Eine himmlische Liebe - Lisa See - E-Book
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Eine himmlische Liebe E-Book

Lisa See

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Beschreibung

Kann sie ihrer großen Liebe je wirklich nahe sein? Der gefühlvolle historische Roman »Eine himmlische Liebe« von Lisa See als eBook bei dotbooks. Die junge Mudan liebt nichts mehr als die Oper, und so macht ihr Vater ihr kurz vor der arrangierten Hochzeit ein besonderes Geschenk: Er lässt im Garten seines herrschaftlichen Hauses ihre Lieblingsoper aufführen, auch wenn sie diese nur durch einen Wandschirm hindurch verfolgen darf – so wollen es die strengen Regeln im China des 17. Jahrhunderts. Doch obwohl Mudan sich so auf die Aufführung gefreut hat, wird ihr Blick stattdessen von einem attraktiven jungen Mann gefesselt. Als folgsame Tochter darf sie ihm niemals nahekommen – Mudan jedoch kann nicht anders: Sie tritt hinter dem Schirm hervor, der sie vor fremden Blicken schützen sollte, und spricht sogar mit ihm! Aber das verändert ihr Leben auf dramatische Weise ... »Fesselnd! Dieser großartige Roman regt zum Nachdenken darüber an, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.« People Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der dramatische historische Roman »Eine himmlische Liebe« von Lisa See. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 591

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Über dieses Buch:

Die junge Mudan liebt nichts mehr als die Oper, und so macht ihr Vater ihr kurz vor der arrangierten Hochzeit ein besonderes Geschenk: Er lässt im Garten seines herrschaftlichen Hauses ihre Lieblingsoper aufführen, auch wenn sie diese nur durch einen Wandschirm hindurch verfolgen darf – so wollen es die strengen Regeln im China des 17. Jahrhunderts. Doch obwohl Mudan sich so auf die Aufführung gefreut hat, wird ihr Blick stattdessen von einem attraktiven jungen Mann gefesselt. Als folgsame Tochter darf sie ihm niemals nahekommen – Mudan jedoch kann nicht anders: Sie tritt hinter dem Schirm hervor, der sie vor fremden Blicken schützen sollte, und spricht sogar mit ihm! Aber das verändert ihr Leben auf dramatische Weise ...

Über die Autorin:

Lisa See entstammt einer chinesisch-amerikanischen Familie. Sie wurde in Paris geboren und wuchs in Los Angeles in Chinatown auf. Dreizehn Jahre lang arbeitete sie als Journalistin für Publishers Weekly. Später betreute sie als Kuratorin mehrere große Ausstellungen, die sich mit interkulturellen Beziehungen zwischen Amerika und China beschäftigen. Bereits ihr erstes Buch, eine Biographie ihrer Familie, war ein internationaler Bestseller und erhielt die »Notable Book«-Auszeichnung der New York Times. Dieselbe Auszeichnung bekam sie auch für ihren bald darauf folgenden ersten Thriller »Die rote Klinge«. Sie wurde als »National Woman of the Year« ausgezeichnet, erhielt den »Chinese American Museum’s History Makers Award« und den »Golden Spike Award« in Kalifornien. Mit ihrem Roman »Der Seidenfächer« gelang ihr ein Weltbestseller, der auch verfilmt wurde. Heute lebt sie in Los Angeles.

Die Website der Autorin: https://www.lisasee.com/

Bei dotbooks veröffentlicht Lisa See außerdem den historischen Roman »Der Seidenfächer«, außerdem »Töchter aus Shanghai« und »Tochter des Glücks« aus ihrer Reihe um »Die Frauen von Shanghai«.

Zudem erscheint bei dotbooks auch ihre Thrillerreihe um die Polizistin Liu Hulan mit den Bänden »Die rote Klinge«, »Der Feuerdrache« und »Tod am Jangtse«.

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eBook-Neuausgabe November 2022

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2007 unter dem Originaltitel »Peony in Love« bei Random House, New York.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2007 by Lisa See

Translation rights arranged by The Sandra Dijkstra Literary Agency

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2008 beim C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Die Rechte an der Nutzung der deutschen Übersetzung von Elke Link liegen beim C. Bertelsmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH.

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstockeBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-399-2

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((Diesen Hinweis nur übernehmen, wenn angebracht, z. B. bei möglicherweise verletzenden Begriffen, veralteten Rollenklischees im Manuskript etc. – im Zweifelsfall immer mit TS besprechen.)) In diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Lisa See

Eine himmlische Liebe

Roman

Aus dem Amerikanischen von Elke Link

dotbooks.

Die Ming-Dynastie ging im Jahre 1644 unter und wurde mit der Herrschaft der Mandschu durch die Qing-Dynastie abgelöst. Etwa dreißig Jahre lang befand sich das Land in einem Zustand des Aufruhrs. Viele Frauen wurden gezwungen, ihre Häuser zu verlassen, andere gingen freiwillig. Tausende Frauen veröffentlichten Lyrik und Prosatexte. Liebeskranke Mädchen waren ein Phänomen der Zeit. Bis heute sind die Werke von mehr als zwanzig dieser Dichterinnen erhalten.

Bei Zeitangaben richte ich mich nach dem traditionellen chinesischen Stil. Kaiser Kangxi regierte von 1662 bis 1722. Tang Xianzus Oper Der Päonienpavillon wurde 1598 aufgeführt und dann veröffentlicht. Chen Tong (Mudan in diesem Roman) wurde 1649 geboren, Tan Ze 1656 und Qian Yi 1671. 1694 erschien Der Kommentar der drei Ehefrauen, weltweit das allererste Buch dieser Art, das von Frauen geschrieben und veröffentlicht wurde.

Der Quell der Liebe ist uns unbekannt, doch wächst sie stetig an. Lebende können durch sie zugrunde gehen, und Tote werden durch ihre Kraft wieder lebendig. Die Liebe hat ihre höchste Vollendung erst erreicht, wenn ein Lebender bereit ist, für sie zu sterben, oder wenn sie einen Toten zum Leben erwecken kann. Muss denn Liebe, die einen im Traum ankommt, notwendig unwirklich sein? In dieser Welt gibt es keinen Mangel an geträumten Liebhabern. Nur für den, der die Liebe auf dem Kissen erfüllt sehen will und dessen Zuneigung sich erst nach der Heimkehr aus dem Geschäft vertieft, ist sie eine rein körperliche Angelegenheit.

Vorwort zu Der Päonienpavillon

Tang Xianzu, 1598

Teil 1Im Garten

Der Pavillon der Winde

Zwei Tage vor meinem sechzehnten Geburtstag wachte ich bereits vor meiner Zofe auf. Weide schlief noch auf dem Boden am Fuße meines Bettes. Eigentlich hätte sie Schelte verdient, aber ich verzichtete darauf. Ich war froh über ein paar Augenblicke für mich allein, um mich ganz meiner Aufregung und Vorfreude hinzugeben. Von heute Abend an sollte Der Päonienpavillon in unserem Garten aufgeführt werden, und ich durfte dabei sein. Ich liebte diese Oper und besaß bereits elf der dreizehn Druckausgaben. Im Bett zu liegen und von der jungen Liniang und ihrem Traumliebhaber zu lesen, von ihren Abenteuern und ihrem Triumph am Ende! Doch nun würde ich die Oper drei Abende lang wirklich zu sehen bekommen, was Frauen und Mädchen normalerweise verboten war. Den Höhepunkt würde der siebte Tag des siebten Mondmonats darstellen. Der Tag der Doppelsieben war das Fest der Liebenden und gleichzeitig mein Geburtstag. Mein Vater hatte noch andere Familien zu den Festivitäten eingeladen. Wir würden Wettbewerbe und Festessen veranstalten. Es würde ein großartiges Ereignis werden.

Weide setzte sich auf und rieb sich die Augen. Als sie merkte, dass mein Blick auf ihr ruhte, rappelte sie sich rasch auf und bot mir ihren Morgengruß. Vor lauter Nervosität nahm ich alles peinlich genau, als Weide mich badete, mir in ein Gewand aus lavendelfarbener Seide half und mir die Haare bürstete. Ich wollte tadellos aussehen, und ich wollte mich tadellos benehmen.

Ein Mädchen, das kurz vor seinem sechzehnten Geburtstag steht, weiß, wie hübsch es ist, und dieses Wissen leuchtete auch in mir, als ich in den Spiegel sah. Meine Haare waren schwarz und seidig. Als Weide sie bürstete, spürte ich die Striche von oben über den ganzen Rücken hinunter. Meine Augen hatten die Form von Bambusblättern, meine Brauen waren zart wie die Pinselstriche eines Kalligraphen. Meine Wangen schimmerten blassrosa wie das Blütenblatt einer Päonie. Mein Vater und meine Mutter betonten oft, wie passend das doch war, denn mein Name lautete Mudan, chinesisch für Päonie. Wie es nur ein junges Mädchen vermag, versuchte ich, der Zartheit meines Namens gerecht zu werden. Meine Lippen waren voll und weich. Ich hatte eine schmale Taille, und meine Brüste waren bereit für die Berührung eines Ehemanns. Dass ich eitel war, würde ich nicht behaupten. Ich war einfach eine typische Fünfzehnjährige. Ich war mir meiner Schönheit bewusst, besaß jedoch schon genug Weisheit, um zu wissen, dass sie vergänglich war.

Meine Eltern liebten mich über alles und sorgten dafür, dass mir eine gute Bildung zuteil wurde – eine sehr gute. Das Leben, das ich führte, war vornehm und exklusiv. Ich arrangierte Blumen, sah hübsch aus und sang meinen Eltern vor. Ich war so privilegiert, dass sogar meine Zofe gebundene Füße hatte. Als kleines Mädchen glaubte ich, dass mir zuliebe am Tag der Doppelsieben all die Feiern veranstaltet und all die Köstlichkeiten aufgetischt wurden. Man ließ mich in dem Glauben, denn ich wurde geliebt und war sehr, sehr verwöhnt. Ich atmete tief ein und langsam wieder aus – ich war glücklich. Das würde mein letzter Geburtstag in meinem Elternhaus sein, bevor ich wegheiratete, und ich wollte jede Minute genießen.

Ich verließ mein Zimmer in der Halle der unverheirateten Mädchen und machte mich auf zur Ahnenhalle, wo ich meiner Großmutter Opfer darbringen wollte. Ich hatte so viel Zeit damit verbracht, mich zurechtzumachen, dass ich ihr nur kurz meine Ehrerbietung erwies. Ich wollte nicht zu spät zum Frühstück kommen. Meine Füße trugen mich nicht so schnell, wie ich es gerne gehabt hätte, aber als ich meine Eltern gemeinsam in einem Pavillon mit Blick über den Garten sitzen sah, drosselte ich mein Tempo. Wenn Mama zu spät kam, konnte auch ich mich verspäten.

»Unverheiratete Mädchen sollten nicht in der Öffentlichkeit gesehen werden«, hörte ich meine Mutter sagen. »Ich mache mir sogar um meine Schwägerinnen Sorgen. Ihr wisst ja, dass ich sowieso gegen Ausflüge bin. Und jetzt wegen dieser Aufführung Leute von außen hier hereinzubringen ...«

Sie beendete den Satz nicht. Ich hätte zusehen sollen, dass ich weiterkam, aber die Oper bedeutete mir so viel, dass ich noch blieb und mich hinter dem Stammgeflecht einer rankenden Glyzinie versteckte, um zu lauschen.

»Das kannst du doch nicht als Öffentlichkeit bezeichnen«, widersprach Baba. »Es ist keine offene Veranstaltung, wo sich die Frauen entehren, indem sie unter Männern sitzen. Ihr seid hinter Wandschirmen verborgen.«

»Aber es befinden sich Männer von außen innerhalb unserer Mauern. Es könnte sein, dass sie unsere Strümpfe und Schuhe unter dem Wandschirm sehen. Es könnte sein, dass sie unsere Haare und unseren Puder riechen. Und von allen Opern habt Ihr ausgerechnet eine Liebesgeschichte ausgesucht, die sich nicht für die Ohren eines unverheirateten Mädchens eignet!«

Meine Mutter war altmodisch, was ihre Ansichten und ihre Gewohnheiten anging. In dem gesellschaftlichen Chaos nach dem Umsturz, als die Ming-Dynastie zu Ende ging und die Mandschu-Eindringlinge die Macht ergriffen, genossen es viele Frauen der Oberschicht, ihre Anwesen verlassen zu können. Sie fuhren in Vergnügungsbooten über die Flüsse und Seen, schrieben darüber, was sie sahen, und veröffentlichten ihre Betrachtungen. Mama war ganz und gar gegen derlei Abenteuer. Sie war Loyalistin – dem gestürzten Ming-Kaiser immer noch treu ergeben –, doch in anderen Dingen war sie extrem traditionell. Während viele Frauen im Yangzi-Delta die Vier Tugenden – Sittlichkeit, geziemendes Betragen, gepflegte Ausdrucksweise und die Erfüllung der häuslichen Pflichten – neu deuteten, erinnerte mich meine Mutter unablässig an deren ursprüngliche Bedeutung und Zweck. »Mach niemals den Mund auf«, sagte sie oft. »Wenn du unbedingt etwas sagen musst, dann warte auf einen geeigneten Moment. Du darfst niemanden erzürnen.«

Meine Mutter konnte sich da sehr hineinsteigern, denn sie wurde regiert vom qing: Gefühl, Leidenschaft und Liebe.

Diese Kräfte halten das Universum zusammen und haben ihren Ursprung im Herzen, dem Sitz des Bewusstseins. Mein Vater hingegen wurde vom li regiert – von kalter Vernunft und kontrollierten Empfindungen –, und er schnaubte gleichgültig ob ihrer Besorgnis, weil der Besuch von Fremden anstand.

»Du beschwerst dich doch auch nicht, wenn Angehörige meines Dichtervereins zu uns kommen.«

»Aber dann sind doch meine Tochter und meine Nichten gar nicht im Garten! Es gibt keinerlei Gelegenheit zu ungebührlichem Verhalten. Und was ist mit den anderen Familien, die Ihr eingeladen habt?«

»Du weißt genau, weshalb ich sie eingeladen habe«, fuhr er sie an. Mit seiner Geduld war er am Ende. »Kommissar Tan ist im Moment gerade wichtig für mich. Und jetzt hör auf, weiter darauf herumzureiten!«

Ich sah zwar ihre Gesichter nicht, aber ich konnte mir gut vorstellen, wie Mama auf seine plötzliche Schärfe hin bleich wurde. Sie sagte nichts mehr.

Mama war zuständig für den inneren Bereich. Sie trug stets fischförmige Schlösser aus gehämmertem Metall verborgen in ihren Röcken bei sich, falls sie einmal eine Tür abschließen musste, um eine Konkubine zu bestrafen, um Seidenballen sicher aufzubewahren, die von einer unserer Manufakturen für den Hausgebrauch geschickt worden war, um die Speisekammer zu sichern, die Räume, in denen die Vorhänge gewebt wurden, oder das Zimmer, in dem unsere Bediensteten ihre Habseligkeiten verpfänden konnten, wenn sie Geld brauchten. Dass Mama solch ein Schloss nie ohne Grund gebrauchte, hatte ihr Respekt und Dankbarkeit seitens der Bewohnerinnen der Frauengemächer eingebracht, aber wenn sie sich über etwas aufregte, wie jetzt gerade, dann spielte sie nervös mit den Schlössern.

Babas Zornesausbruch wurde von einem versöhnlichen Tonfall abgelöst, wie er ihn ihr gegenüber häufig anschlug. »Niemand wird unsere Tochter oder unsere Nichten zu Gesicht bekommen. Aller Anstand bleibt gewahrt. Das ist eine besondere Gelegenheit. Ich muss Größe zeigen. Wenn wir diesmal unsere Türen öffnen, tun sich bald auch andere Türen auf.«

»Ihr müsst tun, was Ihr als das Beste für die Familie erachtet«, räumte Mama ein.

Ich nutzte die Gelegenheit, um rasch an dem Pavillon vorbeizutrippeln. Ich hatte nicht alles verstanden, was die beiden gesagt hatten, aber das war mir völlig egal. Es kam einzig und allein darauf an, dass die Oper immer noch in unserem Garten aufgeführt werden sollte und dass meine Cousinen und ich die ersten Mädchen in ganz Hangzhou sein würden, die sie anschauen durften. Natürlich würden wir nicht unter den Männern sitzen. Wir würden hinter Wandschirmen verborgen sein, damit uns niemand sehen konnte, genau wie mein Vater gesagt hatte.

Als Mama den Frühlingspavillon zum Frühstück betrat, hatte sie sich wieder gefasst.

»Es zeugt nicht von einer guten Kinderstube, wenn Mädchen zu schnell essen«, ermahnte sie meine Cousinen und mich, als sie an unserem Tisch vorüberging. »Wenn ihr in das Haus eurer Ehemänner einzieht, werden eure Schwiegermütter nicht begeistert sein, wenn ihr die Mäuler aufsperrt wie hungrige Karpfen in einem Teich. Nachdem das nun geklärt ist: Wir sollten fertig gegessen haben, wenn unsere Gäste ankommen.«

Also aßen wir, so schnell wir konnten, und trotzdem wahrten wir als wohlerzogene junge Damen den Anstand.

Sobald die Zofen den Tisch abgedeckt hatten, wandte ich mich an meine Mutter. »Darf ich ans Eingangstor?«, fragte ich in der Hoffnung, unsere Gäste begrüßen zu dürfen.

»Ja, an deinem Hochzeitstag«, antwortete sie und lächelte mich liebevoll an, wie immer, wenn ich eine dumme Frage stellte.

Ich übte mich in Geduld. Ich wusste, gerade wurden Sänften über unsere Eingangsschwelle und in die Empfangshalle getragen, wo unsere Besucher aussteigen und Tee trinken würden, bevor sie den Hauptbereich des Anwesens betraten. Von hier aus würden die Männer in die Halle der prachtvollen Eleganz gehen, wo mein Vater sie begrüßte. Die Frauen würden zu unseren Gemächern kommen, die geschützt vor den Blicken der Männer im hinteren Teil des Anwesens lagen.

Endlich hörte ich den Singsang von Frauenstimmen sich nähern. Als die beiden Schwestern meiner Mutter mit ihren Töchtern ankamen, ermahnte ich mich noch einmal, sittsam zu sein im Äußeren, im Betragen und in meinen Bewegungen. Dann kamen ein paar Schwestern meiner Tanten, gefolgt von mehreren Ehefrauen von Freunden meines Vaters. Die wichtigste darunter war Frau Tan, die Gattin des Mannes, den mein Vater in dem Streit mit meiner Mutter erwähnt hatte. (Die Mandschu hatten ihren Mann vor Kurzem zum Kommissar der kaiserlichen Riten erhoben.) Sie war groß und sehr dünn. Tan Ze, ihre kleine Tochter, schaute sich neugierig um. Eine Welle der Eifersucht überkam mich. Ich war noch niemals außerhalb des Anwesens der Familie Chen gewesen. Ob Kommissar Tan seine Tochter wohl recht oft ihr Familientor durchschreiten ließ?

Küsse. Umarmungen. Geschenke wurden ausgetauscht, frische Feigen, Krüge mit Shaoxing-Reiswein und Tee aus Jasminblüten. Den Frauen und ihren Töchtern wurden die Zimmer gezeigt. Auspacken. Aus den Reisekleidern in frische Gewänder schlüpfen. Noch mehr Küsse. Noch mehr Umarmungen. Ein paar Tränen und viel Gelächter. Dann gingen wir in die Lotosblütenhalle, wo die Frauen meistens zusammenkamen. Sie hatte eine hohe Decke, die geformt war wie ein Fischschwanz und von schwarz bemalten Säulen getragen wurde. Fenster und geschnitzte Türen führten auf einen Privatgarten auf der einen Seite und einen mit Lotos bewachsenen Teich auf der anderen. Auf einem Altartisch in der Mitte des Raums standen ein kleiner Sichtschirm und eine Vase. Sagte man Schirm und Vase nacheinander, dann hörte es sich in unserer Sprache an wie sicher, und sicher fühlten wir Frauen und Mädchen uns allemal hier in der Halle, als wir Platz nahmen.

Sobald ich saß und meine gebundenen Füße knapp über dem kühlen Steinboden schwebten, sah ich mich um. Ich war froh, dass ich so sorgfältig auf mein Äußeres geachtet hatte, denn die anderen Frauen und Mädchen trugen ihre feinste Seidengaze, bestickt mit Blumenmustern entsprechend der Jahreszeit. Wenn ich mich mit den anderen verglich, so musste ich zugeben, dass meine Cousine Lotos ungemein hübsch aussah, aber das tat sie eigentlich immer. Wir alle brannten vor Vorfreude auf die Festivitäten, die bald in unserem Heim stattfinden sollten. Selbst meine pummelige Cousine Ginster sah gefälliger aus als sonst.

Die Zofen stellten uns Schälchen mit Naschwerk hin, und dann rief meine Mutter einen Stickereiwettbewerb aus. Dies war die erste von mehreren Veranstaltungen, die sie für die kommenden drei Tage geplant hatte. Wir legten unsere Stickereien auf einem Tisch aus, und meine Mutter prüfte sie genau. Sie suchte nach den kompliziertesten Mustern und den kunstvollsten Stichen. Als sie bei meiner Stickarbeit anlangte, urteilte sie mit der Ehrlichkeit, die ihre Position gebot.

»Die Nadelarbeit meiner Tochter wird immer besser. Seht nur, da hat sie versucht, Chrysanthemen zu sticken.« Sie unterbrach sich. »Das sollen doch Chrysanthemen sein, oder?« Ich nickte. »Das hast du gut gemacht.« Sie drückte mir einen leichten Kuss auf die Stirn, aber damit war allen klar, dass ich den Stickereiwettbewerb nicht gewinnen konnte, weder diesmal noch sonst irgendwann.

Am späten Nachmittag schließlich – mit Tee, den Wettbewerben und unserer Vorfreude auf heute Abend – waren wir alle ganz zappelig. Mama ließ den Blick durch den Raum schweifen, betrachtete die wackelnden kleinen Mädchen, die stechenden Blicke ihrer Mütter, den schaukelnden Fuß von Vierter Tante und die mollige Ginster, die immer wieder an ihrem engen Kragen zupfte. Ich faltete fest die Hände und saß so still wie möglich da, als Mama ihren Blick auf mich richtete, aber innerlich wollte ich am liebsten aufspringen, die Arme hochreißen und jauchzen vor Glück.

Mama räusperte sich. Ein paar Frauen schauten in ihre Richtung, aber ansonsten wurde aufgeregt weitergekichert. Sie räusperte sich noch einmal, klopfte mit dem Fingernagel auf den Tisch und hob mit melodischer Stimme an zu erzählen. »Eines Tages badeten die sieben Töchter des Küchengottes in einem Teich, da stieß der Kuhhirte mit seinem Wasserbüffel auf sie.«

Als alle die Anfangszeilen der Lieblingsgeschichte jedes Mädchens und jeder Frau erkannten, herrschte ganz schnell Ruhe im Raum. Ich nickte meiner Mutter zu, um ihr zu zeigen, wie klug ich es von ihr fand, dass sie uns mit dieser Geschichte entspannte. Wir lauschten ihrer Erzählung vom frechen Kuhhirten, der der hübschesten Tochter, der Weberin, die Kleider stahl, sodass sie nackt im Teich zurückbleiben musste.

»Als sich die Kälte der Nacht auf den Wald herabsenkte«, erklärte Mama, »blieb ihr nichts anderes übrig, als hüllenlos zum Haus des Kuhhirten zu gehen, um sich ihre Kleider zurückzuholen. Die Weberin wusste, dass es nur eine einzige Möglichkeit für sie gab, das Gesicht zu wahren. Sie beschloss, den Kuhhirten zu heiraten. Wie ging es wohl weiter?«

»Sie haben sich ineinander verliebt«, meldete sich Tan Ze, Frau Zes Tochter, mit schriller Stimme zu Wort.

Das war das Überraschungsmoment an der Geschichte, da niemand damit rechnet, dass sich eine Unsterbliche in einen gewöhnlichen Menschen verliebt. Immerhin fanden nicht einmal hier in der Welt der Sterblichen Ehemänner und Ehefrauen in arrangierten Ehen zur Liebe.

»Sie haben viele Kinder bekommen«, fuhr Ze fort. »Alle waren glücklich.«

»Bis?«, fragte meine Mutter in die Runde. Diesmal wollte sie die Antwort von einem anderen Mädchen hören.

»Bis die Götter und Göttinnen es leid waren«, antwortete schon wieder Ze, die das offensichtliche Anliegen meiner Mutter ignorierte. »Ihnen fehlte das Mädchen, das ihnen Stoff aus Wolkenseide für ihre Kleider spann, und sie wollten es wiederhaben.«

Meine Mutter runzelte missbilligend die Stirn. Diese Tan Ze hatte sich völlig vergessen! Sie war schätzungsweise neun Jahre alt. Ich warf einen Blick auf ihre Füße, denn mir war aufgefallen, dass sie heute ohne Hilfe hereingelaufen war. Die zwei Jahre ihres Füßebindens lagen hinter ihr. Vielleicht lag der Grund für ihren Eifer darin, dass sie wieder laufen konnte. Aber ihr Betragen!

»Weiter«, sagte Ze. »Ich will mehr hören!«

Mama fuhr zusammen und setzte dann ihre Erzählung fort, als wäre nicht schon wieder gegen eine der Vier Tugenden verstoßen worden. »Die Himmelskönigin holte die Weberin und den Kuhhirten zurück in den Himmel, dann nahm sie eine Haarnadel zur Hand und zog damit die Milchstraße, um die beiden zu trennen. So würde die Weberin nicht von ihrer Arbeit abgelenkt, und die Himmelskönigin bekäme schöne Kleider. Immer am Tag der Doppelsieben gestattet die Göttin allen Elstern auf der Erde, mit ihren Flügeln eine Himmelsbrücke zu bilden, damit sich die beiden Liebenden treffen können. Von heute an könnt ihr Mädchen drei Nächte lang die Liebenden beim Abschied weinen hören, wenn ihr zwischen Mitternacht und Tagesanbruch noch wach seid und unter der Mondsichel in einer Weinlaube sitzt.«

Das war eine romantische Vorstellung – uns wurde allen ganz warm ums Herz –, aber keine von uns würde um diese Nachtzeit allein in einer Weinlaube sitzen, nicht einmal, wenn wir uns im sicheren Schutz der Mauern unseres Anwesens befänden. Und zumindest was mich betraf, trug sie wenig dazu bei, meine Aufregung wegen des Päonienpavillons zu lindern. Wie lange würde ich noch warten müssen?

Als es Zeit zum Abendessen drüben im Frühlingspavillon wurde, bildeten die Frauen kleine Grüppchen – Schwestern gesellten sich zu Schwestern, Cousinen zu Cousinen –, aber Frau Tan und ihre Tochter waren hier Fremde. Ze pflanzte sich am Tisch der unverheirateten Mädchen völlig selbstverständlich neben mich, als würde sie schon bald heiraten und wäre kein kleines Mädchen mehr. Mama würde sich natürlich freuen, wenn ich unserem Gast meine Aufmerksamkeit schenkte, aber gerne machte ich das nicht.

»Mein Vater kann mir alles kaufen, was ich haben will«, krähte Ze und teilte damit mir und allen anderen, die Ohren hatten, mit, dass ihre Familie wohlhabender war als der Clan der Chen.

Wir waren kaum mit dem Essen fertig, als uns Zimbeln und eine Trommel von draußen in den Garten riefen. Ich wollte gerne beweisen, wie vornehm ich war, indem ich schön langsam hinausging, aber ich war als Erste durch die Tür. Flackernde Laternen beleuchteten den Weg durch den Gang vom Frühlingspavillon aus vorbei am mittleren Teich bis kurz hinter unseren Pavillon des ewigen Wohlgefallens. Ich trat durch Mondtore, die den Blick auf Bambushaine, Topfcymbidien und kunstvoll gestutzte Äste auf der anderen Seite lenkten. Als die Musik lauter wurde, zwang ich mich, langsamer zu gehen. Ich musste vorsichtig sein, denn mir war bewusst, dass sich heute Abend Männer innerhalb unserer Mauern befanden, die nicht zur Familie gehörten. Wenn mich einer von ihnen zufällig zu Gesicht bekommen sollte, würde mir die Schuld dafür gegeben und es als Zeichen eines schlechten Charakters getadelt werden. Doch vorsichtig zu sein und nicht zu hasten, das erforderte mehr Selbstbeherrschung, als ich für möglich gehalten hätte. Die Oper würde bald beginnen, und ich wollte jede Sekunde davon erleben.

Ich kam zu dem Bereich, der für die Frauen vorgesehen war, und setzte mich auf ein Kissen vor einen der Spalte des Wandschirms, sodass ich durchgucken konnte. Viel würde ich nicht sehen, aber es war mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte. Die anderen Frauen und Mädchen kamen hinter mir herein und setzten sich ebenfalls auf Kissen. Ich war so aufgeregt, dass es mich nicht einmal störte, als Tan Ze neben mir Platz nahm.

Wochenlang hatte sich mein Vater – als Regisseur der Aufführung – mit den Schauspielern in eine Nebenhalle zurückgezogen. Er hatte eine nur aus Männern bestehende Truppe von acht Schauspielern engagiert, was meine Mutter außerordentlich empört hatte, da diese Menschen der einfachsten, niedersten Klasse angehörten. Dazu hatte er noch Mitglieder unseres Haushalts gezwungen, diverse Rollen zu übernehmen – auch Weide und ein paar andere Zofen.

»Eure Oper hat fünfundfünfzig Szenen und vierhundertunddrei Arien!«, hatte mir Weide eines Tages beeindruckt erzählt, als hätte ich das nicht bereits gewusst. Es hätte mehr als zwanzig Stunden gedauert, die gesamte Oper aufzuführen, aber ganz egal, wie oft ich fragte, sie wollte mir einfach nicht verraten, welche Szenen Baba gestrichen hatte. »Das soll eine Überraschung sein«, sagte Weide und genoss die Gelegenheit, mir den Gehorsam zu verweigern. Die Proben hatten zunehmend Zeit erfordert. Unseren Haushalt hatte das immer wieder in Aufruhr versetzt, wenn ein Onkel nach einer Pfeife gerufen hatte, jedoch niemanden fand, der sie ihm stopfte, oder wenn eine Tante heißes Wasser für ihr Bad wollte, das ihr aber niemand brachte. Selbst ich hatte dadurch Unannehmlichkeiten, denn Weide hatte viel zu tun, da sie eine wichtige Rolle spielen durfte: Frühlingsduft, die Zofe der Hauptperson.

Die Musik setzte ein. Der Erzähler trat vor und gab einen kurzen Überblick über das Stück. Er betonte, dass die Sehnsucht drei Inkarnationen überdauert hatte, bevor Liu Mengmei und Du Liniang letztlich ihre Liebe zueinander erfüllen konnten. Dann lernten wir den jungen Helden kennen, einen verarmten Gelehrten, der das Haus seiner Vorfahren verlassen musste, um die kaiserlichen Prüfungen abzulegen. Mit Familiennamen hieß er Liu, das bedeutet Weide. Er erinnerte sich an seinen Traum von einem wunderschönen Mädchen, das unter einem Pflaumenbaum stand. Als er aus diesem Traum erwachte, gab er sich den Beinamen Mengmei, Traum von der Pflaume. Der Pflaumenbaum mit seinen saftigen Blättern und den reifenden Früchten stand für die Lebenskraft der Natur, und so begriff selbst ich diesen Namen als Anspielung auf Mengmeis leidenschaftliches Wesen. Ich hörte aufmerksam zu, aber mit dem Herzen war ich immer bei Liniang gewesen, und ich konnte es kaum erwarten, sie zu sehen.

Zur Szene mit dem Titel »Ermahnung der Tochter« betrat sie die Bühne. Sie trug ein Gewand aus goldfarbener, rot bestickter Seide. Aus ihrem Kopfschmuck ragten flauschige Bommel aus gesponnener Seide, Schmetterlinge aus Perlen und Blumen, die erzitterten, wenn sie sich bewegte.

»Wir hüten unsere Tochter wie eine Perle«, sang Frau Du ihrem Mann vor, aber ihre Tochter rügte sie. »Du willst doch wohl lernen und nicht ungebildet sein?«

Präfekt Du, Liniangs Vater, fügte hinzu: »Keine tugendsame junge Frau im heiratsfähigen Alter sollte auf Bildung verzichten. Leg deine Stickarbeit weg, und lies die Bücher im Regal.«

Doch Ermahnungen allein genügten nicht, um Liniangs Verhalten zu ändern, und so wurden sie und Frühlingsduft bald von einem strengen Lehrer unterrichtet. Die Stunden waren langweilig, die beiden mussten die ganze Zeit Regeln auswendig lernen, die ich selbst nur zu gut kannte. »Es gehört sich für eine gute Tochter, sich beim ersten Hahnenschrei die Hände zu waschen, sich den Mund auszuspülen, sich die Haare zu richten, sie hochzustecken und Mutter und Vater ihre Ehrerbietung zu erweisen.«

Solche Sachen hörte auch ich jeden Tag, und dazu noch: Zeig die Zähne nicht, wenn du lächelst. Gehe ruhig und langsam. Sieh sauber und hübsch aus. Erweise deinen Tanten Respekt. Nimm die Schere zur Hand, um dir Fransen oder lose Fäden von den Gewändern abzuschneiden.

Die arme Frühlingsduft konnte die Unterrichtsstunden überhaupt nicht leiden und bat darum, zur Toilette gehen zu dürfen. Die Männer auf der anderen Seite glucksten, als Weide sich nach vorne beugte, sich wand und mit beiden Händen ihren Drang unterdrückte. Es beschämte mich, sie so zu sehen, aber sie tat ja nur, wozu mein Vater sie angewiesen hatte (was mich wiederum schockierte, denn woher kannte er sich da aus?).

In meiner Verlegenheit wandte ich den Blick von der Bühne ab – und sah Männer. Die meisten hatten mir den Rücken zugekehrt, aber manche saßen seitlich, sodass ich sie im Profil sah. Ich war zwar ein Mädchen, aber ich schaute hin. Das war ungehörig, doch in den fünfzehn Jahren, die ich auf der Welt war, hatte ich kein einziges Mal etwas angestellt.

Da erhaschte ich einen Blick auf einen Mann, der sich gerade dem Herrn in dem Stuhl neben ihm zuwandte. Er hatte hohe Wangenknochen, große, freundliche Augen, und seine Haare waren schwarz wie eine Höhle. Er trug ein langes, dunkelblaues Gewand von schlichtem Schnitt. Als Zeichen der Achtung vor dem Mandschu-Kaiser hatte er die Stirn rasiert, und sein langer Zopf hing ihm lässig über die Schulter. Er hob die Hand zum Mund, um eine geflüsterte Bemerkung zu machen. Aus dieser einfachen Geste las ich vieles heraus: Sanftmut, Vornehmheit und die Liebe zur Poesie. Sein Lächeln offenbarte makellos weiße Zähne und Augen, in denen Frohsinn glänzte. Seine Eleganz und seine behutsame Art erinnerten mich an eine Katze: langgliedrig, schlank, gepflegt, kenntnisreich und sehr zurückhaltend. Er war männlich-schön. Als er das Gesicht wieder zur Bühne drehte, um sich die Oper weiter anzusehen, merkte ich, dass ich unwillkürlich die Luft angehalten hatte. Ich atmete langsam aus und versuchte mich zu konzentrieren, als Frühlingsduft – mittlerweile erleichtert – wiederkam und von dem Garten erzählte, den sie entdeckt hatte.

Wenn ich diesen Teil der Geschichte las, verspürte ich immer großes Mitleid mit Liniang, die so streng behütet aufwuchs, dass sie nicht einmal wusste, dass ihre Familie einen Garten besaß. Sie hatte ihr ganzes Leben im Haus verbracht. Jetzt versuchte Frühlingsduft ihre Herrin zu überreden, nach draußen zu gehen, um sich die Blumen, die Weiden und die Pavillons anzusehen. Liniang war durchaus neugierig, aber es gelang ihr geschickt, ihr Interesse vor ihrer Zofe zu verbergen.

Die Ruhe und die feinen Anspielungen wurden von einer mächtigen Fanfare gestört, die den »Ansporn der Bauern« ankündigte. Präfekt Du war aufs Land gefahren, um die Bauern und Hirten, die Maulbeer- und Teepflückerinnen anzuhalten, in der bevorstehenden Saison hart zu arbeiten. Akrobaten purzelten herein, Clowns tranken aus Weinflaschen, Männer in fröhlich geschmückten Kostümen staksten auf Stelzen durch den Garten, und unsere Zofen und die anderen Bediensteten sangen ländliche Erntelieder und führten Tänze auf. Es war durch und durch eine li-Szene, ganz so, wie ich mir die äußere Welt der Männer vorstellte: wilde Gesten, überzeichnete Mimik und ein Durcheinander von Gongs, Knallern und Trommeln. Ich schloss die Augen bei dieser Kakophonie und versuchte, mich weiter auf mich selbst zu konzentrieren und zu einer inneren Ruhe zu finden, wie ich sie sonst beim Lesen empfand. Mein Herz schlug wieder langsamer. Als ich die Augen öffnete, sah ich durch den Spalt in dem Wandschirm wieder den Mann, den ich zuvor betrachtet hatte. Er hatte die Augen geschlossen. War es möglich, dass er das Gleiche empfand wie ich?

Jemand zog mich am Ärmel. Ich wandte mich nach rechts und sah Tan Zes verkniffenes kleines Gesicht, das mich genau beäugte. »Schaust du den Jungen da vorne an?«, fragte sie.

Ich blinzelte ein paarmal und rang um Fassung, indem ich flach atmete.

»Ich hab ihn auch angeschaut«, vertraute sie mir an, viel zu kühn für ihr Alter. »Du bist ja sicher schon versprochen. Aber mein Vater« – sie senkte das Kinn, während sie vorwitzig zu mir aufblickte – »hat für mich noch keine Ehe arrangiert. Er sagt, wo noch so viel Aufruhr im Land herrscht, sollte man solche Abmachungen nicht zu früh treffen. Schließlich weiß man nicht, mit welcher Familie es aufwärts und mit welcher abwärts geht. Mein Vater sagt, es ist furchtbar, eine Tochter an einen mittelmäßigen Mann zu verheiraten.«

Konnte man diesem Mädchen nicht irgendwie den Mund stopfen?, fragte ich mich, und zwar nicht sehr freundlich.

Ze wandte sich wieder dem Wandschirm zu und lugte durch den Spalt. »Ich werde meinen Vater bitten, Erkundigungen über die Familie dieses Jungen einzuziehen.«

Als hätte sie bei ihrer Verheiratung etwas mitzureden! Ich weiß nicht, wie das so schnell geschehen konnte, aber ich war eifersüchtig und ärgerte mich darüber, dass sie versuchen wollte, ihn mir einfach wegzunehmen. Natürlich gab es keinen Funken Hoffnung für den jungen Mann und mich. Wie Ze richtig gesagt hatte, war ich bereits versprochen. Aber während dieser drei Opernabende wollte ich mich romantischen Träumereien hingeben und mir vorstellen, dass auch mein Leben ein so glückliches, von Liebe erfülltes Ende finden würde wie das von Liniang.

Ich verbannte Ze aus meinen Gedanken und konzentrierte mich wieder auf die Oper, die Szene vom »Unterbrochenen Traum«. Endlich wagte sich Liniang hinaus in ihren – also unseren – Garten. Es ist ein wunderschöner Augenblick, wenn sie das alles zum ersten Mal sieht. Liniang bedauerte, dass die Schönheit der Blumen an einem Ort verborgen lag, den niemand besuchte, aber sie begriff den Garten auch als Verkörperung ihrer selbst: in voller Blüte, jedoch übersehen. Ich konnte gut nachvollziehen, was sie empfand. Die Gefühle, die sich in ihr regten, regten sich auch in mir, jedes Mal, wenn ich diese Zeilen las.

Liniang kehrte in ihr Zimmer zurück, zog ein Gewand an, das mit Päonienblüten bestickt war, und setzte sich vor einen Spiegel, wo sie über die Vergänglichkeit ihrer Schönheit grübelte, genau wie ich an diesem Morgen. »Die Arme, deren Schönheit eine bunte Blume ist, wo doch das Leben nicht länger hält als ein Blatt an einem Baum«, sang sie und drückte damit aus, wie verstörend und gleichzeitig vergänglich der Frühling mit all seiner Pracht ist. »Endlich verstehe ich, was die Dichter schreiben. Im Frühling regt sich die Leidenschaft, im Herbst nur das Bedauern. Ach, werde ich wohl jemals einen Mann zu Gesicht bekommen? Wie wird die Liebe mich finden? Wem kann ich meine wahren Sehnsüchte offenbaren?«

Überwältigt von allem, was sie erlebt hatte, schlief sie ein. In ihren Träumen gelangte sie zum Päonienpavillon, wo ihr der Geist von Liu Mengmei erschien, gekleidet in ein Gewand mit Weidenmuster. Er hielt einen Weidenzweig in der Hand und berührte Liniang sanft mit den Blättern. Sie tauschten zärtliche Worte aus, und er bat sie, ein Gedicht über die Weide zu verfassen. Dann tanzten sie miteinander. Liniangs Bewegungen waren grazil und anrührend, als würde man einer sterbenden Seidenraupe zusehen – ganz bedächtig, ganz zart.

Mengmei führte sie in die Felsengrotte unseres Gartens. Nun waren die beiden nicht mehr zu sehen, und ich hörte nur noch Mengmeis verführerische Stimme. »Öffne die Schließe am Hals, löse den Gürtel um die Taille, halte den Arm vor die Augen. Es kann sein, dass du in den Stoff beißen musst...«

Als ich allein in meinem Bett lag, hatte ich vergeblich versucht mir vorzustellen, was sich im Steingarten des Päonienpavillons abspielen könnte. Auch jetzt sah ich nicht, was passierte, und so musste ich mich auf die Beschreibung des Blumengeists verlassen. »Ach, wie die Manneskraft drängt und stößt ...« Doch das half mir auch nicht weiter. Als unverheiratetem Mädchen hatte man mir zwar vom Wolken-und-Regen-Spiel erzählt, aber genau erklärt hatte es mir bislang niemand.

Auf dem Höhepunkt regnete es Päonienblüten über den Steingarten. Liniang sang von den Freuden, die sie und ihr Gelehrter erlebt hatten.

Als Liniang aus ihrem Traum erwachte, wurde ihr klar, dass sie die wahre Liebe gefunden hatte. Auf Anordnung von Frau Du wies Frühlingsduft Liniang an zu essen. Doch wie sollte das gehen? Drei Mahlzeiten am Tag verhießen keine Hoffnung, keine Liebe. Liniang stahl sich von ihrer Zofe weg und wieder in den Garten, um ihrem Traum nachzugehen. Sie sah die Blütenblätter, die den Boden bedeckten. Hagedorn verfing sich in ihrem Rock und zerrte an ihr, hielt sie im Garten fest. Erinnerungen an ihren Traum kehrten zurück: »Er bettete meinen schwachen Körper auf den verwitterten Fels.« Sie dachte daran, wie er sie hingelegt und wie sie ihren Rock ausgebreitet hatte, um »die Erde zu bedecken aus Angst vor den Blicken des Himmels«, bis sie schließlich süß dahinschmolz.

Sie setzte sich unter einen Pflaumenbaum, der viele Früchte trug. Es handelte sich jedoch um keinen gewöhnlichen Pflaumenbaum. Er stand für Liniangs geheimnisvollen geträumten Liebhaber, strotzend vor Stärke und Zeugungskraft. »Es würde mich sehr glücklich machen, neben ihm begraben zu werden, wenn ich sterbe«, sang Liniang.

Meine Mutter hatte mich dazu erzogen, niemals Gefühle zu zeigen, aber bei der Lektüre von Der Päonienpavillon verspürte ich doch so manches: Liebe, Traurigkeit, Glück. Als die Geschichte nun vor mir aufgeführt wurde, ich mir vorstellte, was in unserem Steingarten zwischen dem Gelehrten und Liniang passierte, und zum ersten Mal einen jungen Mann sah, der nicht zu meiner Familie gehörte, rief das zu viele Gefühle in mir hervor. Ich musste kurz weg von hier, erfüllt von der gleichen Unruhe wie Liniang.

Langsam erhob ich mich und stieg vorsichtig zwischen den Kissen hindurch. Ganz für mich ging ich auf einem der Wege durch unseren Garten, und Liniangs Worte erfüllten mein Herz mit Sehnsucht. Ich versuchte, zu geistiger Ruhe zu finden, indem ich meine Augen im Grün des Gartens rasten ließ. Im Hauptbereich unseres Gartens gab es keine Blumen. Alles war grün. Damit sollte eine Art der Ruhe entstehen, wie sie auch eine Tasse Tee herbeiführt – ein unaufdringlicher Geschmack, der jedoch lange vorhält. Ich überquerte die Zickzackbrücke, die über einen unserer kleinen Seerosenteiche führte, und betrat den Pavillon der Winde. Er war so entworfen worden, dass ein heißes Gesicht oder ein brennendes Herz an einem schwülen Sommerabend durch sanfte Brisen Kühlung finden konnte. Ich setzte mich hin und versuchte, zur Ruhe zu kommen, wie es dem Sinn des Pavillons entsprach. Ich hatte so sehr jede Sekunde der Oper erleben wollen, aber ich war nicht darauf vorbereitet gewesen, wie sehr mich das mitnehmen würde.

Arien und Musik trieben durch die Nacht zu mir herüber und trugen Frau Dus Sorge über die Mattigkeit ihrer Tochter mit sich. Frau Du war es noch nicht bewusst, aber ihre Tochter war liebeskrank. Ich schloss die Augen, holte tief Luft und ließ dieses Wissen langsam auf mich wirken.

Da hörte ich plötzlich das beunruhigende Echo meines Atems neben mir. Ich schlug die Augen auf. Vor mir stand der junge Mann, den ich durch den Spalt im Wandschirm gesehen hatte.

Ein kleines, überraschtes Oh entfuhr mir, noch bevor ich mich fassen konnte. Wie sollte ich in dieser Situation auch gelassen bleiben? Ich war allein mit einem Mann, der nicht mit mir verwandt war. Schlimmer noch, es war ein völlig Fremder.

»Verzeihung.« Er faltete die Hände und verneigte sich mehrmals zur Entschuldigung.

Mein Herz klopfte – aus Angst, vor Aufregung, wegen dieser völlig ungewöhnlichen Situation. Dieser Mann gehörte sicherlich zu den Freunden meines Vaters. Ich musste mich freundlich zeigen, jedoch den Anstand wahren. »Ich hätte die Aufführung nicht verlassen dürfen«, sagte ich zögernd. »Es ist meine Schuld.«

»Ich hätte auch nicht weggehen sollen.« Er trat einen Schritt vor, worauf ich instinktiv zurückwich. »Aber die Liebe dieser beiden ...« Er schüttelte den Kopf. »Stellt Euch nur vor, wie das wäre – die wahre Liebe zu finden.«

»Ich habe es mir schon oft vorgestellt.«

Kaum hatte ich das ausgesprochen, bereute ich es auch schon. Auf diese Art sollte man mit keinem Mann sprechen, egal, ob es ein Fremder oder der eigene Ehemann war. Ich wusste das, trotzdem waren mir diese Worte entfahren. Ich legte mir drei Finger auf die Lippen und hoffte, das würde mich davon abhalten, noch mehr zu sagen.

»Ich mir auch«, sagte er. Er trat einen weiteren Schritt vor. »Aber Liniang und Mengmei begegnen einander im Traum, und dann verlieben sie sich.«

»Vielleicht kennt Ihr ja die Oper nicht«, meinte ich. »Sie treffen einander, das ist wahr, aber Liniang stellt Mengmei erst nach, nachdem sie zu einem Geist geworden ist.«

»Ich kenne die Geschichte, aber ich bin anderer Meinung. Der Gelehrte muss seine Angst vor ihrem Geist überwinden ...«

»Eine Angst, die erst entsteht, nachdem sie ihn verführt.«

Wie konnten mir nur solche Worte über die Lippen kommen?

»Ihr müsst mir verzeihen«, sagte ich. »Ich bin bloß ein ungebildetes Mädchen, und außerdem sollte ich wieder zurück zur Aufführung.«

»Nein, wartet. Bitte geht nicht.«

Ich schaute durch die Dunkelheit zurück zur Bühne. Mein ganzes Leben hatte ich darauf gewartet, diese Oper zu sehen. Ich hörte Liniang singen: »Ich zittere in meinem dünnen Hemde, gegen die morgendliche Kälte gewappnet nur durch meinen Kummer, weil der Zweig rote Blütenblätter weint.« Durch ihren Liebeskummer war sie so dünn und gebrechlich geworden – geradezu ausgezehrt –, dass sie beschloss, noch ein Selbstporträt auf Seide zu malen. Wenn sie die Welt verließe, würde man sich so an sie erinnern, wie sie in ihrem Traum gewesen war, voller Schönheit und unerfülltem Begehren. Dies war – sogar für ein lebendiges Mädchen – ein greifbares Symptom für Liniangs Liebeskrankheit, da ihr Tod dadurch bestätigt und vorweggenommen wurde. Mit feinen Pinselstrichen malte sie einen Pflaumenzweig dazu, den das Mädchen in der Hand hielt, um ihren geträumten Liebhaber zurückzurufen. Sie hoffte, er würde sie erkennen, falls er einmal zufällig auf das Porträt stieße. Dann fügte sie noch ein Gedicht hinzu, in dem sie ihrem Wunsch Ausdruck verlieh, einen Mann namens Liu zu heiraten.

Wie konnte es geschehen, dass ich mich so leicht von der Oper ablenken ließ? Und noch dazu von einem Mann? Hätte ich auch nur ein bisschen nachgedacht, so hätte ich in diesem Moment begriffen, weshalb manche Leute der Meinung waren, Der Päonienpavillon verleite junge Frauen dazu, sich ungebührlich zu benehmen.

Er musste mein Zögern gespürt haben – was nicht verwunderlich war –, denn er sagte: »Ich erzähle keiner Menschenseele davon, also bitte bleibt. Ich hatte noch nie die Gelegenheit zu hören, was eine Frau über diese Oper denkt.«

Eine Frau? Die Lage wurde immer schlimmer. Ich ging an ihm vorbei und achtete sorgfältig darauf, ihn nur ja nicht mit meiner Kleidung zu streifen. Da ergriff er wieder das Wort.

»Der Autor wollte weibliche Gefühle des qing in uns wecken – Liebe und Emotionen. Ich spüre diese Geschichte in mir, aber ich weiß nicht, ob das, was ich empfinde, wirklich ist.«

Wir standen nur Zentimeter voneinander entfernt. Ich wandte mich um und blickte hoch in sein Gesicht. Seine Züge waren noch feiner, als ich gedacht hatte. In dem schwachen Licht des zunehmenden Sichelmonds sah ich seine hohen, flächigen Wangen, die gütigen Augen, die vollen Lippen.

»Ich ...« Meine Stimme versagte, als er mir fragend in die Augen sah. Ich räusperte mich und begann von neuem. »Es geht doch nicht an, dass ein Mädchen – das weltabgeschieden lebt und aus einer Elitefamilie stammt ...«

»Ein Mädchen wie Ihr.«

»... sich selbst den Ehemann aussucht? Das ist mir nicht möglich, und es wäre auch ihr nicht möglich gewesen.«

»Glaubt Ihr, dass Ihr Liniang besser versteht als derjenige, der sie schuf?«

»Ich bin ein Mädchen. Ich bin genauso alt. Ich glaube an Pietät den Eltern gegenüber«, sagte ich, »und ich werde dem Weg folgen, den mein Vater für mich bestimmt hat. Aber alle Mädchen haben Träume, selbst wenn unser Schicksal schon festgelegt ist.«

»Ihr habt also die gleichen Träume wie Liniang?«, fragte er.

»Ich bin keines von den Freudenmädchen auf den bunten Booten auf dem See, wenn Ihr das meint!«

Plötzlich brannte ich vor Scham. Ich hatte zu viel gesagt. Ich starrte zu Boden. Die Schuhe an meinen gebundenen Füßen sahen winzig und zart aus neben seinen bestickten Männerschuhen. Ich spürte seinen Blick auf mir ruhen, und ich hätte gerne aufgeblickt, aber ich konnte nicht. Ich wollte nicht. Ich neigte den Kopf und verließ den Pavillon ohne ein weiteres Wort.

Leise rief er mir nach. »Wollen wir uns morgen treffen?« Eine Frage, einen Herzschlag darauf gefolgt von einer deutlicheren Aussage: »Treffen wir uns morgen Nacht. Treffen wir uns hier.«

Ich antwortete nicht. Ich drehte mich nicht um. Stattdessen ging ich direkt in den Hauptbereich unseres Gartens und bahnte mir wieder meinen Weg zwischen den sitzenden Frauen hindurch zu dem Kissen vor dem Spalt im Wandschirm. Ich schaute mich verstohlen um und hoffte, niemand hatte meine Abwesenheit bemerkt. Ich setzte mich hin und zwang mich, durch den Spalt hindurch der Aufführung zu folgen, aber ich konnte mich nur schwer darauf konzentrieren. Als ich sah, dass der junge Mann an seinen Platz zurückkehrte, schloss ich die Augen. Ich wollte mir nicht gestatten, ihn anzusehen. Ich kniff die Augen zu und ließ mich von der Musik und den Worten durchdringen.

Liniang starb an ihrem Liebeskummer. Ein Wahrsager wurde geholt, der ihr Zaubermittel verordnen sollte, aber es half alles nichts. Am Herbstmondfest war Liniang sehr schwach, sie spürte eine sich rasch ausbreitende Taubheit. Ihre Knochen klapperten in der Herbstkälte. Kalter Regen schlug an die Fenster, und ein Zug Gänse bot ein melancholisches Bild am Himmel. Als ihre Mutter sie besuchen kam, entschuldigte sich Liniang, dass sie ihren Eltern nicht bis ans Ende ihrer Tage würde dienen können. Sie versuchte noch, ehrerbietig einen Kotau zu verrichten, und fiel in Ohnmacht. In dem Wissen, dass sie sterben würde, bat sie ihre Familie, sie im Garten unter dem Pflaumenbaum zu begraben. Heimlich wies sie Frühlingsduft an, ihr Porträt in der Grotte im Garten zu verstecken, wo sie und ihr Traumliebhaber ihre Liebe vollzogen hatten.

Ich dachte an den jungen Mann, den ich getroffen hatte. Er hatte mich nicht berührt, aber nun, wo ich auf der Seite der Frauen hinter dem Wandschirm saß, konnte ich zugeben, dass ich mir das eigentlich gewünscht hatte. Vorne auf der Bühne starb Liniang. Trauernde versammelten sich, um von ihrem Kummer zu singen, während Liniangs unglückliche Eltern die Totenklage hielten. In einer plötzlichen Wendung kam dann ein Bote mit einem Brief des Kaisers an. Dieser Teil der Geschichte gefiel mir nicht so sehr. Präfekt Du wurde befördert. Ein großes Fest begann, das nun, als ich es aufgeführt sah, ein großes Spektakel war und einen krönenden Abschluss des Abends darstellte. Aber wie konnten die Dus ihren Kummer so schnell vergessen, wenn sie ihre Tochter wirklich so sehr liebten, wie sie behauptet hatten? Ihr Vater vergaß sogar, den Punkt auf ihre Ahnentafel zu malen, sodass sie im Jenseits mächtig in Schwierigkeiten geraten würde.

Als ich später im Bett lag, erfüllte mich eine so tiefe Sehnsucht, dass ich kaum noch Luft bekam.

Der Grillenkäfig

Am nächsten Morgen musste ich immer wieder an meine Großmutter denken. Ich war hin- und hergerissen: Einerseits wollte ich mich heute Abend unbedingt wieder mit meinem Fremden treffen, andererseits fühlte ich mich an die Benimmregeln gebunden, die mir seit meiner Kindheit eingebläut worden waren. Ich kleidete mich an und machte mich zur Ahnenhalle auf. Es war ein gutes Stück Wegs dorthin, aber ich ließ trotzdem alles in Ruhe auf mich wirken, als hätte ich es nicht bereits viele tausend Male gesehen. Das Anwesen der Familie Chen bestand aus geräumigen Hallen, weitläufigen Höfen und hübschen Pavillons, die sich bis hinunter ans Ufer des Westsees erstreckten. Unsere zerklüfteten Steingärten gemahnten an alles, was im Leben dauerhaft und stark ist. In unseren künstlichen Teichen und Bächen sah ich weite Seen und gewundene Flüsse. Ich erahnte Wälder in unseren sorgfältig angepflanzten Bambushainen. Ich kam an unserem Pavillon der Schönheit vorbei, das ist ein höher gelegener Aussichtsplatz, der es den unverheirateten Mädchen unseres Haushalts gestattete, Besucher in unserem Garten zu beobachten, ohne selbst bemerkt zu werden. Von dort aus hatte ich schon Laute aus der äußeren Welt vernommen, das Trillern einer Flöte, das über den See schwebte, geradezu über das Wasser geschoben wurde und sich hinterlistig über unsere Gartenmauer und auf unser Anwesen stahl. Ich hatte sogar Stimmen von draußen gehört: einen Händler, der Kochgeschirr feilbot, einen Streit zwischen Bootsführern, das leise Lachen von Frauen auf einem Vergnügungsboot. Aber gesehen hatte ich sie nicht.

Ich betrat die Halle, in der meine Familie die Ahnentafeln aufbewahrte. Die Tafeln – Holzplatten mit den Namen meiner Vorfahren in goldenen Schriftzeichen – hingen an der Wand. Da waren meine Großeltern, Großonkel und Großtanten sowie zahllose Vettern und Cousinen der unterschiedlichsten Grade. Sie alle waren im Anwesen der Familie Chen geboren worden, hatten dort ihr Leben verbracht und waren dort gestorben. Mit dem Tod hatten sich ihre Seelen in drei Teile geteilt, und jeder davon hatte eine neue Wohnstatt gefunden: im Jenseits, im Grab und in ihren Ahnentafeln. Wenn ich die Ahnentafeln betrachtete, konnte ich nicht nur meine Familie über mehr als neun Generationen zurückverfolgen, ich konnte auch jenen Teil der Seele, der die Tafel bewohnte, dazu bewegen, mir zu helfen.

Ich zündete Räucherwerk an, kniete mich auf ein Kissen und blickte hinauf zu den zwei großen Bildrollen mit den Ahnenporträts, die über dem Altartisch an der Wand hingen. Auf der linken war mein Großvater dargestellt, ein kaiserlicher Gelehrter, der unserer Familie Ansehen, Sicherheit und Wohlstand gebracht hatte. Auf dem Bildnis saß er breitbeinig in seinen Gewändern da, in einer Hand einen geöffneten Fächer. Er schaute streng drein, und die Haut um seine Augen zeigte Falten der Weisheit und der Sorgen. Er starb, als ich vier war. Ich hatte ihn als einen Mann in Erinnerung, der lieber seine Ruhe vor mir hatte und wenig Verständnis für meine Mutter oder die anderen Frauen in unserem Haushalt zeigte.

Die andere lange Bildrolle rechts vom Altartisch zeigte meine Großmutter. Auch ihr Gesichtsausdruck war ernst. Ihr wurde in unserer Familie und in unserem Land großer Respekt entgegengebracht, da sie während des Umsturzes als Märtyrerin gestorben war. In den Jahren vor ihrem Opfertod diente mein Großvater als Arbeitsminister in Yangzhou. Meine Großmutter hatte das Anwesen der Familie Chen hier in Hangzhou verlassen und war zwei Tage mit Boot und Sänfte unterwegs, um zu ihm nach Yangzhou zu ziehen. Ohne zu ahnen, was für eine Katastrophe bevorstand, machten sich meine Eltern eines Tages nach Yangzhou auf, um sie zu besuchen. Bald nach ihrer Ankunft fielen die plündernden Mandschu ein.

Immer wenn ich Mama Fragen über diese Zeit stellte, erhielt ich zur Antwort: »Darüber musst du nichts wissen.« Als Fünfjährige hatte ich mich einmal erdreistet zu fragen, ob sie mit angesehen habe, wie Großmutter Chen starb. Mama schlug mich so fest, dass ich umfiel. »Erwähne diesen Tag nie mehr wieder in meinem Beisein.« Sie schlug mich nie wieder, nicht einmal während meines Füßebindens, und ich stellte ihr nie wieder eine Frage über meine Großmutter.

Andere hingegen beteten fast täglich zu ihr. Das höchste Ziel, das eine Frau im Leben erreichen konnte, war es, eine keusche Witwe zu werden, für die keine zweite Heirat in Frage kam, nicht einmal, wenn sie sich das Leben nehmen musste. Was meine Großmutter jedoch getan hatte, war noch beachtlicher. Sie entschied sich dafür, sich zu töten, statt sich den Mandschu-Soldaten zu überlassen. Sie war der Inbegriff von konfuzianischer Keuschheit. Sobald die Mandschu den Qing-Hof eingesetzt hatten, wählten sie daher meine Großmutter als Vorbild. Sie ehrten sie in Geschichten und Büchern, um Frauen anzuleiten, die selbst vollkommene Ehefrauen und Mütter werden wollten, und um die Prinzipien der Treue und Frömmigkeit zu propagieren. Die Mandschu waren immer noch unser Feind, trotzdem benutzten sie meine Großmutter und die anderen Frauen, die sich während der Katastrophe geopfert hatten, um unsere Achtung zu gewinnen und wieder Ordnung in die Frauengemächer zu bringen.

Ich legte makellose weiße Pfirsiche als Opfergabe auf ihren Altar.

»Soll ich mich mit ihm treffen oder lieber nicht?«, flüsterte ich in der Hoffnung auf eine Weisung. »Hilf mir, Großmutter, hilf mir.« Ich berührte den Boden mit der Stirn, um ihr meine Ehrerbietung zu erweisen, schaute zu dem Porträt hoch, um zu zeigen, wie ernst es mir war, und senkte dann wieder den Kopf. Ich stand auf, strich mir den Rock glatt und ging hinaus. Meine Wünsche trieben mit den Schwaden des Räucherwerks zu meiner Großmutter hin. Aber ich war mir keinen Deut sicherer, was ich tun sollte, als zuvor beim Betreten des Raums.

Weide wartete draußen vor der Tür auf mich.

»Eure Mutter meint, Ihr kommt zu spät zum Frühstück im Frühlingspavillon«, sagte sie. »Gebt mir Euren Arm, kleines Fräulein, dann führe ich Euch hin.«

Sie war meine Dienerin, doch wer gehorchte, das war ich.

Mittlerweile herrschte in den Gängen schon einiger Betrieb. Das Anwesen der Familie Chen beherbergte 940 Finger: 210 Finger gehörten zu meinen direkten Blutsverwandten, 330 Finger zu den Konkubinen und ihren Kindern – es waren alles Mädchen – und weitere 400 Finger zu den Köchinnen, Gärtnern, Säugammen, Kinderfrauen, Zofen und so weiter. Jetzt zum Fest der Doppelsieben waren noch viel mehr Finger zu Besuch. Unser Anwesen war so gestaltet, dass jeder dieser Finger seinen Platz hatte, wenn sich so viele Personen im Haushalt aufhielten. Wie üblich frühstückten die zehn Konkubinen unseres Haushalts – mit ihren dreiundzwanzig Töchtern – in ihrer eigenen Halle. Drei Cousinen, die mit ihrem Füßebinden gerade eine kritische Zeit erreicht hatten, mussten auf ihren Zimmern bleiben. Ansonsten saßen die Frauen im Frühlingspavillon ihrem Rang entsprechend. Meiner Mutter gebührte als Frau des ältesten Bruders die Ehrenposition im Raum. Sie saß mit ihren vier Schwägerinnen an einem Tisch, fünf kleine Cousinen mit ihren Kinderfrauen an einem anderen, während die drei Cousinen, die in meinem Alter waren, und ich einen Tisch für uns hatten. Unsere Gäste wurden ebenfalls nach Alter und Rang platziert. In der Ecke kümmerten sich die Kinderfrauen und Säugammen um die Babys und die Mädchen, die jünger als fünf Jahre waren.

Mit perfekten, wiegenden Lilienschritten bewegte ich mich sachte über den Boden und setzte vorsichtig einen Fuß nach dem anderen auf. Mein Körper schwankte hin und her wie eine Blume im Wind. Als ich mich setzte, beachteten meine Cousinen mich nicht und ließen mich demonstrativ außen vor. Normalerweise machte mir das nicht allzu viel aus. Ich führte mir immer wieder vor Augen, dass ich bereits versprochen war und ihre Gesellschaft nur noch weitere fünf Monate ertragen musste. Aber nach meiner Begegnung im Pavillon der Winde gestern Abend zog ich meine Zukunft in Zweifel.

Mein Vater und der Vater meines zukünftigen Ehemanns waren seit ihrer Kindheit befreundet gewesen. Als sie heirateten, schworen sie einander, ihre Familien eines Tages durch ihre Kinder zu vereinen. Die Familie Wu bekam sofort zwei Söhne, meine Ankunft dauerte länger, aber bald darauf wurden meine acht Zeichen mit denen des jüngeren Sohnes zusammen berechnet. Meine Eltern waren glücklich, aber mir fiel es schwer, Vorfreude zu zeigen, insbesondere jetzt. Ich hatte Wu Ren nie kennengelernt. Ich hatte keine Ahnung, ob er zwei oder zehn Jahre älter als ich war. Womöglich war er pockennarbig, klein, brutal und dick, aber meine Mutter oder mein Vater würden mich nicht vorwarnen. Eine Ehe mit einem Fremden, darin bestand mein Schicksal; ob es jedoch ein glückliches war, war nicht abzusehen.

»Heute trägt das Jademädchen die Farbe von Jade«, sagte Ginster, die Tochter des zweiten Bruders meines Vaters, zu mir. Zweite Tante hatte ein weiches Herz, daher war Ginster schon rundlich wie eine Frau, die das gebärfähige Alter bereits hinter sich hatte.

»Ich weiß nicht recht, ob dir diese Farbe wirklich steht«, fügte Lotos, die älteste Tochter von Dritter Tante, süßlich hinzu. »Das wird unser Jademädchen jetzt sicher nicht so gerne hören.«

Ich lächelte weiterhin, aber ihre Worte verletzten mich. Mein Vater sagte immer, ich sei ein Jademädchen und mein zukünftiger Ehemann ein Goldjunge, das bedeutete, dass der finanzielle und gesellschaftliche Status unserer Familien vergleichbar war. Es war zwar ungehörig, aber ich dachte an den jungen Mann, den ich gestern Abend getroffen hatte, und überlegte, ob ihn mein Vater gutgeheißen hätte.

Lotos fuhr mitleidig fort: »Andererseits hört man, der Goldjunge wäre ein bisschen angelaufen. Was meinst du dazu, Mudan?«

Immer wenn sie solche Sachen sagte, wehrte ich mich, und das musste ich auch jetzt tun, um nicht den Anschein von Schwäche zu erwecken. Ich verbannte den Fremden aus meinen Gedanken.

»Wäre mein Mann in einer anderen Zeit geboren, dann wäre er ein kaiserlicher Gelehrter geworden wie sein Vater, aber das ist derzeit nicht ratsam. Trotzdem, Baba sagt, Ren war schon als kleiner Junge sehr schlau«, prahlte ich und versuchte, überzeugend zu klingen. »Er wird einen wunderbaren Ehemann abgeben.«

»Unsere Cousine sollte auf einen starken Ehemann hoffen«, meinte Ginster an Lotos gewandt. »Ihr Schwiegervater ist tot, und der junge Wu ist nur ein zweiter Sohn, ihre Schwiegermutter wird also viel Macht über sie haben.«

Das war nun wirklich sehr gemein.

»Der Vater meines Mannes ist während des Umsturzes zu Tode gekommen«, widersprach ich. »Meine Schwiegermutter führt seither ein Leben als ehrbare Witwe.«

Ich war gespannt, was die Mädchen wohl als Nächstes sagen würden, denn sie schienen gut Bescheid zu wissen. War die Familie nach dem Tode des Wu-Patriarchen etwa in Not geraten? Mein Vater hatte eine ansehnliche Mitgift für mich gestellt, Felder, Seidenmanufakturen, Zuchttiere sowie mehr als die übliche Menge an Käsch, Seide und Lebensmitteln, doch eine Ehe, in der die Frau zu viel Geld hatte, war nie glücklich. Zu oft wurden die Männer untergebuttert und hatten unter Hohn und Spott zu leiden, während sich die Frauen hervortaten durch ihr grausames Wesen, ihre spitze Zunge und ihre herzlose Eifersucht. Hatte mein Vater eine solche Zukunft für mich im Sinn? Warum konnte ich mich nicht verlieben wie Liniang?

»Töne bloß nicht zu laut, wie vollkommen deine zukünftige Ehe ist«, schloss Ginster süffisant, »wo man doch auf dem ganzen Anwesen weiß, dass es anders ist.«

Ich seufzte. »Hier, nimm noch einen Kloß, sagte ich und schob Ginster die Platte hin.

Sie warf einen raschen Blick zum Tisch ihrer Mutter hinüber, nahm dann eines der Teigbällchen mit ihren Essstäbchen auf und schob es sich ganz in den Mund. Meine anderen beiden Cousinen warfen mir bitterböse Blicke zu, aber das konnte ich auch nicht ändern. Sie stickten gemeinsam, sie aßen gemeinsam zu Mittag, und sie redeten hinter meinem Rücken gemeinsam über mich. Aber ich hatte ein paar kleine Möglichkeiten, mich zu wehren, auch wenn sie ziemlich belanglos waren. Ich war bekannt für meine Gemeinheiten, zum Beispiel, dass ich mit meinen hübschen Kleidern, Haarnadeln oder Schmuck angab. Das war kindisch, aber ich benahm mich nur deshalb so boshaft, weil ich mich und meine Gefühle schützen wollte. Ich begriff nicht, dass meine Cousinen und ich eingesperrt waren wie Glücksgrillen in einem lackierten Bambuskäfig.

Ich verbrachte den Rest des Frühstücks über schweigend, während die anderen mich mit einer Entschiedenheit ignorierten, wie sie nur unverheiratete Mädchen aufbringen können. Ich glaubte mich gefeit gegen ihre Gehässigkeit. Dem war selbstverständlich nicht so, und plötzlich wurden mir meine eigenen Unzulänglichkeiten allzu bewusst. Ich war vier Jahre nach dem Umsturz geboren worden, genau während der vier Wochen, die immer für das Fest der hungrigen Geister vorgesehen sind – keine günstige Zeit. Ich war ein Mädchen. Das stellt für jede Familie ein Unglück dar, besonders aber für eine wie die unsere, die während des Umsturzes viel verloren hatte. Von meinem Vater als dem ältesten Bruder wurde erwartet, einen Sohn zu zeugen, der irgendwann als Familienoberhaupt die Riten in der Ahnenhalle vollziehen und unseren längst verstorbenen Verwandten Opfer darbringen würde, damit sie uns weiterhin Glück und Wohlstand brächten; stattdessen hatte er die Last einer einzigen, nutzlosen Tochter zu tragen. Vielleicht hatten meine Cousinen recht, und er hatte mich zur Strafe einem mittelmäßigen Mann zugedacht.

Mir gegenüber flüsterte Ginster Lotos gerade etwas ins Ohr. Sie guckten kurz zu mir her und hielten sich dann die Hand vor den Mund, damit ich nicht sah, wie sie grinsten. Auf der Stelle lösten sich meine Zweifel in Luft auf, und ich dankte meinen Cousinen innerlich. Ich hütete ein so großes Geheimnis, dass sie vor lauter Eifersucht und Neid platzen würden, wenn sie es wüssten.

Nach dem Frühstück begaben wir uns in die Lotosblütenhalle, wo meine Mutter einen Zitherwettbewerb für die unverheirateten Mädchen ausrief. Als ich an die Reihe kam, setzte ich mich vor die Gruppe auf das Podest, wie es auch die anderen getan hatten, aber mein Zitherspiel ließ sehr zu wünschen übrig. Immer wieder zupfte ich die falschen Saiten, während ich dabei an den Mann dachte, den ich gestern Nacht getroffen hatte. Kaum hatte ich fertig gespielt, entließ mich meine Mutter und schlug mir vor, einen Spaziergang im Garten zu machen.

Endlich weg von den Frauengemächern! Ich eilte den Gang entlang zur Bibliothek meines Vaters. Baba war in der neunten Familiengeneration ein kaiserlicher Gelehrter vom Rang eines jinshi