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Wenn Kinder trotzen E-Book

Jan-Uwe Rogge

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Beschreibung

«Ich will nicht …» Früher oder später trifft es alle: So um den zweiten Geburtstag herum kann es losgehen, dieses «Nein, ich will nicht!». Und dann wirft sich das Kind auf den Boden und bekommt Wutanfälle. Kein Wunder, dass Eltern angesichts solch dramatischer Auftritte hilflos reagieren. Elternberater Jan-Uwe Rogge ist bekannt dafür, dass er oft mit überraschenden Vorschlägen einen Weg aus schwierigen Erziehungssituationen weist. In diesem Buch wendet er seine bewährten Methoden auf eine der schwierigsten Phasen in der Entwicklung von Kindern an. Die vielen Beispiele zeigen, dass Trotz eine Reaktion auf die Spannungen ist, die in der stürmischen Entwicklungszeit zwischen 2 und 5 Jahren entstehen. Jan-Uwe Rogge erklärt, welche Ursache die oft ausbruchsartigen Zornanfälle haben und wie sich Eltern behutsam und bestimmt in dieser anstrengenden Lebensphase ihrer Kinder verhalten können.

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Jan-Uwe Rogge

Wenn Kinder trotzen

 

 

 

Über dieses Buch

«Ich will nicht …»

 

Früher oder später trifft es alle: So um den zweiten Geburtstag herum kann es losgehen, dieses «Nein, ich will nicht!». Und dann wirft sich das Kind auf den Boden und bekommt Wutanfälle. Kein Wunder, dass Eltern angesichts solch dramatischer Auftritte hilflos reagieren. Elternberater Jan-Uwe Rogge ist bekannt dafür, dass er oft mit überraschenden Vorschlägen einen Weg aus schwierigen Erziehungssituationen weist. In diesem Buch wendet er seine bewährten Methoden auf eine der schwierigsten Phasen in der Entwicklung von Kindern an. Die vielen Beispiele zeigen, dass Trotz eine Reaktion auf die Spannungen ist, die in der stürmischen Entwicklungszeit zwischen 2 und 5 Jahren entstehen. Jan-Uwe Rogge erklärt, welche Ursache die oft ausbruchsartigen Zornanfälle haben und wie sich Eltern behutsam und bestimmt in dieser anstrengenden Lebensphase ihrer Kinder verhalten können.

Vita

Jan-Uwe Rogge gilt als Deutschlands erfolgreichster Erziehungsexperte. Er ist Familien- und Kommunikationsberater sowie Buchautor. Seit Jahrzehnten liefert er Antworten auf Fragen, die Eltern bewegen. Er hält Vorträge und führt Seminare im In- und Ausland durch. Seine Bücher sind Klassiker der Elternliteratur und Bestseller, sie wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Er ist als Experte regelmäßiger Gast in zahlreichen Rundfunk- und Fernsehsendungen. Rogge lebt in der Nähe von Hamburg.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Februar 2024

Copyright © 2004 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Covergestaltung Umschlag-Konzept: any.way, Hamburg

Barbara Hanke/Heidi Sorg/Cordula Schmidt

Coverabbildung praetorianphoto/gettyimages

ISBN 978-3-644-01043-7

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Inhaltsübersicht

KAPITEL I «Man denkt, das hört nie auf!» Statt eines Vorwortes

KAPITEL II «Nein! Nein! Nein!» Szenen aus dem Alltag und eine erste Annäherung

KAPITEL III «Ich bin schon groß!» Entwicklungsprozesse zwischen dem ersten und dem fünften Lebensjahr

1. Vom Säugling zum Kindergartenkind

2. Die soziale und moralische Entwicklung

3. Ängste entwickeln sich

4. Vom Sinn kindlicher Aggressionen

KAPITEL IV «Ich will  … ich will nicht!» Über das Trotzalter. Erklärungsversuche

1. Trotz, Erregungszustand, Ungehorsam?

2. Trotzalter – Trotzphasen

3. Trotzanfälle – ihre Dramaturgie und ihre Begleitung

4. Trotz als «Unabhängigkeitserklärung» des Kindes

5. Ausbleiben des Trotzes – Hintergründe und Ursachen

KAPITEL V «Und dann dieses Gekreische in den höchsten Tönen!» Vom Weinen und über Wutausbrüche

1. Beobachtungen

2. Bedeutung des Weinens

3. Trösten und Sich-selber-Trösten

4. Umgang mit Wut und Zorn

KAPITEL VI «Von wegen: Ruhe bewahren und gelassen bleiben!» Eltern brauchen Unterstützung

1. Beschreiben und beobachten, nicht abstempeln

2. Mit Kindern richtig reden

3. Grenzen setzen und Konsequenzen – Eine Herausforderung

4. Von Regeln und Ausnahmen

5. Auszeitmethode

6. Vorbereiten und Umlenken

7. Machtkämpfe

KAPITEL VII «Und immer dieses Gefühl von Ohnmacht!» Konflikte im Trotzalter

1. Von Ohnmacht und Machtkämpfen

2. Stresssituationen: trödeln, einkaufen und Auto fahren

3. Zank und Streit zwischen Geschwistern

KAPITEL VIII «Irgendwann kann ich wohl mal darüber lachen»

Vom Licht am Ende des Tunnels Ein Nachwort

KAPITEL IX Literatur

KAPITEL I«Man denkt, das hört nie auf!» Statt eines Vorwortes

«Ich habe mir das mit dem Trotzen nicht so schwierig vorgestellt. Da kommt man ständig an seine Grenzen!»

«Und immer der Gedanke, mache ich jetzt bloß keinen Fehler? Diese Selbstzweifel, mein Gott!»

«Wenn ich die Kommentare meiner Schwiegermutter höre, diese unausgesprochenen Vorwürfe, diese Blicke, die einem vermitteln, dass ich unfähig bin zu erziehen.»

«Und dann kommt der Mann nach Hause, ich erzähle ihm, dass unser Sohn immer schlimmer wird  … und dem fällt nichts anderes ein, als zu sagen, ich solle einfach mal durchgreifen!»

«Warum müssen diese Wutausbrüche dann kommen, wenn Besuch da ist oder wenn ich ihn vom Kindergarten abhole? Es ist zum Wahnsinnigwerden!»

«Das Ausrasten dauert zwar nur ein paar Minuten, aber die sind wie eine Ewigkeit, als ob man die Hände auf eine heiße Herdplatte hält. Die Zeit vergeht einfach nicht! Man denkt, das hört nie auf!»

«Meine Tochter trotzt kaum, begehrt nicht auf, ist richtig brav. Und nun denke ich mir, die ist nicht normal, oder ich habe etwas falsch gemacht. Vielleicht habe ich sogar schon ihren Willen gebrochen!»

 

Das sind Aussagen von Müttern und Vätern über ihre Kinder im Trotzalter, über die «kleinen Monster» – so eine Mutter mit liebevollem Glanz in den Augen – zwischen dem ersten und fünften Geburtstag. Es ist eine Mischung aus Wehklagen und Anklagen, aus Zweifel und Selbstzweifel, aus Machtgelüsten und Ohnmacht, aus Verständnis und Unverständnis, aus Hilflosigkeit und Helfen-Wollen, aus «Was soll ich nur noch machen?» und «Jetzt reicht es aber!», die einem in Gesprächen mit Eltern entgegenschlägt.

Viele Eltern haben zwar von dem unausweichlichen Trotzalter der Kleinen gehört – aber wenn das trotzende Kind mit der Urgewalt eines Tornados in das Familienleben einbricht und vieles hinwegfegt, was sich an Ritualen und Gewohnheiten ausgebildet hat, ist nichts mehr so, wie es war.

Und das ist auch gut so!

Kinder entwickeln sich, sie brechen – spätestens wenn sie gehen können – zu neuen Ufern auf. Sie wollen das Land jenseits des Horizontes erkunden, wollen sich erproben und Kompetenzen ausprobieren.

Eltern wollen einzigartige, selbstbewusste Kinder, sind stolz auf deren Eigenständigkeit, das ausgeprägte Selbstbewusstsein. Aber um einen eigenen Stil, einen eigenen Rhythmus, um unverwechselbare Individualität auszubilden, bedarf es körperlicher und geistiger Autonomie. So grenzen sich Kinder von ihren Eltern ab, lehnen sich auf.

 

Selma Fraiberg, die «große alte Dame» der Kinderpsychologie, hat den Trotz anschaulich als «Unabhängigkeitserklärung» der Kinder beschrieben, als wichtigen Akt der Selbstwerdung, der «keine Verschwörung gegen die Regierung» der Eltern darstellt. Vater und Mutter werden weiter als Halt gebende Bezugspunkte gebraucht. Trotzende Kinder mögen lebendige Eltern, die zu ihren Möglichkeiten, aber auch Unmöglichkeiten, zu ihren Fähigkeiten, aber auch ihren Fehlern stehen.

Um Kinder durch diese Zeit zu begleiten, sind fünf große «G» hilfreich: Geduld, Gelassenheit, Geschicklichkeit, Grenzen erfahren und große Gefühle erleben.

Eltern, die in dieser Zeit an ihre Grenzen kommen, spüren, wie sie mit pädagogischen Techniken nicht weiterkommen.

Das alltägliche Scheitern führt zu Ohnmachtsgefühlen, aber auch Wut und Zorn – auf sich und das Kind.

Manche Eltern könnten ihre Kinder in dieser Zeit «auf den Mond schießen» oder noch drastischer: «an die Wand klatschen» oder «windelweich schlagen  …» Dass dies nicht nur in der Phantasie geschieht, davon zeugen Zeitungsberichte über Eltern, die die Kontrolle über sich und Achtung und Respekt gegenüber dem Kind verlieren.

Sie sei erschrocken gewesen, welch niedere Instinkte «da hervorbrechen», erzählte mir einmal eine Mutter: «Das hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich auf das ständige ‹Nein›, das ewige Genörgele meiner Tochter so aggressiv reagieren würde.»

Es stimmt ja: Für die Eltern ist diese Zeit nicht einfach. Zwar wissen sie in der Regel, dass die Trotzphase kommt – aber sie verläuft eben von Kind zu Kind höchst unterschiedlich: mal einem Erdbeben gleich mit zahlreichen Nachbeben, mal wie ein kurzer, heftiger Frühjahrssturm, weil nach außen gerichtet und überzogen inszeniert, mal eher introvertiert, gefährlich leise, von versteinerten, undurchdringlichen Mienen begleitet, mal als Mischung von allem.

Jedes Kind ist anders – und dementsprechend unterschiedlich stellt sich der Trotz dar.

Natürlich formen nicht allein die kindlichen Eigenarten den Trotz. Er ist zugleich von häuslichen Erziehungsstilen, der Art und Weise elterlicher Begleitung, nicht zuletzt aber von den Auffassungen bestimmt, die Eltern (aber nicht nur sie!) über den Trotz haben.

Da gibt es erstaunliche Fehleinschätzungen, die sich in problematischen Erziehungshandlungen fortsetzen. Manche sehen im Trotz ein pathologisches Phänomen, würden am liebsten sofort einen Psychiater konsultieren; andere vermuten einen bösartigen Willen, der gebrochen werden muss, will man sich nicht weiter vom Kind tyrannisieren lassen; wieder andere einen bewussten Ungehorsam, der hart bestraft werden muss. Und nicht so wenige setzen Trotzköpfe mit Zappelphilippen, hyperaktiven Kindern gleich.

Wenn Eltern, so meine Überzeugung, mehr über die Entwicklungsabläufe zwischen dem ersten und fünften Lebensjahr wüssten, dann wären sie in der Lage, den Trotz des Kindes angemessener zu verstehen. Wobei Verständnis für ein trotzendes Kind nicht ausschließt, maßlosem und unangemessenem Verhalten mit Klarheit und Bestimmtheit zu begegnen. Denn Kindern ist weder mit machtorientiertem Handeln noch mit vordergründigem Gewährenlassen geholfen.

Darüber hinaus hilft das Wissen über Entwicklungsabläufe normale von problematischen kindlichen Handlungsmustern – die es zweifelsohne im Trotzalter geben kann – zu unterscheiden.

Vor allem zeigt das Wissen über Entwicklungsabläufe den Eltern aber, warum ein Kind so ist, wie es ist. Es führt Eltern dazu, Haltungen zum Kind aufzubauen und Lösungen für Konfliktsituationen zu entwickeln.

In diesen beiden zentralen Begriffen – Haltung und Lösung – sind die Wege beschrieben, wie man Kinder in der Trotzphase begleiten kann: Halt geben und loslassen. Diese elterliche Grundeinstellung entspricht der «Choreographie» (Louise J. Kaplan), mit der das Kind trotzt. Das Kind inszeniert in dieser Zeit das Drama vom Eins- und Getrenntsein. Es hält sich an der Mutter, am Vater fest und stößt beide unvermittelt fort. Es will Nähe und geht plötzlich auf Distanz, es beschattet die Mutter auf Schritt und Tritt und hat mit einem Male genug von ihr.

Das macht die Unterstützung und Begleitung des trotzenden Kindes so schwierig. Meine Geschichten und Überlegungen wollen Ihnen eine Landkarte des Trotzes zeigen und einen Kompass zur Orientierung an die Hand geben – doch gehen müssen Sie allein. Vielleicht sehen Sie es nach der Lektüre auch so: Das Land des Trotzes kann – wenn auch nicht allzu häufig – ein Land des Lächelns sein: über sich und mit dem Kind.

KAPITEL II«Nein! Nein! Nein!» Szenen aus dem Alltag und eine erste Annäherung

Lukas

«In ‹Kinder brauchen Grenzen› finde ich so wenig über die Zweijährigen», beklagt sich Frauke Homburg in einem Seminar zum Thema «Trotz!». «Mein Lukas ist seit Wochen fürchterlich. Das fing kurz vor seinem zweiten Geburtstag an. Ich weiß nicht, ob das damit zusammenhängt: Er machte einen Wachstumsschub, und nun wollte er plötzlich alles allein machen. Damit nicht genug.» Ihre Augen werden schmal. «Er haut mich, er beißt mich, er kneift mich.» Sie schüttelt den Kopf, blickt hilflos, fast resigniert drein. «Das geht nun schon seit Wochen so. Ich bin bisher ganz ruhig geblieben, habe nicht geschimpft.» Sie atmet tief aus. «Meine Mutter hat gesagt, ich solle ihm was auf die Finger geben, wenn er haut, oder ich muss einfach mal zurückkneifen. Aber das wäre doch das reinste Mittelalter. Aber ich bin jetzt auch an einer Grenze.» Sie denkt nach. «Die möchte ich natürlich nicht überschreiten. Aber ich bin auch so weit, dass ich bei der kleinsten Kleinigkeit losschreie, weil ich wütend, einfach wütend auf meinen Sohn bin. Vorgestern habe ich schon mal die Hand gehoben, ihn zornig angeschaut und ‹noch einmal, dann  …› geschrien. Da hat er mich angegrinst, ganz frech. Ich hab natürlich nichts gemacht. Aber ich hab mich noch nie so hilflos gefühlt, war noch nie so wütend: auf ihn, auf mich, weil ich anscheinend unfähig bin, mein Kind zu erziehen.»

Paula

Diese Gefühle habe sie auch «immer häufiger», greift Sonja Schrader ins Gespräch ein. «Meine Paula, die ist jetzt zweieinhalb, und manchmal denke ich, die ist schon völlig durchgeknallt.» Sie schaut in die Runde: «Oder bin ich es?» Sie zuckt mit den Schultern. «Ich verstehe sie nicht mehr. Sie hat sich seit einigen Wochen in den Kopf gesetzt, sich nicht mehr die Haare waschen zu lassen.» Doch das müsse schon mal sein, erklärt Sonja Schrader, schließlich habe Paula lange blonde Haare und schwitze sehr viel. «Da muss schon mal Wasser und Shampoo ran, das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?» Andere Mütter nicken bestätigend. «Aber Paula weigert sich. Wenn sie schon das Wort ‹Haare waschen› hört, dreht sie von jetzt auf gleich durch, von Null auf Hundert in ein paar Sekunden. Sie schmeißt sich auf den Boden, kreischt: ‹Nein! Nein! Nein!› Die ist völlig hysterisch. Sie wütet, strampelt, tobt, liegt flach auf dem Boden, und keine Macht der Welt kriegt sie hoch.» Sie seufzt: «Ich jedenfalls nicht. Die entwickelt Bärenkräfte, und ich komme dann auch nicht mehr an sie heran. Die macht völlig auf stur, fast möchte ich sagen irgendwie autistisch. Die hat keine Beziehung mehr zur Wirklichkeit. Die tickt dann nicht mehr richtig, ehrlich!» Sonja Schrader macht eine kurze Pause. «Und wenn ich sie mal überlistet habe oder überredet  … oder was weiß ich  …, dann steht sie schon mal unter der Dusche», ein vernehmlicher Seufzer, «und wenn ich das Wasser andrehe, dann dreht Paula durch  … Wieder dieses Kreischen, dieses ziellose Um-sich-Schlagen. Aber dann packe ich sie: ‹Nun ist Schluss!›» Mit einem Male muss sie lachen: «Aber wissen Sie, was das Ende vom Lied ist? Meine Haare sind nasser als Paulas, und das Bad ist ein einziger See.» Neulich sei sie auf den nassen Fliesen ausgerutscht, das habe höllisch geschmerzt. «Und Paula, die sieht das und grinst mich dreckig an.» Ihre Augen funkeln. «Also, da war ich drauf und dran, ihr eine zu scheuern  … Aber ich hab’s nicht getan.» Sie wäre «in die Küche gerannt, habe nur geheult, «aus Schmerz, aus Hilflosigkeit, aus was weiß ich. Und wie ich so dasitze, kommt Paula, streichelt meine Hand, legt ihren nassen Kopf, den sie offensichtlich selber geduscht hat, auf meinen Arm und sagt: ‹Mama, lieb!›» Sonja Schrader legt ihren Kopf in den Nacken, schaut zur Zimmerdecke: «Da verstehe einer noch die Kinder!»

Anton

Das habe sie aufgegeben, lacht Monika Martens. «Also, meinen Anton, den versteht momentan keiner. Der war so ein Süßer, so ein Schmusekind, bis er etwa zweieinhalb war. Aber seit ein paar Monaten ist er wirklich ein kleines Monster.» Andere Mütter lachen laut. Das wäre ja nicht böse gemeint, «aber es ist so. Der hat genau raus, wie er mich fertig macht, auf die Palme bringt, an den Rand der völligen Verzweiflung.» Das fange schon morgens an. «Wir müssen los. Er rennt zum Auto, ich hebe ihn rein, in den Kindersitz, will ihn festschnallen, aber er wehrt sich. Gutes Zureden hilft nicht. Laut werden auch nicht. Für Argumente ist er nicht zugänglich, bestechen lässt er sich von einem bestimmten Zeitpunkt an auch nicht mehr. Ich komme einfach nicht an ihn heran …» Natürlich werde sie hektischer, ungeduldiger, «die Termine sitzen ja im Nacken, aber Anton ist noch nicht festgeschnallt. Er schreit so laut, als ob man ihn umbringt.» Klar wäre sie die Stärkere, weil «seine Kräfte irgendwann erlahmen. Aber ich bin schweißnass, sehe aus wie nach einem gewonnenen Ringkampf, und Anton sitzt ruhig da, nimmt seinen Teddy in den Arm  … und kaum sind wir vom Grundstück, schläft er ein!»

Carlo

Wenn sie abends so im Bett liegen, selig schlafen, glaubt man, «die können keiner Fliege etwas zuleide tun», lächelt Magdalena Schneider. «Und dann weiß ich, das ist dein Kind, wie ich es mir vorgestellt habe. Da stehe ich so ganz selbstvergessen am Bett, fühle mich bestätigt: ‹Mein Carlo!›» Mit diesem Gefühl gehe sie dann ins Bett, freue sich richtig auf den nächsten Morgen. «Dann gehst du in das Zimmer, sagst freundlich ‹Guten Morgen, Schatz!›, und er streckt dir die Zunge raus. Ich bleibe noch ruhig, frage, ob er zum Frühstück Saft will, und er blökt wie ein Schaf: ‹Nein!›. Wenn ich dann frage, was er will, sagt er: ‹Tee!›. ‹Gut, dann eben Tee.› Man soll Kindern ja ihren Willen lassen. Und wenn ich dann sage: ‹Ich mach Tee›, sagt er: ‹Tee, keinen Tee!› – ‹Was denn nun?›, frage ich, und er ganz ruhig: ‹Saft!› Und so geht das weiter, immer weiter.» Irgendwann sitze er ganz zufrieden am Tisch, trinke Tee. Aber das wäre kein Friedensschluss, sondern erst der Beginn von Nein und Ja, von Ja und Nein  … In unendlichen Variationen. Mal ginge es hoch her, mal wäre es still wie im Zentrum des Sturms. Gott sei Dank schlafe er mittags, meint Magdalena Schneider. «Da komme ich zur Ruhe, sammle Kraft.» Und resigniert: «Aber das glaubt einem ja keiner, diese Höhen und Tiefen  …» Wenn ihr Mann abends nach Hause kommt und dann fragt, wie es denn mit Carlo ginge, «bin ich ehrlich, erzähle ihm von seinen Trotzanfällen. Wissen Sie», sie sieht mich an, «was dieser pädagogische Oberguru dann sagt: ‹Schatz, du musst mal durchgreifen!›» Ihre Augen funkeln: «Dieser Klugscheißer, dieser  …!»

Timo

«Die können das einfach nicht verstehen», nimmt Beatrice Baldorf den Faden auf. «Die sind ja auch nicht da. Die Männer haben keinen Einblick, wie das morgens so abläuft.» Sie meine «das gar nicht böse. Es ist eben so … Diese Trödelei morgens …, diese unendliche Trödelei … Timo hat alle Zeit dieser Welt  … Und wenn mein Mann dann mal mit dem Anziehen dran ist, dann klappt das. Timo spurt! Und der triumphierende Blick meines Mannes: ‹Schau, so wird’s gemacht!› Wenn ich dann vorschlage: ‹Übernimm du das Erziehungsgeschäft doch morgens, wenn du es besser kannst!›, schaut er mich entgeistert an: ‹Und wer verdient dann das Geld?›» Mit ihrem Mann und mit Timo, da habe sie sich zwei Machos eingehandelt: «Der eine weiß alles besser … und der andere trödelt.» Es sei ein Wahnsinn, welche Zeit Timo morgens habe. Alles wäre ihm wichtig, nur nicht das Anziehen. «Er zieht seine Socken an, dann ist erst einmal Pause, nimmt einen Legostein oder etwas anderes. Ich mahne zur Eile, er hört nicht oder tut so, als ob er es nicht hört oder macht so, als ob er sich sputet. Aber es passiert nichts. Nach fünf Minuten ist er keinen Millimeter weiter  … Ich werde hektischer, das gebe ich zu, aber das ist doch natürlich. Ich werde lauter: ‹Wenn du nicht gleich angezogen bist, dann mache ich das!› … Ist Blödsinn, weiß ich …» Sie zuckt mit den Schultern: «Aber was soll man machen  … Ruhe bewahren? Das gelingt nur einmal im Monat! Also, irgendwann schnappe ich ihn mir, dann geht’s zack, zack, zack. Aber dann quietscht er: ‹Aua! Aua! Aua!› Und im Nu habe ich ein ausgeflipptes Rumpelstilzchen im Flur, und ich bekomme ein schlechtes Gewissen.» Sie blickt auf den Boden, überlegt: «Aber es muss doch nicht ständig nach seinem Willen gehen, oder?» Sie stockt kurz: «Natürlich ist er sauer, wenn ich ihn aus seinem Spiel hole …, aber wir müssen doch zum Einkaufen. Ich kann ihn doch nicht alleine lassen, also sag ich: ‹Gleich gehen wir.› Dann lasse ich ihm kurz Zeit, und wenn ich dann sage: ‹Komm!›, bleibt er sitzen. Ich nehme ihn freundlich auf, und wenn er sitzen bleibt, ziehe ich ihn schon etwas heftiger. Dann rastet er so komplett aus, wirft mit Bauklötzen um sich, mit allem, was ihm gerade in die Hände kommt. Der steht völlig neben sich  … Ich lasse ihn dann  … Aber wo bleiben meine Bedürfnisse, wo bleiben die bitte schön?» Ihre Stimme bekommt einen ärgerlichen Unterton: «Muss man sich denn alles gefallen lassen, wirklich alles?»

Klara

Sie sei da auch hin- und hergerissen, beschreibt Carolin Peters die Situation mit ihrer dreijährigen Klara. «Ich bin stolz auf sie, was sie schon alles kann, sage ihr das auch, ermutige sie zum Selbständig-Sein. Und in den letzten Wochen hat sie enorme Fortschritte gemacht. Sie fasst die Gabel richtig an, führt den Löffel zum Mund, sodass nichts verschüttet wird, fasst das gefüllte Glas vorsichtig an  … Das macht sie wirklich toll.» Sie denkt einen Augenblick nach: «Aber dann überfordert sie sich, will zu viel auf einmal, eben zum Beispiel mit Messer und Gabel essen. ‹Bin groß›, behauptet sie. Dann misslingt die Koordination, das Essen fällt auf den Boden. Sie ist sauer. Und wenn ich sie tröste, schaut sie mich wütend an, knurrt: ‹Blöde Mama!› Und wenn ich ihr meine Unterstützung anbiete, dann flippt sie aus. Neulich hat sie vor Wut den Teller auf den Boden gefeuert, geschrien wie am Spieß, so mit ihrem Kindersitz gewackelt, dass sie umgefallen ist. Gott sei Dank ist nichts passiert, aber das Geschrei danach. Ich durfte sie nicht anfassen, sie ließ sich nicht beruhigen. Und du stehst völlig bedeppert daneben, die Gefühle kommen hoch, man möchte einfach ‹Ruhe!› schreien, wegrennen  … Und dann die Angst: ‹Was denken nur die Nachbarn?›» Sie blickt in die Leere: «Es ist alles so schrecklich!»

Elisa

«Manchmal», greift Angelika Rupperts in das Gespräch ein, «ist es noch schrecklicher als schrecklich. Einfach furchtbar.» Mit ihrer dreijährigen Elisa habe sie sich das niemals vorgestellt. «Niemals!», wiederholt sie. Elisa sei zur Zeit völlig «auf die Mama bezogen. Die hängt an meinem Rockzipfel, ist mir ständig auf den Fersen. Ich kann keinen Schritt ohne sie machen. » Wenn sie nicht sofort komme, falls Elisa nach ihr rufe, «dann fängt sie an zu brüllen. Ich muss wirklich ständig um sie herum sein.» Sie schüttelt den Kopf: «Ich bin ihr Sklave. Aber wenn sie nicht will, lässt sie mich links liegen, dann bin ich Luft für sie. Wenn ich von ihr etwas will, sehe ich ihr das ‹Nein!› schon an. Dann kann ich machen was ich will, Elisa bleibt hartnäckig und stur. Aber von einem Moment zum anderen ist sie dann wieder wie eine Klette. Also, dieser ständige Stimmungswechsel, und das von einer Sekunde zur anderen, das macht mich fix und fertig. Irgendwie fehlt mir der Boden unter den Füßen. Man kann sich auf nichts wirklich verlassen.» Sie presst die Lippen aufeinander: «Und sie einfach brüllen lassen, das kann ich auch nicht. Denn dann steigert sie sich so hinein, wird puterrot und erbricht sich. So ein Theater!»

Lukas und Lea

«Tja, man muss wohl von vielen Vorstellungen einfach Abstand nehmen, Ideale über Bord schmeißen.» Tanja Müller wirkt nachdenklich. «Aber vielleicht will man auch vieles zu früh, vielleicht überfordert man sich und die Kinder. Ich weiß nicht, was ist denn nun richtig oder falsch? Was kann man verlangen, was nicht?» Sie denkt kurz nach. «Bei uns ist es das Essen, besser das Essverhalten. Lukas ist vier und beim Essen ein extremer Trödler. Und ständig am Meckern: ‹Mag ich nicht!› – ‹Bäh!›. Und dann sein Spiel mit dem Essen. Ich tue ihm schon extra wenig auf den Teller, damit er nicht manschen kann. Aber dann quengelt er, er wolle noch mehr. Ich gebe ihm noch was, und schon geht das Spielen weiter. Ich kann machen und tun, was ich will, es endet alles im absoluten Chaos. Und dann ist Lea auch noch da. Die ist zwei, die sieht, wie ihr großer Bruder das Besteck benutzt. Sie will auch Gabel und Löffel. Ich gebe ihr das. Aber es landet alles auf ihrem Teller – im besten Fall –, aber nicht in ihrem Mund. Dann wird sie wütend, weil Lukas lacht oder Kommentare abgibt über seine ‹blöde› Schwester. Und wenn ich ihr helfen will, rastet sie auch aus. Macht den Mund nicht auf, Gabel und Löffel fliegen durch die Gegend, sie schreit rum.» Tanja Müller schnauft. «Lukas steht in der Zwischenzeit auf, holt sich Playmobil-Figuren, spielt damit am Tisch. Lea will natürlich auch Spielzeug, kommt aber nicht aus dem Kindersitz, wackelt, strampelt. Lukas lacht seine Schwester aus, und die ist völlig verzweifelt und schmeißt mit dem Essen nach ihm, trifft nicht, was sie nur noch zorniger macht!» Tanja Müller sieht mich an: «Also, das habe ich mir anders vorgestellt, als ich noch keine Kinder hatte. Aber bei anderen Familien geht das doch. Warum nicht bei mir?»

Vanessa und Paul

So ginge es ihr auch, bestätigt Miriam Schlosser. «Warum nur bei dir? Oder noch schlimmer. Immer nur bei dir? Meine Vanessa ist jetzt knapp vier. Und wenn ich sehe und höre, wie die ihren kleinen Bruder Paul, der ist jetzt ein Jahr, quält», sie macht eine Pause, «ja quält, dann dreht sich bei mir der Magen um. Die kann so richtig gemein sein.» Also, sie sage das ja als Frau ungern, «aber die ist schon eine richtige kleine Zicke. Sie nimmt Paul etwas weg, womit er gerade spielt, obgleich sie die Bausteine überhaupt nicht gebraucht. Sie stellt ihm ein Bein, er fällt hin und weint  … Und neulich höre ich doch, und da verschlägt’s mir die Sprache, wie sie zu Paul zischt: ‹Dich geben wir noch mal im Heim ab.›» Sie wirkt entrüstet: «Das konnte ich nicht so stehen lassen. Ich hab sie gepackt, sie angeschrieen, ob sie denn völlig durchgeknallt wäre. Sicher, das war komplett falsch. Aber muss man sich denn alles gefallen lassen, verdammt?» Vanessa wäre in Tränen ausgebrochen: «Ihr habt mich nicht lieb, ihr habt Paul viel lieber!» Und die Tränen hätten sich in Wut verwandelt: «Ich zieh aus!» Dann habe sie doch tatsächlich angefangen, den Koffer zu packen. «Ich habe Vanessa in die Arme genommen: ‹Meine kleine liebe Vanessa!› Dann hat Vanessa sich ganz fest an mich geschmiegt: ‹Mama, ich will lieb sein!›» Miriam Schlosser lacht: «Was will man da machen, was will man sagen?» Sie wickele einen um den Finger, «Vanessa, diese kleine Kröte. Und dann kann ich ihr keinen Wunsch abschlagen, das nutzt sie aus: ‹Mama, zieh mich an!› oder: ‹Ach nein, zieh mich aus!› oder: ‹Mama, ich will dies!› oder: ‹Ach nein das!›, und ich mache alles, ich blöde Kuh, weil ich natürlich ein schlechtes Gewissen habe. Oder ich denke: ‹Kein falsches Wort, sonst geht das Geschrei von vorne los, oder Paul muss das hinterher ausbaden!»

Laura

«Was mich so fertig macht», bricht es aus Felizitas Bauer heraus, «dass meine Laura, die ist drei, mich provoziert, wo sie nur kann. Und wenn ich dann schimpfe, dann grinst sie mich an oder singt Häme in den hellsten Tönen: ‹La la la, la la la›, so als wolle sie ausdrücken: ‹Leck mich doch  …!› Das treibt mich in den Wahnsinn. Und dann benimmt sie sich wieder wie ein kleines Kind, lutscht am Daumen, will Nähe. Aber im nächsten Moment haut sie mir ins Gesicht, lacht dazu.» Sie wirkt nun einigermaßen verzweifelt: «Neulich macht sie das wieder. Ich verlange eine Entschuldigung von ihr. Und stellen Sie sich das vor … Da schlägt sie noch mal zu, grinst und sagt: ‹’tschuldigung!›» Ihr Gesicht hat eine Mischung aus Entrüstung und Resignation. Und dann habe sie Laura in ihr Zimmer getragen: «‹Da bleibst du jetzt›, habe ich gesagt, ‹ich will dich nicht mehr sehen.›» Dann sei sie nach einiger Zeit an die Zimmertür gekommen, die einen Spalt offen stand, habe Laura gesehen, wie sie ihren Lieblingsteddy Pitti schlägt und ihn wüst beschimpft. Er brauche gar nicht zu weinen, «hat Laura gesagt und ‹Sei still!›» Sie macht eine Pause: «Und einen Augenblick später nimmt sie Pitti in den Arm, tröstet ihn: ‹Lieber Pitti! Armer Pitti!› Und kurz danach schlägt sie ihn wieder. Mein Gott, habe ich gedacht, ist das normal? Oder habe ich ihr jetzt einen psychischen Schaden zugefügt?»

Clemens

«Wenn ich das alles so höre», sagt Maren Lemke mit einer Mischung aus Verwunderung und Skepsis. «Mein Clemens, der ist jetzt knapp vier, der hat nichts von dem, was ich bisher hier in der Runde gehört habe. Und ich denke mir die ganze Zeit, ist der normal, oder ist der nicht normal. Vielleicht muss ich ihn doch mehr provozieren, damit er ausflippt. Oder habe ich ihn zu sehr unterdrückt, dass er seine Gefühle nicht raus lässt? Vielleicht dominiere ich ihn zu sehr?» Sie denkt nach: «Gut, er flippt schon mal aus, aber selten. Dabei ist er ganz vorsichtig, behutsam. Aber er wirkt nicht unglücklich. Er ist so ganz ausgeglichen?!» Sie schmunzelt in sich hinein: «Hoffentlich bleibt es so, und er holt das später nicht nach!»

Anlässe

Diese kurzen Gesprächsausschnitte zeigen die ganze Breite von Gefühlen, die der Trotz bei allen Beteiligten auslöst.

Wenn in den Ausschnitten kein Vater zitiert wird, dann liegt das nicht daran, dass diese gekonnter mit ihren trotzenden Kindern umgehen. Sie reagieren ähnlich konsterniert, aufgewühlt, sind hilflos, ohnmächtig, voll von Wut und Zorn auf die «kleinen Monster» und ihre Wutanfälle. Gleichwohl fällt mir auf: Wenn es um das Trotzalter geht, dann holen sich fast ausschließlich Mütter in Vorträgen, Seminaren und in der Einzelberatung Tipps zum Überleben. Dabei wäre es für die Väter genauso wichtig, über Ursachen und Hintergründe des Trotzes Bescheid zu wissen.

Jedes Kind kommt in das Trotzalter, ob nun heftig aufbrausend oder eher moderat. Das hängt weniger von den pädagogischen Fähigkeiten der Eltern als vom Temperament eines Kindes ab. Trotz lässt sich nicht vermeiden. Er stellt – wie noch zu zeigen sein wird – einen wichtigen Entwicklungsabschnitt im Leben des Kleinkindes dar. Und genauso wenig lassen sich Trotzanlässe präventiv umgehen. Jede Situation, und sei sie noch so gut vorbereitet, kann jederzeit eskalieren. Und schon ist man von Rumpelstilzchen umgeben. Gleichwohl gibt es typische Anlässe und Situationen, in denen sich der Trotz blitzschnell aufbaut und sich alle Beteiligten gegenseitig hochschaukeln:

Da flippt das Kind völlig aus, weil es gerade in sein Spiel vertieft ist und den elterlichen Satz: «Komm, wir müssen los!» als persönliche Beleidigung empfindet.

Da lässt es sich nicht waschen, empfindet das Zähneputzen als eine unerträgliche Qual und als Ausdruck elterlicher Machtausübung.

Da trödelt es beim Anziehen und Essen, weil es noch kein wirkliches Zeitgefühl entwickelt hat. Und je drängender die Eltern, umso ruhiger werden die Kinder.

Da lassen sie sich im Auto nicht festschnallen, obgleich es ihre Sicherheit erfordert. Solch ein Appell an die Vernunft nützt aber gar nichts, weil ihn die Kinder nicht verstehen (wollen).

Da eskaliert die Abholsituation im Kindergarten: Die Eltern freuen sich auf ihr Kind, das Kind möchte noch gern bleiben.

Da sind die Kinder müde, wollen ins Bett – und wollen doch nicht. Ein falsches Wort, und die Stimme des Kindes nimmt ungeahnte Höhen an, seine Mehrwort-Sätze, die es ansonsten beherrscht, reduzieren sich auf stakkatohaftes «Nein! Nein! Nein!».

Und dann sind da noch jene Situationen, in denen das Kind ständig hin- und hergerissen ist zwischen dem roten und dem grünen T-Shirt, zwischen Milch und Apfelsaft, zwischen «Lass mich!» und «Lass mich nicht allein!», zwischen «Bin schon groß!» und «Bin so klein!». Jene Situationen, die so anstrengend sind, dass es einen fast zerreißt. Und Kinder empfinden diese Zerrissenheit, was sich dann in Toben und Strampeln, in Treten und Spucken, in Fortlaufen und Auf-dem-Boden-Wälzen entlädt.