Von wegen aufgeklärt! - Jan-Uwe Rogge - E-Book

Von wegen aufgeklärt! E-Book

Jan-Uwe Rogge

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Beschreibung

Aufgeklärt, aber ahnungslos Es geht heute nicht einfach um Aufklärung, sondern um Sexualerziehung und darum, dass gerade Sexualität in der modernen Gesellschaft bei Kindern und Jugendlichen viele Fragen offenlässt.  Aus dem Inhalt:  «Warum schmeckt das Kondom nach Erdbeere?» Wenn der Wissensdurst die Sprache verschlägt «Was mach ihr denn da?» Der Blick ins Elternschlafzimmer «Das macht so'n Spaß!» Über Selbstbefriedigung «Wie bin ich denn in deinen Bauch gekommen?» Wichtige Fragen und wahrhaftige Antworten «Ist einfach nur geil!» Vom Umgang mit der Pornografie «Ich muss bei dir Fieber messen!» Über Doktorspiele «Das machen doch alle!» Über (zu) frühen Sex in der Pubertät «Mein Kind fasst alles an!» Vom Schmusen und Streicheln «Wie kann ich's ihnen erklären?» Über Sexualität reden

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Jan-Uwe Rogge

Von wegen aufgeklärt!

Sexualität bei Kindern und Jugendlichen

 

 

Unter Mitarbeit von Rosemarie Donnenberg

 

Über dieses Buch

Für Kinder und Jugendliche war es nie leichter, sich über Sex und verwandte Themen zu informieren. Wir haben es mit einer mediengewohnten Generation zu tun, die vieles hört und sieht, aber bei weitem nicht alles richtig einordnen kann. So dürfen wir davon ausgehen, dass das Wissen über Sex gering ist, die Illustion, etwas darüber zu wissen, jedoch umso größer. Aufgeklärt, aber ahnungslos, wissen Kinder und Jugendliche sehr oft nicht, wie es um Gefühle, Zärtlichkeit, Liebe und Ängste im Zusammenhang mit Sexualität steht. Was dies für ihre sexuelle und geschlechtliche Entwicklung sowie eine zeitgemäße Aufklärung bedeutet, zeigt Jan-Uwe Rogge in diesem Buch.

Er zeigt Perspektiven auf, wie sich private Sexualität in Zeiten einer öffentlich sexualisierten Gesellschaft entwickeln kann, und bietet für die einzelnen Entwicklungsphasen vom Kleinkindalter bis zur Pubertät praktische Tipps an, wie man Heranwachsende richtig begleitet. Es geht heute nicht einfach um Aufklärung, sondern um Sexualerziehung und darum, dass gerade Sexualität in der modernen Gesellschaft viele Fragen offenlässt.

Vita

Jan-Uwe Rogge gilt als Deutschlands erfolgreichster Erziehungsexperte. Er ist Familien- und Kommunikationsberater sowie Buchautor. Seit Jahrzehnten liefert er Antworten auf Fragen, die Eltern bewegen. Er hält Vorträge und führt Seminare im In- und Ausland durch. Seine Bücher sind Klassiker der Elternliteratur und Bestseller, sie wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Er ist als Experte regelmäßiger Gast in zahlreichen Rundfunk- und Fernsehsendungen. Rogge lebt in der Nähe von Hamburg.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, April 2024

Copyright © 2006 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Lektorat Bernd Gottwald

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München, nach einem Entwurf von any.way, Hamburg

Coverabbildung getty images/Nina Frenkel

ISBN 978-3-644-01977-5

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Inhaltsübersicht

Ermutigung zur Gelassenheit und Wahrhaftigkeit

Wie man’s macht, es ist doch immer verkehrt!

«Wie sag ich das kindgerecht?»

«Nennt man das auch einfach ficken?»

Sind die Medien die besseren Aufklärer? Oder verwirren sie?

Sexualerziehung ist auch Werteerziehung

Sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen

Schmusebär und Trotzkopf Vom Säugling zum Kleinkind

Halt mich, aber lass mich los! Das Kindergartenkind

Die Zwischenzeit – Ruhe vor dem Sturm? Das Schulkind

Der brodelnde Vulkan Die Pubertät

Kinder fragen, Eltern antworten

«Mama, wie bin ich in deinen Bauch gekommen?» Wichtige Fragen und wahrhaftige Antworten

«Warum schmeckt das Kondom nach Erdbeere?» Wenn der Wissensdurst die Sprache verschlägt

«Blöde Mama!», «Alte Hure!» Vom Umgang mit Schimpfworten

«Was macht ihr denn da?» Der Blick ins Elternschlafzimmer

«Das macht so ’n Spaß!» Über Selbstbefriedigung

«Ist einfach nur geil!» Vom Umgang mit Pornographie

«Ich muss bei dir Fieber messen!» Über Doktorspiele

«Sind die nicht stark?» Pferde und Mädchen – auch eine sexuelle Beziehung?

«Alte Heulsuse!» – «Blöder Typ!» Friedfertige Mädchen – böse Buben?

«Frauen müssen uns bedienen!» Von kleinen und großen Machos

«Das machen doch alle!» Über (zu) frühen Sex in der Pubertät

«Mein Sohn ist schwul!» Wenn das Kind anders ist

Die Balance von Nähe und Distanz finden

«Ich bin nicht eure Kuschelpuppe!» Von Grenzen und Grenzüberschreitungen

«Mein Kind ist so neugierig, das fasst alles an!» Vom Schmusen und Streicheln

«Klopft an, wenn ihr in mein Zimmer kommt!» Über Scham und Schamgefühl

Von Zipfeln, Schniedeln und der Muschi Über Sexualität reden – Gesprächsrunde mit Eltern

Nachwort: Sexualerziehung ist mehr als Aufklärung

Sexualerziehung ist Begleitung ins Leben

Sexualerziehung ist Schutz vor Missbrauch

Sexualerziehung ist Vorbild und Liebe

Sexualerziehung ist soziales und moralisches Lernen

Literaturverzeichnis

Ermutigung zur Gelassenheit und Wahrhaftigkeit

Wie man’s macht, es ist doch immer verkehrt!

Volker Apel, Vater der sechsjährigen Jessica, ist fast froh, als sie fragt, woher denn Kinder kommen. Er hatte sich so seine Gedanken gemacht, warum sie niemals fragte, wo doch alle anderen Kinder ihre Eltern mit ihrem Wissensdurst nervten: «Hab ich was falsch gemacht? Waren wir zu prüde?» Dabei hatte er – wie beiläufig – Kinderbücher zum Thema Aufklärung «in der Wohnung herumliegen lassen». Jessica ignorierte diese, schien anders zu sein als jene Kinder, die in der Ratgeberliteratur vorkommen und Fragen formulieren, auf die die dort vorgestellten Eltern nur richtige Antworten haben.

 

Nun war die Gelegenheit da. Volker Apel antwortete nicht auf Jessicas Fragen – er referierte über den Zeugungsakt, der natürlich kein technischer Vorgang sei, sondern ein Akt der Liebe, er dozierte über Lust, über seinen Penis, die Feuchtigkeit der Mutter, seinen Samenerguss, über das Einnisten des Eies in der Gebärmutter. Er bemühte sich um eine kindgerechte Sprache. Doch bei allem Bemühen übersah er Jessica, die voller Erstaunen da saß, den Redeschwall ihres Vaters nicht stoppen konnte, so sehr brach es aus ihm heraus – nach den vielen Seminaren zur Sexualaufklärung, den langen Seiten in Aufklärungsbroschüren. Volker Apel redete und redete, erzählte vom Fötus, ja, er gebrauchte dieses Wort, verbesserte sich dann. Er sprach vom kleinen Kind, das im Bauch wächst, davon, dass die Mutter dicker und dicker werde, dass sie ihr Kind spürte – bis es eines Tages, nein: nicht eines Tages, vielmehr nach neun Monaten, manchmal früher, manchmal später, das Licht der Welt erblicke.

«Tut das weh?»

«Was?»

«Wenn das Kind gemacht wird?»

«Was?»

«Wenn der Pippi in Mama steckt?»

Diese Frage hatte er nicht erwartet, seine Tochter war noch bei der Zeugung, er schon bei der Geburt. Er wirkte irritiert: «Ich glaub nicht, wenn es feucht ist …»

«Wie wird es feucht?»

 

Volker Apel referierte von Drüsen und Hormonen, von Lust und Empfindung – alles in einer «kindgerechten» Sprache, versteht sich. Als er am Ende war, nicht mehr weiterwusste, unterbrach Jessica ihren Vater, offenbar einen weiteren Referatsschwall befürchtend. Nun wisse sie es, meinte sie ganz bestimmt, sie wolle keine Kinder haben, weil alles nur wehtue – am Anfang, wenn keine Feuchtigkeit da sei, und am Ende bei der Geburt.

Jessica war sich da sicher, mit ihr seien keine Kinder zu machen. Sie stand auf, streichelte ihren Vater flüchtig und ließ ihn mit der Erkenntnis zurück: «Wie man’s macht, macht man’s verkehrt. Nie wieder Aufklärung!»

«Wie sag ich das kindgerecht?»

Das wäre natürlich die genau verkehrte Schlussfolgerung. Aber Volker Apel drückt jene Unsicherheiten, jene Ängste aus, die viele Eltern haben, wenn es um die Sexualität ihrer Kinder geht. Da werden sie plötzlich mit Fragen konfrontiert, auf die sie keine oder nur unzureichende Antworten haben:

Woher kommen mit einem Male die Wünsche der Kinder, Genaueres über das Thema wissen zu wollen? Bisher haben sie doch auch nicht gefragt!

Welche Worte wähle ich jetzt – medizinische, biologische, oder rede ich umgangssprachlich mit ihnen?

Wie erkläre ich bestimmte Sachverhalte (Zeugung, Geburt, Geschlechtsverkehr etc.)? Wie grundsätzlich werde ich? Wo darf ich an der Oberfläche bleiben?

Ab welchem Alter kann und darf ich etwas sagen? Oder warte ich ab, bis mein Kind fragt? Aber dann kommt schon die nächste Frage: Warum will mein Kind (noch) nichts wissen? Wie schätze ich das ein?

Muss ich selber alles über das Thema Sexualität wissen? Muss ich richtige, d.h. wissenschaftlich kompetente Antworten geben, weil ich das Kind oder den Heranwachsenden ansonsten verwirre?

Kinder und Jugendliche – so meine Erfahrung – wollen authentische Eltern, die sich zu ihrer Unvollkommenheit bekennen. Eltern brauchen nicht perfekt, allwissend, sexualerzieherisch omnipotent zu sein. Heranwachsende möchten viel mehr, dass Vater und Mutter präsent sind, wenn sie gebraucht werden. Denn Fragen der Heranwachsenden zu sexuellen Themen können sich jederzeit und aus ganz unterschiedlichen Motiven ergeben:

Bei Kindern vom vierten Lebensjahr an kann Wissensdurst ein zentrales Motiv sein. Das Kind ist neugierig, hat Erfahrungen gemacht, es kommt mit den vorhandenen Erläuterungen nicht mehr aus. Es will veränderte Informationen neu einordnen.

Das Kind hat auf seine bisherigen Fragen Antworten bekommen, die seinem Altersstand entsprachen, sich aber nun als unzureichend erweisen. Oder Erwachsene haben die Bedeutung, die hinter den Fragen der Kinder stand, nicht erkannt.

Missverständnisse ergeben sich für Kinder daraus, dass Eltern, Lehrer und Erzieher sehr rational antworten, sich nicht auf die Wahrnehmungs- und Erlebnisbesonderheiten von Kindern einlassen. Nicht die richtige Antwort ist jedoch die passende, vielmehr eine wahrhaftige, die sich an den Bildern und Phantasien von Kindern, später am Wissensstand von Pubertierenden orientiert.

Daraus lassen sich Grundsätze ableiten, die man beachten sollte, wenn man Fragen zur Sexualität von Kindern und Jugendlichen beantwortet:

Es ist wichtig, den Sinn einer Frage zu erkennen. Kinder und Jugendliche fragen in der Regel nicht abstrakt, sie fragen nicht wissenschaftlich, sie sind als Menschen am Mensch interessiert. Deshalb muss auf kindliche Fragen kein sexual-wissenschaftlicher Vortrag erfolgen. Es ist wichtig, dass Eltern ein Wissen über das haben, was sie vermitteln wollen. Hier sollte man sich nicht überfordern. Nicht alles, was man weiß, muss man in den Antworten unterbringen. Sonst beherrscht man mit seiner Antwort den Heranwachsenden. Ein langatmiger Wortschwall verkennt nicht nur den Hintersinn einer Frage, er geht meist auch am Erkenntnisstand des Kindes vorbei.

Wenn Eltern unsicher sind, können sie die Antwort delegieren, an jemanden abgeben, den man für bewanderter hält.

Je jünger das Kind ist, umso konkreter, klarer, knapper und anschaulicher können die Antworten sein. So wichtig es ist, Sachverhalte nicht zu verfälschen, so bedeutsam ist der Mut zum Fragmentarischen.

Durch diesen Mut können weitere Fragen der Kinder angeregt werden. Dies ist umso wahrscheinlicher, je mehr sich ein Kind durch die Antworten angesprochen fühlt. Antworten haben unbedingt die Empfindung des Kindes zu berücksichtigen.

In elterlichen Antworten können Rückfragen an Kinder enthalten sein – z.B. wenn das Kind fragt: «Wo war ich, bevor ich bei euch war?» – «Was meinst du, wo du warst?» – «Im Himmel!» (oder: «Auf einer Wolke!» oder «Auf einer Wiese!»). Rückfragen können Assoziationen und Phantasien hervorlocken, die dem Erwachsenen zeigen, wo das Kind intellektuell und emotional steht. Jedes Kind hat Vorstellungen, Meinungen, Haltungen, an denen sich Erwachsene orientieren sollten. Antworten, die nicht am Hier und Jetzt des Kindes anknüpfen, überfordern es.

Und genau das ist anstrengend, denn kaum hat man eine Aufgabe erfüllt, steht schon die nächste Herausforderung an. Das Licht, das man am Ende des Tunnels zu erblicken glaubt, ist nur der entgegenkommende Zug.

«Nennt man das auch einfach ficken?»

Benedikt, ein kerniger, aufgeweckter Junge, acht Jahre, neugierig, ständig auf der Suche nach Herausforderungen, mit vielen Fragen und genauso vielen Nachfragen, kommt zu seiner Mutter, Magdalena Schneider, ins Wohnzimmer. Benedikt, so spürt sie, ist in den letzten Wochen sehr anhänglich, er kuschelt gerne, hockt auf ihrem Schoß. So auch dieses Mal. Er umarmt sie. Sie lässt die Zeitung fallen, lächelt ihn an: «Was gibt’s denn, mein Schatz?»

«Mama?» Benedikt sieht sie fragend an.

«Ja, was hast du denn?» Sie drückt ihn fest an sich.

«Mama!» Er schaut sie genau an, es scheint fast so, als müsse er sich einen Ruck geben: «Mama, hast du dich gefreut, als ich in deinem Bauch war?»

Frau Schneider zuckt kurz, als sie die Frage hört.

«Was meinst du, mein Süßer?»

Benedikt richtet sich spontan auf: «Ich bin nicht dein Süßer!» Er wirkt empört: «Ich bin doch nicht schwul!»

«Benedikt, was ist mit dir los?» Die Mutter schaut ihren Sohn verunsichert an: «Sag mal, was ist los mit dir?»

«Gar nichts!» Benedikt richtet sich auf. «Sag schon! Hast du dich gefreut?»

«Aber natürlich!» Die Mutter schmunzelt: «Aber natürlich! Papa hat sich gefreut, ich auch!»

«War ich ein Wunschkind?» Benedikt fixiert seine Mutter.

«Aber natürlich. Papa und ich haben uns sehr lieb gehabt. Und dann wollten wir dich, weil wir zu dritt sein wollten!»

Benedikt kneift seine Augen zusammen, zieht seine Stirn in Falten.

«Ihr habt euch lieb gehabt?»

Magdalena Schneider drückt Benedikt an sich: «Klar, mein Schatz! Das habe ich dir doch schon viele Male gesagt!»

«Und dann?»

«Dann war Papa mit seinem Penis …»

«… in deiner Möse!»

Die Mutter setzt sich aufrecht hin: «Benedikt! Nicht dieses Wort! Es war schön mit Papa, ganz schön!»

«’tschuldigung!» Benedikt zieht seine Mutter zu sich heran: «’tschuldigung, Mama!» Er gibt ihr einen Kuss. Sie streichelt ihn zärtlich.

«Und dann bist du entstanden. Es war wunderschön, wie Papa und ich miteinander geschlafen haben. Ich wusste damals genau, dass du kommst!»

«Mama?» Benedikt sieht seine Mutter fragend an: «Mama?»

«Ja, was ist, Benedikt?»

«Mama, was du da mit Papa gemacht hast?»

«Ja, was meinst du? Was willst du wissen?» Die Mutter klingt irritiert.

«Mama, nennt man das, was ihr da gemacht habt, auch einfach nur ficken?»

«Benedikt, ich will dieses Wort nicht hören!» Magdalena Schneider ist außer sich.

«Aber Mama, kann man nicht mit Liebe ficken? Ist doch egal, ob ihr nun miteinander geschlafen habt oder einfach nur gefickt!» Benedikt lächelt: «Hauptsache, ich bin da!» Er streichelt seine Mutter liebevoll, die verstört an die Zimmerdecke starrt.

Als Magdalena Schneider diese Szene mit einer Mischung aus ungläubigem Entsetzen und Verzweiflung in der Stimme erzählt, zuckt sie ratlos mit den Schultern: «Ich weiß nicht. Da gibt man sich wirklich Mühe, will Sexualität nicht auf den Geschlechtsakt reduzieren, will etwas von Liebe, Ehe und Vertrauen rüberbringen. Und dann so etwas!» Sie überlegt: «Ich glaube, das hat zu tun mit der sexualisierten Umwelt. Die Kinder wissen schon in frühen Jahren einfach zu viel, können das dann aber nicht einordnen. Sie sind komplett überfordert!» Dann schüttelt sie ihren Kopf: «Man hat gegen die Macht der Medien, gegen ‹Bravo›, gegen das Internet, gegen den Computer nicht den Hauch einer Chance mehr!»

Magdalena Schneider hat hier einen wichtigen Gesichtspunkt angesprochen, der weniger Anlass zur Resignation als vielmehr Ansporn sein sollte, über die Kraft der persönlichen Information, die Nachhaltigkeit des elterlichen Vorbildes nachzudenken.

Zweifelsohne führen Medien – das Fernsehen, die Video oder DVD-Kassetten, die Zeitschriften, der Computer oder das Internet – jedes sexuelle Thema vor. Heranwachsende erfahren viel, können über manche Details haargenau berichten – auch über jene, die sie intellektuell und emotional komplett überfordern. Serien, Talk- und Gerichtsshows oder Doku-Soaps lassen Drehbücher mit vorfabrizierten sexuellen Skripten im Kopf entstehen, wie das der Sexualwissenschaftler Schmidt so treffend umschrieben hat, die dann in der Folge Trivialmythen entstehen lassen.

Da wird in den Medien

Sexualität mit dem Geschlechtsverkehr gleichgesetzt, aufregender Sex als guter Sex verkauft,

der Mann als der aktivere Part hingestellt,

betont, wer über Sex Bescheid wisse, habe automatisch eine positive Einstellung dazu.

Letztlich haben diese Mythen aber die Erwartungshaltung, die man an sexuelle Beziehungen stellt, ins Unermessliche gesteigert. Frustrationen sind die Folge, wenn das, was man sich aus einer solchen Beziehung erwartet, nicht eintritt.

So bedeutsam die Medien für die Vermittlung sexueller Muster zweifellos sind – was nun nicht bedeutet, dass die Heranwachsenden alles gedankenlos annehmen, was man ihnen medial bietet –, so wichtig bleiben nach wie vor die Eltern als zentrale Bezugspersonen, auf die sich Heranwachsende verlassen wollen. Nicht zu vergessen sind die Lehrerinnen und Lehrer, die in der Sexualerziehung einen genauso bedeutsamen Platz einnehmen.

Sind die Medien die besseren Aufklärer? Oder verwirren sie?

Zwar haben Kinder und Jugendliche in den Medien vieles gesehen und gehört – sie scheinen über Penisgrößen und Schamhaar-Rasuren, über Anal- und Oralverkehr vieles zu wissen –, trotzdem haben sie Fragen, haben sie Probleme, sind sie verunsichert, eingeschüchtert, fühlen sie sich häufig mit ihren Ängsten allein gelassen. Denn hinter mancherlei Gelassenheit und Unbekümmertheit, mit der sie sexuelle Kontakte eingehen und ausleben, steckt oft ein gehöriger Selbstzweifel, sind Minderwertigkeitsgefühle verborgen.

Was Sexualaufklärung übersieht oder übersehen hat, ist doch die Tatsache, dass hinter vielen Sachfragen eine Beziehungsthematik steht: «Genüge ich den Ansprüchen, die sexuell an mich gestellt werden oder die ich mir selber stelle?»

 

Da will der 15-jährige Michael wissen, ob er mit seinem Penis, der gerade mal eine Länge von 14 cm aufweist, wenn er steif ist, seine Freundin befriedigen kann. Freunde hänseln ihn, weil sie ihn als einen «impotenten Versager» bezeichnen, der wohl nie wegen seines «kleinen Schwanzes» eine Freundin bekommen würde.

Michael geht deshalb ängstlich auf Mädchen zu, traut sich nicht, obgleich er «Lust hat, mit Romana zu schlafen». Er lächelt: «Und sie mit mir!» Petting hätten sie schon gemacht: «Aber ich hab immer meine Hose angelassen, damit sie meinen kleinen Steifen nicht sieht!»

Als er in der Beratung erfährt, dass sich die meisten Empfindungsnerven im ersten Drittel der Scheide und außerhalb an der Klitoris befinden würden, die Größe und Dicke des Penis mithin keine Bedeutung für das lustvolle Erleben von Sexualität habe, fällt ihm eine Last von den Schultern. Romana habe zwar immer betont, wie toll sie ihn finde, aber «vielleicht hat sie das eben nur so dahingesagt!». Michael schaut gedankenverloren: «In den Aufklärungsbüchern siehst du nur diesen wohlgeformten Penis, aber wenn du dir dann deinen in natura anschaust, dann kriegst du schon ’nen Schreck!»

Es sind die vermeintlichen körperlichen Defizite, die verunsichern und verängstigen: Bei den Jungen ist es häufig die Penisgröße, bei Mädchen der Brustumfang oder – wie bei der 15-jährigen Mareike – die «Form der Schamlippen, die man kaum sehen kann. Kann ich damit auch Lust empfinden?», will sie wissen. Und: «Weiß das auch der Junge, mit dem ich vielleicht mal schlafen werde, oder findet der das doof und zieht sich von mir zurück?» Mareike überlegt: «Ich hatte da eine Broschüre, da waren die Schamlippen so schön abgebildet. Dann denke ich, das erwartet auch ein Junge von mir! Und wenn er es nicht so vorfindet, bin ich für ihn dann vielleicht verkrüppelt oder behindert?»

Die Pubertierenden wissen viel – nicht zuletzt dank einer gelungenen Sexualaufklärung, die das Biologisch-Medizinische umfassend und methodisch kompetent aufbereitet in den Vordergrund ihrer Bemühungen gerückt hat. Die mit dem Wissen und Sachinformationen einhergehenden Gefühle – also häufig Ängste und Verunsicherungen – bleiben manchmal ausgeblendet, werden weniger thematisiert.

Wenn immer es im Sexualwissen der Heranwachsenden Defizite gibt, dann wird schnell die Forderung nach noch mehr sexualerzieherischen Informationen, einer noch ideenreicheren, kreativeren Wissensvermittlung laut. Aber nicht Quantität ist das Gebot der Stunde, vielmehr eine Qualität, die sich an den Fragen, den Lebens- und Alltagswirklichkeiten, an den Sorgen und Nöten der Heranwachsenden orientiert. Erst wenn sich Jugendliche in ihrer Körperlichkeit mit den kleinen «Macken», die sie so liebenswert und einzigartig machen, angenommen fühlen, können sie auch andere annehmen. Gegenseitige Annahme ist die Basis für eine sexuelle Beziehung, die von Respekt und Rücksichtnahme geprägt ist.

Sexualerziehung ist auch Werteerziehung

Sexualerziehung ist kein Sonderthema in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Erziehung hat mit Beziehung zu tun. Man kann nur erziehen, wenn man in Beziehung zu jemandem lebt, wenn man Halt und Geborgenheit gibt, die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Angenommenwerden erfüllt. In der Sexualerziehung geht es um Selbstwertgefühl und die Akzeptanz des eigenen Körpers, um Toleranz und Mitgefühl, um Einfühlungsvermögen, um das Kennen eigener sexueller Bedürfnisse und die Bereitschaft, die sexuellen Bedürfnisse – also auch das «Nein!» – anderer bedingungslos zu akzeptieren.

Sexualerziehung ist eben auch Werteerziehung und damit zugleich einer großen Gefahr ausgesetzt. Man überfordert sie und die mit der Sexualität einhergehenden Bedürfnisse. Gelungene Sexualität wird vorschnell mit Halt und Geborgenheit gleichgesetzt. Wenn manche Heranwachsende heutzutage früher miteinander schlafen, eben «ins Bett gehen» oder «in die Kiste steigen», und sich dabei unvorsichtig – eben ohne Verhütung – hingeben, so kann man darin durchaus eine Sehnsucht nach Nähe, nach Zärtlichkeit, nach Aufgehobensein erkennen. Viele Jugendliche – wenn auch nicht alle – wissen viel über Verhütung, sind darüber genau aufgeklärt – und trotzdem findet der erste Geschlechtsverkehr bei 20 % aller Mädchen und Jungen ohne Verhütung statt, weil man meint, «beim ersten Mal» passiere schon nichts.

Die Folge sind ungewollte Teenagerschwangerschaften – mit allen daraus sich ergebenden dramatischen Konsequenzen. Während die Zahl der Abbrüche bei den über 25-Jährigen rückläufig ist, stellt sich die Situation bei den 15- bis 18-jährigen Mädchen anders dar. 6 % aller Abbrüche entfielen 2002 auf minderjährige Mädchen, zwischen 1996 und 2004 gab es einen Anstieg der Abbrüche um über 60 %.

Es ist also eine widersprüchliche Situation, in der sich Sexualerziehung befindet: Es hat sich durch Sexualaufklärung ein ungeheures technisches Wissen aufgebaut, das aber viele Heranwachsende in konkreten Situationen nicht oder nur wenig umsetzen. Es gibt Erwachsene, die beklagen, es werde zu viel über Aufklärungstechniken geredet, zu wenig von Gefühl und Liebe. Da sind dann andere, die sich in Sprache und Bild alltagsnah und am Kind orientiert darstellen und dabei den (sexual-)pädagogischen Zeigefinger vergessen lassen möchten, übersehen dabei nicht selten zwischenmenschliche Beziehungen und Gefühle. Manche Eltern sind wieder über (Bilder-)Bücher und Broschüren, über Schule und Kindergarten froh, die die Aufklärungsarbeit übernehmen – manchmal mehr schlecht als recht, bemüht und verkrampft, dann wieder mit viel Engagement. Wieder andere Eltern tun ihr Bestes, lesen Bücher, nehmen an Seminaren teil, um ihrem Kind die best- und frühestmögliche Aufklärung zukommen zu lassen.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich verkenne oder übersehe keineswegs die vielen gekonnten Bemühungen in Elternhaus, Schule und Kindergarten um eine angemessene Sexualaufklärung von Kindern. Aber ich bemerke nicht selten ein verkrampftes Bemühen und verkopftes Angestrengtsein. Nach meiner Einschätzung bleiben – als Quintessenz aus Beratung und Seminaren – Zeit und Gelassenheit, der Mut zum Fragmentarischen und zur Überraschung auf der Strecke, ganz nach dem Motto: Man will es schließlich allen recht machen, und es soll keiner sagen, man habe etwas nicht bedacht.

Wenn Kinder und Jugendliche etwas über Sexualität wissen wollen, dann geht es ihnen nicht allein um «die Sache», sondern zugleich oder oft ausschließlich um Beziehungen, dann sprechen Heranwachsende ihre Ängste, Unsicherheiten und Unklarheiten mit an. Je weniger Erziehende diese Doppelperspektive wahrnehmen, je mehr sie die Beziehungskomponente in ihren Antworten ausblenden, umso konflikthaltiger kann die Sexualerziehung sein.

Sexualerziehung ist niemals abgeschlossen, sie stellt sich als lebenslange Aufgabe dar: erst im Kindes-, dann im Jugendalter, später in den unterschiedlichsten Phasen der Partnerschaft bis hin in das hohe Alter. Jedes Lebensalter, jeder Lebensabschnitt bringt neue, veränderte Erfahrungen mit sich. Natürlich werden im Kindesalter wichtige Erfahrungen gemacht, zweifelsohne ist die Pubertät ein zentraler, nachhaltiger Einschnitt – aber Sexualerziehung ist damit nicht am Ende angekommen: Dieses Wissen könnte Eltern und Erziehende entlasten und dazu führen, Kinder wie Kinder und nicht wie kleine Erwachsene aufzuklären, ihnen und sich bei den Antworten Zeit zu geben. Dies meint nicht, Kinder auf ein imaginäres «Später» zu vertrösten, sondern ihnen Antworten zu geben, die ihrem Erfahrungs- und Entwicklungsstand entsprechen. Weniger ist manchmal mehr und Gelassenheit ein besserer Begleiter als guter Wille.

Gelassenheit meint nicht Gleichgültigkeit, und der Verweis auf das Recht des Kindes auf Kindsein bedeutet nicht Kindertümelei – aber Gelassenheit bewahrt vor Erziehungsstress, davor, dass aus dem «Ich mein es doch nur gut mit dir» ein sexual-aufklärerischer und -erzieherischer Hochleistungssport wird.

Wer mit Kindern zu tun hat, dem begegnen ständig zwei Personen: das Kind in mir und das Kind vor mir. Je mehr ich Versäumnisse der eigenen Kindheit am Kind vor mir gutmachen oder kompensieren will – «Bloß nicht den sexualfeindlichen Mief des Elternhauses wiederholen!» –, desto aufgesetzter sind die Ergebnisse, umso weniger wird das Kind in seinem Hier und Jetzt angenommen, umso wahrscheinlicher ist, dass eine Erziehungsbeziehung entsteht, die an die Realisierung eines Lernzielkataloges erinnert.

Wissensvermittlung gegenüber Kindern – gerade im Bereich der Sexualität – muss klar und offen sein, doch wichtiger als die Vermittlung allgemeiner «Wahrsätze» oder naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ist Wahrhaftigkeit und Authentizität, ist Konkretheit und Anschaulichkeit, ist das Bemühen, den Sinn und den Hintersinn kindlicher Fragen zu erfassen. Diese Haltung bietet Gewähr, auf die Sachfragen und Emotionen der Kinder einzugehen.

Denken Sie daran: Es gibt auch schwierige Phasen im Zusammenleben, z.B. in der Pubertät, in denen keine allzeit gültigen Patentlösungen möglich sind. Ermutigung und Trost können sich aus der Einsicht ergeben: Diese schwierigen Zeiten gehen einmal vorbei, wenn die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern stimmen. Auch wenn manche Heranwachsende alles gesehen haben, bleiben die Eltern, bleibt die Lehrerpersönlichkeit wichtiger als die Medien, als Zeitschriften und Fernsehen, als Computer oder Internet, weil sie jene Nähe und jene Geborgenheit verkörpern, die die Heranwachsenden brauchen, um ihre Fragen zu stellen, im Vertrauen darauf, angemessene Antworten zu erhalten. Auch dies sollten Sie bedenken, wenn Sie dieses Buch lesen.

Sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen

Sexualerziehung ist nicht Vorbereitung auf ein imaginäres Später; Sexualerziehung vollzieht sich im Hier und Jetzt. Nur so können sich Heranwachsende mit ihren Bedürfnissen und Wünschen, mit ihren Fragen, Sorgen und Nöten angenommen fühlen: Ein Säugling bedarf einer anderen Begleitung als ein Kleinkind, ein Kindergartenkind stellt neue Fragen und verlangt nach entsprechenden Antworten, das Kind im Schulalter zeigt wieder differierende Verhaltensmuster, auf die es angemessen einzugehen gilt. Ein pubertierender Junge ist mit anderen sexuellen Themen und Erfahrungen konfrontiert als ein junges Mädchen in dieser Entwicklungsphase und will entsprechend angenommen sein.

Dabei verstehe ich unter Begleitung nicht, Heranwachsende wortwörtlich an die Hand zu nehmen. Begleitung meint, Halt und Orientierung zu geben, dann da zu sein, wenn man als Erwachsener gebraucht wird – doch Heranwachsenden zugleich genügend Zeit und Raum zu geben, sich zu entwickeln und ganz eigene Erfahrungen zu machen.

Damit Eltern und Pädagogen ihre verantwortungsvolle Aufgabe wahrnehmen können, ist ein Wissen über sexuelle Entwicklung vom Säuglingsalter bis in die Pubertät hinein unabdingbar. Nur so kann man erkennen, was Ausdrucksformen der sexuellen Entwicklung sind, nur so kann man normale von nicht normalen sexuellen Themen unterscheiden lernen. Schon jüngere Kinder haben Lustgefühle, die sich aber von denen der Erwachsenen unterscheiden. Sie kennen noch nicht sexuelle Begierde, die dann in der Pubertät erwacht. Aber männlichen Babys wird der Penis schon steif, genau wie die Vagina bei kleinen Mädchen feucht wird, die Klitoris gereizt sein kann.

Kinder sind von Anfang an sensible Wesen, die sich an ihren Lustgefühlen erfreuen: Der Säugling sucht den Hautkontakt, stellt über den saugenden Mund Nähe zu anderen Menschen her, das Kindergartenkind kann ein kleiner «Analerotiker» sein, indem es mit seinem Stuhl im Darm spielt: Mal lässt es los, mal hält es fest. Oder es schafft sich eine eigene Intimsphäre, in der es seinen Körper in Doktorspielen begreifen lernt.

Das Schulkind erweitert seine sexuellen Ausdrucksformen, um Lust zu empfinden, es macht ganz eigenständige Körpererfahrungen. Selbstbefriedigung steht hoch im Kurs, genauso wie grenzüberschreitende Provokationen mittels Pornographie oder eine ungebührliche Fäkalsprache. In der Pubertät verändert sich der Körper komplett: Der erste Samenerguss, die erste Regel. Sexualität wird ausprobiert und praktiziert: Küsse, Schmusen, Streicheln, Petting, schließlich – aufregend genug – «das erste Mal».

Aber es gibt «rote» Fäden, die sich durch alle Entwicklungsphasen durchziehen. Sexualität hat zu tun mit der Wertschätzung des eigenen Körpers und der Achtung vor dem Körper des anderen. Sexualität erfordert Rücksichtnahme und Respekt.

Schmusebär und TrotzkopfVom Säugling zum Kleinkind

Der Mensch – so die alltägliche Beobachtung von Eltern und das Ergebnis von vielen wissenschaftlichen Untersuchungen – hat vom ersten Tag an sexuelle Gefühle. Sexualität fängt bereits mit der Geburt an. So leicht sich diese Feststellung schreibt, sie ist für viele nicht einfach zu akzeptieren. Sexuelle Handlungen und Reaktionen – gerade von Babys oder Kleinkindern – werden übersehen, nicht wahrgenommen, gar tabuisiert.

Lange Zeit – bis in die Gegenwart hinein – war es allgemeine Meinung, Kinder hätten keine sexuellen Gefühle und deshalb habe man sie so lange wie möglich von allem fern zu halten, was auch nur im Entferntesten mit Sexualität zusammenhängt oder die sexuelle Neugier eines Heranwachsenden wecken könnte. Sexualerziehung war eben nicht vonnöten oder wurde als Kampf gegen etwas inszeniert, was es nicht zu geben hat. Man betrachtete Kinder als a-sexuelle Wesen. Lust- und Körperfeindlichkeit war oberste Prämisse. Alles, was man mit Sinnlichkeit in Zusammenhang bringen konnte, war verpönt oder untersagt.

Dabei können Babys vom ersten Schrei an nicht nur durch ihre Geschlechtsorgane, sondern durch ihren Körper Lust empfinden. Sie sind entsprechend neurophysiologisch ausgestattet.

Sigmund Freud nannte Säuglinge und Kleinkinder «polymorph pervers» – ein sehr nüchterner Ausdruck, der die Empfindungen der Kinder bis zum zweiten Lebensjahr eher abstrakt umschreibt. «Polymorph pervers» – mit vielgestaltig empfindend oder veranlagt positiv übersetzt – umschreibt die Fähigkeit der ganz «Kleinen», sich über Mund- und Hautkontakt Lustgefühle zu verschaffen.

Mit dem Mund erobert und erkundet es seine Welt: Die Finger werden in unendlichen Wiederholungen in den Mund gesteckt, der Daumen landet im Mundwinkel, und es wird – mal versonnen, mal heftig – daran genuckelt, verschiedene Gegenstände – mal große, mal kleine – werden mit den Lippen abgetastet und wie die Kuschelpuppe mit Speichel benetzt, damit sie zu unverwechselbaren Objekten der Beruhigung und Begierde werden.

Mit dem Mund saugt das Baby an der mütterlichen Brust, später an der Milchflasche. Der Hautkontakt, das liebevolle Streicheln gibt dem Kind das Gefühl der Geborgenheit, des Gehaltenwerdens, des Aufgehobenseins. Das Baby wird gebadet, gewickelt, eingecremt. Arme und Beine, Brust und Rücken, der Po, die Scheide oder der Penis werden vorsichtig berührt, vielleicht liebkost, alles begleitet von einem elterlichen Lächeln. Das Kind fühlt sich wohl, mit seinem ganzen Körper angenommen. Es entspannt sich, lässt sich fallen, lächelt zurück, will immer mehr in unendlichen Wiederholungen. Alle Lust will Ewigkeit.

Fehlt die körperliche Berührung, erlebt das Kind keine Zärtlichkeit, kann es das als Ablehnung, Abneigung oder unpersönliche Distanz deuten. Nur über den Hautkontakt erfährt der Säugling Liebe, Nähe und Zuneigung. Die Wärme kann durchaus stimulierend sein. Mancher Junge bekommt eine Erektion. Doch ist solch «reflexhafte sexuelle Reaktion» – so die Psychologin Bettina Schuhrke – allerdings schon im vorgeburtlichen Zustand zu beobachten.

 

«Als Jonas etwa drei Monate alt war, hat der mit einem Mal einen steifen Penis», erzählt eine Mutter. «Ich war ziemlich irritiert. Ich dachte, was das denn zu bedeuten habe? Und als mein Mann das sah, lachte der nur. Das ginge bei dem ja schon früh los. Aber im Grunde genommen war der genauso irritiert wie ich!» «Als ich das mal einer Freundin erzählte, dass Arne mit zwei Monaten schon einen kleinen Ständer hatte», erinnert sich eine andere Mutter, «da sagte meine Schwiegermutter, ich solle einen kalten Waschlappen drauf legen, dann würde das schnell vergehen!»

«Reflexhafte sexuelle Reaktionen» sind Zeichen für eine normale emotionale und körperliche Entwicklung, in der sich das Kind wohl fühlt.

 

Erektionen haben nichts mit sexuellem Begehren zu tun, sondern deuten auf drei ganz unterschiedliche Hintergründe hin:

Die Erektion, bei Mädchen ist es die feuchte Vagina oder die leicht gereizte Klitoris, kann darauf hinweisen, wie aufgehoben sich das Kind fühlt. Wenn diese sexuelle Regung unterbleibt, ist das aber noch längst kein Hinweis darauf, dass sich das Kind abgelehnt oder ungeliebt vorkommt.

Eine Erektion kann ganz vordergründig auf eine volle Harnblase oder ein dringendes Bedürfnis: «Ich muss mal!» hindeuten.

Schließlich haben Erektionen mit starken Muskelanspannungen zu tun, wie sie in Stresssituationen, bei gefühlsmäßigen Unsicherheiten oder physiologischer Unruhe auftreten. Solche Erektionen weisen darauf hin: «Ich habe Angst!» oder: «Ich fühle mich nicht wohl!»

Mitte des ersten Lebensjahres kommt es – vor allem bei Jungen – zu ersten, meist zufälligen Berührungen der Genitalien. Diese eher spielerischen Berührungen, die bei Mädchen etwas später beginnen, verändern sich um den zwölften Lebensmonat in eine durchaus bewusste, mit Absicht herbeigeführte Stimulation. Das Kind genießt dies – allerdings sollte man dann nicht von Selbstbefriedigung reden.

Das Berühren der Genitalien geht freilich mit Symptomen körperlicher Erregung einher: Die kleinen Kinder lächeln versonnen, die Haut rötet sich, viele fangen an zu schwitzen, das Gesicht weist eine lustvolle Mimik auf, und aus dem Mund ertönen wohlige Laute. Dabei überrascht viele Erwachsene die Heftigkeit, mit der sich die kleinen Kinder stimulieren. «Wie der seinen Penis in die Länge gezogen hat», schüttelt die Mutter des zweijährigen Jannik den Kopf, «also ich dachte, der reißt sich seinen Zipfel ab. Das tut doch weh, habe ich zu ihm gesagt, aber der hat nur gegrinst und ihn noch länger gezogen. Also ich weiß nicht! Das geht doch auch behutsamer!» «Meine Anna», lächelt die Mutter, «die hat ja keinen Penis, an dem sie zupfen kann, aber die ist nun knapp zwei, holt sich ihren Teddy, den presst sie zwischen die Schenkel und ab geht die Post: Sie schaukelt, sie schaukelt sich hoch, sie steigert sich da völlig rein! Knallrotes Gesicht, Schweißperlen auf der Stirn! Das kann man kaum glauben, wie die sich da reinschafft!» Ob nun Säuglinge oder kleine Kinder schon orgasmusfähig sind – wie der Sexualforscher Kinsey vermutet hat – oder ob die Selbststimulation dazu benutzt wird, einen als angenehm empfundenen Erregungszustand herzustellen, die Motive für die Selbstbefriedigung in diesem Alter sind ebenso vielschichtig wie vielfältig:

Die Masturbation dient dazu, auf eine selbst bestimmte Art und Weise lustvolle, intensiv erlebbare Gefühle herzustellen, sich an diesen Emotionen zu berauschen, sich in ihnen zu verlieren. «Wenn ich diese glasigen Augen meines Sohnes sehe, wenn er die Vorhaut hin- und herschiebt, dann wird mir angst und bange», berichtet die Mutter des zweijährigen Michael. «Der ist völlig unansprechbar!»

Manche Kinder befriedigen sich, um sich zu beruhigen, Spannungen abzuleiten, eine ausgeglichene physiologische Balance herzustellen. «Immer wenn mein Benjamin irgendwie besonders aufgeregt war», so beobachtet die Mutter ihren zweijährigen Buben, «dann zieht er sich zurück, spielt an seinem Penis und kommt wie verwandelt zurück.» «Genau, das bemerke ich auch», lächelt die Mutter der zweijährigen Tina. «Da ist sie wegen irgendetwas völlig aufgedreht, da nimmt sie sich ihr Kuscheltier, rubbelt darauf herum, wie verrückt, hin und her und her und hin. Sie atmet immer schneller, immer schneller. Mit einem Mal bricht sie ab, legt sich hin, Daumen in den Mund, und dann pennt sie plötzlich ein!»

Häufiges Onanieren kann aber – besonders ab dem dritten Lebensjahr, wenn es nicht in einem intimen Rahmen geschieht, sondern vor aller Augen und Ohren, ein Hinweis auf eine unbefriedigende, unausgeglichene, spannungsvolle und emotionale Lebenssituation sein. Das Kind macht dann durch sein öffentliches Handeln darauf aufmerksam.

Jungen befriedigen sich früher als Mädchen

«Am Penis zu ziehen oder ihn zu rollen», so Bettina Schuhrke, «mag für Jungen besonders stimulierend sein, für Mädchen ist es vor allem ein Hin- und Herschieben des Gewebes der Genitalregionen, das Reiben und das Ausüben von Druck.» Dabei kann man im Masturbationsverhalten durch Erziehung bedingte Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen festmachen. Jungen greifen ihren Penis früher an als Mädchen ihre Klitoris. Buben entdecken ihr Glied schneller als ein Körperteil, mit dem man sich selber Lust bereiten kann. Mädchen weisen demgegenüber häufiger – wie die Sexualwissenschaftlerin Stein-Hilbers formuliert – ein «indirektes Stimulationsverhalten» auf. Sie benutzen Puppen oder Stofftiere, sie nehmen Gegenstände zwischen die Oberschenkel und pressen diese zusammen. Während die Jungen ihren Penis unmittelbar berühren, stimulieren Mädchen ihre Klitoris weniger direkt. Sie bleibt als wichtiger Punkt sexueller Empfindungen für viele Mädchen ebenso unklar wie unbenannt.

Während für die Jungen der Penis für Lust und «gute» Gefühle steht, bleibt die Klitoris für die Mädchen – im wahrsten Sinne des Wortes – unbegriffen. Mädchen erfahren manches über die Vagina, ihre Scheide – alles andere wird häufig nicht oder nur diffus angesprochen. So kommt es nicht von ungefähr, wenn es umgangssprachlich viele Bezeichnungen für die Geschlechtsteile von Jungen gibt, aber nur wenige für die von Mädchen. Und es fällt auf, dass es Erwachsenen oft leichter fällt, die Genitalien von Jungen zu benennen als jene von Mädchen.

Jungen fühlen sich mithin in ihrer Körperlichkeit – und dazu gehört nun einmal der Bereich «unterhalb der Gürtellinie» – mehr angenommen als viele Mädchen.

«Bei Jungen siehst du den steifen Penis», hat es einmal eine Mutter ausgedrückt, «aber die feuchte Vagina des Mädchens, die gereizte Klitoris, die merkst du einfach nicht?»

Sauberkeitserziehung – «Mein Kot und Harn gehören mir!»