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Geologie zum Anfassen! Warum ist Berlin eigentlich nicht flach wie ein Pfannkuchen? Schließlich gibt es hier ja keine nennenswerte Tektonik wie in den Alpen oder den Mittelgebirgen. Nun, Berlin ist schlicht und ergreifend das Produkt hauptsächlich der Weichsel-Eiszeit. Das ist der Grund, warum die Stadt auch so hügelig ist, wie man der leicht euphemistischen Namensgebung für Stadtteile wie Kreuzberg, Prenzlauer Berg, Lichtenberg oder Schöneberg entnehmen kann. Dieses Buch stellt in Bild und Text die wesentlichen Formen der jungpleistozänen Hinterlassenschaften im Berliner Stadtgebiet vor. Dazu zählen Moränen, Urstromtal, Dünen, Toteisseen usw., kurzum, die Glaziale Serie! Sollten Sie jedoch unverständlicherweise kein an der Geologie interessierter Mensch sein, können Sie dieses Buch immer noch als Ausflugsbuch benutzen, sind die in vielen Fotos vorgestellten Gebiete, Seen und Landschaftsformen äußerst pittoresk und allemal eine Reise wert.
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Seitenzahl: 78
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Murellenschlucht (Charlottenburg-Wilmersdorf)
Eiszeitliche Strukturen in Berlin – Eine kleine Auswahl im Überblick
Sämtliche Fotos – © 2022 by Eckehard Plum
Vierling-See (Zehlendorf – siehe auch Seite 36)
Geologische Einführung
Glaziale Serie
Findlinge
Toteisseen
Glaziale Rinnen
Urstromtal
Grundmoränen
Endmoränen
Grunewald
Kames
Os
Dünen
Berge
ANHANG:
An Nörgelliese und Nörgelfritze
Stichwortverzeichnis
Literaturverzeichnis
Während der drei Eiszeiten, die in Berlin als Teil des norddeutschen Flachlands sichtbar die Landschaft prägten, wurden unter anderem Findlinge mit dem Eis aus Nordeuropa (Skandinavien) über mehrere Hundert Kilometer nach Süden transportiert und dort abgelagert. Diese drei Eiszeiten nennt man Elster-,Saale- und Weichseleiszeit – benannt nach europäischen Flüssen. Die letzte Eiszeit (Weichsel) drang immerhin noch bis etwa 50 Kilometer südlich von Berlin vor. Sie war es auch, die dem Stadtgebiet ihr heutiges geomorphologisches Aussehen gegeben hat, denn sie hat nicht nur sehr große Steine in Berlin abgelegt, sondern sie hat Berlin durchgewalkt und geknetet, aufgeschoben, Löcher in der Landschaft hinterlassen und auch Dünen aufgeweht. Diese Erben der Eiszeit machen die Stadt auch so einzigartig. Die Weichsel-Eiszeit, welche vor ca. 115.000 Jahren begann und vor etwa 11.7001 endete, hat für Berlin eine herausragende Bedeutung.
Geologische Skizze von Berlin
Nach dem Abschmelzen der Eismassen blieben die mitgeführten Geschiebe einfach liegen. Ebenfalls zurück blieben Sand, Kies, Schluff und Ton. Sie bildeten unter dem Eis die Grundmoränenlandschaft mit ihren sanften Hügeln. Wie Sie anhand der geologischen Skizze2 sehen können, zeigen sich mit der Barnim-Hochfläche im Nordosten, der Teltow-Hochfläche im Süden und der Nauener Platte im Südwesten Berlins ausgebildete Grundmoränenlandschaften – wobei die letztgenannte Platte für Berlin keine so große Rolle spielt.
Weitere sichtbare Hinterlassenschaften der Eiszeiten in Berlin sind sicherlich auch die vielen Seen (Wannsee, Nikolassee, Schlachtensee, Krumme Lanke, Grunewaldsee, Hundekehlesee usw.) und Flüsse (Spree, Havel, Dahme, Wuhle und Panke).
Die schmelzenden Eismassen flossen in Richtung Nordwesten ab und hinterließen so das Berliner Urstromtal als Teil des sogenannten Warschau-Berliner Urstromtals – das von Ost nach West quer durch die Stadt verläuft – und in dem heute die Spree fließt. Dabei trennt es die Barnim-Hochfläche von der Teltow-Hochfläche (siehe Abb. unten), wie es auch in der geologischen Karte3 verzeichnet ist. Die dort vorhandenen Sande haben eine Mächtigkeit von mehr als 20 Metern ausgebildet und stellen die Grundwasser- und damit auch Trinkwasserspeicher der Stadt Berlin dar. Viele Teiche und Seen in Berlin sind Toteisseen, die sich erst nach dem Rückzug der Gletscher gebildet haben. Als Erbe der Eiszeiten haben sich mehr als 60 Seen erhalten. Ein anderes Überbleibsel der Weichseleiszeit sind die „Berge“ auf den Hochflächen, also den Grundmoränen. OK, Berge scheint ein wenig übertrieben, aber warum gibt es dann sonst Stadtteile wie Schöneberg, Kreuzberg und Prenzlauer Berg?
Die Eiszeiten des Pleistozäns (2,588 Millionen Jahre bis ca. 11.700 Jahre4) gehören – geologisch gesehen – zum Zeitalter des Quartärs, ebenso wie das Holozän (Jetztzeit), das sich an das Pleistozän anschließt.
Während des Pleistozäns fielen die Temperaturen deutlich, was zu immer größeren Schneemassen im Norden Europas führte. Irgendwann wurde der Druck von oben so stark, dass die darunter liegenden Schichten zu Eis umgeformt wurden. So bildeten sich im Norden die Gletscher, die enorme Kräfte ausbildeten und zähplastisch wurden. Und dann begannen sie nach Süden zu „fließen“. Auf ihrer langen Reise nahmen sie Unmengen von Gesteinen mit, vom kleinsten Kiesel bis zum hausgroßen Brocken, den Findlingen.
Auf dem Weg der Gletscher, die eine erstaunliche Höhe von bis zu 3 Kilometern ausbildeten (in Berlin immerhin noch ca. 200 Meter), wurden die „überfahrenen“ Landschaften teilweise komplett überformt, es entstanden zum Teil tiefe eiszeitliche Rinnen, Grund- und Endmoränen, Dünen, Seen und ein Urstromtal – sozusagen die Insignien eines Gletschers. Geologen sprechen hier von der Glazialen Serie. Es entstand eine komplett neue Landschaft. In der Hauptstadt sind diese Merkmale der Eiszeiten noch sehr deutlich zu erkennen.
Ich werde Ihnen in diesem Buch Berlin als Produkt gerade der letzten Eiszeit plastisch vorstellen und Sie werden sofort erkennen, dass die Hauptstadt eben nicht flach, sondern hügelig strukturiert ist, ja sein muss. Ohne die Eiszeiten wäre Berlin nämlich einfach flach wie eine flauschige Flunder.
Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden auch Sie sofort bemerken, wo die Eiszeit in dieser Stadt „zugeschlagen“ hat. Fahren Sie doch einfach mal vom Urstromtal (Spree) in Richtung Süden herauf auf die hoch gelegene Grundmoräne auf den Kreuzberg (=> Teltow). Dann wissen Sie, was sie geleistet haben! Ist es nicht spannend, Berlin mit den „Augen der Eiszeit“ erleben zu können? Tauchen Sie ein in ein aufregendes Abenteuer und lassen Sie sich von der Schönheit und Einzigartigkeit der eiszeitlichen Hinterlassenschaften in dieser pulsierenden Metropole faszinieren. Ku’damm und Brandenburger Tor waren gestern. Design made by Ice Age ist angesagt. Geologie und Eiszeit zum Anfassen.
Stark überhöhte Darstellung der Grundmoränenplatten – © Plum 2022
Auf der rechten Seite sehen Sie den steil ansteigen Bereich hinauf zum Kreuzberg im Viktoriapark. Im oberen Bildteil sehen Sie das Schinkel-Denkmal als höchsten Punkt. Der Kreuzberg liegt, geologisch betrachtet, auf der Teltow-Grundmoräne – wie Sie der Abbildung oben entnehmen können.
1 Quelle: https://stratigraphy.org/ICSchart/ChronostratChart2022-02German.jpg
2 Geologische Skizze von Berlin 2008. Die Verwendung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz in Berlin.
3 Geologische Übersichtskarte von Berlin und Umgebung. Maßstab 1:100.000: Landesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe Brandenburg. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz Berlin 1995.
4 Quelle: https://stratigraphy.org/ICSchart/ChronostratChart2022-02German.jpg
Die Glaziale Serie stellt eine idealtypische Reihenfolge von Hinterlassenschaften in der Landschaft dar, die während der Eiszeiten – in Berlin vor allem der letzten, der Weichsel-Eiszeit – durch jeden Vorstoß der Gletscher entstanden sind. Im weiteren Verlauf dieses Buches werden Sie im Einzelnen diese Hinterlassenschaften in Berlin im Text und vor allem in aussagekräftigen Fotos kennenlernen. Fast alle Formen der Glazialen Serie kann man in dieser Stadt finden und nachweisen. Wenn Sie zum Beispiel in den Baumbergen (siehe unten) spazieren gehen, werden Sie nach dem Lesen dieses Buches wissen, dass Sie nicht auf einem Berg oder Hügel, sondern auf einer eiszeitlichen, 11.700 Jahre alten Düne stehen. Weiter werden Sie verstehen, wie diese Düne eigentlich da hingekommen ist, mitten im Gelände und dabei kein Meer weit und breit in Sicht! Aber ich greife vor. Lassen Sie mich nun zunächst in einer kurzen Übersicht die wichtigsten Typen dieser Glazialen Serie vorstellen. Später dann dazu mehr:
Die Glaziale Serie – © Plum 2022
Os (Plural Oser):
Auch Wallberg genannt – ist eine lang gestreckte Geländeformation, aufgebaut aus Sanden und Kiesen. Sie wurde durch Gletscher und Schmelzwasser geformt.
Kame (Plural Kames):
Hügelartige Erhebung, entstanden durch Ablagerungen von Gletschereis und Schmelzwasser am Rande des Eises gegen ein Hindernis als Widerlager (z. B. Toteisblock).
Toteissee:
See, der nach dem Schmelzen eines vom Gletscher isolierten Toteisblocks gebildet wurde.
Endmoräne:
Wallartige Aufschüttung von Sanden, Kiesen und Gesteinen am Ende eines Gletschers. Sie ist der Bereich des weitesten Gletschervorstoßes oder Gletscherstillstandes.
Grundmoräne:
Landschaftsform, die unter Gletschern entstanden ist. Das charakteristische Sediment der Grundmoräne ist der Geschiebemergel.
Urstromtal:
Breite Talniederung, die durch das Abfließen der sich in das Gelände einschneidenden Schmelzwasser eines tauenden Gletschers entstanden ist. Später häufig von Flüssen genutzt (z. B. von der Spree – Foto unten).
Düne:
Formation aus Sand – entstanden vornehmlich durch aus Sanderflächen ausgewehten, mehr oder weniger feinen Sanden im periglazialen Umfeld.
Glaziale Rinne:
Entstanden unter dem Gletschereis durch die abtragende Wirkung der Schmelzwasser (siehe auch Urstromtal). In ihr fließt – nach Rückzug der Gletscher – häufig ein Fluss (z. B. die Havel) oder es sind Seen ausgebildet (z. B. der Wannsee).
Sander:
Fächerartige Sand- und Kies-Aufschüttungen, die vor dem Eisrand eines Gletschers abgelagert wurden. In Berlin und um Berlin herum gibt es zwar viel Sand, aber Sand im Sinne der Glazialen Serie gibt es in Berlin offensichtlich nicht, denn: „Sanderbildungen fehlen im engeren Berliner Raum.“5
Ausgedehnte Sandflächen im Grunewald – aber keine Sander. Hier: „Im Jagen 86“
„Es sind dies die Gegenden der Mark, die ihr den Namen der ‚Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches‘ eingetragen haben, ein Name, der mutmaßlich nie entstanden wäre, wenn die Reisenden ‚aus dem Reich‘ noch etwas anderes von der Mark kennengelernt hätten, als eben jenen breiten Sandgürtel, den sie auf ihrem Wege von Dresden nach Berlin notwendig passieren mußten.“6
Apropos viel Sand! Sand muss nicht schlecht sein, wächst doch der Beelitzer Spargel südlich von Berlin auf einer eiszeitlichen Sanderfläche. Da kann ich nur sagen: „Danke Eiszeit – für Spargel im Sand“.
Wobei – Spargel im Sand könnte auch der Titel eines in Brandenburg spielenden Krimis sein:
SPARGEL IM SAND
Kapitel 1
„Spargel im Sand war vermutlich das Letzte, was das Opfer sah!“
Kommissar Rüger kratzte sich gedankenverloren an seiner knolligen, leicht senffarbenen Nase und stapfte mürrisch und schwerfällig vom Spargelfeld. Er machte eine abwertende Handbewegung zu seinem viel zu jungen Assistenten, als wollte er damit sagen:
„Na, Jungchen, deinen Sonntag haste dir auch anders vorgestellt, wie?“
Dann drehte er seinen durch jahrelangen Alkoholkonsum stark verlebten, massigen Körper unbeholfen um, wobei er leise vor sich hinmurmelte:
„Verdammter Sand!“
Sichtbar angewidert klopfte der Kommissar sich die sandbeschmutzten Hosenbeine aus und ließ sich brachial, unter Zuhilfenahme der Schwerkraft, in seinen schwarzen Citroën DS