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Mit diesem Buch legen die drei Autoren Andreas Dripke, Hang Nguyen und Dr. Horst Walther, allesamt Mitglieder der UNO-Denkfabrik Diplomatic Council, einen "Zukunftsplan für Europa" vor. Mit klugen Analysen, kritischen Auseinandersetzungen und wegweisenden Schlussfolgerungen zeigen sie auf, was getan werden muss, um Europa eine Zukunft zu verschaffen. Spannend formuliert beschreiben sie, wie Europa eine Position der Stärke erringen kann, um nicht zwischen der Supermacht USA und dem Wachstumskontinent Asien mit China als aufstrebender Weltmacht zerrieben zu werden.
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Seitenzahl: 106
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Vorwort
Quo vadis Europa?
Was Europa (uns) bedeutet: Die zerrissene Einheit
Warum wir Europa brauchen
Artensterben
Klimawandel
Wachstumsökonomie
Überbevölkerung
Wirtschaftliche Ungleichheit
Potenzial für Konflikte
Warum wir Europa neu denken müssen
Europa braucht die demokratische Legitimation
Europa benötigt mehr Gewicht
Europa muss eine eigene Position vertreten
Europa muss sich eine klare Mission geben
Wie wir Europa erschaffen können
Mehr Programm – weniger Mensch
Der lange Marsch durch die Institutionen
Europa – und was danach kommt
Von der Vision zur Bürokratie
Die EU-Kommission als europäische Regierung
Von der Vision zum Bürokratie-Monster
„Wie mache ich mich am unbeliebtesten“
Die Mär vom Brüsseler Beamtenapparat
Europas digitale Dekade bis 2030
Europas digitaler Kompass
Mehrländerprojekte
Digitale Rechte und Grundsätze
Ein digitales Europa in der Welt
Lehren aus der Pandemie
Die Sternstunde des Multilateralismus … fällt aus
Beschädigte EU
Der neue Marshallplan
Streit nach der Krise
Wiederbelebungsprogramm für Europa
Die Billionen-Rettung
Von der Milliarden- in die Billionenwirtschaft
Multilateralismus am Ende
Eine neue Weltordnung
Der Dritte Weltkrieg… hoffentlich nicht!
Das Kriegstriumvirat
Die Falle des Thukydides
Europa versus Amerika
Die NATO schlingert
Nine Eleven – der erste Bündnisfall
Europäische Armee vor gewaltigen Hürden
Hypothetischer Angriff auf Europa
Über die Autoren
Andreas Dripke, Publizist
Hang Nguyen, Humanistin
Dr. Horst Walther –
Bücher im DC Verlag
Über das Diplomatic Council
Quellenangaben und Anmerkungen
Die „Alte Welt“ ist eine historische Bezeichnung für die Kontinente der Erde, die den Europäern vor der Entdeckung Amerikas 1492 bekannt waren: Europa, Afrika und Asien. Im Grunde genommen ist Europa (altgriechisch Εὐρώπη Eurpē) gar kein eigener Kontinent, sondern lediglich ein Subkontinent, der mit Asien zusammen den Kontinent Eurasien bildet. Indes ist der Begriff „Europa“ nicht rein geographisch definiert, sondern bezieht sich auch auf historische, kulturelle, politische, wirtschaftliche, rechtliche und ideelle Aspekte. „Kein Ort, sondern eine Idee… eine Kategorie des Geistes, nicht des Seins“, charakterisierte der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy Europa im August 1789 im Zuge der Französischen Revolution.1 Dieses kulturelle Europa ist in der Regel auch gemeint, wenn man vom „Alten Kontinent“ spricht. Der Begriff verdeutlicht Europas Verwurzelung in der griechischen Kultur sowie seine Prägung durch das Römische Reich und das Christentum, drei Einflüsse, die bis heute die europäische Kultur maßgeblich bestimmen.
In der Antike vereinigte das Römische Reich zeitweise das südliche Europa mit den anderen Küstenländern des Mittelmeerraums zu einem Großreich. In der Spätantike wurde das Christentum zur Staatsreligion erhoben, was bis heute fortwirkt. In dieser Zeit drängten eine Vielzahl von meist germanischen Stämmen wie Angelsachsen, Franken und Goten in das westliche Europa und bildeten den Grundstein für zukünftige Nationen wie England, Frankreich und Spanien. All diese Jahrhunderte hindurch war Europa ein Ort der Kriege, der keineswegs als Vorbild für was auch immer taugte.
Erst im 18. Jahrhundert setzte die Bewegung der Aufklärung neue Akzente und forderte Toleranz, die Achtung der Menschenwürde, Gleichheit und Freiheit. Wenn wir heutzutage von „europäischen Werten“ sprechen, dann meinen wir damit die Zeit von vor rund 300 Jahren. Der „Alte Kontinent“ in dieser heute gern angesprochenen Tradition reicht also lediglich bis etwa 1798 zurück – das Jahr der französischen Revolution. Dabei werden die „dunklen Flecken“ seit dieser Zeit, vor allem der Erste und der Zweite Weltkrieg, häufig mehr oder minder ausgeblendet, um die „europäischen Werte“ als „edel und gut“ zu preisen.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg manifestierte sich allmählich die Vorstellung eines geeinten oder zumindest friedlichen Europas. Am 9. Mai 1950 entwickelte der damalige französische Außenminister Robert Schumann in einer Rede in Paris die Idee einer überstaatlichen europäischen Institution zur Verwaltung und Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduktion. In seiner Vision sollte diese neue Art der politischen Zusammenarbeit Kriege zwischen den europäischen Nachbarn verhindern.2 Sein Vorschlag, der ein Jahr später in Form der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl umgesetzt wurde, gilt als Grundstein der heutigen Europäischen Union. Bis dahin war es allerdings noch ein langer Weg. 1951 schlossen sich Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Italien und Frankreich zur Montanunion bzw. EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) zusammen. Der Versuch, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) sowie eine Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) zu gründen, scheiterte 1954 an der französischen Nationalversammlung. Daraufhin wurden 1957 mit den Römischen Verträgen die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) sowie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet. Ab dem EG-Fusionsvertrag 1967 teilten sich die drei Europäischen Gemeinschaften (EGKS, Euratom und EWG) die gemeinsamen Institutionen Kommission, Rat, Parlament und Gerichtshof. Mit dem Vertrag von Maastricht 1993 wurde die EWG in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt. Zugleich wurde die Europäische Union gegründet, die die drei Gemeinschaften umfasste und um zwei zwischenstaatliche Politikbereiche, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres, erweiterte. 2002 wurde die EGKS aufgelöst und ihre Funktionen wurden von der EG übernommen. Durch den Vertrag von Lissabon ging die EG zum 1. Dezember 2009 vollständig in der EU auf. Nach der Ost-Erweiterung in den Jahren 2004, 2007 und 2013 sowie dem Austritt Großbritanniens zählt die EU gegenwärtig 26 europäische Mitgliedsstaaten, der 27. Mitgliedstaat, die Republik Zypern, zählt geographisch zu Asien.3 Alle diese Zahlen, Entwicklungen und Institutionen gehören für jeden, der sich ernsthaft mit Europa befasst, zur Allgemeinbildung. Der „Schnelldurchgang“ durch die Geschichte lässt den Eindruck entstehen, dass Europa seine jahrhundertealte Zerstrittenheit überwunden hat und sich auf dem Weg zu einer Einigung, einem Vereinten Europa, befindet.
Das wäre schön – doch tatsächlich steht Europa vor Herausforderungen, die die Zukunft des „Alten Kontinents“ weniger rosig erscheinen lassen. Das hängt damit zusammen, dass Europa stärker in der Vergangenheit verhaftet ist als sich um seine Zukunft zu kümmern. Die europäische Gesellschaft hat kaum eine Vision für die Zukunft des eigenen Kontinents, geschweige denn der Welt.
Die europäische Politik folgt weitgehend dieser Fantasielosigkeit der Gesellschaft, die im Grunde nur den heutigen Wohlstand bewahren und ihr bequemes Leben weiterführen will. Allerdings beschleicht immer mehr Menschen in Europa die Ahnung, dass diese Bequemlichkeit und Visionslosigkeit zum Abstieg Europas führen werden.
In dieser Phase der Orientierungslosigkeit will das vorliegende Werk vor allem eines: erklären, aufklären, wachrütteln, Denkanstöße geben und dazu ermuntern, die Zukunft Europas stärker aktiv zu gestalten.
Was wird die Zukunft bringen?“ gehört zu den fundamentalen Fragen sowohl jedes Einzelnen als auch der Menschheit insgesamt. Und doch ist die Frage falsch formuliert: Denn die Zukunft wird uns nicht „gebracht“, sondern sie wird „gemacht“. Es liegt an uns allen, sie gemeinsam selbst zu gestalten. Das gilt immer und überall – aber für Europa in ganz besonderem Maße.
Andreas Dripke
Hang Nguyen
Dr. Horst Walther
Der Kampf der Kontinente – Amerika, Europa, Asien – ist nichts Neues. Doch in unserer Zeit der globalen Abhängigkeiten und der blitzschnellen Vernetzung sind die Auswirkungen dieser Entwicklungen rascher und umfassender spürbar als je zuvor.
„Ach Europa!“ titelt ein Buch von Hans Magnus Enzensberger, dass er etwa ein halbes Jahrhundert nach Ende der letzten großen Katastrophe der europäischen Zivilisation geschrieben hatte.4 Seine Diagnose des „Paradox Europa“ lautet: „Die Irregularität, der Wirrwarr macht die Stärke Europas aus. Die Einheit des Kontinents, so wie sie in der Logik der Konzerne, der Parteien, der Bürokratien verstanden wird, nämlich als Projekt der Homogenisierung, erweist sich als Chimäre. Europa ist als Block undenkbar.“
Das war sein nachsichtiger Blick in das Innenleben der Europäer. In einem fiktiven, um 19 Jahre in die Zukunft projizierten Interview mit dem ebenso fiktiven US-Botschafter Murphy in Bonn, lässt er den Ich-Erzähler in der Rolle eines amerikanischen Ex-GI und Journalisten ein weniger freundliches Bild im Außenblick zeichnen: „Die Europäische Gemeinschaft? Hören Sie auf, Murphy! Sie tun so, als hätten wir es mit einem Weltreich zu tun. Sie wissen so gut wie ich, dass die Europäische Gemeinschaft ein Hühnerstall ist, ein Knäuel von immer kleiner werdenden Staaten – wenn man das, worin sich die Europäer eingerichtet haben, überhaupt noch als Staaten bezeichnen kann.“
Ach Europa! möchte man da ausrufen, sollte nur ein wenig davon zutreffend sein. Aber was ist Europa wirklich? Und, wie sollte es sein?
Europa (griechisch Εὐρώπη) ist geographisch gesehen nur ein Subkontinent des Kontinents Eurasien. Diese Halbinsel, die etwa ein Fünftel der eurasischen Landmasse einnimmt, erstreckt sich nach allgemeiner Übereinkunft vom Norwegischen Kinnarodden im Norden bis zum Spanischen Punta de Tarifa im Süden, vom Cabo da Roca in Portugal im Westen bis zum Ural im Osten. Zum Nachbarn Asien ist Europa nicht klar abgegrenzt und stand somit für allerlei Völkerwanderungen offen.
So ist denn auch nach einer bekannten Formulierung von Bernard-Henri Lévy Europa „kein Ort, sondern eine Idee“. 5 Daran sollten wir uns orientieren – an den historischen, kulturellen, politischen und ideellen Aspekten.
Ich will hier aber weder die Geschichte nacherzählen noch einen Überblick über die kulturellen Strömungen oder die politischen Bewegungen während der unruhigen Jahrhunderte geben, die Europas Völker seither durchlebt haben. Uns ist es wichtig hervorzuheben, was Europa einzigartig macht, ein Merkmal, das uns nachhaltig vom Rest der Welt unterscheidet, auf das wir stolz sein können, das wir notfalls zu verteidigen bereit sein sollten.
Die Rede soll von den so oft bemühten Europäischen Werten sein. Nur, was sind diese Ideen und Werte?
Gerne wird Europa mit dem „Christlichen Abendland“ gleichgesetzt – in deutlicher Abgrenzung zum (muslimischen) Morgenland. Ist dieses besondere Merkmal also das Christentum? Unsere Antwort darauf ist ein klares „nein“. Zwar ist das Christentum erst im Gefolge des Aufstiegs europäischer Staaten zu Weltmächten auch zu einer Weltreligion geworden, seine Wurzeln und seine frühe Verbreitung hat es bekanntermaßen jedoch in einem ganz anderen Kulturkreis, und zwar im Nahen Osten.
Vom Glauben einer ursprünglich verfolgten Minderheit hat sich das Christentum, nachdem es sich gegen den damals vorherrschenden indogermanischen Mithraskult durchgesetzt und diesen ‚mit Stumpf und Stiel‘ ausgemerzt hatte, selber zu einem intoleranten Machtfaktor entwickelt. Als traurige Höhepunkte sind Hexenverbrennungen oder die Vernichtung der Katharer in Südfrankreich durch Papst Innozenz III in Erinnerung geblieben.
Nachdem die Katastrophe der schwarzen Pest im 14. Jahrhundert die damalige Bevölkerung um etwa ein Drittel reduziert und in der Folge die zentralen Autoritäten vorrübergehend geschwächt hatte, blühten zwischen Norditalien und Flandern Stadtstaaten auf, in denen Handel und Kunst gediehen. Es war ein Freiraum für allerlei neue Ideen entstanden, der schließlich in eine Zeit mündete, die allgemein als Wiedergeburt (Renaissance) empfunden wurde.
Damals entstand zunächst in elitären akademischen Zirkeln die Bildungsbewegung des Humanismus, der eine Wiederbelebung der antiken Gelehrsamkeit nach dem Prinzip Ad fontes („Zu den Quellen“) propagierte. Das war der zarte Beginn einer Entwicklung, die schließlich zur Bewegung der Aufklärung führen sollte, mit der wir gemeinhin auch die Entstehung des modernen Europas gleichsetzen.
Zuvor aber – doch, soviel Geschichte muss sein! – musste Zentraleuropa eine weitere Katastrophe überstehen, die diesmal etwa der Hälfte der Bevölkerung das Leben kostete.
Die Humanisten entwickelten aus dem Studium antiker Autoren und dem allgemein freieren Denken heraus nämlich eine kritische Haltung gegenüber der Gegenwart, und insbesondere gegenüber der Macht der Kirche. Diese philosophischen Strömungen führten mit Denkern wie Erasmus von Rotterdam über Ulich van Hutten schließlich zu Martin Luther und der Reformation. Ermöglicht wurde deren durchschlagender Erfolg durch das zeitgleiche Aufkommen des Buchdrucks als Medium der Informationsverbreitung.
Die Gegenreaktionen ließen nicht lange auf sich warten und mündeten schließlich im dreißigjährigen Krieg. In diesen schicksalhaften 30 Jahren zwischen Prager Fenstersturz und dem Westfälischen Frieden wurde Mitteleuropa weitgehend verwüstet. Der Westfälische Friede wurde erst durch die totale Erschöpfung der Ressourcen und die allgemeine Kriegsmüdigkeit möglich. Die durch diesen Kompromiss zwischen allen beteiligten Parteien begründete Westfälische Ordnung, wenngleich keineswegs durchgehend friedlich, hielt immerhin etwa 200 Jahre bis zu den Napoleonischen Kriegen. Seine Grundprinzipien wirken noch heute in der Charta der Vereinten Nationen fort.
Mit dem Aufkommen der Gedanken der Aufklärung, die die Rationalität an die Stelle der verordneten Glaubensdoktrin setzten, war schließlich auch das „christliche Abendland“ nicht mehr Leitmotiv der philosophischen Betrachtungen.
Wie sagte einst Immanuel Kant über ebendiese philosophische Strömung? Sie sei der „Ausgang der Menschheit aus unverschuldeter Unmündigkeit“ – na ja, offenbar noch nicht für die gesamte Menschheit. Für uns ist sie die Wurzel des modernen Europas. Was sonst unterscheidet Europa – positiv – vom Rest der Menschheit? Während anderswo Philosophie und Religion nicht auseinandergehalten werden oder auf einen „gerechten König“ (kann es einen größeren Widerspruch geben?) gehofft wird, haben hier schon vor mehr als 300 Jahren Mutige die Trennung von Staat und Kirche, die bürgerlichen Freiheitsrechte und überhaupt erstmals Gedankenfreiheit gefordert. Auch wenn diese mutigen Europäer permanent von einer Art Fatwa bedroht waren, wollten sie statt an Autoritäten zu glauben, sich in Anlehnung an Kant lieber „ihres eigenen Verstandes bedienen“.
Politisch artikulierte sich die Rezeption dieser Prinzipien in der breiten Strömung des Liberalismus.