Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 16 - Frank Hille - E-Book

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 16 E-Book

Frank Hille

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Beschreibung

Im Spätherbst 1943 geht Martin Haberkorn nach einer Reise als "Konfirmand" als Kommandant eines deutschen U-Bootes auf Feindfahrt. Er kann einen Erfolg erringen, aber der Gegner jagt das Boot unerbittlich und fügt ihm Schäden zu. Mit Mühe der Vernichtung entkommen geht das Boot auf Heimatkurs, aber der BdU erteilt dann einen anderen Befehl. An der Ostfront hat im Oktober 1943 extrem schlechtes Wetter eingesetzt. Trotzdem bereiten sich die Sowjets darauf vor, die am Westufer des Dnepr stehenden deutschen Verbände zu vertreiben. Davor müssen sie aber den teils sehr breiten Fluss forcieren. Fred Beyer und Günther Weber haben ihre Einsatzgebiete auch am Dnepr und beide ahnen, dass auch dieses Hindernis die Russen nicht wird aufhalten können.

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Impressum

Drei Musketiere

Eine verlorene Jugend im Krieg

Band 16

1943

Copyright: © 2018 Frank Hille

Published by: epubli GmbH, Berlin

www. epubli.de

Martin Haberkorn, 5. Oktober 1943, Atlantik

Günther Weber, 5. Oktober 1943, Kiew

Fred Beyer, 5. Oktober 1943, Tscherkassy

Martin Haberkorn, 5. Oktober 1943, Atlantik

Günther Weber, 5. Oktober 1943, Kriwoj-Rog

Martin Haberkorn, 5. Oktober 1943, Atlantik

Fred Beyer, 10. Oktober 1943, Tscherkassy

Günther Weber, 7. Oktober 1943, am Dnepr

Martin Haberkorn, 10. Oktober 1943, Atlantik

Günther Weber, 10. Oktober 1943, bei Dnepropetrowsk

Fred Beyer, 10. Oktober 1943, Dnepr

Martin Haberkorn, 11. Oktober 1943, Atlantik

Günther Weber, 11. Oktober 1943, bei Dnepropetrowsk

Fred Beyer, 11. Oktober 1943, Dnepr

Martin Haberkorn, 13. Oktober 1943, Atlantik

Günther Weber, 14. Oktober 1943, bei Dnepropetrowsk

Martin Haberkorn, 5. Oktober 1943, Atlantik

Für Martin Haberkorn würde der 6. August 1943 unvergessen bleiben, an diesem Tag hatte er seinen ersten Unterwasserangriff als Kommandantenschüler gefahren und einen Frachter mit 8.500 Tonnen versenkt, einen zweiten mit 7.800 Tonnen torpediert und schwer beschädigt. Der Torpedo hatte das Schiff fast genau in der Mitte getroffen und Teile des Fahrzeuges waren in einer schwarzen hohen Sprengsäule in den Himmel gestiegen. Später hatte ein anderes am Geleit stehendes Boot die Versenkung des Frachters bestätigen können. Ein Rudel von 10 deutschen U-Booten war aus verschiedenen Richtungen über den Konvoi hergefallen, und die Kommandanten hatten sich vor dem Angriff untereinander genau abgestimmt. Die Zerstörer und Fregatten der Geleitsicherung waren mit der Abwehr überfordert gewesen, so dass sich Haberkorns Boot unter Wasser und ohne Verfolgung absetzen konnte. Als sie eine Distanz zu der Schiffsherde von ungefähr 15 Meilen erreicht hatten war das Boot aufgetaucht und wieder mit großer Fahrt auf Parallelkurs zum Konvoi gegangen. Der Plan war gewesen, sich wieder ordentlich vorzusetzen und dann unter Wasser auf die Dampfer zu lauern, und je nach Entwicklung der Lage erneut anzugreifen oder noch abzuwarten. Es kam aber anders, denn nach einem kurzen Überwassermarsch mit Höchstfahrt waren beim Backborddiesel Teile der Abgasanlage gebrochen. Binnen kürzester Zeit war der Dieselraum mit Qualm und Rußflocken gefüllt gewesen und der Kapitän hatte die Backbordmaschine sofort abstellen lassen. Zusammen mit dem LI hatte sich Haberkorn den Schaden angesehen und beiden war sofort klar gewesen, dass sie an Bord nicht über die Mittel verfügten, um eine Reparatur durchführen zu können. Der Kapitän hatte nur einige Minuten überlegt und dann einen Funkspruch an den Stab des BdU absetzen lassen, dass er die Unternehmung wegen einem größeren Schaden abbrechen müsse. Das Boot wäre zwar tauchklar, aber der Backborddiesel nicht mehr einsatzfähig und demzufolge die Gefechtsfähigkeit nicht mehr gegeben. Das Boot lief mit dem einen noch funktionierenden Diesel dann nicht mehr neben dem Geleit her, sondern hatte bereits in Erwartung der Genehmigung zum Abbruch der Reise auf Heimatkurs abgedreht. Keine 15 Minuten später war der Entschluss des Kapitäns per Funk bestätigt worden. Haberkorn war anfangs etwas enttäuscht gewesen, denn die Euphorie der ersten Erfolge hatte das Jagdfieber in ihm geweckt. Langsam konnte er auch verstehen, dass manche Kommandanten ganz bewusst hohe Risiken eingingen, um Versenkungen erzielen zu können. Die vernichtete Tonnage war für diese Männer wie eine Droge, sie waren schon längst davon abhängig, auf der Liste der erfolgreichen Kommandanten möglichst weit oben zu stehen. Nach einigem Überlegen sagte Haberkorn sich aber dann, dass der Entschluss zur Umkehr vollkommen richtig gewesen war, denn mit dem angeschlagenen Boot wäre dem Gegner kaum beizukommen und die Gefährdung für die Besatzung viel zu hoch. Der Rückmarsch verlief ereignislos und am 2. September 1943 lief das Boot in Lorient ein und wurde sofort in die Werft verholt. Den Männern wurden knapp zwei Wochen Urlaub gewährt, am 15. September sollte das Boot wieder in See stechen und im Mittelatlantik operieren.

Haberkorn verbrachte die freien Tage bei Marie und sie gingen oft ans Meer. Die anbrandenden Wellen hatten eine beachtliche Größe und obwohl sie auf einer Art kleiner Strandpromenade fast 20 Meter vom Ufer entfernt waren wurden Marie und er von der Gischt getroffen. Sie saßen auf einer schon farblosen hölzernen Bank, das raue Klima hatte den Anstrich fast vollständig abgeschmirgelt. Beide trugen warme Kleidung, die Zeit der Herbststürme kündigte sich an. Martin Haberkorns langer Offiziersmantel war nicht ganz geschlossen, so dass man an seinem Hals das Ritterkreuz erkennen konnte. Er selbst hielt nicht viel von diesem geschniegelten Anzug zu dem auch der Ehrendolch gehörte, aber es war nun eben einmal Vorschrift die Uniform zu tragen. Zu Hause bei Marie lief er grundsätzlich nur in legeren Sachen herum und fühlte sich so deutlich wohler. Aber bald würde er in seiner Borduniform die Männer auf dem Oberdeck begrüßen und eine kleine Ansprache halten müssen. Die Führung hatte festgelegt, dass er als Kommandant fahren würde und der eigentliche Schiffsführer noch einmal zu seiner Unterstützung an Bord sein sollte und nach dieser Reise endgültig aussteigen würde. Der erfahrende Kapitän sollte Haberkorn noch ein paar Kniffe beibringen und ihn aus der zweiten Reihe heraus noch unterstützen. Das Boot würde sich beim Auslaufen langsam mit E-Maschinen-Antrieb aus dem Hafen schieben und Kurs auf sein Einsatzgebiet nehmen. Mit einer Blaskapelle oder größeren Mengen von Schaulustigen brauchten die Männer der Besatzung nicht rechnen, diese Zeiten waren vorbei. Vielmehr machten die Hafenanlagen einen räudigen Eindruck und es sah so aus, als würde die Deutschen in einer düsteren Vorahnung nicht mehr allzu viel tun, um das Gebiet in Ordnung zu halten.

Für den Abend hatte Maries Mutter einen Fischeintopf zubereitet und sie, ihr Mann, ihre Tochter und Martin Haberkorn saßen in der Küche bei Weißbrot und Weißwein.

„Nun Herr Oberleutnant“ sagte Maries Vater „wo geht es denn diesmal hin? Der Atlantik ist ja ein nicht mehr ein so gutes Jagdgebiet, oder? Keine guten Zeiten mehr. Wir hoffen aber alle sehr, dass Sie gesund zurückkommen. Ihre Tapferkeit haben Sie ja längst bewiesen, Sie müssen also nicht mehr unbedingt Ihren Hals und den Ihrer Männer riskieren. Und schöne Erinnerungsbilder von Ihnen nützen uns allen gar nichts. Besonders Marie nicht.“

Haberkorns Freundin war schwanger, und sie wollte das Kind unbedingt zur Welt bringen. Im Verlauf der Zeit hatten Haberkorn und Maries Vater ein besseres Verhältnis zueinander gefunden. Der ältere Mann akzeptierte nun wohl, dass der deutsche Marineoffizier seine Pflicht erfüllen musste, und auch wollte. Sie gingen respektvoll miteinander um, auch wenn sie andere Meinungen vertraten.

„Sie haben sicher recht, Monsieur Hublot“ erwiderte Haberkorn „es ist für unsere Boote sehr schwierig geworden überhaupt noch zum Erfolg zu kommen. Aber Sie können davon ausgehen dass mir ganz klar bewusst ist, dass ich für mehr als 50 Männer verantwortlich bin. Und hinter diesen Männern stehen Familien, Mütter, Ehefrauen, Kinder, Freunde. Ich werde es nie darauf anlegen das Leben meiner Besatzungsmitglieder geringer zu schätzen als einen versenkten Frachter. Ich bin Deutscher, ich habe einen Eid geschworen und ich werde weiterhin für mein Land kämpfen, so gut ich es eben kann. Das heißt aber nicht, dass ich nicht abwägen kann. Abwägen zwischen dem was ich für machbar und sinnvoll halte, und dem, was mir unmöglich erscheint. Das hat nichts damit zu tun, dass ich etwa den Mut verloren hätte. Aber man muss Realist bleiben und das bedeutet für mich unter den jetzigen Bedingungen, dass ich weitestgehend defensiv bleiben werde, weil ich nur geringe Chancen sehe, gegen einen technisch überlegenen Gegner erfolgreich zu sein. Aber ich hoffe darauf, dass wir bessere Boote bekommen werden. Und glauben Sie mir: ich will unbedingt wieder nach Hause kommen, denn Sie alle sind für mich schon Teil meiner Familie geworden.“

Es war die Zeit der Herbststürme und der Marsch in das Operationsgebiet wurde zu einer Tortur. Über Wasser kam das Boot kaum voran und wurde durch die Strömung auch noch oft versetzt, so dass der Obersteuermann alle Mühe hatte, ihren Standpunkt zu bestimmen. Das einzig Gute an dieser Situation war, dass keine Flugzeuge in der Luft waren. Nach vielen Tagen der Plackerei hatte das Boot sein Zielgebiet erreicht. Die Männer an Bord waren erschöpft und Haberkorn brachte das Boot öfter unter Wasser, um ihnen wenigstens etwas Ruhe zu gönnen. Als sich das Wetter etwas gebessert hatte bildete das Boot zusammen mit anderen einen Sperrstreifen auf einer der Geleitzugrouten. Zwei Tage später lief ein Konvoi in das von den deutschen Booten überwachte Gebiet. Haberkorn hatte einen gut geplanten Unterwasserangriff gefahren und konnte mit einem Viererfächer zwei Frachter aus dem Geleit herausschießen, zwei Torpedos waren Oberflächenläufer gewesen. Er hatte aber eine in der Nähe stehende Fregatte übersehen, deren Leute an Deck das Sehrohr erkannt hatten. Das Boot war mit Alarmtauchen in der Tiefe verschwunden. Die ersten Wasserbomben waren gefallen als sie noch über der 100-Meter-Tiefenmarke waren und hatten, ob Zufall oder Können, so gut gelegen, dass es zu zahlreichen Ausfällen gekommen war. Die Ruderanlage war kurzzeitig ausgefallen und auf Handsteuerung umgekuppelt worden, Kompass und Echolot waren defekt, alles Dinge, die man aber durchstehen konnte. Schlimmer war jedoch gewesen, dass zwei Wasserbomben an Backbord unterhalb des Bootes und sehr nah hochgegangen waren. Durch die gewaltigen Erschütterungen hatte es an der Backbord-E-Maschine einen Kurzschluss gegeben, so dass nur noch die Steuerbord-Maschine zur Verfügung gestanden hatte. Einige Batteriezellen waren ausgefallen. Beim Backborddiesel war nach einer Sichtkontrolle festgestellt worden, dass offensichtlich einige Ein- und Auslassventile und Kipphebel des Motors beschädigt worden, aber das spielte momentan bei Unterwasserfahrt keine Rolle. Glücklicherweise hatte es keine Wassereinbrüche gegeben, so dass Haberkorn den Rat des Kapitäns berücksichtigt hatte und auf große Tiefe gegangen war. Die beiden Männer hatten vereinbart, dass Haberkorn das Boot auf dieser Reise prinzipiell führen würde, und wenn der Kapitän eine grundsätzlich andere Meinung zu dessen Befehlen haben sollte, würden sie sich kurz darüber verständigen. Bei 200 Metern Tiefe hatte der LI das Boot abgefangen und Haberkorn das Ruder schon vorher hart Backbord legen lassen, also aus der Ablaufrichtung des Kriegsschiffes herausdrehend. In 145 Metern waren zwei Bolde ausgestoßen worden. Er hoffte mit dieser Maßnahme die garantiert bald wieder anlaufende Fregatte mit diesem Scheinziel ablenken und damit Zeit gewinnen zu können. Eine Warnung des LI, dass die Steuerbord-E-Maschine nicht auf volle Touren kam, erschreckte ihn. Außerdem hatte er mit einem Blick auf den Tiefenmesser gesehen, dass das Boot jetzt auf 190 Meter Tiefe abgesackt war. Die Tiefe an sich hielt er noch nicht für bedenklich aber die Tendenz des Verhaltens des Bootes. Ihm war auch klar, dass die Leistung der nur einen E-Maschine keine grundlegende Änderung hervorrufen könnte, selbst wenn die Tiefenruder eigentlich durch ihre Stellung eine Aufwärtsbewegung veranlassen sollten. Er ließ kurz anblasen und wusste, dass er dadurch ihre Position verraten würde. Die Fregatte würde die durch die Bolde erzeugte Blasenwolke wahrscheinlich orten aber die aufsteigenden Luftblasen aus den Tauchzellen wären das eindeutigere Indiz. Außerdem war die Wirkung der Täuschkörper in großer Tiefe relativ gering. Haberkorn hatte aber keine Wahl gehabt, denn wenn er jetzt nicht gegensteuern würde könnte das Boot durchrauschen. Der Kapitän saß auf der Kartenkiste und beobachtete Haberkorn.

Das Boot war auf 175 Meter Tiefe gestiegen.

„Turbinengeräusche, kommen schnell näher. 125 Grad.“

Wenn sich die Korvette hätte täuschen lassen wäre sie hinter dem Heck des Bootes vorbeigelaufen, aber die Männer an Bord des Schiffes hatten sich offensichtlich nicht auf die falsche Fährte führen lassen und näherten sich dem Boot jetzt von schräg hinten von Steuerbord.

„170 Grad, schnell näherkommend!“

„230 Grad. Auf 120 Meter Tiefe gehen.“

Haberkorn versuchte die Kurse beider Fahrzeuge in ein Bild zu bringen. Die Korvette hatte eine Drehrichtung nach Steuerbord und genau auf 180 Grad in Bezug zum Boot. Die Asdic-Strahlen pingten. Er musste die Zeit nutzen um aus der Anlaufrichtung herauszukommen und ließ deshalb nach Backbord drehen. Da er große Befürchtungen hatte, dass das Boot bei einem erneuten Angriff noch mehr angeschlagen werden könnte, hatte er höher gehen lassen um dann nicht allzu tief zu sein.

„Anlauf beginnt!“

„Große Fahrt!“

Quälend langsam änderte das Boot den Kurs und dann waren auch schon die Schraubengeräusche mit bloßem Ohr zu hören.

„Wirft Wasserbomben!“

Haberkorn schaute zum Kapitän hin. Dieser hatte sich erhoben und lehnte am Kartentisch. Die Arme hatte er gekreuzt vor der Brust verschränkt und er schien ganz ruhig. Nach Haberkorns Einschätzung würde die Korvette, da sie während des Anlaufs jetzt nicht mehr orten konnte, doch hinter dem Heck des Bootes vorbeilaufen. Die Wasserbomben sanken mit ungefähr 7 Metern in der Sekunde. Sie hatten bei 120 Meter Tiefe also zirka eine viertel Minute Zeit um aus dem Wurfbereich herauszukommen. Die eine funktionsfähige E-Maschine verschaffte dem Boot eine Geschwindigkeit von vier Knoten, das waren sieben Kilometer in der Stunde oder rund zwei Meter in der Sekunde. Sie würden also gerade einmal 30 Meter Abstand gewinnen können. Haberkorn konnte natürlich auch nicht lokalisieren wo genau die Bomben geworfen worden waren sondern musste sich jetzt auf die wenigen Informationen stützen die er hatte. Wenn der Gegner seinen Kurs durchsteuern würde könnten sie unter dem Bombenteppich herauskommen, aber es würde knapp werden. Vier krachende Detonationen nah am Heck. Das Boot wurde durch die Detonationen nach vorn gedrückt. Das Licht ging aus. Die Stahlröhre dröhnte und jaulte wie ein getretener Hund. Taschenlampen blitzten auf. Haberkorn spürte sofort eine zunehmende Vorlastigkeit. Einen Moment später meldete eine panisch klingende Stimme aus dem Heckraum, dass die Steuerbord-Wellenstopfbuchse stark Wasser machen würde. Der Kapitän wies den LI an sich die Sache anzusehen und übernahm selbst die Tiefensteuerung. Haberkorn ließ mittschiffs steuern und auf 80 Meter gehen. Er vermutete, dass die Korvette ein Stück ablaufen und dann einen Vollkreis drehen würde. Der LI war nach kurzer Zeit zurück und meldete mit flatternder Stimme, dass zirka 300 Liter Wasser in der Minute eindringen würden.

„Mit Leckkeilen abdichten“ befahl Haberkorn.

In drei Minuten würden sie eine Tonne Wasser im Boot haben und der Trimm wäre gefährdet. Haberkorn glaubte nicht daran, dass man die Leckage richtig abdichten könnte. Dieses Problem könnte man aber eventuell durch die Nutzung der Hauptlenzpumpe lösen, doch das Gerät könnte nur während des Detonierens der Wasserbomben laufen, ansonsten würden sie ihre Position ganz deutlich preisgeben. Die Gefahr, dass ihnen die noch eine arbeitende E-Maschine absaufen würde war jetzt akut geworden. Sie würden unbedingt lenzen müssen.

Das Asdic zirpte.

„Schraubengeräusche aus 45 Grad, näherkommend.“

Wieder rasselten die Ortungsstrahlen über den Bootskörper. Diese Schweine dachte Haberkorn, die folgen uns wie an einer Schnur und wir sind fast vollkommen hilflos. Wir können absolute Stille halten, aber sie entdecken uns mit etwas Glück und Geschick trotzdem. Plötzlich sah er das Wort „Mucksmäuschenstill“ vor sind. Irgendeinen Sinn konnte er darin nicht erkennen. Mäuschenstill wäre für ihn noch erklärlich. Aber was war ein Mucksmäuschen?

Seine Gedanken schwenkten für einen Moment ab. Seine Eltern hatten ihm früher abends immer Märchen vorgelesen und er hatte gespannt zugehört. Wenn die Rede von einem tapferen Prinzen war der mit Drachen kämpfte stellte er sich vor, eines Tages genau so mutig zu sein und die edle Prinzessin aus ihrem Verließ zu befreien. Oder er träumte davon, als wagemutiger Ritter sein Zauberschwert gegen Räuber einzusetzen und einen Schatz zu heben. Dann war er in seiner Wunschwelt als Pirat unterwegs und erlebte beim Umsegeln der Welt viele Abenteuer. In diesem Augenblick sagte er sich, dass er unbedingt überleben musste, er wurde Vater. Er stellte sich vor wie er seinen Sohn oder seine Tochter in den Arm nehmen würde, das Kind im Wagen an der Küste entlang fahren, es immer wieder betrachten würde und sein Aufwachsen miterleben wollte. Diese Sekunde veränderte Haberkorns Blick auf die Welt. Warum eigentlich war er tief unter der Wasseroberfläche in einer Stahlröhre unterwegs und hatte den Auftrag, gute und seetüchtige Schiffe zu versenken? Warum riskierte er minütlich sein Leben? Warum überhaupt führten Nationen Kriege gegeneinander? Natürlich hatte er alle Antworten darauf parat. Es hatte immer schon Kriege gegeben weil es unterschiedliche Interessen gab. Was Deutschland anbetraf war ihm durchaus klar welche Ursachen das Land in den Krieg geführt hatten. Die brutalen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise hatten zu einer enormen Verarmung der Bevölkerung wegen der hohen Arbeitslosigkeit geführt. Hohe Reparationszahlungen hatten den Deutschen immer wieder vor Augen geführt, dass sie den Krieg 1918 verloren hatten. Die negativen ökonomischen Wirkungen gepaart mit einem verletzten Nationalstolz hatten die NSDAP an die Macht getragen. Was dann passierte war die Auflage eines gewaltigen Konjunkturprogrammes über die Versorgung der Industrie mit Rüstungsaufträgen. Es gab einen gewaltigen Technologieschub im Flugzeugbau, in der Motorenindustrie, die Raketentechnik zeigte neue Antriebsformen auf, Volkswagen ging mit der Autoproduktion in Wolfsburg an den Start, der Reichsarbeitsdienst setzte viel Männer im Autobahnbau ein, die Elektrotechnik blühte auf, kurzum: die Wirtschaft fasste als Quelle des Wohlstands wieder Fuß und die Beschäftigten profitierten davon, der Lebensstandard stieg wieder. Parallel dazu ging eine gewaltige Propagandamaschinerie an die Arbeit und gab den Deutschen eine Botschaft: wir sind wieder wer! Und wir sind besser als die anderen! Und weil wir so sind, und in Europa zwischen anderen Ländern eingezwängt leben müssen weil uns im Ergebnis des Krieges deutsche Gebiete weggenommen worden sind, wir ein Volk ohne Raum sind, kaum Rohstoffe besitzen, haben wir einen Anspruch darauf, die Schmach des verlorenen Krieges zu tilgen und wieder alte Größe zu gewinnen. Das fiel auf fruchtbaren Boden, vor allem bei der Jugend, der noch die Lebenserfahrung fehlte und die auf Abenteuer aus war. Aber auch die Soldaten, die 1918 noch einmal davongekommen waren, standen hinter diesen Forderungen. Viele verklärten die Zeit an den Fronten im Rückblick und waren für eine Revanche. Dabei spielte die Propaganda auf mehreren Klaviaturen. Der Bolschewismus wurde zum Hauptgegner erklärt, aber auch die alte Erbfeindschaft mit Frankreich wieder ins Spiel gebracht. Haberkorn war mit diesem Sprachtrommelfeuer aufgewachsen und hatte das, was ihm vorgetragen wurde, vollkommen verinnerlicht und glaubte daran. Auch, dass ein Deutscher stets sein Pflicht erfüllen musste. So war er ohne eine Spur von Zweifel mit der Gewissheit in den Krieg gegangen, sich bewähren zu wollen. Zu wollen, nicht zu müssen. Er war immer noch bereit seine Pflicht zu erfüllen, aber da man ihm mit dem veralteten Boot nicht die geeigneten Mittel geben konnte war er nicht mehr bereit, sich einem zweifelhaften Pflichtbegriff zu beugen, der die Selbstaufgabe bedeutete.

„Schraubengeräusche in 10 Grad. Kommen näher.“