Lauter starke Jungen - Jan-Uwe Rogge - E-Book

Lauter starke Jungen E-Book

Jan-Uwe Rogge

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Beschreibung

Das Standardwerk zum Thema Jungenerziehung! Wie erzieht man einen Jungen heute zu einer selbstbewussten und starken Persönlichkeit? Dieses Buch beschreibt die Situation, untersucht die Hintergründe und gibt Ratschläge für eine moderne Jungenerziehung am Beginn des 21. Jahrhunderts. Die alten Muster, wonach Jungen stark, körperorientert, raumeinnehmend, dominant zu sein haben, gelten nicht mehr - aber was tritt an die Stelle dieser Normen? In welche Konflikte geräte zum Beispiel ein Junge, der Gefühle und "weiche Seiten" zeigt, wo immer noch der Stärkste oder Coolste das Sagen hat? Das Buch hilft Eltern und Erziehern, sich in der Vielfalt von widerstreitenden Rollenbildern und Normen zu orientieren. Es ist sowohl Zustandsbeschreibung als auch Ratgeber.

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Seitenzahl: 251

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Jan-Uwe Rogge • Bettina Mähler

Lauter starke Jungen

Ein Buch für Eltern

 

 

 

Über dieses Buch

Das Standardwerk zum Thema Jungenerziehung!

 

Wie erzieht man einen Jungen heute zu einer selbstbewussten und starken Persönlichkeit? Dieses Buch beschreibt die Situation, untersucht die Hintergründe und gibt Ratschläge für eine moderne Jungenerziehung am Beginn des 21. Jahrhunderts. Die alten Muster, wonach Jungen stark, körperorientiert, raumeinnehmend, dominant zu sein haben, gelten nicht mehr – aber was tritt an die Stelle dieser Normen? In welche Konflikte gerät zum Beispiel ein Junge, der Gefühle und «weiche Seiten» zeigt, wo immer noch der Stärkste oder Coolste das Sagen hat? Das Buch hilft Eltern und Erziehern, sich in der Vielfalt von widerstreitenden Rollenbildern und Normen zu orientieren. Es ist sowohl Zustandsbeschreibung als auch Ratgeber.

Vita

Jan-Uwe Rogge gilt als Deutschlands erfolgreichster Erziehungsexperte. Er ist Familien- und Kommunikationsberater sowie Buchautor. Seit Jahrzehnten liefert er Antworten auf Fragen, die Eltern bewegen. Er hält Vorträge und führt Seminare im In- und Ausland durch. Seine Bücher sind Klassiker der Elternliteratur und Bestseller, sie wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Er ist als Experte regelmäßiger Gast in zahlreichen Rundfunk- und Fernsehsendungen. Rogge lebt in der Nähe von Hamburg.

 

Bettina Mähler, Jahrgang 1961, Erziehungsberaterin und Autorin. Sie ist verheiratet, Mutter von zwei Söhnen und lebt in Gelnhausen bei Frankfurt.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2024

Copyright © 2002 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung sonyae/Crestock/Masterfile

ISBN 978-3-644-01349-0

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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Dieses E-Book entspricht den Vorgaben des W3C-Standards EPUB Accessibility 1.1 und den darin enthaltenen Regeln von WCAG, Level AA (hohes Niveau an Barrierefreiheit). Die Publikation ist durch Features wie Table of Contents (Inhaltsverzeichnis), Landmarks (Navigationspunkte) und semantische Content-Struktur zugänglich aufgebaut. Sind im E-Book Abbildungen enthalten, sind diese über Bildbeschreibungen zugänglich.

 

 

www.rowohlt.de

Vorwort

Die Mutter von Nadja und Maximilian (zehn und acht Jahre) berichtet, dass sie Kinder brauchen Grenzen nochmals ganz genau studiert und dabei bemerkt habe, es gebe im Grunde keine entscheidenden Unterschiede im Verhalten von Mädchen und Jungen. Nur beim Thema Aggressionen tauchten ausschließlich Jungennamen auf. Sie halte das nicht für Zufall. «Diese Wutausbrüche von Max machen mir schon Probleme. So ein Theater gab es mit Nadja nicht.»

Ähnlich äußern sich viele Eltern. In Briefen, auf Elternseminaren und in der Familienberatung wird dann auch oftmals der Wunsch nach einem Buch über die Erziehung von Jungen laut, denn, so eine Mutter in einer Mischung aus Selbstzweifeln, Ohnmacht und Resignation: «Drei Mädchen habe ich großgezogen, aber mein Sohn lässt mich verdammt alt aussehen. Der provoziert und fordert mich, wo er nur kann!»

Dieses Buch soll also dem oft artikulierten Bedürfnis von Eltern nachkommen, Begleitung bei der Erziehung ihrer Söhne zu erhalten. Uns fiel das deshalb leicht, weil wir selbst Jungen ins Leben begleitet haben bzw. begleiten: Jan-Uwe Rogge hat einen erwachsenen Sohn, Bettina Mähler ist täglich mit zwei Söhnen gefordert.

Die eigenen Erfahrungen sind in diesem Buch wichtig: Wir wollten keine abstrakte pädagogische Abhandlung über Jungen vorlegen oder die Eltern mit unerbetenen Ratschlägen voll stopfen.

Wer Jungen ins Leben begleitet, tut gut daran, sie nicht als Sorgenkinder, als benachteiligtes Geschlecht zu beweinen, wie es zurzeit gerade «in» ist. Wir stimmen nicht in das Klagelied ein. Denn Jungen brauchen kein Mitleid. So eine Haltung nimmt sie nicht ernst.

Jungen wollen Mitgefühl, sie wollen so angenommen sein, wie sie sind, sie wollen Halt, sie fordern Orientierung, sie erkämpfen sich Freiheiten, aber sie wollen auch in die Verantwortung genommen werden, wenn sie Absprachen missachten, Grenzen übertreten und Regeln verletzen.

Es gibt weniger «geschlechtsspezifische» Unterschiede, als man meint. Zweifelsohne gibt es typische Verhaltensweisen von Jungen und Mädchen, aber viele zu beobachtende Unterschiede sind eher das Ergebnis von (elterlicher) Zuschreibung als ein Ausdruck biologischer Voraussetzungen.

Deshalb bietet unser Buch nicht nur Tipps für den Alltag an, sondern es vermittelt auch einen Einblick darin, wie durch mütterliche oder väterliche Zuschreibungen eine «typische» Verhaltensweise erst entsteht.

Besonderen Wert haben wir darauf gelegt, die körperlichen und seelischen Entwicklungsetappen von Jungen zu beschreiben, denn Gespräche mit Eltern zeigten immer wieder, wie lückenhaft das Wissen über die Entwicklung von Jungen ist. So wollen wir die Handlungssicherheit im pädagogischen Alltag verstärken.

Denn Probleme, die im Umgang mit Jungen entstehen, liegen eben nicht allein in den Erziehungsfehlern begründet, häufiger drücken sich so die heftigen Entwicklungsschübe aus, die Jungen durchmachen. Die Kenntnis solcher Zusammenhänge sollte zu mehr Ruhe und Gelassenheit beitragen, auch wenn Stürme die Eltern-Sohn-Beziehung schier unerträglich werden lassen.

Jungen ins Leben zu begleiten heißt von ihnen zu lernen – von ihrer Intuition, ihrer Spontaneität und ihrer Fähigkeit, ständig für Überraschungen gut zu sein.

Starke Jungen brauchen starke Eltern, starke Eltern brauchen Phantasie, Einfühlungsvermögen, Klarheit und häufig gute Nerven. In diesem Sinne: Wir wünschen viel Spaß mit starken Jungen!

KAPITEL 1Sichtweisen – Väter und Mütter über ihre Söhne

«Ein richtiger Junge» – damit verbindet jeder von uns Vorstellungen. Tapfer, selbstbeherrscht, durchsetzungsfähig, laut und wild zum Beispiel. Die kindliche Entsprechung zum Macho also. Wenn Eltern erfahren, welches Geschlecht ihr Kind haben wird, stellen sich diese Vorstellungen wie automatisch ein. Gemischt mit anderen Bildern allerdings von sensiblen, sanften, kooperationsfähigen Söhnen. Entsprechend ist die Erwartungshaltung vieler Eltern an ihre Jungen: Sie sollen gleichzeitig den traditionellen wie den neuen Vorstellungen entsprechen. Das ist ein Dilemma für die Eltern und für die Söhne. Die einen müssen einen Erziehungsspagat, die anderen einen Verhaltensspagat machen. Oder lassen sich die verschiedenen Vorstellungen doch verbinden? Gibt es so etwas wie einen «neuen Jungen»? Und wünschen sich tatsächlich alle Eltern ein solches Kind? Oder ist ihnen vielleicht doch immer noch der Bengel lieber, der mit dem Kopf durch die Wand geht? Oder wollen sie vielleicht lieber ein Mädchen?

Junge oder Mädchen?

Die meisten Eltern haben kein Wunschgeschlecht. Das sagen sie jedenfalls selbst und behaupten Wissenschaftler. Doch diese Aussage trifft nicht für alle Mütter und Väter zu. So stellte eine Untersuchung der Universität Rostock im Jahr 2000fest, dass in westlichen Gesellschaften wie der unseren Eltern heute Mädchen vorziehen («Girls Preferred», Brockmann, 1999, S. 23). Denn diese unterstützen ihre Väter und Mütter im Alter besser als Jungen, und zwar sowohl finanziell (das war einmal anders) als auch praktisch. Und es gibt eine ganze Reihe von Müttern, die sich einfach nicht vorstellen können, mit einem Jungen zurechtzukommen. Wobei sie keineswegs an die Zukunft im Pensionsalter denken, sondern vielmehr an die konkrete Familiengegenwart: «Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, einen engen Bezug zu einem Jungen zu haben», erzählt Monika Dabs, Mutter eines Sohnes. «Ich hatte mir auch keine Gedanken über die Erziehung eines Jungen gemacht, sondern nur über die von Mädchen.»

Auch ihr Mann wollte ein Mädchen, er meinte, Mädchen seien netter, nicht so laut und wild. «Für mich kommt noch hinzu», so Monika Dabs, «dass ich ja nicht als Junge großgeworden bin und meinem Sohn nicht vorleben kann, dass ein Junge eben auch ein netter Mensch sein kann und nicht immer nur rumbrüllen und rummotzen muss.»

Manuela Richter sieht es ähnlich: «Ich wollte gerne mit einem kleinen Mädchen noch einmal Mädchen sein dürfen, eben als Mutter. Ich war nämlich gern ein Mädchen. Bei einem meiner Söhne habe ich heute das Gefühl, er bewohnt einen ganz anderen Planeten. Er hat eine gänzlich andere Wahrnehmung der Welt und geht anders an sie heran. Eben von einem technischen Standpunkt aus. Dieses Bewegungsbedürfnis und diese Machtkämpfe sind mir einfach fremd. Ich kann mich erinnern, dass ich das schon als Kind nicht verstanden habe. Ich habe mich immer gefragt: Warum machen die Jungs das? Warum stören die? Warum müssen die sich kloppen? So wie ich es mich heute wieder frage.»

Mütter und Söhne leben auf anderen Planeten

Viele Mütter haben es schwerer mit Jungen als Väter. Ihre Interessen, ihre Neigungen decken sich oft nicht mit denen der Jungen. Auf die Frage, was sie mit ihrem Sohn Niklas mache, antwortet Trauti Mann etwas traurig: «Ich mache fast gar nichts mit ihm. Ich war immer der Part fürs Vorlesen, fürs Basteln und Spielen, aber das mag er gar nicht mehr.» Diese Entwicklung ist umso erstaunlicher, als Trauti Mann bei der Geburt von Niklas das Gefühl hatte, dass sie eine gute Jungenmutter sein würde. Denn sie selber war überhaupt kein typisches Mädchen. Außerdem ist sie Grundschullehrerin und mit der Welt der Jungen sehr vertraut. Und jetzt hat sie das Gefühl, ihrem Sohn nur noch beim Fahrradfahren und Inlineskaten nah zu sein. Vertrauliche Gespräche führt der neunjährige Sohn seit geraumer Zeit nur noch mit dem Vater.

Trauti Mann ist nicht die einzige Mutter, die das Zusammensein mit ihrem Sohn so empfindet. Die amerikanische Psychologin Evelyn S. Bassoff hat festgestellt: Für Frauen ist die Erziehung eines Sohnes eine «schwierige mütterliche Anstrengung», sie verlangt «praktizierten Respekt», das bedeutet, sich in einen Sohn hineinzuversetzen. Denn «zwischen Müttern und Söhnen gibt es keine Gleichheit, sondern vielmehr ein Gefühl der Andersartigkeit» (Bassoff, 1997, S. 13).

Am Anfang ist große Nähe

So wie bei Familie Mann erleben viele Mütter ihre Söhne. Dabei ist dieses Fremdheitsgefühl keineswegs schon beim Neugeborenen da. Es ist das Ende eines langen Prozesses, den die Beteiligten zunächst gar nicht wahrnehmen. Denn die meisten Familien stellen bei der Geburt ihrer Kinder keine Verhaltensunterschiede zwischen Mädchen und Jungen fest.

Ganz im Gegenteil stehen viele Eltern heute auf dem Standpunkt, dass eine Reihe von Aspekten der Jungen- und Mädchenrolle anerzogen sind. Auch wenn sie sich durchaus eingestehen, dass nicht wenige Charaktereigenschaften angeboren sind. Trauti Mann ist etwa keineswegs immer der Meinung, dass die Verständnisbarriere zwischen ihr und ihrem Sohn durch die Geschlechterrollen entsteht: «Ich denke, ich verstehe ihn manchmal deshalb nicht, weil er ein Kind ist. Weil Kinder anders denken als Erwachsene. Und nicht, weil er ein Junge ist.»

Wer spielt womit?

Dass Jungen und Mädchen sich spätestens ab dem Grundschulalter verschieden verhalten und vor allem verschieden spielen, das gestehen sich allerdings fast alle Eltern ein. Aber wann genau beginnen diese Unterschiede? Bei einigen Jungen schon sehr früh, auffälligerweise bei denjenigen, die sich später sehr jungenhaft verhalten, eher geschlechtstypische Interessen zeigen. Niklas Mann gehört dazu. Schon mit einem Dreivierteljahr interessierte er sich sehr für Autos, obwohl ihm die Eltern sowohl typisches Mädchen- als auch typisches Jungenspielzeug angeboten haben. «Mit Puppen wollte er erst gar nicht spielen», erinnert sich Trauti Mann. Auch Manuela Richters Sohn Lukas widmete sich ausschließlich typisch Männlichem. «Für ihn war alles Technische vom Krabbelalter an interessant», berichtet sein Vater Hans. «Er hatte zwar eine Puppenstube, aber da fand er eigentlich nur das An- und Ausknipsen des Lichts spannend.»

Nicht immer ist das Interesse für das herkömmlich Jungen zugeordnete Spielzeug so früh vorhanden. Die meisten Jungen und Mädchen entscheiden sich in einem Alter zwischen einem und drei Jahren zunehmend häufiger für geschlechtstypisches Spielzeug.

Familie Widmayer hat, so sind sich beide Elternteile sicher, ihren Sohn und ihre Tochter immer gleich erzogen. Aber die Eltern bemerkten natürlich die sich auseinander entwickelnden Interessen. Deshalb haben sie, als Manuel eineinhalb und Vanessa drei Jahre alt waren, «ein Exempel statuiert. Es war Weihnachten, und wir haben unserer Tochter eine Eisenbahn und unserem Sohn Puppen geschenkt. Das taten wir bewusst. Dieses Spiel haben sie etwa eine halbe Stunde mitgemacht. Dann sind sie in eine Ecke gegangen und haben getauscht. Und die Sache war in Ordnung.»

Nicht alle Eltern reagieren so, vor allem nicht die Väter. Während Mütter heute oft begeistert sind, wenn ihre Mädchen Puppen bekochen und anschließend ein Autorennen auf dem Verkehrsteppich absolvieren, ist das bei den Vätern keineswegs so. Sie lehnen es häufig heftig ab, wenn ihre Söhne mit Mädchenspielzeug spielen. Gleichzeitig unterstützen diese Väter bei ihren Mädchen die Frauenrolle mehr und freuen sich, wenn diese mit hübschen Kleidchen und adretten Frisuren herumlaufen.

Raufen und Toben ist was für Jungs

Familie Becker hat zwei Mädchen, Marion und Selina, und zwei Jungen, Paul und Klaus, im Alter von 5 bis 19. Petra Becker konnte sehr gut beobachten, wie sich die Spielweisen der Kinder entwickelten, und zwar ohne dass sie die Kinder bewusst beeinflusst hat: «Bis zum Alter von zwei Jahren ließ sich mein Sohn Paul noch Puppen schenken, denn er spielte gern damit. Bis zu diesem Alter haben sich alle so verhalten, ob Paul, Selina oder Klaus, alle wollten mitkochen, mitbacken, Wäsche aufhängen. Alles, was Mama machte, war interessant. Doch noch vor dem Kindergarten fingen sie an, sich andere Spielsachen auszusuchen. Die Mädchen blieben weiterhin in dieser Rolle als Mutter und Hausfrau – ob Puppen oder Stofftiere, irgendetwas wurde versorgt. Und die Jungen hatten eigentlich gar kein Spielzeug mehr. Die tobten, kämpften. Alle Bewegungsspiele standen hoch im Kurs, mit Bällen, Fußball, Federball, egal was. Während Selina z.B. eine Stunde ihre Puppe mit dem Arztkoffer versorgt hat, ist Klaus eine Stunde Fahrrad gefahren. Also immer Bewegung, Bewegung, Bewegung. Und sobald sie zu zweit waren, begannen die Kämpfereien. Klaus kämpfte vor allem mit Paul, mit dem Größeren, der hat meist damit angefangen.»

Beide Jungen der Familie Becker sind außerhalb des Familienverbandes eher zurückhaltend und gehen Konflikten aus dem Weg. Dennoch lieben sie Waffenspiele, «egal, ob sie nun eine Pistole oder ein Gewehr zur Hand haben oder nicht, sonst wird ein Stock genommen. Dieses Räuber-und-Gendarm-Spielen hält sich unheimlich lang. Waffen sind einfach total faszinierend für sie. Nicht, dass sie sich dabei wirklich wehtun. Die Mädchen machen zwar mit, aber wenn nur Mädchen da sind, dann spielen sie etwas anderes.» Die Familie besitzt ein so genanntes Tobezimmer – in dem die Mädchen Familie oder Zirkus spielen. Und die Jungen? «Die sind kaum drin, da schmeißt sich einer in die Ecke: ‹Ich bin getroffen!› Und die Mädchen schmeißen sich hin, weil sie beim Zirkus-Spielen vom Pferd gefallen sind.»

Konfliktverhalten

Jungen sind für Mütter vor allem in einem Punkt ein Rätsel: beim Konfliktverhalten. Denn Jungen produzieren mehr Konflikte und vor allem lösen sie sie anders als Mädchen. Jungen sind in Streitigkeiten meist laut, und häufig führen sie sie auch unter heftigem körperlichem Einsatz, also mit Treten und Schlagen. Frauen – als großgewordene Mädchen – verstehen dieses Konfliktverhalten schlichtweg nicht.

Der Grund für die vielen Konflikte ist einfach: Zum Spielverhalten der Jungen gehören Rivalisieren und Kräftemessen genauso dazu wie bei Mädchen der Versuch, Unstimmigkeiten zu vermeiden bzw. sie nicht eskalieren zu lassen. Konflikte, auch körperliche, sind für Jungen selbstverständlich. Vieles, was Mädchen und Frauen als Streit empfinden, ist für Jungen gar keiner.

«Ich empfinde diese permanenten Attacken auf den anderen und dieses ständige Ich-weiß-alles-besser als große Belastung unseres Familienlebens», gesteht Manuela Richter, Mutter von zwei Söhnen. «Auch mit mir streiten sie so viel. Und ich weiß überhaupt nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich war als Mädchen total anders.» Für Mütter bedeuten diese Konflikte ein großes Dilemma: Sie müssen akzeptieren lernen, dass Streitereien zwischen und mit ihren Söhnen mehr zu ihrem Leben gehören, als sie das aus ihrer Kindheit gewöhnt sind. Und sie müssen gleichzeitig als Schiedsrichterin auftreten, sowohl bei den Konflikten zwischen den Kindern als auch zwischen sich und den Söhnen.

Das ist schwierig, wenn man viele der Streitereien von vornherein als unsinnig ansieht – weil man als Mutter eher mädchenhaft Aggressionen vermeiden will. So wie Manuela Richter: «Für mich ist Zusammenleben der Versuch, harmonisch miteinander umzugehen. Aber meine Jungs sehen das ganz anders, die brauchen die ständigen Streitereien. Seit die beiden auf der Welt sind, muss ich mich deshalb dauernd streiten. Ich will das aber gar nicht.»

Es fällt auch deshalb schwer, weil Jungen sich so viel eher verletzen – obwohl Mädchen genauso häufig streiten. Denn Mädchen dürfen heute ihre Konkurrenzgefühle genauso ausleben wie Jungen – aber sie tun es tatsächlich eher mit Worten statt mit Fäusten. «Mein großer Sohn hat ein vollständig verkratztes Gesicht», berichtet Marion Schüler, «und zwar von dem Kleinen, der sich so gegen den Großen durchsetzt. Ich habe mich mit meiner Schwester früher auch dauernd gestritten, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir uns ernsthaft wehgetan hätten.»

Die vielen Streitigkeiten zwischen Jungen sind für Mütter vor allem aufgrund der Heftigkeit, mit der sie ausgetragen werden, unverständlich. Ob Junge oder Mädchen, Kinder heute dürfen und sollen selbstbewusster auftreten als wir, ihre Eltern. Das heißt, Kinder heute wagen auch eher den Konflikt mit den Eltern. «Entweder versucht man, sie zu selbständigen Menschen zu erziehen», meint der Familienvater Joachim Schlichte dazu, «dann ist die Opposition größer. Oder man erzieht sie zu Duckmäusern, dann ist die Opposition geringer. Wenn das Kind keine Opposition lernt, wird es auch nie in Opposition gehen können. Ich weiß aber nicht, inwieweit das im Kind angelegt ist.»

Joachim Schlichte spricht hier einen entscheidenden Punkt an: Denn es gibt neben dem selbstbewussten Verhalten, das Eltern als Widerstand wahrnehmen, noch das so genannte oppositionelle Verhalten. Gemeint ist damit etwas anderes als selbstbewusstes Auftreten. «Mein Sohn hält sich nicht an Grenzen. Er akzeptiert sie einfach nicht. Verbote sind für ihn Herausforderungen», erklärt Susanne Maurer. Und sie nennt ein Beispiel: «Ein rotes Band um eine Baugrube heißt für ihn nicht ‹Stopp›, sondern: ‹Spring rein!›» Dann kommen Eltern, Kindergärtnerinnen und Lehrer an ihre Grenzen. Denn diese Kinder passen sich in kein Regelsystem ein. Und davon sind, unabhängig von der Erziehung, wesentlich mehr Jungen betroffen als Mädchen.

Mädchenmütter

Beim Thema Mädchenmütter verdrehen viele Jungenmütter die Augen. Denn fast alle haben die Erfahrung gemacht, dass die Mütter von Mädchen den Kontakt ihrer Töchter zu Jungen nicht wünschen. Manuela Richters Sohn Julian ist das gleich zweimal passiert. Das erste Mal im Kindergarten. Der Kinderarzt stellte fest, das Julian eine extrem gute Körperkoordination hatte. Er riet zu Ballett, als er hörte, dass Julian gerne mit Mädchen spielte. Julian war begeistert. «Kann die Katharina mitgehen?», fragte er seine Mutter. Sie sprach mit der Mutter von Katharina, Julians Freundin. Klar, war die Antwort.

Und als der große Tag des ersten Unterrichts kam, da gab es plötzlich ein anderes Mädchen aus Julians Kindergarten, mit dem Katharina hinfuhr und anschließend spielte. Die Mutter wehrte auch jeden weiteren Kontakt von Julian und Katharina ab.Julian war tief gekränkt und ging nie wieder ins Ballett. Als Julian in die erste Klasse kam, war da wiederum ein Mädchen, für das er sich interessierte. «Das ist aber merkwürdig, dass meine Tochter mit Ihrem Sohn spielen will», reagierte die Mutter des Mädchens abwehrend, als Manuela Richter dort anrief. Nur einmal ging Julian zu seiner neuen Freundin, zu einem Gegenbesuch kam es nicht. «Keine Lust», war die lapidare Entschuldigung, «sie will halt nicht.» Wer hier nicht wollte, war eindeutig.

Mädchenmütter haben große Schwierigkeiten mit Jungen. Sie sind oft befremdet von ihrem Bewegungsbedürfnis. Und das, obwohl sich die meisten Jungen, wenn sie mit Mädchen zusammen sind, fast vollständig an die Bedürfnisse der Mädchen anpassen können. Doch eben nur fast. Nur in Ausnahmefällen gelingt es wohl, sich gegen diese Vorurteile durchzusetzen. Moritz und Daniel Bierbaum haben beide Freundinnen, deren Eltern es für selbstverständlich halten, dass ihre Mädchen mit Jungen spielen. Joachim Schlichte rätselt über die Gründe, warum das in seiner Familie so anders funktioniert als in den meisten. Vielleicht, vermutet er, liege es daran, dass es seine zweite Ehe und er wesentlich älter sei als die meisten Mütter, mit denen er zusammentreffe: «Eine dreiundzwanzigjährige Mutter wird sich kaum trauen, mir – einem vierundfünfzigjährigen Vater – zu sagen: ‹Das ist aber komisch, dass dein Moritz mit Mädchen spielt.›» Außerdem stellt Joachim Schlichte fest, «dass meine Söhne mit den Kindern etwas anfangen können, mit deren Eltern wir Erwachsenen gut zurechtkommen. Und die wiederum zähle ich zu denjenigen, die es für ganz normal halten, wenn ein Mädchen mit einem Jungen spielt.»

Bei Familie Schlichte ist es übrigens der Vater, der die Kinder betreut. Sicher sind es vor allem die unkonventionelleren Familien, die wiederum mit dieser Familie Kontakt haben. Denn als selbstverständlich gelten Hausmänner ja auch heutzutage noch nicht. Offensichtlich bedarf es viel Toleranz gegenüber selteneren Lebensformen, die es Jungen und Mädchen ermöglicht, sich nicht im Normbereich zu bewegen.

Die Wissenschaft hat festgestellt …

Eleanor Maccoby, die «Mutter» aller Geschlechterfragenforschung, fand heraus, dass Jungen und Mädchen ab dem dritten Lebensjahr nicht nur mit verschiedenen Dingen spielen, sondern sich auch Spielpartner mit dem gleichen Geschlecht suchen. Sie stellte auch fest, warum das so ist: Jungen haben einen größeren Energieumsatz als Mädchen und müssen sich mehr bewegen. Gleichzeitig beginnen sie ab dem dritten Lebensjahr, sich für spielerische Aggression, also Kämpfen und Toben, zu begeistern. Haben Jungen die Wahl, ruhig oder eben tobend zu spielen, entscheiden sie sich immer für das Toben. Sie werden magisch davon angezogen. Die Mädchen wiederum werden davon abgestoßen. Dieser Prozess verstärkt sich mit zunehmendem Alter, sodass die Kinder immer mehr Zeit mit gleichgeschlechtlichen Freunden verbringen (vgl. Maccoby, 2000, S. 129ff.).

Kindergartenkinder wollen Junge oder Mädchen sein

Im Kindergartenalter spätestens, das berichten Eltern übereinstimmend, verhalten sich die Jungen wie Jungen. Also laut, tobend, rivalisierend, zumindest wenn man dem Klischee glaubt. Sie sind am liebsten draußen, spielen mit Bällen oder schieben Autos über ihren Verkehrsteppich.

Doch sind eben nicht alle Kinder so. Es gibt auch Jungen, die noch mit drei, vier und fünf Jahren mit Puppen spielen, im Kindergarten in der Kochecke stehen oder gar lieber ein Mädchen sein wollen. «Jan hat liebend gern gekocht», berichtet seine Mutter Petra Friedrich. «Er wollte auch zu Hause Kleider anziehen. Er sagte immer: ‹Mädchen sind so hübsch.›» Jan betrachtete gern Bilderbücher oder beschäftigte sich mit Gesellschaftsspielen. In seiner Kindergartengruppe gab es aber keinen Jungen, der sich auch dafür interessierte. «Und ansonsten waren da nur zwei Mädchen, von denen zwar eines eine Weile mit ihm gespielt hat, aber zu denen hat er leider keinen dauerhafteren Kontakt gefunden», erinnert sich die Mutter. «Das war furchtbar für ihn, er war total allein. So allein, dass er lange jeden Morgen heulte, wenn ich ihn in den Kindergarten brachte. Ich habe dann einen anderen Kindergarten für ihn gesucht. Dort kam er in eine Gruppe mit ganz vielen Mädchen. Er war dort vom ersten Tag an froh.»

Kinder wie Jan haben es heute leichter als früher. Noch unsere Mütter hätten ihn als zu weich, Heulsuse, Weichei oder Ähnliches bezeichnet. Ein Junge durfte nicht weinen – und lieber mit Mädchen in der Kochecke stehen schon gar nicht. Heute darf er nach all dem verlangen. Allerdings wird er Schwierigkeiten haben, einen Jungen als Freund zu finden. So war es auch bei Jan. Denn die meisten anderen Jungen verhalten sich eben nicht so «mädchenhaft».

Sie halten sich kaum in der Koch- und Puppenecke auf, sie haben noch wenig Interesse an Gesellschaftsspielen, sie sind es, die im Sitzkreis stören, sie haben eher wenig Freude am Malen und Basteln. Wie zu Hause lieben sie alle Spiele, die mit Bewegung einhergehen.

Die Trennung der Geschlechter erfolgt langsam, dreijährige Mädchen und Jungen finden häufig noch zusammen. Bei den Vier- und Fünfjährigen geht der Prozess schleichend weiter, die Vorschulkinder dann spielen meist nach Geschlechtern sortiert. Viele Kindergärtnerinnen unterstützen diese Trennung, klagen einige Eltern. Latife Birenheide meint dazu: «Eine Gruppe von Mädchen ist eben viel leichter zu betreuen als eine Gruppe von Jungen, Mädchen sitzen halt da und machen diese Bastei- und Malarbeiten, die Jungen toben herum.» Und leider ist immer noch nicht überall selbstverständlich, die Jungen dann mit an den Maltisch zu setzen.

«Jungenhaft» und «mädchenhaft»

Eleanor Maccoby beschreibt exakt, was «jungenhaft» und «mädchenhaft» bedeutet. Ihre Erläuterungen treffen auf Kinder ab dem Kindergartenalter zu (vgl. Maccoby, 2000, S. 62ff.):

Jungen legen vor allem Wert auf gemeinsame Aktivitäten wie Bauen oder Toben. Soziale Kontakte sind Nebensache. Bei Mädchen dagegen steht der «Gleichklang der Persönlichkeiten» im Vordergrund, d.h. das harmonische Spielen.

Jungen führen einen «einstimmigen Diskurs», d.h., sie beharren beim Gespräch auf ihrer Meinung, Mädchen führen einen «zweistimmigen Diskurs», d.h., sie versuchen, ein Gespräch gleichberechtigt in Gang zu halten.

Jungen finden es großartig – vor allem in Gruppen–, Regelverstöße zu begehen, Mädchen machen eher selten Verbotenes.

Jungen lieben den Wettstreit, auch gegen andere Gruppen, Mädchen wollen ohne Konkurrenz ihren Interessen nachgehen.

Jungen wollen ihren Status in der Gruppe suchen und finden. Mädchen betonen eher die Gleichberechtigung.

Jungen spielen gerne sowohl zu zweit als auch in Gruppen, Mädchen lieber nur mit einem anderen Mädchen.

Jungen sind laut, raufen gern, Mädchen hassen das.

So weit, so gut. Jedem aufmerksamen Beobachter von Jungen und Mädchen ist es klar, dass diese Stereotype heute keineswegs mehr für alle Jungen so eindeutig zutreffen. Da gibt es z.B. die Jungen, die gerne dem traditionellen Bild eines «richtigen Jungen» entsprächen, aber es von ihrer Veranlagung her nicht sind. Sie werden deshalb von ihrer Umwelt dafür missachtet.

Barbara Manns Sohn David ging es so. «Andere Jungs waren motorisch häufig sehr viel weiter als er», erzählt sie. «David war immer sehr ängstlich. Er hat sich nicht so schnell auf ein Dreirad getraut. Und auch nicht auf ein Fahrrad. Er ist auch nicht irgendwo raufgekrabbelt und dann runtergefallen, sondern er hat einfach nur beobachtet. Und erst wenn er dachte, er kann das wirklich, hat er es auch gemacht. Das ist bei anderen Jungen nicht so. In großen Gruppen hat er sich nie wohl gefühlt. Er stand oft daneben.» Was für Erwachsene kein Problem darstellt, nämlich etwas nicht zu beherrschen (dann suchen sie sich eben etwas anderes), ist für Jungen schwierig, weil sie sich untereinander ständig messen.

Es gibt aber auch Jungen, die nicht dem Klischee entsprechend leben und gut damit zurechtkommen. Bei ihnen müssen allerdings zwei Faktoren Zusammentreffen: So müssen sich diese Jungen für traditionell Weibliches interessieren. Und ihr Umfeld muss es zulassen, dass sie Mädchenhaftes tun. Dazu gehört nicht nur die eigene Familie, dazu zählen auch andere.

Bei Familie Schlichte, von der schon die Rede war, trifft das zu. Moritz und Daniel leben alle Facetten des Kinderseins aus, auch die weiblichen. Moritz spielt leidenschaftlich mit Barbie-Puppen, während Daniel den Autoteppich mit Bussen und Straßenbahnen vorzieht. Moritz liebt ruhigere Tätigkeiten und ist verletzlicher, Daniel liebt Bewegungsspiele und Gruppenaktivitäten und ist unempfindlicher. Moritz geht reiten und widmet sich am liebsten einem Kind, vorzugsweise einem Mädchen, während Daniel begeisterter Fußballer ist und gern sowohl zu zweit als auch in Gruppen spielt – und zwar am liebsten mit anderen Jungs. Oder eben mit Mädchen, zu denen man früher gesagt hätte: An denen ist ein Junge verloren gegangen. Glücklicherweise gibt es heute zunehmend mehr davon.

Jungen unter sich

Für Jungen werden im Grundschulalter andere Jungen wichtig. Es ist auch die Zeit, in der erste richtige, über Jahre dauernde Freundschaften entstehen. Was nun unterscheidet die Mädchenfreundschaften von den Jungenfreundschaften in diesen Jahren?

«Das ist das Alter, in dem Jungen dauernd nur angeben», meint eine Mutter dazu und rollt die Augen. Tatsächlich gehen Jungen anders miteinander um als Mädchen. Wer weiß am meisten? Wer hat am meisten Sammelbildchen? Wer ist am größten? Wer hat die besten Schulnoten? sind dominierende Fragen. Jungen wetteifern eigentlich ständig miteinander – »wobei Mädchen in diesem Punkt gewaltig aufholen», meint Tobias Michel, Vater der neunjährigen Katharina, «insbesondere was die Schulleistungen betrifft». Für Eltern hat das manchmal den Anschein, als seien die Jungenfreundschaften nicht so intensiv und nah wie die Mädchenfreundschaften. Denn während die Mädchen eher ruhige, von Sprache dominierte Spiele miteinander machen und vor allem ihre harmonische Beziehung im Vordergrund steht, agieren die Jungen miteinander. Dabei ist das Interesse an einer Sache dominant, nicht die Person. Jungen brauchen andere Jungen, um mit ihnen zu toben, wettzueifern. Sie hegen auch keine bösen Gefühle, wenn sie etwa sehr heftig gegeneinander Fußball spielen. Sondern es macht ihnen einfach Spaß, sich zu messen. Der amerikanische Psychologe Pollack meint dazu: «Wir Erwachsenen dürfen unser Augenmerk nicht darauf richten, was wir unter Freundschaft verstehen, sondern wir sollten von einem übergeordneten Standpunkt aus jene Verhaltensweisen wahrnehmen, die Psychologen als prosoziale Fähigkeiten bezeichnen.» (Pollack, 1998, S. 23)

Die Grundschuljahre sind auch die Jahre, in denen der Sport an Bedeutung gewinnt. Hier können die Jungen sich körperlich austoben und messen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Außerdem leben sie dabei ihr Bewegungsbedürfnis aus und lernen, ihre Aggressionen zu kontrollieren. Die Anwesenheit Erwachsener hilft ihnen dabei. «Nie werde ich diese Situation vergessen», meint Stefanie Klose. «Mein sechsjähriger Sohn war bei einem Fußballturnier. Da waren zwei Spieler aneinander geraten, es war ein klares Foul. Der Gefoulte war wütend, holte mit dem Bein weit aus, um den Übeltäter zu treten. Und stoppte sein Bein fünf Zentimeter vor ihm.» Nachmittags mit dem Bruder im Garten hätte der Gefoulte vermutlich zugetreten. Auf dem Bolzplatz mit anderen Jungen vielleicht schon nicht mehr. Während eines Turniers aber, bei dem klare, akzeptierte Regeln gelten, gelingt die Aggressionskontrolle.

Stefanie Klose erinnert sich, dass sie zunächst viele Vorurteile gegen das Fußballinteresse ihrer Söhne hatte. Für sie war Fußball ein brutaler, unsozialer Sport. Bilder von betrunkenen Fans schwirrten durch ihren Kopf. Sie hat sich eines Besseren belehren lassen. Denn nun erscheint ihr Fußball als eine großartige körperliche und soziale Übung für ihre Söhne. Der Größere, Dominantere hat gelernt, sich einzureihen und zu akzeptieren, dass er keineswegs immer der Beste ist. Der Kleinere, Schüchterne hat durch seine guten Leistungen enorm an Selbstbewusstsein gewonnen, ohne dabei überheblich oder unsozial geworden zu sein. Stefanie Klose ist mit ihren Vorurteilen und Einsichten nicht allein, vielen Müttern in ihrem Bekanntenkreis erging es so. Und auch einigen Vätern, denn, so Tobias Michel, «ich wollte nicht, dass mein sechsjähriger Sohn Lukas Fußball spielt. Ich habe ihm sehr deutlich die Nachteile klar gemacht, aber er hat darauf beharrt. Ich sehe allerdings auch die Vorteile, das Miteinander in einer sozialen Gemeinschaft, das Lernen, sich unterzuordnen – wie das für alle Mannschaftssportarten zutrifft.»

Die Geschlechtertrennung

Es gibt eine Phase im Leben von Jungen, in der nicht nur ihre gleichaltrigen Geschlechtsgenossen an Bedeutung gewinnen, sondern in der sie mit Mädchen fast gar nichts mehr anfangen können – und zwar unabhängig davon, was ihre Eltern darüber denken. Das ist das spätere Grundschulalter. Eltern beobachten das mit Bedauern und Verwunderung. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe:

Der erste Grund für die Geschlechtertrennung sind die