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Emmanuel Bove ist ein unerklärlicher Mythos: Zu Lebzeiten ein anerkannter, gefeierter Literat, wurde er nach seinem Tod 1945 schnell vergessen. Erst in den 1970er Jahren kam es zu einer Renaissance, im deutschsprachigen Raum durch die Übersetzungen von Peter Handke. Seine Helden sind stets »antriebsschwache Eigenbrötler, die ihre Tage in ärmlichen Zimmern oder auf den Boulevards von Paris verrinnen lassen, in mehr oder weniger optimistischer Erwartung einer Wende, die ihnen zu Glück und Ansehen verhelfen soll«, so Andreas Nentwich in der Zeit. »Boves Stärke ist es, dass er seine Figuren nie verachtet oder verurteilt, er schaut ihnen, wie ein Laborant durch das Mikroskop, beim Leben zu. Und er beschreibt uns schlicht, was er sieht, was er gehört hat und was wir nicht mehr sehen oder ausdrücken können, mit einer fast besessenen Sorge ums Detail – ›Er hat wie niemand sonst einen Sinn für das treffende Detail‹, sagt Beckett.« (Jean-Luc Bitton) Das Lesebuch versammelt Leseproben aus der 21-bändigen Werkausgabe sowie begleitende Texte. Zum Weiterlesen: "Emmanuel Bove. Eine Biographie" von Raymond Cousse und Jean-Luc Bitton ISBN 9783860347096
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Seitenzahl: 59
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Emmanuel Bove ist ein unerklärlicher Mythos: Zu Lebzeiten ein anerkannter, gefeierter Literat, wurde er nach seinem Tod 1945 schnell vergessen. Erst in den 1970er Jahren kam es zu einer Renaissance, im deutschsprachigen Raum durch die Übersetzungen von Peter Handke.
Seine Helden sind stets »antriebsschwache Eigenbrötler, die ihre Tage in ärmlichen Zimmern oder auf den Boulevards von Paris verrinnen lassen, in mehr oder weniger optimistischer Erwartung einer Wende, die ihnen zu Glück und Ansehen verhelfen soll«, so Andreas Nentwich in der Zeit.
»Boves Stärke ist es, dass er seine Figuren nie verachtet oder verurteilt, er schaut ihnen, wie ein Laborant durch das Mikroskop, beim Leben zu. Und er beschreibt uns schlicht, was er sieht, was er gehört hat und was wir nicht mehr sehen oder ausdrücken können, mit einer fast besessenen Sorge ums Detail – ›Er hat wie niemand sonst einen Sinn für das treffende Detail‹, sagt Beckett.« (Jean-Luc Bitton)
Das Lesebuch versammelt Leseproben aus der 21-bändigen Werkausgabe sowie begleitende Texte.
Mehr zum Autor und seinem Werk unter www.emmanuelbove.de
1898 als Sohn eines russischen Lebemanns und eines Luxemburger Dienstmädchens in Paris geboren, schlug sich Emmanuel Bove mit verschiedenen Arbeiten durch, bevor er als Journalist und Schriftsteller sein Auskommen fand. Mit seinem Erstling »Meine Freunde« hatte er einen überwältigenden Erfolg, dem innerhalb von zwei Jahrzehnten 23 Romane und über 30 Erzählungen folgten.
Nach seinem Tod 1945 gerieten der Autor und sein gewaltiges Œuvre in Vergessenheit, bis er in den siebziger Jahren in Frankreich und in den achtziger Jahren durch Peter Handke für den deutschsprachigen Raum wiederentdeckt wurde. Heute gilt Emmanuel Bove als Klassiker der Moderne.
Ein Lesebuch
Herausgegeben von Helmut Lotz
Mit Texten von Jean-Luc Bitton und Luc Bondy
Edition diá
Jean-Luc Bitton:»Haben Sie Emmanuel Bove gelesen?«
Die Verbündeten
Geschichte eines Wahnsinnigen
Menschen und Masken
Luc Bondy:In der Liebe gibt es kein Verstehen
Impressum
13. Juli 1945, Frankreich bereitet sich auf die Festlichkeiten zum ersten 14. Juli nach der Befreiung vor, in allen Dörfern flattern auf Straßen und Plätzen fröhlich die Fahnen und Girlanden. In Paris, in der Avenue des Ternes Nummer 59, stirbt an diesem Morgen vor dem Fest, an einem Freitag, dem 13. – »Ich weiß nicht, was ich dem Leben angetan habe, aber es hat mich mit oft grimmigem Humor behandelt« –, von niemandem beachtet, ein junger französischer Schriftsteller am Sumpffieber, der vielleicht einer der wichtigsten dieses Jahrhunderts war. Sein Name? Bobovnikoff, Emmanuel, genannt Bove. In der Woche darauf teilen einige kurze Zeitungsnotizen seinen Tod unter dem lakonischen Titel mit: »Emmanuel Bove ist tot«. Am 21. Juli schreibt Pierre Bost, der alte Freund, in den Lettres Françaises: »Im Alter von siebenundvierzig Jahren ist Emmanuel Bove gestorben. Er war der geborene Romancier … Er besaß jene Genauigkeit, jene Sicherheit, die ihn hinderten, je von seinem Weg abzuweichen. Seine Augen hingen an der Welt, an den Menschen. Und immer mit dieser Art Erstaunen und Resignation vor dem Leben. Voller Emotion auch, vor allem voller Emotion.«
Als Sohn eines russisch-jüdischen Emigranten, Emmanuel Bobovnikoff, und einer Hausangestellten aus Luxemburg, Henriette Michels, wird Bove am 20. April 1898 in Paris geboren. Seine Kindheit ist elend. Zwischen einem flatterhaften Vater und einer zum Opfer bestimmten Mutter ist der kleine Emmanuel von Geburt an mit einer Instabilität konfrontiert, die sich untergründig in all seinen Erzählungen wiederfinden wird. Sein jüngerer Bruder Léon beschreibt diese Schutzlosigkeit in einem Heft, in dem er als Erwachsener seine Erinnerungen an das Elend aufzeichnete: »Emmanuel schlief in einem schmuddeligen Bett. Selbst im Januar gab es Wanzen. Die Kinder schauten ihnen zu, wie sie auf den Wänden herumkrochen, und zerquetschten sie mit den Fingern. Die meiste Zeit saß Henriette mit ihren zwei Kindern ohne einen Sou auf der Straße, das jämmerliche Mobiliar stand im Treppenhaus, und sie rannte wie eine Verrückte herum, ohne zu wissen, wohin oder an wen sie sich wenden könnte.«
Boves Kindheit wurde schöner, als der Vater Bobovnikoff einer reichen englischen Malerin begegnete: Emily Overweg. Bald teilte der Vater sein Leben zwischen der Ehefrau und der Geliebten auf. Emmanuel pendelt von da an ständig zwischen den beiden Haushalten hin und her. Er entdeckt die »andere Welt«: die der Reichen. Als Schriftsteller wird er diese Periode seiner Kindheit in einem Roman mit dem sprechenden Titel »Der Stiefsohn« darstellen: »Obwohl erst ein Kind, hatte er erraten, wie verschieden von seiner Mutter diese Fremde war, die nie laut wurde und inmitten von Büchern, Farben, Gegenständen lebte, die ihm kostbar erschienen.« Emmanuels Bruder Léon hingegen bleibt bei der Mutter, in drangvoller Enge und Not. Die beiden quälen nach dem Tod des Vaters, von dem sie sich im Stich gelassen fühlen, unablässig Emily, die zu der Zeit selbst alles verloren hatte, und Emmanuel zeit seines Lebens mit Geldforderungen. Das Trauma dieser Kindheit mit ihren Entwurzelungen und ihrem Zwiespalt hat gewiss zum Pessimismus und Fatalismus in Boves Roman-Universum beigetragen. Sein Schreiben war sicher ein Versuch, diese Atmosphäre von Unglück, Neid und Groll zu bannen. Doch das hat nicht verhindert, dass Bove gegenüber seiner Unglücksfamilie ein ungeheures Schuldgefühl entwickelte.