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Wer nicht wagt, der nicht gewinnt: Der turbulente Wohlfühlroman »Wie küsst man einen Iren?« von Cathy Kelly als eBook bei dotbooks. 30, sexy und erfolgreich? Von wegen! Eigentlich ist Dee eine engagierte Dubliner Journalistin – doch statt glanzvolle Reportagen zu schreiben, beantwortet sie als Kummerkastentante täglich die Nachrichten verzweifelter Leserinnen. Eins ist klar: Irische Männer scheinen für mannigfaltige romantische Problemchen zu sorgen! Und keine hat so kluge Liebesratschläge wie Dee – dabei ist ihr eigenes Leben ein einziges Chaos: Ihr Freund Gary zeigt keinerlei Anzeichen, endlich einen Verlobungsring zu zücken, und Dee hat immer mehr das Gefühl, dass er sie nur noch als »Wäschefee« schätzt. Warum also nicht einmal alles kräftig auf den Kopf stellen und ihr Leben durchschütteln? Vielleicht kann dabei ja der attraktive Fotograf Kevin helfen – auch, wenn er in der Stadt als typisch irischer Herzensbrecher berüchtigt ist … »Mit ihrem ansteckenden Humor berührt Cathy Kelly die Herzen ihrer Leserinnen.« Irish Post Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der hinreißend charmante Feelgood-Roman »Wie küsst man einen Iren?« von Bestsellerautorin Cathy Kelly wird die Leserinnen von Julie Caplin und Mhairi McFarlane begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 794
Über dieses Buch:
30, sexy und erfolgreich? Von wegen! Eigentlich ist Dee eine engagierte Dubliner Journalistin – doch statt glanzvolle Reportagen zu schreiben, beantwortet sie als Kummerkastentante täglich die Nachrichten verzweifelter Leserinnen. Eins ist klar: Irische Männer scheinen für mannigfaltige romantische Problemchen zu sorgen! Und keine hat so kluge Liebesratschläge wie Dee – dabei ist ihr eigenes Leben ein einziges Chaos: Ihr Freund Gary zeigt keinerlei Anzeichen, endlich einen Verlobungsring zu zücken, und Dee hat immer mehr das Gefühl, dass er sie nur noch als »Wäschefee« schätzt. Warum also nicht einmal alles kräftig auf den Kopf stellen und ihr Leben durchschütteln? Vielleicht kann dabei ja der attraktive Fotograf Kevin helfen – auch, wenn er in der Stadt als typisch irischer Herzensbrecher berüchtigt ist …
Über die Autorin:
Cathy Kelly arbeitete als Redakteurin, Filmkritikerin und »Kummerkastentante« bei der Dubliner Sunday World, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden und regelmäßig die Bestsellerlisten erobern. Am liebsten schreibt sie warmherzige, einfühlsame Geschichten über ihre irische Heimat. Cathy Kelly lebt mit ihrer Familie und ihren drei Hunden in County Wicklow.
Die Website der Autorin: www.cathykelly.co.uk/
Bei dotbooks veröffentlichte Cathy Kelly auch ihre Romane:
»Wie angelt man sich einen Iren?«
»Wie heiratet man einen Iren?
»Der Duft von irischem Lavendel«
»Eine irische Hochzeit«
»Die irischen Freundinnen«
»Der Glanz von irischem Klee«
»Heimkehr nach Irland«
»Die Schwestern von Ballymoreen«
»Die Freundinnen von Cloud’s Hill«
»Die Frauen von Ardagh’s Crown«
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eBook-Neuausgabe November 2022
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1998 unter dem Originaltitel »She’s the One« bei bei Poolbeg Press Ltd. Dublin. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Und wer macht den Abwasch?« bei Goldmann.
Copyright © der englischen Originalausgabe 1998 by Cathy Kelly
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Bertelsmann GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-98690-410-4
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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
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Cathy Kelly
Wie küsst man einen Iren?
Roman
Aus dem Englischen von Inez Meyer
dotbooks.
Für John, mit meiner ganzen Liebe, allezeit, und für Kate – ich werde dich nie vergessen.
Liebe Annie,
ich hoffe, Du kannst mir helfen. Ich bin seit zwei Monaten verheiratet, und meine Ehe ist schon eine Katastrophe. Vor unserer Eheschließung haben wir nicht zusammengelebt, deshalb habe ich mir auch nicht ausmalen können, daß es so sein würde. Ich habe einen sehr aufreibenden Beruf, mein Mann ebenfalls. Trotzdem überläßt er mir die ganze Hausarbeit. Ganz gleich, wann ich nach Hause komme – es wird von mir erwartet, daß ich koche. Meine Wochenenden verbringe ich damit, das Haus sauberzumachen, die Wäsche zu waschen und seine Hemden zu bügeln. Das Einkaufen überläßt er ganz mir, und zwar auch dann, wenn er einen freien Tag hat. Er meint, seine Mutter habe diese Dinge doch auch immer für ihn erledigt. Ich kann kaum glauben, daß ich vor unserer Heirat von alldem keinen blassen Schimmer hatte.
Was kann ich tun? Ich werde verrückt. Aber ich kann mit niemandem darüber reden, schließlich halten uns alle für ein perfektes Paar. Bitte hilf mir, bevor meine Ehe in die Brüche geht.
Deine Deprimierte.
Dee hielt grübelnd die Finger über die Computertastatur und betrachtete erneut den handgeschriebenen Brief.
Manchmal dauerte es eine Ewigkeit, um eine Antwort für einen Liebe-Annie-Brief zu formulieren. Besonders dann, wenn die Leute von einer Antwort ein Wunder und nicht nur den Ratschlag erwarteten, mal ein kinderfreies Wochende einzulegen und mit einer Flasche sinnlichem Massageöl im Gepäck an einen romantischen Ort zu fahren.
Oftmals wollte Dees Gehirn einfach nicht funktionieren, wenn sie solche Antworten formulieren mußte. Deshalb griff sie bei dieser Gelegenheit häufig in die Keksdose. Heute verhielt es sich anders. Heute mußte sie überhaupt nicht lange darüber nachgrübeln, denn – so ironisch das auch sein mochte – sie wußte ganz genau, wie sie diesen Brief beantworten würde.
Liebe Deprimierte,
Sie haben ja keine Vorstellung davon, wie häufig gerade Ihr Problem verbreitet ist. Mein Briefkasten ist voller Hilfeschreie von Frauen, die seinerzeit gedacht hatten, sie hätten den Richtigen geheiratet. Viel zu spät fiel bei ihnen der Groschen, daß sie mit einem Muttersöhnchen verheiratet waren, das ständig darauf verwies, seine Mutter habe all diese Dinge erledigt, zusätzlich noch zehn Kinder großgezogen und ihr Brot selbst gebacken.
Sie müssen etwas tun, sonst können Sie sich auch gleich eine Schürze mit der Aufschrift »Sklave« umbinden. Als erstes hören Sie auf einzukaufen, zu staubsaugen, zu waschen und zu bügeln – und warten ab, bis es ihm auffällt. Und glauben Sie mir, er wird ...
Dee hielt inne, lehnte sich zurück und rieb sich mit einer Hand den Nacken. Nachdem sie die ganze Woche über im Gericht gesessen und über einen Mordfall berichtet hatte, war sie vollkommen erschöpft und verspürte wenig Lust, am Samstag, ihrem ersten freien Tag seit zehn Tagen, an ihrer Kummerkiste zu arbeiten.
Lieber wollte sie sich in ein Entspannungsbad mit aromatischen Essenzen legen, dabei eine durststillende Bacardi-Cola trinken und einen fetten, saftigen Schmöker lesen. Wenn sie Lust hätte, würde sie sich sogar noch die Beine rasieren, um eine in Kürze anstehende Verwechslung mit den Beinen eines griechischen Taxifahrers zu vermeiden. Vielleicht aber würde sie auch einfach nur faul sein. Wer in aller Welt sah schon ihre Beine? Gary jedenfalls nicht, soviel war klar. Die einzigen Beine, die er dieser Tage betrachtete, waren unglaublich dicht behaart, steckten in kurzen Hosen, und ihre Besitzer gehörten dem Fußballclub von Manchester United an.
Seufzend stellte sie fest, daß das Bad wohl würde warten müssen, bis sie mit ihrer Kolumne fertig war. Liebe Annie war jeden Montag und Mittwoch im Sentinel zu lesen. Wenn sie ihren Chefredakteur nicht vom Krankenwagen aus anrufen und ihm von einer plötzlichen Rippenfellentzündung berichten wollte, mußte sie jeden Sonntag bis elf Uhr morgens ihre Kolumne abliefern. Es würde mindestens drei Stunden dauern, sie zu schreiben. Eine Tasse Tee und ein paar Kekse würden die Verkrampfung ihres Nackens vielleicht lindern können. Oder aber sie genehmigte sich eines dieser winzigen Käseküchlein von Weight Watchers, die sie weit hinten im untersten Schubfach der Tiefkühltruhe versteckt hatte.
Sie waren praktisch kalorienfrei. Sie mußten es einfach sein, wie sonst hätte man sie als Weight Watchers bezeichnen können? Ein Käseküchlein wäre überhaupt nicht schlimm. Zum Frühstück hatte sie Schlankheitsflocken mit Magermilch gegessen und konnte sich jetzt ruhig etwas gönnen.
Dee trat aus dem winzigen Zimmer, das ihr als Büro diente, und lief an dem randvoll gestopften Wäschkorb vorbei. Vergeblich versuchte sie ihn zu ignorieren.
Irgend jemand mußte sich schließlich darum kümmern, dachte sie verärgert und nahm eine Armladung voll feuchter Handtücher, Garys Fußballshirt und noch ein paar seiner angegrauten T-Shirts mit.
Mit dem Arm voller Wäsche ging sie die Treppe hinunter und ignorierte die kleinen Bällchen rötlichen Fells, die den maulbeerfarbenen Teppichboden bedeckten. Warum mußte Smudge ihre ausgiebige Toilette eigentlich unbedingt auf der Treppe erledigen und setzte sich dazu nicht auf den Linoleumboden in der Küche, dachte Dee mißmutig. Um der Sache noch eins draufzusetzen, war der Staubsauger defekt, und sie hatte es noch immer nicht geschafft, ihn zur Reparatur zu bringen. Sie stieg über einen angestaubten Haufen von Garys Fußballzeitungen, die er am Fuß der Treppe gestapelt hatte.
»Ich nehme sie später mit nach oben«, hatte er sie angefahren, als sie über den mindestens sechs Monate alten Stapel des Fußball-Fan gestolpert war. »Mein Gott noch mal, Dee, laß mich doch in Frieden! Ich kann schließlich nicht meine ganze verdammte Zeit mit Aufräumen verbringen!«
Damit war er ins Wohnzimmer gestürmt. Dee hatte gerade erst ihre ausgebeulte schwarze Aktentasche auf den Boden neben der Garderobe fallenlassen, als sie die laut aufgedrehten Sportnachrichten im Fernsehen hörte. Sie war zu erschöpft, um sich mit ihm zu streiten. Garys Auffassung von Aufräumen hieß, die Aschenbecher kurz vor dem Überlaufen auszuleeren. Wer auch immer den Satz geprägt hatte »Wenn du mich kennenlernen willst, dann komm, und lebe mit mir«, hatte recht.
Als sie vor vier Jahren Gary Redmond kennengelernt hatte, erschien er ihr als die Erfüllung all ihrer Träume. Nachdem mehrere Beziehungen zu anderen in die Brüche gegangen waren, hatte sie sich nie wieder mit einem Reporter einlassen wollen. Neurotisch und ständig mit ihren Geschichten beschäftigt, waren sie zusätzlich noch eifersüchtig, wenn Dee einmal einen längeren Artikel als sie selbst im Blatt gehabt hatte. Nach drei gescheiterten Beziehungen mit Reportern hatte sie diese Gattung ad acta gelegt.
Nur einen Monat bevor sie Gary getroffen hatte, hatte sie die Sachen ihres Exfreunds auf dessen Schreibtisch in der Redaktion ausgekippt – die Zahnbürste, die er bei ihr vergessen hatte, und das Notizbuch mit der mit einem Lippenstift notierten Telefonnummern seiner neuen Freundin. Der gutaussehende, dunkelhaarige Mann im vornehmen Anzug, der ihr in der Kneipe versehentlich ein Glas Guinness über die Kleidung geschüttet hatte, war so charmant und fand so viele Entschuldigungen und war außerdem so offensichtlich nicht Journalist, daß sie sich gern von ihm zu einem Drink hatte einladen lassen, womit er sich für seine Tolpatschigkeit hatte revanchieren wollen.
Während Gary sie charmant umgarnte, hatte Dee an ihrem Champagnercocktail genippt und dem Himmel dafür gedankt, daß sie während der letzten Monate ohne Freund streng Diät gehalten hatte und nun eine geradezu magere Größe vierzig, fast schon achtunddreißig, abgab. Sonst hätte sie sich wohl nicht sicher genug gefühlt, die Einladung zu einem Drink von einem derart attraktiven Mann anzunehmen. Und ganz sicher hätte sie nicht in das enganliegende schwarze Kleid gepaßt, das ihre üppigen Brüste und ihre schönen Beine vorteilhaft zur Geltung brachte.
In der Kombination von Stützstrümpfen und einem straffen Mieder kam sie sich vor wie eine ägyptische Mumie. Die beiden Champagnercocktails waren beinahe mehr, als ihr Kleid halten konnte. Unter der sexy Korsage aus Lycra spürte Dee ihren schmerzenden Magen. Wer schön sein will muß leiden. Und nicht nur um der Schönheit willen, man mußte schon leiden, um auch nur halbwegs attraktiv auszusehen. Die anderen – allen voran ihre beste Freundin Maeve – bestätigten ihr dauernd, wie schön und sexy sie sei und daß sie wunderschöne, ausdrucksstarke Augen habe. Sie selbst jedoch war niemals sonderlich versessen auf üppige Kurven gewesen. Ebenso nicht auf einen Busen, auf dem eigentlich ein Warnschild hätte prangen müssen, denn Männer starrten ihn immer vollkommen fasziniert an. Auch auf ihre dunklen Locken, die jeden Morgen einen Liter glättende Lotion brauchten, hätte sie gern verzichtet. Ihre Augen gefielen ihr natürlich, aber eigentlich wäre Dee lieber eine klassische nordische Schönheit gewesen, die mühelos schick und ebenso mühelos schlank war und deren Beine ihr bis kurz unter die Achseln reichten.
Nach einer Stunde in Garys Gesellschaft war sie von seiner Intelligenz, seinem dunklen, guten Aussehen und seinem offensichtlichen Interesse an ihr recht eingenommen. Wenn auch der Beruf des Steuerberaters nie auf ihrer Wunschliste gestanden hatte, so war Gary zumindest ein Steuerberater, wie sie noch nie zuvor einen gesehen hatte.
»Du erinnerst mich an diese wunderschönen raphaelitischen Frauen auf Gemälden des neunzehnten Jahrhunderts«, hatte er gemurmelt, als er sich an der Bar über sie gebeugt hatte. Sie hatte sein Armani-Aftershave und seine männlichen Pheromone wahrgenommen. »Die hatten lange rot- oder kastanienbraune Locken und große, dunkle Augen, die ständig den Eindruck vermittelten, als ob sie nur darauf warteten, auf eine schattige Lichtung geführt zu werden, um dort etwas zu tun, was Mädchen aus dem neunzehnten Jahrhundert nicht tun sollten.«
Wenn einer der Typen aus der Redaktion so etwas von sich gegeben hätte, wäre Dee, noch bevor sie ihm einen Schlag versetzt hätte, in lautes Lachen ausgebrochen. Mit der tiefen Stimme Gary Redmonds jedoch klangen diese Worte für Dee sinnlicher als alles, was sie bisher gehört hatte. Er hatte eine Art, sie mit seinen merkwürdigen, fast blauen Augen anzusehen, die sie innerlich dahinschmelzen ließ.
»Tatsächlich?« hatte sie nachgehakt und gerechnet, daß er etwa ein Meter fünfundsiebzig groß sein mußte, wenn sie von ihrer eigenen Größe von etwas über einem Meter sechzig ausging. Er war also weder klein noch groß. Sie haßte große Männer, denn man bekam eine Nackenstarre, weil man stets zu ihm aufsehen mußte. »Wie kommt es, daß du dich in der Kunstgeschichte so gut auskennst?«
»Meine Mutter war stets darauf aus, sich weiterzubilden«, erwiderte er mit einem schiefen Lächeln. »Als wir noch Kinder waren, bestand sie darauf, daß wir in Italien oder in Frankreich Urlaub machten, damit wir in den Louvre gehen und uns die Sixtinische Kapelle in Florenz ansehen konnten.«
»Das hört sich ja wunderbar an«, erwiderte Dee und dachte an die jährlichen zwei Wochen Ferien in einem Wohnmobil der Familie O’Reilly an einer der irischen Küsten. Bis sie fünfzehn war, spielte sie am liebsten auf der Luftschaukel. Dann stellte sie fest, daß man gut zwei Leute in eine Schaukel packen konnte – eine prima Gelegenheit, mit Jungs auf Tuchfühlung zu gehen. »Glaubst du es ist zu spät, einer kompletten Ignorantin etwas Kunstverständnis beizubringen?« fragte Dee mit seidiger Stimme und jenem schmachtenden Blick, den sie nach jahrelanger Übung vor dem Spiegel bis zur Perfektion gemeistert hatte. »Ich kenne mich mit Kunst überhaupt nicht aus.«
»Sicherlich hast du eine schnelle Auffassungsgabe«, hatte er geantwortet.
Zwei Stunden später kicherten sie über einer Flasche Wein in einem Restaurant. Eine Woche später waren sie richtig verliebt. Dee konnte sich noch gut an ihre dritte Verabredung erinnern. Zu dem Zeitpunkt war sie sich sicher, daß sie ihn liebte.
Gary war mit einem Picknickkorb voller Hühnchen, Baguette, Kartoffelsalat, einem Sechserpack Bier und Erdbeereiskrem in einer Kühltasche vor ihrer Tür erschienen. Nachdem sie drei Tage lang nichts außer Pampelmusen gegessen und unzählige kalorienfreie Getränke zu sich genommen hatte, um die verdammten zehn Pfund Gewichtsabnahme zu halten, hätte sie den gesamten Korb innerhalb von zehn Minuten verdrücken können. Vom wenigen Essen war ihr schon ganz schwindlig, und der Duft des Baguettebrots machte sie verrrückt vor Hunger. »Wir machen ein Picknick!« Sowie sie die Haustür geöffnet hatte, hatte Gary sie sofort fest in die Arme geschlossen.
»Picknick? Aber es ist doch schon halb sieben!« hatte sie überrascht geantwortet.
»Ein spätes Picknick, Dee.« Gary küßte sie leidenschaftlich. »Hol dir schnell noch deine Fleecejacke. Es könnte kalt werden.«
Dann hatten sie dicht aneinandergekuschelt in Dollymount in seinem Mazda gesessen. Das Dach war heruntergekurbelt, aus dem Radio kam leise Musik.
Anfangs hatte sie gefröstelt. Nachdem jedoch das Bier ihr Blut erwärmt und Gary ihre blaue Fleecejacke gekonnt geöffnet hatte, wurde Dee endgültig heiß. »Wer sagt eigentlich, daß Steuerberater nicht romantisch wären?« hatte sie in sein Ohr geflüstert, als seine Hand unter ihren Pullover glitt.
Die letzten Monate über war von Romantik jedoch keine Spur mehr gewesen. Sie konnte sich nicht einmal erinnern, wann Gary etwas auch nur annähernd Romantisches getan hatte. Um ein Haar hätte er sogar den Valentinstag vergessen. Abgesehen davon, hätte Dee einen großen Laden roter Rosen darum gegeben, wenn er auch nur gelegentlich daran denken würde, den Toilettensitz wieder herunterzuklappen.
Sie stopfte die dreckige Wäsche in die Maschine, schüttete etwas Waschpulver und den allerletzten Tropfen Weichspüler hinterher und stellte die Waschmaschine an. Dann nahm sie sich eine Tasse aus dem Stapel ungewaschenen Geschirrs im Spülbecken und verschaffte sich ausreichend Platz, um sie unter heißem Wasser abzuspülen. Einen Augenblick lang erwog sie nachzugeben und abzuwaschen. Nein, verdammt noch mal. Das würde sie nicht tun. Der verfluchte Gary sollte es machen.
Irgendwann wird er den Stapel ungewaschenen Geschirrs nicht mehr ertragen können und selbst abwaschen. Das Geheimnis ist, ihn nicht zu nerven – lassen Sie ihn die Hausarbeit dann erledigen, wenn ihm danach ist. Der Stapel kann allerdings die Höhe des Mount Everest erreichen, ehe er zur Tat schreiten wird. Aber nach einer Woche ungebügelter Hemden und ohne Socken und Unterhosen, die die Wäschefee irgendwie vergessen hat, wird er sich an die Hausarbeit machen. Halten Sie durch.
Ratschläge zu erteilen oder selbst danach zu leben waren zwei vollkommen verschiedene Schuhe, dachte Dee. Sie wußte genau, wie sich die entmutigte Frau ihrem chauvinistischen, arbeitsscheuen Mann gegenüber verhalten sollte. Da es aber Dee selbst auch bisher nicht gelungen war, ihren eigenen faulen Verlobten dazu zu bekommen, auch nur einen einzigen Teller abzuwaschen, hatte sie fast ein schlechtes Gewissen, der Briefeschreiberin diesen Rat zu erteilen.
Seit über einer Woche hatte sie das Geschirr nun schon stehenlassen. Bisher war allerdings lediglich deutlich geworden, daß sich Gary lieber ein neues Hemd kaufte, als ein dreckiges zu waschen. Im übrigen schien er den Geschirrberg im Spülbecken, den grünen Schimmel im Kühlschrank und die Abwesenheit frischer Unterwäsche im Schrank überhaupt nicht zu bemerken.
Das alles war die Schuld seiner verdammten Mutter. Sie hatte ihn ruiniert. Im Haus hatte er nie einen Finger rühren dürfen. Demzufolge war er davon überzeugt, daß nur Frauen das Geheimnis kannten, wie man eine Toilette säuberte und das Wohnzimmer staubsaugte. Zumindest gab er vor, das Geheimnis nicht zu kennen. Wie sie ihrer besten Freundin Maeve gegenüber ständig beteuerte, hätte sie nach der ersten Begegnung mit Garys Mutter eigentlich genau wissen sollen, was auf sie zukam. Sie waren bereits seit drei Monaten zusamen, und er wohnte praktisch bei ihr in der South Circular Road, als er sie zu sich nach Hause einlud, um seine Mutter kennenzulernen.
»Sie ist ganz anders als deine Mutter«, meinte Gary, dem Dees Eltern während einer traditionellen Musikvorführung in einer Kneipe vorgestellt worden war. Die O’Reillys hatten Gary in ihre Familie aufgenommen und sich bemüht, es ihm möglichst angenehm zu machen. Als die Kneipe zumachte, waren Dees Familie und Gary die besten Freunde, und Gary war für den kommenden Sonntag zum Mittagessen eingeladen.
Im Gegensatz dazu hatte Garys Mutter Dee nachmittags zum Tee eingeladen, den sie in zierlichen kleinen Tassen servierte und ihre Gäste bat, mit ihrem »besten Geschirr« doch bitte vorsichtig umzugehen.
Damals war Dee davon überzeugt gewesen, daß die Beleidigung nicht beabsichtigt gewesen war. Sie lächelte und bekräftigte, wie schön das königsblaue Geschirr sei.
Es hätte ihr auffallen sollen, daß Gary gemütlich ausgestreckt im Sessel gesessen hatte, während seine Mutter ständig in die Küche eilte und Geschirr, Scones, Biskuitkuchen und seine Lieblingsingwerküchlein holte, ohne daß er ihr seine Hilfe auch nur angeboten hätte. Und sie hätte sich fragen sollen, weshalb ihr charmanter, aufmerksamer Liebhaber sich in Gegenwart seiner Mutter plötzlich in ein duckmäuserisches Mamakind verwandelte.
Sie aber war anfangs viel zu beschäftigt gewesen zu lächeln – und später von Margaretes indiskreten Nachfragen zu verwirrt gewesen –, als daß es ihr aufgefallen wäre.
»Wie lange arbeiten Sie schon bei der... äh... der Zeitung, Deirdre?«
»Seit sechs Jahren.«
»Verstehe. Sie arbeiten im Nachrichtenbereich, wie mir Gary sagte? Das ist sicherlich sehr interessant. Haben Sie schon einmal daran gedacht, vielleicht zu einer anderen Zeitung zu wechseln?«
»Nein.«
»Ach so. Noch ein Stück Kuchen, Liebling?« wandte sich Margaret an Gary, wobei sich ihre Stimme hörbar erwärmte. Sie reichte ihrem Sohn noch ein Stück Torte und widmete sich dann wieder ihrer Inquisition. »Als was arbeitet Ihr Vater, Deirdre? Ist er auch bei der Presse?«
»Er ist Autoschlosser«, erwiderte Dee. Einen Augenblick lang spielte sie mit dem Gedanken zu behaupten, er spiele Piano in einem Puff, und ab und an würde er bei einem bewaffneten Überfall das Fluchtauto fahren.
»Er leitet die Reparaturwerkstatt?«
»Nein, er ist Autoschlosser. Seine Spezialität sind Vergaser.«
»Ach so.«
Dee hatte nicht lange gebraucht, um herauszufinden, daß Margaret Redmond zu jenen irischen Müttern gehörte, die felsenfest davon überzeugt waren, daß keine, aber auch wirklich gar keine Frau jemals gut genug für ihren Jüngsten sein konnte.
Eine ausgezeichnete Köchin, eine gute Näherin und die erste in der morgendlichen Schlange zur Messe war Garys Mutter eine angesehene, tiefreligiöse Mitbürgerin von Clontarf. Sie trank nicht, sie rauchte nicht, sie fluchte nicht, und sie schaute sich niemals belanglose Fernsehsendungen an – lediglich weiterbildende Dokumentationen –, wenn sie diese Zeit auch mit dem Backen eines Biskuitkuchens für das Kirchenfest oder dem Einreiben der Hemdkragen der Jungen verbringen konnte. Sie nahm an kunsthistorischen Seminaren teil, obwohl sich Dee sicher war, daß sie es nur aus Angeberei tat. Außerdem spielte sie einmal die Woche mit ihrer Frauengruppe Golf.
Sie hatte fünf Jungs großgezogen, vier von ihnen an passende Mädchen verheiratet und ihren steuerberatenden Ehemann unter die Erde gebracht. Jetzt füllte sie ihre Zeit damit, auf die Schwangerschaft ihrer ersten Schwiegertochter zu warten, um dann unzählige Deckchen zu häkeln und ständig als Babysitterin zur Verfügung zu stehen.
Sie war klein und rund – zu viele Biskuitkuchen – und trug eine graue Dauerwelle. Mit ihrer Brille wirkte sie wie das genaue Gegenteil von Dees Mutter und schien unter ihrer Schale einen ausgesprochen harten Kern zu verbergen.
Wenn Dee gewußt hätte, daß ihre Freundschaft zu Gary auch regelmäßige Besuche bei seiner schrecklichen, mit Dünkeln behafteten Mutter bedeutete, hätte sie sich wohl kaum in ihn verliebt – trotz seiner verführerischen Augen, seinem gutgebauten Körper und dem Charme, den er wie eine elektrische Lampe anknipsen konnte.
Genauso leicht fiel es ihm, ihn wieder abzuschalten.
Sie seufzte. Der einzige Löffel im Becken war der, mit dem sie die erd- und senffarbenen Lacke gemischt hatte, als sie die Badezimmewände hatte neu streichen wollen. Die Farbe war hart. Sie würde doch wohl nicht giftig sein?
Ach, wenn kümmert das schon. Ein löslicher Kaffee mit Sahne würde ihr sicher guttun. Der letzte tiefgekühlte Käsekuchen war unerklärlicherweise aus dem Tiefkühlfach verschwunden. Dee holte sich einen Katalog und sechs Kekse – die mit fünfundzwanzig Prozent weniger Fett, von denen alle in der Redaktion schwärmten. Sie setzte sich an den Kiefernholztisch, der unangenehm wackelte, wenn man die Pappe unter einem Bein wegließ. Vor der Terrassentür brach eine blasse Maisonne durch die Wolken und ließ die Regentropfen auf der Wäscheleine wie kleine Kristalle funkeln. Der Rasen in dem winzigen Garten stand bereits wieder fünfzehn Zentimeter hoch. Die Kapuzinerkresse vom letzten Jahr hatte das wenige Heidekraut beiseite gedrängt und nahm nun allen Platz im Blumenbeet vor der Terrasse ein. Natürlich mußte Dee bald etwas im Garten tun, nur fand sie nicht die Zeit dazu. Nächstes Wochende würde sie den Rasen im Vorgarten mähen und den Löwenzahn ziehen. Außer den jungen Studenten nebenan konnte den hinteren Garten niemand einsehen. Da deren Garten einer Wüste glich, konnten sie sich über Dees Garten nicht beschweren.
Als wenig später das Telefon klingelte, betrachtete Dee in einem Katalog gerade die Küchenutensilien und grübelte darüber nach, ob das grüne Gemüseregal aus Plastik sich in der einen Küchenecke gut machen würde. Ein solches Regal würde auch endlich das Problem lösen, daß Kartoffeln aus dem Gemüsefach Sprossen entwickelten. »So werde ich es machen«, sagte sie zu sich selbst.
»Dee«, bellte Ian Mahon, der Nachrichtenchef des Sentinel. Seine schlechtgelaunte, zigarettengeschwängerte Stimme ließ sie nach wie vor zusammenzucken, selbst wenn er nur über das Telefon mit ihr sprach. Leibhaftig war er noch um einiges schlimmer. Sehr groß, vornüber geneigt und mit fiesem Blick war Mahon bei allen Reportern verhaßt. Wenn sie es gut mit ihm meinten, nannten sie ihn Stalin.
Seine Arbeit allerdings verstand er sehr gut. Doch Dee war davon überzeugt, daß er noch besser wäre, wenn er die jungen Reporter nicht mit seiner Gewohnheit verschrecken würde, plötzlich neben ihren Tischen aufzutauchen, über ihre Schulter hinweg deren Artikel zu lesen und sie dann wegen irgendeiner Kleinigkeit anzubrüllen. Nach sechs Jahren in der Nachrichtenredaktion unter Stalin hatte sich Dee an ihn gewöhnt. Mehr oder weniger jedenfalls.
»Wir haben hier eine ganz heiße Sache«, brummte er. »Dieser junge australische Popstar, Chazz ... man hat es uns zugespielt, daß er in seinem Zimmer im Grand Hotel randaliert hat. Wir haben einen Fotografen vor Ort, er hat aber noch keine Aufnahmen machen können. Wir wollen, daß du dich irgendwie hineinmogelst. Du kennst doch dort jemanden, nicht wahr?«
»Ja.« Dee seufzte. Ihr freier Tag war hinüber. Wie gewohnt hatte sich Stalin nicht einmal danach erkundigt, ob sie etwas vorhatte. Er war einfach davon ausgegangen, daß sie alles liegenlassen und sofort aufspringen würde.
»Wer ist denn vor Ort?« fragte sie, schlagartig bei der Sache. Sie angelte sich einen Kuli, um sich Notizen zu machen.
»Kevin Mills. Ich habe ihm deine Handynummer gegeben. Er wird dich anrufen.«
Dees Laune besserte sich. Kevin Mills war ein ausgezeichneter Fotograf, der niemals die Nerven verlor und immer das gewünschte Bild mit nach Hause brachte. Abgesehen davon sah er ausgesprochen gut aus.
Kevin war Freiberufler und besaß seine eigene Agentur. Seine Spezialität waren Aufnahmen von Prominenten. Da Dee hauptsächlich Nachrichten recherchierte, arbeitete sie nur sehr selten mit ihm zusammen. Er stand jedoch im Ruf, seiner Arbeit sehr gewissenhaft nachzugehen. Außerdem sah er um einiges besser aus als Seanie Keane, der festangestellte Fotograf des Sentinel, mit dem sie normalerweise zusammenarbeitete.
Kevin würde sie sicherlich nicht wie Seanie damit langweilen, wie langsam er mit der Renovierung seines zusammenfallenden Hauses aus dem neunzehnten Jahrhundert vorankam.
»Wenn ihr von Chazz keine Aufnahmen bekommt, dann versucht wenigstens, in eine ähnliche Suite zu kommen und macht dort ein paar Aufnahmen. Ruf mich in einer Stunde wieder an«, befahl Stalin und legte auf.
Dee streckte dem Hörer die Zunge raus. Schwein! Im oberen Stockwerk tauschte Dee ihre bequeme graue Trainingshose und das blaue T-Shirt gegen etwas, womit sie den reichen Prominenten des Conrad gegenübertreten konnte. Das Conrad gehörte zu Dublins vornehmsten Hotels.
Zu ihren braunen Korkenzieherlocken sah der strenge schwarze Hosenanzug am besten aus. Da sie jedoch ihre Haare nicht gewaschen hatte, würde sie sie zusammenbinden müssen. Die Hose war zu eng, den obersten Knopf mußte sie also auflassen. Verflucht. Sie konnte über die Tatsache, daß sie wieder zugenommen hatte, nicht mehr durch das Tragen von weiten Trainingshosen hinwegtäuschen oder dadurch, sich einfach nicht mehr zu wiegen.
Es war alles Garys Schuld. Wenn Dee sich nicht wohl fühlte, tröstete sie sich mit Essen. Und in letzter Zeit fühlte sie sich ständig nicht so richtig wohl. Gestern hatte sie noch vor dem Mittagessen drei Marsriegel gegessen und danach aber trotzdem einen vollen Teller Tagliatelle carbonara verdrückt. Warum nur konnte sie nicht sein wie ihre Freundin Maeve? Eine Bohnenstange, die wie ein Scheunendrescher futterte. Maeve hatte die Nudeln und zusätzlich noch einen Apfelstreuselkuchen als Nachtisch gegessen. Trotzdem mußte sie niemals ihren obersten Hosenknopf öffnen.
Mißmutig betrachtete Dee im Badezimmer ihr Spiegelbild. Wie gewohnt fiel ihr dabei weder ihr hübsches Gesicht mit dem blassen Porzellanteint auf noch die ausdrucksvollen blauen Augen und die kastanienbraunen Haare, die ihr Gesicht wunderschön umrahmten.
Statt dessen sah sie eine kleine, plumpe Frau, die sich in Hosengröße vierzig gezwängt hatte, wo sie eigentlich eine Zweiundvierzig gebraucht hätte. Dee drehte sich seitwärts, um die Größe ihres Bauchs zu überprüfen. »O mein Gott«, stöhnte sie entsetzt.
Sie war richtig fett. Wie in aller Welt konnte sie so aus dem Haus gehen? Ihr Busen quoll unter dem sauberen blaßrosa T-Shirt aus ihrem BH hervor, und ihre Taille war praktisch inexistent. Wie ein Schweinchen sah sie aus, dachte Dee. Ein kleines, dunkelbehaartes Schweinchen.
Sie hatte keine Zeit mehr, um die Grundierung aufzutragen, die ihre Sommersprossen verdeckte, aber sie konnte nicht gehen, ohne eine üppige Schicht dunkelbrauner Wimperntusche aufzutragen.
Nachdem sie sich reichlich mit Opium eingesprüht hatte, schnappte sie sich ihre Schultertasche, machte das Handy von der Ladestation los und hüpfte keine zehn Minuten nach Stalins Anruf bereits in ihren weißen Corolla.
Warte nur, bis du die Spesenrechung siehst, dachte sie wütend, während sie rückwärts aus der Einfahrt fuhr. Das nächste Mal würde er es sich zweimal überlegen, ob er sie an ihrem freien Tag stören sollte. Das Extrageld konnte sie gut für den Kauf jener zeltartigen Kleider benutzen, die sie bald würde tragen müssen. »Ich treffe dich um halb eins auf der Hatch Street«, informierte sie Kevin mit tiefer Stimme über das statisch rauschende Handy. »Ich kann jetzt nicht weiterreden.«
Auf den Straßen herrschte dichter Verkehr. Nie und nimmer würde sie pünktlich dortsein können. Verflucht, dachte Dee, und stellte den Rückspiegel so ein, daß sie ihren Lippenstift an einer roten Ampel auftragen konnte. Dann spürte sie den wunderbaren Adrenalinstoß, den sie immer bei einer guten Story verspürte. Die Aufregung, an einer heißen Sache zu arbeiten, ließ sie sogar ihr Gewichtsproblem vergessen, und das wollte wirklich etwas heißen.
Hoffentlich war noch kein Reporter der Konkurrenz vor Ort. Mit zugespielten Informationen war es ständig die gleiche Geschichte: Die Leute riefen nicht nur eine Zeitung an, sondern alle. Niemanden störte das mehr als die Reporter, die dann vor Ort eine ganze Reihe Kollegen von der Konkurrenz vorfanden.
Kevin wartete an der Hatch Street. Rauchend lehnte er an seinem silbernen Porsche. Den hatte er sich von den Einnahmen gekauft, die er mit Bildern von Bademode an Liz Hurley an einer Küste in West Cork gemacht hatte. Seine dunkelgrüne Wachsjacke versteckte zwei um den Hals hängende Kameras. Das verräterische Teleobjektiv wies nach unten. Mit nachdenklich zuammengekniffenen Augen betrachtete er die Hotelfassade.
»Nun, wie sieht es aus?« Dee musterte den Fotografen. Er war ungefähr einsfünfundachtzig groß – man mußte groß sein, um über die Köpfe aller anderen hinweg gute Fotos zu schießen – und langgliedrig, hatte dunkle Augen und immer den Schatten eines Bartes um sein kantiges Kinn. Kevin hätte ebensoviel Geld vor wie hinter der Kamera verdienen können.
Obwohl er sich seines guten Aussehens garantiert bewußt war – und Dee war sich sicher, daß das der Fall war, denn im Büro erzählte man sich, die Frauen stünden reihenweise bei ihm an –, benahm sich Kevin doch niemals wie ein zweiter George Clooney. Dee konnte Männer mit einem Übermaß an Ego einfach nicht ausstehen.
Sie versuchte, ihre Jacke so zu arrangieren, daß sie so schlank wie möglich aussah. Sie zog den Bauch ein und richtete sich auf, so wie es einem in den Zeitschriften immer angeraten wurde. »Verlieren Sie augenblicklich fünf Pfund«, plärrten die Titelzeilen und rieten einem, sich vorzustellen, man würde am Kopf von einem Faden himmelwärts gezogen. Dee streckte ihren Hals und versuchte den Eindruck zu erwecken, als habe sie bereits zehn Pfund verloren.
Kevin zog an der Zigarette, dann warf er sie auf den Boden und trat sie mit seinem Timberlandstiefel aus. »Er ist hier, und meiner Informantin zufolge hat man die Polizei gerufen. Aber das ist auch schon alles. Sie hätte sich vor einer halben Stunde mit mir hier treffen sollen, ist aber nicht aufgetaucht. Mahon meinte, daß du jemanden vom Personal kennst.«
Dee machte ein schuldbewußtes Gesicht. »Das stimmt nicht. Keine Ahnung, weshalb er glaubt, ich hätte hier eine Informationsquelle, aber ich wollte ihm nicht widersprechen. Du weißt ja, wie er ist.«
»Kann ich verstehen. Laß uns mal nach vorne zum Eingang gehen«, erwiderte Kevin.
Wie der Zufall es wollte, brauchten sie nichts weiter tun, um ihre Geschichte abzuschließen. Sie liefen gerade vor dem Hotel entlang, als ein dunkelblaues Auto aus der Tiefgarage des Hotels herausfuhr.
Die beiden Männer auf den Vordersitzen waren eindeutig Detektive. Man brauchte kein Teleobjektiv, um feststellen zu können, daß es sich bei dem zwischen zwei Polizeibeamten eingeklemmten Mann auf dem Rücksitz um Chazz handelte.
Als das Auto auf die Straße einbog, blickte der Rockstar in die entgegengesetzte Richtung. Das bot Kevin genau die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Er sprang vor. Seine Canon klickte wie verrückt, dann hatte er zwanzig Bilder in ebenso vielen Sekunden gemacht.
Der Sänger senkte den Kopf, um dem Fotografen zu entgehen, doch dazu war es bereits zu spät. Kevin hatte ihn vor die Linse bekommen!
»Phantastisch!« Dee hatte ihn eingeholt, als das blaue Auto außer Sichtweite raste. »Das war großartig. Jetzt können wir nur hoffen, daß vor Montag sonst hier niemand auftaucht.«
»Die Aufnahmen werden sie jedenfalls nicht bekommen«, erwiderte er mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht.
»Ich gehe jetzt an die Hotelbar und schaue mal nach, ob wir nicht noch ein paar Fotos von dem demolierten Zimmer bekommen können. Kommst du mit?«
Das war das Beste, was Dee am heutigen Tag passiert war. Gary war das Wochenende über in Old Trafford, wo es vermutlich ohne Unterlaß regnete. Zu Hause erwartete sie nichts als seine Wäsche, die er ohnehin nie anrühren würde, ganz gleich, wie lange sie sie noch liegenließ. Und natürlich ihre Kummerkastenkolumne. Einen Drink mit einem Mann, der nicht stundenlang über Fußball redete, erschien ihr äußerst verlockend. Aber sie mußte absagen. Wenn Kevin die Bilder vom Hotelzimmer bekam, würde sie anhand dieser Bilder ihre Beschreibung machen können. Sie mußte unbedingt noch mit der Polizei über die Festnahme von Chazz reden, der eigentlich Charlie Leonard hieß und Sänger der Band Panic Zone war. Da sie die Nase von Gary ohnehin voll hatte, konnten ein paar ordentliche Drinks mit Kevin Miller wer weiß wohin führen. Das letzte Mal, daß sie derart wütend auf ihren Verlobten gewesen war, war damals, als er das Essen in dem Restaurant vergessen hatte, wo sie jedes Jahr ihren Geburtstag feierten. Sie war so sauer gewesen, daß sie schließlich mit ein paar Leuten aus der Redaktion einen trinken gegangen war und mit dem glücklich verheirateten stellvertretenden Chefredakteur wie verrückt geflirtet hatte. Was für ein Fehler!
Der darauffolgende Tag in der Redaktion war die Hölle gewesen. Alle hatten sich über ihre Verhalten mokiert und sich gar nicht mehr einkriegen können, von dem entsetzlichen Kater einmal ganz abgesehen. Allein bei der Erinnerung schauderte es Dee.
»Tut mir leid, ich kann nicht. Vielleicht ein andermal?«
Kevin grinste sie an. »Adieu.« Er berührte ihre Hand. »Darauf komme ich zurück.«
Auf dem Weg zum Auto mußte Dee lächeln. Dann rief sie vom Handy aus die nächste Polizeistation an. Obwohl sie pelzige Beine hatte und ihre Haare eine einzige Katastrophe waren, hatte Kevin Mills sie zu einem Drink eingeladen. Nun, es gehörte zur Arbeit, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber dennoch: gefragt hatte er sie.
Liebe Annie,
ich bin jetzt seit sechs Jahren mit meinem Freund zusammen. Vor zwei Jahren haben wir uns verlobt und leben zusammen. Vor ein paar Tagen hat mich ein Kollege nach der Arbeit auf ein Bier eingeladen, und ich hatte wirklich Lust zuzusagen. Was ist nur mit mir los? Ich liebe meinen Verlobten, und jetzt habe ich ein so schlechtes Gewissen, daß ich mit diesem anderen Mann in die Kneipe gehen wollte.
Natürlich habe ich doch abgesagt. Aber jetzt denke ich andauernd, daß doch irgend etwas zwischen mir und meinem Freund nicht stimmen kann, wenn ich so empfinde. Das macht mich ganz krank.
Deine Verwirrte.
Liebe Verwirrte,
vermutlich ist das nur eine Phase, die Sie momentan durchleben. Jetzt wo Sie verlobt sind und heiraten wollen, halten Sie es vermutlich für abgemacht, daß Sie nie wieder auch nur einen Blick auf einen anderen Mann werfen wollen. Das entspricht jedoch nicht unbedingt der Wahrheit.
Viele glücklich Verheiratete werfen gelegentlich mal einen Blick auf jemand anderen. Die Ehe wird in einem solchen Augenblick auf die Probe gestellt, ob man diesem wachsenden Gefühl nun nachgibt oder nicht. Sie sollten kein schlechtes Gewissen haben, nur weil sie sich zu jemand anderem hingezogen fühlen. Sie haben nichts falsch gemacht, Sie sind eine ganz normale Frau. Falls es in Ihrer Beziehung zur Zeit gerade Probleme gibt, wird das natürlich Ihre Verwirrung steigern. Jede Beziehung hat auch ihre schlechten Zeiten. Gerade in diesen Zeiten müssen Sie sich besonders um Ihre Beziehung bemühen. Manchmal langweilt man sich, aber denken Sie einmal an all Ihre Gründe zurück, weswegen Sie sich ursprünglich in Ihren Verlobten verliebt hatten ...
Spät am Nachmittag kehrte Dee nach Hause zurück. Sie hatte ihren Bericht schließlich von einem Polizisten bestätigt bekommen, und Kevin hatte sie angerufen, als sie gerade vor dem Supermarkt geparkt hatte. Er hatte die Bilder von dem von Chazz verwüsteten Hotelzimmer. »Es war alles halb so wild. Mein Informant sagte mir, das Hotel habe die Polizei alarmiert, als er einen der Etagenkellner zusammenschlagen wollte. Sie wissen nicht, daß ich in dem Zimmer war. Ruf also nicht vor morgen früh das Hotel wegen eines Kommentars an, sonst geben sie die Story noch an einen anderen.«
»Klar.« Dee kannte die Spielregeln. Wenn man das Hotel in seine Vorhaben einweihte, konnte jemand vom Hotel vielleicht noch einen anderen befreundeten Journalisten einweihen und damit die exklusive Story des Sentinel ruinieren.
»Die Bilder liegen gleich morgen früh auf deinem Schreibtisch, okay?« Kevins nunmehr sachliche Stimme hatte nichts mehr von der früheren Wärme.
»Ist gut«, antwortete Dee freundlich. »Tschüs.« Sie mußte es sich wohl eingebildet haben, daß er sich für sie interessierte. Sie trug ihre sechs knallvollen Einkaufstüten in den Flur und kam sich dabei wie ein Packesel vor.
Immerhin hatte sie jetzt etwas Nettes zum Abendessen, dachte sie, als sie die Zutaten für ein Brathähnchen im Kühlschrank verstaute. Zwei Päckchen kleine Erdbeerküchlein rammte sie in die Tiefkühltruhe. Der Wasserkessel war schon fast am Kochen, aber Dee änderte ihre Meinung. Anstelle einer Tasse Kaffee goß sie sich ein Glas Weißwein ein, das sie mit nach oben nahm, um dort weiter an ihrer Kolumne zu arbeiten. Später würde Gary sie anrufen, und sie würde ihm sagen, wie leid ihr ihr Streit täte und daß sie ihn liebte.
Um zehn Uhr früh an einem Sonntag morgen war es in den Redaktionsräumen des Sentinel normalerweise sehr ruhig. Obwohl eine Schicht an der Montagsausgabe arbeitete, kamen die Leute doch später als gewöhnlich ins Büro. Sonntags wollten sie noch etwas länger im Bett bleiben, dann Toast und Kaffee genießen und die Zeitungen durchlesen. Und das erst recht an einem Tag, an dem es Bindfäden regnete.
Dee haßte es, an einem Sonntag zu arbeiten. Heute war sie müde und hatte einen Pickel am Kinn. Eindeutig steuerte sie auf ihre prämenstruelle Gefahrenzone zu. Sie war total deprimiert darüber, daß sie mittlerweile fast zweiundsiebzig Kilo wog, wobei sie das meiste Fett am Bauch angesetzt hatte. Sie hatte sich gerade eine Kanne Filterkaffee gebrüht und suchte in der winzigen Küche im Kühlschrank nach der Milch, als ihre beste Freundin Maeve Lynch mit einer ausgebeulten Aktentasche und einem triefenden Regenmantel vorbeieilte. Sie war groß, dünn und trug kurze Haare, die sie sich in unterschiedlichen, sehr unnatürlichen Burgundertönen färbte. Maeve war für das Seitenlayout und die Titelzeilen zuständig. »Kaffee, welch ein Segen«, keuchte sie wie eine Süchtige, die nach ihrem Gift lechzte. »Du bist ein Engel, Dee.«
»Wenigstens eine, die so denkt«, knurrte Dee. Gary hatte sie gestern nicht angerufen, und sie war fuchsteufelswild ins Bett gegangen. Sie hatte unruhig geschlafen und darüber nachgegrübelt, was genau sie nach seiner Rückkehr zu ihm sagen würde. Es waren fast ausschließlich Flüche und lautes Geschrei.
»Was ist los?« fragte Maeve mitfühlend. »Ist es wegen Gary?«
»Wann ist es denn schon mal nicht wegen Gary?«
»Was ist passiert?« Maeve kippte drei Löffel Zucker in ihren Kaffee. Dee wollte es nicht einleuchten, daß Maeve soviel Zucker essen konnte und dennoch das Aussehen einer Magersüchtigen hatte.
»Wollte er nicht das Wochenende über verreisen?«
»Ist er ja auch. Hat sich nur nicht die Mühe gemacht, mich anzurufen.«
»Ach so. Mensch, du weißt doch, wie Männer so sind«, erwiderte Maeve artig.
»Nein, aber ich weiß, wie Gary so ist.«
Sie nahmen ihre Kaffeetassen mit ins Großraumbüro. Es war ein großer, unaufgeräumter Raum, wo auf jedem der Tische ein Computer stand, die Faxmaschinen in einer Ecke untergebracht waren und vier Fernsehbildschirme an den Wänden hingen.
Anders als in allen anderen Büros gab es dort weder Topfpflanzen noch geschmackvolle Kunstdrucke: Die Redaktionsräume des Sentinel waren kein Ort für Pflanzenkult. Sowie es sechs Uhr war, holten alle Raucher ihre Zigarettenpäckchen hervor und zündeten sich gierig eine an.
Denn dann war die Sekretärin des Chefredakteurs, eine eingefleischte Nichtraucherin und geborene Tyrannin, endlich weg, und alle konnten tun und lassen, was sie wollten. Keine Pflanze hatte in dieser Luft länger als sechs Wochen überlebt. Noch nicht einmal die der Klatschkolumnistin, die ihren Efeu regelmäßig biologisch gedüngt hatte.
Dee hatte nie geraucht, abgesehen von einer gelegentlichen Zigarette, wenn sie mit Maeve in der Kneipe war und nichts mit ihren Händen anzufangen wußte. Manchmal wäre sie gern Raucherin gewesen – denn Nikotin wirkt angeblich appetithemmend. Sie stellte sich vor, sie wäre sehr schlank und gepflegt, mit Rippen wie ein Windhund und einer eleganten Zigarettenspitze ständig in einer ihrer schlanken Hände. Dann aber war ihr eingefallen, daß sie mit oder ohne Zigaretten dem Essen einfach zu sehr zugetan war. Das war ihr Problem.
Dee stellte ihre Tasse auf dem Schreibtisch ab, der immer noch mit den Zeitungen der letzten Woche bedeckt war. Sie verschaffte sich etwas Platz, indem sie den ganzen Müll auf die eine Seite schob, dann öffnete sie ihren Notizblock und notierte auf einer neuen Seite das Datum. So hatte sie es immer gehalten. Ihr erster Chef hatte ihr gesagt, daß sie so am besten den Überblick behielt – sie sollte sich alles in einem Büchlein notieren, damit ihr niemals wichtige Telefonnummern auf irgendwelchen Zetteln verlorengehen konnten.
»Hier.« Maeve reichte ihr eine braune Papiertüte mit drei gezuckerten Pfannkuchen und zog ihren Stuhl zu Dees Schreibtisch heran.
Dee bemühte sich, den Pfannkuchen keinerlei Beachtung zu schenken. Sie fühlte sich ohnehin schon dick genug. »Über dein mieses Wochenende brauchen wir nicht zu reden, wenn du nicht willst«, sagte Maeve. »Und meine Geschichte würde dich unendlich langweilen.«
Dee lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und nippte bedauernd an ihrem Kaffee. »Mit irgend jemandem muß ich darüber sprechen, Maeve«, erwiderte sie. »Sonst drehe ich durch, aber vollkommen.«
»Was hat er denn diesesmal gemacht?« brummte Maeve, den Mund voller Kuchen.
»Was er nicht getan hat ist es, was mich irre macht. Am Freitag hatten wir wieder einen Riesenkrach wegen der Hausarbeit. Er meinte, er habe die Nase absolut voll davon, daß ich ihm ständig damit auf die Nerven falle. Aber jetzt mal ehrlich, er wäscht kaum noch eine Tasse ab. Das Spülbecken ist seit über einer Woche randvoll, wir haben keinerlei Besteck mehr, trotzdem rührt er den Abwasch nicht an ...«
»Du hast also abgewaschen?« unterbrach sie Maeve.
»Habe ich nicht!« entgegnete Dee bestimmt. »Aber ich werde es tun«, fügte sie hinzu. »Ich kann den Anblick dieser Müllkippe keinen Tag länger ertragen. Und was die Sache noch schlimmer macht, daß er mich seit seiner Abreise nicht einmal angerufen hat. Er ist so gedankenlos!«
Maeve holte einen weiteren Pfannkuchen aus der Papiertüte und bot ihn Dee an, die ihn zunächst verlangend betrachtete und schließlich annahm.
»Wenn es dir ein Trost ist, mein Wochenende war auch eine Katastrophe. Dieser charmante Fernsehproduzent, der mich letzte Woche gefragt hat, wo ich denn sein ganzes Leben lang gesteckt hätte, hat mich nicht einmal zurückgerufen, um sich mit mir zu verabreden.«
»Schrecklich. Und was hast du gemacht?«
»Ich bin mit den Frauen aus der Wohnung unter mir ausgegangen. Wenn ich mit denen ausgehen, stehen wir jedesmal um vier Uhr morgens vor einem Club und versuchen uns an unsere Adressen zu erinnern, um sie dem Taxifahrer mitteilen zu können.«
Dee konnte ihre aufkeimende Eifersucht nicht unterdrücken. Maeve hatte sich einen Bombenabend gegönnt und einen Tequila nach dem anderen gekippt, während sie zu Hause festgesessen und auf Garys Anruf gewartet hatte. Wieder einmal wurde ihr bewußt, daß sie den klassischen weiblichen Fehler begangen hatte. Sie hatte die Kontakte zu ihren Freundinnen schleifen lassen, weil sie eine feste Beziehung hatte.
Gary dagegen ging weiter mit seinen Kumpels weg, als ob er völlig ungebunden sei.
Er hinderte sie nicht, sich mit ihren Freunden zu treffen; nur Dee fand irgendwie, daß sie jetzt als Paar andere Dinge zusammen unternehmen sollten. Sie liebte es, am Wochende Möbelgeschäfte auf der Suche nach Schlafzimmereinrichtungen zu durchstreifen oder Bücher einzukaufen und danach stundenlang in irgendwelchen urigen Dubliner Pubs zu sitzen, Irish Coffee zu trinken und zu lesen. Gary seinerseits ging lieber mit seinen Kumpels einen trinken.
»Laß uns doch die Männer einfach mal vergessen«, sagte Maeve plötzlich. »Nach der Arbeit lade ich dich auf einen Drink ein, und wir werden über das schwächere Geschlecht kein Wort verlieren. Aber erst habe ich noch etwas Klatsch für dich.«
Dee richtete sich auf. Wie alle Reporter liebte sie Klatsch.
»Was denn?«
Maeve grinste boshaft. »Antonia verläßt uns! Hubbie hat eine Stelle in einem Londoner Pharmaunternehmen angenommen. Offenbar war es ein Angebot, dem er einfach nicht widerstehen konnte. Ursprünglich wollte er jedes Wochenende hierherfliegen, doch er verdient anscheinend so viel Geld, daß Antonia der Ansicht ist, sie könnten zu zwei davon leben. Sie geht also mit ihm mit und will dann freiberuflich für verschiedene englische Frauenzeitschriften arbeiten. Die Kinder sind ja auch schon groß, auf die braucht sie nun keine Rücksicht mehr zu nehmen.«
Dee war verblüfft. »Ich fasse es nicht! Erinnere dich doch, wie sehr sie um den Posten der Ressortleiterin für Frauenthemen gekämpft hat, und jetzt will sie ihn so sang- und klanglos aufgeben? Woher weißt du das eigentlich? Sie hat es dir wohl kaum selbst gesagt?« Dee wußte, daß Antonia und Maeve nicht gerade Busenfreundinnen waren. Andererseits war es auch sonst niemandem gelungen, zu der angespannten, hypernervösen Antonia einen Draht zu finden. Antonia machte aus jeder Krise gleich ein Riesendrama. Außerdem ließ sie jeden wissen, daß sie einer reichen englisch-irischen Familie entstammte und eine Fürstin zur Cousine hatte.
»Einer der Sportredakteure hat es mir gesteckt. Ich habe ihn gestern abend mit den anderen zusammen bei Slattery’s getroffen. Der wiederum hat es von der Zeitangestellten in der Werbeabteilung, die ein Gespräch ihres Chefs mit Antonias Mann mitbekommen hat – die beiden spielen zusammen Golf –, in dem sie sich über Immobiliengeschäfte in London unterhalten haben. Du sollst es aber noch niemandem weitersagen«, warnte Maeve. »Die Zeitangestellte war ziemlich angeheitert, als sie Tom davon erzählt hat. Sonst weiß noch kein Mensch Bescheid.«
»Verstehe«, erwiderte Dee langsam. Mit Antonias Weggang war ihr Weg geebnet, um aus der Nachrichtenabteilung in die herausfordernde Welt der Frauenthemen aufzusteigen. Sie hatte die Nachrichtenberichterstattung gründlich satt und wollte beweisen, daß sie ein Naturtalent in Sachen Reportage war. Sie hatte sich auf die Nachrichten nur eingelassen, weil man dort als Anfängerin viel leichter eine Arbeit bekommen konnte. Doch sie wollte wegkommen von den Mordprozessen und den Berichten über Drogenbosse und Händler. Außerdem wußte der Chefredakteur Nigel Burke sehr wohl, wie gut sie Reportagen schreiben konnte. Sie hatte über Weihnachten dort gearbeitet, als die halbe Belegschaft während einer Grippeepidemie das Bett hüten mußte. Für ihre Serie Unbekannte Helden: Lebensretter zur Weihnachtszeit, die eine volle Woche lang gelaufen war, hatte sie jede Menge Lob geerntet. Dies war genau die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte. Denn Antonia hatte keinerlei Interesse an etwas tiefgreifenderen Geschichten gezeigt. Sie hatte immer nur über die Mode der kommenden Saison geschrieben und darüber, welches Lipgloss am längsten hielt ohne entweder am Weinglas oder am Angebeteten zu kleben. Dee würde gerne aus den acht Frauenseiten voller Schönheitstips etwas machen, wo auch ernsthaftere Frauenthemen diskutiert wurden. »Ich weiß, was du denkst. Und du wärst einfach perfekt für Antonias Position«, bestätigte Maeve. »Du würdest das alles mit links schaffen und wahrscheinlich die Frauenseiten um einiges verbessern.«
»Sie noch weiter zu verschlechtern wäre mir wohl kaum möglich«, bemerkte Dee.
»Du sagst es«, unterstützte sie Maeve. »Ich weiß nicht mehr, wie oft ich ihr schon den Hals umdrehen wollte, wenn sie einen ihrer Modebeiträge noch nach dem Layout ändern wollte, weil man unbedingt, über diesen wunderbaren Jungdesigner etwas schreiben müsse. Und dann die vielen Auseinandersetzungen mit ihr, wenn ich etwas von ihr umgeschrieben hatte, weil sie einfach zu lang und unverständlich schreibt ...«
»Maeve, jetzt mal ganz ehrlich«, scherzte Dee. »Was hältst du denn wirklich von Antonia?«
»Sie hält sich für viel zu gut für diese Zeitung. Wir können uns glücklich schätzen, sie loszuwerden.«
»Ich weiß. Würdest du denn gerne mit mir arbeiten?« hakte Dee nach, während ihre Gedanken davonliefen. Jetzt war sie gekommen, ihre große Chance!
»Liebend gerne«, erwiderte Maeve. Dann fügte sie beschwichtigend hinzu: »Vergiß aber nicht, Dee du wirst nicht die einzige sein, die sich für Antonias Posten bewirbt.«
»Die einzige andere Person, die eine Chance hätte, ist Phil Walsh. Und sie liebt ihren Job als Featureredakteurin. Sie würde nicht zu den Frauenthemen wechseln wollen«, blockte Dee ab.
Maeve knüllte die Pfannkuchentüte zusammen und rollte den Stuhl zurück. »Außerhalb dieser Zeitung wird es eine ganze Menge Leute geben, die sich für diesen Job ein Bein ausreißen würden.«
»Nigel würde niemals jemanden von außen nehmen«, erwiderte Dee mit gesenkter Stimme und beobachtete, wie der Chefredakteur die Tür zu seinem Büro öffnete. »Du weißt genau, daß er das nicht tun würde.« Sie stand auf und griff aufgeregt nach dem Arm ihrer Freundin. »Das ist eine phantastische Neuigkeit. Ich kann kaum erwarten, es Gary zu erzählen.«
Stöhnend zerrte Isabel die Wäsche aus der Maschine. Eines der Mädchen hatte ein Papiertaschentuch in der Hosentasche gelassen, so daß die ganze Wäsche jetzt mit winzigen Papierklümpchen übersät war.
»Mist!« brummte sie genervt. Als sie sich heute morgen eine Laufmasche in ihr letztes Paar Strümpfe gerissen hatte, hatte Isabel bereits geahnt, daß es kein guter Tag werden würde. Damit sollte sie recht behalten.
Auf der Autobahn hatte sie zum Tanken anhalten müssen. Das wiederum bedeutete, daß sie zehn Minuten brauchte, um sich wieder in den morgendlichen Stau einzugliedern. Und prompt war sie zu spät zur Redaktionssitzung erschienen.
Ihr neuer Chef, Richie Devine, war offenbar äußerst schlecht gelaunt und verlangte mit eisiger Stimme zu wissen, warum sie fünfzehn Minuten später als alle anderen hereintanzte, und das auch noch, obwohl sie nur einen Zeitvertrag hatte. Isabel wußte genau, daß die zeitweilige Anstellung nicht von Dauer sein würde. Sie warf ihm jenes gewinnende Lächeln zu, über das ihr Mann einmal gesagt hatte, es würde ihr Gesicht wie eine 100-Watt-Glühbirne erhellen. Aber auch das zeigte keinerlei Wirkung.
Ein gewinnendes Lächeln war nur dann wirkungsvoll, wenn man eine zwanzigjährige Studentin mit einem tollen Busen, keinerlei Lebenserfahrung und ohne jede Falten war. Nicht jedoch, wenn man mit neununddreißig dem Doppelstreß ausgesetzt war, sich einerseits von seinem Ehepartner zu trennen und andererseits umzuziehen und dabei auch noch soviel Gewicht verloren hatte, daß die Wangen eingefallen waren und die Schulterknochen mehr Blicke anzogen als der Busen. In einer solchen Verfassung konnte ein Lächeln überhaupt keine Wirkung zeigen.
»Bei unserer Zeitung Motor 2000 haben wir Zeitvorgaben, und wir erwarten von unseren Angestellten, daß sie sich dem fügen«, bemerkte Richie Devine herablassend und fuhr mit der Diskussion einer Werbebeilage für Jeeps fort. Isabel konnte sich nichts Langweiligeres vorstellen, als die Seiten einer Jeepeinlage zu formulieren. Dennoch lächelte sie Richie freundlich zu und ermahnte sich, daß sie diesen Job selbst dann nötig hatte, wenn er schlecht bezahlt und die Arbeit gähnend langweilig war.
Das Seitenlayout zu gestalten und Titelzeilen zu formulieren war interessant, wenn man bei einer Frauenzeitschrift arbeitete. Genau das hatte Isabel zehn erfreuliche Jahre lang getan. Dasselbe jedoch für ein drittrangiges Automagazin zu machen, wo auch nur der leiseste Anflug von Originalität von dem strengen Chef argwöhnisch begutachtet wurde, war gleichzeitig anstrengend und deprimierend. Um das Maß noch voll zu machen, hatte die Bank sie gerade wegen ihres Überziehungskredits angerufen, der »das vereinbarte Höchstlimit bereits weit überschritten hat, Frau Farrell«.
Ich packe das einfach alles nicht mehr, dachte Isabel bekümmert, während sie all die feuchten Taschen durchsuchte, um die Ursache für die Schweinerei zu finden. »Mama, wo ist meine Levi’s?« ließ sich eine schrille Stimme von oben vernehmen.
»Sie ist naß und mit Papierfetzen übersät, von dem Taschentuch, das du in der Tasche gelassen hast«, rief sie zurück, nachdem sie die eingeweichten Reste in der fraglichen Levi’s gefunden hatte.
Ihre älteste Tochter antwortete nicht, aber Isabel hörte, wie Robin in ihr Zimmer stapfte und die Tür laut hinter sich zuknallte. Dieses Verhalten ihrer fünfzehnjährigen Tochter war ganz normal. In letzter Zeit jedenfalls. Isabel erinnerte sich noch gut an die Zeiten, in denen Robin ihre beste Freundin, engste Verbündete und größte Bewunderin gewesen war. Das war gerade mal drei Monate her, bevor sie die baumbestandenen Vororte Oxfords verlassen hatten und zu Isabels Eltern nach Wicklow gezogen waren. Natürlich war es für die Mädchen nicht leicht gewesen, ihr gemütliches Zuhause, die gute Schule und die vielen Freunde zurückzulassen, aber sie hatte keine andere Wahl gehabt. David hatte ihnen keine Wahl gelassen, dachte sie düster und zupfte die Papierstückchen von der Kleidung. Für sie selbst war es auch nicht leicht gewesen. Sie hatte ein Zuhause verlassen, das sie liebevoll von Grund auf renoviert hatte. Ebenso hatte sie einen sehr angenehmen Arbeitsplatz aufgeben müssen. Und das alles, weil ihr verdammter Ehemann auch noch den letzten Pfennig bei dem Versuch verloren hatte, seine dämliche Werbefirma wieder auf die Beine zu bekommen. Das hatte sich als letzter Nagel zum Sarg ihrer Ehe erwiesen.
Ohne einen Pfennig ihrerseits war die Bank drauf und dran, ihr Haus zu versteigern. Isabel sah keine andere Möglichkeit, als sowohl David als auch Oxford zu verlassen und einen Neubeginn zu wagen. Das würde sie ihm niemals verzeihen.
Sie hatten so viele Stürme überlebt, daß Isabel davon ausging, David Farrell bis ins letzte Detail zu kennen. Nach sechzehnjähriger Ehe war sie davon überzeugt, daß sie nichts mehr schockieren könnte. Und immer hatte sie gehofft, daß die Liebe in ihre Ehe zurückkehren würde. Irgendwie. Sie hätte es besser wissen sollen.
Sie hatten sich nach seinen Affären zusammengerauft – es waren derer drei gewesen –, sie hatten seine zweijährige Arbeitslosigkeit und seinen darauffolgenden katastrophalen Ausflug in die Welt der Aktien überlebt. Als Isabel dann jedoch herausgefunden hatte, daß er ihr Haus als Sicherheit für ein von Anfang an unsicheres Geschäft geboten hatte, wußte sie, daß sie ihn verlassen mußte. Es ging nicht mehr nur um sie, es ging um ihre Töchter.
Wenn David in der Lage war, ihr Zuhause zu verspielen und die Sicherheit ihrer jungen Leben, ohne auch nur zweimal darüber nachzudenken, zu bedrohen, konnte Isabel nicht länger bei ihm bleiben. Natürlich war ihr klar, daß Robin und die zwölfjährige Naomi sich die Scheidung sehr zu Herzen nehmen würden.
David liebte sie schon lange nicht mehr, ungefähr seitdem sie das Baby verloren hatte. Isabel hätte nicht sagen können, was schlimmer gewesen war: den kleinen Jungen zu verlieren, nach dem sie sich so sehr gesehnt hatte, oder aber die monatelange Depression danach zu ertragen, während der ihr Ehemann nicht mit ihr hatte reden können und es offenbar auch gar nicht gewollt hatte.
Es war vor fast fünf Jahren im August gewesen, ein wunderbar sonniger Monat, und Isabel hatte ihre Tage im Garten sitzend verbracht, an ihrem Eiswasser genippt und versucht zu lesen, während die achtjährige Naomi und die zehnjährige Robin sich gegenseitig in den Haaren lagen. Sie hatte nicht die Kraft gehabt, sie zu maßregeln. Brüllend rannten sie durch den Garten, durch die Küche und die Treppe hoch, während Isabel mit einer Zeitschrift auf dem Schoß im Liegestuhl saß und über einen geeigneten Namen nachdachte. Sie war in der vierzehnten Woche schwanger und davon überzeugt, daß es ein Junge werden würde. Ihre Kolleginnen im Büro stimmten ihr zu. Isabel war überglücklich gewesen. Nach den zwei Mädchen wünschte sie sich einen Jungen und wußte, daß auch David sich insgeheim nach jemandem sehnte, mit dem er in Zukunft Fußball und Autos diskutieren konnte.
Niemals würde sie den Schmerz vergessen, als sie das Baby verlor, ihren wunderbaren kleinen Jungen. Alles war ganz plötzlich geschehen. Sie wusch gerade einen Salatkopf ab, im nächsten Augenblick krümmte sie sich vor Schmerzen. Es waren die Art Schmerzen, die nur eines bedeuten konnten. Als David am nächsten Tag aus London zurückkehrte, brachte er ihr Blumen mit ins Krankenhaus. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. Sie ihrerseits sehnte sich nach nichts mehr, als in den Arm genommen und getröstet zu werden. Sie wollte für das verlorene Baby trauern dürfen. Sie wollte nicht hören, daß sie schon bald ein anderes haben könnten, wie es ein gedankenloser Arzt am Vortag formuliert hatte. Ein verlorenes Baby konnte man niemals ersetzen, dachte Isabel und weinte vor Schmerz.
David würde sie verstehen, dachte sie. Als er sie jedoch besuchen kam, schienen sie durch tausend Kilometer eisigen Wassers getrennt zu sein. Er hielt ihre Hand, konnte jedoch, von Platitüden einmal abgesehen, nicht reden. »Morgen kannst du entlassen werden«, sagte er mit leiser Stimme. »Die Mädchen werden begeistert sein. Ich habe Robin eine wunderbare Puppe auf der Regent Street gekauft. Man kann sie frisieren und schminken. Für Naomi habe ich ein Malbuch gekauft.«
»Wie schön.« Isabel lehnte sich wie betäubt in ihre Kissen zurück. Sie fühlte eine riesige Leere in sich. David sprach über Puppen und Malbücher, als ob sie lediglich wegen eines verstauchten Knöchels im Krankenhaus läge! Über das Baby hatte er nie ein Wort verloren. Anfangs fragte sie sich, ob es ihm gleichgültig war. Oder ob er vielleicht Schuldgefühle hatte, weil er während ihrer Fehlgeburt nicht zu Hause gewesen war. Als sie endlich merkte, wie sehr ihn der Verlust seines Sohnes schmerzte, war es zu spät. Sie war durch ihre eigene Depression so behindert, daß sie ihm nicht beistehen konnte. Selbst Naomi und Robin war sie in der Zeit keine gute Mutter. Ihr erwachsener Ehemann mußte mit seinem Schmerz allein fertig werden, während sie ihren eigenen zu überleben versuchte. Ihre Ehe hatte weiter wie ein Boot mit einem Loch im Boden dahingedümpelt. Sie lebten im selben Haus, sie teilten Tisch und Bett. Mehr aber nicht.
Vielleicht hätte sie ihn schon damals, mit vierunddreißig, verlassen sollen, als sie noch viel Lebensenergie hatte. Jetzt schien sie eben diese Energie nicht mehr zu haben. Zu dem Zeitpunkt war Robin eine formbare Zehnjährige gewesen, die die Trennung ihrer Eltern vielleicht besser überstanden hätte als heute. Damals jedoch war Isabel von ihrer Trauer so überwältigt, daß sie die Kraft dazu nicht hatte aufbringen können. Wer konnte es sich überhaupt anmaßen, den richtigen Zeitpunkt für eine Trennung zu kennen? Isabel hatte das Gefühl, gar nichts mehr mit Bestimmtheit zu wissen.
Sie knallte die Waschmaschinentür zu, richtete sich auf und lehnte sich an die blitzweiße Resopalarbeitsfläche, die ihre Mutter stundenlang mit Putzmitteln bearbeitete. Die ganze Küche glänzte, angefangen von dem Herd bis hin zu dem fleckenlosen Fensterbrett, auf dem eine einzige Geranie ohne auch nur ein einziges braunes Blättchen stand. Isabel war die kalte, klinische Atmosphäre der Küche ihrer Mutter verhaßt, als ob niemand jemals Brotkrumen auf den Tisch krümelte oder kleine Hände Marmeladenabdrücke am Kühlschrank hinterließen.
Die sterile Umgebung des Hauses in der Sycamore Avenue stand in krassem Gegensatz zu Isabels Küche in Oxford. Die war warm und gemütlich gewesen, mit hölzernen Regalen und abgewetzten Terrakottafliesen auf dem Fußboden. Eine Unmenge Pflanzen auf dem Fensterbrett ließen ihre Blätter unordentlich bis ins Waschbecken hängen. Unhygienisch, hätte ihre Mutter gesagt. An der Pinnwand aus Kork steckten Fotos von Robin und Naomi, Einkaufslisten und Cartoons, die die Mädchen aus Comicbüchern ausgeschnitten hatten.
Auf den Arbeitsflächen waren lauter Dinge verteilt, das Bügeleisen stand gleich neben dem Teekessel, weil Isabel normalerweise jeden Morgen kurz bügelte. Es war eine Familienküche, doch nun waren sie keine Familie mehr.
Daß sie ihn verlassen würde, hatte sie David während eines letzten, schrecklichen Streits in der Küche mitgeteilt. Er hatte im Fernsehzimmer gesessen und sich eine Fußballsendung angesehen, in der einen Hand ein Bier, in der anderen die Fernbedienung. Sie war mit einem Brief von der Bank die Treppe heruntergekommen.
Der Brief war brüsk und beängstigend. Die erst kürzlich verlängerte Kreditzusage für das Haus war die letzten sechs Monate über nicht getilgt worden. Wenn dieses Versäumnis nicht in allernächster Zeit nachgeholt werde, würde man rechtliche Schritte einleiten. Beim Lesen dieser Worte hatte sich Isabel der Magen umgedreht. Sie fühlte sich schwach, erschöpft und wie vor den Kopf geschlagen. Und dann war sie wütend geworden.
»Wie kannst du uns das antun?« schrie sie David an. »Wie kannst du nur? Und warum in aller Welt hast du mir das nicht gesagt? Glaubst du wirklich, es würde mich nicht interessieren, daß wir keinen einzigen Pfennig mehr besitzen?«