nach der Jahrhundertwende anbahnt, äußerst reserviert gegenüber.
Zwei Frauenporträts sind auffallend positioniert, wovon eines die Gemahlin seines jüngeren Kollegen Franz von Stuck, Mary Stuck (geb. Lindpainter), aus dem Jahr 1898 darstellt, im Profil, dem Eingangsportal zum Grünen Raum zugewandt, das andere etwas nachdenklicher vielleicht, doch so, als hüteten sie beide die Schwelle zum privatesten Raum mit dem familiären Hausaltar der von Lenbachs, den Laren, den römischen Hausgöttern, nachempfunden. Zum Grünen Raum führt eine ganz besondere Pforte aus Balken mit zarten Schnitzereien, seitlich floral und in der Höhe von einem Figurenfries geschmückt. Der Besucher passiert eine hybride Wächterfigur im Profil, einen geflügelten Löwen in der Funktion einer Karyatide, und steht dann dieser Wand gegenüber, die frei dem Aufbau eines Altars folgt. Auf einer Truhe mit Stuckdekor, die in der ersten Hälfte des 15.
Grüner Raum im Lenbachhaus in München
Jahrhunderts in der Toskana gefertigt wurde, steht die Büste des Matteo Palmieri, ein Gipsabdruck des Originals von Antonio Rossellino (heute im Bargello) ebenfalls aus dem Florenz des 15. Jahrhunderts. Die Büste erinnert in ihren Umrissen schon an solche von Giacometti. Flankiert wird die Truhe von einer japanischen Deckelvase aus der Meiji-Zeit (1868-1912), gefirnisst im chinesischen Stil, und einer antiken Amphore aus der Zeit um 345 v.Chr. Über dem zentralen Gemälde hängen das Porträt von Lenbachs Mutter (1864) und ein Porträt eines Mannes aus der zweiten Hälfte der 1880er Jahre. Doch was den Besucher sofort gefangen nimmt, ist das zentrale Bild. Es weist eine für diese so sehr auf Repräsentation ausgerichtete Zeit ungewöhnliche Struktur auf. Fast möchte man an ein Selfie denken, so spontan erscheint ihr Aufbau, und in der Tat gibt es drei fotografische Vorlagen für das Gemälde. Judith Milberg fühlt sich, ähnlich wie wohl die meisten Besucher, von diesem letzten Familienporträt angezogen, das Franz von Lenbach 1903, ein Jahr vor seinem Tod, gemalt hat.
„Von links beugt sich der Malerfürst Franz von Lenbach zu seiner Familie, er stellt sich dazu, so als hätte er soeben den Selbstauslöser einer Kamera bedient, und fixiert gespannt die Linse. Rechts neben ihm - als zentraler Blickfang - sieht man im roten Kleid mit Pelzkragen seine Tochter Marion aus erster Ehe, gemalt wie eine entrückte präraffaelitische Schönheit. Sein oft gemaltes und innig geliebtes Kind wurde ihm nach der Scheidung zugesprochen. Schräg über Marion sieht man ihre Stiefmutter Lolo von Lenbach, auch im Pelzchen, die eng an sich gezogen, die gemeinsame Tochter Gabriele umarmt. Fast hat man den Eindruck, als wende sie sich von der restlichen Familie ab. Eine klassische Patchworkfamilie?“ 1
Die Mutter drückt das eigene Kind hingebungsvoll an sich, während sie ihrer Stieftochter gegenüber Distanz wahrt. Die wird aber vom Vater eindeutig in den Mittelpunkt des Bildes gerückt. Dennoch bilden die drei Frauen eine Einheit. Lenbach selbst beugt sich zu ihnen herab, wird aber nicht wirklich Teil der Gruppe, bleibt außerhalb. Es ist aber doch wohl so, dass er sich dazugehörig sehen möchte. Andererseits steht auch Marion, die Tochter aus erster Ehe, ganz für sich. Wahrscheinlich ist dies das modernste Bild, das Lenbach je gemalt hat.
Die Räume, wie sie sich heute zeigen, sind Repräsentation. Außer in diesem letzten Familienbild wird nirgends eine Geschichte erzählt. Ornamentierte Tapeten in Rot, Gold und Grün, Balkendecken, Kassettendecken, geschnitzt, bemalt mit Medaillons. Die gezeigten Porträts in prunkvollen, vergoldeten Rahmen. Originale, oder, wenn die nicht zu erwerben waren, Kopien, von antiker Kunst, aus dem Mittelalter, der Renaissance – Sammelobjekte, die Lenbach von seinen Reisen mitgebracht hat. Eine weitere Nische, hervorgehoben durch einen vergoldeten und ornamentierten Bogen, von geriffelten Pilastern getragen, davor ein quadratischer Tisch mit großen Muscheln aus exotischen Gewässern an der Stelle eines Altartisches. Darunter befindet sich eine Nautilusmuschel, deren spiralige Windungen annähernd der Goldenen Spirale entsprechen und die damit einen Bezug zur Schöpfung aufweist: Der Künstler stellt sich in ihre Fußstapfen. An der Wand ein prunkvoller ausladender Sekretär, eine Art Altarwand vor der wiederum golden ornamentierten Wand.
Im Vordergrund liegend eine Nautilusmuschel
Aber nicht nur die Renaissance, auch das Mittelalter spielt herein: ein Flügelaltar, der von Lenbach in dieser Form zusammengestellt wurde. In der Mitte die thronende Gottesmutter mit Kind, aus Oberitalien, um 1440. Auf den Flügeln eine Heilige Barbara und ein Heiliger Joseph, aus Antwerpen, um 1520. Ein großer Gobelin zeigt eine höfische Jagdgesellschaft, vom Beginn des 15. Jahrhunderts, eine bemalte Holzfigur den Heiligen Martin, aus dem oberschwäbischen Raum. Möbel aus verschiedenen Jahrhunderten: ein prächtiger barocker Hocker aus dem späten 17. Jahrhundert. Und dann sind da die Porträts der Großen der Zeit, Bismarck und Kaiser Wilhelm II., alles, was Rang und Namen hat, lässt sich von ihm malen. In seinen Selbstporträts betrachtet er sich ernst und kritisch. Altmeisterlich dunkel entsprechen sie den Erwartungen seiner Zeit. Erst ganz spät lichtet sich seine Palette wie im besprochenen letzten Familienbild. „Wir müssen uns in der Technik auch stets daran erinnern, dass wir nur sehr mangelhaftes Material haben. Wir können nicht Licht auf unsere Paletten spritzen, sondern eben nur Farben.“ Franz von Lenbach
Wie Franz von Lenbach stammt der eine Generation jüngere Franz von Stuck aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater ist Müller. Doch zeigt er offenbar früh Talent, so dass er von 1878 bis 1881 Unterricht an der Kunstgewerbeschule in München bekommt, worauf er für vier Jahre an die Akademie der Bildenden Künste wechselt. Schon 1889 kann er ein eigenes Atelier in der Theresienstraße beziehen. Drei Jahre später gehört er zu den Gründungsmitgliedern der Münchner Secession, der ersten Abspaltung von den Konservativen. Im Jahr darauf malt er sein wohl berühmtestes Bild, „Die Sünde“, ein Exemplar davon wird in der Villa Stuck hängen. Seine Karriere entwickelt sich rasch. Schon 1895 wird er im Alter von 32 Jahren selbst zum Professor an der Münchner Akademie ernannt. 1897 heiratet er eine Arztwitwe, ursprünglich aus schottischem Hause, Mary Lindpaintner (1866-1929). In der Prinzregentenstraße 60 über der Isar entsteht nun die Villa Stuck, die er nach eigenen Vorstellungen ausstattet. Die von ihm entworfenen Möbel werden 1900 auf der Weltausstellung in Paris ausgezeichnet. Paul Klee und Wassily Kandinsky sind zu der Zeit seine Studenten. 1902 gestaltet er sein Künstleratelier neu. Es wird zum Zentrum, vergleichbar mit dem Grünen Raum in der Lenbach-Villa. 1904 folgt eine Reise nach Griechenland. Inzwischen hat sich die Zeit geändert. Neue Strömungen in der Kunst kündigen sich an. Der renommierte Kunstkritiker J. Meier-Graefe kritisiert Stuck scharf in seiner „Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst“. 1905, ein Jahr nach dem Tod Franz von Lenbachs, erhält auch Stuck das Adelsprädikat. Zu Beginn des 1. Weltkriegs entsteht ein Maler- und Bildhaueratelier neben der Villa. Als nach dem Krieg die Räterepublik in München ausgerufen wird, kommt Stuck in Geiselhaft. 1928 stirbt dieser Malerfürst in München, ein Jahr später folgt ihm seine Gemahlin.
Der neoklassizistische, palastartige Bau der Villa Stuck soll zunächst Wohnhaus und Atelier vereinen. Es vereint in höherem Maße Leben und Kunst eines Malerfürsten, als das in den wiederhergestellten Räumen im Lenbachhaus möglich ist. Es ist Selbstdarstellung in einem Gesamtkunstwerk wie es mit völlig anderer Absicht und geradezu gegenläufigem Resultat vom Bauhaus angestrebt wird. Und doch unterscheidet sich diese Villa von der älteren Lenbachs durch eine geradezu spielerische Leichtigkeit und Eleganz. Klassizismus wird durch Jugendstilelemente ausgehebelt, aber recht eigentlich durch das individuelle Kunstverständnis des Malers, Grafikers und Bildhauers selbst. Auch hier mischen sich Zeiten und Orte. Der Besucher hat Anmutungen, die sich mit der Antike, mit Byzanz, dem Orient und der Hochrenaissance verbinden und doch eine ganz eigene Note anklingen lassen.
Das Haus selbst ist ein Kubus mit vier turmartigen Eckrisaliten. Zwei geschwungene Auffahrtsrampen führen zum bronzenen Eingangsportal, das ein Medusenhaupt schmückt. Ein mächtiger dorischer Säulenportikus überdacht den Eingangsbereich und schafft zugleich eine Terrasse für das Atelier. Der später angebrachte Stuck zeigt einen Dekor aus schlichten Rechtecksfeldern. Es sind hier Ansätze zum geometrischen Stil vorhanden, der allerdings nicht eine Erfindung des Bauhauses darstellt. Der Abguss der Kapitolinischen Wölfin, wie auch andere Kopien antiker Statuen und Reliefs zeugen von der Antikenbegeisterung des Hausherrn.
Hinter der Bronzetür liegt das Vestibül, das sich elegant und zurückhaltend präsentiert. Eine der Antike nachempfundene Ornamentik schwarzer und ockergelber Linien, ein umlaufender Spiralfries und der geometrische Stil der Kassettendecke geben den Rahmen für zwei Figurennischen und mehrere Kopien antiker Reliefs, von Stuck farbig getönt. Das Standbild des jugendlichen Siegers Idolino steht der Nische der Göttin Venus von Medici (Uffizien) gegenüber, die auf Franz und Mary von Stuck verweisen. Symbolisch soll dies den Gast einer von Geselligkeit und Gastfreundschaft geprägten Feierstimmung entgegenführen, die dem griechischen Symposion gemäß auch Schauspiel, Tanz und Trunk beinhaltet. Der eigentliche Empfangssalon empfängt den Besucher in warmen Farben - roter Marmor und Goldmosaik. Man hat die Atmosphäre dieses Raumes mit den Apsiden byzantinischer Kirchen verglichen. Der Anspruch dieser Kunst hat in der Tat etwas Religiöses. Die Feierlichkeit wird verstärkt durch die breite Spiegelwand des Fensters, das in lauter kleine Quadrate unterteilt ist, die das Blau der Kacheln mit dem Goldmosaik des Fußbodens und dem elektrischen Licht aus der Oberzone lebendig gestalten, den Himmel indirekt in den Raum holen, das Außen ins Innere reflektieren. In diesem Raum bestechen die Möbel, die mit ihrer Leichtigkeit und Eleganz doch appliziert sind mit etruskischen Löwenköpfen und Koren aus feuervergoldeter Bronze, elfenbeinartigen Intarsien und Seidendamastbespannung. Damit hat sich Stuck eine Goldmedaille in Paris verdient.
Villa Stuck: Empfangsraum
Vom Empfangsraum fällt der Blick durch einen Zwischenraum zum Boudoir der Dame des Hauses. Aber dieser Zwischenraum mit seinem kassettierten Tonnengewölbe erscheint adäquat für die Unterbringung der Bibliothek Stucks, abgetrennt durch einen roten Vorhang.
Musiksalon
Einen Höhepunkt stellt auch der Musiksalon als Pendant zum Empfangssalon dar. Er wurde nicht nur von Stuck entworfen, sondern auch ausgemalt. Der Raum wirkt als Bühne, wird umgeben von einer Wandgestaltung, die an pompejanische Wandmalereien des vierten Stils erinnert. Stuck hatte auf seiner Italienreise 1897 auch Pompeji gesehen. Die Wand am Eingang zum Speisesaal im zurückliegenden Teil des Hauses wird von Orpheus mit der Lyra thematisch bestimmt. Hier füllen Tiere die Farbfelder aus. Im Giebel oben spielt Orpheus die Lyra. Im Zentrum oben der Text: „Wenn Orpheus sang, dann kamen die Thiere [sic!] der Erde, die Vögel der Luft, die Fische im Wasser und lauschten.“ Die Wand gegenüber gehört mit dem Hirtengott Pan der dionysischen Sphäre des Tanzes. Damit werden die Gegensätze des Apollinischen und des Dionysischen beschworen. Während das Apollinische für Form und Ordnung steht, das Geistige, verweist das Dionysische auf Rauschhaftigkeit und alle Grenzen sprengende Schöpferkraft. Und so ist die Welt des Orpheus wie ein Altar in Hausform mit geometrischen Feldern strukturiert, während die Welt des Pan das eigentliche schöpferische Welttheater zu symbolisieren scheint. Rauschhafter Tanz ist der gemalte Inhalt der Farbfelder, Blau ist die Basisfarbe, die überführt in die dunkelblaue Nacht des Sternenhimmels. Über dem blauen Raum scheint dann doch die Sonne in Form einer Glühlampe. Die Milchstraße ist verbunden mit den Sternzeichen, einem Kometen – Astronomie mit Astrologie. Stuck hat hier ein kosmologisches Weltbild gestaltet, die „Sphärenharmonien“ des griechischen Philosophen und Mathematikers Pythagoras (um 570 – nach 510 v.Chr.) nachempfunden. Nach ihm verhalten sich die Abstände der Planeten zueinander wie die Harmonien der Musik. Sie folgen denselben mathematischen Gesetzmäßigkeiten.
Im lichten Treppenhaus hat sich die Antike mit der feinen Zeichnung eines floralen Jugendstils verbunden. Der Treppenaufgang zum Atelier war einst eine Gemäldegalerie alter Meister. Über dem Eingang zum Atelier vier antike Reliefs, die Stuck farbig gefasst hat, als hätte er die Polychromie der griechischen Kunst schon geahnt.
Das Atelier bekommt 1914/15 ein eigenes Gebäude, das sich direkt an das Wohnhaus anschließt. Das ‚Alte Atelier’ wird damit einer anderen Funktion zugeführt. Es wird für Feste genutzt und dient auch als Ausstellungs- und Verkaufsraum, ist private Galerie für Werke des Hausherrn. Die Lage im Zentrum des Hauses mit Blick über den geräumigen Balkon auf die Prinzregentenstraße gibt dem größten Raum des Hauses ein repräsentatives Ambiente. Große Einladungen finden hier statt. Eine blau gefasste Kassettendecke mit goldenen Sternen und Rosetten greift auf ein Ornament zurück, das auch in kleinen Dorfkirchen (wie in Benz auf Usedom) zu finden ist, hier aber herrschaftlicher daherkommt. Die Brüsseler Tapisserien sind heute durch Reproduktionen ersetzt. Der von Stuck gemalte Fries, unter dem sich ein früheres Spiralornament verbirgt, greift das Wappentier des Malers auf, den Kentaur mit geballten Fäusten, sowie Themen der Wildheit und Triebhaftigkeit dieses Mischwesens. Der Fries, der sich auch über den „Altar der Sünde“ schiebt, verweist auch auf das um die Jahrhundertwende brisante Thema des Geschlechterkampfes. Der kommt auch in Stucks Skandalbild der „Salome“ (1906) zur Darstellung, der „femme fatale“ des Jugendstils. Der „Altar der Sünde“ wird vom seitlichen großen Fenster zum Garten hin hell erleuchtet. Er erhält im Kontrast zum Dämmerlicht des übrigen Raumes das meiste Licht. Hier nimmt Stucks zweites Skandalbild „Die Sünde“ (vor 1906) die Stellung des Altarbildes ein. Mit dem tempelartigen Rahmen aus Marmor erzeugt Stuck eine dramatisierte Version des
„Altar der Sünde“ in der Villa des Malerfürsten Stuck
Sündenfalls. In den drei darunter liegenden Goldmosaiknischen stehen, anstelle einer Predella, Stucks „Tänzerin“ (Bronze, 1897/98, Guss nach 1906) mit den Zügen seiner Ehefrau Mary und der „Athlet“ ((Bronze, 1893, Guss nach 1911) als Selbstporträt Stucks. Die Mitte bildet ein römischer Knabenkopf des 1. Jahrhunderts n.Chr. aus Marmor. Der Altar steht damit in der Tradition europäischer Künstleraltäre des 19. Jahrhunderts, die die Kunst in den Bereich der Schöpfung stellen und damit in einen quasireligiösen Kontext. Hier ist der Altar der Kunst und dem Eros geweiht. Auch hier wie bei Lenbach Meeresschnecken und eine Nautilusmuschel, der Hinweis darauf, dass der Künstler sich in den Schöpfungsprozess einbezieht. 2
Der Jugendstil ist aus dem Historismus, dem Eklektizismus erwachsen, eine Übernahme von Formen und eine Suche nach Neuem. Überliefertes wird kopiert und doch zunehmend verändert, neu arrangiert. Stilistische Übernahmen werden miteinander verbunden. So wird in korinthischen Kapitellen, das Blatt des Akanthus durch Eichenlaub ersetzt. Die Gotik wird übernommen in Fensterfassungen, geschnitzte Friese wie sie im Chorgestühl der Kirchen zu finden sind, werden nun auf das Mobiliar des Bürgertums übertragen. Der Drache wird zum beliebten Motiv, wobei man an die Türrahmen norwegischer Stabkirchen erinnert wird. Maurisches taucht auf in den Rundbögen der Fenster, die in ein Rechteck gefasst sind, in Fenstergittern und den vielfältig verwendeten Bögen. Barockes führt zum Runden, Bewegten, zum Überschwappen des Figurativen, das nun aus dem Rahmen fallen darf. Die Symmetrie wird beibehalten und gleichzeitig umspielt. Neu ist das Abbilden von Natur. Das Wachsen und Keimen wird aufgenommen, daneben das römische Erbe in Girlanden und Rosetten, das archaische, durch die Zeiten wandernde Motiv des Lebensbaums. Aber nun fließen Blumenstängel und die Haare der Frauen, die Grafik des Jugendstils entflammt. Geometrisch Stilisiertes erscheint mit diesem freien floralen Gestalten durchaus vereinbar.
Modernisme, Jugendstil in in Barcelona
Antoní Gaudí, Casa Mila
Antoní Gaudí
„La Pedrera“
Casa Milà
Eine gigantische Wabe
ein Bienenstock
eine Ameisenburg, die sich öffnet
voller Leben
ständig in Bewegung
ein Wogen von Dünen und Meer
der Natur abgelauscht –
in ständiger Metamorphose
knisterndes Blätterwerk
zwischen frühlingshaftem Knospen
und herbstlichem Sich-Aufbäumen –
Flechten von bizarrer Größe
Morcheln schillernd zwischen dunkel und licht –
organisches Wachsen
konvexer und konkaver Formen
Auskehlen und Einhöhlen
Vor- und Zurücktreten
Metamorphosen lebendiger Wesen.
[…]
Erstaunlich die Funktionalität
der bewohnbaren Räume
das Lichte, das in organischen
Formen Gestaltete, das Amorphe
eines Türgriffs mit Geometrie
sich paarend.
Casa Batlló, Passeig de la Gràcia 43 von Antoní Gaudí y Cornet (1904)
Die der Gotik entlehnten Formen
des Nachbarn kontrastieren
mit knospenden Gräsern
und der Leichtigkeit
von Fledermausflügeln
duftig vor die Fassade gesetzt.
Muschelbalkone sich wölbend
blicken mit großen Augen –
Karnevalslarven und Konfetti
suggerieren ein fröhliches Fest.
Blau die runden Scheiben
wirbelnder Spiralen,
ein Seesternkreisen
unter dem sich der Himmel spiegelt.
Auch drinnen dominieren die Farben
blauen Wassers mit Eichen-brauner Erde.
Holz, wie Ton modelliert, den Formen
der Natur folgend – alles erscheint
ineinander verfugt.
Carrer de Mallorca 401, Antoní Gaudí y Cornet und Francesco de Paula del Villar y Lozano (1882ff)
Der Innenraum wird 2010 fertig gestellt und ist zusammen mit der im Ganzen noch von Gaudí vollendeten Ostfassade Unesco-Weltkulturerbe.
Sie ist als Sühnekirche geplant und wird ausschließlich mit Spendenmitteln erbaut. Im November 1883, im Alter von 31 Jahren, übernimmt Gaudí die Bauleitung. Er steht damals der Kirche eher skeptisch gegenüber. Die Krypta ist weitgehend noch Werk seines Vorgängers, auch will Gaudí dessen neugotischen Ansatz nicht weiterführen. Seine Zeichnungen entsprechen weniger genauen Plänen als Visionen, sind Utopien einer Raumskulptur.
Die Türme erscheinen von weitem wie von riesigen Händen aus Lehm geschaffen – als Akt eines überdimensional arbeitenden Schöpfers.
Die Türme sind rotierende, der Parabel angenäherte, plastische Formen, gotisch himmelstrebend, spiralig kreisend. Zwölf Türme sollten es werden und auf die zwölf Apostel verweisen. Vier sollen sich über jeder der vier Hauptfassaden erheben. Ein zentraler Turm in der Mitte kommt hinzu, der Christus symbolisieren soll, mit einem großen Kreuz auf der Spitze. Symbolik hat für Gaudí einen hohen Stellenwert, seine Formen sind durchdrungen von der biblischen Botschaft. So bildet das Kreuz auch die Basis des Grundrisses.