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Bunker können bedrückend wirken, auf manche Menschen üben sie aber eine starke Faszination aus. Zwei Freunde beschäftigen sich seit Jahren mit der Erkundung solcher Bauwerke. Durch einige vage Hinweise schlussfolgern sie, dass es in der Nähe von Nordhausen in Thüringen ein noch unentdecktes Objekt geben könnte. Sie bringen das in Zusammenhang mit der dort damals in einem Stollensystem stattgefundenen Produktion des Aggregats 4, die auch unter dem Namen V 2 bekanntgewordene Rakete. Auf gut Glück reisen sie in den Ort und versuchen vor Ort weitere Hinweise zu sammeln. Die Anzeichen verdichten sich, dass ihre Vermutungen eventuell zutreffen könnten. Was sie dann erleben, kommt einer Sensation gleich.
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Seitenzahl: 203
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Frank Hille
Gefangen - Unter Wasser und Beton
Auf der Suche nach einem mysteriösen Bunker
in Thüringen
Published by epubli GmbH Berlin
www. Epubli.de
© 2016 Frank Hille
Montag, 25. März 2016, Berlin
Mittwoch, 14. Oktober 1942, Peenemünde
Dienstag, 26. März 2016, Berlin
Donnerstag, 22. Oktober 1942, Mittag, Nordhausen
Donnerstag, 22. Oktober 1942, Vormittag, Weimar
Donnerstag, 22. Oktober 1942, Nachmittag, Nordhausen
Donnerstag, 22. Oktober 1942, früh, Dover
Donnerstag, 22. Oktober 1942, früh, Stadtrand Lille
Donnerstag, 22. Oktober 1942, früh, Nähe Amiens, Feldflugplatz
Donnerstag, 22. Oktober 1942, früh, Nähe Amiens, B 17
Donnerstag, 22. Oktober 1942, früh, Nähe Amiens, BF 109
Donnerstag, 22. Oktober 1942, früh, Nähe Amiens, B 17 „Memphis“
Mittwoch, 27. März 2016, Berlin
Donnerstag, 22. Oktober 1942, Mittag, Mitteldeutschland, B 17 „Memphis“
Donnerstag, 22. Oktober 1942, Nachmittag, Nordhausen
Donnerstag, 28. März 2016, ICE
Donnerstag, 22. Oktober 1942, Nachmittag, Nordhausen, Büro des Gauleiters
Freitag, 29. März 2016, bei Berlin
Montag, 8. Juni 1942, Chemnitz
Freitag, 23. Oktober 1942, Vormittag, Nordhausen, Büro des Gauleiters
Mittwoch, 12. August 1942, Kassel, Ingenieurbüro Schreiter & Partner
Sonnabend, 30. März 2016, Nordhausen
Donnerstag, 5. November 1942, abends, Karlshagen, Usedom
Peenemünde, Frühjahr 1944
Sonntag, 31. März 2016, Bendeleben
Montag, 1. April 2016, Nordhausen
Donnerstag, 5. November 1942, abends, Karlshagen, Usedom
Dienstag, 2. April 2016, Möwensee
Mittwoch, 18. November 1942, Kassel, Ingenieurbüro Schreiter & Partner
Dezember 1942, Gestapo Erfurt
Herbst 1944
Peenemünde, 8. Januar 1944
Dienstag, 2. April 2016, Möwensee
Nordhausen, Januar 1945
Nordhausen, Januar 1945, Gefechtsstand
Nordhausen, Januar 1945, Bomberpulk
Dienstag, 2. April 2016, Bunker
Nordhausen, Januar 1945, Gefechtsstand
Nordhausen, Januar 1945, Bomberpulk
Dienstag, 2. April 2016, Bunker
Nordhausen, Januar 1945, Bomberpulk
Dienstag, 2. April 2016, Bunker
Freitag, 4. Dezember 1942, Kassel, Ingenieurbüro Schreiter & Partner
Dienstag, 2. April 2016, Bunker
Nordhausen, 1944, Mittelbau Dora
Dienstag, 2. April 2016, Bunker
Dienstag, 2. April 2016, Möwensee
Dienstag, 2. April 2016, Möwensee
Ein Tag wie jeder andere. Er wusste, dass sich nichts Besonderes ereignen würde und frühstückte wie gewöhnlich ordentlich. Seinen Frühstückstisch deckte er immer so, als ob Gäste zu erwarten wären. Brot, Brötchen, Wurst, Käse, Marmelade, Kaffee, Saft. Es war ihm klar, dass er vieles wieder so in den Kühlschrank zurück räumen würde, wie er es heraus genommen hatte. Letztlich war das ihm egal, er wollte sich der Illusion hingeben, dass vielleicht doch noch jemand am Tisch Platz nehmen würde. Die Stereoanlage brachte leise Musik in den Raum. Er hatte es sich abgewöhnt Nachrichten zu hören, denn was war da anderes zu erwarten als Meldungen über Finanzkrisen, Terroranschläge, Regierungsversagen und drohende Inflation. Damit wollte er sich zumindest früh nicht auseinandersetzen.
Nach dem Badbesuch begann er in seine Sachen zu steigen. Zu dem morgendlichen Ritual gehörte, dass die Krawatte perfekt gebunden sein musste und die Schuhe hochglanzpoliert waren. Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel war er mit sich zufrieden und fuhr in die Tiefgarage. Sein Auto schien so gar nicht zu seinem geschäftsmäßigen Anzug zu passen. Ein Skoda Octavia. Was man erst auf den zweiten Blick sah: ein RS. 210 PS stark und 265 Sachen schnell. Bewusst hatte er eine Allerweltsfarbe, nämlich Silber, gewählt, um den Wolf im Schafspelz zu geben. Kein weiterer Zierrat wie Spoiler war an dem Auto vorhanden. Wer sich so etwas anbaute hatte in seinen Augen erstens schlechten Geschmack, zweitens offensichtlich ein Minderwertigkeitsproblem und von vornherein verloren. Er wusste, dass er sich wieder quälend lange durch die Stadt bewegen musste, ehe er zur nächsten Autobahnauffahrt kam. Nimm‘ es so wie es ist, dachte er sich jeden Tag. Schließlich wolltest du ja im Zentrum wohnen. Nah dran, Kneipen und Clubs vor der Haustür. Die Freunde nicht weit. Man konnte nicht alles haben.
Obwohl er sehr gern harte Musik hörte lief im Auto eine CD mit Orgelmusik von Bach. Das half ihm ein bisschen die Schleicherei zu ertragen und nicht gleich auszuflippen, wenn mal wieder ein Idiot an der Ampel pennte oder einer ihm die Vorfahrt schnitt. Mit Absicht wählte er immer die gleiche Strecke, so war die Fahrtzeit einigermaßen kalkulierbar. Er war weiß Gott nicht darauf angewiesen jeden Tag zur selben Zeit und auf die Minute genau im Büro zu erscheinen, aber seinen Mitarbeitern wollte er schon bedeuten, dass er das gleiche von ihnen erwartete.
Da die Stadt von Baustellen wimmelte gab es nur die Chance auf pünktliches Eintreffen, wenn er die verlorene Zeit auf der Autobahn wieder gewann. So war er auf den Octavia gestoßen. Protz ging ihm am Arsch vorbei und ein Porsche stand jetzt noch nicht zur Diskussion, obwohl er sich den locker leisten könnte. Mehr Sein als Scheinen ging ihm durch den Kopf. Oje, wenn er sich jetzt politisch korrekt verhielt musste er diese Überlegung gleich wieder löschen, schließlich stammte der Spruch von Adolf Hitler. Politisch war er sehr wach und interessiert, nur kotzten ihn diese Spielereien um den Machterhalt an, denn da stand wenig Interesse dahinter, das Land vorwärts zu bringen, sondern selbst an der Täte zu bleiben. Braucht sich doch keiner zu wundern, wenn nur noch wenige zur Wahl gehen. Davor alles versprechen, danach würde man sich bemühen, die Versprechungen einzulösen. Wenn ich mich nur bemühen würde meinen Umsatz zu bringen, könnte ich gleich den Hut nehmen.
Er merkte, dass seine Gereiztheit zunahm. Pass‘ auf Junge, ermahnte er sich, gleich bist du auf der Piste. Den einen und anderen Fahrer kannte er, diese waren offensichtlich wie er jeden Tag auf dem Arbeitsweg. Einige mussten sich den Octavia schon von hinten ansehen und er hatte sich diebisch gefreut, diese teueren Autos so leicht zu verblasen. Mit der Zeit war es aber langweilig geworden und seine Risikobereitschaft nahm zu. Du wirst dich heute nicht locken lassen dachte er und ein Blick auf seine Uhr zeigte, dass noch viel Zeit blieb. Also blieb der Octavia auf der mittleren Spur und rollte dem Büro entgegen.
„Guten Morgen, Herr Franke.“
„Guten Morgen, Monika“ entgegnete er der Empfangsdame.
„Schöner Tag heute, hoffen wir, dass die Arbeit auch so gut läuft.“
„Aber sicher, Herr Franke, bei Ihnen doch immer.“
„Na, übertreiben Sie mal nicht, der letzte Monat war nicht so der Hit.“
„Aber dieser wird richtig gut, glauben Sie mir“ sagte Monika.
„Wollen wir es hoffen“ warf er knapp hin und ging zum Treppenhaus.
Sein Büro lag im dritten Stock und es war zur Gewohnheit geworden, das Treppenhaus zu benutzen und nicht den Fahrstuhl. Sitze ja heute wieder den ganzen Tag in einem Meeting nach dem anderen. Keine Bewegung. Kein Wunder, dass ich paar Kilo zu viel auf den Rippen hab. Er trieb regelmäßig Sport, aber das konnte den Fluch der Bewegungsarmut im Büro nicht ausgleichen.
Auf seinem Schreibtisch dampfte schon eine Tasse Kaffee.
„Danke Doris“ rief er durch das Büro.
„Gerne“ kam es von seiner Assistentin, die zwei Meter weiter weg saß zurück.
Das Büro des Abteilungsleiters lag an der Fensterfront und war ringsum von der Decke bis zum Boden verglast. Welcher Arsch hat das bloß projektiert ging es ihm durch den Kopf. Seit dem ersten Tag in der Firma ärgerte er sich über diesen Glaskasten. Wie ein Hamsterkäfig. Ja, ja ich weiß, die berühmte Transparenz. Für alles offen, alles sichtbar. Der Architekt muss den Arsch offen gehabt haben. Wo soll man in so einem Stall etwas abstellen können. Dennoch ging es ihm besser als den Mitarbeitern, denn denen hatte man mobile Arbeitsplätze verpasst, die Firma arbeitete an vielen Projekten, bei denen die Beteiligten schnell wechselten. So zog also Hinz und Kunz mit seinem mobilen Schreibtisch durch das Großraumbüro und dockte an die diversen Anschlüsse an, wo sich gerade das Projektteam befand. Zirka 90 Zentimeter hohe Raumteiler gaben die Möglichkeit, noch den Kopf seines Gegenübers zu erkennen. Keine Langeweile aufkommen lassen, die Leute in Bewegung halten, sie flexibel einsetzen und auch eine gewisse Selbst Kontrollfunktion unter den Mitarbeitern schaffen, hatte man ihm zum Beginn erklärt. Dass selbst ein Büroarbeiter ab und an so etwas wie einen Fluchtpunkt brauchte, hatte niemand berücksichtigt. Er hatte es sich angewöhnt, zu Beginn des Tages durch das Büro zu gehen und alle zu begrüßen. Das kam gut an. Auch sah er sofort, in welcher Verfassung die Leute waren.
Krüger hatte öfter mal Ehe Stress, kein Wunder bei seiner Frau, einer furchtbaren Xanthippe, die er ihm zu einer Abteilungsfeier vorgestellt hatte. Wunderlich, der ewige Junggeselle, der wahrscheinlich öfter mal ein Glas zu viel trank aber ein hervorragender Programmierer war, Katrin, fünfzig, allein und für alle deutlich sichtbar in den Wechseljahren und immer begierig nach einem offenen Fenster wegen ihrer Hitzewallungen oder Frank, den permanent Geldprobleme plagten, weil er Unterhalt für drei Kinder zahlen musste.
Er wusste viel über seine Leute, denn zur letzten Abteilungsfeier vor einem knappen Jahr hatte er sein Budget großzügig genutzt und vor allem in Form von Alkoholika bereitgestellt. Selbst ein sehr kontrollierter Trinker hatte er die Dinge an diesem Abend einfach laufen lassen. Es lag ihm nicht daran, die Leute auszuhorchen. Dazu war er zu souverän und hatte das auch nicht nötig und es gab keinerlei Vorsatz. Aber erwartungsgemäß schmeckte es allen an diesem schönen Abend auf dem Schiff und bald kamen die ersten, um sich ausheulen. So erfuhr er, mehr oder weniger ungewollt, was bei einigen schief lief. Das merkte er sich, hatte aber nicht vor, dieses Wissen gegen sie auszuspielen.
Das Meeting spulte er routiniert ab, Ziele wurden definiert und Aufgaben verteilt, alles wie gehabt. Dann noch einige Telefonate und Besprechungen und gegen 18 Uhr verließ er das Büro. Zu Hause angekommen nahm er sich ein Bier, setzte sich vor den Fernseher und ließ sich eine halbe Stunde berieseln. Dann raffte er sich noch einmal auf, kochte sich eine Suppe, trank danach einen Grappa, sah noch etwas fern und ging ins Bett.
Vor gut zwei Wochen, am 3. Oktober, einem Sonnabend, war das Aggregat 4 erstmalig erfolgreich aufgestiegen. Die Gipfelhöhe betrug 85 Kilometer, die Geschwindigkeit fast Mach 5. Grund für alle, diesen Tag gebührend zu feiern. Dr. Riebel war bereits über 10 Jahre an dem Projekt beteiligt, denn schon 1936 hatten weitsichtige Vertreter der Wehrmacht angeregt, Raketen für den Fernkampf zu entwickeln. Die deutsche Luftwaffe war zu diesem Zeitpunkt noch führend und ihren potentiellen Gegnern deutlich überlegen. Dies zeigte sich insbesondere in Spanien, als die ersten Bf 109 am Himmel auftauchten und mit den russischen I 16 kurzen Prozess machten. Riebel ahnte damals schon, obwohl die Propaganda anders tönte, dass es eines Tages gegen Russland gehen würde.
In dem am 24. August 1939 abgeschlossenen Nichtangriffspakt mit Russland, der eine Vertragsdauer von 10 Jahren haben sollte, sah er ein geniales Täuschungsmanöver. Auch er konnte sich vorstellen, dass deutsche Truppen irgendwann am Ural stehen und ganz Europa beherrschen würden. Recht leidenschaftslos sah er das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, denn dieses rückständige Land könnte unter deutscher Herrschaft aufblühen und die Bevölkerung am Wohlstand partizipieren. Dass es bis dahin Opfer kosten würde war in Kauf zu nehmen. Wenn es so käme, war es für ihn einleuchtend, dass die neue Reichsgrenze ein Bollwerk werden musste, das nur mit überlegenen Waffen zu schützen wäre.
Politisch übte sich Riebel in Zurückhaltung. Zwar war er zeitig Mitglied der NSDAP geworden, sah dies aber nur als Mittel an, seine ingenieurtechnischen Träume umzusetzen und an faszinierenden Projekten zu arbeiten. Hitler hielt er für einen Schreihals und Demagogen, der die Massen in seinen Bann zog. Angewidert hatte Riebel Ende der dreißiger Jahre in der Wochenschau zur Kenntnis genommen, wie Hitler oder Goebbels ganze Stadien ihrer Anhänger mit Halbwahrheiten zum Kochen brachten und die Menschen in manipulierbare Automaten verwandelten. Krieg, liebe Landsleute, sagte er sich damals, der Krieg steht schon vor der Tür. Bald wird Hitler die Klinke herunterdrücken und ihr stolpert mit Euphorie in ein Abenteuer, das euch das Leben kosten kann. Am Sieg Deutschlands hatte er allerdings keine Zweifel. Dazu ist unsere Industrie zu fortschrittlich und wir verfügen über gut ausgebildete Facharbeiter, die auch ohne Probleme moderne Waffen bedienen können waren seine Argumente.
Und er war einer der Schöpfer, die vor kurzem so eine Waffe bis in das Weltall geschossen hatten.
Das war der Anfang.
Er war mit einem komischen Gefühl aufgestanden.
Nichts, was ihn beunruhigte oder Angst machte.
Einfach ein Gefühl.
Kriegte keine Klarheit in seinen Kopf, weil irgendetwas da spukte. Dagegen hilft nur die Tagesroutine sagte er sich und deckte den Frühstückstisch.
Bald war er wieder durch die Stadt unterwegs. Seine defensive Fahrweise vom Vortag behielt er auf der Autobahn bei. Im Büro gab es nichts was außergewöhnlich war und auch der restliche Arbeitstag bot keine Überraschungen. Abends zu Hause fand er einen Schein von DHL in seinem Briefkasten und holte die Sendung von seiner Nachbarin, einer freundlichen älteren Dame, ab, die ihn immer wieder wegen seiner langen Arbeitstage bedauerte. Jedes Mal fühlte er sich gemüßigt ihr zu erklären, dass es gar nicht so schlimm sei. Sie glaubte ihm nicht.
Er öffnete das Paket und ein Buch über Bunker und Festungsanlagen schlüpfte aus der Folie. Vor vier Tagen über das Internet bestellt war er gespannt, ob es seinen Erwartungen entsprach. Segen und Fluch der Technik, dachte er verträumt. Man kauft die Katze im Sack. Kein Vergleich, im Laden in einem Buch zu stöbern, die Blätter zu spüren und es eventuell wieder wegzulegen. Auf dem Sofa, ein Bier neben sich, fing er an zu blättern. Nicht schlecht, ein komplettes Verzeichnis aller in Deutschland bekannten Bunker. Gut bebildert und illustriert. Mehr als 400 Seiten stark. Los, iss erst mal was, ermahnte er sich. Schnell schmierte er sich zwei Schnitten und begann zu lesen.
Vieles war ihm bekannt, denn sein Interesse für Bunker bestand schon lange. So richtig konnte er das nicht erklären, aber die Faszination zog er vor aus der Anerkennung für die ingenieurtechnischen Leistungen und das Geheimnisvolle. Er verzog sich mit einem Grappa ins Bett und las interessiert. Das Buch war gut und spannend geschrieben und selbst solche Details wie die Befestigung der Außentüren oder deren Aufbau zogen ihn in den Bann. Er wurde müde und blätterte noch ein bisschen. Auf Seite 387 las er, dass im Buch die bekannten Bunker beschrieben wurden, aber eine Dunkelziffer aus der Zeit des Dritten Reiches verbliebe. Besonders im Thüringer Raum wurden noch nicht identifizierte Bunker vermutet. Gerüchte in den fünfziger Jahren sprachen immer wieder von einer hochgeheimen und ganz speziellen Bunkeranlage in der Gegend von Nordhausen. Kenne ich doch, ist der Mittelbau Dora wo die V2 produziert wurde, dachte er schläfrig. Doch dann sah er auf der folgenden Seite, dass der Mittelbau Dora extra erwähnt wurde.
Da war es wieder, das komische Gefühl.
Besonders, weil er mit Robert, seinem besten Freud, bald nach Bad Frankenhausen fahren und am Kyffhäuser wandern gehen wollte. Nah an Nordhausen.
Lange konnte es nicht mehr dauern. Nach der missglückten Landung der Kanadier bei Dieppe am 18. und 19. August 1942 befahl Hitler die Befestigung der gesamten Atlantikküste. Das hieß, dass die Produktion nochmals erhöht werden musste. Die Grube hatte gigantische Ausmaße angenommen. Über einen Kilometer lang, 600 Meter breit, teilweise 50 Meter tief, nur in der Mitte blieben noch gut 100.000 m3 übrig, da man von Norden und Süden her mit dem Abbau begonnen hatte. Der Krieg hatte bis jetzt Unmengen an Baumaterial erfordert. Für Bunker, Befestigungen jeglicher Art, für Straßen. All dies brauchte Kies. Um den Bedarf an Beton vor Ort zu befriedigen war in Steinwurfweite der Grube ein Mischwerk errichtet worden, das in zwei Schichten arbeitete. Er rief Steiner an.
„Hier ist Walther vom Kiestagebau Nordhausen. Guten Tag Herr Steiner. Ich habe soeben einen Anruf aus dem Büro des Gauleiters erhalten. Wir sollen melden, wie lange wir liefern können und welche Menge noch zu erwarten ist. Der Führerbefehl zum Atlantikwall lässt grüßen.“
Steiner, der Geologe, antwortete:
„Also so aus der Ferne geschätzt und unter Beachtung der jetzigen Fördermenge rechne ich mit noch 6 Monaten. Die Länge ist fast ausgeschöpft, in der Breite können wir vielleicht noch jeweils 20 Meter zulegen. Muss ich mir vor Ort noch genau ansehen. Ich bin heute Nachmittag bei Ihnen. Einen schönen Tag noch.“
Das übliche „Heil Hitler“ vermieden beide untereinander.
Der Mann, der Fritz Sauckel gegenüber saß, war schmächtig, hatte bereits, obwohl er erst Anfang vierzig schien, alle Haare verloren und trug eine runde Brille, deren Gläserstärke auf starke Kurzsichtigkeit hindeutete. Seine Kleidung war unauffällig, der Anzug wenig elegant und bereits etwas abgetragen. Den Mantel hatte er an die Garderobe gehängt, sein Hut lag auf der Kommode.
Wer ihn nicht kannte konnte ihn für einen Buchhalter oder einen Büroleiter halten. Alles in allem wirkte er wie eine graue Maus. Sauckel wusste es anders. Überraschenderweise hatte er gestern einen Anruf aus dem Rüstungsministerium erhalten. Dr. Fassbender würde morgen bei ihm zum Gespräch erscheinen. Wenn Fassbender selbst kommt liegt etwas in der Luft hatte er sich gesagt. Fassbender war so etwas wie die Schnittstelle zwischen Speer und Todt gewesen. Nachdem Todt im Februar 1942 beim Flug zur Wolfsschanze abgestürzt war musste Fassbender in der Hierarchie aufgerückt sein. Welche Funktion er jetzt einnahm wusste Sauckel nicht, er vermutete aber, dass Fassbender nah an Speer dran war. Aus seinen bisherigen Gesprächen mit dem Mann ihm war klar geworden, dass Fassbender schnell zur Sache kommen würde, schließlich hatte er keine Zeit zu verschwenden.
„Gauleiter, ich habe den Auftrag, Ihnen einen streng vertraulichen Brief zu übergeben. Ich bitte Sie, diesen jetzt zu lesen. Vorerst geht es nur darum, Ihnen grobe Informationen zu geben. Die Details werden Ihnen später mit der Kurierpost übergeben werden.“
Sauckel drehte den Brief in seinen Händen. Er schätzte, dass in dem Umschlag zwei bis drei Seiten enthalten waren. Mit einem Brieföffner schlitzte er das Kuvert auf und nahm die die Blätter heraus. Er sah Fassbender an, dieser nickte wortlos. Sauckel las.
Er verfügte nicht über besondere intellektuelle Fähigkeiten. Mit 15 Jahren verließ er das Gymnasium ohne Abschluss und heuerte als Matrose an. Den ersten Weltkrieg erlebte er in einem französischen Internierungslager und begann dort, sich politisch zu orientieren. Aus seiner Sicht war das Judentum schuld daran, dass Deutschland den Weltkrieg verloren hatte. Der Schritt zum Antisemiten war demzufolge nicht schwer. Die ärmlichen Verhältnisse, unter denen er nach dem Krieg leben musste, führten ihn bald zur Bewegung Adolf Hitlers. Er wusste, dass er sich mit solchen Weggefährten Hitlers wie Goebbels oder Göring im Geiste nicht messen konnte. Diesen Malus versuchte er mit Treue zu Hitler und Härte gegen Gegner zu kompensieren. Er hatte schnell erkannt, dass aber im Günstlingssystem Hitlers dennoch Platz für ihn war. Da er nicht mit Intelligenz überzeugen konnte blieb ihm nur der Weg durch die Instanzen der Partei. In den frühen 1920er Jahren war er Kreisleiter von Unterfranken im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund. 1923 trat er in die NSDAP ein, wenig später wurde er zum Ortsgruppenleiter in Ilmenau sowie zum Bezirksleiter der Partei in Thüringen gewählt. Nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 versuchte er die Parteigefolgschaft in Thüringen zusammenzuhalten. 1924 gründete er die völkische Kampfzeitung "Der Deutsche Aar", 1925 wurde er Gaugeschäftsführer Thüringens und 1927, nach dem von ihm organisierten Sturz des bisherigen Amtsinhabers Artur Dinter, Gauleiter Thüringens. Also ein Mann mit Partei Erfahrung, aber ohne besondere Fähigkeiten und ohne jedes Charisma.
Er legte die Blätter auf den Tisch. Was er gelesen hatte, war ihm zum Großteil unverständlich geblieben. Instinktiv spürte er aber, dass hier eine große Sache auf ihn zukam, aber wie er diese bewältigen sollte wusste momentan nicht. Wieder spürte er dieses Gefühl der geistigen Unterlegenheit aufsteigen, das er jedoch geübt unterdrücken konnte. Er schaute Fassbender unsicher an.
„Nun, Gauleiter“, fragte dieser ihn, „haben Sie Fragen?“
„Ein sicher großartiges Projekt für das Reich, Herr Dr. Fassbender. Sie müssen verstehen, ich bin kein Techniker und verstehe viele Dinge nicht. Da brauche ich schon Hilfe.“
„Seien Sie unbesorgt. Die Aufgaben, die Sie zu erfüllen haben, liegen im Bereich Ihrer Möglichkeiten. Mit der nächsten Post wird Ihnen genau erklärt, wer an dem Projekt mitarbeitet und welche Aufgaben er hat. Ich selbst leite den Sonderstab „WF 44“ und werde alles in der Hand behalten. Diese Blätter dort“, er wies auf den Tisch „ und alle Post die Sie noch erhalten werden gibt, es nur einmal. Es existiert nicht einmal eine Fotokopie. Ich hoffe, Sie können die Bedeutung des Projektes für das Reich damit richtig einordnen. Und ich hoffe sehr, Sie enttäuschen den Führer nicht. “
„Selbstverständlich. Darf ich Ihnen noch einen Kaffee und eine Zigarre bringen lassen, Herr Dr. Fassbender?“
„Gern.“
Beide saßen schweigend in ihren Sesseln. Sauckel versuchte sich vorzustellen, welche Dimension das Projekt hatte. Die entsprechenden Mittel und Arbeitskräfte zu organisieren erschien ihm lösbar. Wovor er Angst hatte war die Tatsache, dass kein Mensch erfahren sollte, was in seinem Gau entstehen würde. Das hieß für ihn auch, Mitwisser zu eliminieren, wenn das Projekt abgeschlossen war. Er durfte keinen einzigen Fehler machen.
Steiner fuhr mit einem Horch zur Kiesgrube denn die Gefahr eines Bombenangriffes hielt er zu dieser Zeit für gering. Die Amerikaner hatten 1942 zwar begonnen Ziele in Frankreich anzugreifen, Deutschland blieb noch weitestgehend unbehelligt. Ab und an verirrten sich Bomberbesatzungen wegen Navigationsschwierigkeiten, warfen die Eier irgendwo ab und versuchten in die neutrale Schweiz zu gelangen, um sich dort internieren zu lassen. Eine B 17 konnte das mühelos schaffen, ihre Reichweite betrug fast 5.300 Kilometer.
Captain Brown konnte sich auf seine Crew verlassen. Sie hatten bereits 24 Einsätze hinter sich und waren jedes Mal wohlbehalten zurückgekommen. Ein paar Einschüsse oder Löcher durch explodierende Flakgranaten waren zwar unschön, aber niemand war zu Schaden gekommen. Einmal hatte sein Kettenhemd, das die Besatzungen über der Fliegerkombination trugen und sie an Brust und Rücken schützen sollte und vom Hals bis zum Becken reichte, einen glühenden Flaksplitter aufgefangen. Am Boden hatte er ihn herausgezogen und trug ihn seitdem als Talisman an einer Kette um den Hals. Mit seinen 28 Jahren war er der Älteste. Seine Babys, wie er sie nannte, waren nicht älter als 22. Alles patente Jungs, die aus verschiedenen Bundesstaaten stammten. Keiner war verheiratet, sie hatten das Leben noch vor sich. Wenn sie vom Einsatz zurückkehrten erzählten sie sich gegenseitig, wie sie sich das Leben nach dem Krieg vorstellten. Jeder hatte seine Pläne und Wünsche.
Das Briefing hatte ihnen ein Ziel in Frankreich bei Amiens zugewiesen. Also kurzen Sprung über den Kanal, Bomben runter und wieder ab nach Hause dachte er sich. Die deutschen Jagdflieger waren nicht mehr so kraftvoll wie zu Kriegsbeginn, sie hatten in der Luftschlacht um England Federn lassen müssen. Und der eigene Jagdschutz kam immer besser in Form. Was soll also passieren, beruhigte er sich, denn Anspannung war vor jedem Einsatz da. Er versuchte es seinen 9 Babys nicht zu zeigen. Besonders seinem Tail Gunner Baker und den Ball Turret Gunner Wilson durfte er die Unsicherheit nicht spüren lassen. Baker hatte hinter seinem Browning M2 eine exponierte Position in der Heckverteidigung. Die Deutschen waren schnell darauf gekommen, die Bomber von hinten unten anzugreifen. Noch schlechter war Wilson dran. Im Kugelturm unter dem Rumpf, welcher sich um seine horizontale und vertikale Achse mit Hilfe eines Elektromotors bewegen ließ, musste er auf dem Rücken liegend zwischen den Beinen hindurch visieren, Sicht war nur durch kleine Fenster möglich. Der Turret Gunner konnte als einziger der Besatzung keinen Fallschirm anlegen, weil der Platz dazu nicht ausreichte. Und falls die Maschine abschmierte, brauchte der Schütze gut eine Minute, um aus seinem Gefängnis zu entkommen. Viele schafften es nicht. Brown gab sich keinen Illusionen hin. Auch er und sein Copilot Pacino hatten zwar gepanzerte Rückenlehnen, am Bug fand sich jedoch keinerlei Panzerschutz, so dass sie Frontalbeschuss nahezu wehrlos ausgesetzt waren. Allerdings vertraute er auf die geballte Feuerkraft der Formation die eine Annäherung der Jäger erschwerte.
Die Maschine rollte auf die Graspiste. Die Motoren dröhnten schon gut 20 Minuten und hatten Betriebstemperatur erreicht. Zusammen mit Pacino war er die Checkliste durchgegangen, es gab keine Probleme. Über die Bordsprechanlage rief er seinen Leuten zu:
“ Das wird ein Spaziergang heute, Jungs. Das Ziel ist 500 Kilometer entfernt, eine schwach geschützte Gießerei, zum Mittagessen sind wir wieder da.“
„Hast du für uns in der Kantine bestellt“ ließ sich Wilson vernehmen.
„Ja, Austern und Sekt“ rief Brown zurück.