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59 herausfordernde Losungen stehen im Mittelpunkt dieses Buches - Losungen, die seit acht Jahrhunderten von tibetischen Lehrern in der Unterweisung von Meditationsschülern genutzt werden. Den Schülern dienen sie - noch heute - vor allem als Erinnerungshilfe und als Fokus: Auf die wichtigen Prinzipien und Praktiken der buddhistischen Geistesschulung. Achtung! Die Nutzung dieses Buches könnte Ihrem Ego gefährlich werden, denn die Anleitungen in diesem Buch zielen darauf, Liebe und Mitgefühl gegenüber anderen zu kultivieren. Chögyam Trungpa versteht es, uns die alten Überlieferungen und grundlegenden Unterweisungen in einer zeitgemäßen und lebendigen Form nahe zu bringen. Uns sagen diesen Unterweisungen heute vor allem eines: "Begegne den alltäglichen Situationen des Lebens mit Intelligenz und Mitgefühl!" Stimmen zum Buch: "Auch Menschen, die nicht mit der Meditationspraxis vertraut sind, bekommen durch die Lojong-Lehren die Möglichkeit, ihr Verhalten grundlegend zu verändern. Sie können sich mitfühlend mit allem auseinandersetzen, was sie normalerweise gern verdrängen, und sie werden erfahren, was es heißt, wirklich zu lieben." Pema Chödrön
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Seitenzahl: 241
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Chögyam Trungpa
Erziehung des Herzens
Chögyam Trungpa
Erziehung des Herzens
Buddhistisches Geistestraining als Weg
zu Liebe und Mitgefühl
Übersetzung aus dem Amerikanischen
Ulli Olvedi
Arbor Verlag
Originaltitel: Training the Mind andCultivating Loving-Kindness
© 1993 by Diana J. Mukpo
Translation of The Root Text of the Seven Points of Training the
Mind © 1981, 1986 by Chögyam Trungpa; revised Translation
© 1993 by Diana J. Mukpo and the Nalanda Translation
Committee. Translation of Fortysix Ways in Which a Bodhisattva
Fails © 1993 by the Nalanda Translation Committee.
Copyright © der deutschen Ausgabe: 2000 Arbor Verlag,
Freiamt. Published by Arrangement with Shambhala Publications,Inc., P.O. Box 308, Boston, MA. 02117
Alle Rechte vorbehalten
E-Book 2018
Bearbeitung: Martina Klose
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de
www.arbor-verlag.de
ISBN E-Book: 978-3-86781-254-2
Inhalt
Vorwort der Herausgeberin
Einführung
Punkt eins
Die Vorbereitungen, die eine Grundlage für die Dharma-Praxis bilden
1. Als Erstes schule dich in den Vorbereitungen
Punkt zwei
Die zentrale Praxis, die Schulung in Bodhicitta
Absolutes und relatives Bodhicitta
Absolutes Bodhicitta und die Paramita Großzügigkeit
Relatives Bodhicitta und die Paramita Disziplin
Die Slogans des absoluten Bodhicitta
2. Betrachte alle Dharmas als Träume
3. Erforsche die Natur des ungeborenen Gewahrseins
4. Befreie sogar das Gegenmittel durch sich selbst
5. Ruhe in der Natur des Alaya, der Essenz
6. In der Nachmeditation sei ein Kind der Illusion
7. Senden und empfangen sollten abwechseln praktiziert werden. Diese beiden sollten auf dem Atem reiten
8. Drei Objekte, drei Gifte und drei Samen der Tugend
9. Übe mit den Slogans bei allen Aktivitäten
10. Beginne die Übungsphase des „Sendens und Empfangens“ mit dir selbst
Punkt drei
Die Verwandlung von schlechten Umständen in den Pfad der Erleuchtung
Punkt drei und die Paramita Geduld
11. Ist die Welt voller Unheil, so verwandle alles Unglück in den Pfad des Bodhi
12. Schieb alle Schuld dir selbst zu
13. Sei dankbar gegenüber jedermann
14. Verwirrung als die vier Kayas verstehen ist der unübertreffliche Shunyata-Schutz
15. Vier Übungen sind die beste aller Methoden
16. Verbinde alles, was dir unerwartet begegnet, mit Meditation
Punkt vier
Wie man die Praxis im gesamten Leben nutzbar macht
Punkt vier und die Paramita Bemühung
17. Übe die fünf Stärken, die komprimierten innersten Unterweisungen
18. Die Mahayana-Unterweisung für das Ausstoßen des Bewusstseins im Tod umfasst die fünf Kräfte – wie man sich verhält ist wichtig
Punkt fünf
Beurteilung der Geisteserziehung
Punkt fünf und die Paramita Meditation
19. Alle Dharmas stimmen in einem Punkt überein
20. Von den zwei Zeugen wähle den Hauptzeugen
21. Bewahre stets einen heiteren Geist
22. Kannst du selbst dann praktizieren, wenn du abgelenkt bist, hast du gut geübt
Punkt sechs
Disziplinen der Geisteserziehung
Punkt sechs und die Prajnaparamita
23. Halte dich stets an die drei grundlegenden Prinzipien
24. Ändere deine Einstellung, aber bleibe natürlich
25. Sprich nicht über verletzte Gliedmaßen
26. Denk nicht über andere nach
27. Arbeite am größten Fehler zuerst
28. Lass alle Hoffnung auf Ernte los
29. Halte dich von giftiger Nahrung fern
30. Sei nicht so vorhersagbar
31. Zieh nicht über andere her
32. Laure nicht im Hinterhalt
33. Lass es nie so weit kommen, dass es schmerzt
34. Pack nicht die Ochsenladung auf den Rücken der Kuh
35. Versuche nicht, am schnellsten zu sein
36. Verdrehe dich nicht
37. Mache nicht Götter zu Dämonen
38. Suche nicht nach dem Schmerz der anderen als Krücke für dein eigenes Glück
Punkt sieben
Leitlinien der Geisteserziehung
Punkt sieben und die Nachmeditation
39. Man sollte alles mit einer einzigen Absicht tun
40. Korrigiere alles Übel mit einer einzigen Absicht
41. Zwei Aktivitäten – eine am Anfang, eine am Ende
42. Welches der beiden auch eintreten mag – sei geduldig
43. Beobachte diese zwei, selbst wenn dein Leben auf dem Spiel steht
44. Übe dich in den drei Schwierigkeiten
45. Sorge für die drei hauptsächlichen Ursachen
46. Achte darauf, dass die drei niemals schwinden
47. Sei unzertrennlich von diesen drei
48. Übe ohne Vorliebe oder Abneigung. Es ist entscheidend, dies zu jeder Zeit, in jedem Fall und mit vollem Einsatz zu tun
49. Meditiere stets über alles, was Groll hervorruft
50. Lass dich nicht von äußeren Umständen beeinflussen
51. Praktiziere dieses Mal die wichtigsten Punkte
52. Interpretiere nicht falsch
53. Wanke nicht
54. Übe mit ganzem Herzen
55. Befreie dich selbst durch Untersuchen und Analysieren
56. Suhle dich nicht in Selbstmitleid
57. Sei nicht eifersüchtig
58. Sei nicht leichtfertig
59. Erwarte keinen Applaus
Abschließende Verse
Anhang
Die sechsundvierzig Arten von Fehlern, die ein Bodhisattva begehen kann
Vierunddreißig gegenteilige Verhaltensweisen zur Verkörperung der Tugend
Zwölf gegenteilige Verhaltensweisen dazu, allen Wesen zu nützen
Anmerkungen
Glossar
Dank
Über den Autor
Bibliographie
Veröffentlichungen
Bücher von Chögyam Trungpa in deutscher Sprache
Shambhala-Meditationszentren
Vorwort der Herausgeberin
Dieses Buch enthält den Wurzeltext der Sieben Punkte der Geisteserziehung von Chekawa Yeshe Dorje, ins Englische übersetzt vom Nalanda-Übersetzungskomitee, mit einem Kommentar, der auf den mündlichen Unterweisungen Trungpa Rinpoches basiert. Trungpa Rinpoche bezog sich dabei vor allem auf den Kommentar von Jamgon Kongtrul dem Großen mit dem tibetischen Titel Changchub Shunglam (Der grundlegende Pfad zur Erleuchtung); dieser Text gehört zu einer Sammlung der wichtigsten Lehren des tibetischen Buddhismus, Die fünf Schätze, die Jamgon Kongtrul zusammenstellte. (Trungpa Rinpoches eigener Lehrer, Jamgon Kongtrul von Sechen, war eine Inkarnation dieses führenden spirituellen Lehrers des 19. Jahrhunderts.)
Die sieben Punkte der Geisteserziehung werden dem großen indischen buddhistischen Lehrer Atisha Dipankara Shrijnana zugeschrieben, der 982 als Mitglied des Königshauses von Bengalen geboren wurde. Deshalb wird diese Liste von Sprüchen, die Chekawa zusammengestellt hat, oft auch als „Atishas Slogans“ bezeichnet. Nachdem Atisha schon als Jugendlicher dem Leben im Königspalast entsagt hatte, studierte und praktizierte er hingebungsvoll den Dharma, zuerst in Indien und später auf Sumatra. Sein wichtigster Lehrer war Dharmakirti (in Tibet auch Serlingpa genannt) und von diesem erhielt er die wichtigsten Unterweisungen über Bodhicitta und die Geisteserziehung. Zurückgekehrt nach Indien, machte er sich daran, diese in Vergessenheit geratenen Lehren wieder zu etablieren, und nahm einen Lehrstuhl an der berühmten Klosteruniversität Vikramashila an. Er wurde eingeladen, die Lehren über die Geisteserziehung nach Tibet zu bringen, und er verbrachte dort dreizehn Jahre, bis er 1054 starb. Sein engster tibetischer Schüler, Dromtönpa, an den er den Schatz seines Wissens und seiner Weisheit weitergegeben hatte, begründete die Kadam-Linie des tibetischen Buddhismus.1
Zunächst wurden Atishas Slogans geheim gehalten und nur an die nahesten Schüler weitergegeben. Die erste Niederschrift erfolgte durch den Kadampa-Lehrer Lang-ri Thangpa (1054 – 1123). Weitere Verbreitung fanden sie, nachdem Geshe Chekawa Yeshe Dorje (1101 – 1175) sie im Wurzeltext der Sieben Punkte der Geisteserziehung zusammengefasst hatte. Geshe Chekawa traf bei seinen Lehrreisen auf viele Leprakranke und vermittelte ihnen die Geisteserziehung, und es heißt, dass mehrere von ihnen dadurch von ihrer Krankheit geheilt wurden. Aus diesem Grund nannten die Tibeter seine Lehren manchmal „den Dharma für die Lepra“. Als Chekawa feststellte, dass diese Lehren sogar seinem aufsässigen Bruder, der kein Interesse am Dharma hatte, gut zu tun schienen, kam er zu der Überzeugung, dass eine weitere Verbreitung angemessen sei. Das führte dazu, dass Atishas Geisteserziehung seit vielen Jahrhunderten bis zum heutigen Tag in allen wichtigen Linien des tibetischen Buddhismus praktiziert wird.2
Der Wurzeltext der Sieben Punkte der Geisteserziehung ist eine Liste von neunundfünfzig Slogans, die eine grundlegende Zusammenfassung der Sicht und der praktischen Anwendung des Mahayana-Buddhismus beinhalten. Das Studium und die Praxis dieser Slogans bieten uns auf sehr praktische und direkte Weise die Möglichkeit, unser Festhalten am Ego zu lösen und Sanftheit und Mitgefühl zu entwickeln. Sie geben uns eine Methode an die Hand, um unseren Geist zu erziehen, indem wir sowohl die formale Meditationspraxis als auch das alltägliche Geschehen als Mittel zum Erwachen verwenden.
Dieser Band basiert nicht, wie viele andere der Dharma-Ocean-Serie, auf einem einzigen Seminar, sondern ist eine Zusammenstellung von Unterweisungen und Bemerkungen aus einem Zeitraum von vielen Jahren. Trungpa Rinpoche präsentierte die Mahayana-Lehren der Kadampa-Slogans erstmals 1975 während des dritten jährlichen Vajradhatu-Seminars, einem der dreizehn dreimonatigen Kursen für Fortgeschrittene, die er zwischen 1973 und 1986 hielt. In den darauf folgenden Seminaren führte er dann die Theorie und Praxis der Geisteserziehung weiter aus.
Die Geisteserziehung oder Slogan-Praxis hat zwei Aspekte: die Praxis der Meditation und die Praxis der Nachmeditation. Im Tibetischen nennt man die entsprechende Meditationspraxis Tonglen oder „Senden und Empfangen“, in Anlehnung an den siebten Slogan: „Das Senden und Empfangen sollte abwechselnd praktiziert werden / Diese beiden sollten auf dem Atem reiten.“ Trungpa Rinpoche unterwies seine Schüler im Seminar von 1979 in der Praxis des Tonglen und empfahl ihnen, sie in ihre tägliche Meditation miteinzubeziehen. Er legte ihnen aber auch die Nachmeditation ans Herz, die darin besteht, jeden Aspekt des Lebens durch die Anwendung der Slogans mit der meditativen Disziplin zu verbinden.
In der Arbeit mit seinen Schülern legte Trungpa Rinpoche großen Wert auf die Praxis des formlosen Meditation – der Entwicklung von Achtsamkeit und Gewahrsein – als Grundlage. Zunächst vermittelte er die Tonglen-Praxis nur erfahrenen Schülern, die sich bereits ausgiebig mit der Sitzmeditation und dem Studium der buddhistischen Lehren befasst hatten. Wenn die Theorie und Praxis der Geisteserziehung in solch einem Kontext präsentiert werden, ist die Gefahr geringer, dass diese Lehren als moralisch oder als Konzept interpretiert werden.
Später führte man die Tonglen-Praxis im Rahmen der Zeremonie des Bodhisattva-Gelübdes ein – einer formalen Absichtserklärung, sein Leben dem Wohlergehen anderer zu widmen. Nach und nach wurde die Tonglen-Praxis dann in unterschiedlichem Zusammenhang präsentiert. Im Naropa Institute, einer buddhistisch inspirierten Universität in Boulder, Colorado, gehört die Tonglen-Schulung zum Lehrplan der klinischen Psychologie. Auch im Rahmen der Buddhismus-Christentum-Dialoge, die das Naropa Institute veranstaltet, wurde diese Praxis vorgestellt. Teilnehmer an einmonatigen Meditationskursen (tibetisch: dhatün) erhalten heute eine reguläre Einführung in die Tonglen-Praxis, und wer sich noch intensiver damit befassen will, kann an einem speziellen Tonglen-Dathün teilnehmen. Tonglen ist zudem Teil einer Meditation für die Kranken, die jeden Monat einmal praktiziert wird, und man verwendet sie auch innerhalb der Vajradhatu-Bestattungszeremonien.
Mit Hilfe der „Slogan-Praxis“, wie wir sie hier nennen wollen, erkennen wir, dass unsere Selbstbezogenheit eine gewohnheitsmäßige Tendenz ist und sich selbst in den winzigsten Gedanken und Handlungen manifestiert. Diese Tendenz sitzt tief und beeinflusst all unser Tun, selbst unser so genanntes wohlmeinendes Verhalten. Die Praxis des Tonglen verkehrt dieses Gewohnheitsmuster in ihr Gegenteil; sie basiert darauf, dass man das Wohl anderer vor das eigene stellt. Angefangen bei unseren Freunden, dehnen wir unseren Bereich der Wachheit auf unsere Bekannten und schließlich bis auf unsere Feinde aus, denn wir wollen andere akzeptieren und von Nutzen für sie sein. Das tun wir nicht deshalb, weil wir Märtyrer sein wollen oder unsere eigenen Bedürfnisse unterdrücken, sondern weil wir begonnen haben, uns selbst und unsere Welt zu akzeptieren. Die Slogan-Praxis öffnet ein größeres Feld der Sanftheit und der Kraft, sodass unser Verhalten und Handeln von Wertschätzung bestimmt wird anstatt vom ständigen Kreislauf von Hoffnung und Furcht.
Es verlangt beträchtlichen Mut, sich mit diesem grundlegenden Kontrast von Altruismus und Ichbezogenheit zu konfrontieren, denn das führt direkt zum Kern des spirituellen Pfades und lässt keinen Raum für auch nur die kleinste Selbsttäuschung oder die Spur des Selbstbetrugs. Es ist eine sehr pragmatische, realistische Praxis.
Besonders wirkungsvoll ist Tonglen im Umgang mit Schmerz und Verlust, wenn es um Krankheit oder Tod geht. Sei es bei uns selbst oder bei anderen, Tonglen hilft die Geisteshaltung des Kämpfens und der Abwehr gegenüber solchen Erfahrungen zu überwinden und einfacher und direkter mit ihnen umzugehen.
In der formalen Tonglen-Praxis ist – ebenso wie in der Achtsamkeits-Gewahrseins-Praxis – der Atem miteinbezogen. Am Anfang ist es sehr wichtig, zuerst mittels Achtsamkeits-Gewahrseins-Praxis die richtige Basis für Tonglen zu schaffen. Die Tonglen-Praxis selbst hat drei Stufen. Als Erstes lassen Sie den Geist eine oder zwei Sekunden lang im Zustand der Offenheit ruhen. Diese Stufe ist recht kurz; es ist ein Aufblitzen grundlegender Stille und Klarheit. Als Nächstes arbeiten Sie mit der Struktur der Befindlichkeit. Sie atmen eine Qualität von Hitze, Dunkelheit, Schwere und Enge ein; dann atmen Sie das Gefühl der Kühle, Helligkeit und Leichtigkeit, also ein Gefühl der Frische aus. Sie fühlen, wie diese Qualitäten herein- und hinausströmen, nicht nur durch die Nase, sondern durch alle Poren. Sobald Sie auf diese Weise ein allgemeines Tonglen-Gefühl entwikkelt haben, beginnen Sie mit den geistigen Inhalten zu arbeiten. Taucht eine Erfahrung auf, die unerfreulich ist, atmen Sie diese ein, und erfreuliche Erfahrungen atmen Sie aus. Befassen Sie sich zuerst mit Ihrer aktuellen Erfahrung und beziehen Sie dann auch die Menschen und andere Wesen in Ihrem Umfeld mit ein, die ebenso leiden wie Sie selbst. Wenn Sie zum Beispiel das Gefühl von Unzulänglichkeit haben, atmen Sie dieses Gefühl ein; das Gefühl der Kompetenz und Tüchtigkeit hingegen atmen Sie aus. Dann weiten Sie diese Praxis über Ihre persönlichen Belange hinaus auf andere aus; verbinden Sie die Übung mit all den schmerzlichen Gefühlen, die Sie in Ihrer unmittelbaren Umgebung wahrnehmen, und schließlich mit dem Leiden der ganzen Welt. Es geht in dieser Praxis in erster Linie darum, dass Sie Ihr Herz öffnen – dass Sie mit ganzem Herzen annehmen und mit ganzem Herzen loslassen. Im Tongeln wird nichts zurückgewiesen; alles, was auftaucht, ist Treibstoff für die Praxis.
Trungpa Rinpoche betonte die Bedeutung der mündlichen Tradition, in der die Übungen persönlich und direkt von Lehrer zu Schüler weitergegeben werden. Auf diese Weise haben die Schüler an einer ungebrochenen Weisheitstradition teil, die viele Generationen bis zur Zeit des Buddha selbst zurückreicht. Die essentielle, lebendige Qualität der Praxis, die vermittelt wird, ist zutiefst menschlich und lässt sich nicht einfach aus Büchern entnehmen. Deshalb wird empfohlen, dass sich jeder, der oder die sich auf die formale Praxis des „Sendens und Empfangens“ einlassen möchte, nach Möglichkeit mit einem erfahrenen Praktizierenden in Verbindung setzt, mit ihm oder ihr die Praxis bespricht und sich eine formale Einweisung geben lässt.
Die Praxis der Nachmeditation basiert darauf, dass man sich mitten im Alltag spontan an den jeweils zutreffen Slogan erinnert. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass man sich angestrengt darum bemühen soll, in Übereinstimmung mit den Slogans zu handeln; vielmehr löst das Studium dieser traditionellen Aphorismen ein spontanes Erinnern aus. Wenn man diese sieben Punkte der Geisteserziehung durcharbeitet und die Slogans auswendig lernt, stellt man fest, dass sie ganz mühelos immer wieder im Geist auftauchen. Sie verfolgen einen geradezu und dieses wiederholte Erinnern führt nach und nach zu einem feineren Verständnis dessen, was liebevolle Zuwendung und Mitgefühl wirklich bedeuten.
Jeder Versuch, die Slogans als Krücke zu verwenden, um eine bestimmte moralische Anschauung zu unterstützen, wird durch sie selbst unterminiert. Sie haben nur insofern mit moralischem Verhalten zu tun, als sie Hindernisse in Form von Engstirnigkeit, Angst und Festhalten am Ich beseitigen, sodass unser Handeln nicht von Egozentrik, Projektionen und Erwartungen belastet ist. Die Slogans sollen „praktiziert“ werden. Das heißt, man sollte sie durcharbeiten und auswendig lernen. Zugleich aber soll man sie auch loslassen. Sie sind lediglich konzeptuelle Werkzeuge, die den Weg zu einer Verwirklichung jenseits aller Konzepte weisen.
Wie in den buddhistischen Lehren üblich, liegt ein gewisses spielerisches und ironisches Element in der Art Gewahrseins, den die Slogan-Praxis für uns öffnet. Diese Offenheit des Geistes ist die Grundlage für die Kultivierung des Mitgefühls.
Die moralische Sicht der Dinge, wie sie in den Kadampa-Slogans präsentiert wird, hat Ähnlichkeit mit derjenigen in Shakespeares berühmtem Zitat: „Erbarmen kennt keine Mühe, es fallet vom Himmel wie der sanfte Regen.“ Da gibt es kein moralisches Schlachtfeld, auf dem wir das Böse vertreiben und für das Rechte kämpfen. Das traditionelle buddhistische Bild für Mitgefühl ist die Sonne, die wohltuend und unterschiedslos auf alles scheint. Es ist das Wesen der Sonne zu scheinen; sie muss sich nicht darum bemühen. Gleichermaßen ist Mitgefühl ein natürliches menschliches Verhalten, sobald die Schleier und Hindernisse beseitigt worden sind, welche die Manifestation von Mitgefühl behindern.
Trungpa Rinpoche legte seinen Schülern nahe, Tonglen in ihre tägliche Meditationspraxis miteinzubeziehen und die Slogans auswendig zu lernen. Bei den Vajradhatu-Seminaren ließ er diverse Slogans in kalligraphischer Schrift gestalten und an allen möglichen Orten aufhängen. Man wusste nie, wo man einem Slogan begegnen würde. Zum Beispiel konnte man in der Küche auf den Slogan treffen: „Sei jedermann dankbar“, oder an einem Baum hing die Aufforderung: „Schieb alle Schuld dir selbst zu.“
Man sollte die Slogans kontemplieren, einen nach dem anderen. Zu diesem Zweck empfahl Trungpa Rinpoche seinen Schülern, gedruckte Slogan-Karten als tägliche „Wachmacher“ und Provokateure zu verwenden.
Mögen uns diese Lehren in ihrer Bodenständigkeit und Einfachheit dazu inspirieren, liebevolle Zuwendung und Mitgefühl zu kultivieren und uns selbst und andere niemals aufzugeben. Mögen sie die Furchtlosigkeit in uns wachrufen, um den Klammergriff des Ego zu überwinden. Mögen sie uns befähigen, das in die Tat umzusetzen, was uns am meisten am Herzen liegt – allen Wesen auf dem Weg zum Erwachen von Nutzen zu sein.
Einführung
Die Mahayana-Tradition1 führt uns dahin, Sanftheit uns selbst gegenüber zu empfinden, und daraus erwächst Freundlichkeit gegenüber anderen. Diese Freundlichkeit, dieses Mitgefühl nennt man im Tibetischen nyingje, wörtlich „edles Herz“. Wir sind bereit, uns zur inneren Arbeit mit allen fühlenden Wesen zu verpflichten. Bevor wir uns jedoch voll und ganz auf dieses Projekt einlassen, brauchen wir eine gründliche Schulung.
Was uns daran hindert, ein „Mahayanist“ zu werden, ist der Umstand, dass wir nicht genügend Sympathie für andere und für uns selbst haben – das ist der Knackpunkt. Doch wir können dieses Problem durch ein praktisches Training bewältigen; dieses Training nennt man Lojong-Praxis, „den Geist erziehen“. Es vermittelt uns einen Weg, eine Art und Weise, an unserem taktlosen oder pedantischen oder rohen oder mürrischen persönlichen Stil zu arbeiten, eine Methode, um gute Mahayanisten zu werden. Unwissende oder dumme Mahayana-Schüler haben manchmal die Tendenz, sich selbst zu glorifizieren; sie möchten gern spirituelle Lehrer und Führer werden. Nun, wir haben eine Technik oder Praxis, um dieses Problem zu überwinden. Diese Praxis ist die Entwicklung der Demut, die durch die Erziehung des Herzens und des Geistes angeregt wird.
Nach der grundlegenden Mahayana-Anschauung geht es vor allem darum, alles, was man tut, zum Wohl anderer zu tun und eine Situation zu schaffen, die für andere hilfreich ist. Deshalb stellen wir uns darauf ein, unser Tun bereitwillig anderen zu widmen. Wenn Sie diese Haltung einnehmen, kommen Sie zu der Einsicht, dass andere wichtiger sind als Sie selbst. Mit diesen Drei zusammen – mit dieser Sicht des Mahayana, mit dieser Einstellung und mit der Erkenntnis, dass die anderen wichtiger sind – entwickelt man die Mahayana-Praxis der Geisteserziehung oder der Erziehung des Herzens.
In der Hinayana-Disziplin geht es in erster Linie um das Zähmen des Geistes. Hier arbeiten wir an den verschiedenen Arten der Unachtsamkeit und werden dadurch immer sorgfältiger und präziser und unsere Disziplin gedeiht. Wenn wir dann durch die Praxis der Shamatha-Disziplin oder Achtsamkeitspraxis gründlich gezähmt sind und uns außerdem durch Vipashyana oder Gewahrsein darin geschult haben, den Lehren wirklich zuzuhören, beginnen wir, den Dharma auf umfassende Weise zu verstehen. Dann wächst ein echtes Verständnis dafür heran, wie wir in unserem speziellen gezähmten Zustand mit anderen umgehen können.
Im Mahayana ist eher die Rede vom Erziehen des Geistes. Das ist der nächste Schritt. Der Geist ist bereits gezähmt und deshalb kann man ihn erziehen. Mit anderen Worten, wir haben es geschafft, unseren Geist durch die Praxis der Hinayana-Disziplin zu domestizieren, wie es den Prinzipien des Buddha-Dharma entspricht. Haben wir unseren Geist domestiziert, können wir weiteren Gebrauch von ihm machen. Das ist wie in der Geschichte von der wilden Kuh, die unsere Vorfahren einfingen. Wenn man die wilde Kuh eingefangen und gezähmt hat, stellt man fest, dass sie ganz bereitwillig mit denjenigen kooperiert, die sie gezähmt haben. Genau genommen gefällt es ihr sogar, domestiziert zu sein. An diesem Punkt wird die Kuh zu einem Teil unseren Haushalts. Es gab einmal eine Zeit, da war es nicht so – ich bin sicher, dass die Kühe wild und unbändig waren, bevor wir sie gezähmt haben.
Geisteserziehung heißt aufTibetisch lojong. lo bedeutet „Intelligenz“, „denkender Geist“, „das, was Dinge wahrnehmen kann“; jong bedeutet „Training“ oder „Bearbeitung“. Die Lehren des Lojong bestehen aus mehreren Schritten oder Punkten der Mahayana-Disziplin. Die grundlegende Disziplin der Geisteserziehung oder Lojong ist ein siebenfältiger Reinigungs- oder Bearbeitungsprozess, dem wir unseren Geist unterziehen.
Dieses Buch basiert auf dem Kadampa-Basistext Der Wurzeltext der sieben Punkte der Geisteserziehung und auf dem Kommentar von Jamgon Kongtrul. Im Tibetischen heißt der Kommentar changchup shunglam. shung ist der Begriff, den man für „Regierung“, aber auch für „das Gros“ oder „Körper“ (wie in „Lehrkörper“) verwendet. shung bedeutet also etwa „der zentrale Regierungsapparat“. Man könnte zum Beispiel die tibetische Regierung pö-shung nennen – pö bedeutet „Tibet“, shung bedeutet „Regierung“. Die Regierung, die ein Land zu regieren hat, besteht aus einer vielgliedrigen Verwaltung – sie kümmert sich um die Psychologie des Landes, um seine Wirtschaft, um seine Politik und um seine inneren Angelegenheiten. shung ist eigentlich die Arbeitsgrundlage. lam bedeutet „Pfad“. shunglam ist also sozusagen die Hauptstraße, ein grundlegender Prozess der Arbeit zur Erleuchtung hin. Mit anderen Worten, es ist der spezielle Mahayana-Weg, die große Straße, auf der jeder vorankommt, ein breiter Weg, besonders breit und besonders offen. changchup bedeutet „Erleuchtung“, shung bedeutet „weit“ oder „grundlegend“ und lam bedeutet „Pfad“. Der Titel des Kommentars lautet also: „Der grundlegende Pfad zur Erleuchtung“.
Der Haupttext basiert auf Atishas Unterweisungen über Lojong und geht auf die Kadampa-Schule des tibetischen Buddhismus zurück, die sich etwa um die Zeit Marpas und Milarepas entwickelt hat, als sich die klösterliche Tradition Tibets etablierte und tiefe Wurzeln fasste. Die Kagyüpa erhielten diese Unterweisungen über die richtige Praxis des Mahayana-Buddhismus von Gampopa, der ein Schüler sowohl Milarepas als auch diverser Kadampa-Lehrer war. Es gibt zwei Kadampa-Schulen, die so genannte „komtemplative Kadampa-Schule“ und die „intellektuelle Kadampa-Schule“. Das, was wir hier behandeln, bezieht sich auf die kontemplative Tradition der Kadampa. Die Gelugpa spezialisierten sich hingegen auf die Dialektik und verstanden die Kadampa-Tradition eher von einem philosophischen Ansatz her.
Der Begriff kadam hat für uns eine interessante Bedeutung. ka bedeutet „Auftrag“, etwa so, wie wenn ein General vor seinen Truppen eine anfeuernde Rede hält oder ein König seinen Ministern einen Auftrag erteilt. Wir könnten auch „Logos“ sagen oder „Wort“, wie in der christlichen Tradition, in der es heißt: „Am Anfang war das Wort.“ Diese Art von Wort ist ein grundlegend heiliger Auftrag, der erste, der jemals ausgesprochen wurde. In unserem Fall bezieht sich ka auf eine Vorstellung von absoluter Wahrheit und darauf, dass es sich vom Standpunkt eines Individuums aus um etwas Praktisches handelt, mit dem man etwas anfangen kann. dam bedeutet „mündliche Lehre“, „persönliche Lehre“, das heißt ein Handbuch über den richtigen Umgang mit dem Leben. ka und dam zusammen bedeutet also, dass jegliches ka, jeder Auftrag oder jede Botschaft als praktische und handhabbare mündliche Lehre betrachtet wird. Man betrachtet sie als praktische Arbeitsgrundlage für Schüler, die sich mit Kontemplation und meditativen Disziplinen befassen. Das ist die grundlegende Bedeutung von kadam.
Die wenigen Listen, die hier präsentiert werden, sind sehr einfach; daran ist nichts besonders Philosophisches. Sie enthalten lediglich das, was einer der großen Kagyü-Lehrer als „Großmutters Fingerzeig“ bezeichnet hat. Wenn die Großmutter sagt: „Das ist der Platz, wo ich immer hinging und Wildgemüse sammelte“, benützt sie üblicherweise ihren Finger, anstatt den Platz auf ein Blatt Papier zu zeichnen oder eine Landkarte zu Hilfe zu nehmen. Wir gehen hier also so vor wie die Großmutter.
Was mich selbst betrifft, so hatte ich bereits eine Menge Philosophie studiert, als Jamgon Kongtrul mir das erste Mal empfahl, dieses Buch, Changchup Shunglam, zu lesen und durchzuarbeiten, und ich war erleichtert darüber, dass der Buddhismus so einfach war und man tatsächlich etwas damit anfangen konnte. Man kann ihn wirklich praktizieren. Man kann einfach diesem Buch folgen und tun, was es sagt, und das ist außerordentlich wirkungsvoll und eine wahre Befreiung. Und dieses Gefühl von Einfachheit hält an. Es ist so kostbar und direkt. Ich finde gar keine Worte, um es zu beschreiben. Dieses Buch ist ein wenig rau, wie ein Reibeisen, aber gleichzeitig ist es so tröstlich, solch eine Schrift zu lesen. Es ist eines der Charakteristika von Jamgon Kongtrul, dass er in seinen Schriften seinen Ton völlig verändern kann, als wäre er ein ganz anderer Autor. Wann immer er über ein bestimmtes Thema schreibt, passt er seine Art des Schreibens ganz diesem jeweiligen Thema an. Es ist sein grundlegendes Gewahrsein in der Beziehung zu seiner Leserschaft, das diese großen Unterschiede möglich macht.
Jamgon Kongtruls Kommentar zu den Kadampa-Slogans ist eines der besten Bücher, die ich in den ersten Phasen meiner Begeisterung für das Klosterleben studierte. Ich war dabei, ein einfacher, kleiner Mönch zu werden. Ich studierte diese Texte und ich war dabei, eine guter kleiner Buddhist und ein kontemplativer Typ zu werden. Dieser Faden zieht sich durch mein ganzes Leben. Trotz aller Komplikationen in meinem Leben und der vielen organisatorischen Probleme fühle ich mich immer noch als ein grundsätzlich einfacher, romantischer Buddhist, der eine sehr tiefe Beziehung zu den Lehrern und den Lehren hat.
Die Dharma-Schriften sind wie Tropfen flüssigen Goldes. Jedes Mal, wenn man solch ein Buch liest, erhält man erneut die Bestätigung, dass der Dharma etwas sehr Einfaches und Direktes an sich hat. Das macht mich ungeheuer glücklich und ich schlafe gut. Die Präsentation der Lehren kann eine gewisse Scharfkantigkeit haben, denn es geht ja um das Zerschneiden von Vorurteilen und anderen Ego-Kämpfen. Aber zugleich findet man im Mahayana-Buddhismus auch immer wieder den soft spot, die zarte Stelle der Hingabe und Einfachheit, die man niemals vergessen kann. Das ist sehr wichtig. Ich will hier nicht dramatisch sein; sollte es so ankommen, wäre dies bedauerlich. Aber ich habe nun einmal ein ganz besonders positives Gefühl, was Jamgon Kongtrul und seine Art, diese Lehren zu vermitteln, betrifft.
Punkt eins
Die Vorbereitungen, die eineGrundlage für die Dharma-Praxisbilden
1
1Als Erstes schule dich in den Vorbereitungen
Beim Praktizieren der Slogans und auch ganz allgemein im Alltag sollten Sie sich ständig folgender Punkte bewusst sein:
1. der Kostbarkeit des menschlichen Lebens und insbesondere des glücklichen Umstands, dass Sie in einer Umgebung leben, die es Ihnen ermöglicht, die Lehren des Buddha-Dharma zu hören;
2. der Realität des Todes und dass er ganz plötzlich und ohne Vorwarnung kommen kann;
3. der Falle des Karmas – dass alles, was Sie tun, sei es tugendhaft oder nicht, Sie immer mehr in die Ketten von Ursache und Wirkung fesselt; und
4. der Intensität und Unvermeidlichkeit des Leidens, Ihres Leidens und des Leidens aller anderen fühlenden Wesen.
Dies nennt man „die Haltung der vier Mahnungen einnehmen“.
Mit dieser Einstellung als Grundlage sollten Sie sich voller Hingabe an Ihren Guru wenden und, angeregt von seinem oder ihrem Beispiel, dabei eine Atmosphäre der geistigen Gesundheit in sich selbst erzeugen. Geloben Sie, die Wurzeln der Unwissenheit und des Leidens auszurotten. Das ist sehr eng mit der Idee von Maitri, Herzenswärme oder liebevoller Zuneigung, verbunden. In der traditionellen Analogie des spirituellen Pfads ist das einzige reine Liebesobjekt eine Person, die uns den Weg zeigen kann. Sie können eine liebevolle Beziehung zu Ihren Eltern, Verwandten etc. haben, aber da gibt es dennoch Probleme – Ihre Neurose ist auch mit im Spiel. Eine reine Liebesbeziehung ist nur mit dem spirituellen Lehrer beziehungsweise der Lehrerin möglich. Deshalb wird dieses ideale sympathetische Objekt als Ausgangspunkt verwendet, als eine Möglichkeit, eine Beziehung jenseits der eigenen Neurose zu entwickeln. Vor allem im Mahayana ist der Lehrer für Sie jemand, der Sie aus der Depression heraus und von der Euphorie herunter holt – so etwas wie ein beruhigendes Prinzip. Vom Mahayana-Blickwinkel aus ist der Lehrer insbesondere deshalb wichtig.
Dieser Slogan macht den Unterschied zwischen Samsara (Epitome des Schmerzes, des Gefangenseins und der gestörten geistigen Gesundheit) und dem Wurzel-Guru (Verkörperung der Offenheit, Freiheit und geistiger Gesundheit) als Grundlage für jegliche Praxis deutlich. In dieser Hinsicht ist er sehr stark von der Vajrayana-Tradition beeinflusst.
Punkt zwei
Die zentrale Praxis,die Schulung in Bodhicitta
2
Absolutes und relatives Bodhicitta
Absolutes Bodhicitta unddie Paramita Großzügigkeit
Das eigentliche oder absolute1 Bodhicitta-Prinzip basiert auf der Entwicklung der Paramita Großzügigkeit, symbolisiert durch ein Wunsch erfüllendes Juwel. Das tibetische Wort für Großzügigkeit, jinpa, bedeutet „geben“, „öffnen“ oder „teilen“. Großzügigkeit beinhaltet also die Idee, nicht zurückzuhalten, sondern ständig zu geben. Großzügigkeit ist aus sich selbst heraus existierende Offenheit, vollständige Offenheit. Man ist nicht mehr damit beschäftigt, die eigenen Vorstellungen oder Projekte zu päppeln.
Und es gibt kein besseres Mittel, um sich zu öffnen, als wenn man mit sich selbst und anderen Freundschaft schließt.
Entsprechend der Tradition gibt es drei Arten von Großzügigkeit. Die erste ist die gewöhnliche Großzügigkeit, die darin besteht, dass man materielle Güter hergibt oder eine angenehme Situation für andere schafft. Die zweite ist das Geschenk der Furchtlosigkeit. Man beruhigt andere, gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit und macht ihnen deutlich, dass sie sich nicht völlig ausgeliefert und vom Schicksal geschlagen fühlen müssen. Man hilft ihnen zu erkennen, dass es grundlegende Gutheit und die spirituelle Praxis gibt und dass jeder die Möglichkeit hat, sein Leben auszuhalten. Das ist das Geschenk der Furchtlosigkeit. Die dritte Art der Großzügigkeit ist das Geschenk des Dharma. Man zeigt anderen, dass es einen Pfad gibt, der aus Disziplin, Meditation und Intellekt oder Wissen besteht. Mit Hilfe der drei Arten von Großzügigkeit kann man den Geist anderer Menschen öffnen. So lassen sich Enge, Elend und Kleinherzigkeit in eine viel weiträumigere Sicht der Dinge verwandeln.