Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 10 - Frank Hille - E-Book

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 10 E-Book

Frank Hille

0,0

Beschreibung

Nach der katastrophalen Niederlage der 6. Deutschen Armee Anfang Februar 1943 in Stalingrad hatten die dann energisch nachsetzenden und stürmisch angreifenden russischen Truppen die deutsche Front zum Wanken gebracht. Nur um den Preis der Aufgabe von größeren Gebieten konnte die weit nach Westen zurückgetriebene Wehrmacht die Lage wieder stabilisieren. Beide Seiten hatten herbe Verluste erlitten, aber für die Deutschen wogen sie schwerer als für die Russen, die ständig neue Truppen und Kampftechnik nachführen konnten. Trotz erheblicher Probleme bei der Auffüllung der Truppen und dem Ersatz von Waffen traten die Deutschen Anfang März 1943 zur Rückeroberung von Charkow an. Der Kampf um die strategisch bedeutsame Stadt soll nach einem Erfolg den Weg für die deutsche Sommeroffensive bereiten. Fred Beyer und Günther Weber nehmen an den mörderischen Straßenkämpfen in Charkow teil. Martin Haberkorns Boot operiert wieder im Atlantik und die Männer an Bord erleben auf dieser Feindfahrt die zunehmende Überlegenheit des Gegners über die insbesondere im Bereich der Ortung veralteten Boote.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 158

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Drei Musketiere

Eine verlorene Jugend im Krieg

Band 10

1943

Copyright: © 2017 Frank Hille

Published by: epubli GmbH, Berlin

www. epubli.de

Martin Haberkorn, 28. Februar 1943, Lorient

Fred Beyer, 28. Februar 1943, bei Rostow am Don

Günther Weber, 28. Februar 1943, bei Rostow am Don

Martin Haberkorn, 4. März 1943, Biskaya

Fred Beyer, 6. März 1943, bei Charkow

Günther Weber, 6.März 1943, bei Charkow

Martin Haberkorn, 7. März 1943, Nordatlantik

Fred Beyer, 12. März 1943, Charkow

Günther Weber, 12. März 1943, Charkow

Martin Haberkorn, 15. März 1943, Atlantik/Biskaja

Fred Beyer, Ende März 1943, Truppenübungsplatz Munster

Martin Haberkorn, 17. März 1943, Biskaya, Einlaufen

Fred Beyer, Ende März 1943, Truppenübungsplatz Munster

Günther Weber, Ende März 1943, Mecklenburg

Martin Haberkorn, 18. März 1943, Lorient

17. April 1943, Wiedersehen

Martin Haberkorn, 4. Mai 1943, Lorient

Fred Beyer, 16. Mai 1943, Südlich von Brjansk

Günther Weber, 18. Mai 1943

Martin Haberkorn, 28. Februar 1943, Lorient

Nach der letzten erfolglosen Unternehmung war das Boot Ende Dezember 1942 in Lorient eingelaufen und sofort in die Werft verholt worden. Die Besatzung war wieder in dem Barackenlager untergekommen und hatte Aussicht auf einige Wochen an Land, da schnell klar geworden war, dass der defekte Diesel nicht reparaturfähig war und komplett ausgetauscht werden musste. MAN hatte Produktionsschwierigkeiten, da etliche Zulieferer wegen der zunehmenden Luftangriffe nicht fristgerecht fertigen konnten. Dennoch war der Dieselmotor in der zweiten Februarwoche auf einem Spezialtransportanhänger in Lorient eingetroffen und unter Hochdruck in das Boot eingebaut worden. Martin Haberkorn hatte diese Arbeiten beaufsichtigt und lernte das Boot so noch gründlicher und fast bis zum letzten Winkel kennen. Um die neue Maschine in die Stahlröhre hineinbekommen zu können war der Druckkörper aufgeschnitten worden, und mit Hilfe eines Kranes und Montagegestellen wurde er dann in das Boot hineingeschoben und befestigt. Glücklicherweise verliefen die anderen Arbeiten dann problemlos, so dass das Boot am 28. Februar 1943 zur Abnahmefahrt auslaufen konnte. An Bord waren Beauftragte der Werft, die eventuelle Mängel feststellen und protokollieren sollten. Bereits 5 Stunden vor dem Auslaufen war Haberkorn an Bord gegangen, um die E-Kompassanlage anstellen zu lassen. Dann musste er noch die Tiefenmesser, den Lastigkeits- und Krängungsanzeiger einstellen, die Tiefenruder und die Tiefenruderlageanzeiger prüfen, eine Trimmungsrechnung aufstellen und die Sehrohranlage kontrollieren.

Der Kommandant ließ das Boot mit E-Maschinen von seinem Liegeplatz durch den Hafen manövrieren, als sie die offene See erreichten gingen die Diesel zunächst auf halbe Fahrt. Haberkorn hielt sich im Dieselmaschinenraum auf und spürte wieder die vertraute Atmosphäre der wummernden Kolben und der zuckenden Kipphebel. Der Obermaschinist kontrollierte die Temperaturanzeigen und nickte Haberkorn zu: alles in Ordnung. Jetzt wurde große Fahrt angefordert und Haberkorn hatte den Eindruck, dass die Steuerbordmaschine zu vibrieren schien. Er sah sich die Sache genauer an und bemerkte dann, dass er sich getäuscht hatte.

„LI, in die Zentrale“ informierte ein Befehlsübermittler Haberkorn.

„Na, wie sieht es aus“ fragte der Kommandant.

„Bis jetzt gibt es keine Probleme, Herr Kaleun. Beide Diesel laufen rund.“

„Na fein, dann wollen wir mal sehen, ob es unter Wasser welche gibt. Klarmachen zum Tauchen, Oberdeck klarmachen zum Tauchen“, etwas später dann „Unterdeck klarmachen zum Tauchen. Dichtigkeitsprobe. Turmluk ist zu. Unterdruckprobe. Ablüfter anstellen. Abluft-Kopf- und Fußventil öffnen. Abluftschieber öffnen.“

Haberkorn befahl:

„Abluftkopf- und Fußventil schließen.“

Die entsprechende Bestätigung kam von der Station.

„Ablüfter abstellen.“

Die Ausführung des Befehls wurde bestätigt.

Dann meldete Haberkorn:

„Unterdruck steht.“

„Trimmversuch. Fluten nach Ermessen LI.“

Der Kommandant sagte:

„Prüfungstauchen. Fluten. Auf 30 Meter gehen.“

Haberkorn ließ die Entlüftungen bis auf die Entlüftung Eins öffnen, so würde das Boot schneller ankippen. Nach 3 Sekunden ließ er auch diese öffnen. Danach gab er den Tiefenrudergängern Anweisungen, so dass das Boot mit 5 Grad Lastigkeit auf Tiefe ging. Dann ließ er das Boot in 30 Metern Tiefe zweimal 3 Grad vor- und achterlastig werden, er pendelte es durch, um die noch vorhandene Restluft aus den Tauchzellen zu drücken. Das war für die Tiefensteuerung ausgesprochen wichtig, denn die Restluft würde bei jeder Tiefenänderung ein anderes Volumen annehmen, beim Tiefergehen laufend schwerer, und beim Höherkommen laufend leichter werden.

„Boot ist durchgependelt“ meldete er.

„Entlüftungen schließen“ befahl der Kommandant „Außenbordverschlüsse prüfen.“

Alle Stationen meldeten Dichtheit.

„Ruder mittschiffs. Beide E-Maschinen halbe Fahrt.“

Die Männer in der Zentrale standen regungslos an ihren Plätzen.

„Bis jetzt nicht schlecht“ sagte der Kommandant grinsend „wolln wir mal sehen, ob das in größerer Tiefe auch so bleibt. LI, auf 90 Meter gehen.“

Haberkorn ließ Tiefenruder legen, der Zeiger des Tiefenmessers wanderte langsam vorwärts. In der befohlenen Tiefe brachte er das Boot durch Trimmen auf ebenen Kiel. Ein leichtes Knacken war zu hören.

„Sind bloß die Einbauten“ sagte der Kommandant ruhig „wir haben besten Schiffbaustahl rings um uns.“

Kondenswasser tropfte von der Decke, im Boot war es kalt. Ruhig zog das Fahrzeug durch die Tiefe, Haberkorn hatte es ganz in der Hand.

„Hauptlenzpumpe zum Test anschalten“ befahl der Kommandant.

„Hauptlenzpumpe läuft.“

Nach 2 Minuten:

„Abschalten.“

Der Kommandant wandte sich einem der Werftbeamten zu.

„Sieht ja ganz gut aus“ sagte er „aber der Gegner stellt seine Wasserbomben gern auf 100 Meter Tiefe ein. Auf der letzten Reise sind wir nur davon gekommen, weil wir ziemlich tief im Keller waren. Die maximale Tauchtiefe ist 200 Meter. Wie viel ist denn eigentlich wirklich drin?“

„Aber Herr Kapitänleutnant, Sie erwarten doch nicht im Ernst von mir, dass ich Ihnen eine Zahl nennen werde“ erwiderte der Mann lächelnd, ein Marinebaurat „Kommandanten haben berichtet, dass sie auf 250 Meter durchgesackt sind. Es ist also noch Luft nach unten, sozusagen.“

„Na gut. LI, auf 200 Meter gehen.“

Martin Haberkorn steuerte das Boot mit geringer Vorlastigkeit auf die befohlene Tiefe ein. Wieder wurde an den Stationen die Technik geprüft, es gab keine Probleme.

„Saubere Arbeit, Herr Marinebaurat“ sagte der Kommandant zufrieden „aber ich würde gern noch 30 Meter tiefer gehen. Aber nur, wenn Sie einverstanden sind. Könnte ja sein, dass Sie irgendwelche Bedenken wegen der Vorschriften haben.“

Haberkorn sah, wie sich die Männer der Besatzung verstohlen ansahen, der Obersteuermann grinste. Der Marinebaurat könnte sich jetzt auf die Sicherheitsbestimmungen berufen, aber dann würde er sich vor den Männern, die auf See jeden Tag ihr Leben riskierten, lächerlich machen. Er hatte keine Wahl und sagte:

„Es ist zwar gegen die Vorschriften, aber tun Sie, was Sie nicht lassen können.“

„Also dann, LI, auf 230 Meter gehen.“

Bei 210 Metern begann der Stahl des Drückkörpers zu singen. Schrille Geräusche drangen durch das Boot und der Zentralemaat schaute besorgt nach oben. Das war dem Kommandanten nicht entgangen.

„Aber Haedecke“ sagte er „wir sind doch schon tiefer gewesen. Muffensausen?“

„Nein, Herr Kaleun, natürlich nicht.“

„Na also.“

Martin Haberkorn brachte das Boot exerziermäßig auf 230 Meter, jetzt wurden die Geräusche, die der Druckkörper von sich gab, bedrohlich.

„Schon gut“ sagte der Kommandant grinsend „das war’s für heute. Herr Marinebaurat, ich bin vollkommen zufrieden. Es gibt nur ein paar Kleinigkeiten, aber das sollte die Werft in einem Tag hinbekommen. LI, auftauchen, aber bitte gemächlich.“

Martin Haberkorn steuerte Sehrohrtiefe an, der Kommandant nahm einen Rundblick und ließ dann auftauchen. Das Boot lief den Hafen an. Wenn die Restarbeiten erledigt wären würde es morgen an den Ausrüstungskai verlegt werden, hier sollten Torpedos und Verpflegung übernommen werden, am übernächsten Tag würde es wieder in See gehen.

Fred Beyer, 28. Februar 1943, bei Rostow am Don

Jetzt hatten die Männer im Panzer von Fred Beyer eine Vorstellung davon, wie sich die Russen im Sommer 1941 gefühlt haben mussten. Die in die 4. Panzerarmee eingegliederte 6. Panzerdivision war auf dem Rückzug zum Brückenkopf Rostow. Dieser artete nicht wie im Winter 1941 vor Moskau in eine wilde und kopflose Flucht aus, aber die Russen drängten ständig nach und das bedeutete, dass der Rücken der Armee gedeckt werden musste. Während sich der Heereswurm auf seine Auffangstellung zubewegte waren einige Einheiten zur Abwehr der nachstoßenden Russen auf der Linie Bataisk-Maxin in Stellung gegangen, Beyers Kompanie gehörte mit dazu. Die Panzer hatten sich so gut es ging in Deckungen aufgestellt, dazu kamen etliche PAK 40, Sturmgeschütze III und zahlreiche Infanterieeinheiten sowie Artillerie. Das Wetter war günstig für den Einsatz der Luftwaffe und über den zurückgehenden Deutschen flogen Staffeln von Ju 87 Richtung Osten, um die Russen aufzuhalten. Jetzt, 1943, waren diese Maschinen bereits veraltet, aber als Sturzkampfbomber immer noch zielgenau und nicht zu entbehren. Um die langsamen und schwach bewaffneten Flugzeuge zu schützen wurden sie in den meisten Fällen von Me 109 begleitet. Da die Russen wie immer mit einer enormen Anzahl von Panzern vorrückten waren auf dem Flugplatz von Rostow einige Staffeln Henschel Hs 129 zusammengezogen worden. Diese Maschinen waren überwiegend mit dem Rüstsatz 4 ausgestattet, sie trugen einige der 4 Kilogramm schweren Hohlladungsbomben SD-4 HL, die hervorragende panzerbrechende Eigenschaften aufwiesen und sich in der Bekämpfung der T 34 und der KW Panzer bereits bewährt hatten. Vor der Abwehrlinie hatten Pioniere in aller Eile noch Minenfelder anlegen können, aber diese waren nicht durchgehend. Die Aufklärung fliegenden Focke-Wulf Fw 189 hatten gemeldet, dass die Russen erhebliche Kräfte zusammenziehen würden aber wahrscheinlich noch nicht antreten könnten, da ihre Kräfte für einen erfolgreichen Stoß vermutlich noch zu schwach wären. Überall seien aber Truppenbewegungen festzustellen, die klar auf Rostow zielen würden.

Fred Beyer und seine Männer standen frierend neben ihrem Panzer und rauchten. Vor 4 Wochen hatte das OKW eine Sondermeldung verlesen lassen, dass die 6. Armee in Stalingrad bis zum letzten Atemzug gekämpft hätte, aber einer erdrückenden Übermacht des Gegners unterlegen wäre.

„Von Mitte November an bis gestern haben unsere Leute im Kessel gesteckt“ hatte Bergner gesagt „mehr als zweieinhalb Monate. Wer weiß, wie viele überhaupt noch in Gefangenschaft gegangen sind. Wer weiß, wie viele gefallen sind. Wer weiß, wie viele noch ausgeflogen werden konnten. Viele sind wahrscheinlich verhungert. Stellt euch mal vor, ihr seid verwundet und es gibt kein Verbandsmaterial mehr, keine Medikamente, keine Behandlung. Es ist eine Katastrophe, die gesamte 6. Armee ist vernichtet worden. Und wir haben es nicht geschafft sie rauszuhauen. Dafür ist uns der Iwan jetzt auch noch auf den Fersen. Ich weiß nicht so recht….“

„Was weißt du nicht so recht“ fragte Lahmann „ob wir den Krieg noch gewinnen werden? Das hast du doch wohl gemeint, oder?“

„Na ja, nicht ganz“ gab Bergner zu „aber in der letzten Zeit sind unsere Erfolge doch ziemlich knapp geworden.“

„Ja hast du denn geglaubt, es geht weiter so wie in Polen oder Frankreich und wir sind in 4 Wochen am Ural“ erwiderte Beyer „das ist doch hier was ganz anderes, allein die Größe des Landes. Wie weit sind wir von Berlin weg? Weit mehr als 2.000 Kilometer. Von Leningrad bis Odessa sind es 1.700 Kilometer. Das ist unsere Frontlinie. Und überall stehen unsere Soldaten, Artillerie, Panzer, Flugzeuge, alles Mögliche. Denkst du, dass unsere Kräfte an jeder Stelle ausreichen, um den Russen standzuhalten? Hast du ungefähr eine Ahnung, wo deutsche Truppen noch stehen? Zum Beispiel in Afrika. Rommel hatte da ja anfangs mächtig Tempo gemacht, aber jetzt sieht’s wohl nicht mehr so gut aus.“

„Was wolln wir auch in Afrika“ knurrte Häber „geht’s nich mal ne Nummer kleiner mit der Welteroberung? Du hast doch Abitur, Fred, erklär’s mal.“

„So einfach ist das nicht. Der Führer musste darauf reagieren, dass die Italiener dort von den Briten geschlagen worden wären, wenn er keine Truppen hingeschickt hätte. Außerdem kannst du dich von der Vorstellung verabschieden, dass es in Afrika nur Wüste gibt. Libyen zum Beispiel verfügt über große Erdölvorkommen. Klar? Darum sind unsere Truppen auch hier in Russland aufs Kaspische Meer vorgestoßen.“

„Das klingt so, es würde es nur um Kohle, Eisen, Öl und Getreide gehen“ warf Friedrich ein „ich dachte, wir wollen die Bolschewiken schlagen.“

„Natürlich geht es vor allem gegen die Bolschewiken“ bestätigte Lahmann „und der Nebeneffekt wäre der, dass Deutschland Zugang zu Bodenschätzen hat.“

„Ich habe immer gedacht, dass die einfachen Russen sofort ihre Waffen wegschmeißen würden und uns mit offenen Armen als Befreier empfangen“ meinte Bergner „aber die greifen uns doch fanatisch wie die Verrückten an. Die können doch nicht alle von den Kommissaren in den Kampf getrieben werden.“

„Den ham de Kommunistn jahrelang ins Gehirn geschissen“ sagte Häber „dann kommt so was raus. Die denkn, die lebn im Paradies. Aber so wie’s hier aussieht, kann das ja wohl ni sein.“

Fred Beyer ahnte, dass die ideologische Beeinflussung und die Angst vor dem Staat und seinen Sicherheitsorganen viele Russen in den letzten Jahren geprägt hatten. Auf der anderen Seite würde es aber auch genug Leute geben, die den Kommunismus für eine gute Sache hielten und ihr Vaterland verteidigen wollten. Auch wusste er, dass sich die Deutschen mit ihrem teilweise brutalen Vorgehen gegen die Bevölkerung den Hass der Menschen zugezogen hatten. Er sah noch die vielen Leichen an den Galgen vor sich, er erinnerte sich an die Vergeltungsaktionen bei denen Zivilisten erschossen worden waren, die verhungerten russischen Kriegsgefangenen, die zerstörten Städte, bettelnde Kinder. Zu seiner eigenen Rechtfertigung sagte er sich, dass nun eben Krieg wäre und solche Sachen nicht ausbleiben konnten. Vor allem musste er seinen Männern das Gefühl geben, dass ihr Kampf siegreich enden würde, Zweifel wollte er gar nicht erst aufkommen lassen.

„Hör mal zu, Bergner“ sagte er „wenn du auf den Fußballplatz gehst und in Führung liegst, ist das doch n feines Gefühl, oder? Dann schießt der Gegner den Ausgleich. Machst du dir da gleich in die Hose und ziehst den Schwanz ein, oder kämpfst du jetzt noch härter?“

„Na klar, ich will doch gewinnen.“

„Na bitte. Das hier ist zwar kein Spiel sondern bitterer und tödlicher Ernst, aber bei beiden Sachen gibt es immer wieder unerwartete Situationen. Und ich habe das vorhin nicht umsonst gesagt, allein die räumliche Dimension ist eine Herausforderung für die Truppenführung und die Nachschubversorgung. Wenn wir jetzt zurückgehen ist das taktisch nur klug, warum sollten wir uns mit zersplitterten Kräften dem Iwan in den Weg stellen, wäre doch sinnlos. Und ich sage euch eins, beim Vormarsch auf Stalingrad haben wir den Iwan ganz schön gerupft. Mag sein, dass der mehr Panzer als wir hat, aber unsere Kampffahrzeuge sind besser. Und wir sind besser ausgebildet. Irgendwann geht es wieder vorwärts, da habe ich nicht den geringsten Zweifel.“

Keiner sagte etwas. Noch hatten sie Ruhe, aber dass die Russen bald antreten würden war sicher.

„He, kuckt mal“ rief Friedrich „die Stuka kommen zurück!“

In geordneter Formation zogen zwei Staffeln Ju 87 am Himmel entlang. Sie hatten die Bereitstellungsräume der russischen Truppen bombardiert. 6 Me 109 umkreisten die plump wirkenden und langsamen Flugzeuge und drehten wegen ihrer höheren Geschwindigkeit Schleifen. Die Maschinen waren ungefähr zwei Kilometer von Beyer und seinen Leuten entfernt, als aus einer höher hängenden Wolkendecke 8 russische Jäger auf die deutschen Flugzeuge herabstürzten. Es waren Jakowlew Jak 9. Diese Maschinen waren erstmalig in Stalingrad eingesetzt worden und hatten sich den Me 109 als ebenbürtig gezeigt. Aus einer Entfernung von 300 Metern und allen Rohren feuernd nahmen die Russen die Jäger und die Stuka unter Beschuss. Eine Me 109 explodierte in der Luft, einer anderen wurde das Leitwerk zerschossen, und die Maschine trudelte nach unten. 3 Ju 87 waren getroffen worden, bei einer brannte der Motor, der zweiten wurde die linke Tragfläche abgeschossen und die dritte zerbarst in einer Explosion. Die Bordschützen der Junkers feuerten zurück und konnten zwei der russischen Jäger abschießen. Die deutschen und russischen Jagdflieger kämpften jetzt gegeneinander. Zwei Russen nahmen eine Me 109 in die Zange und schossen sie ab. Eine russische Maschine kollidierte mit ihrem Rottenkameraden, beide stürzten ab. Zwei russische Jäger flogen den Pulk der Stuka von vorn unten an, setzten sich unter die Maschinen und jagten die Geschosse ihrer Waffen von schräg unten in die Rümpfe von 2 Ju 87. Beide scherten qualmend aus der Formation aus. Hinter den russischen Jägern waren aber zwei Me 109 her, die die Russen, die im Rausch eines leichten Sieges unvorsichtig waren, aus geringer Entfernung abschießen konnten. Ein weiterer russischer Jäger zog hoch und geriet in die Schussbahnen der Heckschützen-MG der deutschen Sturzkampfbomber. Die Maschine wurde zersiebt und explodierte. Der letzte russische Jäger drehte ab, er wurde von zwei Me 109 verfolgt. Ein einziger Jäger deckte jetzt noch die Bomber. Beyer sah genau, wie eine getroffene Ju 87 immer mehr aus einer stabilen Flugbahn geriet und dann über die linke Tragfläche abkippte. Im gleichen Moment konnte er erkennen, dass Pilot und Bordschütze aus der Maschine herausgekommen waren und absprangen. Einer der Männer stürzte wie ein Stein zu Boden, bei dem anderen öffnete sich der Fallschirm in ungefähr 200 Metern Höhe. Der Mann hing bewegungslos in den Gurten und trieb auf Beyers Panzer zu. In Sichtweite ging er zu Boden. Ohne ein Wort miteinander zu wechseln stürmten die 5 Männer los. Als sie bei dem Mann angekommen waren sahen sie, dass der Fallschirm ihn bedeckt hatte. Bergner zog ihn weg, dann sahen sie den Flieger.

Der Mann lag auf dem Rücken und schaute mit offenen Augen in den Himmel. Seine Brust hob und senkte sich schnell, er atmete röchelnd und Blut trat ihm aus Mund, Nase und Ohren. Auf dem schneebedeckten Boden hatte sich schon eine große Blutlache um seinen Unterkörper gebildet, er musste von Geschossen der russischen Jagdflieger getroffen worden sein, die die Maschinen von unten beschossen hatten. Wie es schien, schaute der Flieger die um ihn hilflos herumstehenden Männer noch einmal an, dann sank sein Kopf zur Seite und er streckte sich.

„Scheiße“ fluchte Lahmann „wenn man so dasteht und nicht helfen kann.“

„Es war keine Hilfe mehr möglich“ erwiderte Friedrich „ihn hätte selbst ein Arzt nicht mehr retten können. Hat wahrscheinlich ein paar Schlagadern zerfetzt, dann bist du bald hinüber.“

„Wie kannst du so locker darüber reden“ fuhr ihn Bergner an „als würde dich das gar nichts angehen. Das war einer von uns!“

„Stimmt schon“ sagte Häber „war einer von uns. Aber jeden Tag sterbn Hunderte, vielleicht tausende. Er hat gekämpft, aber verlorn. So einfach is das. Da brauchste jetze nich so rumheuln. Haste dich schon ma gefragt, ob nich auch de Russn Väter sin oder Söhne? Es is Krieg, gewöhn dir deine Gefühlsduselei ab, sonst drehste durch. S geht darum, dass wir n Krieg gewinn und selber durchkommn. Oder siehste das anders?“

„Anton hat recht“ sagte Fred Beyer „wir können es uns nicht leisten großartig Mitleid aufzubringen oder Gefühle zu entwickeln. Unsere Aufgabe ist zu kämpfen, und den Feind zu vernichten, so einfach ist das. Und wenn wir den Iwan nicht töten, wird er es eben mit uns tun. Pardon wird schon lange nicht mehr gegeben, das solltest du dir sagen, falls wir mal aussteigen müssen und in den Nahkampf kommen. Dann kannst du ja mit deinem Gegner ne Diskussion führen, dass doch alle Menschen Brüder sind. Kennst du das? „Freude schöner Götterfunken, … alle Menschen werden Brüder….“. Kennst du das?“

„Nein.“

„Die 9. Sinfonie von Beethoven. Habe ich in der Schule gelernt. Ist ne schöne Utopie, dass alle Menschen Brüder sind. Das sehen wir doch jeden Tag. Sie oder wir! Denkst du, der Richtschütze im T 34 will uns nicht gut treffen? Wenn er es schafft, bleibt von uns nur noch verbranntes Fleisch übrig wenn die Kiste hochgeht. Wir haben keinen einzigen Grund, in dieser Situation irgendwelche philosophischen Gedanken zu entwickeln, verstanden?“

„Kann der doch sowie so nich“ knurrte Häber „der hat eben kein Abitur.“