Eine skandalöse Leidenschaft - Stephanie Laurens - E-Book
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Eine skandalöse Leidenschaft E-Book

Stephanie Laurens

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Beschreibung

Er hat nie an die große Liebe geglaubt, doch diese verführerische Lady bringt sogar sein Herz zum Glühen ...

Sebastian Cynster läuft die Zeit davon, denn sollte er sich nicht bald für eine passende Ehefrau entscheiden, werden die weiblichen Familienmitglieder ihm auf die Sprünge helfen. Doch bisher konnte keine Dame sein Herz erobern. Als er vom Sohn des Herzogs von Wolverstone um Hilfe bei einer wichtigen Mission gebeten wird, willigt er sofort ein. Schon vor einiger Zeit stand er Drake zur Seite – und lernte durch ihn attraktive Frauen kennen. Und tatsächlich macht er gemeinsam mit Drake erneut eine Bekanntschaft der betörenden Art: Antonia Rawling heizt Sebastians Leidenschaft bald mehr und mehr an. Noch scheint die schöne Antonia allerdings nur an Freundschaft interessiert, doch Sebastians Jagdinstinkt ist geweckt …

Die Reihe »Cynster, eine neue Generation« bei Blanvalet:
1. Eine Liebe in den Highlands
2. Schottische Versuchung
3. Verführt von einer Highlanderin
4. Eine skandalöse Leidenschaft
5. Ein verheißungsvolles Abenteuer
6. Wie zähmt man eine Lady?
7. Der irische Gentleman

Alle Bände können auch unabhängig voneinander gelesen werden.

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Seitenzahl: 423

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Buch

Sebastian Cynster läuft die Zeit davon, denn sollte er sich nicht bald für eine passende Ehefrau entscheiden, werden die weiblichen Familienmitglieder ihm auf die Sprünge helfen. Doch bisher konnte keine Dame sein Herz erobern. Als er vom Sohn des Herzogs von Wolverstone um Hilfe bei einer wichtigen Mission gebeten wird, willigt er sofort ein. Schon vor einiger Zeit stand er Drake zur Seite – und lernte durch ihn attraktive Frauen kennen. Und tatsächlich macht er erneut eine Bekanntschaft der betörenden Art: Antonia Rawlings heizt Sebastians Leidenschaft bald mehr und mehr an. Noch scheint die schöne Antonia allerdings nur an Freundschaft interessiert, doch Sebastians Jagdinstinkt ist geweckt …

Autorin

Stephanie Laurens begann mit dem Schreiben, um etwas Farbe in ihren wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Ihre Bücher wurden bald so beliebt, dass sie ihr Hobby zum Beruf machte. Stephanie Laurens gehört zu den meistgelesenen und populärsten Liebesromanautorinnen der Welt und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne, Australien.

Von Stephanie Laurens bereits erschienen

Ein feuriger Gentleman · In den Armen des Spions · Eine stürmische Braut · Ein süßes Versprechen · Ein widerspenstiges Herz · Stürmische Versuchung · Ein sinnliches Geheimnis · Triumph des Begehrens · Duell der Sehnsucht · Eine ungezähmte Lady · Gespielin der Liebe · Meisterin der Verführung · Verwegene Geliebte · Eine Liebe in den Highlands · Schottische Versuchung · Verführt von einer Highlanderin

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Stephanie Laurens

EINE SKANDALÖSE LEIDENSCHAFT

Roman

Deutsch von Christiane Meyer

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel»The Lady by his Side« bei Savdek Management.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright der Originalausgabe © 2017 by Savdek Management Proprietary Limited

Published by Arrangement with Savdek Management Pty Ltd

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2021 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Ulrike Nikel

Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (Expensive; Stephen Robertson; iulias; Book Cover Photos)

LA · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-26037-8V001

www.blanvalet.de

Kapitel 1 

Arthur’s Gentlemen’s Club, St. James, London

15. Oktober 1850 

»Ich brauche deine Hilfe.«

Lord Sebastian Cynster, Marquess of Earith, ließ sich in der kultivierten Beschaulichkeit des Arthur’s Gentlemen’s Club in einen gemütlichen Ledersessel sinken und sah zu, wie der hochgewachsene Lord Drake Varisey, Marquess of Winchelsea, es sich im Sessel gegenüber gemütlich machte.

Drake hatte am Morgen einen Diener mit einem Schreiben geschickt, in dem er um dieses nachmittägliche Treffen gebeten hatte. Als Sebastian hier angekommen war, hatte Drake bereits im Foyer auf ihn gewartet. Gemeinsam waren sie durch den Club geschlendert. Es war zu spät für den Ansturm auf das Mittagessen und zu früh für das Abendessen, und nur wenige Herren waren da, die Zeugen ihrer Anwesenheit werden konnten. In stiller Übereinkunft hatten sie sich zum Erker am hinteren Ende der lang gestreckten Bibliothek begeben. Von den beiden Sesseln aus, die leicht in den Raum gedreht waren, erkannten sie, dass keiner der Anwesenden ihnen nahe genug war, um ihre Unterhaltung mit anhören zu können.

»Wenn ich mich recht entsinne«, murmelte Sebastian, »musste ich, als ich dir das letzte Mal geholfen habe, mehr als eine Woche lang meine Hände vor meiner Mutter verstecken.«

Er betrachtete die langen Finger seiner rechten Hand, die entspannt auf der Armlehne des Sessels lag. Inzwischen waren die Verletzungen an seinen Fingerknöcheln längst abgeheilt und nicht mehr zu sehen, aber hätte seine Mutter, die Duchess of St. Ives, diese deutlichen Hinweise dafür entdeckt, dass ihr Erstgeborener zu Schlägereien neigte, hätte sie weit mehr Interesse daran gezeigt, als es Sebastian oder Drake recht sein konnte. Vor allem, da sie eine enge Freundin von Drakes Mutter, der Duchess of Wolverstone, war.

»Du hast jede Sekunde genossen«, erwiderte Drake. »Und unabhängig davon handelt es sich hierbei, wie ich fürchte, um eine Angelegenheit, die Königin und Vaterland betrifft.«

»Aha.« Sebastian verstummte. Etwas als Pflicht für Königin und Vaterland zu bezeichnen war Drakes Umschreibung für Missionen, die eine potenzielle Bedrohung für die Sicherheit des Königreichs darstellten.

»Und«, sagte Drake, zog die Augenbrauen hoch und richtete seine goldbraunen Adleraugen auf Sebastians Gesicht, »womit solltest du dir sonst um diese Jahreszeit die Zeit vertreiben?«

Tatsächlich hatte Sebastian eine spezielle Aufgabe, die er gerade zu erfüllen versuchte, doch er verspürte nicht den Drang, mit irgendjemandem darüber zu sprechen, schon gar nicht mit Drake.

Sie waren einander sehr ähnlich, in vielerlei Hinsicht. Drake war zwei Jahre älter als Sebastian, und wegen der Freundschaft, die ihre beiden Familien seit Langem verband, kannten sie sich seit Kindertagen. Als Söhne des Hochadels waren sie in Eton gewesen und anschließend in Oxford auf dem Balliol College. Ihre Wege hatten sich auf beiden Institutionen unweigerlich gekreuzt.

Obwohl sie keine Brüder waren, sahen sie einander verblüffend ähnlich. Beide waren hochgewachsen, langgliedrig und schlank, um die eins neunzig groß, und hatten breite Schultern. Sie bewegten sich mit der raubtierhaften Anmut von mächtigen Männern, die sich in ihrer Haut wohlfühlten und mit sich im Reinen waren – von Männern, die sich ihrer Stärke sicher waren, ihres Könnens und ihrer Fähigkeit, sich jeder Herausforderung zu stellen, die die Welt für sie bereithielt.

Beide waren dunkelhaarig: Sebastians Haar war fast blauschwarz, Drakes hingegen eher dunkelbraun. Der gängigen Mode ihrer gesellschaftlichen Schicht entsprechend, trugen sie es modisch kurz, sodass es gerade ihren Kragen berührte. Für ihre elegante Kleidung bevorzugten beide gedeckte Farben, aber ausgefallene Schnitte. Sebastian kombinierte zu seinen blassgrünen Augen gern eine Mischung aus Schwarz und Hellbraun, während Drake mit seinen braunen Augen für gewöhnlich Kleidung in Mitternachtsblau wählte, die er mit helleren Gold- und Brauntönen abstimmte.

Dass beide von normannischen Vorfahren abstammten, sah man ihnen an. Sie hatten scharf geschnittene Gesichtszüge, einen autokratischen Gesichtsausdruck mit hohen Wangenknochen, fesselnden Augen, schmalen Lippen und einem kantigen Kinn. Doch trotz der Ähnlichkeiten war ihre Wirkung völlig unterschiedlich.

Sebastian wirkte streng, ernst, zurückhaltend, wie ein Krieger in bürgerlicher Kleidung. Drake dagegen konnte, wenn er lächelte, charmant wirken, wobei hinter der Fassade eine Unbarmherzigkeit lauerte, eine Härte, die jeder, der ihm lange genug in die braunen Adleraugen blickte, dort erkannte.

Drake hatte im Großen und Ganzen da weitergemacht, wo sein mächtiger Vater aufgehört hatte. Als Royce, Duke of Wolverstone, sich irgendwann zurückgezogen und die Aufgabe abgegeben hatte, Regierung und Krone in Angelegenheiten zu unterstützen, die für das Königreich von existenzieller Bedeutung waren, hatten viele Menschen angenommen, dass die Dienste eines Wolverstone nach dem Ende der Kriege nicht mehr länger vonnöten seien.

In dieser Hinsicht hatten sie sich geirrt. Zwar war es zu keinen neuen Kriegen gekommen, doch die alten Spannungen waren weiterhin präsent gewesen. Das hatte zu Verschwörungen, Zusammenstößen und Intrigen geführt – einige wirtschaftlicher, einige politischer Natur und viele mit dem Potenzial, den Staat zu destabilisieren und in der Gesellschaft Chaos und Unheil anzurichten.

Als der alte Wolverstone es abgelehnt hatte, sich aus dem wohlverdienten Ruhestand zurückzumelden, hatte die Regierung seinem Erben den Posten angeboten. Drake hatte die meisten, wenn nicht gar alle wichtigen Fähigkeiten seines Vaters geerbt – inklusive der Gabe, andere Menschen zu inspirieren und ein Netzwerk von Informanten aufzubauen. Zu diesen exzellenten Fertigkeiten hatten sich noch einige Züge gesellt, die er von seiner Mutter geerbt hatte – unter anderem die Begabung, andere Menschen in seinen Bann zu ziehen. Ein Talent, das sein Vater nicht besessen hatte. Sebastian bezweifelte, dass er je die Notwendigkeit dazu gesehen hatte.

Allerdings lebten Sebastian und Drake in einer Welt, die ganz anders war als die, die ihre Väter noch gekannt hatten. Nichtsdestotrotz gab es einige Dinge, die nach wie vor als in Stein gemeißelt galten, und daran würde sich nie etwas ändern. Dazu gehörten die Ehre der Familie und bedingungslose Loyalität.

Sebastians Vater, der Duke of St. Ives, sein Bruder und seine Cousins hatten alle in Waterloo gekämpft und entscheidend zu dem Ausgang der gesamten Schlacht beigetragen, zu dem Sieg Englands.

Obwohl es für Sebastian, seinen Bruder Michael und ihre Cousins ersten und zweiten Grades aus dem großen Cynster-Clan derzeit keine Kriege mehr gab, in denen sie ihrem Land hätten dienen müssen, hörten sie immer noch entschlossen auf den Ruf der Pflicht, folgten damit den magischen Worten, die Drake als Parole ausgegeben hatte: für Königin und Vaterland.

Dabei spielte es keine Rolle, dass bei Sebastian im Augenblick nichts anstand, worum er sich hätte kümmern müssen. Außerdem hatte er gegen eine kleine Zerstreuung zwischendurch nichts einzuwenden. Deshalb seufzte er und sah Drake in die Augen.

»Was kann ich für dich tun?«

Alle Belustigung wich aus der Miene des Freundes. »Gestern Nachmittag erhielt ich ein Schreiben von Lord Ennis. Ich glaube, ihr beide kennt einander.«

»Flüchtig.« Sebastian sprach das Wort betont beiläufig aus, denn die dazugehörige Lady kannte er wesentlich besser und fürchtete, dass Drake über diese Sache sehr genau Bescheid wusste.

»Ennis bat mich, auf sein Anwesen in Kent zu kommen. Sein Schreiben klang ziemlich aufgeregt. Er habe Informationen, die ich seiner Meinung nach unbedingt wissen müsse, die er mir allerdings nicht per Brief mitteilen wolle. Da er im Übrigen auch nicht die Zeit habe, nach London zu reisen, lädt er mich zu einer größeren Hausparty ein, die er und seine Frau am neunzehnten geben wollen. In vier Tagen also. Ennis betont, dass er mich persönlich und unter vier Augen sprechen müsse. Zwischen den Zeilen habe ich gelesen, dass Ennis eine Situation schaffen will, in der er mit mir reden kann, ohne die anderen Gäste merken zu lassen, dass es sich um ein sehr besonderes Gespräch handelt.«

Sebastian zog skeptisch die Augenbrauen hoch. »Wenn du bei Ennis auf einer vertraulichen Hausparty auftauchst, bleibt das auf keinen Fall unkommentiert.«

»Das stimmt. Und genau das ist einer der Gründe, warum ich selbst die Einladung des Lords nicht annehmen werde.«

»Ach nein«, grinste Sebastian. »Glaubst du etwa, die Sache ist einfacher, wenn ich an deiner Stelle auf der Hausparty erscheine? Das ist mindestens genauso schlimm, die Leute werden die wildesten Spekulationen anstellen.«

»Aber nicht aus denselben Gründen.« Drake lächelte. »Nur wenige Leute wissen, dass du dir ab und an deine adeligen Hände schmutzig machst, indem du dich an meinen Missionen beteiligst.«

»Und genauso wenige Leute wissen, dass du dir ab und an deine adeligen Hände schmutzig machst, indem du höchstpersönlich heikle Missionen ausführst. Die Gesellschaft geht davon aus, dass du in einem Büro in Whitehall sitzt und den ganzen Tag nichts anderes tust, als hinter den Kulissen Fäden zu ziehen.«

»Was daran liegt, dass so gut wie niemand weiß, dass die Feinde des Königreichs heutzutage viel näher gerückt sind als zu Zeiten meines Vaters«, warf Drake ein. »Vergiss nicht, damals saßen sie noch jenseits der Meere.«

»Es erstaunt mich immer wieder, dass niemandem aufzufallen scheint, dass du im Gegensatz zu deinem Vater, der für das Außenministerium arbeitete, für das Innenministerium tätig bist.«

»Tatsächlich gibt es nicht so viele Menschen, die die genauen Einzelheiten über die Position kennen, die ich innehabe. Und ich würde es begrüßen, wenn es so bliebe. Was noch ein weiterer Grund dafür ist, dass ich am nächsten Samstag nicht nach Pressingstoke Hall reisen werde.« Drake hob die Hand, um Sebastians Einwand, dass es auf keinen Fall funktionieren würde, wenn er an seiner Stelle die Hausparty besuchen würde, im Keim zu ersticken. »Hab Nachsicht, es gibt gute Gründe dafür, dass ich dich als Stellvertreter ausgesucht habe.«

»Die da wären?« Sebastian legte all seine herablassende Arroganz, auf die er sich meisterhaft verstand, in diese Worte. Diesmal leider vergeblich.

»Ganz abgesehen davon, dass es für viel zu viele erstaunte Blicke sorgen und zu Fragen führen würde, die wir alle lieber vermeiden würden, kann ich nicht nach Kent, um mich mit Ennis zu treffen, weil ich morgen oder spätestens übermorgen nach Irland aufbrechen werde. Meine Kontaktpersonen dort haben Informationen für mich, die, wenn sie sich als wahr erweisen sollten, besorgniserregend sind, gelinde ausgedrückt. Und weil der Geheimdienst momentan gespalten ist, muss ich selbst dort erscheinen, um Rückmeldung aus den hinteren Reihen der Widerständler zu bekommen.«

Aufmerksam betrachtete Sebastian Drakes Miene. Wie immer war sie undurchdringlich, gab kaum etwas preis. »Ich vermute, dass du mit den Widerständlern das Junge Irland meinst?«

»Ich nehme es an.« Drake zuckte mit den Schultern. »Bis ich aber keine Rückmeldung oder Bestätigung habe, kann ich mir nicht sicher sein. Nach ihrer Niederlage im Jahre 1848 haben sie sich zurückgezogen, um ihre Wunden zu lecken. Doch die Gruppe hat sich nicht aufgelöst. Nach verschiedenen kleineren Protesten scheint jetzt der erste ernstere Widerstand zu entstehen. Mit anderen Worten: Ich muss der Sache auf den Grund gehen.«

»Ennis ist ein Adliger irischer Herkunft.«

»Eben darum. Und bestimmt werden noch andere Herren irischer Abstammung auf dieser Hausparty sein.«

Sebastian fing Drakes Blick auf. »Also hängen die beiden Dinge zusammen: das, was du von deinen irischen Kontaktleuten gehört hast, und Ennis’ plötzlicher Wunsch, mit dir unter vier Augen zu sprechen?«

»Es ist verlockend, das anzunehmen, wobei man das im Augenblick noch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen kann. Ich muss nach Irland reisen und sehen, was ich an Informationen herauskitzeln kann, während du, mein Freund, freundlicherweise nach Pressingstoke Hall fahren wirst.«

Den Blick mit dem von Drake verhakt, dachte Sebastian nach. Schließlich verzog er leicht das Gesicht. »Du sagtest, es gebe Gründe, warum du ausgerechnet mich ausgewählt hast, dich zu vertreten. Kannst du mir konkret einige nennen?«

»Genau genommen, ist lediglich ein einziger wirklich wichtig: Von allen Männern, die das Gleiche machen wie wir und die mir so einfallen, bist du der Einzige, der nach Pressingstoke Hall reisen und an der Feier teilnehmen kann, ohne vollkommen fehl am Platze zu wirken.« Auf Sebastians ungläubigen Blick hin fuhr Drake fort: »Wie du so richtig bemerkt hast, wird es sehr viel Aufmerksamkeit erregen, wenn entweder du oder ich ohne einen plausiblen Grund in Pressingstoke Hall auftauchen. Die Leute werden reden, tratschen und sich in wilden Spekulationen ergehen. Wie du ohne Zweifel weißt, ist Lady Ennis ein gesellschaftlicher Emporkömmling. Aus diesem Grund hat sie eine alte Freundin eingeladen und sie aufgefordert, Gäste aus höheren Kreisen mitzubringen. Dazu zählt unter anderem Antonia Rawlings.«

Drake lehnte sich zurück, stützte das Kinn auf seine aneinandergelegten Zeigefinger und lächelte Sebastian an.

»Ich schlage vor, dass du deine Überredungskünste bemühst und die liebe Antonia davon überzeugst, dass sie es dir gestattet, sie nach Kent zu begleiten. Die Verbindung zwischen euren Familien ist weithin bekannt. Da Antonias Mutter nicht zur Party kommen wird, dürfte es niemanden überraschen, wenn du als Antonias Begleitung erscheinst.«

Sebastian runzelte die Stirn. Er konnte sich das Szenario, das Drake beschrieben hatte, sehr genau vorstellen. Es würde bedeuten, Antonias Unterstützung zu gewinnen und mehr Zeit mit ihr zu verbringen, als er es in den vergangenen Jahren getan hatte. Sogar mehr Zeit, als er je mit ihr verbracht hatte. Und da sie aus den gleichen Kreisen wie er und Drake stammte, würde sie ihm aus dem gleichen Grund helfen, wie er Drake half.

»Ennis wird nicht gerade begeistert sein, mich zu sehen«, wandte er ein.

Über Drakes Gesicht huschte erneut ein kleines Grinsen. »Zuerst wahrscheinlich nicht, nein. Dann schon. Ich werde ihm schreiben und ihm erklären, dass ich nicht kommen werde, aber jemanden an meiner Stelle schicken werde. Wenn ich bedenke, wie ängstlich Ennis war, erscheint es mir durchaus möglich, dass ein Teilnehmer der Hausparty in die Angelegenheit involviert ist, über die er so dringend mit mir sprechen möchte. Also werde ich deinen Namen in dem Schreiben nicht erwähnen, sondern Ennis mitteilen, dass mein Ersatz der Mann sein wird, den er am wenigsten zu sehen wünscht.«

Sebastian stöhnte.

»Nein … Denk darüber nach. Da du bekanntermaßen ein ehemaliger Liebhaber seiner Gattin bist, wird niemand auf den Gedanken kommen, dass er dir bereitwillig irgendetwas Wichtiges erzählen oder anvertrauen würde. Du bist also der perfekte Mann für die Aufgabe.« Drake lächelte wieder. »Um es noch mal zu wiederholen: Als Antonias Begleiter und ehemaliger Liebhaber der Gastgeberin wird niemand auf die Idee kommen, nach einem anderen Grund für deine Anwesenheit in Pressingstoke Hall zu suchen.«

Am folgenden Vormittag, um kurz vor elf Uhr, schritt Sebastian die Stufen von St. Ives House am Grosvenor Square hinab. Er war für einen morgendlichen Besuch gekleidet. Lässig schwang er seinen Gehstock und machte sich auf den Weg in die Green Street.

Nach seinem Treffen mit Drake hatte er mit Freunden zu Abend gegessen. Statt mit ihnen einen vergnügten Abend in der Stadt zu verbringen, was für ihn immer mehr den Reiz verlor, war er in die wohltuende Stille von St. Ives House zurückgekehrt. Da seine Eltern noch immer auf dem Land waren und seine Schwester Freunde in den Dales besuchte, weilten derzeit allein sein Bruder Michael und er auf dem Anwesen, und Letzterer war wie immer unterwegs.

Sebastian hatte sich in der Bibliothek einen Brandy eingeschenkt und sich in einen Sessel vor dem Kamin sinken lassen, in dem ein warmes Feuer prasselte, um über die Aufgabe nachzudenken, die ihn am nächsten Morgen erwartete.

Dabei waren seine Gedanken abgedriftet und wieder zu einem persönlichen Problem gewandert, das ihm eigentlich wichtiger war als Drakes Mission.

Die richtige Frau zu finden war keine leichte Aufgabe. Nicht für einen Gentleman, einen Adeligen wie ihn, und auch nicht für Drake. Während dieser das Thema kategorisch mied, hatte Sebastian festgestellt, dass ein solcher Weg für ihn nicht funktionieren würde. Es gab einfach viel zu viele weibliche Verwandte, von denen einige bereits begonnen hatten, sehr klare Andeutungen zu machen. Ihm würde seiner Einschätzung nach vielleicht noch ein Jahr, noch eine Saison bleiben, bevor sie sich gemeinschaftlich auf ihn stürzen würden. Entschlossen, ihm dabei zu helfen, seine Pflicht zu erfüllen und die Erbfolge eines der bedeutendsten Herzogtümer des Landes zu sichern.

Bislang hatte seine Mutter sich zurückgehalten und damit alle anderen gebremst, doch vor Kurzem war er einunddreißig Jahre alt geworden. Zeit für eine baldige Heirat, sein Vater war dreiunddreißig gewesen. Sebastian fürchtete, dass die Nachsichtigkeit seiner Mutter ganz bestimmt nicht mehr über seinen nächsten Geburtstag hinaus anhalten würde.

Er hatte beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, und zwar innerhalb des nächsten Jahres. Auf keinen Fall durfte er seinen weiblichen Verwandten die Initiative überlassen.

Leider erwies es sich als sehr viel komplizierter als angenommen, die richtige Frau zu finden, die er zu seiner Marchioness und später zu seiner Duchess machen wollte. Wahrscheinlich, weil er sich bis vor ein paar Tagen noch nicht einmal die Mühe gemacht hatte, sich zu überlegen, welche Qualitäten die Dame eigentlich mitbringen musste. Drei kleine Ausflüge in die Ballsäle der Stadt hatten ihn zu dem Schluss gebracht, dass jedes dieser freundlichen jungen Dinger, die in hoffnungsvollen Scharen zu allen feierlichen Anlässen der feinen Gesellschaft pilgerten, ihn innerhalb von nur einer Woche zum Trinker machen würde.

Er brauchte eine Frau, die reifer war und mit der er sich unterhalten und austauschen konnte. Jemanden, mit dem er ein Leben als Duke teilen konnte.

In der heutigen Zeit bedeutete das Leben als Duke eine enorme Verantwortung: politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Natürlich war es ein sorgenfreies Leben im Luxus, doch wenn man nichts dafür tat, konnte man selbst damit nicht glücklich und zufrieden werden.

Er brauchte eine Frau, die an seiner Seite stand – eine Frau, die Rückgrat besaß, die das Talent und die Fähigkeiten hatte, diese Aufgabe zu übernehmen und diese Rolle auszufüllen.

Das alles hatte er inzwischen begriffen. Aber wo er eine solche Dame finden sollte, wusste er nicht. Irgendwann wurde er es leid, zu heftig über Möglichkeiten und Kandidatinnen nachzudenken, trank einen großen Schluck Brandy, schob das Thema beiseite und widmete sich der Angelegenheit, die im Augenblick eher im Fokus stand: Drakes Mission.

Er konzentrierte sich auf Antonia und rief sich alles in Erinnerung, was er noch über sie wusste. Es war ein Schock, als ihm plötzlich klar wurde, dass er sie von Geburt an kannte, dreißig Jahre, denn er war zwei Jahre älter als sie. Sie hatten lange Sommer und unzählige Feiertage zusammen mit der Horde von Cynster-Kindern verbracht, deren unangefochtener Anführer er gewesen war. Sehr genau konnte er sich noch an diese sorglosen Tage mit Antonia erinnern, die für jeden Spaß zu haben gewesen war. Über die Dame, zu der sie inzwischen herangewachsen war, wusste er hingegen so gut wie nichts.

Erst vor einigen Monaten waren sie sich zuletzt begegnet, im Mai, auf der Hochzeit seines Cousins Marcus in Schottland. Er hatte sie sofort wiedererkannt, schließlich sahen sie sich ziemlich regelmäßig bei Festen in der großen Verwandtschaft, doch Zeit mit ihr allein hatte er kaum verbracht. Wusste also nicht, wie sie dachte, wie sie fühlte, wie sie reagierte, was für eine Frau sie nun war. All ihre Treffen in den vergangenen zehn Jahren waren so abgelaufen wie bei Marcus’ Hochzeit. Sie hatten sich mitten in einer großen Gruppe von Verwandten gesehen, die genauso ihre Freunde waren wie seine.

Seltsam, hatte er bei sich gedacht, dass er sie oberflächlich so gut kannte und trotzdem so wenig über die Frau wusste, die sie geworden war. Er wusste zu wenig, um sich sicher zu sein, dass er sie führen oder gar leiten konnte. Um mit ihr umgehen zu können, musste er sich deutlich eingehender mit ihr befassen.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf hatte er an seiner Vorgehensweise, an seinen Argumenten gefeilt. Und er probte sie noch, während er die Green Street entlangspazierte, die Treppe zum Haus Nummer siebzehn hinaufstieg und anklopfte.

Der Butler erkannte ihn sofort wieder. »Guten Morgen, Mylord.«

»Guten Morgen, Withers. Ich muss bitte mit Lady Antonia sprechen.« Lässig zog Sebastian eine Augenbraue hoch. »Vermutlich ist sie um diese Zeit zu Hause?«

»Das ist sie, Mylord.« Withers trat zurück und machte eine tiefe Verbeugung. »Wenn Sie hereinkommen möchten, werde ich Sie ankündigen.«

Withers schloss die Tür und streckte die Hand aus, um Sebastians Gehstock entgegenzunehmen.

»Der Earl ist momentan außer Haus, Mylord, aber die Countess und Lady Antonia sind schon nach unten gekommen.«

Sebastian wartete in der eleganten Eingangshalle, während der Butler sich in den hinteren Teil des Anwesens zurückzog. Als er wieder auftauchte, geleitete er den Besucher in den hinteren Salon, der der Familie vorbehalten war. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Countess seine Aufwartung als eher privat betrachtete.

Withers öffnete die Tür am Ende des Korridors, verbeugte sich und bedeutete Sebastian hineinzugehen. Aus den vielen Fenstern des Salons hatte man einen herrlichen Ausblick auf den Garten. Im Raum standen weiße Weidensessel und ein Sofa mit Seidenpolstern, die ein zartes Muster in Weiß-, Grün- und Blautönen zeigten, das eine luftige, leichte Atmosphäre schuf, die den perfekten Hintergrund für die beiden so unterschiedlichen Damen bildete. Ein Paar smaragdgrüner und ein Paar Augen in einem kühlen Grau musterten ihn interessiert und erwartungsvoll.

Countess Francesca saß auf dem Fensterplatz, Antonia hatte in einem der Sessel Platz genommen hatte, von dem aus man nach draußen schaute.

Antonia war für eine Frau sehr groß. Sie hatte die Körpergröße von ihrem Vater geerbt und war wie ihre Großmutter väterlicherseits gertenschlank. Ihre Figur war anmutig, nicht so kurvenreich wie die der Countess Chillingworth. Ihre Haare waren schwarz und auf dem Kopf zu einem lockeren Knoten zusammengebunden, was einen starken Kontrast zu ihrer zarten, blassen Haut bildete. Ihre wundervoll geformten rosigen Lippen, ihre fein geschwungenen schwarzen Brauen und die langen schwarzen Wimpern, die ihre großen Augen umrahmten, hatte sie von ihrer Mutter, das silbrige Grau ihrer Augen hingegen vom Vater. Die Mischung war umwerfend und fesselnd zugleich.

Zu Sebastians Erleichterung war keines von Antonias Geschwistern anwesend, nicht einmal ihre neugierige kleine Schwester Helen.

»Sebastian.«

Francesca, die gerade einen Brief gelesen hatte, legte ihn zur Seite und streckte ihre Hand aus, als Sebastian mit einem leichten Lächeln auf den Lippen zu ihr kam.

Er ergriff ihre Hand und beugte sich über ihre Finger. »Lady Francesca.«

Die Countess stieß einen kleinen schnaubenden Laut aus und machte eine Handbewegung in Richtung Antonias, die ihre Stickarbeit weglegte und sich erhob.

Sie betrachtete ihren Gast eindringlich und reichte ihm die Hand. »Sebastian.«

Er nahm sie und verbeugte sich leicht. »Antonia.«

Als er sich wieder aufrichtete, zog sie die Augenbrauen hoch. »Kein Lady?«

Mit ihren kühlen grauen Augen musterte sie ihn, und er sah das Lachen, das in ihrem Blick stand. »Du brauchst keinen Titel.«

Ein Lächeln ließ ihr Gesicht erstrahlen, und gefesselt sah er sie an.

Francesca bedeutete ihm, in dem Sessel Platz zu nehmen, der Antonia gegenüberstand. »Setz dich, Sebastian – wie Gyles und dein Vater bist du ebenfalls viel zu groß, um im Stehen mit dir zu reden.« Sobald er saß, erkundigte sie sich fröhlich: »Also? Was können wir für dich tun? Wenn ich es richtig verstanden habe, benötigst du in irgendeiner Angelegenheit unsere Hilfe?«

Antonias Mutter hatte ihre Jugendjahre in Italien verbracht und keinen Sinn für die britische Förmlichkeit.

»Ich bin von Winchelsea gebeten worden, ihn in einer Angelegenheit zu unterstützen, die vielleicht eine Bedrohung für die Sicherheit des Königreichs darstellen könnte«, kam er zur Sache. »Um diese Mission erfolgreich erfüllen zu können, brauche ich Ihre oder, um genauer zu sein, Antonias Hilfe.«

Die junge Frau sah ihn mit großen Augen an. »Das klingt ernst.«

»Das ist es auch.« Er hatte Ennis’ Brief an Drake und eine Kopie von Drakes Antwort in der Tasche, um seine Behauptungen nötigenfalls belegen zu können. Er sah Francesca an, bemerkte, dass sie die Stirn gerunzelt hatte, und fügte eilig hinzu: »Es ist vollkommen ungefährlich. Ich muss lediglich an Drakes Stelle mit jemandem reden. Drake ist anderweitig beschäftigt und unabkömmlich, doch er muss wissen, was diese Person ihm zu sagen hat.«

»Wer ist diese Person?«, erkundigte sich Francesca skeptisch.

»Lord Ennis.«

Antonia blinzelte ihn an. »Du willst zu Ennis’ Hausparty gehen?«

Er nickte. »Ich brauche allerdings einen guten, plausiblen Grund, um daran teilzunehmen. Drake schlug deshalb Folgendes vor: Angesichts der langjährigen Freundschaft zwischen unseren Familien und angesichts der Tatsache, dass die Eltern nicht vorhaben, an der Hausparty teilzunehmen, sollte ich so tun, als würde ich Antonia … das Geleit geben. Es würde zumindest niemanden verwundern, wenn ich aus dem Grund auf der Party auftauchen würde.«

Antonia hatte die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, die Lippen aufeinandergepresst und das Kinn leicht vorgereckt – alles Anzeichen, die nichts Gutes verhießen.

»Lediglich als Vorwand.« Er beugte sich vor, klemmte die Hände zwischen seine Oberschenkel, richtete den Blick auf Antonias Gesicht und sprach sie direkt an. »Wir würden wissen, dass es nicht echt, sondern nur zum Schein wäre, was nicht bedeuten würde, dass wir es unbedingt irgendjemand anderem auf die Nase binden.«

Wegen der Countess hatte er weniger Bedenken, es war Antonia, die er überzeugen musste.

Allein der Gedanke daran, fünf ganze Tage lang erdulden zu müssen, dass er hinter ihr stand, reichte aus, um ihre Anspannung ins Unermessliche zu steigern. Bestimmt würde er sie in der privaten Atmosphäre einer Hausparty auf dem Land, auf der er sonst niemanden kannte, andauernd im Auge behalten und ihr nicht von der Seite weichen. Ein Angriff auf ihre Nerven und auf ihre Sinne.

Glücklicherweise war ihr nicht klar, dass er ihre Mutter bereits auf seine Seite gezogen hatte. Die Hausparty würde für Antonia nämlich die erste Festlichkeit als unverheiratete Frau sein, die sie ohne mütterliche Aufsicht besuchen würde. Hinzu kam, dass drei ihrer Freundinnen ebenso auf die Feier gehen würden: Zwei waren Junggesellinnen, eine war verheiratet. Melissa Wainwright und Claire Savage, Antonias unverheiratete Freundinnen waren wie sie schon gespannt darauf, ihren ersten Ausflug ohne die mütterliche Begleitung zu machen. Keine von ihnen erwartete, eine romantische Begegnung zu erleben, aber sie wollten die verlockende Freiheit auskosten, die sie bisher nicht hatten genießen dürfen.

Und wenn Antonia nun mit Sebastian im Schlepptau erschien …

Irgendwie missfiel ihr die ganze Vorstellung. Typisch Drake, dass er sich das ausgedacht hatte – der Mann war die reinste Landplage.

»Wie wichtig kann die Nachricht, die Lord Ennis für Drake hat, überhaupt sein?«

»Wichtig genug, dass Drake nicht einmal mit dem Gedanken gespielt hat, Ennis so lange zu vertrösten, bis er von seiner Reise nach Irland zurückkommt.«

»Irland?« Francesca schaute erst Antonia, dann wieder Sebastian an. »Besteht etwa die Möglichkeit, dass aus dieser Richtung eine neue Bedrohung kommt?«

Sebastian dachte einen Moment lang nach und erwiderte schließlich ganz ruhig: »Die Bedrohung durch das Junge Irland war nie ganz verschwunden. Doch inzwischen konzentriert sich die Gruppe auf Proteste in Irland. Was Ennis übermitteln will, sind vermutlich warnende Worte oder Hintergrundinformationen. Eine direkte Bedrohung besteht eher nicht.« Sebastian blickte Antonia an. »Weder Drake noch ich hätten für eine Sekunde in Erwägung gezogen, dich andernfalls in die Angelegenheit einzubeziehen.«

Einerseits fand Antonia diese Bemerkung beruhigend, andererseits war sie leicht irritiert darüber, dass Frauen wie sie stets vor möglichen Gefahren abgeschirmt werden sollten. Als wären Damen wie sie von Haus aus zu schwach, um sich mit ihnen zusammenzutun, und würden für die allmächtigen Herren eher eine Belastung darstellen.

»Wenn keine Gefahr besteht, warum musst du dann überhaupt dort erscheinen?« Sie sah ihn mit großen Augen an. »Warum kann ich nicht auf Ennis zugehen, mit ihm reden und mir anhören, was er Drake zu sagen hat?«

Er presste die Lippen aufeinander, doch als er sprach, klang seine Stimme ganz ruhig, geduldig, überzeugend. »Aus gutem Grund. Zum einen wissen wir nicht, welche Schritte unsererseits die Nachricht erfordern wird – zum Beispiel, dass einer von uns unverzüglich nach Whitehall reiten muss. Zum anderen wird Ennis seine Nachricht höchstwahrscheinlich nicht einer Frau anvertrauen, selbst wenn sie noch so hochrangig sein und noch so gute Kontakte haben mag.« Als Sebastian schwieg und offensichtlich nicht vorhatte weiterzusprechen, fügte sie hinzu: »Und es ist möglich, ja, sogar wahrscheinlich, dass es Ennis verärgern könnte, wenn eine Dame als Vermittler geschickt würde und kein Gentleman – dann wäre es durchaus denkbar, dass er seine wichtige Information am Ende für sich behalten würde.«

Sebastian verzog das Gesicht. Ein Beweis, dass sie mit ihrer Vermutung richtiglag.

»Falls ich dem Plan zustimme, musst du versprechen, dich nicht so zu verhalten, wie eine Begleitperson es für gewöhnlich tut. Du darfst nicht ständig versuchen, mich zu ermahnen und zu maßregeln.«

Und dass du mir nicht in die Quere kommst.

Sebastian verstand das sehr genau, als hätte er die Worte gehört, die sie nicht ausgesprochen hatte. Wieder presste er die Lippen aufeinander.

Schließlich nickte er. »Falls du unserer notwendigen kleinen Charade zustimmst, werde ich dir mein Wort geben, dass ich mich nur einmische, falls du in direkter Gefahr schweben solltest.«

Mehr konnte sie nicht erwarten. Nachdem sie noch einen Augenblick lang darüber nachgedacht hatte, neigte sie gnädig den Kopf. »Also gut.«

Sebastian hätte vor Erleichterung beinahe geseufzt. Einen Moment lang hatte er das Gefühl gehabt, sich auf dünnem Eis zu bewegen – warum, wusste er nicht genau. Egal, am Ende hatte sie eingewilligt, und das war es, was zählte. Sobald sie ihm ihr Wort gegeben hatte, würde sie keinen Rückzieher mehr machen und das Versprechen brechen.

»Soweit ich weiß, beginnen die Feierlichkeiten am Samstag. Ich werde uns hinfahren. Wann soll ich dich abholen?«

»Das hängt von deinen Pferden ab. Wie lange wird es dauern, Deal zu erreichen? Pressingstoke Hall liegt an der Küste, etwas südlich von Deal.«

»Über die Dover Road zu fahren wird am schnellsten gehen – von dort können wir auf der Küstenstraße nach Norden fahren.« Sebastian rechnete schnell. »Es wird etwas mehr als sechs Stunden dauern, denke ich.«

»Man erwartet uns um drei Uhr nachmittags.«

»Dann werde ich um acht Uhr vorbeikommen. Wir können in Faversham eine Pause machen und zu Mittag essen.«

»Ich habe nachgedacht.« Francesca wandte sich an ihre Tochter. »Du musst den Ennis Bescheid sagen, dass Sebastian als deine Begleitung mitkommt. Ich schlage vor, du schreibst einen Brief an Lady Ennis und gibst dich ihrer Gnade anheim. Du kannst ihr schreiben, dass du zuerst meine Erlaubnis bekommen hast, dein Vater allerdings darauf bestanden hat, eine Begleitperson mitzuschicken. Dein jüngerer Bruder kam nicht infrage, und deshalb haben wir uns an Sebastian gewandt, der freundlicherweise eingewilligt hat, diese Aufgabe zu übernehmen.« Francesca strahlte und sah mit leuchtenden Augen Sebastian an. »Und da es in England, Schottland, Irland oder Wales keine Gastgeberin gibt, die nicht alles dafür geben würde, dich als Gast begrüßen zu können, wird Lady Ennis die späte Benachrichtigung verzeihen und außer sich sein vor Freude.«

Die Dame würde, wie Sebastian fürchtete, tatsächlich im siebten Himmel schweben – in einem Himmel, der alles andere als unschuldig war. Hauptsache, Francescas List räumte ihm den Weg frei, um an der Hausparty teilzunehmen, und das war sein oberstes Ziel. Er könnte Cecilia, Lady Ennis, aus dem Weg gehen, sich stattdessen an Antonia halten und behaupten, er würde seine Aufgabe als Begleitung eben sehr ernst nehmen.

Und wenn er dem Earl of Chillingworth tatsächlich sein Wort gab, die Tugend der geliebten ältesten Tochter zu bewahren, dann würde man von ihm erwarten, dass er ihr nicht von der Seite wich.

»Ich pflichte dem Vorschlag deiner Mutter bei. Solch eine Geschichte wird meine Anwesenheit erklären und alle Fragen über mein mehr oder weniger unangekündigtes Erscheinen zum Verstummen bringen.«

Antonia erwiderte seinen Blick. In ihren Augen flammte Widerstand auf, doch zum Glück hielt diese Reaktion nicht lange an, und er konnte aufatmen.

Er beschloss, zum richtigen Zeitpunkt aufzuhören, und erhob sich. »Ich danke euch beiden. Ich muss los, und ihr erwartet bestimmt noch anderen Besuch.«

Antonia reichte ihm die Hand. Er drückte sie leicht und lächelte.

»Danke, dass du dich bereit erklärt hast, mir zu helfen. Ich verspreche dir, dass du es nicht bereuen wirst.«

Ihre Miene gab ihre Gefühle nicht preis, und er hatte mit einem Mal den seltsamen Eindruck, als würden Fensterläden ihre Augen verdecken.

»Wir werden sehen.«

Ihm missfiel ihre zynische Skepsis, die er als mangelndes Vertrauen deutete. Er ließ ihre Hand los, und sie zog ihre Finger zurück.

»Sie müssen Withers nicht bemühen«, sagte er zu Francesca. »Ich finde allein hinaus.« Mit einem letzten höflichen Nicken und einem freundlichen Lächeln begab er sich zur Tür.

Antonia stand wie angewurzelt da. Selbst nachdem die Tür sich hinter seiner breitschultrigen Gestalt geschlossen hatte, starrte sie ihm weiterhin hinterher, ohne wirklich etwas zu sehen.

Sie hatte immer gewusst, dass sie auf eine sehr besondere Weise auf Sebastian reagierte – auf eine andere Art als zum Beispiel auf seinen Bruder Michael oder seine Cousins Marcus und Christopher, die alle im gleichen Alter waren. Diese besondere Reaktion hatte sie darauf geschoben, dass Sebastian eben ganz anders war mit seiner dominanten, um nicht zu sagen dominierenden Persönlichkeit, seiner angeborenen Autorität, seiner Stärke und Überlegenheit. Das Bild eines erfolgreichen Anführers. Oder es lag einfach daran, dass Frauen wie sie sich zu starken Männern hingezogen fühlten. Sie hatte jahrelang nicht mehr über diesen Schauer nachgedacht, der ihr den Rücken runterrieselte, wenn sie in seiner Nähe war.

Antonia konnte sich nicht einmal daran erinnern, dass er je ihre Hand gehalten hätte. Jedenfalls nicht so, wie er es gerade getan hatte. Es war eine Geste gewesen, hinter der mehr gestanden hatte als eine höfliche Verabschiedung.

In dem Moment hatte sich etwas in ihr geregt. Es war, als hätte sich ihr Magen zusammengezogen. Sie hatte ihm ins Gesicht geblickt, in die Augen, und hatte ihn, weil weder Lucilla noch Prudence oder sonst jemand aus ihrem Freundeskreis da gewesen waren, zum ersten Mal richtig gesehen.

Ihn als Mann wahrgenommen – als einen Mann, den sie unbestreitbar wollte und begehrte.

Eine solche Intensität des Begehrens – ein direktes, absolutes, heftiges Verlangen – hatte sie nie zuvor empfunden.

»Hm, meine liebe Tochter …«

Antonia blickte ihre Mutter an, die sich wieder auf den Fensterplatz hatte sinken lassen, und wartete darauf, was sie ihr sagen wollte.

»Ich glaube, meine Liebe, dass du die Zeit, die du von uns getrennt verbringst, dazu nutzen solltest, dir zu überlegen, was du mit deinem Leben anfangen möchtest.« Francescas Miene war ernst. »Wir haben dich nie gedrängt zu heiraten und werden es auch in Zukunft nicht tun. Alle Entscheidungen, die du triffst, müssen von dir selbst kommen. Doch da du nun neunundzwanzig Jahre alt bist und deine erste Reise allein unternehmen wirst, ist die Zeit reif, um darüber nachzudenken, in welche Richtung dein Leben gehen soll.«

»Große Geister denken gleich, Mama – genau das habe ich mir vorgenommen«, prophezeite Antonia geheimnisvoll und griff nach ihrem Stickrahmen. »Nachdem Sebastian und ich zu der Hausparty gehen und uns um Drakes Mission kümmern müssen, werde ich mal schauen, ob sich mir überhaupt noch die Gelegenheit bietet, um nachzudenken.«

Nachdem Sebastian die Eingangshalle verlassen hatte, war er die Park Street entlanggelaufen und in Richtung Arthur’s Gentlemen’s Club spaziert, wo er sich mit Freunden zum Mittagessen verabredet hatte.

Auf dem Weg dorthin gratulierte er sich selbst dafür, dass er es geschafft hatte, sich auf die Hausparty einzuladen, wobei immer mehr Fragen an ihm zu nagen begannen und seine Selbstzufriedenheit vertrieben. Antonia hatte bei der Aussicht darauf, ihn als Begleiter zu haben, nicht gerade begeistert reagiert. Dabei kannten sie einander seit einer Ewigkeit. Warum also war ihre Reaktion so verhalten? An seinem Aussehen und seinem Auftreten lag es bestimmt nicht. Hatte sie etwa vor, in Pressingstoke Hall eine verbotene Romanze zu beginnen?

Bei dem Gedanken blieb er wie angewurzelt stehen, sodass ein anderer Passant ihm unvermittelt in den Rücken lief. Mit einer gemurmelten Entschuldigung setzte Sebastian seinen Weg fort.

Der Gedanke, dass die unverheiratete neunundzwanzigjährige Antonia vorhatte, eine zwielichtige Affäre zu beginnen, brachte ihn beinahe um den Verstand, wobei es in diesem Fall noch schwerer gewesen wäre, sie davon zu überzeugen, ihn als Begleitperson mitzunehmen.

Am Ende wertete er ihr Verhalten dahingehend, dass sie als Tochter eines Earls auf den Ruf der Pflicht nicht anders als er zu hören hatte.

Aber da war noch etwas gewesen. Noch ein anderer Gedankengang. Die Frage, warum sie nicht selbst an Drakes Stelle auftreten könnte … Wenngleich sie die Antwort darauf eigentlich kannte, hatte sie danach gefragt.

Mit einem Mal wurde es ihm klar. Sie hatte eindeutig vor, aktiv mitzuhelfen, ein Problem zu lösen – und zugleich reizte es sie, bei einem Ränkespiel mitzumischen.

Sobald er den belebten Piccadilly Square hinter sich gelassen hatte und sich dem Arthur’s Gentlemen’s Club näherte, kam er zu einem Schluss. Zwar würde es ein bisschen lästig werden, wenn Antonia ihm bei dieser eigentlich so simplen Mission unbedingt helfen wollte, doch wenn die Aussicht, in irgendwelche Machenschaften verwickelt zu werden, ihm den Weg auf die Hausparty geebnet hatte, dann wäre das in Ordnung. Sich um sie und ihre Anstrengungen, ihm zu helfen, zu kümmern wäre ein geringer Preis, den zu zahlen er gern bereit war.

Er hatte den Gehweg vor dem Clubgebäude gerade erreicht, als unvermittelt das Bild von Antonia, die ihn strahlend anlächelte, vor seinem inneren Auge auftauchte.

Mit einem Mal begriff er, was er von ihr halten sollte. Es war ein Blick auf die echte Antonia gewesen – auf die Frau hinter der beherrschten Fassade.

Sie war tatsächlich die perfekte Mischung ihrer Eltern. Ihre leicht arrogante, selbstsichere äußere Hülle war geprägt von der Zurückhaltung und Distanziertheit ihres Vaters. In ihrem Inneren hingegen war sie wie Francesca – leidenschaftlich, verlockend, verführerisch.

In ihm regte sich etwas Primitives, Raubtierhaftes … Nicht mehr lange, und er würde fünf Tage mit Antonia verbringen. Ohne die Aufsicht ihrer sonst stets präsenten Familie.

Sebastian dachte darüber nach und ging langsam die Stufen zum Eingang hinauf.

Drakes scheinbar so simple Mission zu erfüllen könnte vielleicht um einiges komplizierter und schwieriger werden, als er gedacht hätte.

Kapitel 2 

»Da hinten ist der Eingang.«

Antonia deutete auf ein Tor am Ende des Weges. Sie hatten die Straße zwischen Dover und Deal vor einem knappen Kilometer verlassen. Erleichterung durchströmte ihn, als er die Zügel der Schimmel straff zog. Bald wäre er erlöst. Während er die Pferde antrieb, die den von Bäumen gesäumten Weg entlangtrabten, warf er einen Seitenblick auf die Dame, die neben ihm saß.

Mit ihrer schlanken Figur in dem hübschen blauen Reisekleid, dazu eine passende Haube mit blauen Bändern, die Haare am Hinterkopf zusammengesteckt, hätte sie für das Titelbild des Ladies Journal posieren können:

Junge Dame der feinen Gesellschaft auf dem Weg zu einer Hausparty auf dem Land.

Antonia senkte den Kopf und warf einen Blick auf eine mit Edelsteinen besetzte Uhr, die am Oberteil ihres Kleids befestigt war.

»Fast drei Uhr«, stellte sie fest. »Wir liegen perfekt in der Zeit.«

Sie hatte ihn bereits erwartet, als er am Morgen um acht Uhr mit der Kutsche vor dem Haus in der Green Street gehalten hatte. Ihre Eltern waren im Morgenrock nach unten gekommen, um sie zu verabschieden. Francesca mit einem entzückten Gesichtsausdruck, der Earl sichtlich weniger begeistert, wie seine geknurrte Begrüßung verriet.

Eindeutig strahlend und fröhlich gab sich Antonia, als er ihr auf den vorderen Sitz seiner Kutsche, eines Phaetons, half. Ihre Taschen hatten sie im Gepäckraum verstaut, und ihre Zofe Beccy und sein Diener Wilkins hatten auf dem hinteren Sitz Platz genommen. Dann hatte er sie aus London hinausgebracht.

Zuerst hatte Antonia geschwiegen, damit er sich voll auf den Verkehr hatte konzentrieren können. Doch nachdem er auf die Dover Road gebogen und es übersichtlicher geworden war, hatte sie ihm zu erzählen begonnen, was sie über die Gäste der Hausparty wusste.

Ihm war alles recht gewesen, was ihn ablenkte, denn zu dem Zeitpunkt war ihm längst klar gewesen, dass diese junge Frau seit ihrer Begegnung vor drei Tagen all seine Sinne gefesselt hatte. Jetzt ermutigte er sie, alle Gäste zu beschreiben, die sie kannte. Je mehr sie erzählt hatte, desto mehr hatte er zugleich über sie erfahren. Wie sie andere Menschen sah, wie sie sie beschrieb – all das hatte ihm wertvolle Einblicke in ihr Innerstes gewährt. Ihre Bemerkungen über ihre Freundschaft zu den anderen jungen Damen sowie die Verbundenheit anderer Mitglieder der Gesellschaft untereinander hatten ebenfalls ein Licht auf sie geworfen – darauf, wie sie dachte, wie sie fühlte, auf das Leben, das sie führte.

Die Dover Road folgte der alten Römerstraße und der Watling Street und war schnurgerade. Es war leicht, hier mit der Kutsche zu fahren. Der Tag war kühl, der Himmel bedeckt, die Brise schwach, aber es sah nicht so aus, als würde es demnächst Regen geben.

Kurz vor Mittag hatten sie in Faversham zu Mittag gegessen, allerdings keine Zeit vergeudet, da sie noch eine ganz schöne Strecke vor sich gehabt hatten. Ihm war das sehr gelegen gekommen. Denn allein mit Antonia zu sein war gefährlich – vor allem, nachdem er sich ihrer Körperlichkeit und Sexualität so bewusst geworden war. Selbst in der fragwürdigen Ungestörtheit eines Ecktischs in einem schummrig beleuchteten Speisesaal hatte er die Stimme der Verlockung deutlich gehört.

Diese Stimme flüsterte weiter, scharf und beharrlich. Doch er wusste noch nicht, was er tun wollte, hatte schlicht noch keine Zeit gehabt, um sich darüber Gedanken zu machen und eine Entscheidung zu treffen. Ihretwegen. Mit ihr. Noch nicht.

Sebastian rief sich zur Ordnung. Drakes Mission musste an erster Stelle stehen, das durfte nicht anders sein. Wenn die Sicherheit des Königreichs tatsächlich auf dem Spiel stand, konnte er es sich nicht erlauben, sich ablenken zu lassen. Und Antonia bedeutete eine geradezu enorme Ablenkung.

Insofern durchflutete ihn eine enorme Erleichterung, als sie die Auffahrt zum Haus hochfuhren. Eine palladianische Fassade, die sich einem italienischen Architekten aus dem sechzehnten Jahrhundert verdankte, erhob sich aus dem akkurat gestutzten Rasen. Pressingstoke Hall schien ein gepflegtes und gefälliges Landhaus zu sein.

Als die Kutsche auf dem Vorplatz des Anwesens zum Stehen kam, eilten Stallknechte und Diener herbei, während Sebastian um die Kutsche herumging, um Antonia beim Aussteigen behilflich zu sein. Als sie ihre Röcke leicht anhob, erhaschte er einen Blick auf die halb hohen Stiefel aus elfenbeinfarbenem Ziegenleder, die sich an ihre Knöchel schmiegten.

Er musste einen kurzen, heftigen Kampf mit seinem primitiven Ich ausfechten, bevor er ihre Hand losließ. Schließlich war er als ihr Begleiter mitgekommen, nicht als ihr Beschützer. Es gab eine klare Grenze zwischen diesen beiden Aufgaben, und er wusste genau, wo diese Grenze verlief.

Er blickte sich um und folgte Antonia den Kiesweg entlang und die Stufen hinauf bis zur Haustür, die einladend offen stand.

Ein hochgewachsener weißhaariger Butler stand an der Schwelle und verbeugte sich vor ihnen. »Willkommen in Pressingstoke Hall, Lady Antonia, Lord Earith.«

Als sie hineingingen, empfing sie eine Kakofonie von Geräuschen. Offensichtlich war kurz vor ihnen eine Schar von Gästen eingetroffen. Sie hatten sich in der lang gestreckten Eingangshalle versammelt und unterhielten sich lautstark. Das Innere des Hauses bestätigte Sebastians Vermutung, dass die Fassade zwar einem alten Vorbild nachempfunden war, das Gebäude selbst hingegen neueren Datums war. Die Linien waren schlichter, moderner, ohne die Schwere der früheren Zeiten. Eine riesige Glaskuppel bildete in der Halle die Decke und ließ genug Licht hinein, sodass die Atmosphäre leicht und luftig war.

Der Butler erhob die Stimme, um sich über den Lärm hinweg Gehör zu verschaffen. »Mein Name ist Blanchard. Die Haushälterin ist Mrs. Blanchard. Bitte rufen Sie uns, falls Sie irgendetwas brauchen.«

Antonia bedankte sich lächelnd und entfernte sich, während für Sebastian der Moment der Prüfung kam. Er hatte seit dem Ende der Affäre vor sechs Jahren keine zwei Worte mehr mit Lady Ennis gewechselt.

Wie bei all seinen Liaisons hatte er auch bei der Liebelei mit Cecilia auf äußerste Diskretion geachtet. Zumindest zu der damaligen Zeit. Später … Er vermutete stark, dass sie es selbst gewesen war, die die Katze aus dem Sack gelassen hatte. Aber auch sie war wählerisch gewesen, also wussten nicht viele Menschen über die Sache Bescheid. Ennis natürlich und einige gute Freunde auf der Hausparty möglicherweise, nicht viel mehr. Beispielsweise war er sich ziemlich sicher, dass weder seine Eltern und Verwandten noch Antonia und ihre Familie darüber informiert waren.

Wie die nächsten paar Minuten laufen würden, würde sehr von Cecilia und ihrem Verhalten abhängen.

Als Antonia zu den anderen Gästen ging, drehte Lady Ennis – eine blonde Dame, die ein paar Zentimeter kleiner und deutlich draller war – sich zu ihr um.

»Willkommen, meine Liebe.« Cecilia ergriff Antonias Hand, und die beiden gaben sich einen Begrüßungskuss auf die Wange. »Ich freue mich so, dass es Ihnen gelungen ist, eine passende Begleitung zu finden, und Sie zu uns kommen konnten.«

»Danke für Ihr Verständnis.« Antonia zog ihre Hand zurück und wies auf Sebastian, der hinter ihr stehen geblieben war. »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie Earith schon kennengelernt haben. Lord Sebastian Cynster.«

Cecilia hob die blauen Augen, sah Sebastian an und lächelte. »Tatsächlich sind wir uns bereits begegnet. Vor einigen Jahren. Willkommen in Pressingstoke Hall, Mylord.«

Sebastian ergriff die Hand, die Cecilia ihm reichte, und verbeugte sich leicht. »Es ist mir eine große Freude, hier zu sein, Lady Ennis.«

Als er sich wieder aufrichtete, sah Cecilia ihn forschend an. Es war ein Blick, der vermuten ließ, dass sie sich fragte, ob mehr hinter seinem Erscheinen in ihrem Haus steckte, als man denken sollte.

Sebastian tat so, als würde er das alles nicht bemerken, wandte sich ab und sah sich die anderen Gäste an. Antonia war inzwischen weitergegangen, um ihre Freundinnen zu begrüßen. Bis er sie und Cecilia zusammen gesehen hatte, war ihm nicht klar gewesen, dass die beiden höchstens ein oder zwei Jahre voneinander trennten. Cecilia wirkte so viel älter. Als bodenständige Frau hatte sie ihrem Ehemann die beiden unerlässlichen Erben geschenkt, bevor sie Sebastian in ihr Bett gelockt hatte. Vielleicht war es einfach die Erfahrung, die sie so alt wirken ließ – im Gegensatz zu der jugendlichen Leidenschaft, die Antonia verkörperte.

Er sah zur Haustür. Es waren keine weiteren Gäste erschienen. »Sind wir die Letzten?«, fragte er Cecilia.

Als sie nickte, trat er mit einer Bitte an sie heran. »Könnten Sie mich vielleicht den anderen Herren vorstellen? Ich kann kein bekanntes Gesicht entdecken.«

»Selbstverständlich«, versprach Cecilia und hakte sich bei ihm unter.

Widerstrebend ertrug er es, dass sie sich ein wenig zu sehr auf seinen Arm stützte und dass sie sich ein wenig zu eng an seine Seite schmiegte. Hauptsache, sie erfüllte ihm seine Bitte und stellte ihn den anwesenden Herren vor.

Als Letzter erschienen zu sein war ein Vorteil. So konnte er alle Männer in einen Zusammenhang bringen – wer mit wem befreundet war und so weiter.

Connell Boyne, der jüngere Bruder des Hausherrn, war in Sebastians Alter und vor über einer Woche aus Irland angereist. Man berichtete ihm, dass er das Gut seines Bruders in der Nähe von Tulla verwaltete. Daraus folgerte Sebastian, dass Connells Anwesenheit in Kent mit der Verwaltung etwas zu tun hatte.

Es waren noch drei weitere Junggesellen dort, die um die dreißig waren – ein Mr. Henry Filbury, ein Mr. Patrick Wilson und ein Mr. Baylor Worthington. Filbury und Wilson waren irischer Herkunft, Freunde der Familie Boyne und gute Freunde Connells, während Worthington Engländer war und in London lebte.

Ferner waren zwei alte Freunde von Ennis – ein Mr. Samuel Parrish und ein Mr. Harold McGibbin – mit ihren Ehefrauen erschienen. Beide waren im Alter des Hausherrn, um die vierzig, irischer Abstammung, und schienen wohlhabende Grundbesitzer zu sein. Gerade waren sie auf einer Bäderreise im Süden Englands.

Sebastian sah sich in der Halle um und hielt Ausschau nach Lord Ennis. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Cecilia ihren Ehemann bislang nicht einmal erwähnt hatte. War irgendetwas passiert? Zu gerne hätte er Cecilia oder einen der Herren dazu befragt, wollte hingegen auf keinen Fall, dass irgendjemand auf die Idee kam, dass er ein besonderes Interesse an Ennis haben könnte.

Tatsächlich wäre die Frage für alle, die eventuell von seiner Affäre mit Cecilia wussten, das Letzte, was sie von ihm erwarten würden. Ohne dass die Frage geklärt war, folgte er Cecilia, damit er den älteren Damen seine Aufwartung machen konnte. Mrs. Parrish und Mrs. McGibbin. Beide waren sehr erfreut, die Bekanntschaft eines englischen Marquess zu machen, der überdies noch der Sohn eines Duke war. Zu seiner großen Erleichterung zügelten die Damen ihre begeisterte Neugierde. Dennoch fühlte er sich fast schon gejagt – und das wurde noch schlimmer, als Cecilia ihn durch die Halle zog, um ihn den jüngeren Damen vorzustellen.

Miss Melinda Boyne, eine Cousine des Lords, war eine unscheinbare junge Frau, die in allerletzter Sekunde eingeladen worden war, damit Anzahl und Geschlecht der Gäste ausgeglichen waren. Sie errötete heftig, als sie sich bei Sebastian für sein Kommen bedankte. Da sie zusammen mit ihrer betagten Mutter einsam in Southampton lebte, genoss sie die unerwartete Einladung.

Amelia Bilhurst, die wilde blonde Locken hatte, war eine Cousine von Mrs. Parrish und machte zusammen mit dem älteren Ehepaar die Rundreise durch die Kurorte. Sebastian vermutete, dass die Parrishs sie als Mädchen für alles betrachteten.

Am Ende stellte Cecilia ihm Antonias engsten Freundeskreis vor – Miss Melissa Wainwright und Miss Claire Savage, die beide Töchter eines Viscounts waren, sowie Mrs. Georgia Featherstonehaugh, eine ungestüme junge Dame, die ihrem Ehemann, dem ehrenwerten Hadley Featherstonehaugh, einem Enkel des Earl of Titchworth, sehr zugetan war. Letzterer begrüßte Sebastian mit offenkundiger Erleichterung.

Obwohl Sebastian sich nach außen hin nichts anmerken ließ, war er sich der abschätzenden Blicke von Miss Wainwright und Miss Savage durchaus bewusst. Es schien, als hätte Antonia seine Rolle als unwillkommener Begleiter, der ihr durch ihren übervorsichtigen Vater aufgebürdet worden war, sehr deutlich betont.