Ein verheißungsvolles Abenteuer - Stephanie Laurens - E-Book
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Ein verheißungsvolles Abenteuer E-Book

Stephanie Laurens

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Beschreibung

Eigentlich ist er ein Einzelgänger, doch diese verführerische Lady macht ihm ein unwiderstehliches Angebot ...

London, 1850: Michael Cynster fühlt sich rastlos. Zwar liebt er seine Unabhängigkeit, doch das Junggesellendasein – das ständige Trinken, Spielen und Feiern – hat seinen Reiz verloren. Als Michael zufällig von einer gefährlichen Mission seines Bruders erfährt, scheint er das perfekte neue Abenteuer gefunden zu haben. Eine gestohlene Ladung Schießpulver ausfindig machen? Einen im wahrsten Sinne explosiveren Zeitvertreib kann es kaum geben! Doch dann trifft er auf Cleome Hendon. Die junge Geschäftsfrau sehnt sich ebenfalls nach Abenteuern und will sich der Mission anschließen. Michael ist zunächst skeptisch, aber dann macht ihm die schöne Cleo ein Angebot, dass er nicht ausschlagen kann …

Die Reihe »Cynster, eine neue Generation« bei Blanvalet:
1. Eine Liebe in den Highlands
2. Schottische Versuchung
3. Verführt von einer Highlanderin
4. Eine skandalöse Leidenschaft
5. Ein verheißungsvolles Abenteuer
6. Wie zähmt man eine Lady?
7. Der irische Gentleman

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Seitenzahl: 489

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Buch

London, 1850: Michael Cynster fühlt sich rastlos. Zwar liebt er seine Unabhängigkeit, doch das Junggesellendasein – das ständige Trinken, Spielen und Feiern – hat seinen Reiz verloren. Als Michael zufällig von einer gefährlichen Mission seines Bruders erfährt, scheint er das perfekte neue Abenteuer gefunden zu haben. Eine gestohlene Ladung Schießpulver ausfindig machen? Einen im wahrsten Sinne explosiveren Zeitvertreib kann es kaum geben! Doch dann trifft er auf Cleome Hendon. Die junge Geschäftsfrau sehnt sich ebenfalls nach Abenteuern und will sich der Mission anschließen. Michael ist zunächst skeptisch, aber dann macht ihm die schöne Cleo ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann …

Autorin

Stephanie Laurens begann mit dem Schreiben, um etwas Farbe in ihren wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Ihre Bücher wurden bald so beliebt, dass sie ihr Hobby zum Beruf machte. Stephanie Laurens gehört zu den meistgelesenen und populärsten Liebesromanautorinnen der Welt und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne, Australien.

Von Stephanie Laurens bereits erschienen

Ein feuriger Gentleman · In den Armen des Spions · Eine stürmische Braut · Ein süßes Versprechen · Ein widerspenstiges Herz · Stürmische Versuchung · Ein sinnliches Geheimnis · Triumph des Begehrens · Duell der Sehnsucht · Eine ungezähmte Lady · Gespielin der Liebe · Meisterin der Verführung · Verwegene Geliebte · Eine Liebe in den Highlands · Schottische Versuchung ·Verführt von einer Highlanderin ·Eine skandalöse Leidenschaft

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Stephanie Laurens

EIN

VERHEISSUNGS-

VOLLES

ABENTEUER

Roman

Deutsch von Christiane Meyer

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »An Irresistible Alliance« bei Savdek Management.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2017

by Savdek Management Proprietary Limited

Published by Arrangement with Savdek Management Pty Ltd

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022

bei Blanvalet, einem Unternehmen der

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign,

unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com

(freya-photographer; LightField Studios; KathySG;

Ryzhkov Oleksandr; Zerbor)

LA · Herstellung: sam

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-26036-1V001

www.blanvalet.de

Kapitel 1

24. Oktober 1850

London

Lord Michael Cynster schlenderte die breite Treppe von St. Ives House hinunter, die in die Eingangshalle führte. Die Standuhr auf dem Treppenabsatz schlug gerade. Es war Viertel vor zwei am Nachmittag, für einen unverheirateten Herrn von Stand und Adel eine durchaus angemessene Zeit, den Tag in einer noblen Gesellschaft zu beginnen.

Wenn er seinem Tag bloß etwas abgewinnen könnte, wünschte er sich, aber wie eine weite, langweilige Öde erstreckte er sich vor ihm. Michael hatte keine Ahnung, wie er die Stunden füllen sollte.

Aus Gewohnheit setzte er eine freundlich-gleichgültige Miene auf, obwohl er sich gelangweilt fühlte und unruhig zugleich, weil er keinen Ausweg sah. Der einzige Silberstreif am Horizont war die Neuigkeit, dass seinem Bruder Sebastian endlich die Augen geöffnet wurden und er sich eingestand, was alle Menschen in seinem Umkreis seit gut zehn Jahren wussten: dass er ein heimliches Faible für Antonia Rawlings hatte. Jetzt schien es offenkundig zu sein. Die beiden waren gemeinsam in Kent gewesen und am Vorabend zurückgekehrt, und wie es schien, hatte Antonia die Nacht im Bett seines Bruders Sebastian, des ältesten Sohns und Erben des Duke of St. Ives, verbracht.

Wenn das nicht eine für alle erkennbare Ankündigung von Hochzeitsglocken war, die in Bälde läuten würden, wollte Michael einen Besen fressen.

In der Eingangshalle traf er auf Crewe, seit zehn Jahren Butler im Londoner Stadthaus der Familie, der ihm würdevoll die Tür öffnete.

Michael grinste neugierig. »Hallo, Crewe! Ich habe gehört, dass mein Bruder in puncto Marchioness einen entscheidenden Schritt getan und erkannt hat, dass Lady Antonia das Zeug für eine Duchess der Sonderklasse besitzt. Hat er die alles entscheidende Frage schon gestellt? Wissen Sie da etwas?«

Auf Crewes für gewöhnlich teilnahmsloses Gesicht stahl sich ein winziges Lächeln. »Ich glaube, Lord Sebastian ist neuerdings verlobt, Mylord. Er und Lady Antonia sind vor einiger Zeit in die Green Street aufgebrochen.«

Antonias Vater war der Earl of Chillingworth, der dort ein Stadthaus besaß. Amüsiert stellte sich Michael die Szene vor. »Ich würde so gerne Mäuschen spielen, wenn Chillingworth um die Hand seiner Tochter gebeten wird. Von meinem Bruder.«

»Ich bin mir sicher, dass der Earl erfreut sein wird über diese Verbindung.«

»Zweifellos. Bloß wie lange wird Chillingworth das Gespräch in die Länge ziehen, bevor er das zugeben wird? Das ist schließlich die Frage.«

»Ich bin mir sicher, dass Lord Sebastian sich der Herausforderung stellen und sie meistern wird«, äußerte sich der Butler recht emotionslos, wie man es bei einem Mann seiner Stellung erwartete.

Daran zweifelte auch Michael nicht. Wenn Sebastian sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, brachte ihn so schnell nichts und niemand davon ab.

»Werden Sie ausgehen, Mylord?«

Michael blieb mitten in der Halle stehen und schien nachzudenken. Ihm war plötzlich eine Erkenntnis gekommen: Sebastian und Antonias bevorstehende Vermählung war für ihn der Befreiungsschlag aus dem durchgeplanten, monotonen Dasein, das er in den vergangenen Jahren geführt hatte.

Da er gerade mal ein knappes Jahr jünger als Sebastian war, hatte Michael, solange der ältere Bruder sich noch nicht für eine Frau entschieden hatte, genauso im Visier der Ehestifter und Kuppler gestanden, denn zur Not wäre er dran, seinem Vater als neuer Duke zu folgen und sich um einen Erben zu kümmern. Nur so konnte die Zukunft des Hauses und der Familie gesichert werden.

Doch mit dem heutigen Tag hatte sich die Situation geändert.

Lord Michael wirkte mit einem Mal erleichtert und begann, verschiedene Gedanken vor sich hinzumurmeln. »Sobald die Neuigkeiten sich verbreiten – was nicht lange dauern wird –, werde ich nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses stehen. Von jetzt an muss ich also nicht mehr so tun, als hätte ich etwas für Bälle und Soireen und das ganze gesellschaftliche Theater übrig.«

Dabei waren es gar nicht so sehr seine Eltern gewesen, die ihm Druck gemacht hatten, seinem Stand entsprechend aufzutreten, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen und sich nach heiratswilligen jungen Damen umzusehen, als könnte er tatsächlich eine Wahl treffen. Diesen Druck hatten vor allem seine Großtanten und seine unzähligen weiblichen Verwandten auf ihn ausgeübt. Abgemildert worden war der Druck lediglich dadurch, dass er und Sebastian ständig gemeinsam unterwegs gewesen waren. Wenn er ehrlich war, so war es in den ersten Wochen sogar eine interessante Herausforderung gewesen, sich in der angesagten Gesellschaft zu bewegen und allen Finten und Fallstricken der übereifrigen Mütter auszuweichen. Aber nicht lange, und alles hatte seinen Reiz verloren und war nichts als ermüdend gewesen.

Allein wegen seines gesellschaftlichen Standes und der finanziellen und geschäftlichen Attraktivität seiner Familie Aufmerksamkeit zu erregen und ein begehrter Heiratskandidat zu sein, war alles in allem keine besonders erfreuliche Erfahrung gewesen.

Jetzt hingegen war er frei. Befreit vom Druck, eine Ehe eingehen zu müssen.

Er konnte sich wieder seinem sorglosen Dasein als Junggeselle widmen, bis er sich entscheiden würde, etwas an seinem Status zu ändern.

Michael lächelte und richtete den Blick auf Crewe. »Ja, ich werde ausgehen«, sagte er, wenngleich er noch keine Idee hatte, wohin er gehen würde.

Pflichtschuldig holte Crewe Michaels Wintermantel und den Gehstock von der Garderobe.

Nachdem er in seinen Mantel geschlüpft war und die Ärmel zurechtgezogen hatte, nahm er seinen schwarzen Gehstock mit dem silbernen Knauf in Form eines Hirschkopfs von Crewe entgegen. »Ich vermute, dass der Duke und die Duchess informiert worden sind?«

»Noch nicht, Mylord. Wie ich hörte, hat der Marquess of Earith vor, heute Nachmittag einen berittenen Boten zu schicken. Wir rechnen damit, dass Seine und Ihre Gnaden morgen Abend zurück sein werden.«

»Und meine Schwester?«

»Lady Louisa sollte erst in ein paar Tagen zurückkehren. Es ist möglich, dass sie als Erstes in Somersham Place vorbeischauen wird.«

Michael nickte und wandte sich der Tür zu. »Ich weiß noch nicht genau, wann ich zurück sein werde.«

»Sehr wohl, Mylord.« Crewe verbeugte sich.

Michael trat auf die Eingangstreppe hinaus und hielt inne, überlegte, was er nun tun sollte, betrachtete den Park, der sich auf dem Platz befand, die Kinder, die unter den wachsamen Blicken ihrer Kindermädchen und Gouvernanten auf dem gepflegten Rasen spielten. Die eleganten Paare, die auf den Kieswegen flanierten, während Kutschen über die Straßen rollten, die den Park umgaben.

Und jetzt?

Die rastlose Langeweile, die er zuvor empfunden hatte, regte sich erneut. Er war vollkommen planlos, wusste nicht, was er machen, wohin er sich wenden sollte. Zwar könnte er seinen früheren genusssüchtigen Lebensstil wieder aufnehmen, doch unerklärlicherweise hatte das ständige Trinken, Spielen, Feiern und Speisen, gefolgt von noch mehr Spielen und Trinken, seinen Reiz verloren.

Scheidepunkt, das war das Wort, das ihm im Kopf herumgeisterte.

Er wurde ungeduldig, wollte sich nicht solch nutzlosen Gedankenspielen hingeben. Entschlossen straffte er die Schultern, stieg die Stufen hinab, wandte sich nach links, ging den Gehweg entlang – und erblickte den Rücken seines Bruders Sebastian.

Mit Antonia Rawlings an seiner Seite, die sich bei ihm untergehakt hatte, war sein Bruder Richtung Osten unterwegs, obwohl die Green Street mit dem Stadthaus des Earl of Chillingworth in der entgegengesetzten Richtung lag. Am St. Ives House, der herzoglichen Stadtresidenz, mussten sie gerade vorbeigegangen sein, als Michael sie verließ. Verwundert fragte der jüngere Cynster sich, wohin sie eigentlich wollten, wenn sie bereits von den Chillingworths kamen. Neugierig erhöhte er sein Tempo und verringerte den Abstand zu den beiden.

Sebastian und Antonia diskutierten gerade. Angesichts der Intensität der Unterhaltung und den teilweise schroffen Gesten glaubte Michael nicht, dass es in ihrem Gespräch um die bevorstehende Hochzeit ging.

Im nächsten Moment blickten die beiden eine Hausfassade hinauf, wurden langsamer, bogen ab und stiegen dort die Treppe hinauf.

Ein Blick reichte Lord Michael aus, um das Haus wiederzuerkennen. Es handelte sich um das Wolverstone House. Da war ganz offenbar etwas im Busch.

Gespannt folgte Michael dem Paar die lange Eingangstreppe hinauf. Sobald sie Schritte auf den Stufen hinter sich hörten, drehten Sebastian und Antonia sich um und lächelten den Bruder an, der als Erstes Antonias Hand ergriff und sie an seine Lippen hob.

»Wie ich hörte, darf man gratulieren, obwohl du mit mir natürlich die bessere Wahl getroffen hättest.«

Antonia lachte und drückte kurz seine Hand. »Ich bezweifle ernsthaft, dass das funktioniert hätte«, meinte sie, hielt sich an seiner Hand fest, zog ihn an sich und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen schwesterlichen Kuss auf die Wange zu hauchen. Als er die unschuldige Geste erwiderte, musterte sie sein Gesicht. »Da du nun bald mein Schwager bist, darf ich dir wohl eine Frage stellen: Was machst du hier?«

»Ich wollte euch gerade das Gleiche fragen.« Grinsend boxte er Sebastian gegen die Schulter. »Hallo, Bruderherz. Ich denke, ich sollte mich bei dir bedanken, weil du mir die Bürde abgenommen hast, mich von einer Frau quasi in Ketten legen zu lassen.«

»Gern geschehen«, sagte der Ältere mit einem Seitenblick auf Antonia, der zu Michaels Verwunderung fast schon liebestrunken wirkte.

Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als die glänzend schwarze Tür von Wolverstone House geöffnet wurde und Hamilton, der Londoner Butler der Familie Varisey, erschien. Als er sah, wer vor ihm stand, begann sein für gewöhnlich so reserviert wirkendes Gesicht zu leuchten, und mit einer tiefen Verbeugung bat er sie einzutreten.

»Mylord. Mylady.«

Nachdem er die Tür geschlossen hatte, half Hamilton Antonia aus ihrem Umhang, nahm den Cynsters ihre Wintermäntel und Michael zusätzlich seinen Gehstock ab. Sobald er die Sachen an einen Diener weitergereicht hatte, den er mit nur einem Blick herbeigerufen hatte, drehte Hamilton sich wieder zu Sebastian und Antonia um und machte eine Verbeugung.

»Wie wir hörten, sind Glückwünsche angebracht. Ich spreche für das gesamte Personal in Wolverstone House, wenn ich Ihnen sage, dass wir Ihnen beiden alles Gute wünschen.«

»Danke, Hamilton«, entgegnete Sebastian.

»Und unser Dank geht auch an das Personal«, fügte Antonia mit einem reizenden Lächeln hinzu.

»Ist der Marquess zu sprechen?«, erkundigte sich Sebastian.

Eigentlich war das auch Michaels wesentliche Frage gewesen. Er wollte wie sein Bruder mit Lord Drake Varisey, dem Marquess of Winchelsea und ältestem Sohn des Duke of Wolverstone, sprechen. Michael hatte bereits früher mit Drake geheime Missionen durchgeführt und fragte sich nun, ob sein Bruder aus demselben Grund hier sein könnte. Er hoffte es sogar. Antonias Anwesenheit war allerdings eine Überraschung. Mehr als Sebastian, Michael und der Rest ihrer Standesgenossen war Drake dagegen, dass Frauen in solche Missionen einbezogen wurden – in Missionen, die das Potenzial hatten, tödlich zu enden.

Hamilton informierte Sebastian, dass der Marquess ihn in der Bibliothek erwarte, woraufhin der seinem Bruder einen Blick zuwarf und ganz leicht eine seiner schwarzen Augenbrauen hochzog.

Mit einem Nicken nahm Michael die stumme Einladung an und folgte Sebastian, der hinter Antonia her den Korridor entlangging und schließlich durch die Tür trat, die Hamilton aufhielt.

Die Bibliothek von Wolverstone House war ein gemütlicher Raum, der vorwiegend der Bereich der männlichen Familienmitglieder war, zu denen neben dem Duke vier Söhne zählten. Bücherschränke mit Glastüren standen an den Wänden, in denen sich der Schein des Feuers widerspiegelte, das in dem großen Kamin direkt gegenüber der Tür prasselte. Zwischen den Bücherregalen hingen zahlreiche Bilder mit Jagdszenen und Landschaften Northumberlands. Ein gewaltiger Schreibtisch beherrschte ein Ende des Raumes, aber das Hauptaugenmerk lag auf einem Ensemble aus vier dick gepolsterten Sesseln aus braunem Leder sowie dem dazu passenden Sofa, das vor dem Kamin angeordnet war. Aus einem der Sessel erhob sich Drake beim Eintritt seiner Besucher. Sein Blick streifte kurz Antonias Gesicht.

»Guten Tag. Ich nehme an, dass es vollbracht ist?«

Antonia trat vor. »Wenn du damit meinst, dass wir offiziell verlobt sind, dann lautet die Antwort: Ja. Wobei Sebastian allerdings noch seine Eltern informieren muss.«

»Ich werde ihnen heute Nachmittag noch einen Boten schicken, sobald wir hier fertig sind. Es ist nicht so, als würde irgendein Zweifel daran bestehen, dass meine Eltern uns ihren Segen geben.« Sebastian sah Drake an. »Aus zwingenden Gründen wage ich es nicht, länger damit zu warten, meinen Eltern die Nachrichten zukommen zu lassen. Das bedeutet nämlich, dass meine Mutter mit meinem Vater im Schlepptau mit Sicherheit morgen zurückkehren wird. Und danach …«

»Danach«, ergriff Antonia das Wort, »wird es wohl eine Verlobungsfeier geben. Meine liebe Mama hat einen solchen Ball zwar nicht erwähnt, doch ich bin mir sicher, dass sie sich lediglich aus Rücksicht auf deine Mutter zurückgehalten hat, die ganz sicher eine eigene Meinung zu dem Thema hat.«

Sebastian schloss kurz die Augen und stöhnte. »Ich hatte gehofft, dass uns das erspart bleiben würde.«

Antonia schüttelte mitleidig den Kopf. »Auf keinen Fall. Ausgeschlossen.«

Drake schnaubte leise. »Für unsereins, mein Freund, gibt es vor solchen Dingen kein Entrinnen.«

»Nachdem sich die Neuigkeit verbreitet hat«, seufzte Sebastian, »können wir dich sicherlich nicht mehr bei der Mission unterstützen, fürchte ich.«

Drake verzog das Gesicht. »Das sieht so aus.«

»Aber«, sagte Sebastian und wandte sich zu Michael um, »wir haben hier jemanden, der dank unserer Verlobung völlig frei ist. Oder zumindest freier.«

Michael lächelte dem Marquess einnehmend zu. »Man könnte sogar sagen, dass ich im Augenblick nichts mit mir anzufangen weiß, also …« Er sah von Drake zu Sebastian und schließlich zu Antonia und zog die Augenbrauen hoch. »Was ist jetzt?«

»Das ist in der Tat die alles entscheidende Frage.« Drake bedeutete ihnen, Platz zu nehmen. Sobald alle es sich gemütlich gemacht hatten, begann Drake ihnen einen Überblick zu geben.

»Folgendes haben wir bisher herausgefunden … Einige Mitglieder des Jungen Irland, junge Hitzköpfe aus den untersten Rängen der Organisation, glaubten, im Interesse der Führung und sogar auf ihren Geheiß hin zu handeln, als sie einer Gruppe, die eine Verschwörung anstrebte, zehn Fässer mit Schwarzpulver beschafften. Woher genau sie das Schießpulver hatten, vermögen wir nicht zu sagen, was im Moment auch keine Rolle spielt. Connell Boyne, der für seinen Bruder Lord Ennis mit der Verwaltung des Gutes nordwestlich von Limerick betraut war, kümmerte sich darum, dass die Fässer per Schiff von dort an die Ostküste von Kent gebracht wurden, wo sie in einer Höhle auf dem englischen Anwesen seines Bruders zwischengelagert wurden.«

Michael sah Sebastian an. »Du warst mit Antonia zusammen in Kent.«

»In der Tat. Wir nahmen an einer Hausparty auf dem Anwesen von Lord Ennis teil, in Pressingstoke Hall.«

Michael blinzelte verwirrt. »Was steckte dahinter?«

»Jedenfalls war es sehr interessant«, warf Antonia trocken ein.

»Ennis hatte mir einen Brief geschickt«, setzte Drake unerschütterlich seinen Bericht fort. »Darin stand, dass er von einer Verschwörung gehört habe, von der ich wissen müsse, und betonte, dass er mir nur von Angesicht zu Angesicht davon erzählen könne. Da ich damals von meinen Kontaktleuten in Dublin gleichzeitig Nachricht von Aktionen des Jungen Irland erhalten hatte, musste ich, um dieser Sache nachzugehen, persönlich nach Irland reisen. Also kümmerte sich Sebastian um Ennis. Zu dem Zeitpunkt ahnten wir absolut nicht, dass die beiden Angelegenheiten miteinander verbunden waren und wir zwei Formen ein und derselben Verschwörung untersuchten. Leider wurde Lord Ennis einige Minuten vor dem Treffen mit Sebastian erstochen, ihm gelang es gerade noch, die Worte Schießpulver und hier zu sagen, bevor er starb.

Zwar entdeckten Sebastian und Antonia die Höhle, doch Boyne hatte die Fässer in der Zwischenzeit fortschaffen lassen, vermutlich nach London.« Drake hielt inne. »Nein, mit ziemlicher Sicherheit nach London.«

Michael runzelte die Stirn. »Wenn London die ganze Zeit über das Ziel war, warum hat man dann die Fässer nicht direkt mit dem Schiff dort hinbringen lassen?«

»Weil«, klärte Drake ihn auf, »der Transport von Schießpulver innerhalb der Hauptstadt streng kontrolliert wird, wobei es bei diesen Inspektionen in erster Linie um Schwarzpulver geht, das in den amtlich zugelassenen Mühlen hergestellt wird, und um den Sprengstoff, der illegal über den Port of London in die Stadt gelangt. Indem die fraglichen Fässer zuerst heimlich nach Kent gebracht und dann in die Stadt transportiert wurden, umging Boyne – oder derjenige, der die Fäden im Hintergrund zieht – diese Kontrollen.«

Michael sah Sebastian an. »Wo ist Boyne jetzt?«

»Tot. Er wurde von demjenigen, dem er Bericht erstatten sollte, umgebracht.«

»Wahrscheinlich um sicherzustellen, dass er niemandem mehr erzählen konnte, wer derjenige war, von dem er seine Befehle erhielt.« Drake klang verstimmt. »Nach meiner Reise nach Irland kann ich eines mit Sicherheit sagen: Wer immer hinter der Verschwörung steckt, hat nichts mit den Unabhängigkeitsbestrebungen des Jungen Irland zu tun. Die Bewegung ist ganz eindeutig benutzt worden.«

Es herrschte Schweigen, während alle darüber nachdachten.

»Konkret haben wir es also mit zehn Fässern reinem Schwarzpulver zu tun, die aus den irischen Mühlen kamen und irgendwo in London sind«, sagte Drake. »Zehn Zentner, das sind mehr als tausend Pfund. Das reicht, um ein sehr großes oder mehrere kleinere Gebäude in die Luft zu sprengen. Wir haben leider keine Ahnung, wo das Schwarzpulver sich befindet, wer dahintersteckt oder was das Ziel sein könnte.« Er machte eine kurze Pause, ehe er weitersprach. »Ein Faktor, der uns zugutekommen könnte, ist, dass diejenigen, die hinter der Sache stecken, außerordentlich vorsichtig vorgehen. Daraus lässt sich schließen, dass sie den Plan in mehrere Abschnitte aufgeteilt haben, die sie nach und nach erledigen, und dass sie anschließend diejenigen, die sie bei ihrem kriminellen Vorhaben benutzt haben, ermorden. Indem sie ihre Mittelsmänner aus dem Weg räumen, verschleiern sie auch die Identität derjenigen, die von ganz oben die Befehle erteilen und sich für unangreifbar halten. Wenn die Drahtzieher bislang weiter an dieser skrupellosen Vorgehensweise festgehalten haben, wurden mit Sicherheit inzwischen alle Schritte bis zum Anzünden der Zündschnur geplant, jedoch mit Glück noch nicht alle Leute aktiviert, die sich um die Realisierung der Aktionen in diesem Abschnitt kümmern müssen.« Er blickte in die Runde. »Was ich damit sagen will: Möglicherweise haben wir ein kleines Zeitfenster, um das Schwarzpulver zu finden. Ein paar Tage, vielleicht eine Woche. Meiner Meinung nach ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Fässer direkt zum endgültigen Bestimmungsort geschafft wurden. Ich denke und glaube, dass die Leute hinter der Verschwörung ihr wahres Ziel vor allen verbergen wollen, die sie bei ihren lasterhaften Plänen ausnutzen und am Ende töten.«

»Also«, brachte Michael die Sache auf den Punkt, »sind die einzigen Menschen, die das tatsächliche Ziel und die Konsequenzen kennen, die Drahtzieher hinter der Verschwörung selbst – und niemand anders wird von ihnen über Hintergründe und Konsequenzen wirklich eingeweiht.«

Drake nickte. »Selbst wenn diejenigen, die vom letzten Abschnitt Kenntnis erhalten, protestieren würden, wäre es zu spät dafür. So oder so wäre es ihr Todesurteil.«

Zum ersten Mal ergriff Antonia das Wort. »Das heißt im Klartext, dass das Vorhaben dieser Leute unmenschlich und das Ziel unvorstellbar ist.« Sie erwiderte den Blick aus Drakes goldbraunen Augen. »Es muss etwas sein, das die Hauptverantwortlichen, wer immer sie sind, als Nächstes für ihre Zwecke missbrauchen.«

»So ist es«, entgegnete Drake kurz und bündig.

Nach einem weiteren Moment des Schweigens fragte Michael: »Gibt es nicht einen Weg herauszufinden, was das Ziel sein könnte?«

Verbittert schüttelte Drake den Kopf. »Nicht ohne das Schwarzpulver am endgültigen Bestimmungsort detonationsreif zu finden – oder die Identität der Verbrecher in Erfahrung zu bringen.« Der Marquess schnitt eine Grimasse. »Und selbst wenn wir wüssten, wer sie sind, wäre das Ziel möglicherweise nicht sofort ersichtlich. Wenn es zum Beispiel ein Plan des Jungen Irland gewesen wäre, hätten ihr Ziel oder ihre Ziele Regierungsgebäude oder Gebäude wie Armeebaracken sein können. Aber da es keine Verschwörung des Jungen Irland zu sein scheint, wäre das alles reine Spekulation.«

Michael wechselte einen Blick mit Sebastian. Dann sahen beide zu Drake, der in Gedanken versunken war, nicht in gerade angenehme allerdings.

»Also, so viel zum gegenwärtigen Stand der Dinge.« Sebastian suchte Drakes Blick. »Was jetzt?«

»Ganz einfach«, erklärte Drake. »Wir müssen unser Möglichstes tun, um das Schwarzpulver zu finden, übrigens das reinste Schießpulver, das es gibt. Nur so können wir sicher sein, die Verschwörung noch zu stoppen.«

Michael nickte. »Und wo beginnen wir?«

»Das«, entgegnete Drake, »liegt bei dir, zumindest in den nächsten paar Tagen.« Er verzog das Gesicht. »Ich kann es kaum glauben: Heute Morgen bekam ich aus zwei unterschiedlichen Quellen die Nachricht, dass die Chartisten irgendwo in London etwas geplant hätten. Ich frage mich, ob es Teil eines Plans ist, mich aus London wegzulocken.«

»Die Chartisten?« Sebastian sah ihn ungläubig an. »Seit wann sind sie bereit, Gewalt anzuwenden? Vor allem eine Gewalt, der zehn Fässer mit Schwarzpulver zur Verfügung stehen?«

»Ganz genau. Es war bereits weit hergeholt, das Junge Irland zu verdächtigen, selbst wenn es von dieser Seite ein paar kleinere Übergriffe gab. Was die Chartisten betrifft … zwar protestieren und demonstrieren sie in Massen vor dem Parlament, doch sie sind entschlossen, die Reform des Wahlrechts mit friedlichen, legalen Mitteln zu erreichen. Sie wollen, dass es durch das Parlament zu einer Gesetzesänderung kommt. Das Parlamentsgebäude aber deshalb in die Luft zu jagen entspricht so gar nicht ihren Zielen.«

»Wer bitte hat dann angedeutet, dass die Chartisten involviert sein könnten?«, wollte Michael wissen.

»Niemand. Nicht in dem Sinn, dass sie speziell etwas mit unseren zehn Fässern Schwarzpulver zu tun haben. Eine meiner Kontaktpersonen in der London Working Men’s Association hat mich wissen lassen, dass er von den hiesigen Anführern etwas gehört habe – nicht von Lovett oder Hetherington, sondern von den Anführern der örtlichen Miliz, wie sie sich selbst nennen. Es ging dabei um eine Aktion, die kurz bevorstehen soll, und um einen Boten, der entsprechende Informationen und Weisungen aus der Zentrale im Norden übermittelt. Ziel ist es angeblich, das Parlament hellhörig zu machen, damit es dem Thema wieder mehr Beachtung schenkt. Normalerweise würde ich mich auf Lovett und Hetherington verlassen, um sicherzugehen, dass die Organisation nicht in etwas Ungesetzliches hineingezogen wurde. Bloß sind beide derzeit nicht in London. Insofern weiß ich nicht, wer gerade die Verantwortung hat – ich kann also nicht einfach dort auftauchen und denjenigen bitten, mir zu verraten, was los ist. Das ist leider noch nicht alles. Vor einer Stunde erhielt ich eine amtliche Verlautbarung aus Whitehall. Es scheint, als gäbe es dort ebenfalls Gerüchte über neue Unruhen bei den Chartisten.« Mit einer Miene, die seine Abscheu deutlich zeigte, sah Drake Sebastian an. »Du weißt, wie die Bürokraten in Whitehall sind. Erwähne das Wort Unruhen, dann malen sie sich dort gleich das Schlimmste aus. Mehr noch: Falls ich versuche herauszufinden, wer die Gerüchte gestreut hat, werde ich gegen Mauern anrennen und nicht weiterkommen.«

»Was können wir in dieser Situation überhaupt tun?«, hakte Michael nach.

Drake seufzte und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Nach Lage der Dinge sieht es folgendermaßen aus: Die Antwort auf die Frage, ob die Chartisten hinter der Verschwörung stecken oder beteiligt sind, werde ich am einfachsten bekommen, wenn ich nach Norden reise und mit Feargus O’Connor persönlich spreche. Wie du sicher weißt, ist er der oberste Anführer der Chartisten und Besitzer der Zeitung Northern Star mit Sitz in Leeds. Und wenn irgendjemand weiß, was die Leute an der Spitze der Chartisten geplant haben, dann ist es O’Connor.« Drakes Lächeln war kalt. »Sobald ich ihm erkläre, dass jemand vorhat, die Sache der Chartisten in den Dreck zu ziehen, wird er mir mit Sicherheit alles darüber erzählen, was sie eventuell geplant haben. Und da ich bezweifle, dass sie tatsächlich etwas geplant haben, wird er mir sagen, wen ich in London kontaktieren muss, um bei den Mitgliedern der Internationalen Arbeiterassoziation richtigstellen zu lassen, was ihre Führung wirklich will.«

»Wie lange, denkst du, wird das dauern?«, erkundigte Sebastian sich.

»Mit Sicherheit länger, als ich es mir wünschen würde.« Drake rechnete kurz nach. »Drei Tage mindestens, wahrscheinlich eher vier. Zu dieser Jahreszeit müsste ich schon Glück haben, um O’Connor an seinem Schreibtisch anzutreffen, vermutlich werde ich ihn eher irgendwo auf dem Land aufspüren müssen.«

»Tja«, sagte Michael. »Wenn du im Norden suchst, werde ich diese Aufgabe hier unten übernehmen.« Er sah zu Sebastian hinüber, der auf dem Sofa saß und Antonias Hand hielt. »Da unsere beiden Turteltäubchen wahrscheinlich zu beschäftigt sind, werde ich mich auf die Suche nach dem Schießpulver machen, konkret auf die Fässer mit kostbarem Schwarzpulver aus der irischen Mühle.«

Drake nickte beifällig. »Gut. Wo willst du anfangen?«

Inzwischen hatte Michael darüber nachgedacht. »Du sagtest, es seien zehn Zentner. Diese Menge lässt sich nicht auf einem einzigen Wagen transportieren, und erst recht nicht auf einmal. Nehmen wir also an, dass zwei Karren nötig waren und es sich bei diesen Karren nicht um irgendwelche heruntergekommenen alten Anhänger von irgendeinem Bauernhof gehandelt hat. Es müssen auf jeden Fall Karren von Fuhrunternehmern gewesen sein. Die Sorte, mit der man unter voller Beladung mit kräftigen Gäulen die Fahrt über die Landstraße nach London wagen kann, ohne dass irgendjemand misstrauisch wird. Richtig?«

Drake nickte. »Also lautet die Frage zunächst, woher die Wagen stammten.«

»Ganz genau.« Michael wandte sich an seinen Bruder. »Hätte man solche Wagen in der Gegend um Pressingstoke Hall in Kent irgendwo ausleihen können?«

Sebastian legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Dover liegt zu weit im Süden, und ich bezweifle, dass Fuhrunternehmer von dort eine Lieferung nach London bringen könnten – vor allem, weil sie wüssten, dass die Rückfahrt ohne Fracht wäre. Es sei denn, sie hätten sich für die Rückfahrt ebenfalls um eine Fracht gekümmert, aber dazu hätten sie sehr lange im Voraus von der Fahrt wissen müssen.«

»Nein.« Drake schüttelte den Kopf. »Du hast recht, dass der Transport von einem professionellen Fuhrunternehmen mit richtigen Wagen übernommen worden sein muss, bloß hätten unsere Verschwörer – wer immer sie sein mögen – es nicht riskiert, dafür Einheimische zu nehmen. Diejenigen, die die Karren gelenkt haben, waren darauf vorbereitet, illegal Schwarzpulver zu transportieren. Es ist schlicht nicht möglich, dass ein Fuhrunternehmer etwas befördert, ohne zu wissen, was es ist. Und außerdem mussten die Fässer aus einer Höhle am Strand geholt werden. Das bedeutet, den Lenkern war auf jeden Fall klar, dass die zu transportierenden Güter nicht versteuert waren.« Drake hielt eine Weile inne, bevor er fortfuhr. »Wenn ich der Drahtzieher hinter der Verschwörung wäre, dann hätte ich mir die Zeit genommen, um Fuhrunternehmer oder eben Kutscher mit Zugriff auf passende Wagen zu finden und anzuheuern, die mit dem Jungen Irland sympathisieren.« Drake sah Sebastian Beifall heischend an. »Außerdem musste Boyne am Strand sein, um die Männer in die Höhle und zu den Fässern zu führen – und er hätte mit Sicherheit Verdacht geschöpft, wenn die Fahrer kein Teil der Organisation gewesen wären. Oder zumindest keine Iren. Allein die irische Herkunft hätte vermutlich gereicht. Schließlich dürften sie beim Verladen der Fässer kaum über politische Themen diskutiert haben.«

Michael nickte bedächtig. »Also suche ich nach zwei Männern – mindestens einem Iren –, die Zugriff auf die passenden Wagen haben, um zehn Fässer mit Schwarzpulver nach London zu befördern.« Er dachte kurz nach. »Ich bezweifle, dass es mir gelingen wird, diese Konstellation in irgendeiner kleinen Stadt zu finden, wahrscheinlich nicht einmal in Dover.«

»London.« Resigniert setzte sich Drake auf. »Das passt auch zu der Vorsicht, die unsere Verbrecher walten lassen. Du suchst nach zwei Fahrern, vermutlich Fuhrunternehmer und Iren, die sehr wahrscheinlich Sympathisanten des Jungen Irland und in London tätig sind.«

»So, wie die Dinge liegen«, fügte Sebastian hinzu, »sind diese Männer, die die Fässer mit dem Schießpulver nach London transportiert haben, unsere einzige Spur, abgesehen von den Drahtziehern selbst natürlich.«

»Das stimmt.« Michael betrachtete die anderen und richtete den Blick fragend auf Antonia. »Also, wen kennen wir, der über die hiesigen Fuhrunternehmer Bescheid weiß?«

Antonia machte große Augen. »Ich hätte vorgeschlagen, Hamilton oder Crewe danach zu fragen, aber ich fürchte, dabei wird herauskommen, dass unsere Haushalte eigene Wagen oder Kutschen benutzen und wir keine Fuhrunternehmen engagieren. Jedenfalls nicht regelmäßig genug, um über die Einzelheiten des Gewerbes Bescheid zu wissen.«

»Wen kennen wir überhaupt, der mit Fuhrunternehmern zu tun hat?«, gab Michael zu bedenken.

Nach einer Weile räusperte Sebastian sich. »Du könntest mal schauen, ob einer der Söhne von Lord Hendon in der Stadt ist. Sie haben vielleicht eine Idee oder können wenigstens Kontakte zu jemandem herstellen, der mit Fuhrunternehmen zusammenarbeitet.«

»Und wenn du die Söhne von Lord Hendon nicht ausfindig machen kannst, versuch es im Büro der Hendon Shipping Company«, empfahl Drake. »Das Unternehmen befördert alle möglichen Waren vom Hafen zu Kunden und Lagerhäusern in ganz London und in den angrenzenden Grafschaften, also wird irgendjemand im Büro ganz gewiss genug wissen, um dich auf eine lohnenswerte Spur zu bringen.«

»Wo ist das Büro?« Michael griff nach seinem Notizbuch.

Drake und Sebastian wirkten betreten, und Antonia zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung.«

Michael steckte sein Notizbuch wieder in die Tasche. »Macht nichts. Ich werde es herausfinden. Keine Sorge. Aber eine Frage hätte ich noch: Wie viel Zeit bleibt uns überhaupt, und hat einer von euch eine Ahnung, wann die Fässer hier in der Hauptstadt angekommen sind?«

Zu seinem Erstaunen hatte Antonia eine Antwort parat. »Die Fässer sind in der Nacht von vorgestern oder am sehr frühen gestrigen Morgen aus Kent fortgeschafft worden.«

»Das stimmt«, bestätigte Sebastian. »Wenn sie direkt in die Stadt gebracht wurden, was höchstwahrscheinlich der Fall gewesen ist, dann wären sie gestern im Laufe des Morgens in London angekommen.«

»Also befinden sich die Fässer mittlerweile seit vierundzwanzig Stunden in der Stadt. Wie viele Tage denkst du, bleiben uns, um die Fässer zu finden, bevor sie weitertransportiert werden zum vorgesehenen Zielort?«

»Wie gesagt, können wir wahrscheinlich mit ein paar Tagen rechnen, vielleicht sogar mit einer Woche.« Drake runzelte die Stirn. »So viel Schwarzpulver erfolgreich zu verteilen, um ein Regierungsgebäude oder ein Monument in die Luft zu sprengen, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekommt, erfordert eine sehr gute Planung. Und diese Verbrecher waren bisher so vorsichtig, dass ich mir jetzt kein überstürztes Handeln vorstellen kann.« Drake machte eine Pause. »Sagen wir es mal so: Ich rechne nicht damit, in den nächsten vier oder fünf Tagen von einer Explosion zu hören.«

»Das ist nicht so beruhigend, wie du vielleicht glaubst«, meinte Michael.

Drake schüttelte den Kopf. »Ganz unabhängig davon gibt es eine weitere Spur, die es zu verfolgen gilt, und du musst einen logischen Schritt nach dem anderen machen. Das ist alles, was du tun kannst, was wir tun können. Übrigens wäre es besser, wenn du, falls du das Schießpulver tatsächlich finden solltest, die Fässer lediglich beobachtest und nicht sicherstellst. Ich hoffe, dass ich zurück bin, bevor sie abtransportiert werden. Und da das Junge Irland nichts mit der Sache zu tun hat, sondern die angebliche Beteiligung der Bewegung als reines Ablenkungsmanöver gedient hat – was meiner Meinung nach bei den Chartisten nicht anders sein wird –, sind diese Fässer mit Schwarzpulver unsere einzige Chance, die Drahtzieher der Verschwörung zu identifizieren. Sobald wir die Fässer finden, müssen wir abwarten und beobachten, wer kommt, um sie zu holen, und denjenigen bis an ihr Ziel folgen. Erst dann können wir die Täter verhaften und dafür sorgen, dass sie keine Lunte anzünden. Bis jetzt sind alle, die in dieser Verschwörung eine Rolle gespielt haben, bis auf die Hintermänner tot. Das dürfen wir nicht weiter zulassen, weil wir auf jeden Fall jemanden brauchen, der noch reden kann.«

Nach diesem bissigen Kommentar erhob Drake sich, löste die Besprechung auf und brachte die anderen zur Tür.

»Ich werde im Morgengrauen nach Leeds aufbrechen. Wenn O’Connor so reagiert, wie ich denke, hoffe ich, mit den nötigen Kontakten zurückzukehren, um jegliche aktive Unterstützung der Londoner Chartisten an der Verschwörung zu stoppen.« Er öffnete die Tür, bedeutete den anderen hinauszutreten und folgte ihnen in die Eingangshalle.

Während Antonia ihren Umhang anlegte und Sebastian und Michael in ihre Wintermäntel schlüpften, stand Drake mit hinter dem Rücken gefalteten Händen da und starrte auf den Boden.

Als die anderen bereit waren aufzubrechen, blickte er Michael an. »Du hast recht damit, dass nun, da das Schwarzpulver in London ist, eine Uhr zu ticken begonnen hat. So ist es. Leider wissen wir nicht, nach welchem Zeitplan die Verbrecher arbeiten. Allerdings gibt es so viele Aspekte, die einfach ungewöhnlich sind, sodass ich hin- und hergerissen bin. Deshalb weiß ich nicht, was ich dir am besten raten soll. Falls du das Schießpulver findest und ich noch nicht zurück bin, solltest du spontan entscheiden. Wenn du das Gefühl hast, dass es sich nicht um das endgültige Ziel handelt, setz deine Überwachung fort. Falls die Fässer hingegen am Ziel sind, dann liegt es in deinem Ermessen, wie zu verfahren ist. Tu, was du für richtig hältst.« Er lächelte leicht. »In dem Fall bin ich mir sicher, dass ihr Brüder es arrangieren könnt, die Fässer sicherzustellen.«

»Keine Sorge«, beruhigte Michael ihn. »Wenn du zurückkommst, wirst du sehen, dass wir alles im Griff haben.«

»Das kann ich nur hoffen«, seufzte Drake mit unverkennbarer Skepsis.

Als die vier zur Tür gingen, wandte Michael sich an Sebastian und Antonia. »Noch eines: Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir Nachrichten nach St. Ives House schicken. Louisa wird in einigen Tagen zurückerwartet. Crewe schien der Meinung zu sein, dass sie zunächst in Somersham vorbeischauen werde, um Grandmama zu besuchen. Angesichts Louisas Talents, immer dann aufzutauchen, wenn man sie am wenigsten erwartet, ist das nicht voraussehbar.«

Sebastian nickte knapp. »Das stimmt – und wir wissen alle, wie sie ist. Das Letzte, was wir gebrauchen können, ist die Einmischung von Lady Wild.«

Sebastian, Michael und Drake erschauerten, wobei die Vorstellung Drake am meisten zuzusetzen schien.

»Lady Wild« war Louisas Spitzname in der noblen Gesellschaft, und Antonia fand, dass Drake tatsächlich ein bisschen blasser geworden war. Fasziniert fing sie seinen Blick auf und hob eine Augenbraue an.

Er deutete ihre unausgesprochene Frage richtig und gab ihr ein Zeichen, ihm auf die Eingangstreppe zu folgen. »Louisas Brüder haben sich an ihre Art gewöhnt, ich nicht. Ihr Leichtsinn lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.«

Antonia drehte sich um und fixierte ihn mit einem ungläubigen Blick. »Du? Ist das nicht, als würde ein Esel den anderen Langohr schimpfen?«

Überheblich zog Drake seine Augenbrauen hoch. »Überhaupt nicht. Verglichen mit Lady Wild bin ich der Inbegriff von Vernunft und Achtsamkeit.«

Er saß an einem Tisch in der dunklen Ecke eines Wirtshauses in der Weaver’s Lane. Geduld war nicht seine Stärke, doch heute Abend fühlte er sich sicher. Er hatte den breitkrempigen Hut tief in die Stirn gezogen, um nicht erkannt zu werden, und trank ein Ale, während er auf seine Kontaktpersonen wartete.

Der Mann kannte seine Stärken und wusste, warum der alte Herr ihm diesen Teil des Plans übertragen hatte. Insgesamt gab es drei Stufen. Und für jede, die korrekt durchgeführt und erfolgreich beendet wurde, würden er oder der Gardist – je nachdem, wer von ihnen diesen Teil erledigt hatte – ein Drittel des Anwesens, das dem alten Herrn gehörte, zur Belohnung erhalten.

Als Männer ohne besonders rosige Zukunftsaussichten, dafür mit Ehrgeiz und einem angeborenen Sinn für das schöne Leben, hatten sowohl er wie der Gardist die Herausforderung des alten Mannes angenommen. Wer seinen Teil des Plans am saubersten ausgeführt hätte, bekäme von ihm noch die Durchführung der Endphase übertragen. Dazu gehörte, dass die Wünsche und Vorstellungen des alten Herrn vollkommen unbemerkt von anderen umgesetzt wurden.

Der Gardist hatte die Erwartungen beim ersten Teil komplett erfüllt: Er hatte Sympathisanten des Jungen Irland benutzt, um zehn Fässer mit Schießpulver zu organisieren, sie nach Kent zu verschiffen und sie anschließend auf Karren nach London zu transportieren, ohne Spuren zu hinterlassen.

Verborgen in den Schatten der hintersten Ecke hob der Mann seinen Becher mit Bier an die Lippen und nahm einen langen Schluck. Er war an diesem Nachmittag zu dem alten Herrn beordert worden, der ihm erklärt hatte, wo die Fässer sich gerade befanden. Außerdem hatte er ihm die Schlüssel zu einem Lagerhaus übergeben, wo das Schwarzpulver gelagert wurde.

Bei einer früheren Audienz waren ihm die Namen derjenigen verraten worden, die er hintergehen und für die Sache benutzen musste, und zudem hatte er alle Informationen bekommen, die er für die Verwirklichung des zweiten Teils brauchte. Soweit er wusste, waren diese Details seinem Konkurrenten nicht eröffnet worden. Der Gardist wusste zwar, wo sich die Fässer befanden, aber nicht, wohin sie gebracht werden sollten.

Gemäß den Anweisungen des alten Herrn hatte der Mann die erste Hälfte dieser Woche damit zugebracht, die Kaffeehäuser und Restaurants um Whitehall herum zu besuchen – bewaffnet mit Namen, Positionen und vielen nützlichen Fakten. Er war auf einige entfernte Bekannte getroffen, hatte mit ihnen zusammen getrunken und gegessen und ganz subtil ein bestimmtes Thema zur Sprache gebracht. In den Köpfen der Leute hatte er nämlich die Vorstellung geweckt, dass die Chartisten sich rühren würden und eine Aktion der Gruppe unmittelbar bevorstehen könnte. Wenn er es richtig verstanden hatte, wurden die Gerüchte aus einem bestimmten Grund gestreut. Um ganz einfach dafür zu sorgen, dass ein gewisser Lord Drake Varisey, Marquess of Winchelsea, ein Spross aus höchsten Adelskreisen also, den der alte Herr zu verachten, ja, zu hassen schien, eine sinnlose Suche startete und damit den Weg freimachte, damit die zweite Stufe des Plans unkompliziert und ungehindert anlaufen würde. An diesem Nachmittag hatte er endlich berichten können, dass alles vorbereitet sei – genau so, wie der alte Herr es sich gewünscht hatte.

Gestern hatte er eine Nachricht vom Gardisten erhalten, in der stand, dass die Fässer geliefert worden waren und wo sie sich derzeit befanden. Daraufhin hatte er über den Hauptsitz der London Working Men’s Association Kontakt zu den ortsansässigen Anführern der Chartistenmiliz aufgenommen, was gar nicht so schwierig gewesen war, da die Informationen des alten Mannes sehr präzise gewesen waren. Wie der greise Kerl das schaffte, obwohl er sich auf dem Land aufhielt, wusste der Mann nicht, aber es nötigte ihm Bewunderung ab.

Er hatte lediglich O’Connors Namen erwähnen und einen Hinweis auf die drohende Gefahr geben müssen, und ihm war glaubhaft versichert worden, dass seine Nachricht an die richtigen Kreise übermittelt werde und dass die Anführer sich mit ihm in Verbindung setzen würden. Allerdings bezweifelte er, dass die hiesigen Anführer so leicht hinters Licht zu führen waren.

Dennoch hatte er dieses Wirtshaus als Treffpunkt für eine Zusammenkunft um zehn Uhr am Abend vorgeschlagen. Bald war es so weit. Bis dahin blieb er im Schutz der Schatten. Trotz seiner Ungeduld und des unbändigen Wunsches, endlich weiterzumachen, ermahnte er sich, dass gut Ding immer seine Weile brauchte. Was lange währt, wird endlich gut. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht.

Erwartungsvoll rief er sich in Erinnerung, was er sich alles kaufen könnte, wenn er erst ein Drittel vom Anwesen des alten Herrn besitzen würde. Zwei Drittel und er könnte ein Leben im Luxus führen. Dazu musste er aber noch einen Haufen Wünsche erfüllen. Selbst wenn der alte Herr nicht gerade in Begeisterungsstürme ausbrach, würde er zumindest so zufrieden sein, dass er ihm den dritten und entscheidenden Teil des unbekannten Plans ebenfalls übertragen würde.

Für den Gardisten wäre das schwieriger, eigentlich unmöglich, denn selbst in Zivil konnte man einen Gardisten sofort erkennen. Und das ging bei diesem Plan nicht. Den Chartisten dürfte ein einziger Blick auf den Gardisten reichen, und sie würden einen weiten Bogen um ihn machen.

Er dagegen war das reinste Chamäleon und besaß zudem unglaublich viel Charme. Deshalb rechnete er damit, dass ihm die Anführer der Chartisten in null Komma nichts aus der Hand fressen würden.

Oder um genauer zu sein: dass ihm die Anführer der Chartisten seine Lügengeschichte problemlos abnehmen würden.

Über den Lärm hinweg kaum hörbar, schlug die Uhr an der Wand über dem Tresen zehn. Just in diesem Moment wurde die Eingangstür aufgedrückt, und drei Männer traten ein. Sie waren kräftig, mittleren Alters und wirkten höchstens einen Hauch verdächtig. Sie sahen sich im Wirtshaus um. Der Mann mit Hut machte keine Anstalten, sie auf sich aufmerksam zu machen, sondern wartete einfach ab.

Irgendwann entdeckten sie ihn. Zögerlich schlängelten sie sich zwischen den Stühlen der anderen Gäste hindurch auf ihn zu.

Als sie den Tisch erreichten, betrachtete ihn der älteste der drei Ankömmlinge, ein weißhaariger Mann, neugierig. »Sind wir mit Ihnen verabredet?«

Der Mann lächelte schmallippig und bedeutete ihnen mit einer kleinen Geste, sich auf die drei freien Stühle am Tisch zu setzen. »Bitte, nehmen Sie Platz, meine Herren.« Er hob die Hand und winkte die Bedienung herbei. Als sie sich auf den Weg zum Tisch machte, fragte er die drei Chartisten: »Was möchten Sie? Diese Runde geht auf mich oder vielmehr auf Feargus O’Connor«, flüsterte er und senkte bedeutungsvoll die Stimme.

Die drei von der Arbeiterbewegung wechselten einen Blick, bestellten Ale bei der Bedienung und betrachteten neugierig den Unbekannten. Wieder war es der Älteste, der das Wort ergriff. »Worum geht es?«

Unter der Krempe seines Hutes hervor sah der Mann an den Chartisten vorbei und murmelte: »Lassen Sie uns kurz warten, bis Sie Ihre Getränke haben – es muss nicht unbedingt jemand mitbekommen, was wir zu besprechen haben.«

Seine Vorsicht hatte den gewünschten Effekt. Die drei waren nun überzeugt davon, dass er hochsensible Informationen für sie hatte. Der Mann hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass solche Feinheiten oft mehr Bedeutung hatten als irgendwelche Beteuerungen.

Als die Krüge mit schäumendem Bier vor den Chartisten standen und die Bedienung sich zurückgezogen hatte, hoben die drei ihre Trinkkrüge an, nahmen einen großen Schluck und stellten die Becher wieder ab. Alle drei blickten sich vorsichtig um und richteten ihre erwartungsvollen Blicke auf den Mann und auf sein Gesicht, das im Schatten der Hutkrempe lag.

Das hier würde sogar viel leichter werden als erwartet, dachte er und verkniff sich ein zufriedenes Lächeln. Er beugte sich vor und sah den ältesten der Männer an.

»O’Connor schickt mich. Er ist … unglücklich darüber, wie die Dinge laufen. Natürlich kann er nicht in Erscheinung treten, um die Leute zum Handeln zu bewegen. Nicht, nachdem er jetzt selbst im Parlament sitzt. Trotzdem haben er und die anderen im Norden den Eindruck, dass die Organisation die Dinge ankurbeln und in Schwung bringen muss, um die Leute daran zu erinnern, dass es uns gibt und dass wir Forderungen haben. Forderungen, um die sich die Mächtigen noch immer nicht gekümmert haben.«

Die drei murmelten zustimmend und achteten darauf, nicht zu laut zu reden.

Sie beugten sich über den Tisch, als der Mann mit dem Hut die Stimme weiter senkte. »Wir müssen etwas unternehmen, verstehen Sie? O’Connor und die anderen haben sich darauf verständigt. Und sie sind sich einig, dass wir das Exempel hier in London statuieren müssen. Sie haben einen Plan erarbeitet, bei dem die Anweisung leider lautet, dass ich die Einzelheiten ausschließlich denjenigen erzählen darf, die es unbedingt wissen müssen – entschuldigen Sie also bitte, dass ich nicht näher ins Detail gehe.«

Die drei wechselten einen Blick. Dann sah der Ältere in die beschatteten Augen des Mannes. »Also gut, doch zunächst noch eine Frage. Wenn Sie uns nicht verraten, worum es eigentlich geht, warum treffen wir uns überhaupt?«

Der Mann lächelte und lehnte sich zurück. Er wusste, dass er bekommen würde, was er wollte, was er brauchte.

»Alles, was ich will, ist genau genommen das, was O’Connor will: Ihre Muskelkraft. Ich benötige vier zuverlässige Männer, die wissen, was zu tun ist. O’Connor und die anderen waren sich sicher, dass Sie die Richtigen in Ihren Gruppen haben, um mir dabei zu helfen, ihren Plan in die Tat umzusetzen.«

Die Chartisten nahmen sich nicht einmal die Zeit, um einen Blick zu wechseln. Alle drei lehnten sich noch ein Stück weiter vor. »Welche Männer?«, fragte der Mann, der rechts saß.

»Nicht mehr als vier?«, wollte der Mann links wissen.

Der Älteste, der in der Mitte saß, hakte nach: »Und was sollen die Männer für Sie tun?«

Er umriss die Bedingungen, die die Männer zu erfüllen hatten.

Wie der alte Herr auf dem Land ihm versichert hatte, kannten die Anführer der Chartistenmiliz genau die richtigen Helfer für ihn. Sie versprachen ihm, dass sie ein Treffen mit den vier Kandidaten arrangieren würden, das am folgenden Abend stattfinden sollte.

»Welchen Namen sollen wir ihnen nennen?«, fragte der älteste der Männer.

»Sharp.« Der Mann wollte sich beinahe als Captain ausgeben, fand es dann zu unglaubwürdig. »John Sharp. Und wir werden uns nicht hier treffen, sondern im Dog and Duck in der Red Lion Street. Selbe Zeit, zehn Uhr.«

Die Chartisten nickten und akzeptierten noch seinen leisen Befehl, dass niemand in der Weaver’s Lane die vier zusammen oder ihn mit vier ihrer Kumpane sehen dürfe.

»Es wäre am besten, alles geheim zu halten. O’Connor möchte nicht, dass irgendetwas bekannt wird – nicht, bevor es losgeht.«

Er ließ die drei bei einem weiteren Ale am Tisch sitzen. Erst nachdem er in die Dunkelheit hinausgetreten war, gestattete er sich ein triumphierendes Lächeln.

Das war noch leichter, als er gedacht hatte. Der alte Herr wäre stolz auf ihn, wenn er davon wüsste. Ihn selbst hatte die Organisation der Männer immerhin sieben Krüge Bier in einem schäbigen Wirtshaus gekostet. Der Mann mit dem breitkrempigen Hut ging über das Kopfsteinpflaster davon, bis das Dunkel der Nacht ihn verschluckte.

Kapitel 2

Sehr zu Michaels Enttäuschung war es nach zehn Uhr am folgenden Morgen, als er endlich auf den Stufen vor dem Stadthaus der Hendons stand. Er konnte kaum glauben, dass es so lange gedauert hatte, die Adresse herauszufinden. »So ist es eben, wenn man in London im Oktober eine wichtige Adresse herausfinden möchte«, knurrte er. »Die meisten Mitglieder der sogenannten High Society halten sich nämlich woanders auf.«

Er hatte angenommen, dass Crewe die Adresse kennen würde, doch der Butler hatte ihm nicht weiterhelfen können. Daraufhin hatte Michael den Schreibtisch in der Bibliothek durchwühlt, ohne etwas zu finden. Offenbar hatte der Duke sein Adressbuch mitgenommen. Jetzt überlegte er, welch schicken Ort die drei Söhne der Hendons, falls sie in der Stadt waren, früher oder später aufsuchen würden. Eben eine der angesagten Adressen, wo sich moderne junge Männer so trafen. Ohne Erfolg. Es hieß lediglich überall, die Hendons seien nicht da, und es gab angeblich niemanden, der die Londoner Adresse kannte.

In den frühen Morgenstunden war er nach St. Ives House zurückgekehrt. Wütend, dass er einen ganzen Abend vergeudet hatte, war er in sein Schlafzimmer marschiert und hatte seinem Diener Tom sein Leid geklagt.

Tom war zwei Jahre älter als Michael und in Somersham Place, dem Landsitz des Dukes, Michaels Stallbursche gewesen und dann sein Kutscher, bevor er in London zusätzlich zu seinem persönlichen Diener ausgebildet wurde. Außerdem war Tom die Hauptinformationsquelle seines jungen Herrn innerhalb des Haushalts. Dass er vergessen hatte, seinen gut informierten Diener als Erstes nach der Adresse der Hendons zu fragen, war Michael rückblickend ein Rätsel.

Nachdem er sämtliche Angestellten des großen Herrensitzes diskret ausgefragt hatte, schlug er Michael am nächsten Tag vor, sich bei Demon Cynster, dem Cousin seines Vaters, in der Half Moon Street zu erkundigen. Lady Hendon sei eine hervorragende Reiterin mit einer Liebe zu außergewöhnlichen Pferden, genau wie Demons Ehefrau Felicity, und das sei die Verbindung zu der unbekannten Lady Hendon. Zusätzlich liege das Landgut der Hendons an der Nordküste von Norfolk und somit nicht weit von Demons Gut in der Nähe von Newmarket entfernt, sodass eine freundschaftliche Beziehung zwischen den beiden Damen wahrscheinlich zu sein schien.

Diese Vermutung erwies sich als richtig. Zwar hielten Demon und Felicity sich derzeit auf dem Land auf und waren nicht erreichbar, doch vom Butler, der sich in der Zwischenzeit um das Haus in der Half Moon Street kümmerte, erhielt Tom umgehend die Londoner Adresse der Hendons.

Michael hatte nicht gezögert, dorthin zu gehen. Jetzt blieb er auf dem Gehweg stehen, betrachtete das Haus und vergewisserte sich, dass es sich tatsächlich um die Nummer zwölf in der Clarges Street handelte, bevor er die drei Stufen zur Haustür hinaufschritt und den Türklopfer an der glänzend grünen Tür bediente.

Es vergingen einige Momente. Dann waren langsame, gleichmäßige Schritte zu hören, und ein in die Jahre gekommener Butler öffnete. Der Mann trug eine gepflegte Livree und hatte sein weißes Haar sorgfältig über seinen allmählich kahl werdenden Kopf gekämmt. In seinem faltigen Gesicht funkelten freundliche blaue Augen.

»Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?«

»Lord Michael Cynster.« Michael reichte dem Mann eine seiner Visitenkarten. »Ist irgendjemand aus der Familie zu Hause? Einer der Herren vielleicht?«

Der Butler betrachtete die Karte in seiner Hand und hob den Blick. »Ich fürchte, dass im Augenblick kein Mitglied der Familie anwesend ist, Mylord. Darf ich eine Nachricht entgegennehmen?«

»Nein.« Michael verzog das Gesicht. »Ich brauche einen Ratschlag … Es geht um etwas Geschäftliches, und es ist ziemlich dringend.«

Der Butler musterte ihn eine Weile, dann machte sich ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht breit. »In dem Fall, Mylord, würde ich Ihnen vorschlagen, im Büro der Hendon Shipping Company nachzufragen. Wenn Sie dort um ein Gespräch mit der Büroleitung bitten, werden Sie, denke ich, die Antworten auf alle Fragen erhalten, die Sie haben.«

»Die Büroleitung?«

»Sehr wohl, Sir. Meines Erachtens nach werden Sie feststellen, dass die Büroleitung eine sprudelnde Quelle der Informationen ist.«

Michael strahlte. Genau das, was er brauchte. »Danke.« Er nahm seinen Gehstock. »Und wo kann ich diese außergewöhnlich informative Seele finden?«

»Das Büro der Hendon Shipping Company befindet sich an der Ecke Fenchurch Street und Lime Street in der Innenstadt, Mylord.«

»Sehr schön.« Michael hob seinen Gehstock an und grüßte, stieg die Stufen hinunter und winkte eine vorbeifahrende Droschke heran. »Ecke Fenchurch und Lime Street.«

Michael machte es sich auf dem Sitz bequem, blickte auf die Häuser hinaus, die vorbeizogen, und grinste. Jetzt ging es los. Er hatte eine Spur, der er folgen konnte, und seine Suche nach dem Schwarzpulver würde endlich beginnen.

Miss Cleome Hendon saß am Schreibtisch in ihrem privaten Büro. Den Ellbogen auf den Schreibtisch und das Kinn auf die Handfläche gestützt, starrte sie die drei Kontobücher an, die vor ihr lagen.

Verkäufe, Ausgaben und Einnahmen, alle drei Bücher stimmten bis auf den letzten Penny.

Sie betrachtete die Zahlen, für die die meisten Geschäftsleute alles geben würden, und suchte in ihrem Innersten nach einem Hauch von Stolz und Selbstzufriedenheit, den sie bei diesem Anblick eigentlich empfinden sollte.

Sie fand dort nichts.

Als sie ins Geschäft eingestiegen war, hatte sie sich jede Woche drei Tage lang um die Konten der Firma gekümmert. Inzwischen dauerte es kaum noch zwei Stunden, so viel Routine hatte sie gewonnen und manches zur Nebensächlichkeit heruntergeschraubt. Bei Dingen, die ihr früher ein Triumphgefühl verschafft hatten, empfand sie nunmehr ungefähr so viel Befriedigung, als würde sie eine Schleife korrekt binden.

In der ersten Zeit ihrer Tätigkeit im Kontor hatte es unendlich viele große Herausforderungen gegeben. Inzwischen hatte sie jede mit Bravour gemeistert und empfand das alles nicht mehr als sonderlich aufregend.

Tatsächlich lief unter ihrer Kontrolle alles so perfekt, dass es eigentlich keinen Grund mehr für sie gab, jeden Tag im Büro zu sein.

Ihr Unmut wuchs und damit die Unzufriedenheit über ihre Position, die keine Anreize mehr bot. Sie biss die Zähne zusammen, nahm einen Stift und trommelte mit dem Ende ungehalten auf die Tischplatte.

Ihre Gedanken schweiften zu ihren Brüdern. Jarred, Robert und Christopher waren alle nicht im Land. Sie waren für den Sommer nach Amerika gefahren, um dort neue Handelsmöglichkeiten aufzutun. Jarred war in New York, während Robert und Christopher nach New Orleans gereist waren. Keiner von ihnen wurde vor Mitte November zurückerwartet. Bestimmt würden alle drei ihr Abenteuer bis zum Letzten ausschöpfen.

Das war es, was sie auch brauchte, ein Abenteuer. Ein befriedigendes Abenteuer für sie allein.

Etwas, das sie auf die Probe stellte, für das sie ihre Fähigkeiten benötigte und das ihren Verstand schärfte. In Anbetracht der bunten Vergangenheit ihrer Eltern war es offensichtlich, dass ihre Familie bei Abenteuern regelrecht aufblühte. Vielleicht brauchte sie solche Herausforderungen sogar, um sich erfüllt und gut zu fühlen.

Das war der Stand. Ihre Brüder erlebten Abenteuer in Amerika, und in Norfolk gingen ihre Eltern mit Sicherheit ihre eigenen Wagnisse ein. Mittlerweile war sie als Einzige in London und hielt die Stellung.

Zugegebenermaßen hatte sie darum gekämpft, Dreh- und Angelpunkt des Unternehmens zu werden. Sie hatte die Finanzen unter Kontrolle und leitete mehr oder weniger das Unternehmen. Nie hatte sie anfangs damit gerechnet, dass sie ihre Position und ihre Aufgaben als viel zu einfach empfinden würde. Mit Abscheu schlug sie nacheinander die Kontobücher zu, stapelte sie aufeinander und schob sie angewidert weg.

Sie musste ein Abenteuer finden, eine neue Unternehmung, damit sie den Trott und die Langeweile hinter sich lassen konnte.

Und was wollte sie stattdessen?

Trübsinnig und deprimiert starrte sie vor sich hin, als sie ein Klopfen am Rahmen der offenen Tür aus ihren Gedanken riss.

Fitch, der Bürovorsteher, akkurat gekleidet und mit scharfem Blick, trat über die Schwelle. »Es wartet ein Herr auf Sie, Miss, der Hilfe bei einer wichtigen Angelegenheit benötigt. Ein Lord Michael Cynster. Er hat bereits versucht, Sie zu Hause zu erreichen, und wurde von Morris hergeschickt.«

Cleo blinzelte und richtete sich auf. Normalerweise hielt Morris ihr unangemeldete Besucher möglichst vom Hals. Warum nicht diesen Herrn? Was machte ihn so besonders?

»Lord Michael Cynster?«

Kaum hatte sie Fitch noch einmal nach dem Namen gefragt, sah sie ihn durch die Tür schlendern, einen hochgewachsenen Mann von guter Statur, der den kleineren Bürovorsteher völlig in den Schatten stellte.

Cleo musterte ihn interessiert, ihre Langeweile war vorüber. Dunkelbraune Haare, die fast schon ins Schwarze übergingen. Braune Augen, umrahmt von dunklen Wimpern. Perfekt geschnittene Gesichtszüge, die sicher bei Strenge wie gemeißelt aussehen konnten und zuverlässig die Aufmerksamkeit jeder Frau fesseln würden.

Abgesehen von dem Hinweis, den sein Name bot, erkannte sie die Sorte Mann, zu der er zählte, sofort wieder. Gesegnet mit einer gebieterischen Ausstrahlung und einer lässigen Selbstsicherheit, die von der angeborenen Arroganz des Hochadels noch untermauert wurden, waren solche Männer von Natur aus starke Persönlichkeiten. Mehr noch: Sie waren Männer, um die die Frauen sich scharten. Cleo hatte die Erfahrung gemacht, dass solche Männer immer eine sehr hohe Meinung von sich selbst und von ihrer Wirkung auf die Frauenwelt hatten. Manchmal war diese Meinung begründet, oft war sie es nicht.

Für gewöhnlich übte diese Sorte Mann keinerlei Reiz auf sie aus. Ihre Macht prallte an ihrem Willen, ihrer Klugheit und ihrer Entschlossenheit einfach ab. Dieser Mann indes hatte eine besondere Aura.

Mit einem lässig liebenswürdigen Lächeln trat er an ihren Schreibtisch und löste einen Schwarm von Schmetterlingen in ihrem Bauch aus, verbunden mit einem wundervoll warmen Gefühl in ihrem Innersten. Sie beeilte sich, eine undurchdringliche Maske aufzusetzen, und zog arrogant eine Augenbraue hoch. »Und Sie sind?«

Sein Lächeln wurde noch eine Spur breiter. »Wie Ihr Bürovorsteher Ihnen sagte, bin ich Lord Michael Cynster.«

Er zog eine Visitenkarte aus seiner Tasche und reichte sie ihr.

Cleo starrte die Karte und die langen, von der Sonne leicht gebräunten Finger an, die sie hielten. Fast gegen ihren Willen zwang sie sich dazu, den Arm auszustrecken und sie ihm abzunehmen, um sich zu überzeugen, dass der Name, den er genannt hatte, wirklich dort stand. Nicht dass sie für eine Sekunde daran gezweifelt hätte. Seine Kleidung verriet Geld, sein Anzug war meisterhaft geschneidert aus teuren Stoffen und mit einem modischen Schnitt. Die Art, wie er ihn trug, und seine eleganten raubtierhaften Bewegungen ließen keinen Zweifel daran, dass er einen besonderen Rang in der Gesellschaft innehatte. Die Kraft seiner Ausstrahlung, die Intelligenz seiner Züge und die Stärke, die sein kantiges Kinn ausdrückte, unterstrichen diesen Eindruck noch.

Sie kämpfte ihre Gefühle nieder, die verrücktzuspielen schienen, und zwang sich, ihn anzusehen. Betont geschäftsmäßig fragte sie mit kühlem Unterton: »Wie ich hörte, benötigen Sie bei einer besonderen Angelegenheit Hilfe. Wie können wir Ihnen behilflich sein?«

Michael fand Cleo Hendon ziemlich widerspenstig. Sie war wie ein Igel, der verärgert und bereit zum Angriff war. Um das zu ignorieren, deutete er auf einen Stuhl. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich setze?«

Hoheitsvoll nickte sie und gab ihrem Angestellten ein Zeichen, dass er entlassen sei.

»Das wäre im Moment alles, Fitch. Ich werde klingeln, falls ich Sie noch brauchen sollte.«

Der Mann verbeugte sich und ging, ließ jedoch die Tür offen stehen. Michael nahm es kommentarlos hin. Es spielte keine Rolle. Der Raum befand sich am Ende eines langen Flurs, und die nächsten Angestellten befanden sich in ausreichend großem Abstand zu ihnen – niemand könnte ihre Unterhaltung belauschen.

»Also, Lord Michael?«

Er richtete den Blick auf ihr Gesicht. »Bitte, nur Michael. Unsere Familien kennen sich schließlich.«

Sie neigte den hübschen Kopf, wohlgeformt mit dicken rötlich blonden Locken, die sie zu einem Knoten zusammengebunden hatte, der für eine Frau ihres Alters recht altmodisch wirkte. Einige Strähnen hatten sich gelöst und fielen ihr um das herzförmige Gesicht. Ihre Haut war blass, mit leicht rosigen Wangen, sogenannter Pfirsichhaut. Die Farbe ihrer Augen, eine Mischung aus dem Grün frischer Blätter und goldbraunem Einsprengsel, bot einen raffinierten Kontrast. Für eine wohlerzogene junge Frau hatte sie allerdings einen Blick, der ungewöhnlich offen und direkt war. Beinahe herausfordernd. Ihre Züge waren fein, ihre Nase war gerade, mit einer Spitze, die leicht nach oben wies. Und was ihren Mund betraf …

Michaels eingehende Prüfung geriet ins Stocken, als sein Blick an ihren Lippen hängen blieb. Rosige, üppige Lippen. Mit einem Mal wurde er sich seines Wunsches bewusst, diese Lippen zu schmecken.

Dabei rief sie noch mehr Wünsche in ihm wach. Verlangend betrachtete er ihren schwanengleichen Hals, ihre gerundeten, sehr femininen Reize.