5,99 €
1,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,99 €
Das Herz einer irischen Kleinstadt: Der berührende Familiengeheimnisroman »Eine irische Hochzeit« von Cathy Kelly jetzt als eBook bei dotbooks. Sie sind das goldene Aushängeschild der irischen Kleinstadt Kinvarra: die stets elegante Rose Miller und ihre drei schönen Töchter. Da ist zum einen die kluge Anwältin Stella, dann die erfolgreiche Drehbuchautorin Tara und schließlich Holly, die liebeswerte Träumerin. Aber sind die Miller-Frauen wirklich so perfekt, wie es den Anschein hat? Denn ausgerechnet an ihrer Rubinhochzeit verlässt Rose aus heiterem Himmel ihren Mann und verkündet, nun mit all den kleinen wie großen Lebenslügen aufräumen zu wollen. Ihre Töchter fallen aus allen Wolken: Haben sie die Frau, die sie alle so sehr lieben, wirklich jemals gekannt? Und wird es ihnen gelingen, alles wieder ins Lot zu bringen – oder könnte ihnen das Chaos, das nun hereinbricht, vielleicht genau den einen Schubser in Richtung ihres wahren Glücks geben, auf den sie schon so lange heimlich warten? »Warmherzig und wunderschön«, empfiehlt die Zeitschrift New Woman Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Wohlfühl-Roman »Eine irische Hochzeit« der irischen Bestsellerautorin Cathy Kelly. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 1096
Über dieses Buch:
Sie sind das goldene Aushängeschild der irischen Kleinstadt Kinvarra: die stets elegante Rose Miller und ihre drei schönen Töchter. Da ist zum einen die kluge Anwältin Stella, dann die erfolgreiche Drehbuchautorin Tara und schließlich Holly, die liebeswerte Träumerin. Aber sind die Miller-Frauen wirklich so perfekt, wie es den Anschein hat? Denn ausgerechnet an ihrer Rubinhochzeit verlässt Rose aus heiterem Himmel ihren Mann und verkündet, nun mit all den kleinen wie großen Lebenslügen aufräumen zu wollen. Ihre Töchter fallen aus allen Wolken: Haben sie die Frau, die sie alle so sehr lieben, wirklich jemals gekannt? Und wird es ihnen gelingen, alles wieder ins Lot zu bringen – oder könnte ihnen das Chaos, das nun hereinbricht, vielleicht genau den einen Schubser in Richtung ihres wahren Glücks geben, auf den sie schon so lange heimlich warten?
»Warmherzig und wunderschön«, empfiehlt die Zeitschrift New Woman
Über die Autorin:
Cathy Kelly arbeitete als Redakteurin, Filmkritikerin und »Kummerkastentante« bei der Dubliner Sunday World, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden und regelmäßig die Bestsellerlisten erobern. Am liebsten schreibt sie warmherzige, einfühlsame Geschichten über ihre irische Heimat. Cathy Kelly lebt mit ihrer Familie und ihren drei Hunden in County Wicklow.
Die Website der Autorin: www.cathykelly.co.uk/
Bei dotbooks veröffentlichte Cathy Kelly auch ihre Romane:
»Wie küsst man einen Iren?«
»Wie angelt man sich einen Iren?«
»Wie heiratet man einen Iren?«
»Der Duft von irischem Lavendel«
»Die irischen Freundinnen«
»Der Glanz von irischem Klee«
»Heimkehr nach Irland«
»Die Schwestern von Ballymoreen«
»Die Freundinnen von Cloud’s Hill«
»Die Frauen von Ardagh’s Crown«
***
eBook-Neuausgabe Dezember 2022
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2022 unter dem Originaltitel »Just Between Us« bei HarperCollins Publishers, London.
Die deutsche Erstausgabe erschien 2004 unter dem Titel »Männer sind zum Küssen da« bei Blanvalet.
Copyright © der englischen Originalausgabe 2002 by Cathy Kelly
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2004 by Verlagsgruppe
Random House GmbH, München
Copyright © Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-98690-428-9
***
Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
***
Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)
***
Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Eine irische Hochzeit« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)
***
Besuchen Sie uns im Internet:
www.dotbooks.de
www.facebook.com/dotbooks
www.instagram.com/dotbooks
blog.dotbooks.de/
Cathy Kelly
Eine irische Hochzeit
Roman
Aus dem Englischen von Uta Hege
dotbooks.
In Liebe für John
Während ich dieses Buch geschrieben habe, gab es immer wieder Augenblicke, in denen ich dachte, dass ich es niemals fertig bekommen würde, und mit dem Gedanken an ein abruptes Ende spielte, bei dem sich mit einer klassischen Schubi-dubi-du-Erklärung, wie alles passiert war, sowie einem kurzen abschließenden Satz von der Art: Und so lebten sie alle glücklich bis an ihr Ende, innerhalb von zwei Seiten plötzlich alles in Wohlgefallen auflösen würde.
Dank der Liebe und der Unterstützung der mir wichtigen Menschen jedoch habe ich diese Phasen glücklich überwunden und den Roman tatsächlich beendet. Ich denke, genau dafür sind Danksagungen da: Den Menschen, die einen ermutigen, unterstützen und einem geduldig zuhören, wenn man darüber stöhnt, wie schrecklich das Buch ganz sicher werden wird, deutlich zu machen, wie hilfreich ihre Unterstützung ist. Wahrscheinlich halten viele Danksagungen für ebenso abgedroschen wie Dankesreden bei der von mir dargestellten Preisverleihungszeremonie für das Genre »Seifenoper«, aber sie kommen tatsächlich von Herzen.
Also danke ich von Herzen:
John für die Art von Liebe und Unterstützung, die sich nicht in Worte kleiden lässt; meiner Mutter für alles, was sie für mich und Tamsin tut; Francis und Lucy, dem besten großen Bruder und der besten kleinen Schwester der Welt; Anne und Dave; meinen wunderbaren Nichten und Neffen Laura, Naomi, Emer und Robert, und natürlich vor allem Tamsin.
Dank an Lisa und Annmarie, deren erwachsenen Namensschwester in diesem Buch – als Meisterin des Shopping! – auftaucht; Stella O’Connell, dafür, dass sie einer meiner Heldinnen ihren Namen gegeben hat; Kate Thompson für ihre Freundlichkeit und ihre guten Tipps; Margaret, Sarah Hamilton, Marian Keyes und Susan Zaidan für ihre Freundschaft; Patricia Scanlan dafür, dass sie Kerzen für mich angezündet hat, den Schwestern Vincent und Breeda für ihre Gebete; Sheila O’Flanagan dafür, dass mir durch sie die Idee für das Hula-Mädchen gekommen ist. Wie kriegt man das Zeug noch mal aus dem Computer raus? Dank auch Lola Simpson und Siobhan O’Reilly; Christine und Simon Calver für den Unterricht im Roulette und für Bunny!
Einen besonderen Dank an Ali Gunn von Curtis Brown für ihre endlose Unterstützung und ihre aufmunternden Anrufe; sowie an Carol Jackson und alle anderen bei CB.
Ebenfalls besonderen Dank und eine Reihe großer Blumensträuße haben Rachel Hore, Jennifer Parr und Lynne Drew bei HarperCollins verdient, da ohne sie das Buch bestenfalls ein dünnes Heftchen wäre (auch wenn das wahrscheinlich bequemer im Bett gelesen werden könnte). Dank ihnen allen dafür, dass sie so viel für mich getan und mir dabei noch so viel Spaß bereitet haben. Dank dem gesamten Team bei HarperCollins, angefangen bei der guten Moira Reilly und Tony Purdue, dem irischen A-Team, die nicht nur Kollegen sind, sondern auch Freunde; Nick Sayers, Amanda Ridout, Fiona McIntosh, Maxine Hitchcock, Martin Palmer, Jane Harris, John Bond, Victoria Barnsley, Esther Taylor, Venetia Butterfield, Sara Winker, Anne O’Brien, Lee Motley, Phyllis Acolatse, Mike McQueen, Steve Newell und dem gesamten HC-Team.
Dank allen bei HarperCollins Australien für ihre wunderbare Art (und dafür, dass sie mich an ihren Yoga-Kursen haben teilnehmen lassen). Dank den beiden wunderbaren Frauen Karen-Maree Griffith und Louisa Dear, die sich um mich gekümmert haben; Christine Farmer, Jim Demetriou, David Lange, Arthur Cavalliotis, John Wilkinson, Michael Mousallem und allen anderen im Team, die mir das Gefühl gaben, willkommen zu sein.
In New York Dank an Deborah Schneider sowie meiner amerikanischen Dutton-und-Plume-Familie: Carole Baron, Laurie Chittenden, Stephanie Bowe, Lisa Johnson, Brant Janeway und Sarah Melnyk.
Dank Joanne, Esther, Larissa, Yvonne, Moria und all meinen lieben Ex-Kolleginnen, die sich, wenn ich anrufe, nie an irgendwelche Tratschgeschichten erinnern können. Dank der wunderbaren Autorinnen-Schwesternschaft, in der Martina Devlin, Jane Moore, Colette Caddie, Susan Lewis, Jenny Colgan und all meine schriftstellernden Freundinnen versammelt sind, vor allem den Mädels der RNA, der Romantic Novelists’ Association, die so wunderbare Bücher schreiben.
Zu guter Letzt gibt es noch zwei wichtige Gruppen von Leuten, denen ich zu Dank verpflichtet bin: all die wunderbaren Menschen, die meine Bücher verkaufen, und all die wunderbaren Menschen auf der ganzen Welt, die sie erstehen. Vielen, vielen Dank.
Abschließend sollte noch gesagt sein, dass es in Irland jede Menge prachtvoller Orte mit prachtvollen Namen gibt, Namen, die sich für andere Leute verrückt anhören mögen, für uns jedoch normal sind. Aufgrund meiner beständigen Furcht, Charaktere zu erfinden, die zufällig dieselben Namen wie lebende Menschen haben, die zufällig am selben Ort leben wie die Figuren meines Buches, denke ich mir die Ortsnamen vorsichtshalber aus. Fälschlicherweise dachte ich, ich hätte mir auch den Namen Kinvara ausgedacht (fragen Sie bitte nicht, wie ich darauf kam), bis ich im Supermarkt war und Räucherlachs aus einem Ort namens Kinvara sah. Mist.
Vorsichtshalber fragte ich die Leute, ob sie noch andere Kinvaras kennen.
»Ja, sicher, davon gibt es jede Menge«, wurde mir daraufhin erklärt.
Mist, Mist, Mist. Trotzdem ist mein Kinvara ein reiner Phantasieort, und um ihn von den wirklichen Dörfern und Städten zu unterscheiden, heißt er jetzt Kinvarra. Dasselbe gilt für Castletown, das ebenfalls meiner Einbildung entsprungen ist und somit nicht mit einem der zahllosen in Irland existenten Castletowns verwechselt werden darf. Ungeachtet der Ortsnamen hoffe ich ganz einfach, dass Ihnen der Roman gefällt.
März
Adele blickte auf die Einladung und fragte sich, wie viel genau es kostete, wenn man mindestens einhundert solcher exklusiven, cremefarbenen Karten drucken ließ. Ganz sicher ein Vermögen. Es war die Prägung, die so teuer war. Und auch wenn es nett aussah, war es doch Verschwendung.
Es gab durchaus akzeptable vorgedruckte Karten – die man selbst ausfüllen konnte –, doch derartige Massenware war für ihre Schwägerin eindeutig nicht gut genug. Schließlich hatte Rose immer schon danach gestrebt, mehr zu sein, als sie tatsächlich war.
Missbilligend strich Adele mit dem Zeigefinger über die extravaganten Lettern.
Rose & Hugh Miller freuen sich,
Adele Miller
anlässlich ihrer Rubinhochzeit
am Sonnabend, 25. April,
in die Meadow Lodge, Kinvarra,
zu einer Lunchparty einladen zu können.
Sie las weiter, dass »lässig elegante« Kleidung erbeten wurde, was auch immer das nun wieder war.
Sie würde wie immer eines ihrer Strickkostüme tragen. Schließlich war sie stolz auf ihre, für eine Frau von fünfundsechzig Jahren erstaunlich ansprechende Figur. Vielleicht nähme sie vorsichtshalber noch ein Tuch mit, denn schließlich war es im April manchmal empfindlich kühl, und die Party fände nicht im Haus statt, sondern in einem großen Zelt. Adele hatte die Idee mit dem Zelt keineswegs gefallen. Ebenso wie die gedruckten Karten empfand sie sie als Geldverschwendung, ganz zu schweigen davon, dass ein solcher Aufwand viel zu protzig war. Dann jedoch hatte Hugh verkündet, die Idee wäre von ihm gewesen, woraufhin ihr der Plan mit einem Mal phänomenal erschienen war.
»Das Haus könnte bei einer derart großen Party ernsten Schaden nehmen, meine liebe Della. Die Frauen würden mit ihren Pfennigabsätzen das gesamte Parkett verkratzen, und die Rotweinflecken bekämen wir aus den Polstern sicher nie mehr raus«, hatte Hugh gesagt, als er letzte Woche auf dem Rückweg von einem Treffen mit einem Klienten in einer nahe gelegenen Stadt bei ihr vorbeigekommen war. Adele hatte mit einem liebevollen Lächeln zugesehen, wie er das Steak-Sandwich gegessen hatte, das als kleine Überraschung von ihr für ihn zubereitet worden war. Niemand außer ihm nannte sie noch Della. Nicht, dass Adele sich von irgendjemand anderem mit diesem Kosenamen hätte anreden lassen. Selbst ihr Arzt, den sie seit vierzig Jahren kannte, nannte sie nie anders als Miss Miller. Der dreiste junge Postbote hatte einmal versucht, sie beim Vornamen zu nennen, doch das hatte sie ihm sofort strengstens untersagt. Sie fand keinen Gefallen an der modernen Vertraulichkeit, mit der man heutzutage miteinander umging.
Hugh jedoch konnte sie nennen, wie er wollte. Ihr allerliebster Bruder machte niemals etwas falsch.
»Man muss seinen vierzigsten Hochzeitstag gebührend feiern«, hatte Hugh zwischen zwei Bissen seines Sandwichs gut gelaunt erklärt. Hugh hatte schon immer gern gegessen. Aber schließlich war er mit seinen ein Meter achtzig auch ein großer und mit seinem dichten, silbrig hellen Haar ein äußerst attraktiver Mann. Früher waren seine Haare, passend zu seinem sonnigen Gemüt, goldfarben gewesen. Sämtliche Freundinnen Adeles hatten damals für ihn geschwärmt. Wenn sie jemals einen Mann wie Hugh gefunden hätte, hätte sie vielleicht auch geheiratet, dachte sie voller Wehmut.
Sie blickte nochmals auf die Karte. »u.A.w.g.«, stand am unteren Ende. Am besten, sie antwortete gleich.
Rose kam beim dritten Klingeln an den Apparat.
»Hi, Adele«, sagte sie mit atemloser Stimme. »Ich habe gerade die Teppiche gesaugt. Hier herrscht das totale Chaos.«
Was Adele für eher unwahrscheinlich hielt. Das Heim ihrer Schwägerin, das zwölf Kilometer hinter dem kleinen Städtchen Kinvarra angesiedelt war, war immer tadellos gepflegt. Und vor allem elegant. Auch wenn Adele es nicht gerne zugab, hatte Rose doch einfach einen phantastischen Geschmack. Wer sonst wäre wohl auf die Idee gekommen, sämtliche Innenwände einzureißen und die zuvor eher dunklen Räume in eine einzige, wohl proportionierte, offene Fläche zu verwandeln? Adele bevorzugte Teppiche, doch die hellen Holzböden mit den schlichten Läufern in angenehm gedämpften Farben wirkten im Vergleich zu dem konservativen, dunkelbraunen Teppich in Adeles traditionellem, im viktorianischen Stil gehaltenen Haus elegant, modern und frisch.
»Ich habe die Einladung erhalten«, erklärte sie jetzt steif.
»Hat sie dir gefallen?«, fragte Rose. »Hugh hat sie ausgesucht. Ich habe leichte Schuldgefühle, weil wir dafür so viel ausgegeben haben. Weißt du, gerade erst haben sie in der Reifenfabrik unten an der Straße weitere zwanzig Leute entlassen, und wir haben nichts Besseres zu tun, als eine große Feier mit Zelt und Partyservice und Blumen abzuhalten ... Die Aktionsgruppe zur Bekämpfung der Armut ist dringend auf Gelder angewiesen, und all dieser Überfluss, den wir uns leisten, erscheint mir einfach nicht ganz richtig...« Sie brach ab, doch in ihrer Entrüstung fiel das Adele gar nicht auf.
»Mein Bruder ist eine wichtige Persönlichkeit hier in Kinvarra. Die Leute fänden es seltsam, wenn er nicht standesgemäß feiern würde«, erwiderte sie ebenso steif wie zu Anfang des Gesprächs. »Sie fänden es ganz sicher eigenartig, wenn ihr eure Rubinhochzeit nicht mit einem großen Fest begehen würdet.« Rose schien zu vergessen, dass die Familie Miller immer schon eine Stütze der Gemeinde gewesen war. Wie sähe es aus, wenn sie die Dinge nicht richtig machen würden? Dann fingen die Leute an zu reden. Und Adele wäre nichts verhasster, als wenn die Familie ins Gerede käme.
»Du hast Recht, Adele«, antwortete Rose mit leichter Stimme. »Ich glaube, ich werde mit zunehmendem Alter einfach paranoid. Ich mache mir über die dümmsten Dinge stundenlang Gedanken. Ich hoffe, du kannst kommen? Hugh wäre am Boden zerstört, wenn du nicht kommen könntest. Das wären wir alle. Ohne dich wäre es einfach nicht dasselbe«, fügte sie freundlich hinzu.
Adele presste die Lippen aufeinander. Das Gespräch verlief vollkommen anders als geplant. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, die ganze Sache zu unterstützen, zumindest nicht ohne gewisse Vorbehalte anzumelden. Aber wie konnte Rose auch nur ansatzweise davon ausgehen, dass sie, Adele, vielleicht überhaupt nicht käme! Auf die Party ihres geliebten kleinen Bruders. Von Rechts wegen hätten noch nicht einmal die ersten Vorbereitungen getroffen werden dürfen, ohne sie zuvor zu konsultieren. Sie war drei Jahre älter als Hugh und somit das älteste Mitglied der Familie Miller. Man hätte sie wirklich vorher fragen müssen. Was, wenn sie schon etwas anderes für den dritten Samstag im April vorgehabt hätte?
»Ich muss leider auflegen, Adele«, erklärte Rose mit ihrer leisen, weichen Stimme. Adele hatte sich schon oft gefragt, wie es Rose gelungen war, ihren Akzent vollkommen zu verlieren. »Ich kriege gerade einen anderen Anruf. Wahrscheinlich die Floristin. Danke, dass du so früh angerufen und Bescheid gegeben hast, das war wirklich lieb. Pass auf dich auf. Bis bald.«
Damit war das Gespräch beendet, und Adele war nicht weniger erbost als nach den meisten Gesprächen mit dieser ungeliebten Frau. Jetzt rief also tatsächlich die Floristin bei ihr an. Dabei hatte Rose in ihrer Jugend mit Floristen sicher nie etwas zu tun gehabt. Die Familie Miller hatte natürlich immer schon herrliche Blumenarrangements im Haus gehabt. Himmel, sie hatten sogar als Einzige in der ganzen Gegend ein Dienstmädchen gehabt. Rose hingegen war in einem halb verfallenen Haus in irgendeinem abgelegenen Kuhdorf in Wexford aufgewachsen, einem Haus mit löcherigem Dach und Wasserrohren aus einem anderen Jahrhundert. Im Hause Riordain hatte das Geld noch nicht mal für das Essen ausgereicht, weshalb also ganz sicher von Blumen nie auch nur gesprochen worden war. Einzig durch die Hochzeit mit Hugh hatte die gute Rose Zugang zu ihrer Welt bekommen. Adele starrte wütend auf das Telefon. Am liebsten hätte sie noch einmal angerufen und erklärt, Rose könne die Blumengestecke doch wohl selber machen, statt Geld für die Floristin zu vergeuden. Rose hatte einen wahrhaft grünen Daumen. Wie zu Ehren ihres Namens verwandelte sich der Garten ihres Hauses zu Anfang eines jeden Sommers in ein Meer aus Rosen. Die üppigen gelben Blüten passten ausgezeichnet zu den butterblumengelben Mauern, und auf dem niedrigen, skandinavischen Kaffeetisch im Wohnraum stand für gewöhnlich immer eine große, mit leuchtenden pinkfarbenen Knospen gefüllte Schale aus feinstem Porzellan. Rose brauchte nur einen handgepflückten Strauß achtlos in irgendein Gefäß zu stecken, und schon fiel jede Blume automatisch an den ihr zugedachten Platz. Genauso ging es ihr mit ihrem Aussehen, dachte Adele neidisch. Die älteste weiße Bluse wirkte an Rose Miller lässig elegant, und egal, ob sie ihre dunklen Haare geschickt zu einem weichen Knoten steckte oder sich mit einer schlichten Kette schmückte – stets wirkte sie tadellos gekleidet.
Adele hatte Jahre damit zugebracht, sich zu bemühen, Rose auch nur annähernd zu mögen. Was ihr trotz Roses gleichbleibender Freundlichkeit ihr gegenüber nicht leicht gefallen war. Der Umgang mit Freundlichkeit konnte wie der Umgang mit dem Glück anderer Menschen schwierig sein. Vor allem, wenn sich die Freundlichkeit wie im Fall der ungeliebten Schwägerin mit – wie Adele dachte – unverdientem Lebensglück verband. Rose hatte ein wunderbares Heim, mit Stella, Tara und Holly drei erwachsene Töchter, die ihr nie auch nur die geringsten Probleme bereitet hatten, und dank des guten Hugh nicht die geringsten finanziellen Sorgen.
Hugh, hatte Adele immer schon gedacht, war der wahre Grund für Roses wunderbares Leben. Adele betete ihren kleinen Bruder an. Er war so klug und freundlich. Er hatte aus der armen Rose, die sich mit einem trübsinnigen Job als Sekretärin über Wasser halten musste, eine Miller und somit eine Frau von großem Ansehen gemacht. Und jetzt feierten Hugh und Rose im großen Stil den vierzigsten Jahrestag ihrer Hochzeit. Es war wie eine Wiederholung ihrer Hochzeit, überlegte Adele verbittert und dachte an ihre Rolle als unscheinbare Brautjungfer neben der strahlend schönen Schwägerin zurück. Sämtliche Gäste hatten einzig Augen für die Braut mit den winzigen zartgelben Rosenknospen in der dunklen Haarwolke gehabt. Selbst Colin, Adeles damaliger Verehrer, hatte eine Bemerkung zu Roses attraktivem Aussehen gemacht.
»Der gute alte Hugh«, hatte Colin mit unverhohlener Bewunderung erklärt. »Er hat wirklich Glück, dass er ein solches Mädchen abbekommen hat.«
Adele hatte Colin nie verziehen, dass er nicht verstanden hatte, wie schmerzlich der Verlust des Bruders für sie gewesen war. Sie hatte Stunden damit verbracht, sich die Haare mit kleinen Spangen aufzustecken, damit ihr langer Schwanenhals vorteilhaft zur Geltung käme, und hatte sogar, obgleich ihr jede Eitelkeit verhasst war, etwas Rouge und korallenroten Lippenstift verwendet. Doch all das hatte nichts genützt. Rose hatte gestrahlt wie die sommerliche Sonne und hatte Adele ohne Absicht in den Schatten treten lassen, was ihr bis heute nicht verziehen worden war.
Versunken in derart trübsinnigen Gedanken, verlor Adele etwas von ihrer gewohnten starren Haltung. Ihr normalerweise kerzengerader Rücken sackte leicht in sich zusammen, und sie sank ermattet auf die verblichene Lehne eines alten Sessels. Wenn sie Colins Antrag vor all den Jahren angenommen hätte, hätte sie dann ebenfalls ein goldenes Leben und eine Familie gehabt wie Hugh und Rose? Colin war ein netter Mann gewesen, sanftmütig und freundlich. Nur dass er dem Vergleich mit ihrem Bruder einfach nicht standgehalten hatte. Das hatte bisher noch niemand. Sie hätte niemals einen Mann genommen, der Hugh nicht ebenbürtig war, doch inzwischen war es anders. Adele war schlicht und einfach einsam. Das Leben am Rand war kalt und öde, und sie hatte immer schon am Rand gestanden und die Leben anderer verfolgt, ohne je ein echter Teil davon zu sein. Rose hingegen hatte alles. Alles. Weshalb war das Glück ausgerechnet ihr, die doch erst durch ihre Heirat eine Miller hatte werden dürfen, derart hold gewesen, hatte Adele jedoch anscheinend immer übersehen?
Selbst der Herbststurm, dem Adeles Buchenhecke hatte zum Opfer fallen müssen, hatte den Garten der Schwägerin verschont. Und Rose hatte ihre geliebten Mädchen, die goldenen Miller-Girls. Die drei hatten eine wunderbare Kindheit und Jugend erlebt, und obgleich der Vater sie zweifellos verwöhnte, hatte jede von ihnen aus eigener Kraft etwas Vernünftiges aus sich gemacht.
Adele ging hinüber an den Schreibtisch, in dem sie ihre Briefmarken und ihren Block verwahrte, und verfasste eine Antwort auf die Einladung zur Party ihres Bruders. Der Telefonanruf hatte eher der Informationssammlung gegolten. Adele Miller war sehr gut erzogen, und zu einer Einladung in Schriftform gehörte ein ebensolcher Dank. Dies war die Art von Benehmen, die die gute Kinderstube eines Menschen zeigte, die Art von Benehmen, die jemand, der in irgendeiner Hütte in irgendeinem Kaff groß geworden war, ganz sicher nie verstand.
»Es wäre mir ein Vergnügen ...«, schrieb Adele so förmlich wie die Queen und seufzte leise auf. Trotz allem freute sie sich auf die Party. Partys bei Hugh waren immer unterhaltsam, und der vierzigste Hochzeitstag des Bruders würde bestimmt ein ganz besonders aufwändiges Fest. Natürlich würde sie sich die Haare machen lassen. Dieser Gedanke erfüllte sie mit Freude, sodass sie auf der Stelle mit der genauen Planung der Vorbereitungen begann.
Zwei Wochen vor Weihnachten im vorangegangenen Dezember
Rose Miller hasste Komitees. Was ziemliches Pech war, denn sie gehörte nicht nur einem, sondern gleich drei Ausschüssen an. Am schlimmsten war das Kinvarra-Wohlfahrtskomitee, und zwar aus dem einfachen Grund, weil die internen Streitereien so viel Zeit beanspruchten, dass kaum noch ein Moment für das Sammeln von Spendengeldern blieb. Diskussionen über die Größe der Buchstaben auf den Speisekarten für den jährlich stattfindenden Damen-Lunch und die Frage, ob man Rindfleisch oder besser Lachs servierte, hatten endlos lange Telefongespräche und bereits die beiden vorangegangenen Treffen des Komitees beherrscht, und wenn Rose nicht am Ende des letzten, stundenlangen Zusammenseins die Geduld verloren hätte, wären diese gravierenden Probleme sicher noch immer nicht gelöst.
»Ist es wirklich wichtig, wie die Speisekarten aussehen oder was genau wir essen?«, fragte sie und sprang dabei sogar auf die Füße, woraufhin die anderen Damen ängstlich ihre Kopien der Sitzungsprotokolle umklammerten. Es war äußerst ungewöhnlich, dass man die dunklen Augen der ehrenwerten Mrs. Rose Miller zornig blitzen sah. Sie arbeitete unermüdlich für die gute Sache und war nicht nur für ihr Organisationstalent, sondern auch für ihre Ruhe und Gelassenheit bekannt. Mit ihrer hoch gewachsenen, gertenschlanken Gestalt und dem für sie typischen, elegant aufgesteckten Haar war sie in ihrem Ärger eine geradezu prächtige Erscheinung. »Wir sind hier, um Geld zu sammeln, und nicht, um es zu vergeuden. Ist dies alles, was wir für die unterprivilegierten Menschen in unserer Gemeinde zustande bringen können? In einer gemütlichen Hotelbar rumzusitzen, literweise Kaffee zu schlürfen und Pralinen in uns reinzustopfen, während wir uns über irgendwelche Protokolle unterhalten?«
»Richtig«, quietschte Mrs. Freidland, die momentane Vorsitzende des Vereins, die entgegen dem mehrheitlichen Wunsch nach einer Vorspeise aus Riesengarnelen und einem Hauptgericht mit Lachs starrsinnig für einen fließenden Schrifttyp und Meeresfrüchtesuppe gefolgt von Rindfleisch eingetreten war. »Wir haben schon viel zu viel Zeit vergeudet; lassen Sie uns also den Streit beenden und endlich abstimmen.«
Rose, die von ihrem eigenen Ausbruch mindestens so überrascht war wie die anderen Damen, nahm vorsichtig wieder Platz und fragte sich wie jedes Jahr, weshalb sie nicht einfach aus dem Ausschuss austrat und stattdessen etwas weniger Stressiges, wie zum Beispiel Drachenfliegen oder Schwimmen zwischen Haien, in Angriff nahm. Doch jedes Jahr ließ sie ihren Namen wieder auf die Liste setzen, denn wenn sie das Komitee verließe, käme überhaupt kein Geld mehr für die Hilfsbedürftigen zusammen. Und es war ihr ein inneres Bedürfnis, anderen zu helfen. Sie war der festen Überzeugung, ein selbstsüchtig gelebtes Leben wäre nur ein halb gelebtes Leben. Einziges Problem war, dass für einige der anderen Mitglieder des Komitees Wohltätigkeit vor allem ein sichtbares Zeichen ihres hohen gesellschaftlichen Standes war.
Das Komitee »gastfreundliche Kirche« trat nur ein paar Mal im Jahr zusammen und war das problemloseste von allen, da es dort nur darum ging, jährlich ein paar Abendessen auszurichten oder ab und zu eine kleine Feier für einen Missionspriester, der auf Heimaturlaub war.
Das dritte Komitee, in dem Rose Mitglied war, war die Aktionsgruppe gegen die geplante Autobahn, die quer durch den Naturpark führen sollte, eine Gegend von ausnehmender Schönheit, inmitten derer ihr kleines Städtchen lag. Da neben ihr auch ein äußerst engagierter einheimischer Notar, mehrere prominente Geschäftsleute und drei Lokalpolitiker dem Ausschuss angehörten, wurde dort zumindest was getan. Doch die öffentlichen Treffen waren der totale Albtraum und endeten für gewöhnlich damit, dass das Komitee den Auftrag erteilt bekam, mindestens vier einander widersprechende Vorgehensweisen zu wählen, damit man seinem Ziel, der Verhinderung des Straßenbaus, endlich etwas näher kam.
Nach diesen Treffen brauchte Rose immer einen doppelten Gin Tonic, woraufhin Hugh ihr für gewöhnlich fröhlich grinsend erklärte, seiner Erfahrung mit öffentlichen Diskussionen zufolge wäre es vernünftiger, tränke sie nicht nach den Treffen etwas, sondern vorher.
Als einer der führenden Anwälte von Kinvarra hatte Hugh weitreichende Erfahrung mit Ehrenämtern jeder Art. Vor vielen Jahren war er sogar mal Bürgermeister des Ortes gewesen und hatte dadurch, wie er immer wieder lachend sagte, ein für alle Mal gelernt, dass man sich am besten stets aus allem raushielt. Auf dem Kamin stand ein Foto von ihm in seiner damaligen Amtstracht: hoch gewachsen, elegant und attraktiv mit seinem tadellos frisierten, silberdurchwirkten Haar, das seine hohe Stirn und seinen freundlichen Blick vorteilhaft betonte. Was die Kamera nicht festgehalten hatte, war das schalkhafte Blitzen seiner Augen, das besagte, dass er nichts gegen den Posten des Bürgermeisters hatte, dass ihm jedoch das schwere Geschmeide, das wie eine Kuhkette um seinen Nacken lag, eher lästig war.
»Es ist einfach unmöglich, in einem Viertel der Zeit wenigstens die Hälfte der Leute zufrieden zu stellen«, war sein weiser Ratschlag in Bezug auf Komitees. »Die Gespräche drehen sich immer wochenlang im Kreis. Und was öffentliche Versammlungen betrifft, so vergeudest du dort, solange nicht endlich jemand die Planer verklagt, einfach deine Zeit.«
»Wenn nötig, werden wir das tun«, antwortete Rose ihm hitzig. »Aber wir müssen uns als Gemeinde solidarisch zeigen. Wir können nicht einfach über uns bestimmen lassen. Ist dir der geplante Bau der Autobahn etwa egal?«
»Selbst wenn sie kommt, führt sie noch nicht mal in der Nähe unseres Grundstückes vorbei«, kam seine gelassene Antwort, und Rose gab für diesen Abend auf.
Manchmal konnte sie Hughs Pragmatismus einfach nicht verstehen. Sie selbst engagierte sich leidenschaftlich für alle Sachen, die ihr wichtig waren, egal, ob sie sie direkt betrafen oder nicht, Hugh hingegen ließ die Dinge nicht so nah an sich heran.
Die Mädchen waren alle so wie sie. Die achtunddreißigjährige Stella war Anwältin und arbeitete hart, um ihre wunderbare Tochter alleine aufzuziehen, doch hinter ihren strengen Kostümen verbarg sich eine leidenschaftlich-romantische Natur. Die sieben Jahre jüngere Tara war nicht anders: Als Königin der Debattierclubs in der Schule und auch noch am College hatte sie sich schon immer für alles, was sie interessierte, nach Kräften engagiert. Auch verliebt hatte sie sich ohne alle Vorbehalte und war zur Überraschung aller, die immer angenommen hatten, sie wäre ein eher unkonventioneller Typ und liefe, wenn ihr gerade danach zumute wäre, bestimmt eines Tages mit einem Rockstar oder irgendeinem anderen ausgeflippten Typen auf und davon, mit dem Computerverkäufer Finn Jefferson, nur sechs Monate nachdem sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte, vor den Traualtar getreten.
Und was Holly anging, mit siebenundzwanzig Jahren das Baby der Familie, wusste Rose mit Sicherheit, dass sie unter ihrer sanften Schale Leidenschaft und gleichzeitig Verletzlichkeit verbarg. Während jedoch Tara und Stella den Mut besaßen, für die Dinge zu kämpfen, die ihnen wichtig waren, war Holly eher verzagt. Rose hatte die heimliche Sorge, dass Holly ihretwegen ohne jedes Selbstbewusstsein war. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihrer geliebten jüngsten Tochter nie gerecht geworden war. Doch der Gedanke war zu schmerzlich, weshalb Rose Miller, die bekannt war dafür, dass sie alle Arten von Problemen mit ruhiger Entschlossenheit bekämpfte, ihn auch an diesem Tag verdrängte. Am besten, sie dächte gar nicht erst darüber nach.
Heute traf sich abermals das gefürchtete Wohlfahrtskomitee, und als Rose ihren Wagen vor Minnie Wilsons Doppelhaushälfte parkte, hatte sie plötzlich den Wunsch, eine wilde Einkaufstour zu unternehmen und das Treffen ganz einfach zu vergessen. Stattdessen tat sie, was von einem vernünftigen, angesehenen Mitglied der Gesellschaft erwartet wurde, überprüfte im Spiegel ihren Lippenstift, steckte eine lose Strähne ihrer dunklen Haare zurück in ihren eleganten Knoten und trug einen selbst gebackenen Zitronenkuchen den Weg hinauf in Richtung Haus.
»Rose, ist es schon so spät? Ich weiß überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf steht, hier herrscht das totale Chaos!«, schluchzte Minnie, als sie an die Tür kam.
Zähneknirschend zwang sich Rose zu einem Lächeln und betrat das Haus. Minnie musste mindestens so alt sein wie sie selbst, hatte jedoch das Gebaren eines aufgedrehten jungen Mädchens und geriet beim geringsten Anlass völlig aus der Fassung. Minnie war eine der Frauen, die sich so große Gedanken gemacht hatten über die Größe der Buchstaben auf den Speisekarten für den Wohltätigkeitslunch. Sie war vor drei Jahren nach der Pensionierung ihres Mannes nach Kinvarra gezogen und hatte sich mit einem Eifer den diversen Ausschüssen des Ortes angeschlossen, dass man hätte meinen können, sie wäre zeit ihres Lebens ein Mitglied der Gemeinde.
»Keine Sorge, Minnie, ich werde Ihnen helfen«, bot Rose ihr automatisch an. »Was soll ich tun?«
»Nun...«, begann Minnie mit vor Erregung schriller Stimme. »Der Tee ist bereits aufgesetzt, aber die Tassen stehen noch im Schrank. Und sehen Sie sich bloß mal meine Haare an ...«
Drachenfliegen, dachte Rose. Drachenfliegen war ganz sicher amüsanter als die Mitgliedschaft in diesem Komitee. »Warum machen Sie sich nicht einfach die Haare«, schlug sie mit ruhiger Stimme vor. »Und ich kümmere mich währenddessen um den Tee.«
Minnie flatterte nach oben, und Rose dachte grimmig, dass dem Zweck des Komitees besser gedient wäre, schickte jedes Mitglied einfach alljährlich einen Scheck an irgendeinen gemeinnützigen Verein. Dadurch würden sie das Geld für endlose Teestunden sparen, bei denen sie mindestens die Hälfte der Zeit mit dem Verteilen der Sitzplätze, dem Ausschenken der Getränke und dem Austeilen des Kuchens zubrachten, statt irgendetwas auch nur halbwegs Sinnvolles zu tun.
Rose holte die Tassen aus dem Schrank, war jedoch in Gedanken ganz woanders. Sie fragte sich häufig, wie sie in dieses Leben hineingeglitten war. Sie hatte sich nie danach gesehnt, eine Stütze der Gesellschaft und Hauptbeteiligte bei sämtlichen lokalen Veranstaltungen zu sein. Mit achtzehn hatte sie in einem modernen Büro in der Stadt arbeiten wollen, wo sie von den Menschen respektvoll als Miss Riordain angesprochen wurde und jede Woche pünktlich ihren Lohn bezahlt bekam. Der Respekt und das sichere Einkommen waren wichtig für sie gewesen. Auf der winzigen Farm des Vaters war das Geld nur unregelmäßig geflossen, weshalb man einem steten Wechsel zwischen mageren und sehr mageren Zeiten ausgeliefert gewesen war. Niemand hatte das Bedürfnis verspürt, der hübschen und intelligenten Tochter eines kleinen Bauern auch nur den mindesten Respekt zu zollen, und Rose war in dem Bewusstsein aufgewachsen, was für große Unterschiede es zwischen der Behandlung der Töchter des Arztes oder der großen Landbesitzer und dem Umgang mit ihresgleichen gab. Eines ihrer Hauptziele hatte demnach darin bestanden, sich den Respekt der anderen Menschen zu verdienen. Und mit einer sicheren Stelle und wöchentlichem Lohn käme vielleicht auch die Freiheit.
Als Sekretärin in einer Baufirma hatte sie die untere Stufe der Leiter schnell erklommen. Lernwillig und eifrig hatte sie sich der Aufgabe gewidmet, etwas aus sich zu machen. Sie hatte mit einer alten Schreibmaschine gekämpft, bis ihr die Nägel abgebrochen waren, und hatte bei ihrer Vorgesetzten gelernt, wie man sich am besten anzog. Und dann hatte sie Hugh getroffen, den attraktiven jungen Anwalt, der mit dem Sohn des Besitzers ihres Unternehmens befreundet gewesen war. Hugh kam aus einer Welt, in der man den Menschen niemals sagen musste, wie sie sich am besten kleideten oder welches Gericht man mit welcher Gabel aß. Aber für zwei verliebte Menschen waren solche Dinge vollkommen egal. Sie waren Seelenverwandte gewesen, und nichts anderes hatte noch gezählt. Die Liebe hatte Roses Lebensplan vollkommen verändert, und bereits zwei Jahre später war sie verheiratet und Mutter einer Tochter gewesen.
Hin und wieder fragte sie sich, was wohl aus ihr geworden wäre, hätte sie Hughs Antrag damals abgelehnt. Vielleicht wäre sie inzwischen eine erfolgreiche Geschäftsfrau und führte ein egoistisches, aufregendes Leben, statt sich hier in Kinvarra für andere zu engagieren, wo ihr Alltag in ihrer Arbeit in den Komitees, im Anruf beim Kundenservice, wenn der Kühlschrank einmal ausfiel, und im vorweihnachtlichen Packen der Präsentkörbe für die wichtigsten Klienten der Kanzlei ihres Ehemanns bestand.
Heute Abend nähmen sie gemeinsam an einer Benefizveranstaltung der Aktionsgruppe gegen die Armut in Kinvarra teil, deren Arbeit angesichts der jüngsten Entlassungswelle in den großen Fabriken der Umgebung noch wichtiger war als sonst. Ein elegantes Dinner mit den allerfeinsten Speisen und als Gäste sämtliche Honoratioren ihrer kleinen Stadt. Rose kleidete sich durchaus gerne elegant, manchmal jedoch langweilte sie das höfliche Geplänkel, das ein integraler Bestandteil von solchen Festen war. Hugh hingegen fand derartige Abende durchaus amüsant.
Sie lenkte ihre Gedanken in die Gegenwart zurück.
Sie wären zu siebt, also nahm sie sieben Tassen und Untertassen aus dem Schrank, weil Minnie immer auf feinem Porzellan statt auf Tonbechern bestand. Sie goss Milch in eine Kanne, suchte nach dem Zucker, schnitt ihren Zitronenkuchen in gleichmäßige Stücke und hatte alles fertig, als Minnie aus dem Schlafzimmer herunterkam.
»Oh Rose, Sie sind einfach ein Schatz«, flötete Minnie, als sie alles sah. »Ich weiß wirklich nicht, was wir ohne Sie täten.«
Rose wollte etwas in der Richtung sagen, dass das bisschen Hilfe kein Problem gewesen wäre, als sie Minnie zum ersten Mal seit ihrem Kommen richtig ansah. Minnies ansonsten so rosiges Gesicht (»Jeden Morgen Wasser und Seife, weiter nichts!«, pflegte sie sich zu brüsten.) wirkte grau und eingefallen, und ihre verräterisch verquollenen Augen zeigten, dass mehr dahinter stecken musste als die normale Müdigkeit, die jeden einmal überkam.
»Ist alles in Ordnung, Minnie?«, fragte sie mit sanfter Stimme, und Minnie blickte in das Gesicht der Frau, für die sie seit ihrem Umzug nach Kinvarra ehrfürchtige Bewunderung empfand. Rose wirkte wie eine der eleganten Berühmtheiten, die man sonst im besten Fall im Fernsehen zu sehen bekam. Elegant, damenhaft und immer tadellos frisiert. Sie sah aus wie die arme, verstorbene Jackie Kennedy. Minnie hatte in ihrem ganzen Leben nie etwas mit Menschen aus den so genannten besseren Kreisen zu tun gehabt, doch sie erkannte sie, wenn sie sie sah, da war sie sich ganz sicher. Und Rose Miller stammte eindeutig aus einem wirklich guten Haus. Außerdem war sie freundlich, und zwar zu dem Mädchen, das ihr im Pub den Tee servierte, nicht weniger als zu Celia Freidland, der Vorsitzenden ihres Komitees.
Vor allem, weil auch Rose erscheinen würde, hatte Minnie ihr Haus extra für das Treffen auf Vordermann gebracht. Roses Gatte war ein sehr wichtiger Mann, sie hatte ein wunderschönes Haus in der teuersten Wohngegend der Stadt, und sie hatte drei wunderbare Töchter. Immer, wenn Minnie Rose begegnete, empfand sie das Bedürfnis, einen möglichst guten Eindruck bei ihr zu hinterlassen.
»Minnie«, fragte Rose noch einmal. »Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist? Haben Sie vielleicht irgendein Problem?«
Minnie schüttelte den Kopf. »Es ist nichts weiter«, sagte sie. »Ich bin einfach etwas müde, das ist alles. So, die anderen Mitglieder des Komitees müssten jeden Moment kommen.« Ihr Lächeln war eine Spur zu fröhlich. »Ich nehme an, es ist alles bereit?«
»Ja«, erklärte Rose ihr freundlich. Minnie war eindeutig mehr als nur ein wenig müde, doch wenn sie nicht darüber reden wollte, würde sie sie nicht bedrängen.
Die Haustürglocke schrillte, Minnie machte auf und begrüßte ihre Gäste mit so gut gelaunter Stimme und einem derart breiten Lächeln, als ginge es ihr bestens.
Dieses Mal mischte sich Rose kaum in das Geplänkel der anderen Damen ein. Sie war stiller als gewöhnlich, und das Treffen zog sich bis halb sechs hin, als alle plötzlich überrascht erklärten, dass die Zeit wie immer viel zu schnell vergangen wäre und sie dringend heim müssten, um ihre Familien zu bekochen. Rose drückte Minnie beim Abschied auf der Schwelle bedeutungsvoll die Hand.
»Bitte rufen Sie mich an, falls Sie jemanden zum Reden brauchen«, wisperte sie leise und wandte sich zum Gehen.
Auf dem Weg nach Hause bekam Rose Minnie Wilson einfach nicht aus dem Kopf. Irgendetwas war mit ihr eindeutig nicht in Ordnung, und Rose hätte gern etwas getan, um ihr zu helfen. Arme Minnie. Als sie über deren Unglück nachsann, dachte sie unweigerlich erneut auch an ihr eigenes Leben und daran, wie glücklich es doch verlaufen war.
Adele erklärte häufig knurrend, Rose hätte einfach jede Menge Glück auf ihrem Lebensweg gehabt. Und Adele hatte recht. Seit Jahrzehnten war das Glück ihr hold.
Niemand könnte stolzer sein auf ihre Töchter als sie selbst. Sie waren einfach drei ganz besondere Frauen. Und auch ihre Enkelin Amelia betete sie an. Amelia hatte eine Art, sie mit ihren großen, ernsten Augen anzublicken und Dinge zu fragen wie: »Oma, werdet du und Opa noch ein Baby bekommen, damit ich mit ihm spielen kann?«
Stella hatte vor Lachen gebrüllt, als Rose ihr davon berichtet hatte.
»Und, was hast du darauf erwidert?«
»Ich habe gesagt, wir dächten darüber nach, uns ein kleines Hündchen zuzulegen und gefragt, ob das vielleicht genügt.«
»Oh nein«, hatte Stella geseufzt. »Einen Hund will sie noch lieber als eine kleine Schwester, und sie wird ganz sicher dafür sorgen, dass du das nicht vergisst.«
Wenn doch Stella nur einen Partner hätte. Tara war glücklich mit ihrem Finn, glücklicher als Rose jemals für möglich gehalten hätte, und der Gedanke an ihre verheiratete zweite Tochter weckte in ihr den Wunsch, dass auch Stella endlich einen Menschen fände, der für sie und ihre Tochter da war. Sie hätte alles dafür gegeben, damit Stella dieses Glück erlebte. Nicht, dass sie ihr das jemals sagen würde. Aber eine Mutter durfte schließlich hoffen.
Und was Holly anging: Nun, Holly sprach niemals offen über ihre Wünsche. Rose tat ihr Möglichstes, um unauffällig für sie da zu sein, falls sie sie jemals brauchte, doch ihre jüngste Tochter hatte dem Leben in Kinvarra den Rücken zugekehrt, und Rose hatte es in dem verzweifelten Bedürfnis, ihr zu helfen, klaglos akzeptiert. Vielleicht war Holly ja sogar glücklich? Man konnte nie wissen, oder?, dachte Rose.
Hugh war der Ansicht, Rose sollte endlich aufhören, sich Sorgen zu machen über ihre Kinder. »Sie sind moderne Frauen, und führen sie nicht alle wunderbare Leben?«, erklärte er ihr immer wieder voller Stolz. Wenn die Mädchen nach Hause nach Kinvarra kamen, führte er sie immer gern, um mit ihnen anzugeben, wie Rose spöttisch sagte, in ein Restaurant.
»Es überrascht mich, dass du noch keinen Töchter-Wettkampf inszeniert hast«, hatte sie einmal gestichelt. »Etwas, bei dem alle in Kinvarra ihre Töchter ins Rennen schicken können, um zu sehen, welche denn nun wirklich die allerbeste ist.«
»Ein guter Gedanke«, hatte er erwidert. »Du sagst doch immer, dass du genug hast davon, Wohltätigkeitsbälle und Kuchenverkäufe zu organisieren. Ein Rennen wäre mal was anderes und vor allem sicher amüsant.«
Der gute Hugh. Sein Sinn für Humor war etwas Wunderbares, auch wenn er sie mit seinem Talent, in ihrem Haus ständig ein Chaos anzurichten, ohne sich je die Mühe zu machen, es auch wieder zu lichten, regelmäßig an den Rand des Wahnsinns trieb. Egal, wie oft sie ihn bereits dafür gescholten hatte, ließ er nach dem Duschen mindestens drei durchnässte Handtücher sowie eine offene Duschgelflasche im Badezimmer zurück, deren Inhalt eine dicke klebrige Spur bis in die Wanne zog. Doch trotz allem liebte sie ihn von Herzen und hielt ihn vor allem für einen wunderbaren Vater. Natürlich hatten sie auch schlechte Zeiten miteinander erlebt. Aber Rose hatte die Stürme halbwegs schadlos überstanden und dächte am besten einfach gar nicht mehr daran zurück. Sie hatte wirklich Glück.
Das weitläufige Haus lag in völliger Dunkelheit, als Hugh Miller am Abend heimkam. Früher einmal war Meadow Lodge ein heruntergekommenes Bauernhaus gewesen, flankiert von halb verfallenen Heuschobern, mit einer Jauchegrube direkt unter dem Küchenfenster und Schafen, die zufrieden im Garten geweidet und die Umgebung nach Kräften gedüngt hatten. Nach dem Kauf des Anwesens vor nunmehr vierzig Jahren hatten Hugh und Rose die schäbigen Wirtschaftsgebäude abreißen lassen, einen ordentlichen und vor allem für Schafe gesperrten Garten angelegt und das gesamte Haus von Grund auf modernisiert. Niemand, der das Anwesen heute sah, wäre auf den Gedanken gekommen, dass es jemals etwas anderes gewesen war als ein wohl proportioniertes Wohnhaus mit hübschen, großen Zimmern, einer riesigen, behaglichen Küche und einer ordentlichen Gasheizung, die einen die häufig über die Midlands und Kinvarra hinwegfegenden kalten Winde vergessen ließ. Rose hatte das Haus mit bequemen Sofas, luxuriös wirkenden hellen Möbeln, jeder Menge Bilder und Lampen eingerichtet, deren Licht einen sanft goldenen Schimmer auf jedes einzelne der von ihr ausgesuchten, ungewöhnlichen Dekorationsstücke auf den Tischen und an den Wänden warf.
Wie immer mit Papieren und Aktentasche beladen, entriegelte Hugh die Haustür, drückte sie mit der Schulter auf und schaltete die Deckenbeleuchtung der Eingangshalle ein. Er fragte sich, wo Rose steckte. Es sah ihr gar nicht ähnlich, ihn nicht abends zu Hause zu erwarten. Selbst wenn sie am Abend eines ihrer Treffen hatte, ging sie nur selten, bevor er heimkam, und wenn keiner von ihnen beiden ausging, hatte sie normalerweise immer etwas Köstliches für ihn gekocht. Aus diesem Grunde war es seltsam, in ein dunkles, kaltes Haus zu kommen, vor allem, da es bis zum Beginn der Abendveranstaltung, zu der sie geladen waren, nicht mehr viel Zeit war.
Er ließ seine Sachen fallen, warf seinen dicken schafledernen Mantel über einen Stuhl, die Wagenschlüssel, ohne auch nur einen Gedanken darauf zu verschwenden, dass dadurch vielleicht das Holz Kratzer abbekommen würde, achtlos auf den Tisch und ging hinüber in den großen, gelb gestrichenen Wohnraum.
Statt sich die Mühe zu machen, die Vorhänge zu schließen oder auch nur eine der von Rose geliebten orientalischen Tischlampen einzuschalten, machte er auch hier einfach die Deckenlampe an, warf sich in seinen Sessel, legte seine langen Beine, da niemand in der Nähe war, um sich darüber aufzuregen, auf den Couchtisch und lehnte sich zurück um in Ruhe die Nachrichten anzusehen.
Als Rose eine halbe Stunde später heimkam, hatte er sich kein einziges Mal auch nur bewegt. Sie schaltete die warme Flurbeleuchtung ein, die Deckenlampe aus und legte seine Schlüssel in die cremefarben glasierte Tonschale, in der sie, wenn er sie nicht benutzte, ihr Dasein fristeten.
Immer noch starrte Hugh reglos auf den Bildschirm.
Rose schluckte ihren Ärger herunter, als sie in den Wohnraum kam und auch dort die grelle Deckenlampe brannte. Wenn offene Vorhänge ihr größtes Problem waren, dann ging es ihr tatsächlich gut. Wortlos zog sie die schweren, primelgelben Vorhänge zusammen und sorgte für gedämpftes Licht. Das alles dauerte nicht mehr als ein paar Sekunden. Weshalb also ließen sich die Männer nie dazu herab, es auch einmal zu tun? Waren sie, nur weil sie früher einmal Jäger und Sammler gewesen waren, für alle Zeit von jeder Hausarbeit entbunden?
»Wie geht’s?«, fragte ihr Gatte, ohne dabei auch nur den Blick von der Mattscheibe zu wenden.
»Gut«, antwortete Rose. »Wir müssen in einer Stunde los. Ich mache noch schnell einen Tee und dann gehe ich duschen.«
»Oh, eine Tasse Tee wäre wirklich schön.«
Weshalb hast du dir dann nicht einfach selbst welchen gekocht?, dachte Rose erbost, unterdrückte jedoch gerade noch zur rechten Zeit eine entsprechende Bemerkung. Aus irgendeinem Grund hatte sie heute Abend einfach schlechte Laune. Besser, sie riss sich zusammen. Schließlich hatte sie ganz sicher keinen Grund zu jammern. Doch als sie in die dunkle Küche ging, um das Wasser aufzusetzen, sagte sie sich, dass ihr werter Gatte sie, auch wenn sie alles Glück der Welt in ihrem Leben gehabt zu haben schien, manchmal trotzdem beinahe in den Wahnsinn trieb.
Kaum war der Tee gekocht, klingelte das Telefon.
»Hallo Mum«, drang Taras gut gelaunte Stimme aus dem Hörer. »Wie geht’s?«
Als Rose die Stimme ihrer zweiten Tochter hörte, begann sie unweigerlich zu strahlen. Tara war einer der Menschen, für die ein Glas immer halb voll war, und es war einfach unmöglich, in ihrer Nähe unglücklich zu sein. »Bestens, Tara, meine Liebe, und wie geht es dir?«
»Wunderbar. Finn und ich sind gerade auf dem Sprung zu einer Film-Premiere, aber er hat gerade noch einen Anruf von der Arbeit bekommen, und deshalb dachte ich, ich rufe schnell mal an.«
»Klingt, als würde es ein interessanter Abend werden«, sagte Rose, hielt in einer Hand das Telefon und füllte mit der anderen zwei große, getöpferte Becher mit dampfend heißem Tee.
»Ich wünschte, dass es so wäre«, seufzte Tara. »Aber es ist nur eine langweilige Schwarz-Weiß-Billigproduktion, zu der einer von meinen ehemaligen Kollegen das Drehbuch geschrieben hat.« Tara selbst schrieb Drehbücher für die Fernseh-Seifenoper National Hospital, die eine Art Dauerbrenner war. »Wir alle wurden praktisch hingezwungen. Ich fürchte allen Ernstes, dass Finn mittendrin einschlafen wird«, erklärte Tara lachend. »Du weißt ja, wie er sein kann, wenn er was anderes als Fußball, Autorennen oder einen Film mit Cameron Diaz anschauen muss.«
»In anderen Worten, er ist nicht anders als dein Vater«, antwortete Rose und schenkte lächelnd genau die richtige Menge Milch in den Tee ihres Mannes. »Weshalb heiraten Frauen nur immer wieder ihre Väter?«
»Weil es Zeit spart«, meinte Tara. »Und, was treibst du Schönes?«
»Nichts Besonderes. Heute Morgen bin ich im Supermarkt gewesen, heute Nachmittag hatte ich ein Treffen des Wohlfahrtskomitees, und heute Abend ist die Gala der Aktionsgruppe zur Bekämpfung der Armut.«
»Ich hoffe, dass du den Millerschen Familienschmuck anlegst«, scherzte ihre Tochter.
»Aber natürlich«, meinte ihre Mutter. Der Familienschmuck der Millers bestand aus altmodischen Ohrringen und einem winzigen und furchtbar hässlichen Collier, die Tante Adele in Verwahrung hatte und von denen sie ständig erklärte, sie würde sie bei ihrem Tod einer ihrer Nichten hinterlassen, was für die jungen Frauen weniger ein Grund zur Freude als vielmehr dauerhaftes Schrecknis war.
»Nein«, verbesserte sich Rose. »Ich weiß noch gar nicht, was ich anziehen soll, und dabei müssen wir spätestens in einer halben Stunde los.«
»Schäm dich«, schalt Tara ihre Mutter scherzhaft. »Sie alle werden sich die Mäuler darüber zerreißen, wenn du nicht in irgendeinem ganz besonders tollen Outfit dort erscheinst. Hast du nicht irgendwas, das möglichst bis zum Bauchnabel ausgeschnitten ist, und mit dem du sie alle derart in Erstaunen versetzen kannst, dass sie vollkommen vergessen, beim Spenden zurückhaltend zu sein?«
»Ich versuche gerade, mich von meinem bisher eher verruchten Erscheinungsbild zu lösen«, erwiderte Rose mit ernster Stimme. »Außerdem habe ich ganz einfach nicht mehr den Busen für ein wirklich tiefes Dekolleté.«
»Schade«, lachte Tara. »Ich muss allmählich los, aber kann ich noch kurz Daddy sprechen?«
Hugh, der einen Sensor dafür hatte, wenn eine seiner geliebten Töchter anrief, hatte bereits den Hörer des Telefons im Hausflur in der Hand.
»Hallo, Tara«, begrüßte er sie fröhlich. »Und, welche wahnsinnigen Sexszenen hast du dir diese Woche ausgedacht, um uns arme Fernsehzuschauer aufs Neue zu schockieren?«
Selbst Rose, die bereits auf dem Weg die Treppe hinauf in Richtung Bad war, hörte Taras gespielt erbostes: »Da-ad!«
»Sie ist bestens in Form«, bemerkte Hugh, als er ein paar Augenblicke später das Schlafzimmer betrat und seine Krawatte abnahm.
»Ja, sie ist wirklich glücklich«, antwortete Rose, die vor der verspiegelten Schranktür stand und versuchte, den Reißverschluss eines perlenbesetzten, cremefarbenen Abendkleids zu schließen.
Er kam durch den Raum geschlendert und warf seine Krawatte achtlos auf das Bett.
»Hast du heute mit Stella gesprochen?«, wollte er von ihr wissen, während er den Reißverschluss mit einem kurzen Ruck bis ganz nach oben zog.
»Heute nicht«, erwiderte seine Gattin. »Sie sagte, sie hätte heute jede Menge zu tun. Außerdem hat sie schon die ganze Woche Probleme mit dem Nacken. Vielleicht rufe ich sie kurz noch an.«
»Tu das.« Hugh verzog den Mund zu einem Grinsen und stieg eilig aus seinen Kleidern, während Rose am Rand des Bettes Platz nahm, Stellas Nummer wählte, sich den Hörer zwischen Kopf und Schulter klemmte und anfing, sich die Nägel zart pinkfarben zu lackieren.
»Hallo, Amelia«, sagte sie fröhlich, als endlich jemand abnahm. »Ich bin’s, Oma. Als keiner an den Apparat kam, dachte ich schon, du und Mami wärt vielleicht gar nicht da.«
»Mami liegt in der Badewanne. Sie hat einen steifen Nacken«, erklärte Amelia ihr ernst. »Und Tante Hazel hat ihr irgend so ein blaues Zeug gegeben, das sie ins Badewasser gießen sollte.«
»Arme Mami«, sagte Rose mit mitfühlender Stimme. »Sag ihr, dass sie bloß nicht aus der Wanne steigen soll.«
»Sie ist schon hier«, verkündete die Enkelin. »Und sie tropft den ganzen Boden nass.«
»Tut mir Leid, mein Schatz«, entschuldigte sich Rose, als Stella an den Apparat kam. »Ich habe Amelia gesagt, dass du in der Wanne bleiben sollst.«
»Ich hätte sowieso rauskommen müssen«, antwortete Stella. »Andernfalls wäre ich Gefahr gelaufen, noch im Wasser einzuschlafen.«
»Was macht der Nacken?«
»Ein bisschen besser«, meinte Stella. »Erst hat er nur ein bisschen gezogen, aber heute tut er richtig weh. Vorhin konnte ich ihn überhaupt nicht mehr bewegen, aber Amelia hat mich hervorragend gepflegt, nicht wahr, Schätzchen?«
Aus dem Hintergrund drang Amelias stolzes »Ja«.
»Hast du noch etwas von dem entzündungshemmenden Mittel, das du letztes Mal genommen hast?«, fragte Rose besorgt. »Wenn nicht, denk dran, dass du ein paar von den Tabletten hier gelassen hast. Wenn du willst, bringe ich sie dir morgen vorbei.« Von Kinvarra bis zu Stellas Haus in Dublin war es eine Stunde Fahrt, aber Rose hatte der Weg noch nie auch nur das Geringste ausgemacht.
»Das wäre wirklich toll«, erwiderte Stella. »Ich habe nämlich wirklich nichts mehr da. Aber bist du sicher, dass du die Fahrt auf dich nehmen willst? So kurz vor Weihnachten herrscht sicher ein grässlicher Verkehr.«
Rose verzog den Mund zu einem Lächeln. »Wozu sind Mütter denn wohl da?«
»Kann ich auch kurz mit ihr reden?«, mischte sich Hugh in das Gespräch.
Rose hob einen Finger zum Zeichen, dass sie selbst noch nicht ganz fertig war. »Sag, wann soll ich kommen? Wenn ich gegen zehn Uhr da bin, kannst du wieder ins Bett gehen, und ich fahre Amelia zum Schwimmen.«
»Oh Mum, das wäre wirklich wunderbar«, sagte Stella dankbar. »Aber ich habe ein wirklich schlechtes Gewissen ...«
»Unsinn. Du brauchst einfach mal eine kurze Pause«, widersprach ihre Mutter ihr entschieden. »Und jetzt gebe ich dir deinen Vater.«
Rose und Hugh tauschten die Plätze.
»Ich komme mit«, erklärte Hugh seiner Tochter. »Amelia geht nämlich gern mit ihrem Großvater ins Schwimmbad.«
Während er sich mit ihrer ältesten Tochter unterhielt, hängte Rose seine Krawatte ordentlich in den Schrank, hob sein Hemd vom beigefarbenen Teppichboden auf und warf es in den Korb für die schmutzige Wäsche. Ordnung in ihrem Schlafzimmer zu halten, war wirklich kein Problem. Da sie Hughs ausgeprägten Hang zum Durcheinander kannte, hatte sie das Zimmer in einer Weise eingerichtet, die möglichst wenig Fläche zum Ablegen von irgendwelchen Sachen bot. Außer dem großen, unter einer zimtfarbenen Tagesdecke versteckten Bett gab es nur noch einen ebenfalls zimtfarben bezogenen Hocker sowie zwei helle Holzschränke, auf denen neben holzgerahmten Fotos ihrer Mädchen jeweils eine hübsche Lampe von ihr aufgestellt worden war. Ihr Parfüm und ihr Make-up verwahrte Rose in dem großen Schrank unter dem Waschbecken im angrenzenden Bad. Die schlichten Linien des Raumes empfand sie als beruhigend und entspannend. Abgesehen von den Fotos der Familie und den vier großen Orchideen-Aquarellen an den Wänden gab es nichts, was einen Menschen daran hinderte zu schlafen. Hugh hatte einen Fernseher im Zimmer haben wollen, doch dagegen hatte sie sich vehement gewehrt. Schlafzimmer waren zum Schlafen da und sonst zu nichts.
Augenblicklich erschien ihr der Gedanke, sich jetzt einfach hinzulegen und zu schlafen, als sehr verführerisch. Rose wünschte sich, sie gingen heute Abend nicht noch einmal aus. Sie wäre lieber früh zu Bett gegangen und morgen zeitig nach Dublin aufgebrochen. Ein schlichtes Abendessen auf einem Tablett wäre jetzt einfach herrlich.
Hugh verabschiedete sich von seiner Tochter und legte fröhlich auf.
»Versuch es doch auch noch bei Holly«, rief Rose aus dem Badezimmer zu ihm hinüber. Sie hatte seit einer Woche nicht mehr mit Holly gesprochen, und auch wenn das nicht weiter ungewöhnlich war, machte sie sich trotzdem unweigerlich Gedanken, wenn von ihrer Jüngsten tagelang kein Lebenszeichen kam.
»Niemand da«, sagte Hugh nach einem Augenblick. »Und der Anrufbeantworter springt wieder mal nicht an. Vielleicht kaufe ich ihr zu Weihnachten einen neuen. Auf das alte Ding, das sie jetzt hat, ist einfach kein Verlass.« Er wählte eine andere Nummer. »Nicht mal ihr Handy hat sie eingeschaltet. Hallo Holly, hier ist Dad. Kannst du dich noch an mich erinnern? Väterlicher, grauhaariger Typ, den du seit, oh, siebenundzwanzig Jahren kennst. Ich rufe nur an, um hallo zu sagen. Auch deine Mutter lässt dich grüßen. Ich nehme an, dass du unterwegs bist und dich prächtig amüsierst. Sicher wieder irgendeine wilde Party. Ich rufe am Wochenende noch mal an, Schätzchen, bis dann.«
Er legte seufzend auf. »Weshalb ruft Holly eigentlich nie zurück?«
»Sie genießt ihr Leben«, antwortete Rose ihm automatisch. »Sie hat durchaus das Recht, auszugehen und sich zu amüsieren, ohne dass sie dabei ständig an uns denkt. So sind die jungen Frauen heutzutage nun einmal.« Nun, sie wollte zumindest hoffen, dass ihre jüngste Tochter das Leben in der Stadt tatsächlich genoss.
»Ich schätze, du hast Recht.«
Im Bad vollführten Hugh und Rose den vielfach geprobten Tanz zweier Menschen, die seit vierzig Jahren ein und dasselbe Badezimmer teilten. Während Rose sich vor dem Spiegel ihre Lippen schminkte, ließ Hugh Wasser zum Rasieren in das Becken.
Im grellen Licht des Bads bemerkte Rose die unzähligen kleinen Falten um ihre Augen. Wäre es wohl anders, wenn sie wie viele andere täglich eine dicke Cremeschicht aufgetragen hätte? Aber im Grunde waren ihr die Falten vollkommen egal. Sie fühlte sich durchaus wohl in ihrer Haut. Jetzt überließ sie Hugh seinem Rasierer, kehrte auf der Suche nach einer kleinen Abendtasche ins Schlafzimmer zurück und plante bereits in Gedanken ihre Fahrt nach Dublin. Dann nahm sie die schmutzige Wäsche aus dem vollen Korb, ging hinunter in die Küche und stopfte sie in die Maschine. Dank der Gespräche mit ihren geliebten Töchtern hatte sie endlich wieder gute Laune.
Stella hatte so dankbar geklungen, weil Rose sie besuchen kommen würde, in Wahrheit jedoch war Rose ganz einfach glücklich, wenn sie Stella und die kleine Amelia sehen durfte und wenn es ihr obendrein gelang, ihrer geliebten größten Tochter, wenn auch nur mit einer Kleinigkeit, behilflich zu sein. Rose gab sich stets die größte Mühe, nicht zu klammern. Sie ließ ihre Töchter ihre eigenen Leben leben, weshalb sie doppelt glücklich war, weil sie sich über jedes Treffen freuten.
Die Küche von Meadow Lodge war für Rose der schönste Raum im ganzen Haus. Wahrscheinlich, weil sie sich kaum verändert hatte, seit Stella, Tara und Holly am dem blank geschrubbten Kieferntisch stöhnend über ihren Matheaufgaben gesessen hatten. Die Wände waren noch in demselben Entenei-Blau gestrichen, auf dem Boden lagen immer noch dieselben Terrakotta-Fliesen, neben dem schäbigen Zweisitzer-Sofa lag immer noch derselbe, wenn auch inzwischen leicht verschlissene, einst leuchtend rote kleine Teppich, und die Schränke hatten sich einzig dergestalt verändert, dass im Verlauf der Jahre immer wieder einmal eine neue cremefarbene Lackschicht aufgetragen worden war. Die Kindergemälde, die jetzt an der Tür des Kühlschranks hingen, waren statt von ihren Töchtern von Amelia, und an der Wand mit dem Familienfotos war nicht mehr das kleinste Fleckchen Platz. Inzwischen war auch Tara als strahlende Schönheit in ihrem eleganten Hochzeitskleid von Amanda Wakeley dort zu sehen, die normalerweise kamerascheue Holly, die sich auf der Abschlusszeremonie des Colleges in ihrem Kostüm nicht wohl zu fühlen schien, und eine wunderschöne schwarz-weiße Porträtaufnahme von Stella und Amelia, die von ihrer Freundin Hazel aufgenommen worden war.
Rose stellte die Waschmaschine auf vierzig Grad und sah sich auf der Suche nach einer weiteren Beschäftigung in der Küche um. Der heutige Abend würde sicher nicht so schlimm, sagte sie sich entschieden. Die Gespräche mit den Mädchen hatten eine belebende Wirkung auf sie gehabt. Außerdem gab es sicher jede Menge Leute, die es lieben würden, in einem eleganten Kleid zu einer eleganten Abendveranstaltung zu gehen. Sie hatte wirklich Glück, in derart angesehenen Kreisen zu verkehren. Sie hatte einfach in allen Dingen Glück. Das gaben ihr immer wieder alle möglichen Menschen zu verstehen. Aber schließlich war es eine Sache, wenn das Leben eines Menschen perfekt wirkte, jedoch etwas völlig anderes, wenn es das tatsächlich war. Der äußere Anschein konnte trügen. Dafür war Minnie Wilson das allerbeste Beispiel: Hinter ihrer strahlenden Fassade verbarg sie irgendein unbekanntes Unglück.
Rose fragte sich, ob vielleicht das Leben jedes Menschen hinter der Fassade ein gänzlich anderes war?
Am folgenden Montag dachte auch Stella Miller, wie wichtig doch die äußere Erscheinung eines Menschen war, während sie geduldig im Juweliergeschäft auf einen Verkäufer wartete. Bis Weihnachten waren es nur noch zehn Tage, und da die ganze Welt auf der Suche nach Geschenken war, drängten sich in den Straßen Horden schlecht gelaunter Menschen, denen es egal war, wenn das Auge eines entgegenkommenden Passanten der Spitze ihres Regenschirms zum Opfer fiel. Wer zum Teufel hatte sich je den Ausdruck »Weihnachten, die Zeit der Besinnung« ausgedacht?
Stella war genau zur selben Zeit durch die Tür des Juweliergeschäfts getreten wie das teuer gekleidete Paar, das augenblicklich von dem einzig freien Verkäufer, der aufgrund seines siebten Sinns für Leute, die im Begriff standen, jede Menge Kohle auszugeben, zielstrebig auf sie zugetreten war, die Verlobungsringe vorgeführt bekam.
Der Mantel der Frau war aus reinem Kaschmir und roch regelrecht nach Geld. Stella dachte an ihren eigenen Mantel, der bestenfalls den Duft von Qualitätsware verströmte und der vor zwei Jahren im Ausverkauf von ihr erstanden worden war. Aber das Warten machte ihr nichts aus. Sie hatte bereits vor langer Zeit beschlossen, dass das Leben leichter war, wenn sie auf die kleinen Unpässlichkeiten eher gelassen reagierte.
Sie lehnte sich gegen den Tresen und verfolgte die Vorführung der Ringe. Die Augen des Verkäufers glänzten, als er in die Hauptauslage des Geschäftes griff und ehrfürchtig mit seinem Fingern über die hellgraue Samtunterlage strich. Kissen Nummer 1, Ruhestätte der feinsten Diamantringe des gesamten Ladens.
Er trug das Kissen so vorsichtig, als wäre es eine kostbare Antiquität und er selbst Indiana Jones, hinüber an den Tresen und machte für den Fall, dass jemand es wagen sollte, sich das Stück einfach zu schnappen und mit makellosen Diamanten im Wert von mehreren Millionen aus dem Haus zu stürzen, diskret die kleine Stahlkette an dem extra zu diesem Zweck in den Tisch eingelassenen kleinen Haken fest.
Die Kunden seufzten, erleichtert, endlich die perfekten Verlobungsringe ausfindig gemacht zu haben. Sie waren vollkommen begeistert. Auch der Verkäufer gestattete sich einen Seufzer, als er daran dachte, welche Provision er für den Verkauf bekam.
»Würde die gnädige Frau ihn vielleicht gern mal anprobieren?«, fragte er mit hoffnungsvoller Stimme.
Stella stand nahe genug, um sich die fünf Ringe auf dem grauen Samtbett, von denen einer heller strahlte als der andere, ebenfalls genau ansehen zu können. Der Ring in der Mitte gefiel ihr am besten. Sie hatte ihn bereits vor einer Woche im Schaufenster gesehen, als sie nach einem gemeinsamen Mittagessen mit einer Freundin die Straße entlanggelaufen war. Bis Weihnachten waren noch über vierzehn Tage Zeit, aber Stella gehörte zu den Menschen, die selbst ihre Unterwäsche der Farbe nach sortierten und den Inhalt ihrer Tiefkühltruhe einmal im Monat genauestens überprüfte, weshalb in ihren Augen der Einkauf von Weihnachtsgeschenken weniger als eine Woche vor dem großen Tag allzu verwegen war.
Ihre Mutter liebte diese hübsch bemalten, emaillierten Pillendöschen, und Stella wollte etwas ganz Besonders für sie erstehen, als Dank für das Wochenende, an dem Rose zusammen mit Hugh bei ihr erschienen und mit Amelia schwimmen gegangen war. Rose hatte einen Korb mit Bio-Eiern, frisch gebackenem Brot und jeder Menge ihrer besonderen Fruchtbrötchen neben den wunderbaren entzündungshemmenden Tabletten mitgebracht, dank derer ihr Nacken tatsächlich innerhalb weniger Tage schmerzfrei gewesen war. Rose hatte mehr als eine gewöhnliche Pillendose verdient, und hier bei Austyn’s gab es eine riesengroße Auswahl: mit Blümchen oder kleinen aufgemalten Erdbeeren, kurz, mit allem, was mal eventuell begehrte. Stella nahm an, wenn sie nach einer Dose mit einer zart gemalten toten Kakerlake Ausschau gehalten hätte, hätten sie selbst die innerhalb von einem Tag für sie gehabt.