Ein Mörder aus Kurpfalz - Harald Schneider - E-Book

Ein Mörder aus Kurpfalz E-Book

Harald Schneider

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Beschreibung

Bei einer »Tour de Kurpfalz« lassen sich die Mitglieder der Touristikgemeinschaft neue Vermarktungsideen für die Region vorführen. Bereits am ersten Abend wird beim »Dinner im Dunkeln« in einem Speyerer Hotel ein Mann ermordet. Kommissar Palzki ist überzeugt, dass einer der Touristiker für die Tat verantwortlich ist. Er begibt sich auf eine gefährliche Reise durch die Region, über Haßloch, Mosbach, Schriesheim und Weinheim bis nach Heidelberg, um den Mörder zu entlarven. Doch dieser scheint ihm immer einen Schritt voraus zu sein.

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Harald Schneider

Ein Mörder aus Kurpfalz

Palzkis 17. Fall

Zum Buch

Mörderische Kurpfalz Bei einer »Tour de Kurpfalz« lassen sich die Mitglieder der Touristikgemeinschaft neue Vermarktungsideen für die Region vorführen. Bereits am ersten Abend wird bei einem »Dinner im Dunkeln« in einem Speyerer Hotel ein Mann ermordet. Der zufällig anwesende Kommissar Palzki und sein Chef Klaus P. Diefenbach – kurz: KPD – sind davon überzeugt, dass einer der Touristiker für die Tat verantwortlich ist. Die beiden begeben sich auf eine gefährliche Reise quer durch die Region, um den Mörder zu entlarven. Doch dieser scheint den beiden Beamten immer einen Schritt voraus zu sein. Einen zweiten Mord, diesmal in der Hockenheimer Buchhandlung Gansler, können Palzki und KPD nicht verhindern. Weitere Verbrechen führen die Beamten über Haßloch, Mosbach, Schriesheim und Weinheim bis nach Heidelberg …

Harald Schneider, 1962 in Speyer geboren, wohnt in Schifferstadt und arbeitet als Betriebswirt in einem Medienkonzern. Seine Schriftstellerkarriere begann während des Studiums mit Kurzkrimis für die Regenbogenpresse. Der Vater von vier Kindern veröffentlichte mehrere Kinderbuchserien. Seit 2008 hat er in der Metropolregion Rhein-Neckar-Pfalz den skurrilen Kommissar Reiner Palzki etabliert, der neben seinem mittlerweile siebzehnten Fall »Ein Mörder aus Kurpfalz« in zahlreichen Ratekrimis in der Tageszeitung Rheinpfalz und verschiedenen Kundenmagazinen ermittelt. Im Jahr 2017 erreichte Schneider bei der Wahl zum Lieblingsautor der Pfälzer den 3. Platz nach Sebastian Fitzek und Rafik Schami.

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Pfälzer Eisfeuer (2018)

Hambacher Frühling (2018)

NAFD (2017)

Parkverbot (2017)

Mords-Grumbeere (2016)

Sagenreich (2015)

Weinrausch (2015)

Wer mordet schon in der Kurpfalz? (2014)

Tote Beete (2014)

Ahnenfluch (2013)

Künstlerpech (2013)

Pilgerspuren (2012)

Palzki ermittelt (2012)

Blutbahn (2012)

Mörderischer Erfindergeist (2011)

Räuberbier (2011)

Wassergeld (2010)

Erfindergeist (2009)

Schwarzkittel (2009)

Ernteopfer (2008)

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Spannung pur – mit unserem Newsletter informieren wir Sie

regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2019

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © © Hermann / fotolia.com

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-5996-2

Inhalt

Zum Buch

Impressum

Inhalt

Personenglossar

Kapitel 1 Die Beförderung

Kapitel 2 Im Gewölbekeller

Kapitel 3 Melanies Weltuntergang

Kapitel 4 Königliches Sterben in Schwetzingen

Kapitel 5 Abstecher nach Limburgerhof

Kapitel 6 Ein paar Widrigkeiten

Kapitel 7 Alles natürlich – trotzdem tödlich

Kapitel 8 Die Jungfrau aus Neckarsteinach

Kapitel 9 Eulenspiegelei in Haßloch

Kapitel 10 Buchhandelsterben

Kapitel 11 Schriesheimer Kuhberg

Kapitel 12 Es sind noch Plätze frei im Mausoleum

Kapitel 13 Jede Menge Leichen

Kapitel 14 Ein Mörder aus Kurpfalz

Danksagung

Bonus 1 Der Tod braucht seine Zeit (Palzki Klassik 2006)

Bonus 2 Palzki und Herr Wundersam (2010)

Ein Mörder aus Kurpfalz (Julienne Matthias-Gund)

Fotonachweise

Personenglossar

Fiktive Personen:

Reiner Palzki – Kriminalhauptkommissar in Schifferstadt

Klaus P. Diefenbach (KPD) – Dienststellenleiter und Palzkis Chef

Dietmar Becker – krimischreibender Student

Dr. Matthias Metzger – Not-Notarzt

Stefanie, Paul, Melanie Palzki – Palzkis Familie

Frau Ackermann – Palzkis Nachbarin

Karl-Otto Kleinhans – EU-Kontrolleur

Reale Personen:

Julienne Matthias-Gund – Geschäftsführerin der Touristikgemeinschaft Kurpfalz

Dr. René Pöltl – Vorsitzender der TG Kurpfalz und Oberbürgermeister der Stadt Schwetzingen

Kurt Geitner – Gartenexperte und Selbstständiger in Sachen Gartenreisen

Dr. Nadja Pentzlin – Entwicklerin und Geschäftsführerin des Stadt-Rätselspiels City&Quest

Stefan Walch – Küchenkünstler und Inhaber des Hotels Alt Speyer

Elke König – Städteführerin, Weinbotschafterin und vieles mehr

Mariola Hoinka – Leiterin Tourist Information Mosbach

Herold Pfeifer – Bürgermeister der Vierburgenstadt Neckarsteinach

Karl-Heinz Trares – Multitalent in Sachen Gästeführung

Annika Weiss – Leiterin der Tourist-Information Haßloch

Armin Jung – seit 2006 Dekan des protestantischen Kirchenbezirks Neustadt

Geneviève Gansler – Inhaberin der gleichnamigen Buchhandlung in Hockenheim

Rolf Avril – Winzergenossenschaft Schriesheim

Robert Katzer – Mitarbeiter Verkehrsverbund Rhein-Neckar

Anke Bernhardt – Körperwelten-Museum Heidelberg

Birgit Hiefner-Konietzko , Yvonne Schwegler, July Sjöberg – Geschichte hautnah

Christel Schärf – Seniorin aus Limburgerhof

Gunter Wallmen – realer Unfallchirurg und (fiktiver) Gehilfe von Dr. Metzger

 

Kapitel 1 Die Beförderung

Es hätte so ein schöner Tag werden können.

»Beförderung? Ich?«

Es war Montagmorgen, kurz nach 10 Uhr, und ich erhielt die zweite unglaubliche Nachricht des Tages. Während des Frühstücks hatte mir meine Frau Stefanie gebeichtet, dass ihre Mutter für ein paar Tage zu Besuch kommen würde. Meine Schwiegermutter und ich – kein noch so geläufiges Klischee konnte unser Verhältnis auch nur annähernd korrekt beschreiben – waren nicht gerade das, was man ein Herz und eine Seele bezeichnete. Da sie in Frankfurt wohnte, waren unsere Berührungspunkte während des Jahres erfreulicherweise nicht sehr zahlreich. Kürzlich musste sie für ein paar Tage ins Krankenhaus, daher konnte ich ihren Wunsch verstehen, in der Genesungsphase Erholung bei ihrer einzigen Tochter zu suchen. Nach dieser Hiobsbotschaft beschloss ich aus Deeskalationsgründen, diese Woche eifrig Überstunden zu schieben, um den Arbeitsberg, den ich vor mir herschob, etwas abzubauen. Gerade die vielen Pizzakartons müssten dringend zum Altpapiercontainer gebracht werden, und auch die Bleistifte in der Schublade könnten mal wieder gespitzt werden. In dem Zusammenhang würde ich gleich das Konfetti im Locher entsorgen. Je mehr ich nachdachte, desto mehr wichtige Arbeiten fielen mir ein. Vielleicht hatte ich Glück und ein kleines nettes Kapitalverbrechen kam hinzu? Für die Ermittlungen würde ich jedenfalls genügend Zeit einplanen, ohne ständig auf die Uhr zu schauen.

Mein Chef riss mich aus den Gedanken.

»Ja!«

KPDs minimalistische Antwort half mir zunächst nicht weiter. Ich hatte Unheil gewittert, als mich eine Beamtin beim Betreten der Dienststelle abgefangen hatte und mich zu meinem Vorgesetzten Klaus P. Diefenbach, wie KPD mit richtigem Namen heißt, schickte. Die Dienstwoche begann montags gegen 11 Uhr im Sozialraum mit dem berüchtigten Monolog KPDs zur Lage unserer Kriminalinspektion. Er sprach meist eine knappe Stunde ausschließlich über sich und seine Erfolge als Dienststellenleiter, indem er selbstentworfene Statistiken präsentierte, die jeden Mathematiker in den Suizid treiben würde. Meist verschlief ich diese unwichtigen Lagebesprechungen, sodass meine Dienstwoche faktisch regelmäßig um die Mittagszeit mit dem Eintreffen des Pizzaboten begann. Noch nie hatte mich KPD vor seiner Besprechung in sein Büro zitiert. Ich rechnete mit dem Schlimmsten.

Als Kriminalhauptkommissar war ich der Besoldungsgruppe A 11 zugeordnet. Die nächsthöhere Amtsbezeichnung war Erster Kriminalhauptkommissar, die mit A 13 vergütet wurde. Meine Freude über das zusätzliche Einkommen wurde durch die Konsequenz, die die Beförderung versprach, mehr als verdoppelt.

»Sie lassen sich an eine andere Dienststelle versetzen, Herr KP, äh, Diefenbach? Oder gehen Sie sogar vorzeitig in Pension?« Letzteres konnte ich mir nicht vorstellen, auch wenn es theoretisch im Rahmen der Möglichkeiten lag. Doch KPD würde niemals freiwillig die Segel streichen. Er war seiner Meinung nach unersetzlich. Worte wie Pension hatte er aus seinem Wortschatz gestrichen.

Er schaute mich mit debilem, also normalem Gesichtsausdruck an. »Wie kommen Sie auf diesen Schmarrn, Palzki?«

Bevor mir seine Rückfrage hätte spanisch vorkommen können, hatte ich bereits geantwortet. »Wenn ich nun Erster Kriminalhauptkommissar werde, bin ich Dienststellenleiter der hiesigen Kriminalinspektion. Daher gehe ich davon aus, dass Sie an eine andere Dienststelle wechseln. Oder werden Sie sogar zum Polizeirat befördert?«

KPD stutzte einen Moment, dann fiel er in schallendes Gelächter, das nicht enden wollte.

Ich stand daneben wie ein Depp und wusste immer noch nicht, was los war. Für mich war die Situation klar: Zwei Erste Kriminalhauptkommissare an einer Dienststelle konnte es nicht geben. Ich war zwar vor wenigen Jahren eine Zeit lang Interimsleiter dieser Dienststelle, aber nur bis KPD aus Ludwigshafen nach Schifferstadt zwangsversetzt worden war.

»Selbstverständlich bleibe ich guter Chef dieser Dienststelle und Sie mein Untergebener, Palzki.« Dann fügte er an: »Mir ist zwar klar, dass ich absolut geeignet für den Höheren Dienst wäre, doch damit würde mir die Nähe zur Basis fehlen. Als Polizeirat müsste ich mein hübsch eingerichtetes Büro in Schifferstadt aufgeben. Außerdem würde ich nicht mehr über einen so großen Stab an direkten Untergebenen verfügen wie momentan.«

Sein Büro einfach als Büro zu bezeichnen, war so verkehrt, wie Til Schweiger einen verständlichen Schauspieler zu nennen. Mittels mehrerer Umbauten erstreckte sich sein Domizil inzwischen über mehr als zwei Drittel der Fläche des ersten Obergeschosses. Da er seinen ständig wechselnden Spleens und Hobbys ausnahmslos während der Dienstzeit frönte, waren in seinem Riesenbüro inzwischen beispielsweise eine wohlsortierte Klassikerbibliothek mit vielen Erstausgaben, eine Gemäldeecke mit Originalen von Hans Purrmann, August Macke und Max Slevogt sowie ein ebenerdiger Weinkeller integriert.

»Mit Befördern meinte ich natürlich nur den Wechsel Ihrer Besoldungsgruppe. Freuen Sie sich in Zukunft über A 12. Damit können Sie sich endlich mal anständig einkleiden.« Mit einem abschätzigen Blick würdigte er meine Zivilkleidung, die sicherlich nicht den neuesten modischen Anforderungen entsprach, dafür aber bequem war. Seine ständigen Beleidigungen überhörte ich sowieso meist.

»Ich persönlich habe in Ludwigshafen auf dem Präsidium interveniert, dass wir eine zusätzliche A 12-Planstelle erhalten. Damit das klar ist, Palzki, Sie bleiben Kriminalhauptkommissar, eine Ernennung im beamtenrechtlichen Sinne ist mit der Aufwertung Ihres Jobs nicht verbunden.«

Grundsätzlich konnte ich mit dem Mehr an Verdienst zufrieden sein, doch allein das Wort Planstelle verhieß Ärger. »Planstelle wofür?«, fragte ich nach und verschränkte demonstrativ meine Arme vor dem Oberkörper. Das Wort Planstelle roch nicht nur nach Ärger, sondern auch nach Arbeit. »Ich kann leider zurzeit keine zusätzlichen Projekte übernehmen«, säuselte ich in Richtung Diefenbach. »Ich bin bis zur Oberkante zu mit Arbeit. Die letzten Ermittlungen müssen nachbereitet werden, außerdem …«

»Papperlapapp«, unterbrach mich KPD. »Das werde ich als guter Chef mit einem Federstrich …«

Nun unterbrach ich ihn. »Meine Schwiegermutter kommt heute Mittag für ein paar Tage zu Besuch. Ich kann diese Woche keine Überstunden machen.«

»Nanana«, entgegnete KPD. »Ich weiß genau, wie Sie zu Ihrer Schwiegermutter stehen. Oft genug haben Sie über sie hergezogen. Seien Sie froh, dass Sie nun eine offizielle Ausrede haben. Denn in den nächsten Tagen haben wir beide viel Arbeit vor uns. Da kann es abends durchaus sehr spät werden. Aber keine Angst, Sie dürfen sich die Überstunden aufschreiben und abfeiern. Ist das nicht eine glückliche Fügung für Sie?«

Noch immer wusste ich nicht, was sich hinter KPDs Plan verbarg. Ich unternahm einen neuen Versuch. »Haben Sie keinen geeigneteren Beamten gefunden, Herr Diefenbach?«

Er lächelte wie ein Gebrauchtwagenverkäufer unmittelbar nach dem Abschluss des Geschäfts seines Lebens. Die Goldkronen der Backenzähne blitzten auf. »Alle anderen meiner Untergebenen sind geeigneter als Sie, Palzki! Zumindest, was die Verwendung an meiner Dienststelle als Beamter angeht. Genau das ist der tragische Ansatzpunkt. In einem schlauen Buch, das ich übrigens selbst geschrieben habe, steht, dass keine Kette stärker ist als ihr schwächstes Glied. Daher muss man die Schwachen stärken. Oder rausschmeißen, aber das geht leider nicht, weil das Präsidium in Ludwigshafen ein, wie ich finde, unbegründetes Veto eingelegt hat.«

Ich glotzte ihn mit offenem Mund an. KPD gab zu, mich loswerden zu wollen. Was war da los? Ich hatte dies zwar schon lange vermutet, aber einen richtigen Beweis hatte ich bisher nicht. Okay, wenn ich ehrlich war, hatte ich seit KPDs erstem Tag in Schifferstadt ebenfalls nichts unversucht gelassen, um ihn loszuwerden. Da mein Vorgesetzter am längeren Hebel saß, war ich froh über die Kollegen in Ludwigshafen, die offensichtlich meine Arbeit als Kriminalbeamter wertschätzten.

»Darum habe ich beschlossen, Ihre Position um eine Kleinigkeit aufzuwerten. Bitte verstehen Sie das nicht falsch, Herr Palzki. Bei Ihrer Beförderung geht es mir nicht um den Gehaltszuwachs, den Sie erwarten dürfen. Mit dieser neuen Planstelle, die ich für Sie geformt habe, erhalte ich, also diese meine Dienststelle, EU-Fördergelder. Und das ist der einzige Grund für diese Veränderung. Selbstverständlich wandern diese Beträge sofort in meine Schwarzkasse.«

»Fördergelder?«, stammelte ich. »Wofür?« Hatte mich mein Chef für das Füllen seiner Schwarzkasse wie einen Sklaven verschachert?

KPD rollte mit den Augen. »Lesen Sie keine Zeitung, Palzki? Wofür schmeißt denn die EU mit Geldern so um sich? Natürlich für Inklusionsprojekte. Sie kennen den Begriff vielleicht im Zusammenhang mit der Einbeziehung von Behinderten mit Nichtbehinderten. Ich habe die Begrifflichkeiten etwas abgewandelt in das von mir selbst entworfene Inklusion-Schwächen-Projekt. Ich will mit meiner Idee labile und schwache Untergebene fördern und sie damit ein Stück weit in die Arbeitswelt meiner nicht so schwachen Untergebenen integrieren. Damit soll die Gesamtkette meiner von mir sehr gut geführten Dienststelle stabiler werden.« Er fixierte mich. »Sie sind als Einziger dafür prädestiniert, Herr Palzki. Freuen Sie sich, dass ich Sie ab sofort unter meine persönlichen Fittiche nehme. Sie werden davon in allen Bereichen profitieren.«

Ich überschlug im Kopf meine Pensionsansprüche, wenn ich auf der Stelle Fahnenflucht begehen würde. Das Ergebnis war nicht allzu befriedigend. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich zunächst der Anordnung meines Vorgesetzten zu fügen. Passiver Widerstand, Boykott und einige Schlagwörter mehr schwirrten mir durch den Kopf. KPD würde sich sein zusätzliches Schwarzgeld schwer verdienen müssen.

»Wie Sie meinen«, sagte ich zu Diefenbach. »Können wir die ersten Monate mit etwas Leichtem beginnen? Wir könnten zum Beispiel die mittägliche Pizza von den Fördergeldern finanzieren, um Ihre Schwarzkasse zu entlasten. Denken Sie nur an die Negativzinsen. Und bei der Volkshochschule fängt nächste Woche ein Expertenkurs Kaffeekochen an. Da könnten Sie Frau Wagner, Herrn Steinbeißer und mich hinschicken. Da hätten alle was davon.«

Wie meist hatte KPD gar nicht zugehört. Er ging zu seinem opulenten Schreibtisch, der die doppelte Fläche einer Tischtennisplatte besaß, und schnappte sich einen Notizblock. »Heute Abend fahren wir nach Speyer und gehen essen. Die Rechnung geht auf Spesen, und die Zeit dürfen Sie auf Ihrem Überstundenkonto notieren.«

»Ich weiß, wie man im Restaurant isst«, fiel ich ihm ins Wort. Mit KPD essen gehen war der Supergau. »Das muss ich nicht erst lernen.«

KPD lachte überheblich. »Bei Ihnen liegen Selbsteinschätzung und Realität ständig im Widerspruch. Das ist mir schon häufig aufgefallen. Aber sei es drum. Heute Abend werde ich Ihre Sinne schärfen. Es wird nämlich ein besonderes Dinner.«

Ich sah das Desaster förmlich voraus. KPD würde undefinierbares Zeug bestellen: Irgendwelches Meeresgetier wie Muscheln, Sardellen, Quallen und noch Ekligeres. Bereits beim Anblick würde sich mein Magen über den Teller stülpen. Obwohl, das wäre eine Möglichkeit, KPDs Pläne bereits im Ansatz zu torpedieren. Ich versuchte eine letzte Rettungsaktion. »Ich kenne in Speyer eine nette Location, bei der man gut essen kann.« Die beiden Wörter Speyer und Essen waren bei mir untrennbar mit meiner geliebten Currysau verbunden, die am St.-Guido-Stiftsplatz einen Steinwurf vom Grab des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl entfernt war.

»Das kommt nicht infrage«, polterte KPD. »Ich habe reserviert und die letzten beiden freien Plätze ergattert. Irgendeine seltsame Gesellschaft hat das Dinner ebenfalls gebucht. Na ja, das soll uns nicht beängstigen. Um 17 Uhr fahren wir los, Palzki.« Er stand auf und ging zur Tür. Plötzlich drehte er sich um. »Kommen Sie endlich, Palzki! Oder wollen Sie meine Lagebesprechung schwänzen?«

Ich murmelte ein unhörbares Ja und folgte ihm in den Sozialraum. Ohne die Kollegen zu grüßen, setzte ich mich in die hinterste Ecke und schlief sofort ein.

Mit einem »He« und einem Ellbogenrempler wurde ich geweckt. Ich schrak hoch und sah, dass der Raum, von meiner Kollegin Jutta Wagner und mir abgesehen, leer war.

»Was ist los mit dir? Du siehst echt scheiße aus, Reiner. Melde dich krank und gehe nach Hause.«

Nachdem ich bezüglich der mir selbst gestellten Frage, ob ich die Begegnung mit KPD nur geträumt hatte, zu einem unerwünschten Ergebnis kam, schüttelte ich den Kopf. »Meine Schwiegermutter kommt zu Besuch, außerdem muss ich nachher mit KPD essen gehen.«

Mehr wollte ich zu dem Unheil versprechenden Date nicht sagen, doch Jutta war neugierig. Kurz darauf saß ich in ihrem Büro und berichtete ihr und meinem Kollegen Gerhard Steinbeißer von dem Gespräch mit KPD.

Jutta und Gerhard waren fair. Nach einer halben Stunde hatten sich die beiden so weit wieder im Griff, dass sie nicht mehr lachten und keine blöden Witze erzählten. »Wir bedauern dich, Reiner«, sagte Jutta, und ich wusste nicht, ob ich das so glauben durfte.

»Damit ihr es gleich wisst: In der nächsten Zeit müsst ihr meine Arbeit mitmachen.«

Gerhard schaute sich um. »Welche Arbeit meinst du, Reiner? Ich kann keine finden. Tu nicht so, als wärst du immer ausgelastet.«

Ich wollte gerade aggressiv antworten, als unser Chef zur Tür reinkam. »Da sind Sie ja, Palzki. Ich habe Sie überall gesucht. Sind Sie so weit?« Er schaute an mir abfällig herunter. »Sie haben sich nicht einmal umgezogen. Wollen Sie, dass ich mich mit Ihnen gleich am ersten Tag blamiere?« Er seufzte zwei- oder dreimal. »Jetzt ist es zu spät, wir müssen los. Wenn ich das früher geahnt hätte, hätten wir den Tag nutzen können, um in die Basics des gesellschaftlichen Verhaltens und angemessener Bekleidung einzusteigen.«

KPD war im Flur verschwunden. Mit einer Handbewegung verabschiedete ich mich von meinen Kollegen. Meine Frau hatte ich längst angerufen und den Abendtermin mit KPD angekündigt.

Im rückwärtigen Hof der Dienststelle waren drei nebeneinanderliegende Parkplätze für den Dienststellenleiter reserviert. Damit wollte er ausschließen, dass es zu Parkschäden durch benachbarte Kraftfahrzeuge kam. Er betätigte die Zentralverriegelung und öffnete die Fahrertür.

»Was wollen Sie da drüben?«, fragte er, als ich auf der Beifahrerseite einsteigen wollte.

»Oh, Entschuldigung«, sagte ich und öffnete die Fondtür, um hinten einzusteigen.

»Und was soll das jetzt werden?«, fragte KPD. »Wollen Sie überprüfen, ob alle Türen funktionieren?«

»Soll ich mit meinem eigenen Wagen fahren?« Ich wusste immer noch nicht, worauf er hinauswollte.

»Was denken Sie, warum ich Ihnen die Tür aufhalte?«

»Ich? Ich soll Ihren neuen Dienstwagen fahren?«

»Sehen Sie sonst jemanden, Palzki?«

Die Lage wurde immer verworrener. KPD bot einem Fremden an, seinen neuen Dienstwagen zu fahren. Solch eine Geschichte hatte ich nie zuvor erlebt. Selbst seine eigene Frau ließ er nicht ans Steuer. Der Wagen, es war sein dritter Dienstwagen in den vergangenen zwölf Monaten, kostete viel mehr, als ich im Jahr verdiente, trotz nun besserer Einstufung. Solch ein modernes Fahrzeug war ich nie zuvor gefahren. Mir kam ein Gedanke in den Sinn: Waren die EU-Fördergelder vielleicht damit verbunden, dass die Planstelle einen neuen Dienstwagen bekam? Würde KPD mir seinen Wagen abtreten und sich einen neuen kaufen? Wie auch immer, ich kam seinem Wunsch nach.

»Sind Ihre Schuhsohlen sauber?«

Ich setzte mich auf den Fahrersitz und zog meine Schuhe ein paar Mal über die Fußmatte. »Jetzt schon«, antwortete ich dreist.

KPD nahm auf dem Beifahrersitz Platz und schnallte sich an. »Fahren Sie mit meinem Wagen bitte äußerst vorsichtig. Meine Frau hat auch kein Gefühl beim Gas geben und Kuppeln.«

»Ihre Frau darf den Wagen fahren?«, stammelte ich.

»Ausnahmsweise«, nuschelte er leise auf der nach oben offenen Schweigerskala mit mehr als fünf Til.

»Haben Sie zurzeit körperliche Beschwerden?«, fragte ich meinen Chef, wohl wissend, dass er diese niemals zugeben würde. KPD war extrem kurzsichtig. Seine Brille trug er nur bei Urlaubsfahrten im Ausland, weil er sich bei seinen Untergebenen keine Blöße geben wollte. Dementsprechend lebensgefährlich war es, wenn KPD selbst am Steuer saß. Vor diesem Hintergrund war es sicherlich vorteilhaft, wenn ich seinen Wagen fuhr. Ich versuchte, die Gründe dafür herauszufinden.

»Beschwerden? Ich?« KPD erhob die Stimme. »Was erlauben Sie sich? Dies wäre überhaupt nicht opportun für einen so guten Chef, wie ich es bin. Nein, mir geht es glänzend, der letzte ärztliche Check-up lief zu meiner vollsten Zufriedenheit.« Er klopfte sich mit der Faust auf die Brust.

»Und warum lassen Sie fremde Menschen wie Ihre Frau und mich ans Steuer?«

Erst druckste er herum, dann nuschelte er unverständlich mit doppelt so vielen Til wie zuvor.

»Ich habe Sie nicht richtig verstanden«, trat ich gehässig nach. Ich hatte natürlich längst kapiert, dass ich in einer offenen Wunde stocherte. Ich riet ins Blaue: »Alkohol am Steuer? Hatten Sie zu tief ins Glas geschaut?«

Sein schlagartig gerötetes Gesicht zeigte mir den Volltreffer.

»Unverschämt war das, Herr Palzki.« KPD schaute betreten zu mir. »Bei uns in der Pfalz wäre das nicht passiert.«

»Sie waren im Ausland?«

Er nickte. »Am Freitagabend war ich bei einem Geschäftsessen in Mannheim. Alles herausragende Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft. Klar, dass man anlässlich solch eines Dinners das eine oder andere Glas Champagner zu sich nimmt.«

»Und da wurde es wohl ein Glas zu viel?«

»Nicht mehr als sonst auch«, versuchte er zu beschwichtigen. »Ich bin aber noch nie auf der Heimfahrt kontrolliert worden. Gerade mal 100 Meter weit bin ich gekommen. Die müssen auf mich gewartet haben. Ich kann mir schon denken, wer mich bei der Schutzpolizei angeschwärzt hat. Dabei bin ich akkurat wie immer gefahren. Den Alkohol habe ich gar nicht registriert.«

KPD und akkurat fahren, das schloss sich meiner Meinung nach gegenseitig aus. »Sie wurden richtig kontrolliert?« Ich musste mich außerordentlich beherrschen, um nicht lauthals herauszulachen.

»Natürlich habe ich mich als Dienststellenleiter zu erkennen gegeben, ich trug schließlich meine Uniform. Dennoch ließen diese Halunken nicht locker. Und so eine junge Beamtin kam auf die Idee, einen Alkoholtest zu machen. Stellen Sie sich diese Demütigung vor!« Er sah mich an und hoffte, eine Runde Mitleid zu erhalten. Gemein wie ich war, sagte ich nichts.

»1,85 Promille«, meinte er schließlich leise, während er so tat, als würde er im Fußraum des Wagens etwas suchen. »Daraufhin haben diese Banditen meinen Führerschein beschlagnahmt. Dabei waren es höchstens zwei Kilometer bis zur Rheinbrücke, dann wäre ich in der sicheren Pfalz gewesen.«

Ich hatte den Eindruck, als hätte mir mein Chef ein paar wichtige Informationen verheimlicht. »Sie sind doch Ersttäter, oder täusche ich mich?«

»Ich bin kein Ersttäter!«, brauste er auf. »Ich bin überhaupt kein Täter. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich kontrolliert wurde! Ich bin davon ausgegangen, dass man mich und meine Erfolge inzwischen auch im ausländischen Baden-Württemberg kennt. Doch diese Schnösel haben es einfach ignoriert, dass ich schon viele Ermittlungsfälle bei Ihnen im Rahmen der Amtshilfe gelöst habe. Denken Sie nur an den Luisenpark, die Eichbaum-Brauerei und das Barockschloss. Nichts davon hat sie beeindruckt. Selbst bei der Polizeipräsidentin Daniela Berlinghof bin ich abgeblitzt, als ich am nächsten Tag bei ihr angerufen habe.«

»Gleichwohl ist es ungewöhnlich, dass der Führerschein beschlagnahmt und zunächst nicht nur für eine Nacht einbehalten wurde.«

KPD senkte seinen Kopf tiefer, fast bis zu seinen Knien. »Dieser blöde Strommast war schuld. Ich wollte gerade abbiegen, da ist es passiert. Das Ding stand aber auch so was von blöd neben der Fahrbahn. Das war so ein Fahrleitungsmast, an dem die Leitungen der Straßenbahn befestigt sind.«

Ich musste grinsen. Genau dies stand heute groß in der Zeitung. Ein unter reichlich Alkohol stehender Autofahrer hatte nachts frontal einen der Leitungsmasten gerammt und gefällt. Daraufhin mussten mehrere Straßenbahnlinien auf unbestimmte Zeit umgeleitet werden.

»Haben Sie sich einen Anwalt genommen?«

KPD nickte. »Ich habe mich am nächsten Tag von meiner Frau nach Viernheim zu einem Rechtsanwalt für Verkehrsrecht fahren lassen. Viernheim liegt ja in Hessen. Diese Wegelagerer in Baden-Württemberg werden ab sofort von mir boykottiert. Und in der Pfalz bin ich zu bekannt. Wenn sich das herumspricht!« Er blickte mich eindringlich an. »Eine Silbe, Palzki. Wenn Sie nur eine einzige Silbe davon weitererzählen, sind Sie nicht mal A 1. Dann sind Sie a A, am Arsch.«

»Das ist doch Ehrensache«, beruhigte ich ihn, wohl wissend, dass ich bei nächster Gelegenheit auch die letzte Kleinigkeit weitererzählen würde. »Ich finde es vernünftig, dass Sie sich nach Speyer chauffieren lassen. Haben Sie bereits einen Termin für den Idiotente…, äh, für die MPU?«

»Selbstverständlich werde ich mich nicht herablassen, eine MPU über mich ergehen zu lassen. Aber das regele ich mit meinem Anwalt und meinen Beziehungen. Mein Anwalt hat mir geraten, in der nächsten Zeit etwas vorsichtiger zu agieren, was das Autofahren angeht. Im Einflussbereich meiner eigenen Dienststelle bin ich zwar sicher, aber schon in Speyer kann das anders aussehen. Können Sie sich erinnern, wie wir vor einer Weile auf dem Weg nach Landau an der Umgehungsstraße B 9 in Speyer geblitzt wurden? Die Führung der Polizeiin­spektion in Speyer ist ebenfalls sehr uneinsichtig. Und da ich weiß, dass die Mannheimer Polizeipräsidentin in Altrip wohnt, könnte es gut sein, dass sie den Beamten in Speyer einen Tipp gegeben hat. Daher ist es mir leider nicht möglich, selbst zu fahren. Heute früh habe ich mich von meiner Frau zum Dienst fahren lassen.«

»Wie ist sie anschließend heimgekommen?«

»Selbstverständlich ist meine Frau nach Hause gelaufen, nachdem sie meinen Wagen ordnungsgemäß im Hof der Dienststelle geparkt hat. Sind ja nur vier Kilometer Luftlinie. Normalerweise müsste sie mich heute Abend abholen, doch das Heimbringen erledigen heute Sie.«

Ich freute mich wie ein kleines Kind. KPDs Führerscheinlosigkeit war der Hammer! Das war ein gefundenes Fressen für mich, die Kollegen und alle, denen ich es erzählen würde. Der Wagen fuhr sich in der Tat angenehmer und vor allem viel leiser als meiner, der allerdings nur einen Bruchteil gekostet hatte. Das kaum wahrnehmbare Fahrgeräusch täuschte eine viel langsamere Geschwindigkeit vor, als wir tatsächlich draufhatten. Am McDonald’s, fast noch in Sichtweite der Dienststelle, zeigte der Tacho gut 80 Sachen an. Innerorts wohlgemerkt. Erst als wir die Ortsgrenze erreicht hatten und durch ein Wäldchen in Richtung B 9 fuhren, beendete KPD seine gebückte Haltung. Er hatte wohl Angst, dass ihn jemand auf dem Beifahrersitz erkennen würde.

Ich blieb fair. Bei der ehemaligen Kurpfalz-Kaserne, dem ersten baulichen Speyerer Vorboten, lag unsere Geschwindigkeit höchstens 30 Prozent über den zulässigen 100 km/h. Der mobile Blitzer, den man an dieser Stelle fast schon als Immobilie bezeichnen konnte, gehörte für mich als Ortskundiger zu den bekanntesten Speyerer Gebäuden, etwa vergleichbar mit der Currysau oder dem Dom. Unbestätigten Meldungen zufolge hatte sich der Blitzer bereits am zweiten Tag seines Aufstellens amortisiert. Ich selbst hatte kürzlich einen kleinen Beitrag zur Finanzierung dieses Apparates aufgebracht. Dass ich bewusst in die Radarfalle fuhr, bemerkte KPD erst, als ich mir beide Hände vor das Gesicht hielt und es blitzte.

»Ups«, sagte ich entschuldigend und ging leicht vom Gas. »Das war ja so was von heimtückisch. Können Sie da mal eingreifen, Herr Diefenbach? Das haben die Speyerer garantiert mit Absicht gemacht.«

Nachdem sich KPDs Atmung normalisiert hatte, funkelte er mich mit bösem Blick an. »Das wird Konsequenzen haben, Herr Palzki.«

Dreist bezog ich den Kommentar nicht auf mich. »Das hoffe ich auch, Herr Diefenbach. Was die Speyerer Beamten da anstellen, ist wirklich nicht die feine Schifferstadter Art.« Da ich gerade zügig die relativ enge Ausfahrt nahm, hatte mein Chef alles zu tun, seinen Körper einigermaßen im Lot zu halten.

Ich hatte mir etwas dabei gedacht, quer durch Speyer zu fahren, statt die bequemere Umgehungsstraße zu nehmen. »Oh, da drüben, Herr Diefenbach, die Currysau. Sollen wir einen kleinen Stopp einlegen? Dann kämen wir nicht so ausgehungert im Restaurant an.« Und ich ersparte mir irgendwelche undefinierbaren Sauereien, dachte ich insgeheim.

»Nichts da«, konterte KPD. »Ihnen werden nachher sowieso Hören und Sehen vergehen.« Er verbesserte sich: »Na ja, wenigstens eines von beiden.« Er schaute sich um. »Wo fahren Sie überhaupt hin, Palzki? Da rechts rein, ich zeige Ihnen den Weg.«

Kurz darauf befuhren wir die Gilgenstraße. Weiter vorne konnten wir den Turm der Gedächtniskirche sehen, die in der Bevölkerung meistens Retscherkirche genannt wurde.

»Da links, in diese kleine Gasse müssen wir«, befahl KPD.

»Leider ist das eine Einbahnstraße«, entgegnete ich. »Oder soll ich dennoch falsch herum reinfahren, damit Sie mit den Speyerer Beamten mal so richtig Tacheles reden können? Da scheint ja einiges im Argen zu sein, nicht nur, was die Verkehrsführung angeht.«

KPD ließ sich tatsächlich meinen Vorschlag durch den Kopf gehen. Leider kam er zu einem anderen Resultat. »Stellen Sie den Wagen hier ab. Da steht er gut, und kein anderer kann ihn zuparken.«

Wir standen in der Gilgenstraße vor der St. Joseph-Kirche im absoluten Halteverbot. Die Lücke am Straßenrand war dementsprechend ausreichend groß. Ich verzichtete darauf, KPD auf diesen kleinen Umstand hinzuweisen. Lieber KPDs Wagen im Halteverbot parken als einen längeren Fußweg in Kauf nehmen.

KPD stieg aus und atmete zwei- oder dreimal tief durch. So gut war die Speyerer Luft nun auch nicht, dachte ich. Oder war dies eine Reaktion auf meine Fahrweise? Ohne sich um mich weiter zu kümmern, überquerte mein Chef die Straße. Dort wurde er von einem Pulk Menschen in Beschlag genommen. Wohl irgendwelche Bekannte, dachte ich mir und stieg ebenfalls aus.

»Sie dürfen hier nicht halten.« Eine strenge Stimme ließ mich zusammenzucken. Eine Politesse mit klischeerotem Haar baute sich vor mir auf.

»Das ist ein Diplomatenfahrzeug«, erwiderte ich halbherzig und nicht so richtig überzeugend. »Wir sind in offizieller Mission unterwegs.«

»Sie dürfen hier nicht halten«, wiederholte die strenge Rothaarige.

»Sie wiederholen sich«, entgegnete ich.

Ihr Gesicht nahm eine ähnliche Farbe an wie ihre Haare. Sie war kurz vor dem Explodieren, doch dann erinnerte sie sich vermutlich an ihren letzten Deeskalationskurs. »Wenn Sie nicht wegfahren, lasse ich Ihren Wagen abschleppen.«

Ich beschloss, das Spielchen auf die Spitze zu treiben. »Sie wissen ja gar nicht, wo mein Wagen parkt.«

Erstaunlich schnell hatte sie verstanden. »Das ist nicht Ihr Wagen? Ich habe Sie doch aussteigen sehen.«

Wahrscheinlich hätte ich diesen Dialog noch eine Stunde fortführen können, doch meine Neugier siegte. Mit wem lachte KPD auf der anderen Straßenseite?

»Hören Sie: Das ist nicht mein Wagen, ich bin ihn nur gefahren. Dies ist ein offizielles Dienstfahrzeug der rheinland-pfälzischen Polizei. Sie können es von mir aus abschleppen lassen, dann müssen Sie aber mit den drastischen Konsequenzen rechnen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, wir sind mitten in einem hochgefährlichen Einsatz.« Ohne Verabschiedung ging ich über die Straße zu KPD. Mir doch egal, ob der Wagen nachher noch an dieser Stelle stand oder nicht.

»Hallo, Herr Palzki, Sie sind ja auch dabei.« Eine agile Frau trat aus der Gruppe und fiel mir um den Hals. Ich wusste, dass ich sie kannte, doch auf die Schnelle fiel es mir nicht ein. »Unser Abenteuer auf dem Hambacher Schloss werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen.«

Jetzt war der Groschen gefallen. Vor mir stand Julienne Matthias-Gund, die Geschäftsführerin der Touristikgemeinschaft Kurpfalz. Als ich vor einer Weile meinen Chef auf einer Wochenendtagung auf dem Hambacher Schloss vertreten musste, war sie eine der Teilnehmerinnen. Eine Zeit lang hatte ich sie sogar in Verdacht, für das eine oder andere Kapitalverbrechen verantwortlich gewesen zu sein, das während der Tagung auf dem Schloss passierte. »Na, wie geht es Ihnen, Frau Matthias-Gund? Haben Sie Ihren Milliardär inzwischen gefunden?« Einer der Hauptgründe, warum sie an der Tagung teilgenommen hatte, war, dass sie auf der Suche nach einem neuen Partner war, der nach Möglichkeit Milliardär sein sollte. Nach ihrer Aussage würde er nach einer Heirat sowieso schnell zum Millionär werden.

»Leider hat es bisher nicht geklappt, Herr Palzki. Milliardäre sind heutzutage leider sehr rar.« Sie lachte freudestrahlend. »Wie ich von Herrn Diefenbach erfahren habe, werden wir nachher gemeinsam im Gewölbekeller Hotel Alt Speyer dinieren. Was für ein Zufall, das wird ein toller Spaß.«

Ich sah, wie KPD mit der etwa zehnköpfigen Gruppe in eine rege Diskussion vertieft war.

»Wer sind die Leute?«, fragte ich Matthias-Gund leise. »Kennen die alle KP, äh, Herrn Diefenbach?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Wir sind halt nur ein lustiger und aufgeschlossener Haufen. Das sind alles Mitglieder unserer Touristikgemeinschaft. Wir machen eine mehrtägige Tour durch unsere Heimatregion und wollen so unseren Horizont erweitern bezüglich neuer Angebote für Touristen und Einheimische. Unsere Tour de Kurpfalz steht zwar unter dem Motto Gärten der Region, doch wir gehen auch in Museen, zu einem Theater und zum Schluss sogar auf die Königin Silvia.«

»Auf?« Bestimmt hatte sie sich versprochen.

»Ja doch, Herr Palzki. Die Königin Silvia ist ein neues und gleichzeitig das größte Schiff der Weißen Flotte auf dem Neckar. Aber zunächst wollen wir vor dem Essen das Rätsel um den geheimnisvollen Klosterkreuzgang lösen.«

Ich wollte Näheres zu dieser Aktion erfragen, doch KPD kam mir zuvor.

»Palzki, wir machen mit diesen Leuten einen kleinen Spaziergang. Wir sind sowieso viel zu zeitig dran, das Dinner beginnt erst in einer Stunde. Jetzt ist erst mal mein kriminalistisches Fachwissen gefragt. Man muss helfen, wo man kann.« Er lächelte in die Runde und erhielt vielfache Zustimmung. Ich hatte keine Ahnung, mit welcher Methode er sich dermaßen eingeschleimt hatte.

»Das ist ja toll«, freute sich Matthias-Gund über KPDs Ansage. »Darf ich Sie mit unserer Führerin bekanntmachen, Herr Palzki? Das ist Frau Dr. Nadja Pentzlin.« Eine Dame aus der Gruppe war zu uns getreten.

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Palzki. Darf ich Ihnen kurz erklären, um was es geht?«

»Ich bitte darum.«

»Wir haben zwei völlig neue Konzepte entwickelt«, begann sie mit begeisterter Stimme. »Das Indoor-Rätselspiel Escape&Museum in der Speyerer Altstadt sowie das Outdoor-Konzept City&Quest. Letzteres haben wir inzwischen für mehrere Städte entwickelt, neben Speyer auch für Mainz und Heidelberg.«

»Auf geht’s!« Wir blickten allesamt zu KPD, der im Begriff war, die Führung der Gruppe zu übernehmen. »Wo müssen wir hin?«

Nadja Pentzlin grinste, während Matthias-Gund sich um ihn kümmerte. »Ich zeige Ihnen den Weg, Herr Diefenbach. Wir müssen zum Gelände der Sparkasse Vorderpfalz in der Wormser Straße.«

Zunächst gingen wir in Richtung Maximilianstraße, an deren anderen Ende sich der Dom befand. Während Nadja Pentzlin weiter von ihrem Konzept schwärmte, sah ich auf der Straße einen Abschleppwagen vorbeifahren.

»City&Quest ist ein Ratespiel, das mittels Smartphone funktioniert. Zu Fuß oder per Rad macht man sich auf die circa zwei Stunden dauernde Tour. Eine App auf dem Smartphone führt die Teilnehmer von Station zu Station, wo spannende und knifflige Fragen beantwortet werden müssen. Das ist auch für Familien mit Kindern hervorragend geeignet. Die Materialien und eine Anleitung befinden sich in den City&Quest-Taschen, die man sich an mehreren Stationen wie der Touristinfo ausleihen kann.«

»Und was sind das für Fragen?«, fragte ich.

»Querbeet«, antwortete Pentzlin. »Man lernt dabei einiges über die Stadt, Historisches und Zeitgenössisches. Dinge, die man nicht in jedem Reiseführer findet. Das Konzept kommt prima an.«

Ich vermutete längst, dass KPD die Sache nicht so ganz verstanden hatte. Sicher hatte er nur sehr selektiv zugehört, wie es halt seine Art war. »Haben Sie dies Herrn Diefenbach so erklärt?«

Sie zog eine Grimasse. »Kaum hatte ich etwas von Rätsel und Geheimnis gesagt, muss sich bei ihm wohl etwas verselbstständigt haben. Er sprach sofort von Verbrechen und Straftat, und dass er uns selbstverständlich helfen wird, den Gauner zu überführen. Wir haben dies zunächst als einen Spaß verstanden, so als wollte er uns aufziehen. Nachdem wir bemerkt hatten, dass er es ernst meinte, haben wir uns einen Spaß daraus gemacht und ihn weiter angestachelt. Matthias-Gund kann ja leicht andere Menschen von irgendetwas überzeugen.« Sie schaute mich eindringlich an. »Ist das wirklich der Chef der Schifferstadter Kriminalinspektion?«

»Leider«, sagte ich und blickte kurz in Richtung Boden. Ich war äußerst gespannt, wie die Geschichte ausgehen würde. Kurze Zeit später erreichten wir das Ziel.

Nadja Pentzlin zeigte neben das Sparkassengebäude. »Hier sehen Sie den Klosterkreuzgang des Augustinerklosters. Nach Gründung des Klosters im 13. Jahrhundert und mehreren Zerstörungen und Wiederaufbauten wurde auf den Resten des Klosters vor 150 Jahren ein Schulgebäude errichtet. Dieses wiederum wurde Anfang der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts abgerissen, um dem Neubau der Sparkasse Platz zu machen. Der aus dem 15. Jahrhundert erhaltene Kreuzgang wurde abgebaut und an leicht versetzter Stelle wieder aufgebaut.«

»Ja, ja«, unterbrach KPD ungeduldig. »Und wo genau passierte das Verbrechen?«

Julienne Matthias-Gund und wahrscheinlich ein paar andere rollten mit den Augen.

»Ich übernehme«, sagte ich leise zu Pentzlin.

»Herr Diefenbach, sehen Sie es denn nicht? Ich muss sagen, dass die Situation doch sehr auffällig ist. Ich wundere mich ein bisschen, dass ein so erfahrener Kriminalbeamter wie Sie das noch nicht entdeckt hat.« Auf diese Provokation musste er reagieren.

»Natürlich war mir die Lage sofort klar, als wir ankamen, Palzki. Ich habe ja nur um ein paar Hintergrundinformationen gebeten. Damit ich die Historie des Verbrechens besser einschätzen kann«, ergänzte er hastig.

»Dann kommen Sie mal mit, Herr Diefenbach.« Gemeinsam gingen wir auf den quadratischen Platz zu. Auf zwei Seiten war der Platz mit einer vier Meter hohen Mauer begrenzt, die mit einem kleinen Satteldach aus Biberschwanzziegeln gekrönt war. Die gegenüberliegenden Seiten waren mit einer niedrigen Steinumrandung eingefasst. Das Besondere der Mauer machten spitzbogige Arkaden aus, die auf einem Sockel standen und die Mauer wie ein Schweizer Käse durchlöcherten. Von diesen Fensteröffnungen, wie ich es als Laie bezeichnen würde, gab es in jedem der beiden Mauerteile sieben Stück. Eine Arkade reichte bis zum Boden und war als Durchgang ausgebildet. Gegenüber dem Durchgang befanden sich am anderen Ende des Platzes zwei steinerne Stelen, die ebenfalls als Durchgang dienten.

 

 

Die Mitte des Platzes war teilweise mit irgendwelchem Grünzeug bepflanzt. Der Rest war in einer eigentümlichen geometrischen Form grau gepflastert. Hinzu kam, dass dieses Gebilde mehrere weiße Pflasterreihen durchzogen, so als würden sie irgendwelche Grundrisse nachahmen.

Nachdem ich mit KPD in der Mitte angekommen war, sprach ich ihn leise und in vertraulichem Ton an. »Herr Diefenbach, während Sie die ersten Indizien sammeln, kümmere ich mich um die Gruppe. Sie wissen doch, wie schnell Zeugen versehentlich irgendwelche Spuren zerstören. Ich bin gleich wieder zurück.«

Ich hatte nicht vor, meinem Chef bei seinem Phantomverbrechen weiterhin zur Seite zu stehen. Mich interessierte die richtige Frage, und die konnte ich nur von der Spielleiterin bekommen.

Während KPD schnurstracks zu einem Gebüsch lief, das er wohl für besonders verdächtig hielt, ging ich zu der Touristikgruppe, die sich mitten in einer Diskussion befand.

»Wo haben Sie Herrn Diefenbach gelassen?«, fragte Nadja Pentzlin, die eine Spiralmappe in der Hand hielt.

»Der schaut sich ein wenig die Pflanzen an«, antwortete ich. »Er ist zurzeit auf dem botanischen Trip.«

»Komisch«, mischte sich ein mir unbekannter Mann ein, der mich mit seinem Aussehen und dem Schnauzbart an Horst Schimanski in den 80er-Jahren erinnerte. »Da gibt es doch gar nichts Besonderes zu sehen. Das sind alles Standardstauden. Zum Beispiel …«

Ich schnitt ihm das Wort ab, um mir einen Vortrag über Grünzeug zu ersparen. »Mein Chef findet immer etwas. Lassen wir ihn einfach mal eine Weile in Ruhe. Was ist das für ein Plan?« Mein Ablenkungsmanöver funktionierte. Niemand interessierte sich mehr für KPD.

Nadja Pentzlin zeigte auf eine laminierte DIN-A4-Seite in ihrer Spiralmappe. »Das ist das Stadträtsel zu dem Klosterkreuzgang. Es gilt, die vier Fragezeichen aufzulösen. Lesen Sie sich hierzu zunächst den Text durch. Danach können Sie den Platz untersuchen, vielleicht hat die Lösung ja etwas mit den Bodenmarkierungen zu tun? Sie können sich auch die Schautafel neben dem Platz näher betrachten. Ich habe ausnahmsweise zusätzlich ein paar Fotos des Kreuzgangs und der Umgebung in der Tasche. Die gehören normalerweise nicht zum Spiel.«

Sie zog ein paar Blätter aus der City&Quest-Tasche und reichte sie herum.

»Aha«, sagte ich und blieb zunächst abwartend stehen. Der größte Teil der Gruppe ging, nachdem die Fotos ausgiebig betrachtet wurden, zielstrebig zu dem Platz mit dem Kreuzgang. Für mich war dies eine No-go-Area, da ich dort unweigerlich KPD in die Arme laufen würde.

»Na, Herr Palzki, haben Sie bereits eine Idee?«, fragte mich Pentzlin.

»Längst gelöst«, gab ich mich bescheiden. »Aber lassen wir den anderen ein paar Minuten ihren Spaß.« Um einem verfänglichen Dialog zu entgehen, ging ich zu Julienne Matthias-Gund, die in ein paar Schritten Entfernung die Schautafel studierte, auf der die Historie des Klosters bis zu dem Mauerrest der Gegenwart erklärt war.

Die Geschäftsführerin des Touristikverbandes schaute mich listig an und deutete mit dem Kinn auf die Tafel. »Die Lösung liegt in der Zerstörung des Klosters durch einen Brand und des Wiederaufbaus dank der Unterstützung des Speyerer Bischofs.«

Zunächst war ich verwirrt, doch dann verstand ich. Ich nickte ihr kurz zu. »Danke«, flüsterte ich, was sie zu einem kleinen Lächeln veranlasste.

Wie ein unbeteiligter Passant vertrieb ich mir die nächsten Minuten mit der Begutachtung der Aushänge im Schaufenster der Sparkasse die Zeit.

»Herr Palzki, wir wären so weit«, rief es irgendwann. Ich drehte mich um und sah, dass die komplette Gruppe nebst KPD im Zentrum des Platzes stand.

»Kommen wir zur Auflösung«, sagte Pentzlin, als ich bei ihr angekommen war. Sie fixierte mich. »Wollen Sie, Herr …«, sie drehte sich zur Seite. »Herr Diefenbach? Sie haben doch sicher die Lösung herausgefunden.«