Ein Fremder kam von irgendwo - Patricia Vandenberg - E-Book

Ein Fremder kam von irgendwo E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. »Wer das Glück hatte, diese Frau zu kennen, kann ermessen, was ihr Tod für die Familie, aber auch für die Angestellten des Unternehmens bedeutet.« So sprach der Pfarrer am Grab von Martine Kilian-Denault, die durch einen tragischen Unfall aus einem so erfolgreichen Leben gerissen worden war. Entsetzen hatte sich ausgebreitet, als vor einer Woche bekannt geworden war, daß die Privatmaschine, die sie von einer Konferenz in Straßburg heim nach München bringen sollte, verschollen war. Gehofft und gebetet hatten viele, daß man sie dennoch finden, lebend finden würde, aber alles Hoffen und Beten war vergeblich gewesen. Mit ihr waren auch der Syndikus der Firma, Dr. Arnaud, und der Pilot ums Leben gekommen, der aber in der badischen Heimat beigesetzt worden war. Die Beerdigung von Dr. Arnaud sollte anschließend stattfinden. Sein einziger Sohn Christopher stand nun mit der Familie Kilian an diesem Grab. Martin Kilian stützte seine Frau Doris, über deren Gesicht unaufhaltsam die Tränen rannen. Es mochte wenige Frauen geben, die ihre Schwiegermutter so innig liebten, wie es hier gewesen war. Die Kinder der beiden, Manuela, Benedict und die kleine Sandra, hatten auch die Taschentücher an die Augen gepreßt. »Mömmi, liebste Mömmi, komm doch wieder«, schluchzte Sandra, und da war es vollends um aller Fassung geschehen. Eine Lücke war gerissen worden, die sich nie ganz würde schließen können. Christopher Arnaud stand zwischen Manuela und Sandra. Ganz unbewußt, selbst voller Trauer und nun auch voller Mitgefühl, legte er seine Arme um die beiden Mädchen. Es war ein unendlich trauriger Abschied, und es gab nur ein paar

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Dr. Norden Bestseller – 254–

Ein Fremder kam von irgendwo

Bernhard Kalian will Räche üben

Patricia Vandenberg

»Wer das Glück hatte, diese Frau zu kennen, kann ermessen, was ihr Tod für die Familie, aber auch für die Angestellten des Unternehmens bedeutet.« So sprach der Pfarrer am Grab von Martine Kilian-Denault, die durch einen tragischen Unfall aus einem so erfolgreichen Leben gerissen worden war.

Entsetzen hatte sich ausgebreitet, als vor einer Woche bekannt geworden war, daß die Privatmaschine, die sie von einer Konferenz in Straßburg heim nach München bringen sollte, verschollen war. Gehofft und gebetet hatten viele, daß man sie dennoch finden, lebend finden würde, aber alles Hoffen und Beten war vergeblich gewesen. Mit ihr waren auch der Syndikus der Firma, Dr. Arnaud, und der Pilot ums Leben gekommen, der aber in der badischen Heimat beigesetzt worden war. Die Beerdigung von Dr. Arnaud sollte anschließend stattfinden. Sein einziger Sohn Christopher stand nun mit der Familie Kilian an diesem Grab.

Martin Kilian stützte seine Frau Doris, über deren Gesicht unaufhaltsam die Tränen rannen. Es mochte wenige Frauen geben, die ihre Schwiegermutter so innig liebten, wie es hier gewesen war. Die Kinder der beiden, Manuela, Benedict und die kleine Sandra, hatten auch die Taschentücher an die Augen gepreßt.

»Mömmi, liebste Mömmi, komm doch wieder«, schluchzte Sandra, und da war es vollends um aller Fassung geschehen. Eine Lücke war gerissen worden, die sich nie ganz würde schließen können.

Christopher Arnaud stand zwischen Manuela und Sandra. Ganz unbewußt, selbst voller Trauer und nun auch voller Mitgefühl, legte er seine Arme um die beiden Mädchen. Es war ein unendlich trauriger Abschied, und es gab nur ein paar Menschen, die schon ganz andere Gedanken hatten. Das waren Maurice Denault, ein Cousin von Martine, seine Frau Claire, aber auch Bernhard Kilian, der Onkel von Martin, der jüngere Bruder seines Vaters, der von Bremen angereist war. Ganz überraschend, denn man hatte schon lange Zeit keine Kontakte mehr gepflegt.

Als Martin Kilian ihn bemerkt hatte, kam ihm eine Ahnung, daß die Trauer durch diesen Besucher noch mehr überschattet werden könnte, aber im Augenblick war auch in ihm eine trostlose Leere.

Es waren Kondolenzlisten ausgelegt worden, denn niemand wäre fähig gewesen, auch noch unzählige Hände zu drücken. Zudem sollte nun auch bald die Beerdigung von Dr. Jobst Arnaud, nicht weit entfernt von dieser Grabstätte, stattfinden.

»Fahr du mit den Kindern heim«, sagte Martin Kilian leise zu seiner Frau. »Ich kann Christopher nicht ganz allein lassen.«

»Ich würde ja gern mitkommen«, flüsterte Doris, »aber ich habe die Kraft nicht mehr, Martin.«

»Ich gehe mit, Paps«, sagte Manuela. »Chris tut mir auch so leid.« Sie nahm sich gewaltig zusammen. Und sie blieb nun auch an Christophers Seite, als Martin seine Frau, Benedict und Sandra zum Wagen begleitete. Der Chauffeur Konrad wartete bereits. Sogar ihm sah man an, daß er geweint hatte.

»Meine Frau braucht absolute Ruhe, Konrad«, sagte Martin Kilian tonlos. »Kein Besuch, keine Anrufe.«

»Ist selbstverständlich, Boß.«

Diese Anrede war Martin Kilian am liebsten. Manchen konnte man nicht ausreden, ihn »Herr Generaldirektor« zu nennen, aber Wert legte er nicht darauf.

Für die Angestellten gab es an diesem Tag ein Essen in der Kantine, aber sie alle hatten viel Verständnis dafür, daß der Boß und seine Familie nicht daran teilnahmen. Sonst war gar nichts geplant worden.

Maurice und Claire Denault waren pikiert, Bernhard Kilians Gesicht war verkniffen, als er nun auf seinen Neffen zutrat.

»Dieses traurige Ereignis sollte es doch ermöglichen, daß wir miteinander sprechen können, Martin«, sagte er betont.

»Ich muß jetzt zu einer zweiten Beerdigung«, erwiderte Martin kühl. »Wir hatten auch nicht erwartet, daß du die weite Reise machen würdest.«

»Nun, mit dem Flugzeug ist man ja schnell da, falls nichts passiert.«

»Sehr taktvoll«, sagte Martin sarkastisch.

»So ist es doch nicht gemeint. Leg doch die Worte nicht immer auf die Goldwaage, Martin.«

»Es gibt Dinge, die man nie vergißt«, erwiderte Martin kühl. »Falls dein Erinnerungsvermögen nachgelassen hat, möchte ich dich an die Beerdigung meines Vaters erinnern. Jede weitere Diskussion erübrigt sich.«

»Ich möchte etwas klarstellen«, stieß Bernhard Kilian hervor.

»Nicht hier und nicht heute. Wenn du meinst, es gäbe etwas zu erklären, schreibe es, damit ich es schwarz auf weiß besitze. Ende der Debatte.«

In diesem Augenblick konnte er knallhart sein, obgleich der Schmerz in ihm bohrte, daß seine so geliebte Mutter mitten aus dem Leben gerissen worden war, gerade fünfundsechzig Jahre alt und eine Frau von sprühendem Temperament und Geist.

Als Bernhard Kilian jetzt noch einen Versuch machen wollte, erneut auf Martin einzureden, erntete er einen drohenden Blick, daß er sich umdrehte und ging.

»Wer ist das, Manuela?« fragte Christopher.

»Anscheinend dieser Onkel Bernhard. Ich kann mich nicht an ihn erinnern.«

»Ein unliebsamer Verwandter?« fragte Christopher.

»Es wird nicht darüber gesprochen.«

»Jetzt fehlt bloß noch, daß meine Mutter bei der Beerdigung von Pa aufkreuzt«, sagte er düster.

Manuela sah ihn aus tränenverschleierten Augen an. Sie wußte, daß Christophers Eltern schon lange geschieden waren. Sie hatte seine Mutter auch nicht kennengelernt. Christopher war dreiundzwanzig, und er war gerade zehn Jahre gewesen, als seine Eltern sich trennten. Um ihn hatte es keinen Kampf gegeben. Ilona Arnaud hatte den Jungen ihrem Mann überlassen, da ihr »Neuer« Kinder gar nicht mochte. Was Manuela darüber wußte, hatte sie nicht in ihrem Elternhaus aufgeschnappt, sondern so nebenbei von Klatschbasen.

Es hatte ja einige Frauen gegeben, die es auf Jobst Arnaud abgesehen hatten, der auch noch Mitte Fünfzig ein gutaussehender Mann gewesen war.

Aber er gehörte zu denen, die einen Fehler nicht zweimal machen wollten, und ihm war keine Frau mehr begegnet, die ihn hätte versöhnlicher stimmen können, abgesehen von Martine Kilian und ihrer Schwiegertochter Doris.

Eine Stunde später war auch Arnauds Sarg in die Grube gesenkt worden. Isolde war zu Christophers Erleichterung nicht erschienen. Es waren außer Martin und Manuela nur ein gutes Dutzend Mitarbeiter anwesend.

Was in Christopher vor sich ging, konnte man nicht abschätzen, aber Manuela fühlte es. Sie kannten sich zwar schon lange, hatten sich aber selten gesehen, da Christopher seine Schulzeit in Internaten zugebracht hatte, und das Studium in Heidelberg begann. Nach dem Semester hatte er einen Studienplatz in München bekommen, und gleich zu Anfang mußte diese Tragödie passieren.

»Du kommst jetzt mit zu uns, Christopher«, sagte Martin väterlich.

»Ihr habt doch andere Verpflichtungen«, erwiderte der junge Mann.

»Wir haben überhaupt keine Verpflichtungen, wenigstens im Augenblick und für die nächste Zeit nicht«, erwiderte Martin. »Und wir werden uns gerade jetzt nicht mit gleichgültigen Menschen zusammensetzen und ihr Geschwätz anhören.«

»Du bist doch willkommen, Chris«, sagte Manuela leise.

»Das ist lieb«, erwiderte er. »Mein Wagen steht auf dem Parkplatz.«

»Fein, dann brauche ich kein Taxi zu rufen. Konrad ist ja schon mit der übrigen Familie heimgefahren.«

*

Das war auch gut so gewesen, denn Doris hatte einen Schwächeanfall erlitten. Konrad rief sofort Dr. Norden an.

Sie sagte nicht, daß Bernhards Erscheinen ihr einen Schrecken eingejagt hatte. Sie schalt sich auch ihrer Gedanken, aber sie hatte diesen Mann nie gemocht, so sehr sie auch ihren Schwiegervater geschätzt hatte.

Und dann hatte sie auch noch wahrgenommen, daß Maurice und Claire Denault am Grab standen. Informiert hatte sie niemand von diesen Trauergästen, und Doris ahnte, daß sie ihren Besuch nicht angekündigt hatten, um nicht eine Absage zu bekommen.

Sandra schluchzte wieder herzzerreißend, als Dr. Norden kam. Sie, das Nesthäkchen, hatte zwar bei Martine keine Vorzugsstellung genossen, aber so ein bißchen war sie eben doch der kleine Liebling gewesen, der Sonnenschein für alle. Sandra war ein so bezauberndes Kind, daß eben jeder sie lieben mußte.

Für Dr. Norden war dies auch ein schwerer Gang. Zutiefst erschüttert hatte ihn und seine Frau Fee diese Tragödie, denn Martine Kilian-Denault war eine Persönlichkeit gewesen, die Bewunderung und Liebe verdiente.

Jedes Jahr war sie zur Vorsorgeuntersuchung zu Dr. Norden gekommen, eine kerngesunde Frau, die nur ab und zu mal eine Erkältung hatte. Aber sie wollte fit bleiben. Sie wollte nicht eines Tages zusammenklappen und ihren Lieben Angst einjagen. So kleine Warnzeichen gab es ja mit zunehmendem Alter.

Und sie war immer heiter und optimistisch gewesen, wenn sie auch sagte, daß der Herrgott es ihr ersparen möge, lange leiden zu müssen, bis sie ihr Leben abschließen könne.

»Und auch die Kinder sollen mich nicht leiden sehen, lieber Dr. Norden«, hatte sie bei ihrem letzten Besuch gesagt.

Aber sie hatte gern gelebt und auch noch auf viele schöne Jahre gehofft. Sie wollte so gern erleben, daß Manuela einen guten Mann finden würde und daß man eine große, schöne Hochzeit feiern könnte.

Sie selbst hatte auf solche verzichten müssen, da kurz zuvor ihr Vater gestorben war. Sie war auch erst kurze Zeit mit Magnus Kilian verlobt gewesen, und es war ihre Mutter, die auf einer schnellen Heirat bestand, die ihre Tochter gut versorgt sehen wollte, weil auch sie bereits ahnte, daß sie nicht mehr lange leben würde. Martines Eltern hatten zu schwer unter dem Kriegsgeschehen gelitten. Sie hatten viel verloren, nicht nur Geld und Gut, sondern auch Angehörige, und niemand konnte damals ahnen, daß Martine einmal reich entschädigt werden würde.

Sie hatte es nie bereut, Magnus Kilian geheiratet zu haben, der sich als blutjunger Soldat in die junge Französin verliebt hatte. Und Martines Mutter, die selbst deutsche Vorfahren hatte, forcierte diese Verbindung auch aus nüchternen Überlegungen, weil sie geglaubt hatte, daß die Deutschen den Krieg gewinnen würden.

Die Trauung hatte in aller Heimlichkeit stattgefunden, wußte man doch, daß viele sie nicht billigen würden. Die ersten Jahre ihrer Ehe waren von Angst und Unsicherheit gezeichnet, aber Magnus war es gelungen, seine junge Frau zu seiner Mutter zu bringen, die im Gebirge nicht allzuviel vom Krieg spürte. Dort war auch Martin zur Welt gekommen, und selbst in diesen schweren Zeiten schien Martine wie ein Glücksbringer für diese Familie zu sein. Der Neubeginn ließ nicht lange auf sich warten. Nun war die junge Französin freilich für die Familie Kilian sozusagen ein Wertzeichen. Und besonders Bernhard wollte gern ungeschehen machen, daß er seinen Bruder Magnus wegen der französischen Frau bald in schwerste Bedrängnis gebracht hätte.

Und dann kam die Zeit, wo die französischen Verwandten sich gütlich daran tun wollten, was Martine an Entschädigungen für die großen zerstörten Besitzungen bekam.

Martine, so zierlich sie auch war, konnte hart sein. Sie hatte gelernt und bewiesen bekommen, welchen Menschen sie vertrauen konnte. Für sie war die Familie ihre Welt, aber sie setzte sich auch ungeheuer ein, um das so arg zerstörte Familienunternehmen wieder aufzubauen. Sie war klug, diplomatisch und die beste Repräsentantin, die sich ein Betrieb wünschen konnte.

Martin war zweiundzwanzig Jahre, als er Doris kennenlernte. Sein Vater meinte, daß er zu jung für eine Ehe sei. Martine, nach der ihr einziger Sohn den Namen bekommen hatte, drängte auf eine baldige Heirat, als sie Doris näher kennengelernt hatte. Doris stammte aus einer angesehenen Familie. Sie brachte keine große Mitgift mit, aber das war Martine egal. Sie wußte, daß sie sich mit Doris verstehen würde, und das allein zählte für sie.

Und so herrschte auch fortan vollste Harmonie im Hause Kilian.

Dr. Norden kannte die Familie recht gut. Er war der Hausarzt. Er versorgte die Kinder, wenn sie krank waren, und manchmal brauchten die Erwachsenen einen Rat, eine Medizin, auch mal einen Verband. Er war immer in ein fröhliches Haus gekommen.

Jetzt waren die Stille und die Trauer, die darin herrschten, erdrückend.

Doris erholte sich nach der Injektion, aber Dr. Norden konnte feststellen, daß ihr Puls sehr unregelmäßig war.

»Wir sind auch sehr traurig, Frau Kilian«, sagte er. »Wir verstehen Ihren Schmerz, aber die Familie braucht Sie.«

Sie nickte. »Ich weiß es ja, aber es gibt da andere Mitglieder dieser Familien, die mir Angst einjagen.«

Er sah sie bestürzt an. »Wie das?« fragte er.

»Jahrelang haben wir keinen Kontakt gehabt. Jetzt sind sie plötzlich da. Ich habe so ein ungutes Gefühl. Meinem Mann wird es allerdings noch mehr zu schaffen machen, denn ich bin ganz sicher, daß sie nicht nur aus Neugier zur Beerdigung gekommen sind. Und dann ist da ja auch noch Christopher. Ich fürchte, daß seine Mutter auch noch aufkreuzen wird, um ordentlich abzusahnen.«

»Dr. Arnaud wird doch ein Testament gemacht haben«, sagte Dr. Norden.

»Ja, sicher, aber Testamente sind anfechtbar. Wir haben es ja schon mal erlebt, daß Bernhard dann doch einen Pflichtteil zugesprochen bekam, obgleich er für die Fabrik keinen Finger gerührt hatte.«

»Sie dürfen jetzt nicht zu schwarz sehen, Frau Kilian«, meinte Dr. Norden.

Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht. »Ich frage mich immer wieder, warum es Ma so wichtig war, nach Straßburg zu fahren und dann sogar zurückzufliegen, obgleich sie doch diese kleinen Flugzeuge gar nicht mochte. Ich träume so furchtbar, Dr. Norden. Mama wird uns so sehr fehlen. Sie war wie ein Fels in der Brandung. Plötzlich habe ich Angst, eine quälende Angst, und mit Martin möchte ich darüber nicht sprechen. Er hat jetzt so viel zu überdenken und zu entscheiden. Und ich bin nicht wie Mama, leider!«

»Entspannen Sie sich, denken Sie nicht nach«, sagte Dr. Norden beruhigend. »Schließen Sie die Augen, und schlafen Sie.«

Er wußte, daß die Spritze bald wirken würde, denn Doris Kilian nahm sonst keine Medikamente.

Es war nicht an seinen Ohren vorbeigerauscht, was sie gesagt hatte. Sie war keine Frau, die dazu neigte, sich etwas einzureden. Zwanzig Jahre waren Martin und Doris Kilian verheiratet, und es war eine Bilderbuchehe, wie man sie selten fand. Es hatte einfach alles gestimmt, eben auch die Harmonie mit Martine. Dann die Kinder. Alle drei waren gut geraten, gesund und intelligent, dazu auch noch sehr hübsch, sogar der Junge. Benedict wurde jetzt von den Mädchen umschwärmt, und für ihn war es ein ganz großes Glück, solche Eltern und ein Zuhause zu haben, das ihn gar nicht auf den Gedanken kommen ließ, auszubrechen aus der Familie, oder gar auf krumme Wege zu geraten, wie so manche Buben seines Alters.

Benedict sah Dr. Norden nun auch ängstlich an, als er in die Diele kam.

»Hoffentlich ist es nicht schlimm mit Mami«, sagte er leise.

»Sie schläft jetzt«, erwiderte Dr. Norden. »Wo ist dein Vater, Benedict?«

»Noch auf der Beerdigung von Dr. Arnaud. Manuela ist auch mitgegangen, sonst ist Chris ja ganz allein. Das ist noch viel scheußlicher. Er hat doch niemanden mehr. Ich möchte nur wissen, warum das Flugzeug abgestürzt ist.«

»Man wird es schon herausfinden.«

»Wenn Mömmi doch mit dem Wagen gefahren wäre, aber der war ja angeblich kaputt. Und sie wollte schnell nach Hause. Mir kommt das alles spanisch vor, Herr Dr. Norden.«

»Leider passiert so etwas öfter, Benedict.«

»Aber vor acht Tagen war noch nicht so ein Sauwetter«, sagte der Junge grimmig. »Ich glaube, Paps macht sich auch Gedanken. Er will nur nicht darüber reden.«

»Jetzt verrenne dich mal nicht in solche Vorstellungen«, antwortete Dr. Norden. »Ich verstehe dich ja, ich verstehe euch alle.«

»Grad erst fünfundsechzig«, murmelte Benedict, »und sie sah immer noch so dufte aus. Schauen Sie bittschön noch nach Sandra. Sie hört nicht mehr auf zu weinen. Sie kriegt schon keine Luft mehr.«

Sandra sah zum Gotterbarmen aus. »Meine Mömmi, meine Mömmi«, schluchzte sie nur immer wieder.

Dr. Norden nahm sie in den Arm. »Jetzt schluckst du ein paar Tropfen, Sandra. Deine Mömmi wäre sehr traurig, wenn du krank würdest«, sagte er weich.

»Sie soll lieber traurig sein, aber nicht tot«, stammelte Sandra. »Ich kann es nicht glauben. Er hat sie umgebracht, oh, ich hasse ihn.«

»Sag doch nicht so etwas, Sandra, was meinst du denn damit.«

»Den Flieger, den Piloten. Den haben wir doch gar nicht gekannt. Warum ist sie mit diesem blöden Flieger geflogen.« Sie zitterte am ganzen Körper. So schlimm war es nicht mal gewesen, als Dr. Norden ins Haus gerufen wurde, als die Schreckensbotschaft eingetroffen war, aber Sandra hatte nicht glauben wollen, daß ihre Mömmi tot war.

Sie kommt bestimmt wieder, hatte sie gesagt, immer wieder gesagt. Aber Martine kam nicht wieder.

Dr. Norden blieb, bis Martin Kilian mit Manuela und Christopher Arnaud kam.

Er nickte düster, als Dr. Norden ihm erklärte, warum er geblieben sei.