Eltern setzen Grenzen - Jan-Uwe Rogge - E-Book

Eltern setzen Grenzen E-Book

Jan-Uwe Rogge

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Beschreibung

Der pädagogische Bestseller «Kinder brauchen Grenzen» hat seit seinem Erscheinen viele Diskussionen ausgelöst. Im vorliegenden Fortsetzungsband hat der bekannte Familien- und Erziehungsberater Dr. Jan-Uwe Rogge aus seinen zahlreichen Seminaren mit Pädagogen und Eltern u. a. folgende Fragen aufgegriffen: Was tun bei «schmutzigen» Wörtern, Monsterfiguren und Raufereien? Wie mit Sexualität umgehen? Grenzen ab welchem Alter setzen? Gewalttätige Jungen – friedfertige Mädchen? Wie verhalte ich mich bei Trauer und Tod? Unterschiede zwischen Konsequenz und Strafe? Wie gehe ich mit eigenen Fehlern um? Kinder brauchen Rituale und Orientierung. Dabei müssen Partnerschaft und Autorität kein Widerspruch sein. Das zeigen die vielen anschaulichen, zum Teil auch amüsanten Beispiele und konkreten Vorschläge in diesem Buch. Sie führen zum besseren Verständnis der Kinder und zu einem gelasseneren Umgang miteinander im Erziehungsalltag. Und lassen Sie sich nicht einreden, Ihre Kinder wären Tyrannen. «Lebenshilfe leichtgemacht!» (Familie & Co)

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Jan-Uwe Rogge

Eltern setzen Grenzen

Partnerschaft und Klarheit in der Erziehung

 

 

 

Über dieses Buch

Der pädagogische Bestseller «Kinder brauchen Grenzen» hat seit seinem Erscheinen viele Diskussionen ausgelöst. Im vorliegenden Fortsetzungsband hat der bekannte Familien- und Erziehungsberater Dr. Jan-Uwe Rogge aus seinen zahlreichen Seminaren mit Pädagogen und Eltern u.a. folgende Fragen aufgegriffen: Was tun bei «schmutzigen» Wörtern, Monsterfiguren und Raufereien? Wie mit Sexualität umgehen? Grenzen ab welchem Alter setzen? Gewalttätige Jungen – friedfertige Mädchen? Wie verhalte ich mich bei Trauer und Tod? Unterschiede zwischen Konsequenz und Strafe? Wie gehe ich mit eigenen Fehlern um?

 

Kinder brauchen Rituale und Orientierung. Dabei müssen Partnerschaft und Autorität kein Widerspruch sein. Das zeigen die vielen anschaulichen, zum Teil auch amüsanten Beispiele und konkreten Vorschläge in diesem Buch. Sie führen zum besseren Verständnis der Kinder und zu einem gelasseneren Umgang miteinander im Erziehungsalltag. Und lassen Sie sich nicht einreden, Ihre Kinder wären Tyrannen.

 

«Lebenshilfe leichtgemacht!» (Familie & Co)

Vita

Jan-Uwe Rogge gilt als Deutschlands erfolgreichster Erziehungsexperte. Er ist Familien- und Kommunikationsberater sowie Buchautor. Seit Jahrzehnten liefert er Antworten auf Fragen, die Eltern bewegen. Er hält Vorträge und führt Seminare im In- und Ausland durch. Seine Bücher sind Klassiker der Elternliteratur und Bestseller, sie wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Er ist als Experte regelmäßiger Gast in zahlreichen Rundfunk- und Fernsehsendungen. Rogge lebt in der Nähe von Hamburg.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2024

Copyright © 1995 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Illustrationen Uwe Schildmeier

Herausgegeben von Bernhard Schön und Bernd Gottwald

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung Paul/F1online

ISBN 978-3-644-01976-8

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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Dieses E-Book entspricht den Vorgaben des W3C-Standards EPUB Accessibility 1.1 und den darin enthaltenen Regeln von WCAG, Level AA (hohes Niveau an Barrierefreiheit). Die Publikation ist durch Features wie Table of Contents (Inhaltsverzeichnis), Landmarks (Navigationspunkte) und semantische Content-Struktur zugänglich aufgebaut. Sind im E-Book Abbildungen enthalten, sind diese über Bildbeschreibungen zugänglich.

 

 

www.rowohlt.de

Inhaltsübersicht

Statt eines Vorworts

1 Grenzen setzen ist (k)ein Kinderspiel

Kapitel 1 Vom Umgang mit Fehlern

Kapitel 2 Erwartungsdruck macht unsicher

Kapitel 3 Kinder hören nicht auf «gute» Worte

Kapitel 4 Von der Entmutigung durch Grenzen

Kapitel 5 Partnerschaft und Autorität – kein Widerspruch

Kapitel 6 Mitgefühl! Nicht Mitleid!

Kapitel 7  Konsequenzen sind keine Strafen!

Kapitel 8 Unterschiedliche Erziehungsstile

Kapitel 9 Grenzen – ab welchem Alter?

2 Aggressionen fordern heraus

Kapitel 10 Gewalt im Spiel – Spiele der Gewalt

Kapitel 11 Symbole der Gewalt: Actionfiguren

Kapitel 12 Über den Umgang mit Kraftausdrücken

Kapitel 13 Gewalttätige Jungen? Friedfertige Mädchen?

3 Kinder und Grenzerfahrungen

Kapitel 14 Sexualität im Alltag von Kindern

Kapitel 15 Missbrauchte Grenzen

Kapitel 16 Kind, Tod und Trauer

Nachwort Rituale geben Halt

Literatur

Meinen Eltern, die Grenzen setzten und mir die Freiheit ließen, ganz eigene Wege zu finden und zu gehen.

Statt eines Vorworts

Ein Pfarrer kündigt im Anschluss an seine sonntägliche Predigt die Veranstaltungen der kommenden Woche an. Vor ihm sitzt eine Familie, links der Vater, rechts die Mutter, in der Mitte der knapp sechsjährige Roman. Als der Pfarrer besonders auf eine Lesung von Jan-Uwe Rogge mit dem Titel «Kinder können fernsehen» hinweist, sieht dieser, wie ein Lächeln über Romans Gesicht huscht. Roman blickt kurz nach rechts, dann nach links. Die Mimik seiner Eltern verrät nichts. Sie sitzen unbeweglich da.

Als der Pfarrer seine Gemeinde mit Handschlag und persönlichen Worten verabschiedet, kommt auch Roman, seine Eltern gehen einen kleinen Schritt hinter ihm. Roman gibt dem Pfarrer die Hand, hält sie kurz fest. Dann blickt er zu ihm auf: «Herr Pfarrer! Ist das richtig, kommt da einer und sagt, ich kann fernsehen?» Voller Erwartung heften sich seine Augen an die Lippen des Pfarrers: «Ja, Roman, da kommt einer und liest aus seinem Buch ‹Kinder können fernsehen›.» Ein Lächeln spielt um Romans Mund. Seine Augen leuchten. Er dreht sich zu den Eltern, überlegt einen kurzen Augenblick. Dann räuspert er sich, bevor er dem Pfarrer mit Nachdruck in der Stimme sagt: «Herr Pfarrer, sagen Sie meinen Eltern doch, sie müssen da unbedingt hingehen! Sie glauben gar nicht, wie schlimm das bei mir zu Hause mit dem Fernsehen ist. Ich darf fast nicht fernsehen. Und ich bin doch schon groß.» Die Eltern kamen – auch ohne die Fürsprache des Pfarrers.

 

Jahre später. Eine Lesung aus dem Buch «Kinder brauchen Grenzen». Romans Eltern sind anwesend, sie kommen auf mich zu, begrüßen mich lachend. Sie haben einen Brief dabei. «Von Roman», erklärt die Mutter schmunzelnd.

«Soll ich ihn lesen? Jetzt gleich?», frage ich.

«Wenn Sie wollen! Ich weiß nicht, was darin steht.» Ich bin neugierig, reiße den Umschlag schnell auf, hole einen Brief heraus: «Lieber Herr Rogge», steht da, «Kinder können fernsehen war toll. Ich durfte mehr sehen als vorher. Nicht viel mehr, aber ein bisschen. Das war gut. Aber Sie müssen jetzt mal ein Buch schreiben ‹Eltern brauchen Grenzen›. Meine Mutter hat ‹Kinder brauchen Grenzen› gelesen, und die ist jetzt ganz anders. Du hast so viele Tricks von uns Kindern einfach verraten. Aber ich hab mir schon viele neue ausgedacht, die verrate ich Dir nicht. Und dann weiß Mama nicht, was sie tun soll, weil das ja nicht in Deinem Buch drinsteht. Und manchmal schimpft sie auf Dich, weil das, was Du schreibst, nicht klappt. Dann ist sie wütend – nicht auf mich, auf Dich. Aber Dein Buch ist auch gut, weil irgendwie sind Mama und Papa jetzt besser zu mir. Weil, wenn ich jetzt mal rumnerve, sagen die mal laut: ‹Nein, Roman!› Und wenn Du mal ein Buch schreibst, Eltern brauchen Grenzen, verrat ich Dir eine ganze Menge, wie man Eltern ärgern kann.»

 

In der Folge meiner Lesungen, Vorträge und Seminare zum Grenzensetzen habe ich eine Vielzahl an Reaktionen bekommen – von Eltern, von Großeltern, von Kindern. Es gab Zustimmung. Ich habe erfahren, wie Eltern meine Lösungen und meinen Rat übernahmen und mit mehr, manchmal weniger Erfolg im Erziehungsalltag umsetzten. Und Eltern haben mir ihre Ideen verraten, die sie selbstbewusst und im Vertrauen auf eigene Fähigkeiten anwandten. Es gab auch Einwände und Kritik, es kamen wenige – meist anonyme – Beschimpfungen. Man äußerte Wünsche nach einer Fortsetzung bzw. inhaltlichen Erweiterung des «Grenzen»-Buches, das einige Bereiche des Familien- und Erziehungsalltags nicht oder nur ganz am Rande thematisiert. Mir waren diese Lücken bewusst. Bücher haben Grenzen, wollen sie lesbar bleiben.

«Eltern setzen Grenzen» greift Fragen auf, die Eltern und Pädagogen während der Lesungen, in Seminaren und Beratungen gestellt haben, auf die ich in «Kinder brauchen Grenzen» eher am Rande eingegangen bin:

Wie geht man mit Fehlern in der alltäglichen Erziehungspraxis um? Wie bleibt man bei sich selber, ohne dem Erwartungsdruck von außen nachzugeben? Und: Kann man partnerschaftlich erziehen und gleichzeitig eine Autorität für das Kind sein?

Wo liegen die Unterschiede zwischen Konsequenzen und Strafen? Hält ein Kind unterschiedliche Erziehungsstile, z.B. von Vater und Mutter, aus?

Häufig werde ich gefragt, ab wann Kindern Grenzen zu setzen sind, würden jüngere Kinder den Sinn von Grenzen doch noch nicht verstehen. Wie kann man also jüngeren Kindern den Sinn von Grenzen verdeutlichen?

Helfen deutliche und klare Grenzen Kindern bei der Sinnsuche und der Kultivierung ihrer Aggressionen? Führen enge bzw. zu weit gesteckte Grenzen zu zerstörerischen Aggressionen?

Brauchen Kinder Monsterfiguren und Spiele mit Waffen? Sind Verbote in der Lage, Grenzen zu setzen, oder führen Verbote zu Heimlichkeiten?

Heranwachsende brauchen Orientierung. Sie wünschen Sinn. Gleichzeitig erleben sie einen unübersichtlichen und unkalkulierbaren Alltag. Welche lebendigen und mit Inhalt gefüllten Rituale können Kindern Halt vermitteln?

Kinder wachsen in einer Welt auf, die dem Realitätsprinzip verpflichtet ist. Dies überfordert sie. Kinder nehmen Wirklichkeit jedoch ganzheitlich wahr – mit allen Sinnen, durchdrungen von Phantasie, Magie und Mythos. Erwachsene grenzen die magisch-phantastische Sichtweise von Kindern dagegen aus. Sie engen Kinder ein. Magie und Phantasie überschreiten Grenzen, lassen Unmögliches wahr werden. Sie schaffen eine ganz subjektive Wirklichkeit, die Kinder erst lebenstüchtig macht. Welche Chancen bieten magische Kräfte den Kindern, Grenzen zu finden, um mit Alltags - und Beziehungskonflikten auf eine ganz eigene Weise umzugehen?

Kinder erleben Grenzerfahrungen, die sie erniedrigen. Das Recht des Kindes auf physische Unversehrtheit ist nicht allein durch Kriege oder durch Katastrophen in Frage gestellt. Auch der sexuelle Missbrauch missachtet den Respekt vor dem Körper des Kindes und wird deshalb öffentlich diskutiert. Sexuell missbrauchte Kinder haben das Recht auf umfassende Fürsorge. Genauso wichtig erscheint es, Kinder dabei zu unterstützen, sich und ihren Körper eigenständig zu schützen, um selbstbewusst Körpergefühl und Sexualität zu leben. Welche Möglichkeiten bieten sich hier Eltern?

Krankheit gehört zum Leben wie der Tod. Krankheit und Tod bringen Grenzerfahrungen mit sich, die Kindern vorenthalten werden, weil ihre Eltern Probleme damit haben. Kinder, gerade jüngere Kinder, brechen Tabus, sie brauchen und wollen vielfältige Erfahrungen – und der Tod gehört dazu. Wie können Eltern auf Fragen nach dem Tod eingehen, ohne Kinder zu überfordern, und sie zugleich in ihrem Wunsch nach Wahrhaftigkeit ernst nehmen?

 

Die Antworten auf diese Fragen werde ich in Geschichten verdeutlichen – manchmal stillen, manchmal schrillen, manchmal zum Lachen anregenden Situationen und Erlebnissen aus dem Alltag.

«Warum», so bin ich wiederholt gefragt worden, «schreiben Sie lustige Geschichten über so ernsthafte Themen?» – «Was haben Sie gegen Lachen?», entgegne ich dann. Ich bin überzeugt: Lachen befreit, es setzt Erkenntnisse in Gang. Lachen erleichtert es, sich in seinen Unzulänglichkeiten anzunehmen. Die Geschichten, die ich erzähle, entstammen meinen Beobachtungen aus Praxisberatungen, Seminaren, Alltagssituationen, Rollenspielen und Erzählungen von Eltern und Kindern. Sie sind von mir zusammengefasst, auf den – wie es so schön heißt – Punkt gebracht. Manche Namen und Situationen sind verfremdet, andere Familien und Anlässe sind authentisch wiedergegeben.

«Ihre Geschichten», hielt mir ein Vater anlässlich einer Lesung vor, «sind voller Klischees und Vorurteile. Gut, das brauchen Sie wohl, damit bestimmte Dinge klarwerden.» Er unterbricht, lächelt: «Ich muss Ihnen mal eine ganz wirkliche Geschichte erzählen, die mir neulich passiert ist.» Und er fängt an, von dem Besuch eines abendlichen Vortrags über ein pädagogisches Thema zu erzählen. Der Saal sei voll gewesen. Eine gespannte Aufmerksamkeit habe geherrscht. Ein Elternpaar habe in der letzten Reihe gesessen, gemeinsam mit ihren beiden Kindern, vier und fünf Jahre alt. Nach zehn Minuten wären die Kinder aufgestanden, hätten sich von den Eltern gelöst.

«Stellen Sie sich vor», sagt der Vater zu mir, «die haben Legosteine dabeigehabt, damit gespielt. Anfangs leise, dann immer lauter, bis sie schließlich hin und her rannten. Die Eltern haben nichts gesagt.» – «Und Sie?», will ich wissen.

«Ich konnte den Vortrag ja noch verstehen!» Ich lache.

«Ist ja schon gut!», meint er, mit beiden Händen abwinkend.

«Wie ging’s weiter?» Ich bin neugierig.

«Die Kinder haben gespielt. Mal lauter, mal leiser. Keiner hat was gesagt!» – «Kannten Sie die Eltern?», frage ich.

«Klar!» – «Und?» Ich ahne, was kommt.

«Er ist Arzt mit therapeutischer Ausbildung, sie Lehrerin.» Ich schmunzle: «Wenn ich diese Geschichte erzählt hätte, was hätten Sie gedacht?» Er, ganz spontan: «Ausgedacht hat er sich die Geschichte. So viele Klischees und Zufälle kann es gar nicht geben.»

 

Meine Veranstaltungen waren hervorragend besucht, zogen insbesondere jüngere Eltern an. Ja, ich gewann den Eindruck, als ob ich manchmal den Status eines pädagogischen «Gurus» erhielt, der zeigt, wie man Fehler in der Erziehung vermeiden kann, eines Rezeptgebers, der formuliert, wie eine ideale, störungsfreie Erziehung funktioniert. Um es vorwegzunehmen: Es gibt keine perfekte, ständig reibungslos sich entwickelnde Erziehungsbeziehung. Zu kompliziert sind die Situationen, zu verschieden sind die Menschen, mal ganz abgesehen von materiellen, sozialen, ökonomischen oder kulturell verschiedenen Rahmenbedingungen. Deshalb hilft nicht jeder Rat. Dazu sind die Kinder, die Eltern-Kind-Beziehungen, dazu sind Alltagsabläufe zu unterschiedlich, unvergleichbar, unwägbar.

Als eine Mutter mir erzählte, in Krisensituationen frage sie sich, was ich wohl jetzt sagen würde, stockte mir der Atem. Genau dies will ich nicht. Den anderen Menschen in seinen Fehlern annehmen bedeutet für mich, mir meiner eigenen Fehler bewusst zu sein.

Manche meiner Unzulänglichkeiten mag ich so sehr, dass ich darauf nicht verzichten möchte. Sie sind kleine Geschenke, die mir zeigen, an mir zu arbeiten – aber so, dass ich unverwechselbar bleibe.

Meine Bücher, meine Ideen, meine Geschichten wollen ermutigen, den ganz unverwechselbaren Weg in der Beziehung zu Kindern zu entwickeln, sie wollen nicht abhängig machen von dem Fachmann. Sie möchten Verantwortung an die Eltern zurückgeben, die vielfältigen Erfahrungen der Eltern im Umgang mit ihren Kindern ernst nehmen. Meine Tipps sind vergleichbar mit der Beschreibung von Wanderrouten. Ich biete Wegmarkierungen an, Hinweise, wie das Ziel erreicht werden kann, mal mit Umwegen, mal auf direktem Weg.

Aber gehen müssen die Eltern und Leser allein. Was mich ermutigt, sind Briefe von Eltern, in denen sie über ihren ganz eigenen Weg in der Erziehung selbstbewusst berichten, wie ihnen mein Buch Hilfe war, eine individuelle Erziehungsbeziehung zu entwickeln. Wege in der Erziehung entstehen beim Gehen. Und da das Gehen niemals geradlinig verläuft, vielmehr von Umwegen, Sackgassen, von Stillstand und Rückschritt gekennzeichnet ist, sind Wege nicht im Vorhinein zu planen. Eine Kindererziehung, eine Eltern-Kind-Beziehung, die nach einem festgelegten Plan verlaufen soll, endet nicht selten in Machtkampf, in Chaos, in hilflos-beleidigter Wortlosigkeit. Verlaufen hat da mit Verirren zu tun, weil Verlaufen nicht selten eine Folge davon ist, sich zu sklavisch an vorgedruckte Wanderkarten zu halten.

Meine Ideen wollen anregen – damit sie mit Leben gefüllt, unverwechselbar werden, muss die eigene Erfahrung hinzukommen.

1Grenzen setzen ist (k)ein Kinderspiel

Kapitel 1Vom Umgang mit Fehlern

Wenn Sie etwas schreiben oder formulieren, fragen Eltern, hört sich alles einfach an. Aber im Alltag und im Stress vergisst man so vieles! Wie vermeidet man Fehler?

Zugegeben: Es ist manchmal ein Kreuz mit der Kindererziehung. «Egal, wie man’s macht», erklärt mir ein Vater, «man macht’s falsch. Wenn ich sauer bin, mein Kind anschreie, entwickle ich Schuldgefühle. Obgleich ich nach dem Schreien irgendwie erleichtert bin!» Er schaut mich erstaunt an. «Aber wenn ich mein Kind nicht anschreie, obgleich es nervt, sich nicht an Absprachen hält, dann quäle ich mich noch stärker und frage mich hinterher ständig, warum hast du keine Grenzen gesetzt? Warum bist du ständig das Opfer? Wo bleibst du mit deinen Gefühlen?»

Dieser Vater hat sich eine klassische Falle aufgestellt: Er kann nicht «immer richtig» handeln. Entweder, er stellt seine eigenen Bedürfnisse hintenan, denkt nur an die Befriedigung kindlicher Wünsche. Oder er verstößt gegen seine Prinzipien, indem er z.B. sein Kind anschreit.

In vielen Eltern-Kind-Beziehungen wollen die Eltern perfekt sein – und perfekt meint, einem selbstverordneten Ideal zu entsprechen. Dafür verzichten sie oft darauf, eigene Gefühle zu artikulieren. Eine merkwürdige Situation: Es scheint manchmal befreiender zu sein, spontan etwas Falsches zu tun, z.B. zu schimpfen oder zu schreien, als stunden- und tagelang mit heruntergeklappter Unterlippe durch die Wohnung zu laufen, dem anderen ein beleidigtes Gesicht zu präsentieren, um ihm ohne Worte, aber ebenso nachdrücklich zu zeigen, wie schlecht und unmöglich dieser Mensch ist.

Zweifellos haben alle Familienmitglieder Anspruch darauf, angemessen behandelt zu werden. Aber dies gelingt nicht immer. Wer die Schwäche hat, Fehler zu begehen, sollte die Stärke besitzen, sich zu entschuldigen – nicht unwillig, hingenuschelt oder weil «man» es tut, sondern als ernstgemeinte Wiedergutmachung und mit der Absicht, künftig andere Konfliktlösungen zu entwickeln als die ungenießbare Melange aus Zuckerbrot und Peitsche oder wortlos beleidigtem Rückzug.

Perfekte Lösungen passen nicht

Eine Mutter berichtet: «Ich habe eine Absprache mit meinen Söhnen. Sie sollen mich mittags dreißig Minuten alleine lassen. Ich brauche diese Ruhe. Aber nach zehn Minuten kommt Benjamin, mein Jüngster, vier Jahre, ins Zimmer, weil er Durst hat. Ich hab zu ihm ganz bestimmt gesagt: ‹Du weißt ja, wo alles steht. Geh!› Dann hab ich mit dem Finger zur Tür gewiesen. Ein klassischer Rausschmiss, er ist gegangen. Und ich hab mir gedacht, war das richtig? Gibt es nicht doch eine elegantere Lösung?» Sie denkt einen kleinen Augenblick nach, dann klingt ihre Stimme ganz bestimmt: «Ja, es muss eine bessere Lösung geben, eine, die alle zufriedenstellt!»

Wiederum eine paradoxe Situation: Da führt eine Handlung zum gewünschten Ergebnis. Der Sohn verstößt gegen eine getroffene Absprache, die Mutter besteht auf Einhalten der Absprache. Sie artikuliert ihre Bedürfnisse. Das Kind akzeptiert dies – wenn auch nicht freudestrahlend. Trotzdem ist die Mutter nicht zufrieden; sollte Benjamin etwa sagen: «Mutter, ich danke dir, dass du so konsequent bist»? Mütter, Väter, pädagogisch Handelnde sind anscheinend niemals zufrieden. Sie haben Schwierigkeiten, Grenzen zu setzen, aber unendlich mehr Schwierigkeiten mit den Konsequenzen und die allergrößten Probleme mit den eigenen Gefühlen, die sich aus den vollzogenen Konsequenzen ergeben. Wer Grenzen setzt, konsequent handelt, wird nicht geliebt, vielmehr respektiert und geachtet – manchmal auch gehasst. Diese anderen Seiten gehören zu einer gefühlsmäßig reifen Eltern-Kind-Beziehung.

Aber der Perfektionismus lässt diese Schatten nicht zu.

 

Perfektionistisches Handeln wirkt sich auch in anderen Bereichen negativ aus. Wenn ich mit Eltern Situationen und Ideen entwickle, Probleme beim Grenzensetzen zu lösen, höre ich schnell den Satz: «Hab ich alles schon versucht. Das klappt nicht!» Aber was hin und wieder nicht funktioniert, muss nicht für alle Zeiten verworfen werden. Eltern – wie andere pädagogisch Handelnde – sind in der Situation eines Schlossers, der ein unbekanntes Schloss zu knacken hat. Wenn er perfekt sein will, hat er Hunderte von Schlüsseln dabei, die er so lange ausprobiert, bis einer passt. Das kann lange dauern, und manchmal passt überhaupt kein Schlüssel. Der clevere Türöffner benutzt deshalb einen Dietrich. Ein Dietrich öffnet ein Schloss, ohne dessen spezifische Einzelheiten bis ins Detail zu kennen. Mal passt ein Dietrich, mal nicht, dann kommt ein anderer zum Einsatz.

Ein unbekanntes Schloss zu öffnen ist mit der Lösung eines Problems vergleichbar. Wenn man lange über dessen Ursachen nachdenkt, kommt man möglicherweise zu einer absolut richtigen Lösung – meist aber nicht, sitzt doch ein kleiner Specht im Hinterkopf, der ständig auf eine bessere Lösung pocht.

Nicht nach dem Warum, sondern nach dem Wozu fragen

Aus ebendiesem Grunde helfen «Warum?»-Fragen wenig, einen Streit, wie er für Eltern-Kind-Beziehungen üblich ist, aus der Welt zu schaffen. Dies gilt insbesondere bei Heranwachsenden – aber natürlich nicht nur bei ihnen. Auf insistierende «Warum?»-Fragen erhält der Erwachsene ein achselzuckendes «Darum!», ein trotziges «Weil andere Schuld haben!», ein verlegenes Grinsen oder ein leises «Weiß nicht!». Kreativer, weil lösungsorientierter ist die Verwendung von Fragen, die Dietrichen gleichkommen. Diese Vorgehensweise konzentriert sich nicht auf das «Warum?» – «Warum machst du das?» –, sondern darauf, dass ein Kind so handelt, z.B. bummelt, andere schlägt.

Daraus ergibt sich eine unterschiedliche Lösungsperspektive: Während «Warum?»-Fragen den Blick nach rückwärts richten, verändern «Wozu?»-Fragen – «Wozu handelt ein Kind so, wie es handelt?» – den Blickwinkel. Es stellt das Kind mit seiner Umgebung in den Mittelpunkt – z.B. ein Kind, das um sich schlägt, um damit Aufmerksamkeit zu bekommen. Solche «Wozu?»-Fragen zwingen den Erwachsenen zu einer genaueren Beobachtung des Kindes: «Was hat das Kind davon, wenn es so handelt, wie es handelt?» «Wozu?»-Fragen bleiben im Hier und Jetzt, in der Gegenwart des Kindes, und bringen eine veränderte zweite Perspektive mit sich: «Wie kann ich gemeinsam mit dem Kind sein störendes Verhalten verändern?» «Welche Lösungen bietet das Kind an, ohne dass es bisher davon wusste?» Und dies geht – einige Übung vorausgesetzt – schneller, als man glaubt.

Peter Rudolf, ein Vater, hört aufmerksam zu, runzelt die Stirn: «Das mit den Dietrichen ist ja alles schön und gut. Aber auch nicht einfach. Also wenn ich jetzt sauer auf meinen zehnjährigen Christoph bin. Er hat sich nicht an Absprachen gehalten. Also, ganz konkret: Wenn er sein Zimmer nicht aufräumt, seine Klamotten rumliegen lässt, sodass sie zerknittern, dreckig werden, werden sie nicht gewaschen. Er muss das machen. Das ist die Absprache. Gut, ich weiß schon im Vorhinein, dann zieht er ständig die gleichen Sachen an und stinkt dann, oder was weiß ich, was denken die Leute.»

In diesem kurzen Gesprächsausschnitt wird ein weiterer kritischer Punkt perfektionistischer Erziehung thematisiert.

Eltern verzichten deshalb auf Absprache und Konsequenz, weil sie meinen, die Folgen ihres Handelns vorauszusehen. Meist sind es Phantasien darüber, was nicht funktioniert. Die negative Prophezeiung trifft dann nicht selten als eine sich selbst erfüllende Vorhersage ein. Eltern betrachten konsequentes Erziehungshandeln häufig unter problematischen Vorzeichen («Was alles passieren könnte!»), kaum unter einer produktiven Perspektive – dies selbst dann nicht, wenn sich positive Folgen zeigen, sich Eltern in ihrer konsequenten Haltung bestätigt sehen.

Mit den Dietrichen zu arbeiten meint deshalb, mehr von dem zu praktizieren, was funktioniert – «Tue mehr vom Guten!» Das heißt: Entscheidungen für bestimmte pädagogische Handlungsmuster gelten nur für einen bestimmten Zeitraum, dann werden sie ungültig, die Schlösser haben sich verändert, neue Dietriche müssen her. Dies spricht nicht gegen die alten. Sie sind nicht generell überholt, sie passen nur momentan nicht mehr, müssen deshalb nicht verworfen oder gar weggeworfen werden. Weil Kinder (und Eltern) sich entwickeln, entwickeln sich auch die Beziehungen. Und damit verändern sich Grenzen. Dieses Gefühl, nicht zur Ruhe zu kommen, ist das «Nervende», wie es eine Mutter ausdrückt. «Da hast du das Kind sauber, dann kommt es auf diese Schimpfwörter aus dem Kindergarten, und kaum hast du das klar, sitzt er auf dem Hausdach und schreit: ‹Ich bin Tarzan.› Und wenn du gut drauf bist, rufst du: ‹Deine Liane ist hier unten! Komm runter!› Und wenn du schlecht drauf bist, machst du alle Fehler der Welt auf einmal. Und so geht’s weiter – du denkst morgens beim Aufstehen schon: Was der Tag wohl heute noch bringt?»

Was ist falsch? Was ist richtig?

Zwei irrationale Überzeugungen rufen jene Probleme hervor, die viele Eltern und pädagogisch Handelnde im Umgang mit Fehlern machen: Ich werde ärgerlich, vielleicht sogar wütend, wenn der Erziehungsalltag nicht so ist, wie ich ihn mir vorstehe oder vorgestellt habe. Natürlich erschweren Frustrationen, die sich aus den elterlichen Erziehungsaufgaben und dem pädagogischen Auftrag ergeben, den Alltag. Aber vielleicht könnte man Frustrationen auch so annehmen: «Es ist blöd, dass mir momentan die permanenten Schwierigkeiten mit dem Kind passieren. Aber ich denke, ich lerne irgendwann, damit umzugehen.» Oder: «Furchtbar, dass mein Kind dauernd so spät einschläft. Aber ich denke, ich finde dafür eine Lösung. Ich lass mir Zeit!»

Weniger die Alltagssituationen frustrieren als die Meinungen und Einstellungen, mit denen man viele Erziehungssituationen betrachtet. Eltern und Pädagogen konstruieren ihre Erziehungsrealität selber, indem sie sie – positiv oder negativ – bewerten. Damit ist ein zweiter irrationaler Grundgedanke angesprochen, der im erzieherischen Handeln auftaucht: Pädagogisch Handelnde gehen davon aus, dass sie jedes Problem unter Kontrolle haben müssen, dass es für jedes Problem in der Erziehung eine immer gültige Lösung geben müsse.

Da viele Menschen schlecht mit Frustrationen umgehen können, deshalb Frustrationen vermeiden, nimmt die Suche nach Rezepten zu, mit denen jede nur denkbare Situation des Alltags scheinbar beherrscht werden kann. Solch ein Perfektionismus versteckt sich hinter Formulierungen wie «Ich sollte …», «Ich müsste …» oder «Ich muss …». Die Psychoanalytikerin Karen Horney hat einmal von der «Tyrannei des Sollte» gesprochen, die einen intoleranten Umgang mit eigenen und den Fehlern der anderen mit sich bringt. Die «Tyrannei des Sollte» führt zu Zwang und Unfreiheit im pädagogischen Handeln, weil man dem Anspruch nach eigener Vollkommenheit folgend – nichts verkehrt machen will. Zugleich sind damit die Erziehungsbeziehungen negativ berührt, lenkt man die ganze Energie auf die Vermeidung von Fehlern und nicht auf die Kontaktaufnahme, die Beobachtung, die persönliche Ansprache des Kindes. «Ich ärgere mich schwarz, wenn ich Fehler mache. Ich wollte sie nicht machen. Deshalb sollte ich noch mehr lesen und lernen», so der Kommentar eines Vaters zu seinem Erziehungsverhalten.

Der amerikanische Psychotherapeut Albert Ellis spricht von «Mussturbatoren» – «Ich muss», «Alle müssen» … –, die gefühlsmäßig stark belasten, die den Druck auf sich selbst und andere vergrößern. Gelassenheit – zu sich und anderen Menschen – geht darüber verloren. Der Perfektionismus schränkt Lösungen ein: Man sucht nach der theoretisch besten, nicht nach der praktikablen, der lebbaren und der realisierbaren. «Aber diese Haltung», so erzählt Erika Bertram, eine Mutter, «öffnet der Gleichgültigkeit, der Nachlässigkeit, der Gemeinheit gegenüber Kindern Tür und Tor.» Das mag in Einzelfällen sein, in der Regel gibt es Selbstsicherheit und Selbstvertrauen.

 

«Aber wenn ich daran denke», erklärt mir Johanna Krämer, Mutter zweier Kinder, zehn und zwölf Jahre alt, «was ich in meinem Leben schon alles falsch gemacht habe, dann wird mir übel, ganz schlecht.»

«Wie sind Ihre Kinder?», frage ich.

Sie winkt ab: «Ach, die sind schon o.k.» Frau Krämer hebt ihre Schultern, lächelt: «Die sind wunderbar!»

«Vielleicht haben Sie wunderbare Fehler gemacht!» Sie schaut ungläubig, etwas verständnislos. «Was würden Ihre Kinder sagen, wenn sie hier wären?» Frau Krämer ganz spontan: «Dass ich, glaube ich, absolut normal bin. Mal bin ich der Typ Hexe, mal richtig ’ne Mutter zum Kuscheln.»

Viele Eltern lesen Ratgeber, entdecken dabei die gemachten Fehler in der eigenen Erziehung und «bekommen ein schlechtes Gewissen», wie Frau Krämer an anderer Stelle formuliert.

Falsch ist aber nur dann etwas, wenn man weiß, was richtig ist.

Das allgemeine Wissen über Erziehungsfragen nimmt enorm zu. Das macht Erziehung aber nicht nur leichter, das bedingt auch Handlungsunsicherheiten. Eltern erfahren von den problematischen Auswirkungen bestimmter Erziehungsstile. Sie fühlen sich verunsichert, fragen sich, welche Auswirkungen ihr Handeln wohl bei ihren Kindern bewirkt hat. Und manche Eltern stellen nun fest, dass ein Fehler, der objektiv einer war, vom Kind produktiv verarbeitet worden ist. Denn Kinder sind nicht allein Opfer, sie sind Gestalter ihrer Welt. Dies darf nicht als Freibrief dafür missverstanden werden, den Willen der Kinder zu brechen, Erziehung als Zurichtung zu inszenieren.

Wenn Eltern Kinder regelmäßig sprachlich oder körperlich züchtigen, dann handeln sie falsch: Das Wissen über die verhängnisvollen Folgen, die sprachliche oder körperliche Attacken für die kindliche Entwicklung haben können, ist mittlerweile Allgemeingut. Sätze wie «Ein paar Schläge haben noch nie geschadet» oder «Kleine Kinder sind wie kleine Hunde. Letztere brauchen hin und wieder den Stock» drücken nicht allein fehlenden Respekt vor der kindlichen Persönlichkeit aus, sie beschreiben die Unfähigkeit, nach Möglichkeiten für einen partnerschaftlichen Weg in den Erziehungsbeziehungen zu suchen.

So notwendig mithin die Reflexion über Erziehungsstile ist, so wichtig ist es, mit Sensibilität den Fehlern im pädagogischen Handeln nachzuspüren, um dann an deren Überwindung zu arbeiten. Doch haben solche Prozesse nichts zu tun mit Selbstanklage, Selbstmitleid und Selbstbezichtigungen. Wer Energien in die Vermeidung von Fehlern steckt, wer beim Ärger über gemachte Fehler steckenbleibt, handelt rückwärtsgerichtet und wird die Fehler ständig wiederholen.

Wichtiger, folgen- und erfolgreicher scheint es, sich einzugestehen: «Fehler gehören zu mir.» Oder: «Ich kann Fehler machen.» Damit nimmt man seine Fehler an, sieht sie als Teil seiner Persönlichkeit und kann nach Wegen suchen, seine Probleme und Konflikte anders zu lösen. Glauben Sie mir: Fehler und Schwierigkeiten in der Erziehung ständig zu vermeiden, ihnen aus dem Weg zu gehen, ist schwieriger, als sich ihnen offensiv und produktiv zu stellen.

Elisabeth Klein erzählt, wie sie sich über Bianca, ihre achtjährige Tochter, «schnell ärgert». «Mal ist es ihre Bummelei am Morgen, dann das unaufgeräumte Zimmer, dann sind es die Hausaufgaben. Alles hab ich ihr tausendmal gesagt. Und sie ununterbrochen: ‹Ja, ja›. Aber es ist das gleiche Lied. Wir rasseln ständig zusammen.» Sie schüttelt bei der Schilderung den Kopf. «Erst bin ich noch ganz ruhig. Sage mir: ‹Nicht schreien, heute nicht!› Das geht auch eine Weile. Aber dann platze ich.» Ihre Arme und Hände schnellen bei der Schilderung jäh in die Luft, einen ausbrechenden Vulkan symbolisierend. «Dann rennt meine Tochter aus dem Zimmer, knallt die Tür zu. Ich bleibe genervt sitzen. Und dann zermartere ich mir den Kopf. Du bist eine blöde Mutter. Du solltest ruhig bleiben. Minutenlang geht das. Manchmal noch länger. Ich zerfließe in Selbstmitleid. So geht das.» Sie unterbricht sich, ihre Augen gehen zur Tür. «Und wenn dann mein Mann nach Hause kommt, schmunzelt der nur: ‹Ihr mit eurem Beziehungsstress› Oder ganz pädagogischer Klugscheißer: ‹Das kommt, weil du so inkonsequent bist›» Ihre Augen fixieren einen fernen Punkt, ihre Lippen machen eine Bewegung, als ob sie ihren Mann zermalmen würde. Dann bricht es wie in einem Stakkato aus ihr heraus: «Ich sollte gelassener werden! Ich sollte konsequenter sein! Ich sollte ruhiger werden! Und ich sollte … und ich sollte … und ich sollte … Mein Gott, was ich nicht alles sollte.» Ich warte, bis sie sich beruhigt hat, dann sage ich zu ihr: «Ich kann gelassen sein. Ich kann lassen. Ich kann konsequent sein. Vor allem: Ich kann Fehler machen. Das sind Ihre Sätze.» Sie sieht mich an.

«Aber ich will doch keine Fehler machen, verdammt!» – «Machen Sie keine?» – «Doch!» Sie wirkt ärgerlich: «Natürlich!» – «Also», sage ich. «Ich mache Fehler. Ich kann sie machen. Und ich lebe noch, auch wenn ich Fehler mache!» – «Hab ich verstanden! Denken Sie, ich bin bekloppt? Ist mir doch im Kopf alles klar. Was soll ich machen?» – «Sie können 25 Fehler am Tag machen!» – «Wie viel?», fragt sie mit einer Mischung aus Lachen und Entsetzen.

«25! Wie viel haben Sie heute gemacht?» Sie lächelt, denkt kurz nach: «Viele!» – «Ist ein guter Tag. So wenig Fehler. Und schon so viel Anklagen.» Sie lacht: «Ich wollte mal Richter werden.» – «Nun haben Sie’s leichter. Die Richterin und die Beschuldigte sind jeden Tag da!» Sie runzelt die Stirn. «Versteh ich nicht!» – «Sie spielen jeden Tag das von Ihnen gerngesehene Stück: Ich klage mich an!» Sie lacht.

«Was soll ich denn mit den blöden Fehlern machen?» – «Sie sehen, sie annehmen, sie überwinden. Und wenn sie dann verschwunden sind, schnell neue machen. Denken Sie an Ihr Theaterstück. Das gäb’s sonst nicht mehr.» – «Aber ich will ganz andere Stücke spielen!» – «Wollen Sie’s oder können Sie’s?» – «Ich kann’s. Hoffentlich!» Wir einigen uns auf ein Vorgehen. Am Abend, wenn sie beginnt, sich Vorwürfe zu machen, wenn sie anfängt, sich über ihre Fehler aufzuregen, solle sie an den «schlimmsten Fehler» des Tages denken, ihm eine Gestalt geben, eine freundliche, keine hässliche Gestalt, eine, die sie gerne anschaut. Dabei könne sie sich sagen: Die gehört zu mir. «Und dann», sage ich zu ihr, «holen Sie sich ein Glas Wein und prosten dem Fehler zu. So fangen Sie an, Ihren Fehler zu genießen.» Sie wählt sich eine kleine Hexe als Gestalt, die wie ein lustiger Troll aussieht. «Das soll helfen?» Sie ist skeptisch, ihrer Mimik und Körperhaltung nach zu urteilen.

Wir treffen uns einige Wochen später wieder. «Es ist wie verhext. Ich kann mich nicht mehr ärgern. Meine Tochter beklagt sich, ich wäre so ruhig, würde gar nicht mehr ausflippen. Und ich brauche auch keine 25 Fehler mehr. Heute habe ich noch gar keinen gemacht. Es ist geradezu unheimlich.» Dann berichtet sie, wie sie sich am Abend in den Sessel setzt, es sich gemütlich macht. «Ich sah mich in Gedanken oben am Richtertisch. Bierernst. Fürchterlich, dachte ich, da muss Bianca ja verrückt werden. Ich sagte zu meiner Richterin: ‹Elisabeth, lächle!› Und sie hat gelächelt. So mochte ich mich viel lieber leiden. Ich habe ihr zugeprostet. Und vor meinem Richter stand mein Fehler. Ich hatte Bianca am Nachmittag aus dem Zimmer geschmissen, weil sie ausfällig wurde. O.k.! Und ich hab in Gedanken zum Fehler gesagt, das war nicht in Ordnung. Aber kein Grund, in Sack und Asche zu gehen. Am nächsten Tag habe ich mich bei Bianca entschuldigt. ‹Ist schon gut›, hat sie gemurmelt.» Die Mutter denkt nach, lächelt: «Witzig. In den nächsten Tagen, merkte ich, fiel eine Last von mir ab. Ich fühlte mich freier. Und wenn ich mich ärgerte über irgendetwas, sah ich meine Richterin an und sagte: ‹Lächle, Elisabeth!› Das muss auch Bianca mitbekommen haben. Irgendwie hab ich nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich geschmunzelt.»

Bianca rückte dann näher an ihre Mutter heran. «Mama, ist irgendetwas mit dir? Früher hast du geschrien, jetzt lachst du. Du bist so ruhig geworden.» Da ist die Mutter ausgeflippt. Sie erinnert sich: «Und da, da ist’s mir doch mit einem Male wieder hochgekommen. Voller Wut habe ich geschrien: ‹Kann ich’s dir denn nie recht machen!› Oh, Mensch, war ich sauer. Und wissen Sie, was Bianca gesagt hat?» Ich schüttelte den Kopf.

«‹Gott sei Dank, Mama, du bist noch die Alte.›»

Kapitel 2Erwartungsdruck macht unsicher

«Wenn man Bücher liest, auf Seminaren etwas über Kindererziehung hört, dann klingt das schlüssig und plausibel.» So formulieren Eltern in Briefen. «Aber im Alltagsstress, vor allem wenn noch andere Menschen zuschauen, egal ob nun Freunde oder fremde Menschen, dann klappt nie etwas.»

Doris Rohde kommt mit ihren beiden Kindern zum Einkaufen in den Supermarkt. Benjamin, vier Jahre, und Michael, sechs Jahre, verwandeln sich, so die Mutter, auf dem Parkplatz «in richtige kleine Ungeheuer. Zu Hause sind sie die normalsten Kinder, aber wenn andere da sind …», sie schüttelt ihren Kopf, «… ist es, als ob sie Zuschauer brauchten.» Zwar fährt sie mit der Hoffnung in den Supermarkt, «heute passiert nichts» – gleichwohl vergeblich. Die Ängste der Mutter vor dem Chaos, das ihre Kinder anrichten, erfüllten sich jedes Mal, also auch heute.

Kaum ist Benjamin aus dem Auto gestiegen, rennt er zum Einkaufswagen, will ihn der Mutter bringen. Michael läuft hinterher, entreißt ihm den Wagen. Geschrei, Gerangel – die Mutter geht dazwischen, nimmt sich Benjamin, setzt ihn – ruck, zuck – in den Wagen; packt Michael an der Hand, zieht ihn, eher heftig als sanft, hinter sich her. Der tritt um sich, zerrt, schreit lauthals: «Lass mich endlich los!»

Benjamin will mittlerweile aus dem Wagen klettern, die Mutter drückt ihn kräftig zurück: «Du tust mir weh. Aua! Aua!» Er weint, nein: er brüllt so laut, als ob man ihn umbringen wolle. Allmählich werden andere Menschen auf den Machtkampf aufmerksam. Vergnügt: «Spannender als Fernsehen», neugierig: «Wie das wohl weitergeht?», kopfschüttelnd: «völlig überfordert», erleichtert: «Gut, dass ich keine kleinen Kinder mehr habe», besserwisserisch-intolerant: «links und rechts was an die Backen, dann sind sie still», sind die höchst unterschiedlichen Reaktionen.

Die Mutter spürt die Blicke, ihr wird heiß, die Gedanken sind nicht mehr klar, sie fühlt Hektik und Ratlosigkeit in sich aufsteigen.

«Und je mehr ich an die anderen Leute dachte, umso mehr verlor ich die Kinder aus dem Blick», so deutet sie später zutreffend die Situation.

Benjamin setzt in der Zwischenzeit auf die schon oft mit Erfolg praktizierte Wasserkraft-Methode – also Tränen in den Augen – und erhält mit weinerlich-trotziger Stimme seine Aufmerksamkeit: «Ich will raus.» Er nervt mit schrillen Quengeltönen so lange, bis die Mutter ihn aus dem Wagen heraushebt: «Aber nicht herumtoben! Hörst du!» Benjamin hört natürlich nicht, denn kaum steht er mit beiden Beinen auf dem Boden, reißt er sich los, verschwindet hinter einem Regal. Michael hinterher.

«Ihr könnt mir helfen. Holt da hinten eure Salzstangen.» Frau Rohde erklärt: «Damit hatte ich gute Erfahrungen gemacht. Wenn ich sie ablenkte, waren sie ruhiger, und ich konnte meine Sachen wenigstens einigermaßen erledigen.» Frau Rohde packt schnell ein paar Lebensmittel ein, weil sie mit «beiden Ohren immer bei den Kindern» ist.

Doch braucht sie dieses Mal nicht beide Ohren: «Ein Schwerhöriger hätte auch ohne Hörgerät meine beiden Kinder noch gehört.» Riesiges Geschrei ertönt jenseits der Regale. Benjamin und Michael streiten sich um Tüten, zanken darüber, wer welche und wie viele zu nehmen habe. Sie zerren, sie stoßen, sie schubsen sich, sie rangeln – bis Benjamin rücklings in einen hohen Stapel mit Chips, Salzstangen und anderem Knabbergebäck fällt. Ein Chaos, ein Auflauf, Tüten über Tüten fallen auf Benjamin, viele liegen über ihm, er erschrickt und schreit.

Die Mutter reißt ihn hoch. Wutentbrannt und außer sich, versetzt sie Michael ein paar heftige Klapse auf den Po.

«Na endlich», hört sie eine Frau neben sich sagen.

«Unmöglich, man schlägt keine Kinder», entrüstet sich eine andere. Nun weint auch Michael – aus Wut, aus Enttäuschung, aus Schmerz. Benjamin befreit sich aus seiner misslichen Lage, rappelt sich hoch, läuft auf seinen Bruder zu, tritt ihm voll gegen das Schienbein – und lächelt. «Bist du denn verrückt geworden», faucht sie Benjamin an, reißt ihn herum, hält ihn mit beiden Händen offensichtlich schmerzhaft am Handgelenk fest.

«Aua! Aua! Mama, du tust mir weh.» Benjamin zappelt, wütet, gleichwohl vergeblich. Der Griff der Mutter bleibt fest, verursacht wohl auch Schmerz – bis eine der Frau Rohde unbekannte Frau sich in den Weg stellt und gereizt meint: «Nun seien Sie nicht so grob!» – «Der hätte ich bald eine gescheuert! Noch ein Wort, und die wäre tot gewesen», erinnert sich Doris Rohde im Nachhinein. Benjamin reißt sich los, geht zwei Schritte zur Frau, baut sich vor ihr auf und streckt ihr seine Zunge heraus. Konsterniert, kopfschüttelnd dreht diese ab.

«Benjamin», ruft die Mutter mit einer Mischung aus Entsetzen und Überraschung. «Das macht man nicht!» «Dabei», so die Mutter beim Nachdenken, «hat er genau das gemacht, was ich mir nicht traute.» «Tja, irgendwie sind wir raus aus dem Supermarkt. Ich war schweißgebadet, spürte beim Verlassen der Halle Tausende Blicke, mitleidig, ärgerlich, wütend …» Benjamin und Michael halfen beim Schieben des Wagens und lächelten sich dabei verschmitzt an.

«Und im Auto waren sie die nettesten Kinder der Welt, meine Kinder.» Ihre Augen richten sich nach oben, so als suchten sie dort ihre beiden blonden verlorenen Engel.

Eine Situation, wie sie viele erleben – und für sie ist das eine Situation voller Stress, an deren Ende Gefühle absoluter Hilflosigkeit stehen. «Es ist», so die Mutter, «als ob sie wirklich Zuschauer brauchten!» Kinder testen Grenzen durch Versuch und Irrtum aus – dies insbesondere in Situationen, wo ihnen verlässliche Regeln, klare Grenzen fehlen oder in denen Erwachsene unklar, ungekonnt oder unsicher handeln, weniger ihrer Intuition, ihrem Gespür vertrauen, als ihr Erziehungshandeln danach richten, was Umherstehende erwarten.

Kinder haben ein sehr feines Gespür für diese Unsicherheit. Sie fühlen: «Mama oder Papa würden anders handeln, wenn ich mit ihnen allein wäre. Sie nehmen mich nicht ernst, nicht ich bin wichtig, sondern die anderen.» Und da Kinder diesem Gefühl in der Regel keinen sprachlichen Ausdruck verleihen können, verletzen und überschreiten sie so lange Grenzen, bis ihnen Aufmerksamkeit gewiss ist.

Michael und Benjamin hielten sich im Haus an Regeln, sie waren Absprachen und Rituale gewohnt. Auch Doris Rohde verhielt sich in vertrauter Umgebung konsequent.

«Mama ist beim Einkaufen ganz komisch», erzählt Michael einmal und bringt damit die Verhaltensunsicherheit seiner Mutter auf den Punkt.

«Ich will es allen zeigen», entfährt es ihr spontan, als ich die Frage stelle: «Wollen Sie anerkannt sein?» – «Ich will es besonders gut machen!» Und sie fährt fort: «Wissen Sie, ich war zehn Jahre als Erzieherin hier im Kindergarten tätig, habe viele Gespräche mit Eltern über Erziehung geführt und so.» Sie atmet tief aus.

«Tja, und nun will ich’s eben allen zeigen, ich kann’s nicht nur theoretisch. Ich kann’s auch praktisch. Und zu Hause klappt es ja auch, aber wenn Leute da sind, vor allem, die ich kenne.»

In dieser Äußerung kommt eine weitere Variante des Perfektionismus durch, die die Erziehungsbeziehung zwischen Eltern und Kindern mehr als kompliziert gestaltet: Der Versuch, von allen nicht nur anerkannt, sondern geradezu geliebt zu werden, führt zu der fixen Idee, dass es keinen geben darf, der einen ablehnt, der negativ über einen redet. Der eigene Blick konzentriert sich nicht auf Stärken, auf Menschen, die einen mögen – alles fokussiert sich auf jene, die man auch noch von sich und seinen ungeahnten Kompetenzen überzeugen muss.

Die Folge: Man stuft sich herab, verleugnet eigene Bedürfnisse und macht sich in seinem erzieherischen Handeln von anderen abhängig. Man wird fremdgesteuert – dieses Gefühl hat Michael für die Supermarktsituation so ausgedrückt: «Mama ist so komisch.» Und an einer anderen Stelle sagt er: «Die sieht mich gar nicht. Die hört nicht zu.» Doris Rohde handelt nicht so, wie sie möchte, sondern so, wie sie meint, andere würden es von ihr erwarten. Dabei macht sie sich gefühlsmäßig von der Zuwendung anderer, ihr völlig fremder Menschen abhängig. Sie setzt und formuliert nicht mehr jene Grenzen, die sie als bedeutsam erachtet. Sie handelt unsicher, weil sie – indem sie auf eigene Bedürfnisse verzichtet – sich von anderen (vermuteten) Meinungen abhängig macht.

«Was ist das Schlimmste, was Sie sich in einer solchen Situation ausmalen könnten?», frage ich.

«Dass alle schlecht über mich reden!» – «Alle? Der ganze Ort?» Sie grinst: «Na, schon viele!» – «Gibt’s noch schlimmere Bilder?», frage ich.

Sie denkt nach, ihre Augen wandern hin und her, dann lacht sie: «Manchmal denk ich mir, die warten im Supermarkt schon auf mich, wie ich dienstags und freitags mit den Kindern komme. Ja, die kaufen nur noch ein, weil ich komme. Ich bin besser als diese komischen Sendungen im Fernsehen, wo nur noch geschrien wird. Wenn ich mir das vorstelle», sie hält die Hände vors Gesicht, «die kommen nur wegen meiner Action.» – «Stellen Sie sich das einmal vor.» Ich verstärke das Bild: «Tausende von Menschen stehen auf dem Parkplatz vom Supermarkt, in der Stadt hängen Plakate: Am Freitag versucht Frau Rohde ihre Kinder zu erziehen. Eintritt kostenlos. Chaos garantiert. Frau Rohde referiert im Anschluss über Theorie und Praxis in der Kindererziehung.» Sie hat die Hände noch vor dem Gesicht.

«Wahnsinn!», murmelt sie. «Einfach Wahnsinn!» Sie ist still, wirkt nachdenklich.

«Können Sie sich das vorstellen?» – «Was? Ich soll das machen?!» – «Nein! Vorstellen! Plakate aufstellen! Alles in Gedanken! Sich vorstellen, wie die Leute Sie auf dem Parkplatz empfangen!» Sie ist still, sagt nichts mehr, ihr Blick geht nach innen, sie schmunzelt: «Ich stell schon Plakate auf den Straßen zum Supermarkt auf!»