Dreams so golden - Sophia Como - E-Book
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Sophia Como

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Beschreibung

Wenn Social Media auf die Welt der Bienen trifft: Eine Wohlfühl-Romance über Selbstfindung und die Liebe zur Natur. Für Fans von Kathinka Engel und Kira Mohn »Manchmal muss man erst hinfallen, um einen Neuanfang zu wagen. Und manchmal nennt sich dieser Neuanfang auch Liebe.« Die Bloggerin Amelia ist frustriert – erst verliert sie ihren Praktikumsplatz, dann muss sie sich eingestehen, dass ihr geliebter Instagramblog keine Zukunft hat. Sie flüchtet aus München in ein kleines Schweizer Dorf, in dem ihre Eltern eine Imkerei betreiben. Umgeben von Bergen, sattgrünen Wiesen und dem Summen tausender Bienen erhofft sie sich eine Pause. Wäre da nicht Nick, der Imkerlehrling, der ihr mit seinen blöden Sprüchen und seiner geheimnisvollen Art gerade noch gefehlt hat. Gleichzeitig kann sie in seiner Nähe endlich zur Ruhe kommen. Langsam aber sicher nähern sie sich einander an – doch Nick verschweigt etwas, und das bedroht nicht nur ihre aufkommenden Gefühle ... 

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EPUB

Seitenzahl: 459

Veröffentlichungsjahr: 2023

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Mira Manger

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Sinnhöfer.

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Giessel Design

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Playlist

Kapitel 1

Amelia

Kapitel 2

Nick

Kapitel 3

Amelia

Kapitel 4

Amelia

Kapitel 5

Amelia

Kapitel 6

Amelia

Kapitel 7

Nick

Kapitel 8

Amelia

Kapitel 9

Amelia

Kapitel 10

Nick

Kapitel 11

Amelia

Kapitel 12

Nick

Kapitel 13

Amelia

Kapitel 14

Amelia

Kapitel 15

Nick

Kapitel 16

Amelia

Kapitel 17

Amelia

Kapitel 18

Nick

Kapitel 19

Amelia

Kapitel 20

Nick

Kapitel 21

Amelia

Kapitel 22

Amelia

Kapitel 23

Nick

Kapitel 24

Amelia

Kapitel 25

Nick

Kapitel 26

Amelia

Kapitel 27

Amelia

Kapitel 28

Nick

Kapitel 29

Amelia

Kapitel 30

Nick

Kapitel 31

Amelia

Kapitel 32

Amelia

Kapitel 33

Nick

Kapitel 34

Amelia

Kapitel 35

Nick

Kapitel 36

Amelia

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für meine liebe Frau Rock (ja, du wirst für mich für immer so heißen).

Weil du meine Worte gelesen und geliebt hast, als die große Buchwelt sie noch nicht haben wollte. Weil du an mich geglaubt hast, als ich gezweifelt habe.

Weil du da warst und da bist.

Playlist

Delicate – Taylor Swift

Parfum – LEA (Piano Sessions)

Dreams – Fleetwood Mac

Fields of Gold – Eva Cassidy

Landslide – Fleetwood Mac

September – Taylor Swift

Tenerife Sea – Ed Sheeran

Overpass Graffiti – Ed Sheeran

Leave Your Life – Ed Sheeran

Missing Piece – Vance Joy

Brown Eyed Girl – Imaginary Future

Solange wir fahren – Alex Lys, Madeline Juno

Treacherous (Taylors Version) – Taylor Swift

August – Taylor Swift

Simply the Best – Billianne

Run (Taylors Version) – Taylor Swift, Ed Sheeran

17 – Youth Lagoon

Block Me Out – Gracie Abrams

Warm With You – Hayden Calnin

Apple Pie – Lizzy McAlpine

Meant to Be – Ber, Charlie Oriain

Ceilings – Lizzy McAlpine

Kapitel 1

Amelia

Ich war ein unsortiertes Vielleicht, bestehend aus ganz viel Leider.

Die Nachtlichter der Stadt verschwammen vor meinen Augen. Je unschärfer sie wurden, desto bunter schien das Bild Münchens zu werden, das von hier oben so unbedeutend wirkte. Hastig blinzelte ich eine Träne fort, dann heftete sich mein Blick an goldbeschienene Barockgebäude, neonrote Reklametafeln und das wilde Blinken diverser Imbissbuden.

Obwohl die Nächte in der Stadt schon jetzt im Frühling recht warm waren, wurden meine nackten Arme kalt. Mein Herz auch. Als könnte ich es warm reiben wie meine Arme, legte ich die Hand an meine Brust und rieb darüber. Die Finger meiner anderen Hand krallte ich um mein Smartphone, auf dem die zerstörerischen Worte geschrieben standen.

Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir uns als Agentur gegen eine Vertretung entschieden haben.

Ich sah die in Arial geschriebenen schwarzen Wörter noch immer vor mir. Das Leider hatte in der Zwischenzeit Augen und einen Mund bekommen. Gehässig lachte es mich an. Nun schon das zweite Mal in dieser Woche.

»Leider müssen wir uns im Vorstand noch mal über eine Übernahme besprechen. Vielleicht gibt es ein paar Änderungen. Wir werden auf Sie zukommen«, hatte mein Vorgesetzter vor zwei Tagen am Telefon zu mir gesagt. Er war nur zwei Jahre älter als ich, hatte aber als Juniorchef schon mehr erreicht, als ich mir vorstellen konnte. Mit dieser kryptischen Aussage hatte er mir eigentlich schon offenbart, worauf es hinauslaufen würde. Wenn seine Formulierung bereits so negativ klang, wieso sollten sie sich jetzt noch für eine Übernahme entscheiden?

Ausgelaugt lehnte ich mich an die bodentiefe Scheibe vor mir, die auf dieser Rooftop-Bar als Geländer diente. Darin tauchte mein Spiegelbild auf, legte sich mit müden Augen über die Stadt, die ich seit einigen Jahren mein Zuhause nannte. Schon bevor die ätzende Träne meinen Lidrand rot gefärbt hatte, waren meine Augen blutunterlaufen gewesen, die Haut fahl und trocken, mein Teint fleckig. Deutlich schlechter als jener all der anderen Influencer auf Instagram. Alles an mir war schlechter als alles an anderen Influencern – vielleicht würde ich es daher auch niemals zu etwas bringen. Vielleicht.

Hastig schüttelte ich den Kopf. Nein, scheitern und aufgeben kam für mich nicht infrage. Ich zwang mich, meine Enttäuschung herunterzuschlucken und ein Lächeln aufzusetzen. Niemand sollte merken, dass ich eine Absage bekommen hatte. Niemand sollte merken, dass ich in Wirklichkeit doch scheiterte.

»Ganz ruhig, Amelia, du schaffst das. Du beweist jedem, dass du alles schaffen kannst«, flüsterte ich mir zu, ehe ich ein paarmal tief durchatmete. Schließlich verließ ich den Außenbereich, an dem es so viel ruhiger und angenehmer war, und steuerte den Tisch an, an dem Lana Federica – eine Münchner Influencerin – mit zwei Freundinnen saß.

Vor wenigen Wochen hatten wir uns über Instagram kennengelernt und waren seitdem im Austausch. Mit ihren langen Beinen, die von rostroten Overknees in Schlangenlederoptik umschmeichelt wurden, dem hervorstehenden Kinn, das ihr Profil besonders markant zeichnete, und den sechzigtausend Followern auf Instagram, die meine Community um mehr als das Doppelte übertrumpften, war sie mir um Welten voraus.

Ich wollte mich nicht vergleichen, und doch tat ich es ständig. Wenn ich ein neues Outfitfoto von ihr oder einer anderen Bloggerin sah, kam ich nicht umhin, mich vor den Spiegel zu stellen, meine kleine rundlichere Statur zu mustern und zu denken: hätte, hätte, hätte. Hätte ich auch solche Beine, würden meine Outfitposts vielleicht ästhetischer wirken. Dann hätte ich vielleicht mehr als zwanzigtausend Follower und nun keine Absage der letzten Social-Media-Agentur im Postfach, die noch übrig war. Und vielleicht würde ich dann auch verstehen, weshalb mir all diese Dinge plötzlich so wichtig waren.

»Emilia!«, lallte Lana, bevor ich mich unbemerkt am Rand der runden, mit bunten LEDs beschienenen Couch niederlassen und die restliche Zeit absitzen konnte.

Ich glaubte, dass sie keine Ahnung hatte, wer ich war, wie mein letzter Post aussah und dass ich eigentlich Amelia hieß. In der Welt der Influencer ging es darum, gesehen zu werden und sich zu connecten. Das wusste ich, denn ich wollte in dieser Branche selbst Fuß fassen. Und auch wenn ich Lana schon seit Jahren folgte, ihre Fotos und Outfits wirklich liebte und sie lange Zeit eine Inspiration gewesen war, lag der Grund, weshalb ich diesem Abend mit ihr zugestimmt hatte, nicht lediglich darin, dass sie mir sympathisch war. Um ehrlich zu sein, hatte in meinem Hinterkopf ganz leise und subtil der Gedanke gesteckt, dass ich mich durch ihren Kontakt ebenfalls weiterentwickeln und in der Welt von Instagram weiterkommen könnte. Leider fühlte sich dieses Treffen, das aus viel zu vielem Grinsen, zu vielem oberflächlichen Gerede und viel zu wenigem persönlichen Zuhören bestand, alles andere als natürlich an.

Im Gegensatz zu Lana konnte man mich nicht ausschließlich als Fashion-Bloggerin bezeichnen. Ich war eine Ich liebe alles was schön ist-Bloggerin. Architektur, Inneneinrichtung, Poesie, Wörter, Momente, Kleider und auch Nacktheit, Haut, Kunst auf Haut, Kunst auf Straßenschildern und Menschen, die zu Momenten wurden. Im Großen und Ganzen liebte ich das, was die Natur und der Mensch als Kunst hinterließen. Und meine 20,8 Tausend Follower schienen es auch zu lieben. Doch es reichte nicht. Es reichte nicht, um von einer Agentur unter Vertrag genommen zu werden, es reichte nicht, um meine Mutter davon zu überzeugen, dass man auch mit Instagram sein Geld verdienen konnte. Und langsam reichte es auch nicht mehr, um meine eigene Überzeugungskraft aufrechtzuerhalten, dass dieser Traum alles andere als lächerlich war.

Die letzten Wochen hatte ich mich in den Weiten des Internets viel zu häufig mit anderen verglichen. Ich wusste, dass das kontraproduktiv war, mich noch mehr runterzog, doch mein Drang nach Erfolg, der Wunsch, endlich etwas zu erreichen und es allen beweisen zu können, war so groß, dass ich mich langsam, aber sicher vergaß und immer mehr zu etwas wurde, das gewinnbringend sein könnte.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Lana, woraufhin sich alle Augenpaare auf mich richteten. Ihre beiden Freundinnen saßen dicht neben ihr. Eine hübscher als die andere. Während Melisa braune Haare mit sanften pinken Strähnen darin hatte, schimmerte Rominas Mähne honigbraun. Bei allen dreien saß das Make-up wie eine Eins, während sich meine Foundation durch die Hitze, die in diesem Club herrschte, allmählich verabschiedete. In meinem schwarzen Minikleid, das im Sitzen ständig hochrutschte und das ich nur trug, weil ich ein ähnliches letztens an einem schlanken schwedischen Model auf Instagram gesehen hatte, fühlte ich mich redlich unwohl. Doch irgendwie musste ich mich anpassen, irgendwie wollte ich dazugehören. Zu den modischen Influencer-It-Girls. Da konnten meine geliebten knöchellangen Blumenkleider, die sämtliche Speckröllchen im Sitzen versteckten und in denen ich einfach sein konnte, wie ich war, schlichtweg nicht mithalten.

Seit mir ein Mistkerl im Supermarkt mal den Spruch gedrückt hatte, ich würde darin wie ein Kartoffelsack aussehen, fühlte ich mich sowieso viel unwohler. Eigentlich war mir sein Kommentar egal gewesen, er war mir egal gewesen. Wenn ich mich im Spiegel betrachtet hatte, hatte ich früher immer selbstbewusst und stolz gedacht: nicht dick, aber Pasta-Liebe ist definitiv vorhanden.

Keine Ahnung, wo diese Amelia hin war. Instagram und dessen perfekte Welt hatte sie aufgefressen, denn egal, wie aufgebrezelt ich war – neben Lana und ihren Freundinnen fühlte ich mich mit meinen ein Meter sechzig, den breiten Hüften und der Oberweite, die keine ästhetischen Schlüsselbeine zuließ, irgendwie viel kleiner … viel unbedeutender.

»Ja, ich bin nur etwas müde.«

»Du siehst auch echt nicht so gut aus«, bemerkte Melisa und legte ihre perfekt manikürte Hand auf meinen Oberschenkel. Obwohl sie mir egal sein sollte, schmerzte ihr Kommentar. »Was benutzt du für deine Haut? Du solltest mal umsteigen, dein Glow ist verschwunden.«

Autsch. Eventuell war ich wirklich nicht frisch, nicht glowy genug.

»Also, ich lasse ja nur die Produkte von La Mer an meine Haut«, erklärte Lana, und ich fragte mich, ob sie die Wahrheit sagte. La Mer war eine gute, aber umso teurere Kosmetikmarke. Eine Feuchtigkeitscreme begann bei fünfundneunzig Euro, und solche Marken sahen auf Instagram-Fotos zwar immer extraästhetisch aus, doch ob man sie regelmäßig benutzte und nachkaufte, wagte ich zu bezweifeln. Zu oft gaukelte man anderen online etwas vor. Ich wusste das – und trotzdem hörte ich nicht auf, mich damit zu vergleichen.

In diesem Moment wackelte das Polster neben mir. Überrascht drehte ich mich um und realisierte, dass sich ein dunkelhaariger, hochgewachsener Typ grinsend neben mich gesetzt hatte. Auffordernd hielt er mir ein Glas Gin Tonic hin. Ich winkte mit einem Lächeln ab.

»Amelia, oder?«

Fast schon dankbar, dass wenigstens er, von dem ich keine Ahnung hatte, wer er war, meinen Namen richtig aussprach, nickte ich.

»Ich bin Lars, ein Freund von Lana, freut mich.« Sein dichtes Haar war nach hinten gestylt, und nur eine einzelne Strähne hing ihm locker in die Stirn. Das kleine Polo-Pferd auf seinem weißen Hemd verriet, dass es von Ralph Lauren stammte. Sicherlich hatte er die Knöpfe mit Absicht offen gelassen, damit man einen perfekten Einblick auf seine muskulöse Brust haben konnte, die sich darunter abzeichnete. Auch wenn er äußerlich ganz und gar nicht mein Typ war, er ein geheimes sechstes Mitglied der Elevator Boys sein könnte und ich irgendwo im Hinterkopf das Vorurteil ihm gegenüber hegte, er sei ein reicher Schönling, der für sein Geld sicherlich nur mit Papa reden musste, waren seine aufmerksame Art und das offene Lächeln doch ziemlich sympathisch.

»Erzähl mal«, fuhr er fort. »Was machst du so?« Er wirkte ehrlich interessiert. Im Gegensatz zu Lana würde er mir bestimmt aufmerksam zuhören, wenn ich mit ihm sprach, was ich schön fand. Trotzdem schwirrte mir noch immer die Absage im Kopf, die meine Gedanken einnahm.

Ich fixierte die mahagonifarbene Tapete hinter ihm, sodass ich Lars nur noch als eine verschwommene Silhouette wahrnahm. Kleine Spatzen in einem Meer aus akkuraten Kirschblüten. Hier und da rankten ein paar Äste mit zartgrünen Birkenblättern. Mein Blick suchte die Wand mit dem Blumenmuster nach weiteren Entdeckungen ab, und kurz musste ich an meine Heimat denken. An die vielen verzweigten Gewächse, das laute Zirpen Tausender Grillen und irgendwo inmitten wuchernder Wildblumen ein energisches Summen. Fast enttäuscht atmete ich aus, als ich feststellte, dass sich das Muster nach drei Ästen, zwei Spatzen und dreizehn Kirschblüten wiederholte.

»Amelia?« Lars’ Stimme, die durch die laute Musik dröhnte, holte mich zurück ins Jetzt. Ich sah auf seine Hände. Sie waren klein, zierlich und wirkten perfekt gepflegt. Ich fragte mich, ob er es auch so schwer hatte oder ihm das Erwachsenwerden und alles, was er erreichen wollte, viel leichter fiel.

»Sorry«, hauchte ich und zwang mich nun schon zum dreiundsechzigsten Mal an diesem Abend zu einem Lächeln, das ich ab und zu auch auf Instagram zeigte. »Meinst du in meiner Freizeit oder beruflich?« Ich musste ein gehässiges Lachen über meine Frage unterdrücken. Egal, in welcher Sparte, es gab nur eine Antwort: scheitern.

»Beides.«

Weil noch eine kleine Möglichkeit bestand, dass ich doch übernommen wurde, klammerte ich mich an diesen einen Hoffnungsschimmer und versuchte, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. »Ich bin bezahlte Praktikantin bei Procter. Das ist eine große Münchner Firma, die Kabel herstellt. In meiner Freizeit …« Ich stockte. Anderen Menschen, die nicht auch in dieser Branche unterwegs waren, von meinem Instagram-Blog zu erzählen, war mir schon immer schwergefallen. In letzter Zeit erst recht. Ich wollte einfach nicht verspottet oder mit Mitleid angesehen werden.

»Bei Procter, wow!« Lars nahm mir die Entscheidung ab, ob ich ihm meinen Traum offenbaren sollte.

Es war tatsächlich ein Traum, ein großer Traum. Seit ich mit fünfzehn die Instagram-App entdeckt und erkannt hatte, wie viel Spaß mir das Teilen von Kunst, Momenten und Wörtern bereitete, konnte ich den Gedanken nicht mehr ablegen, damit mein Geld zu verdienen. Doch nach so vielen Jahren, in denen ich trotz aller Bemühungen nicht weitergekommen war, begann ich langsam selbst, ihn für lächerlich zu halten.

»Mein Vater ist mit dem Vorstand Herrn Schröder befreundet. Er gehört sozusagen zur Familie.«

Wieso überrascht mich das jetzt nicht?, dachte ich.

»Dann hast du ja echt einen megaguten und sicheren Arbeitgeber. Ich drücke dir die Daumen, dass sie dich übernehmen.«

Dankbar nickte ich und fragte mich gleichzeitig, was es mit dem Wort sicher immer auf sich hatte. So viele benutzten es, wenn es um die Zukunft ging, nicht zuletzt meine Mutter.

»Amelia, du kannst deine Träume mit diesem komischen Blog ja irgendwann noch verwirklichen, aber such dir doch jetzt erst mal etwas Sicheres«, hatte sie damals nach meinem Abschluss zu mir gesagt. Und ich hatte auf sie gehört, auf sie und so viele andere. Hatte mich für ein Studium in Medien- und Kommunikationswissenschaften in München entschieden, mit dem Gedanken, in dieser wundervollen Stadt auch mit meinem Blog Fuß fassen zu können. Im Anschluss hatte ich ein Praktikum in einer Firma angetreten, in der ich mich zwar nicht für den Rest meines Lebens sah, aber in deren Kommunikationsabteilung ich wenigstens ein Stück meiner Social-Media-Leidenschaft ausleben konnte.

Sicher fühlte ich mich trotzdem nicht. Ganz im Gegenteil. Mal davon abgesehen, dass ich wahrscheinlich nicht übernommen wurde, fühlte ich mich mit meinem unerfüllten Traum mehr als unsicher. Für mich bedeutete Sicherheit, dass ich mich in dem, was ich tat, wohlfühlte. Dass ich mich in meiner eigenen Haut, in meiner eigenen Umgebung sicher fühlte – und nicht nur Rechnungen bezahlen konnte.

»Ja«, murmelte ich schließlich nur, und meine Aufmerksamkeit driftete wieder ab. Lars war nett und sah gar nicht mal so schlecht aus – in jedem Fall war sein erster Eindruck um Welten besser als der von all den anderen Männern, die ich in den letzten Jahren in München kennengelernt hatte. Aber irgendetwas an ihm war mir zu gezwungen, zu sortiert.

Vielleicht kann er dich dann ja auch mal sortieren, würde Marlen jetzt sagen, hätte sie meine Gedanken gehört, denn vor einigen Jahren hatte sie mich mit dem Wort unsortiert beschrieben. Unsortierte Gedanken, unsortierte Wünsche, unsortierte Zukunftsvorstellungen.

Es war nicht so, dass ich nicht wusste, was ich machen wollte. Ich hatte nur einfach keinen Plan, wie. In meinem physischen Chaos hingegen besaß ich nach jahrelanger Übung eine eigene Ordnung. Ich wusste zum Beispiel, dass in der linken Ecke unter meinem Bett ein grüner Kugelschreiber mit dem Logo der Ludwig-Maximilians-Universität München lag – der Uni, an der ich die letzten Jahre studiert hatte. Gleich daneben meine Pillenpackung mit zwei restlichen Blistern, die vor ein paar Tagen von meinem Nachttisch gefallen war und bei der ich mich seit längerer Zeit schon fragte, warum ich sie bei meinem schläfrigen Sexleben überhaupt noch einnahm.

»Ihr seid Kunden bei uns. Meinem Großvater gehört eine große Beratungsfirma. Wir halten oft Schulungen und Trainings bei euch ab.«

»Echt?« Langsam schweifte mein Blick durch den Raum, als ein Techno-Remix des vollkommen ausgelutschten Songs »Pony« gespielt wurde. Dandelions hieß der Laden hier, der tagsüber Café, abends Bar und nachts Club war. Wenn ich an Dandelions dachte, waren hochmoderne Neonleuchten, ein wummernder Technobeat und bunte Zeichnungen halb nackter Pärchen das Letzte, was mir in den Sinn kam. Stattdessen dachte ich bei Pusteblumen an wilde Wiesen, abendliche Sonnenstrahlen, die ihre Samen in Flammen legten, und eine Ruhe, die es nur in der Heimat gab.

Moderne Architektur oder abstrakte Inneneinrichtung hatte ich nie so richtig gemocht. Stattdessen liebte ich verwinkelte Altbauten, in deren knarzenden Holzdielen sich Geschichten tummelten und unter deren hohen Decken genug Platz für meine vielen Gedankenwolken war. Marlens und meine Wohnung in der wunderschönen Münchner Altstadt war eine von ihnen. Drei Meter hohe Decken, cremefarbener Stuck, Kronleuchter, unter denen man früher getanzt hatte, und Fenster so groß wie ich selbst.

In oder vor diesen Gebäuden kamen meine Fotos immer extragut zur Geltung. Wenn das Sonnenlicht durch das milchige Fenster in mein Zimmer fiel, Staubkörner zu Glitzer wurden und sich mein aufgeschlagenes Notizbuch auf dem cremeweißen Sessel in der Ecke meines Zimmers in Ästhetik verwandelte. Oder wenn meine neuen Lieblingsstiefel auf dem Kopfsteinpflaster vor unserem Wohnhaus laute Töne von sich gaben und sich die Lichter der Stadt in dem dunklen Leder brachen. Dann verlor ich mich in diesen Aufnahmen, in diesen Momenten und fragte mich, ob andere sich darin nicht auch verlieren wollten.

Die letzten Wochen hatte ich mich bei dreizehn Agenturen beworben, und von jeder einzelnen war ich abgelehnt worden. Einen Grund hatten sie meistens nicht genannt, nur eine hatte erwähnt, dass meine Community zu klein und meine Postings zu unauthentisch waren. Zu unauthentisch.

Für einen Menschen, der sein ganzes Herz in seine Fotos steckte, war das ein Schlag in die Magengrube. Ich wusste, dass es ohne Agentur schwierig war, in diversen Branchen Fuß zu fassen. Sei es in der Literaturbranche, der Filmbranche oder ebenjener der sozialen Medien. Selbstverständlich wollte ich genau das: mir als Influencerin endlich einen Namen machen. Doch manchmal schlummerte in mir noch ganz leise ein anderer Grund, weshalb ich mich so um eine Agentur bemühte. Es war die Bestätigung. Es war der Wunsch, dass endlich jemand an mich glaubte. Jemand, der an meiner Seite stand und mir sagte, dass das schon klappt. Der mir all die Zweifel nahm, die mir so viele Menschen eingeflößt hatten. Die ich mir selbst eingeflößt hatte.

Lars erzählte mir von seinen Zukunftsplänen – er arbeite in der Beratungsagentur seines Großvaters und sei gerade auf der Suche nach einer Eigentumswohnung, um eine sichere Kapitalanlage zu erzielen –, und ich konnte nur denken: Warum kann er es besser als ich? Das mit dem Erwachsenwerden. Es war nicht so, dass ich es ihm oder anderen nicht gönnte, wenn sie mehr Glück und Erfolg hatten als ich. Der Grund, weshalb das Glück anderer so schmerzte, war die Erkenntnis, dass an mir irgendetwas falsch sein musste.

Ich beobachtete ihn, wie er den Rest seines Glases trank. Erst jetzt fiel mir auf, dass es Rotwein war. Genüsslich schwenkte er die rote Flüssigkeit ein paarmal und schluckte sie dann runter. Ich fragte mich, ob man das jetzt so machte. Jetzt, wo ich dreiundzwanzig war, trank man da Wein nur zum Genuss und nicht mehr, um sich die Kante zu geben? Machte man beim letzten Schluck ein sinnliches »Hmm«, statt das Gesicht zu verziehen? Machte man das als Erwachsener so? Und war ich jetzt wirklich erwachsen?

Ich hatte nichts gegen das Erwachsenwerden. Ganz im Gegenteil. Eigentlich freute ich mich ja, selbstständig zu sein, und strebte einen Beruf an, der mir Spaß machte. Doch in meiner momentanen Situation stellte mich das Erwachsenwerden besonders auf die Probe, und am liebsten hätte ich mich unter der Bettdecke bei meinen Eltern verkrochen und sie alles regeln lassen. Ich gab mir Mühe, das tat ich wirklich. Aber vielleicht war das einfach nichts für mich, vielleicht sollte ich einfach noch nicht erwachsen sein. Verglichen mit meinem Gegenüber schien ich definitiv eine blutige Anfängerin zu sein.

Weil das Leider und das Vielleicht mich auffraßen und Lana sowieso irgendwohin verschwunden war, entschloss ich mich dazu, den Abend zu beenden. Lars bestand darauf, mich hinauszubegleiten. Eine lauwarme Sommerbrise, die sich hier zwischen hohen Häusern und von den Abgasen aufgewärmter Straßen sammelte, wehte mir entgegen.

Ich hatte ein Stolperherz. So nannte ich es jedenfalls, denn es stolperte bei allem, was mir eine Gänsehaut bescherte, wie zum Beispiel jetzt, als flackerndes Gold der Laternen auf jahrhundertealtes Kopfsteinpflaster fiel. Manchmal wünschte ich mir, man könnte Gefühle in Fotos einfangen. Dann wäre mein Feed sicherlich warm wie die ersten Frühlingsstrahlen nach einem bitteren Winter. Kein Sonnengelb-Warm, eher so ein sanftes Creme-Warm, das sich in Milchkaffees, Sommerabenden in der goldbeschienenen Altstadt oder meinem kuscheligen Teddyfellsessel widerspiegelte. Jedenfalls war er das mal gewesen, bis ich gemerkt hatte, dass andere Farben, andere Dinge besser auf Instagram ankamen.

»Wollen wir telefonieren?« Ehe ich mich verabschieden und abhauen konnte, ergriff Lars noch mal das Wort. Etwas überrumpelt drehte ich mich zu ihm um. Hier im Nachtglanz konnte ich mir ihn genauer ansehen. Er war hübsch. Dieses Model-Hübsch. Seine Kleidung lag locker an, war aber trotzdem elegant und stilvoll. Sein Blick verriet mir, dass Alkohol in seinem Blut rauschte, und das Zucken seiner Mundwinkel wirkte so mechanisch, dass ich mich fragte, ob er diese Mimik öfter zeigte. Eigentlich hatte ich nicht vor, den Kontakt mit ihm weiter aufrechtzuerhalten. Warum ich meine Nummer doch in sein Handy eintippte, wusste ich nicht. Vielleicht weil ich einmal nicht so verkopft sein wollte, vielleicht weil ich ihm und seiner aufmerksamen Art eine Chance geben wollte. Vielleicht aber auch, weil ich einfach zu müde war, um ihm zu erklären, dass ich kein Interesse hatte. Die Enttäuschung über die heutige Absage hatte sich in Erschöpfung verwandelt. Meine Gedanken, mein Körper, ja sogar meine Stimme war erschöpft, weswegen ich nur ein mühsames Nicken schaffte und gar nicht besonders über die Folgen nachdachte.

»Ich werde mich melden und freue mich aufs nächste Mal. Vielleicht bist du dann ja nicht mehr so verklemmt.« Er schob einen charmanten Lacher hinter die Worte, die mich entsetzt innehalten ließen. Anschließend hob er die Hand, wünschte mir alles Gute und verschwand in dem wummernden Dunkel des Dandelions.

Verklemmt. So hatte mich tatsächlich noch nie jemand bezeichnet. Nicht mal ich selbst.

Kapitel 2

Nick

»Und die da sieht aus wie eine Feder!« Caja ließ ihre Hand in die Höhe schnellen und deutete mit dem Zeigefinger auf eine längliche Wolke. Kurz sah ich in den Himmel und nickte ihr zu, ehe meine Gedanken wieder abschweiften. Wir saßen auf der Lieblings-Picknickdecke meiner Schwester, die sie jeden Frühling erneut herauskramte und überallhin mitschleppte. Um uns herum ein lautes Zirpen, Rascheln in den Bäumen und leise Musik, die von der offen stehenden Terrassentür zu uns herüberdrang und zu der Anita, die Frau meines Chefs, mit summte, während sie die frisch geernteten Gartenkräuter wusch.

Die Pausen, in denen ich mich mit Caja in den Garten meines Chefs legen konnte, würden bald weniger werden. Die Ernte des Rapshonigs stand bevor, und somit erwartete uns viel Arbeit. Ein letztes Mal bewunderte ich also den großen Garten voller Wildblumen, verknoteter Zweige und mächtiger alter Bäume, da ich ihn in nächster Zeit nur noch kurz in Eile während meiner Arbeit zu Gesicht bekommen würde. Hier und da streifte mein Blick eine umherschwirrende Biene. Vor allem Hummeln konnte man bereits an allen Ecken sehen, sie ließen sich schwerfällig auf Blüten nieder und schwankten durch die Lüfte, als ob sie betrunken wären.

Ich lehnte mich zurück, vergrub die Finger in dem weichen Rasen, der Abdrücke auf meinen Handflächen hinterließ. Drei Jahre schon durften wir diesen Ort, dieses Dorf namens Engelsberg unser Zuhause nennen, in dem wir mit nichts als unserem klapprigen Wohnwagen gelandet waren. Gedanklich nannte ich ihn jedoch meistens Zufluchtsort. Denn das war er, und oft fragte ich mich, was gewesen wäre, hätte ich damals nicht die Initiative ergriffen, einfach abzuhauen. Was sie wohl seitdem machte?

Caja war damals gerade mal fünf Jahre alt gewesen, hatte die Welt nicht mehr verstanden. Ich war jedem Einzelnen in diesem kleinen Ort dankbar, der uns so herzlich unterstützte, auf Caja aufpasste, wenn ich arbeiten war, und ihr das gab, was ich ihr allein nie hätte geben können.

»Wusstest du, dass Wolken eigentlich gar keine Wolken sind?« Caja lag auf dem Rücken, versuchte sich nun aufzurappeln, fiel dabei aber wieder zurück. Ich half ihr, sich aufzusetzen.

»Wo hast du das jetzt schon wieder aufgeschnappt?«, fragte ich mit einem liebevollen Lachen und runzelte die Stirn. Manchmal hatte ich keine Ahnung, was in ihrem Kopf vorging, wenn sie nach einer langen Denkphase einen solchen Satz zum Besten gab. Ihre großen grünen Augen strahlten mich an, ehe sie energisch nickte.

»Wirklich, Nick.« Caja deutete in den Himmel. »Wolken sind eigentlich Wasser.«

Ich hob erstaunt die Brauen und tat ihr zuliebe so, als wäre diese Info komplett neu für mich. »Ach, echt?«

»Ja, das haben wir in der Schule gelernt. Und …« Einen Moment schien sie zu überlegen, senkte den Blick auf das wilde Gras zu unseren Füßen, aus dem gerade ein Grashüpfer sprang. Schließlich sah sie wieder auf, eine faszinierte Erkenntnis in den Augen. »Eigentlich ist Regen dann ja auch eine Wolke, oder? Dann kommt der Himmel ja einfach runter.«

Manchmal vergaß ich, dass meine Schwester erst acht war. Ihre Ansätze waren kindlich, das Resultat solcher Unterhaltungen mit ihr regten mich aber doch manchmal sehr zum Nachdenken an.

»Ja, eigentlich schon«, murmelte ich, starrte dabei fasziniert auf ihr Strahlen, das dieser Gedanke in ihr auslöste. Während sie sich wieder hinlegte und sich wohl einer neuen Überlegung widmete, hallten ihre Worte in mir nach.

Regen ist eine Wolke, die zu uns runterkommt. Regen ist ein Stück Himmel, der auf unserer Haut glänzt.

Ich weiß nicht, wie sie es schaffte, immer wieder etwas Gutes aus dem Negativen zu schöpfen, und ich hoffte, dass sie diese Gabe für immer behalten würde. Dass nichts und niemand sie ihr wegnahm und sie nie wieder in die Hölle zurückmusste, aus der ich mit ihr ausgebrochen war.

Cajas Ferien begannen schon nächste Woche und damit für sie die schönste, für mich die schwerste Zeit. Ich wusste, dass sich jeder und vor allem Anita gern um meine Schwester kümmerte, wenn ich arbeiten war, doch das schlechte Gewissen, ihr die Betreuung aufzubürden und etwas schuldig zu sein, machte mir noch immer zu schaffen. Zumal die Arbeit nun im Frühling und Sommer stark zunehmen und ich Caja dadurch weniger zu Gesicht bekommen würde. Ich hasste es, wenn sie nicht bei mir war. Ständig hatte ich das Gefühl, sie könnte mir verloren gehen … oder jemand könnte sie mir wegnehmen. Auch wenn ich wusste, dass ich diese Angst hier in Engelsberg langsam loslassen konnte. Dieser Ort war so abgelegen, dass man uns schwer finden konnte.

Der penetrante Piepton meines Nokia 3110 ertönte. Seufzend fischte ich es hervor und sah eine neue SMS meines besten Freundes Vale. Es hatte etwas gedauert, bis er sich daran gewöhnt hatte, dass ich weder WhatsApp noch Internet auf diesem Handy besaß. Weshalb ich kein ordentliches Smartphone hatte, konnte er bis heute nicht verstehen. Wie auch? Ich hatte ihm die Wahrheit nie erzählt. Zum Beispiel, dass ich Caja und mich komplett von der Außenwelt abschotten wollte und man mich über das Internet oder diverse Ortungsdienste eines Smartphones leichter finden könnte. Vale war auf dem Stand, dass ich diesen Smartphone-Scheiß ganz einfach nicht mochte. Und das sollte auch so bleiben.

Bist du heute Abend hier?

Mit hier meinte Vale den Biergarten seines Vaters. Der einzige Ort in Engelsberg, wo sich von Zeit zu Zeit mal etwas Leben abspielte. Zum Trinken oder Feiern mied ich diesen Ort jedoch. Wenn, dann war ich dort, um Vale, der als Barkeeper aushalf, bei diversen Aufgaben unter die Arme zu greifen, Dinge zu reparieren oder ihm nur kurz Hallo zu sagen.

Vielleicht komme ich mal vorbei.

Laute Klickgeräusche ertönten, als ich die SMS eintippte und abschickte. Auch für mich war es eine Umstellung gewesen, von meinem einstigen Touch-Display zu den Tasten zurückzukehren, doch ich hatte mich schnell daran gewöhnt.

»Essen ist fertig!« Anitas Stimme ließ mich von meinem Handy aufblicken. Caja war schon aufgestanden und losgerannt, bevor ich Anitas Satz überhaupt realisiert hatte. Ich lächelte, als ihre langen Zöpfe beim Rennen auf und ab wippten.

Noch einmal sog ich den Duft von warmem Gras, würzigem Lavendel und Rosen in mir auf, sah mich ein letztes Mal an meinem Arbeitsplatz um, der gleichzeitig mein Zuhause war. Denn ich wusste, jeder Tag könnte der sein, an dem man mir das alles wieder nehmen würde.

Kapitel 3

Amelia

»Findest du mich verklemmt?«

Marlen ließ den Pritt-Stift einmal über die Rückseite des Polaroids fahren und klebte es in einem Notizbuch fest. Schließlich widmete sie sich dem nächsten Schnipsel diverser Fotos und Grafiken. Konzentriert saß sie auf unserer breiten Fensterbank im Wohnzimmer und arbeitete an ihrem Gedankentagebuch, wie sie es liebevoll getauft hatte. Ihre dichten, lockigen braunen Haare fielen dabei über ihre Schulter und drohten immer wieder in den Klebestift zu fliegen. Ohne mich anzusehen, runzelte sie die Stirn.

»Verklemmt«, murmelte sie und schmunzelte. »Hat das diese Lana zu dir gesagt?«

Es wäre einfacher gewesen, wenn Lana der Übeltäter wäre. Zwar auch unangebracht, dass ich mir aus ihren Worten so viel machte, aber immer noch nachvollziehbarer als bei einem wildfremden Typ, an dem ich sowieso kein Interesse hatte. Doch mein ohnehin schon angeknackstes Ego und das sinkende Selbstwertgefühl, das mit der Absage tiefer in die Schlucht gerissen wurde, machten mich anfällig für jegliche Kommentare. Nicht das erste Mal fragte ich mich, ob mein Misserfolg gar nicht an meinen Posts, an meinem Ehrgeiz oder an meinen Bildern lag – sondern schlichtweg ich der Fehler war.

Ich verzog schuldbewusst das Gesicht, brachte ein halb flüsterndes »Nein …?« über die Lippen.

Sofort blickte Marlen auf. Dabei rutschte ihre aufgeplusterte Mähne vor die grelle Nachmittagssonne, die durch das Fenster schien. Die Strahlen umrandeten sie, setzten die kleinen Babyhaare auf ihrem Kopf in Flammen. Am liebsten hätte ich mein Handy gehoben und ein Foto geschossen. Marlen in verletzlicher Halbnacktheit, nur in einem übergroßen Hemd gekleidet, umgeben von goldenem Licht und einem Fenstererker, von dessen Rahmen der beige Lack abblätterte. Für mich besaß dieser Moment so viel Spontanität, Verletzlichkeit und Kunst, die nur die Zeit zeichnete. Doch der Algorithmus auf Instagram war heutzutage viel mehr auf durchdachte Postings mit perfekten Posen, geplanten Bewegungen und Kunst ausgelegt, die der Mensch selbst zeichnete.

»Sag mir bitte nicht, dass du dir schon wieder von irgendeinem Fremden so ein Quatsch erzählen lassen hast.«

Normalerweise hätte ich nun unsicher gelacht, mein »Doch« in einem Lächeln versteckt und mich über mich selbst lustig gemacht. Doch das konnte ich langsam nicht mehr, denn allmählich war an dem unsicheren Wrack, zu dem ich die letzten Jahre mutiert war, nichts mehr lustig.

»MediaOne hat abgesagt.«

Marlen war die erste Person, der ich von dieser Absage erzählte, denn sie war die Einzige, die mit dem Thema Social Media neutral umging. Ihr Mailaccount war das einzige Profil, das sie in den Weiten des Internets besaß. Mit Instagram und Co hatte sie rein gar nichts am Hut, wofür ich sie an Tagen wie diesen beneidete. Wenn sie am PC saß, widmete sie sich mehr Photoshop und Lightroom, denn als Kunststudentin mit dem Zusatz Grafikdesign waren diese Programme ein Muss. Eigentlich könnte man meinen, dass Marlen mit diesem Interesse wie für das Internet geschaffen war. Doch das war sie nicht. Ganz im Gegenteil. Moodboards erstellte sie händisch in Notizbüchern aus Fotos, Schnipseln und Stickern, die sie irgendwo aufgabelte. Inspiration fand sie beim Fotografieren mit ihrer uralten Polaroidkamera oder in ihren eigenen Zeichnungen. Wenn sie beispielsweise ein Buchcover für eine Autorin oder einen Autor erstellte, was sie in der Tat schon oft gemacht hatte, setzte sie sich nicht zuerst an den PC und begann mit der Arbeit. Stattdessen las sie das Manuskript einmal durch, tauchte in die Geschichte ein, erstellte physische Moodboards und verewigte ihre Coverideen in dem Zeichenblock auf ihrem Schreibtisch.

Wir waren an der Uni zwei der wenigen gewesen, die nicht aus Deutschland kamen, weshalb wir uns von Anfang an gut verstanden hatten und zusammengeblieben waren. Während ich aus der Schweiz hergezogen war, kam sie ursprünglich aus Schweden. Ich wusste, dass sie schon einige Jahre zuvor nach Deutschland gekommen war, außer einer Oma, die sie selten in München besuchte, aber niemanden sonst hatte.

Seufzend ließ ich mich auf die Couch fallen und heftete den Blick an die stuckbesetzte Decke. Auf meinem Gesicht lag eine Tuchmaske für trockene Haut aus der Drogerie. Seit Wochen fühlte es sich wie ein Reibeisen an und hatte hier und da einige Unreinheiten. Obwohl ich es morgens und abends schrubbte und anschließend eine hochwertige Feuchtigkeitscreme aus der Parfümerie auftrug, wurde es nicht besser.

Sofort ließ Marlen von ihrem Notizbuch ab und kam zu mir auf die Couch. Aufmerksam sah sie mich an, ließ mir Zeit und gab mir Raum, meine Gedanken mit ihr zu teilen. Sie wusste, wie wichtig mir all das war. Und auch wenn sie es nicht nachvollziehen konnte, verurteilte sie mich nie, weder mit Blicken noch mit Worten. Damit war sie eine Ausnahme in meinem Umfeld, und dafür liebte ich sie umso mehr.

»Ich hab die Mail gestern Nacht im Dandelions gelesen, sie meinten, ich wäre zu unauthentisch. Damit war der Abend gelaufen. Später habe ich mich mit einem netten Typ unterhalten, der mir beim Abschied mitteilen musste, dass ich etwas verklemmt wirke. Ich weiß, dass ich nicht auf ihn hören sollte, aber manchmal sagen Fremde einem ja die unverblümte Wahrheit, und seitdem … ich weiß nicht, seitdem frage ich mich, ob da etwas dran ist. Ob ich wirklich zu unauthentisch, zu verklemmt bin.«

Marlen nickte verständnisvoll und schien zu überlegen. Eine weitere Eigenschaft, die ich an ihr liebte. Statt mir Lügen und Komplimente aufzutischen, die bestätigten, dass Lars absoluten Bullshit redete und MediaOne sowieso keine Ahnung hatten, was sie da von sich gaben, zeigte sie mir Empathie, versuchte, sich in mich hineinzuversetzen und die Sache mit mir gemeinsam zu durchdenken. Manchmal war es besser, die Wahrheit auszudiskutieren – egal, wie sehr sie schmerzte –, als sie mit stumpfen Komplimenten und Lügen zu unterdrücken.

Sie hob die Hand und deutete auf mein Smartphone. »Lass mich mal sehen.«

Kurzerhand öffnete ich mein Instagram-Profil und hielt es ihr unter die Nase. Liasfavsthings hieß mein Blog, was witzig war, denn viele der Dinge, die ich dort postete, gehörten schon lange nicht mehr zu meinen Lieblingsdingen. Mit zerknirschtem Gesichtsausdruck scrollte sie eine Weile durch meine Fotos, las sich die Captions durch und hob bei einigen Posts überrascht die Brauen. Während sie das tat, zappelte ich ungeduldig mit dem Bein auf und ab.

Ich heftete meinen Blick ausweichend auf meine in Wollsocken gepackten Füße – auf meine im Sommer in Wollsocken gepackten Füße. Denn wenn ich zu viel grübelte, wurden meine Füße komischerweise immer kalt. Als würde mein Hirn all mein Blut für sein Chaos brauchen. In letzter Zeit waren meine Füße besonders oft kalt und die Decke meines Zimmers von besonders großen Gedankenwolken gefüllt.

»Vielleicht bist du etwas verkrampft.« Marlen hob den Blick vom Smartphone und legte den Kopf schief, als könnte sie mich somit besser analysieren.

»Wieso denn verkrampft?«, fragte ich, während sich die Muskeln meines Körpers absurderweise zusammenzogen.

Sie zuckte mit den Schultern. »Na ja, manchmal brauchst du zwei Stunden, um ein Outfit auszusuchen, nur weil du eine halbe Ewigkeit durch Instagram und Pinterest scrollst, um dich davon inspirieren zu lassen. Dein Essen ist immer kalt, weil du es erst fotografieren musst, und die Bücher auf deinen Fotos … hast du die alle gelesen?«

»Fast alle«, beteuerte ich, »jedenfalls habe ich sie alle angefangen.«

Sie lachte, wurde dann wieder ernst. »Du lässt dich längst nicht mehr von anderen inspirieren, du versuchst krampfhaft, jemand anderes zu sein, planst alles bis ins letzte Detail, und wenn ich mir deinen Blog so ansehe, finde ich dich darin kaum wieder.«

Ich wusste es. Ich wusste all diese Dinge. Hatte selbst seit Wochen erkannt, dass mein Verhalten falsch und absolut ungesund war. Doch es von einer außenstehenden Person zu hören, war noch mal ein anderes Kaliber, das mir die Wahrheit deutlich machte.

»Es ist dein Traum, und das ist auch gut so. Es ist wichtig, einen Traum zu haben, etwas, an dem man festhalten kann. Aber ich glaube, du hast dich in diesem Traum etwas verloren und hältst jetzt an dem falschen Strang fest, der gar nicht zu dir gehört.«

»Hm«, machte ich nur, weil ich restlos überfordert war. Marlen hatte recht. In dem Chaos, das sich mein Leben nannte, war irgendwann alles durcheinandergekommen und musste schleunigst neu geordnet werden.

»Warum hast du mit dem Bloggen und Fotografieren begonnen?«

Ich überlegte, obwohl die Frage eigentlich ganz leicht zu beantworten war. »Weil ich es liebe.«

»Und warum machst du es jetzt?«

Ich schwieg, starrte ins Leere, weil diese Frage irgendwie noch schwieriger war als die vorherige. Weil sie gesagt haben, ich könnte es nicht schaffen, schoss mir durch den Kopf, was absurd war. Es konnte doch nicht sein, dass dies wirklich der einzige Grund war. Marlen half mir aus. »Weil du krampfhaft willst, dass es andere auch lieben. Du machst es nicht mehr für dich, sondern für andere.«

Wieder eine Wahrheit, die ich schon längst kannte. Wieder traf sie mich wie ein Schlag.

»Ich kenne dich jetzt schon seit ein paar Jahren«, fuhr sie fort. Als ich den Kopf hob, sah sie mich verträumt lächelnd an. »Und ich weiß, dass du ein absoluter Herzmensch bist. Du denkst mit dem Herzen, machst die Dinge, weil dein Herz sie verlangt. Aber mittlerweile bist du so verkopft, dass dein Herz verwirrt ist. Man kann nicht beides sein. Herz- oder Kopfmensch, und ich finde, Herzmensch steht dir besser.«

»Meine Leidenschaft zum Beruf machen«, stellte ich gedankenversunken fest. »Das will mein Herz.«

Marlen nickte. »Ich weiß, und ich weiß auch, dass es ein echter Herzenswunsch ist. Das Problem ist nur, dass sich deine Leidenschaft verändert hat. Sie gehört nicht mehr dir, sondern dem Ideal anderer. In den letzten Jahren haben Social Media und die Vorlieben der Gesellschaft deine Leidenschaft manipuliert, ihren Kern verändert. Du postest nicht mehr das, was zu dir gehört.«

»Weil ich mit diesen Posts nicht weitergekommen bin«, warf ich zu meiner Verteidigung ein, da mich das Bedürfnis überkam, mich zu rechtfertigen. Zu erklären, dass ich das nur getan hatte, um Erfolg zu haben. Frustriert rieb ich mir die Schläfen.

»Ich denke, du kommst mit dem, was du liebst und was dich ausmacht, viel weiter, als du denkst. Die Menschen lieben es, andere scheitern oder andere erfolgreich zu sehen. Zu beidem gehört Ehrlichkeit und Authentizität. Scheitern ist menschlich, glücklich sein aber auch. Wenn man zu viel von etwas ist, versucht, etwas anderes zu sein als das, was man wirklich ist, macht einen das unauthentisch.«

»An Lana ist nichts echt oder authentisch, und trotzdem ist sie erfolgreich.«

Marlen grinste mich schief an, und schon bevor sie den Mund aufmachte, spürte ich, dass ihre Antwort all meine Worte zunichtemachen würde. »In Lanas Blog geht es auch nicht um sie, sondern um ihre Outfits. Die Menschen folgen ihr, weil sie es auf ihre Klamotten abgesehen haben. Das ist okay, das ist Lanas Ding. Dein Ding ist Ästhetik und Tiefgründigkeit.«

Sie öffnete einen Post von vor drei Jahren, auf dem ein Foto von meinem lichtdurchfluteten Zimmer zu sehen war. Die Strahlen tanzten durch das milchige Fenster, nahmen der Umgebung jegliches Rampenlicht und waren der Hauptakteur des ganzen Augenblicks.

»Oberflächlich betrachtet ist das eine Aufnahme von ein paar Sonnenstrahlen. Doch du bist nicht oberflächlich, du gehst immer tiefer hinein, nimmst nicht nur Sonnenstrahlen, sondern auch die Staubpartikel auf, die in ihnen tanzen. In deinen Bildern geht es um Tiefgründigkeit, und ich finde, in deiner eigenen Tiefgründigkeit könntest du auch noch etwas wühlen. Hör in dich hinein und finde heraus, was dich ausmacht, wie du dich fühlst und wie du wirklich du selbst sein kannst.«

Gedankenversunken nahm ich ihr das Handy aus der Hand und scrollte selbst durch meinen neuen Feed. Er war dunkel, die Belichtung runtergeschraubt. Dunkle Farben waren momentan besonders in – obwohl ich helle viel lieber hatte. Auf einem Foto sah man meine neuen schwarzen Lederstiefel, auf einem anderen den schwarzen Einband meines Notizbuches. Tatsächlich hatten der Farbwechsel und die Umstellung des Fokus auf andere Dinge mir neue Follower eingebracht. Gleichzeitig hatte ich dadurch aber auch alte verloren, was im Endeffekt keinen Unterschied machte.

»Deine Bilder sind wunderschön, versteh das nicht falsch. Aber wenn ich dich nicht kennen und nur deinen Feed sehen würde, wäre das auch schon alles, was ich denken würde. Ich würde mich nicht mit dir identifizieren können. Wenn du möchtest, dass deine Follower in dir und deinem Feed eine Bedeutung sehen, musst du jedem Bild auch eine geben. Etwas, das dich für sie menschlich macht. Sei es ein Lächeln, ein Buch, das dich wirklich bewegt hat, oder Gedanken, die du mit ihnen teilst, ganz unabhängig davon, wie erfolgreich das Bild sein könnte. Du musst echter für sie werden.«

Ehe sie weitersprach, nahm sie mein Handy noch mal an sich und öffnete wieder die Fotos, die in meiner Anfangszeit in München und zum Teil auch in meiner Heimat entstanden waren. Damals hatte ich erst ein paar Tausend Follower und mir zu diesem Zeitpunkt nicht allzu viele Gedanken gemacht, was ich postete. Ich hatte einfach das geteilt, was ich schön fand, und mich damit wohlgefühlt.

»Hier zum Beispiel. Du strahlst, du sprichst zu deinen Followern, du bist nahbar, voller Leben. Du bist einfach du!«

»Vielleicht bin ich momentan nicht voller Leben.« Ich seufzte, als mir klar wurde, dass Marlen – die Person, die mit Social Media rein gar nichts am Hut hatte – trotzdem die beste Beraterin darin war.

»Ich würde das Vielleicht am Anfang des Satzes wegnehmen.« Sie lächelte, trotzdem war da so viel trauriges Mitgefühl in ihrem Blick. »Du bist momentan alles andere als voller Leben. Und allem voran bist du einfach nicht du.«

Ich nickte, auch wenn es wehtat. Marlen hatte recht. Bis vor ein paar Jahren hatten rosa Kirschbäume, orangene Blumenkleider und gelbe Sonnenblumen meinen Feed beherrscht, und ich wusste nicht, wann dieser Wandel begonnen hatte. Vielleicht als ich immer mehr das Gefühl bekommen hatte, mit dem, was mich ausmachte, keinen Erfolg zu erlangen. Vielleicht als ich begonnen hatte, auf die vielen Aussagen zu hören, mein Traum würde niemals in Erfüllung gehen. Vielleicht hatte mein Gefühl, nicht genug zu sein, dazu geführt, jemand anderes sein zu wollen.

»Denkst du, es wäre besser, wenn du mal eine Pause von Instagram einlegst?«, fragte Marlen irgendwann ganz vorsichtig. »Dann kannst du dich sammeln, durchatmen und herausfinden, was du wirklich mit deiner Community teilen möchtest.«

Mein rationales Ich wollte sofort Ja sagen. Ja, es wäre besser. Es wäre besser für meine Gesundheit, es wäre besser, um herauszufinden, was ich mit meinem Feed erreichen wollte und ob mir das Bloggen wirklich noch Spaß machte oder ob es nur noch ein zwanghaftes Beweisen war. Doch meine emotionale Seite besaß die Überhand. Krampfhaft zog sich mein Herz zusammen. Die Angst, ein paar Tage nichts zu posten, könnte sich negativ auf meinen Algorithmus auswirken und somit meine Chancen auf Erfolg vollkommen zerstören, saß zu tief.

»Ja, vielleicht«, hauchte ich trotzdem und nahm mir vor, wenigstens darüber nachzudenken. Wenn das Gespräch mit meinem Chef nächste Woche so ausgehen würde, wie ich erwartete, war es nicht von Vorteil, mich zusätzlich noch mit anderen negativen Dingen zu beschäftigen.

»Ach, Lia«, flüsterte Marlen, weil sie das Gefühlschaos in meinem Inneren zu spüren schien. Sie zog mich in ihre Arme, die so sehr nach Heimat und gleichzeitig Neuanfang rochen, dass ich erschauderte. »Das wird schon.«

Das wird schon. Bestimmt.

 

Schon zwei Tage später erlitt ich einen Rückfall. Ein jahrelang angeeigneter Automatismus führte meinen Daumen auf den Instagram-Button, als ich Sonntagabend mit einer Tasse Kaffee in meinem kuscheligen Teddyfellsessel saß und nichts ahnend durch mein Handy scrollte. Ich verfluchte meinen Daumen, noch bevor er den Touchscreen überhaupt berührt hatte. So etwas war normal bei mir, und ich glaube tatsächlich, dass es auch bei anderen immer mehr zur Normalität wurde. Dieses Handy-weglegen-wieder-nehmen-wieder-Weglegen und Instagram-schließen-und-sofort-wieder-Öffnen. In Momenten wie diesen, in denen mir meine Sucht nach Vergleichen und Bestätigung klar wurde, beneidete ich Marlen umso mehr.

Es wäre nicht so schlimm gewesen, hätte die App mir auf der Startseite den einfachen Post einer Kommilitonin oder eines Kollegen angezeigt – ein langweiliges Flatlay des heutigen Abendessens zum Beispiel. Dann wäre es mir definitiv leichter gefallen, Instagram wieder zu schließen und mich weiter an meiner Social-Media-Pause zu versuchen. Doch es war kein langweiliges Flatlay, das mir hier ins Auge sprang. Der Post, der mich nun so gebannt auf das Handy starren ließ und mein Herz zu einem großen Knoten verdrehte, war von Majapaulina, einer Influencerin, die zwar wunderschöne Fotos machte, aber, soweit ich wusste, erst seit zwei Jahren auf Instagram aktiv war. Auf ihrem Foto war ein Blatt Papier zu erkennen, das sie hübsch mit Blumen gerahmt hatte. Auf dem Papier zu lesen: Agenturvertrag.

Ihr Lieben, seht ihr das? Ich kann es immer noch nicht glauben, aber seit Neuestem hat mich die wundervolle MediaOne-Agentur unter Vertrag genommen!