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1943 steht Deutschland nach den Niederlagen in Stalingrad und Kursk militärisch mit dem Rücken zur Wand. Das moralische Kapital ist durch die Ermordung der jüdischen Bevölkerung sowie andere menschenverachtende Handlungen längst verspielt. In diesen Stunden formieren sich Männer und Frauen, um den Ruf Deutschlands nicht weiter ruinieren zu lassen und bilden eine Opposition gegen Hitler. Am 17. November 1943 fällt dieser einem Attentat zum Opfer, gleichzeitig werden seine Paladine verhaftet. Kurz flammt Widerstand von Anhängern Hitlers auf, dieser wird aber mit Waffengewalt unterdrückt. Ein in der deutschen Bevölkerung sehr geschätzter hochrangiger Offizier übernimmt die Staatsgeschäfte und der Krieg wird weiter fortgesetzt. Im Wissen, dass dieser nur bei einer Überlegenheit der eigenen Waffen zu gewinnen ist, werden Pläne wieder aus den Tresoren der Industrie geholt und vollkommen neue Waffentechnik entsteht, die den Deutschen erneut ein offensives Vorgehen erlaubt. Das Blatt an den Fronten wendet sich, und es ergeben sich ganz unerwartete Wendungen.
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Seitenzahl: 284
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Impressum
Frank Hille
Germania 1943
Eine Fiktion
Copyright: © 2017 Frank Hille
Published by: epubli GmbH, Berlin
www. epubli.de
Moskau, 1951
Berlin, Oktober 1943
Führerhauptquartier, 5. Juli 1943
Prochorowka, 8. Juli 1943
Moskau, 1951
Nordatlantik, Juli 1943
Prochorowka, 8. Juli 1943
Hamburg, Mai 1943
Projekte, 1942
Prochorowka, 9. Juli 1943
Vorbereitungen, August 1943
Peenemünde, September 1943
Auschwitz-Birkenau, Mai 1943
Operation „Zange“, Rastenburg, Berlin, 17. November 1943
Ziele, Berlin, 21. November 1943
Schlachtschiff „Iowa“, Atlantik, 12. Dezember 1943
MAN, Nürnberg, Dezember 1943
Berlin, 17. Dezember 1943
Kiel, Januar 1944
70 Kilometer entfernt von Murmansk, Juni 1949
MAN, Nürnberg, März 1944
Visionen, März 1944
U 2506, Atlantik, Februar 1944
Arado Flugzeugwerke, Januar 1944
Beschussversuche
U 2506, Atlantik, Februar 1944
70 Kilometer entfernt von Murmansk, Juni 1949
U 2506, Atlantik, Februar 1944
Mitteldeutschland, Sachsen, 12. März 1944
Berlin, März 1944
Östliches Russland, April 1944
Karls Universität Prag, Juni 1950
Amerikanische Ostküste, August 1944
Moskau, 1951
Amerikanische Ostküste, August 1944
Karls Universität Prag, Juni 1950
Amerikanische Ostküste, August 1944
Nordseeküste, August 1944
Amerikanische Ostküste, August 1944
Polen, Masuren, August 1944
Amerikanische Ostküste, August 1944
Polen, Masuren, August 1944
Nowosibirsk, Januar 1945
London, Mai 1945
Berlin, Juli 1945
Ukraine, März 1946
Novosibirsk, August 1945
Moskau, 14. November 1951
Moskau, 14. November 1951
Moskau, 14. November 1951
Moskau, 14. November 1951
Moskau, 15. November 1951
Moskau, 15. November 1951
Moskau, 16. November 1955, Auswertungen
Traditionell würde wie seit 1946 üblich am 15. November zeitgleich in Berlin, Paris, London, Rom, Warschau und Moskau eine beeindruckende Militärparade stattfinden.
Der Mann in der dunkelblauen Uniform verfluchte wie jedes Jahr kurz vor diesem Tag seine Aufgabe, die Parade hier in Moskau vorzubereiten, denn man konnte nie verlässlich voraussagen, wie das Wetter dann sein würde. Den Sommer über war die Stadt durchaus erträglich, zumal sich seit 1946 überall Baukräne drehten und ganze Reihen alter Straßenzüge abgerissen worden waren und neuen Häusern Platz gemacht hatten. Die schon früher vorhandenen großzügig dimensionierten Verkehrsachsen waren dagegen erhalten geblieben und es hatte sich bald herausgestellt, dass dies eine kluge Entscheidung gewesen war. Heute waren die Straßen bereits in den Morgenstunden mit Autos aller möglichen Marken überfüllt und die Moskauer hatten sich daran gewöhnt, fast ständig im Stau zu stehen. Wer konnte wich in die U-Bahn aus, dort kam man wesentlich schneller, aber wegen dem Menschenandrang auch deutlich unbequemer voran, da das Streckennetz mit dem rasanten Wachstum der Stadt bei weitem nicht Schritt halten konnte, obwohl sich an drei verschiedenen Stellen an der Peripherie der Stadt mächtige Tunnelbohrmaschinen in den Untergrund wühlten. Der Mann wohnte in einem vor kurzen errichteten und zwanzig Stockwerke hohem Apartmenthaus und verfügte über eine gehobene Wohnungsausstattung mit Parkett, einer exklusiven Küche und anderen Annehmlichkeiten. Der Blickfang in seinem Wohnzimmer war allerdings ein großer Farbfernseher, und wenn er Gäste hatte spürte er, wie sehr sie ihn darum beneideten. Diese Geräte gab es erst seit ein paar Monaten und er hatte sich sofort eines gekauft. Auch dass er es sich leisten konnte, eine zweietagige Wohnung zu mieten, deren Obergeschoss ganz an der Spitze des Hauses über eine geräumige Dachterrasse mit einem sensationellen Blick über die Stadt begeisterte zeigte an, dass er wohl zu denjenigen gehörte, die es geschafft hatten. Was ihn an der Aussicht etwas störte war der alte, hässliche und hohe Wohnturm in relativer Nähe, aber dieser und das danebenstehende Kraftwerk sollten in ein paar Monaten abgerissen und der Ort neu bebaut werden. Der Mann selbst ging davon aus, dass er aufgrund seiner Funktion und seines Einsatzes durchaus angemessen honoriert wurde. Er war 38 Jahre alt, Junggeselle und Perfektionist. Dass seine Mitarbeiter unter diesem Drang von ihm öfter einmal litten nahm er zwar wahr, es interessierte ihn aber nicht, schließlich hatte jeder seine Aufgaben so gut wie möglich zu erfüllen. Er hatte absolut verinnerlicht, dass die ganze Welt den Tag der Paraden in den sechs Städten mit einer Mischung von Ehrfurcht und Angst erwarten würde und er war fest entschlossen, dieses Ereignis wieder zu dem werden zu lassen, was es sein sollte: ein Zeichen von Stärke und Macht.
Die Vorbereitungen dafür begannen schon früh im Jahr. Sein Mitarbeiterstab von knapp 10 Leuten hatte verschiedenste Aufgaben, die teils banal erschienen, aber wer genauer hinsah bekam mit, dass tausende Dinge zu bedenken waren und selbst Kleinigkeiten eine bedeutende Rolle spielen konnten. Der Mann hatte eine Liste erstellt, in der alle Aktivitäten in ihrem zeitlichen Ablauf vermerkt waren. Natürlich hatten er und seine Mitarbeiter schon eine gewisse Routine entwickelt und in den letzten Jahren waren die Paraden ohne Zwischenfälle über die Bühne gegangen. Wie choreographiert waren die Panzer über den Roten Platz gezogen, hatten Jagdflugzeuge und Strahlbomber die Stadt überflogen und waren die Truppen über das Pflaster paradiert. Dem Mann selbst waren beim Anblick des wie ein Uhrwerk ablaufenden Spektakels Schauer über den Rücken gekrochen, denn was hier vor sich ging, war zum großen Teil mit das Ergebnis seiner Arbeit. Als die Gäste nach dem Ende der Parade im Kordon der Sicherheitsleute die Tribüne verließen und sich in den Bankettsaal begaben gehörte er mit zu den wenigen übrigen, die nicht zur Riege der Staatsführung oder der hochrangigen Beamtenschaft zählten, aber dennoch eine herausgehobene Stellung inne hatten und an dem Akt teilnehmen konnten. Unter den schätzungsweise 200 Teilnehmern am Bankett befanden sich überwiegend Männer in Uniformen, die Zahl der Zivilisten war verschwindend gering und nur wenige Frauen waren anwesend. Obwohl der Mann streng genommen eine mehr organisatorische Arbeit zu leisten hatte trug er dennoch eine Uniform, deren Schulterstücke ihn als Major auswiesen. Eine direkte militärische Ausbildung hatte er nie durchlaufen, aber er war nach den ersten beiden erfolgreich und beeindruckend verlaufenen Paraden sofort zum Offizier ernannt worden. Damit waren für ihn eigentlich nur Vorteile verbunden, denn dieser Status bescherte ihm ein üppiges Einkommen und Respekt. Außerdem war es für die Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen erleichternd, denn als Zivilist hätte er wohl größere Probleme gehabt. Insbesondere die Leute vom Geheimdienst zeichneten sich durch eine erhebliche Arroganz aus und der Mann merkte, dass sie ihn zwar als Fachmann schätzten, aber mit einem nicht zu übersehenden Dünkel gegenübertraten. Dennoch funktionierten die Abstimmungen recht gut, denn die Geheimdienstler wussten ganz genau, dass er über einen sehr guten Draht zur obersten Führung verfügte.
Ostentativ hatte ihn der Oberkommandierende der östlichen Militärzone nach der ersten Parade an seinem Tisch im Bankettsaal aufgesucht, ihm die Hand geschüttelt und drei Sätze mit ihm gewechselt.
„Gute Arbeit“ hatte er so laut gesagt, dass es die Umhersitzenden hören konnten, „sehr gute Arbeit. Wenn es mal irgendwo klemmen sollte, rufen Sie mich einfach an. Nächstes Jahr ist der Generalissimus in Paris, aber in zwei Jahren wird er hier die Parade abnehmen, und Sie wissen, was das bedeutet.“
Der Mann wusste es genau.
Es war Mitte September und das Jahr, in dem der Generalissimus zu dem Festakt in Moskau sein würde. Der Mann und seine Leute arbeiteten ihre Liste routiniert ab, aber dieses Jahr hatte er ein ungewisses Gefühl, welches er aber nicht rational begründen konnte. Es war so etwas wie eine Vorahnung, dass es etwas geben könnte, was er bislang übersehen hatte und die Parade gefährden könnte. Seine Anfrage bei den Leuten vom Geheimdienst, ob es irgendwelche Anzeichen für eine Gefährdung geben könnte, war ergebnislos verlaufen. Es gäbe nur die üblichen Aktivitäten der Gegenseite und im Untergrund, aber man könnte nichts Außergewöhnliches erkennen. Abends saß er noch lange grübelnd in seiner Wohnung und ging in Gedanken noch einmal alles durch. So sehr er auch nachdachte, nach seinem Empfinden gab es keine Schwachstellen, alles war bis ins Detail durchdacht und seit Jahren bewährt. Aber vielleicht lag gerade in der doch recht tief sitzenden Überzeugung, dass alles perfekt vorbereitet wäre und es schon wieder alles klar gehen würde, die eigentliche Gefahr, nachlässig zu werden.
Am nächsten Morgen zog der Mann seine dunkelblaue Uniform an, setzte die Schirmmütze auf und fuhr mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage, wo er sein Dienstfahrzeug bestieg.
„Guten Morgen Vitali“ begrüßte er seinen Fahrer, dieser nickte nur.
Das Fahrzeug fädelte sich in die endlose Fahrzeugkolonne ein, nach 20 Minuten stieg der Mann vor einem Gebäude im Kreml aus dem Auto aus. Kurz zuvor hatte das Fahrzeug zwei Kontrollpunkte der Sicherheitszone passiert. Als der Mann die Treppen zu seinem Büro emporstieg wusste er, dass heute wieder ein langer Arbeitstag vor ihm liegen würde.
Er würde heute wie schon so oft mit seinen Leuten noch einmal darüber nachdenken, welche Wege und Mittel sie wählen würden, wenn sie zur Gegenseite gehören würden.
Der athletische Mann in der Generalsuniform saß vor einem Glas Rotwein und rauchte eine Zigarre. Es war bereits dunkel, aber nur eine schmucklose Stehlampe spendete etwas Licht. Hätte jemand dem Offizier ins Gesicht sehen können wäre ihm aufgefallen, dass dessen Züge auf der einen Seite angespannt waren, auf der anderen aber etwas wie ein fatalistischer Ausdruck auf ihnen lag. Insgesamt drückte seine Körperhaltung Entschlossenheit aus, aber als er sich erhob und zum Fenster ging sah man, dass er sein rechtes Bein nachzog. Generaloberst Anton Fiedler war im Jahr 1942 an der russischen Front bei der Inspektion eines Panzerbatallions in einen überraschenden Granatüberfall der Roten Armee geraten und die messerscharfen Splitter zertrümmerten sein rechtes Knie. Die sofortige Verlegung in ein Lazarett rettete ihm das Leben, denn ohne rasche medizinische Hilfe wäre er verblutet. Obwohl die Ärzte das Knie mehrere Stunden operierten gelang es ihnen nicht, dessen Beweglichkeit wieder herzustellen. Für Fiedler bedeutete das eine gewisse Einschränkung, aber er war im Gegensatz zu anderen, die sich damals in seiner Nähe aufhielten, mit dem Leben davongekommen. Dass er bei seiner Berufswahl die Option gewählt hatte, eventuell bei einer kriegerischen Auseinandersetzung zu sterben war ihm sehr wohl bewusst gewesen. Dennoch war er, durch eine lange Familientradition geprägt, schon als Junge entschlossen gewesen Offizier zu werden, und ihm wurden Begriffe wie Ehre und Ritterlichkeit vermittelt. 1898 geboren wurde er 1916 als Soldat an die französische Front kommandiert und sah sich mit dem Grauen des Krieges konfrontiert. Trotz Zerstörung, Vernichtung und tausendfachem Tod sah er in der Gemeinschaft der Soldaten etwas Besonderes, und der faire Umgang der Gegner in den Kampfpausen sah er als Bestätigung an, dass die ihm von Vater und Großvater vorgelebten Werte auch unter diesen schrecklichen Umständen tatsächlich noch zum Teil existieren konnten. Er kam wie durch ein Wunder mit nur zwei leichten Fleischwunden durch dieses Inferno, und da er sich tapfer und wagemutig gezeigt hatte, wurde er zum Leutnant befördert.
1918 sah er sich verraten, als Deutschland kapitulierte. Anton Fiedler war klar gewesen, dass Deutschlands der Übermacht der Feinde auf Dauer nicht hätte widerstehen können, aber für ihn stand fest, dass alles vielleicht doch anders gekommen wäre, wenn ihnen nicht die aufständigen Soldaten und Matrosen in den Rücken gefallen wären. Folgerichtig schloss er sich einem Freikorps an. Die Reichsregierung stellte schnell fest, dass sich die Vielzahl dieser Korps aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen politischen Grundeinstellungen zu einer Gefahr für die innere Sicherheit entwickeln könnten, und strebte deswegen eine Vereinheitlichung an. Im März 1919 wurde das Gesetz über die Vorläufige Reichswehr verkündet und damit die militärischen Verbände, also auch die Freikorps, in Brigaden der Reichswehr überführt. Anton Fiedler war mit dabei. Da Deutschland nur eine Heeresstärke von 100.000 Mann vorhalten durfte war abzusehen, dass diese Männer den Nucleus eines späteren und stärkeren Heeres bilden würden und ihre Ausbildung war ganz darauf ausgelegt, zukünftig Führungsaufgaben übernehmen zu können. Fiedler fühlte sich jetzt angekommen und ordnete seiner Ausbildung alles unter, 1921 wurde er bereits zum Hauptmann befördert. Der brennende Wunsch, die Niederlage vergessen zu lassen und wieder ein in Europa dominierendes Deutschland zu errichten, verlorengegangenes Territorium zurückzuholen und alte Stärke zu erreichen wurden für Fiedler nahezu zu einer Obsession, für die er seine ganze Kraft einsetzen wollte. Er war hochintelligent und sah die notwendige Änderung der Strategien bereits damals voraus. Als Oberstleutnant reichte er 1927 seine erste Denkschrift an die Heeresleitung ein. In dieser skizzierte er seine Vorstellungen von einer beweglichen Kriegsführung und verwies darauf, dass gepanzerte Fahrzeuge für schnelle Durchbrüche im Zusammenwirken mit der Infanterie geeignet wären, und damit ein für Deutschland nie zu gewinnender Stellungskrieg mit erstarrten Fronten vermieden werden könnte. Man wurde auf ihn aufmerksam und unterbreitete ihm das Angebot, sich langfristig für eine Funktion im Generalstab zu qualifizieren. Anton Fiedler schlug dies aus, er wollte am Aufbau der Panzertruppe direkt beteiligt sein. Obwohl es Deutschland verboten worden war, diese Waffengattung zu besitzen, fanden bereits in den zwanziger Jahren geheime Forschungen und Entwicklungen statt. 1929 wurde er in die geheime, gemeinsam mit Russland betriebene Panzerschule Kama bei Kasan befehligt, um die in Deutschland entwickelten Kampfwagen zu testen. Diese ähnelten noch landwirtschaftlichen Schleppern, und unter diesem Deckmantel waren sie auch entwickelt worden, aber Fiedler sah bereits die künftigen Modelle vor sich. Als Hitler 1933 die Macht ergriff konnte Oberstleutnant Fiedler vieles von dem, was der Führer sagte, unterschreiben. Insbesondere die Vorstellung, dass Deutschland wieder eine wichtige Rolle in der Welt spielen sollte, ließ ihn rastlos am Aufbau der Panzerwaffe arbeiten, und als die ersten Einheiten aufgestellt waren, fühlte er tiefe Befriedigung. 1938 wurde er zum Inspekteur der Panzerwaffe ernannt. Dieses Gefühl, etwas Bedeutsamen geschaffen zu haben steigerte sich nochmals, als die deutschen Panzer in Europa mit ihren schnellen Vorstößen für ganz neue Verhältnisse sorgten und das Reich sich zum Herrscher des Kontinents erhob. Obwohl er nach den leichten Siegen eindringlich davor gewarnt hatte, den aus seiner Sicht noch dringend auszubauenden Panzerverbänden mehr Zeit zu geben, wurden diese kurz darauf im Osten eingesetzt. Generalmajor Anton Fiedler ließ sich von der allgemeinen Euphorie nach den berauschenden Anfangserfolgen in Russland nicht anstecken denn er ahnte, dass der riesige Raum und das noch schlummernde Potential des Landes erhebliche Probleme mit sich bringen würden. Allein der Blick auf die Karte und der Vergleich der Bevölkerungszahlen ließen ihn zu dem Schluss kommen, dass dieser Feldzug ein riesiger Fehler gewesen war, den Deutschland teuer bezahlen müsste. Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich, aber er sagte sich als Soldat, dass er trotzdem die Pflicht hätte, treu zu seinem Eid zu stehen und den Kampf mit allen Mitteln fortzusetzen hätte. Da er als Inspekteur der Panzerwaffe regelmäßig an den Beratungen des Generalstabes teilnahm stellte er schnell fest, dass die Planung der Operationen immer mehr zu Einzelentscheidungen durch Hitler wurden und der Generalstab selbst zu einer kritiklosen Runde der Befehlsabnicker verkam. Für Fiedler war das, insbesondere nach der Niederlage von Stalingrad, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Hitler das deutsche Volk mit seinen größenwahnsinnigen Kriegszielen in den Untergang führen würde. 1933 hatte Anton Fiedler voller Vertrauen an die Fähigkeiten dieses Mannes geglaubt und die Hoffnung gehabt, dass er Deutschland Gutes bringen würde und dem Land wieder Geltung verschaffen könnte.
Heute, 10 Jahre später, war er fest entschlossen, diesen Mann, gemeinsam zusammen mit der Hilfe vieler anderer Gesinnungsgenossen, zu beseitigen. Dass es nicht ausreichen würde Hitler allein zu liquidieren, um eine grundlegende Wende für Deutschland zu erreichen stand für ihn fest, es musste eine Operation sein, die das gesamte System erschüttern und die viele der bisherigen Werte und Strukturen zerstören und durch andere ersetzen müsste. Generaloberst Anton Fiedler fühlte sich schon lange nicht mehr an seinen Eid an Hitler gebunden und er wusste auch, dass, wenn der Plan aufgehen sollte, viele Menschen sterben mussten. Deutsche Menschen.
Darunter könnte er selbst auch sein.
Adolf Hitler war entgegen seiner Gewohnheit nicht erst gegen 4 Uhr früh ins Bett gegangen sondern hatte sich von seinem Leibarzt kurz nach 22 Uhr ein starkes Beruhigungs- und Schlafmittel spritzen lassen. 3 Uhr wollte er wieder geweckt werden. Es war nicht so, dass ihn die gegenwärtige Lage stark beunruhigte, aber es war unverkennbar, dass die deutschen Truppen die Initiative im Osten verloren hatten. Nach der Niederlage in Stalingrad war die Stimmung in der deutschen Bevölkerung trotz aller propagandistischen Einpeitschungen auf einen Tiefpunkt gesunken und für Hitler war klar, dass er dringend einen strategischen Erfolg brauchte. Einerseits gebot das die ungünstige Lage an der Ostfront, zum anderen war dringend ein positiver psychologischer Effekt notwendig. Ein erster Erfolg war die Wiedereroberung von Charkow im März 1943 gewesen und Hitler gedachte den sich dadurch gebildeten Frontvorsprung der Russen um Kursk herum mit gleichzeitigen nördlichen und südlichen Zangenbewegungen in einen Kessel zu verwandeln und damit die seit einiger Zeit erwartete Offensive der Roten Armee so zu verhindern. Obwohl Teile des Generalstab ihn drängten, die Lage nach dem Fall von Charkow auszunutzen und möglichst schnell nach dem Ende der Schlammperiode gegen Kursk loszuschlagen, sah es Hitler als günstiger an, zuerst die Verluste an Menschen und Material auszugleichen und erst dann zu handeln. Insbesondere setzte er auf die nunmehr schneller anlaufende Zuführung der neuen Panther Panzer, die die Speerspitze dieser Operation bilden sollten. Trotz der Einwände von anderen Vertretern des Generalstabs, den neuen Panzertyp erst ausgiebig im Truppeneinsatz zu testen und nicht in Kursk massiert einzusetzen, lehnte Hitler dies ab und bestand vehement darauf, den Panthern eine entscheidende Rolle beim Angriff zuzuweisen. Eine ausreichende Anzahl dieser neuen Kampffahrzeuge würde aber erst im Sommer 1943 zur Verfügung stehen, so dass die Russen damit Zeit gewinnen würden, die bereits stark ausgebauten Verteidigungsstellungen weiter zu verstärken. Die Kritiker des Operationsplanes wiesen Hitler verzweifelt darauf hin und prognostizierten ein Scheitern des Planes, aber dieser wiegelte alle Bedenken mit dem Verweis auf die Überlegenheit der Panther ab. Diese würden jede noch so stark ausgebaute Verteidigung überwinden können und die Standardpanzer der Wehrmacht, die Panzer III und IV, in diese Lücken hineinstoßen und Frontvorsprung im Osten von Norden und Süden her in einen Sack verwandeln, der dann von der nachströmenden Infanterie endgültig zu liquidieren wäre. Dass die Russen die deutschen Truppen gut vorbereitet erwarten würden war allen klar, aber es gab keinen anderen Weg um die Initiative wiederzugewinnen.
Der Angriffsbefehl sah vor, dass die deutschen Truppen 3 Uhr 30 ihre Operationen beginnen sollten.
Der Kompaniechef Leutnant Hans Naumann stand auf dem Turm des Panthers und beobachtete mit dem Fernglas die Gegend. Neben ihrem Fahrzeug waren rechts und links leicht in der Tiefe gestaffelt ebenfalls zirka 20 dieser Panzer aufgefahren. Nach den ersten Anfangserfolgen der Operation „Zitadelle“ hatte sich der Widerstand der Russen versteift, die Geländegewinne der Deutschen reduzierten sich deutlich. Auf dem Weg zu ihrer Bereitstellungsposition hatten die Panzer eine von Granaten zerpflügte Landschaft passiert. Von der Gnadenlosigkeit der Kämpfe zeugten die zerstörten und vielfach noch mit öligem Rauch brennenden deutschen und russischen Panzer, die zermalmten PAK Geschütze und die auf dem Boden liegenden toten Soldaten beider Seiten. Naumann war seit 1941 an der Ostfront und hatte die Euphorie der schnellen Siege in dieser Zeit miterlebt. Damals war er fassungslos gewesen, wie planlos die Russen gegen die Deutschen anstürmten und ganze Gruppen im Feuer der MG der Panzer oder der Sprenggranaten starben. Er konnte nicht begreifen, wie Infanterie dazu eingesetzt wurde, den Kampf gegen gegnerische Kampffahrzeuge aufzunehmen. Auch die russischen Panzer waren größtenteils eine leichte Beute gewesen, denn sie waren zwar schnell und beweglich, aber viel zu schwach gepanzert und bewaffnet. Insgesamt hatte Naumann damals den Eindruck gehabt, dass die russische Führung ihre Truppen in totaler Konfusion und ohne Rücksicht auf Verluste nach vorn warf, ein koordiniertes Vorgehen war nicht erkennbar. Die endlosen Gefangenenkolonnen, die er damals aus seinem vorbeirollenden Panzer III betrachtete, schienen ihm ein deutliches Zeichen dafür zu sein, dass der Gegner bereits vernichtend geschlagen war und es nur eine Frage von wenigen Wochen sein würde, ihn endgültig zu Boden zu zwingen. Diese Überzeugung wurde das erste Mal erschüttert, als er mit seiner Einheit auf vollkommen unbekannte russische Panzer stieß: T 34.
Der deutsche Panzermann war schon immer der Auffassung gewesen, dass der Panzer III zwar ein gutes Kampffahrzeug, aber zu schwach bewaffnet und gepanzert war. Die 37 Millimeter Kanone konnte zwar die Panzerung der leichten Fahrzeuge des Gegners durchschlagen, gegen die T 34 war sie aber wirkungslos. Naumann musste konstatieren, dass der Gegner über eine Waffe verfügte, die seiner eindeutig überlegen war. Die Geschosse seines Kampffahrzeuges prallten an der günstig geformten Panzerung des russischen Tanks einfach ab. Zum Glück der Deutschen war die Taktik der Russen zu diesem Zeitpunkt nur wenig ausgereift und außerdem überwog der Bestand an leichten Panzern noch deutlich. Dieser Schock, dass der Gegner über bessere Technik verfügte, führte bei den Deutschen zu Improvisationen wie Zusatzpanzerungen oder die Erhöhung der Kaliber der Panzerkanonen. Dennoch blieb vieles Stückwerk und so wurde die Idee geboren, den T 34 in gewissen Merkmalen zu kopieren. In diesem stahlgewordenen Ergebnis, einem Panzer vom Typ Panther, würde Leutnant Hans Naumann heute in den Kampf eingreifen.
Glücklicherweise war das Wetter nicht typisch für einen Moskauer Wintertag, an dem Schneeschwaden durch die Stadt zogen und Eiseskälte herrschte. Zur Freude des Mannes in der dunkelblauen Uniform strahlte der Himmel und so würde es auch möglich sein, die Formationen des neuesten Strahljägers gut beobachten zu können. Da der Mann die Routen der Landfahrzeuge zum Roten Platz jedes Jahr neu festlegte um möglichen Angreifern jegliche Zeit zur Vorbereitung eines Anschlags zu nehmen, musste er natürlich die Abmaße und Gewichte der Panzer und anderen Fahrzeuge kennen um eine geeignete Strecke auswählen zu können. So wusste er auch, dass bei der diesjährigen Parade ein gänzlich neuer Panzertyp gezeigt werden würde. Im ständigen Wechsel der Anfahrstrecke zum Paradeort sah er einen Garanten dafür, dass es für einen Gegner unmöglich wäre, sich in der dann schwer bewachten Sicherheitszone in Stellung zu bringen, zumal den sich in Gefechtsbereitschaft befindlichen Truppen erst um 4 Uhr früh bekanntgegeben wurde, wo sie Aufstellung zu nehmen hatten. Da zur Nachrichtenübermittlung und zum Empfang Kleinrechner zum Einsatz kamen und darauf kryptographische Programme für die Verschlüsselung sorgten war es ausgeschlossen, dass diese Informationen der Gegenseite bekannt worden. Gleiches galt für die Befehle an die Sicherungseinheiten. Diese Spezialtruppen bestanden aus Pionieren, Scharfschützen und in Zivil gekleidete Nahkämpfer. Die Pioniere würden binnen kürzester Frist sämtliche Zugänge zu den Sammelpunkten der Truppen wie Gully Deckel, U-Bahnzugänge und anderes verschweißen oder abriegeln, die Scharfschützen sich an genau festgelegten Positionen in Deckung legen und vor allem die Fenster der umliegenden Häuser beobachten. Da es unmöglich war, die gesamte Strecke der sich aufstellenden Bodentruppen zu sperren kam den Nahkämpfern die Aufgabe zu, sich unter die Bevölkerung zu mischen und nach verdächtigen Personen Ausschau zu halten. Der Mann war der Meinung, dass die Ausgangspositionen der Truppen damit ausreichend geschützt waren.
Was er nicht ändern konnte war die Tatsache, dass die Fahrzeuge und Truppen dann wie üblich über den Roten Platz paradieren würden. So gesehen lag der Schwerpunkt der Sicherheitsmaßnahmen eindeutig in diesem Bereich. Da dieser jedoch hermetisch abgeriegelt war und nur von ausgewählten Personen mit Zugangskarten betreten werden durfte sah er dort keinen Gefährdungsschwerpunkt. Dennoch wurden jedes Jahr alle denkbaren Vorkehrungen getroffen.
„Na, nervös“ hatte ihn der Oberkommandierende der östlichen Militärzone zur letzten Besprechung drei Tage vor der Parade gefragt.
„Ein wenig schon“ hatte der Mann geantwortet „es ist doch schon eine andere Situation, wenn der Generalissimus persönlich anwesend ist. Sie wissen doch auch, dass der Untergrund sich immer noch nicht mit den Verhältnissen abgefunden hat. Das, was der Generalissimus in den letzten Jahren veranlasst hat, haben viele dieser Leute heute immer noch nicht akzeptiert. Besonders sein Edikt aus dem vorigen Jahr dürfte dafür gesorgt haben, dass es zu noch mehr Ablehnung seiner Politik beim Untergrund gekommen ist. Auch wenn diese Leute nicht offen Widerstand wagen dürfen wir diese Gefahr keineswegs unterschätzen. Für mich steht fest, dass sich auch einige unentdeckt als Maulwürfe in unseren eigenen Reihen befinden. Wer weiß, was in den weit entfernten und von uns nur schwach kontrollierten Gebieten ganz im tiefen Osten noch so vor sich geht. Der Raum um unsere Militärbasen und Marinestützpunkte dort ist zwar gut abgedeckt, aber meinen Sie, dass man die gesamte Taiga nach Widerständlern durchforsten kann?“
„Aber mein Lieber“ war die Antwort gewesen „wo gibt es das denn nicht, dass es Widerstand gegen die Herrschenden gibt? Wir reden hier über einen riesigen von uns beherrschten Völkerraum. Glauben Sie, alle diese Leute sind auf unserer Linie?“
„Wohl kaum. Aber ich bezweifele, dass der Sicherheitsdienst in der Lage ist, diese enorme Menschenmenge so zu überwachen, dass unliebsame Überraschungen ausbleiben.“
„Da stimme ich Ihnen zu, aber wir sind mit der Einführung der Personenkarten schon ein ganzes Stück vorangekommen. Unsere eigenen Leute sind von dieser Maßnahme ausgenommen, aber ich halte das für einen riesigen Fehler, denn man kann nicht davon ausgehen, dass es in einem großen Millionenvolk keine schwarzen Schafe gibt. Aber der Generalissimus hat das ausdrücklich so festgelegt. Dennoch haben wir zumindest jetzt schon die Möglichkeit, eine Vielzahl von Daten auszuwerten. Wenn unsere Rechner noch schneller werden wird es bald die Möglichkeit geben, bestimmte Voraussagen treffen zu können. Glauben Sie mir, in wenigen Jahren wird es möglich sein Personenprofile anzulegen. Nicht umsonst müssen sich die Leute ja monatlich bei der Behörde melden und wenn sie sich eine Fahrkarte für Bus, Straßenbahn oder Eisenbahn, für ein Schiff oder ein Flugzeug kaufen, werden die Daten ihrer Personenkarte registriert. Erinnern Sie sich noch an den Anschlag in der Nähe von Warschau im vorigen Jahr, als ein Autobahnkontrollposten in die Luft gejagt wurde und kurz darauf noch einer? Damals haben unsere Ermittler mühevoll recherchieren müssen und sind lange im Dunklen getappt bis einer auf die Idee gekommen war, den Busverkehr über diese Strecke mit Polizisten in Zivil als vermeintliche Reisende im Fahrzeug beobachten zu lassen. Es war schon erstaunlich, was dann herauskam. Diese Kontrollposten haben ja angeschlossene Restaurants, da die Busse ja an bestimmten Orten gründlich auf Sprengstoff, Waffen, Rauschgift und andere Sachen untersucht werden müssen und die Leute können dort etwas essen und bis zur Weiterfahrt warten. Das dauert im Regelfall so um die 30 Minuten. Jedenfalls wurden zwei Verdächtigte identifiziert die angaben, über das Wochenende nach Gdansk zu Verwandten reisen zu wollen. Diese Männer hatten aber schon am Wochenende zuvor diese Strecke genommen. Wahrscheinlich waren sie dabei die Verhältnisse an den Kontrollposten zu erkunden, und als sie diese Tour das dritte Mal unternahmen hat man sie festgenommen. Bei beiden wurden in der Kleidung jeweils drei kleine Stangen Plastiksprengstoff und Zündkapseln mit Zeitzündern gefunden. Leider haben wir es seit Kriegsende noch nicht geschafft, überall ausreichende Sicherheitsvorkehrungen zu schaffen und so war es für die Terroristen ein Leichtes, den Sprengstoff in der Wartezeit am Kontrollposten anzubringen. Es war ganz einfach. Man verlässt das Restaurant und tut so, als wolle man sich die Beine vertreten oder eine Zigarette rauchen oder macht ein bisschen Gymnastik wegen dem langen Sitzen und bringt die Sprengladungen an. Das dauert eine Minute. Was will ich damit sagen? Wir brauchen dringend schnellere Rechner mit größerer Kapazität und dann werden wir diese mit den Bewegungsdaten der Leute füttern. So wird zu erkennen sein, wie sich die Personen bewegen, und wenn jemand beispielsweise sehr oft zum Beispiel von Moskau nach Paris ohne erkennbaren und plausiblen Grund reist wird ein bestimmtes Muster sichtbar. Die Sicherheitsdienste vor Ort werden informiert werden und dann die Observation übernehmen. Ja, ich weiß, wir werden es nie ganz verhindern können, dass in unserem gewaltigen Völkerraum Terroristen zuschlagen werden, aber wir werden es zukünftig noch mehr eindämmen können. Und wissen Sie was ich schon deutlich vor mir sehe? Wenn wir noch mehr Daten haben können wir Risikogruppen besser herausfiltern, also Leute, die schon einmal auffällig geworden sind. Aber ich wiederhole: wir sind auf einem guten Weg, denn im kommenden Monat wird unsere neue Fabrik für Kleinrechner in Minsk ihre Arbeit aufnehmen.“
Der Mann in der dunkelblauen Uniform dachte über diese Worte nach. Natürlich war abzusehen gewesen, dass es nicht gelingen würde, alle Menschen vom Kurs der Regierung zu überzeugen. Einige würden darunter sein, die sie mit allen Mitteln bekämpfen würden. Nicht offen, sondern verdeckt.
Und genau darin lag für ihn eine unkalkulierbare Gefahr.
U 389 bewegte sich mit 6 Knoten 40 Meter unter der Wasseroberfläche langsam vorwärts. Kapitänleutnant Siegfried Heilmann hielt sich in der Zentrale auf und verfluchte die feindlichen Flugzeuge. Vor 10 Minuten waren sie mit Alarmtauchen in der Tiefe verschwunden, an diesem Tag war es bereits das dritte Mal gewesen. Glücklicherweise waren die Ausgucks auf Zack gewesen und hatten die Maschinen rechtzeitig ausmachen können, so dass das Boot bereits nach 30 Sekunden untergeschnitten war. Dennoch war es immer wieder knapp gewesen, denn die Blasenspur an der Tauchstelle war für die Piloten noch gut sichtbar gewesen und genau dorthin wurden dann die Wasserbomben geworfen. Heilmann hatte sich einen simplen Trick zu Eigen gemacht: er ließ nach dem Tauchen sofort hart Backbord oder Steuerbord steuern. Welchen Kurs er wählte war vollkommen einerlei, er hätte auch mittschiffs befehlen können, denn er konnte die Handlungen der Piloten nicht vorausahnen und es war reine Spekulation, wohin diese die Bomben werfen würden. Da der VII C Typ aber recht schnell auf die Steuer- und Tiefenruderlagen reagierte konnten sie zügig auf ausreichende Tiefe gehen und die Wasserbombendetonationen hatten nie nah genug am Boot gelegen, um Schaden anrichten zu können. Mittlerweile hatte sich bei der Besatzung eine gewisse Routine eingeschlichen und der Kommandant war mit den bereits gut eingespielten Männern zufrieden, mit dem Verlauf der ersten Unternehmung des Bootes allerdings nicht. Vor 6 Tagen waren sie ausgelaufen und ständig durch die feindlichen Flieger gezwungen gewesen auf schützende Tiefe zu gehen. Das hatte auch die Konsequenz gehabt, dass die Batterie nie vollständig aufgeladen werden konnte und diese wurde durch den überwiegenden Unterwassermarsch noch mehr entladen. Heilmann hoffte darauf, dass er mit größerer Entfernung vom Land im Nordatlantik dann doch von den fortlaufenden Attacken verschont werden würde und dann endlich das tun könnte, was die Bestimmung des Bootes war: Handels- oder Kriegsschiffe anzugreifen. Der Kommandant wusste, dass sich die Zeiten drastisch geändert hatten und die Ära der schnellen Siege vorbei war, aber er war fest entschlossen, von der ersten Feindfahrt des Bootes mit Erfolgen zurückzukehren. Momentan ging es vor allem darum, den Einsatzraum unbeschadet zu erreichen und dann dort zu operieren.
„Obersteuermann“ fragte er „wie ist die Wettervorhersage?“
„Zunehmend bewölkt, Windstärke 5.“
„Vielleicht hält uns das Wetter dann diese verdammten Flieger vom Hals. Was meinen Sie, Kunze, treffen wir im Operationsgebiet auf Verkehr?“
„Ganz sicher Herr Kaleun. Wir stehen dann in der Nähe einer Route der einlaufenden Geleitzüge westlich von Island. Da wird uns sicher was vor die Rohre laufen.“
„LI, Sehrohrtiefe“ befahl der Kommandant „die Biene dürfte jetzt weg sein. Ich nehme einen Blick, und wenn die Luft rein ist, tauchen wir auf. Wir müssen mal wieder die Batterie aufladen und unter Wasser kommen wir auch kaum voran.“
Das Boot stieg langsam auf 7 Meter Tiefe, dann fuhr der Kaleun das Luftzielsehrohr aus und nahm einen Rundblick über den Himmel, es waren keine Flugzeuge mehr zu erkennen.
„Auftauchen und Ausblasen mit Diesel“ sagte er.
Pressluft knatterte durch die Leitungen, die Tauchzellen wurden fauchend ausgeblasen, der LI gab entsprechende Befehle an die Tiefenrudergänger, dann stieg das Boot schnell und als der Schwall zu hören war, als das Boot die Oberfläche durchbrach, enterte der Kaleun mit 4 Männern auf die Brücke. Die beiden Dieselmaschinen trieben das Boot mit halber Fahrt voran und die Männer auf den Turm überwachten mit Ferngläsern die ihnen zugewiesenen Beobachtungssektoren.
„I WO, übernehmen Sie“ befahl der Kommandant nach einer Weile und stieg durch das Turmluk wieder nach unten in die Zentrale.
Er ging zum Kartentisch des Obersteuermanns.
„Noch n ganzes Stück weg unser Operationsgebiet“ sagte er mürrisch zu dem Mann „wenn wir immer wieder in den Keller müssen sind wir nie zur befohlenen Zeit dort. LI, wie sieht es mit dem Treibstoff aus?“
„300 Kubik, wir sind noch gut versorgt.“
„Gut, dann lassen Sie mal die Diesel laufen, LI, große Fahrt.“
U 389 schob sich mit 15 Knoten durch die aufbrisende See und die Männer auf dem Turm mussten sich wegen dem überkommenden Wasser ständig hinter das Schanzkleid ducken.
„Funkspruch“ informierte der Funker den Kommandanten.
Heilmann las den Text, dann ging er zum Obersteuermann und gab ihm das Blatt.
„Geleitzug, kommen wir da ran“ fragte er.
„Hm“ erwiderte der Obersteuermann nachdem er die Nachricht gelesen hatte und beugte sich über den Kartentisch „ziemlich weit weg. Mit AK Fahrt ist das vielleicht heute Abend zu schaffen. Wenn wir aber wegen der Flieger immer wieder wegtauchen müssen wird’s wohl nichts.“
Kapitänleutnant Heilmann überlegte. Der neue Kurs würde sie noch näher an Island heranführen und damit stieg auch die Wahrscheinlichkeit, dass Flieger das Gebiet absuchen würden. Allerdings könnte das Boot am Geleitzug eventuell zum Erfolg kommen und das war für Heilmann insbesondere auf ihrer ersten Feindfahrt das Kriterium, welches eigentlich zählte. Er stieg auf den Turm und sagte zum I WO:
„Wir operieren auf einen Geleitzug. Halten Sie die Augen offen, I WO, die Gegend ist nicht ganz geheuer. Lieber einen Fehlalarm als eine Biene übersehen, verstanden?“
„Verstanden, Herr Kaleun.“
Heilmann stieg wieder nach unten, dann informierte er die Besatzung über den Lautsprecher über die gegenwärtige Lage. An Bord befanden sich insgesamt 50 Männer, die meisten von ihnen campierten im Bugtorpedoraum.
„Na das wäre doch keine schlechte Sache, n paar Aale loszuwerden“ meinte einer „dann würde hier endlich mal n bisschen Platz für uns werden. Ist doch kein Zustand, dass die Dinger hier unser Fußboden sind.“
Der Bugraum wies eine drangvolle Enge auf. Einige Hängematten schlingerten an den Seiten durch den Seegang mit ihren Bewohnern hin und her, die meisten der Matrosen mussten über den mit Brettern abgedeckten Reservetorpedos auf dem Boden Quartier finden.
„Aber wenn es dann knallt, wenn die Wasserbomben kommen, darauf bist du doch sicher nicht scharf, oder“ fragte ein anderer.
„Ach was, dann verschwinden wir einfach in der Tiefe, der Alte wird das schon deichseln.“
Bis auf die Offiziere und Unteroffiziere waren die Männer allesamt noch keine zwanzig Jahre alt. Die meisten vom technischen Personal stammten aus Sachsen und Thüringen, qualifizierte Industriearbeiter, die Seeleute kamen aus dem Norden des Landes. Trotz der enormen Verluste der deutschen U-Boote hielt die Faszination für diese Waffe weiterhin an und die jungen Männer waren stolz darauf, mit an Bord zu sein. Dass sie sich in einem Gehäuse aus 2 Zentimeter dickem Schiffbaustahl befanden, das mit etwas Phantasie der Form eines Sarges ähnelte, war ihnen überwiegend nicht bewusst.