Familiengeheimnis - Jürgen Alberts - E-Book

Familiengeheimnis E-Book

Jürgen Alberts

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Beschreibung

Deutschland in den Jahren 1977/78. Die so genannte »bleierne« Zeit hat auch vor den Häusern der beiden verfeindeten Anwaltsfamilien Huneus und van Bergen nicht halt gemacht. Gabriele und Wolfgang versuchen ihr zu trotzen, indem sie ihr privates Glück gegen alle Widerstände abzuschirmen versuchen. Doch ein Journalist hat die Vergangenheit des Hauses Huneus recherchiert und ist dabei auf ein schreckliches Geheimnis gestoßen, das das Leben beider Familien radikal verändert. »Jürgen Alberts Figuren machen Zeitgeschichte lebendig.« Weserkurier Der zweite Roman einer groß angelegten Trilogie über zwei Patrizierfamilien im Deutschland der Nachkriegszeit

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Familiengeheimnis

Eine hanseatische Justiz-Trilogie

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-069-5

MOBI ISBN 978-3-95865-070-1

 

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

TEIL 2

Der Verdacht

»Sollte unser Leben ein Kartenspiel sein, so werden wir geboren, ohne die Spielregeln zu kennen. Wir müssen uns mit den Karten in unserer Hand begnügen und das Spiel zu Ende spielen.«

Niki de Saint Phalle in ihrem Buch über den »Giardino dei Tarrochi« in Capalbio

Gewidmet meiner Frau Marita,

die an meinen grauen Tagen

- eins -

Gabriele Huneus konnte es kaum erwarten, bis Wolfgang seine Kanzlei verließ. Sie ging von einem Zimmer zum anderen. Und wieder zurück. Nahm ein Buch in die Hand. Stellte es ins Regal. Schaute aus dem Fenster.

Am Treppenabsatz hielt sie inne. Fasste mit beiden Händen ans Geländer und beugte sich vor. Blickte hinunter. Dann ging sie ins Bad und fuhr sich mit einer festen Bürste durchs Haar. Ob er es mir gleich ansieht, dachte sie, während sie ihr schmales Gesicht im Spiegel betrachtete?

Am liebsten wäre sie sofort in sein Büro gegangen. Hätte ihm von dem Anruf berichtet. Ganz gleich, ob Wolfgang noch mit einem Mandanten zusammensaß oder ein paar dringliche Akten durcharbeitete. Ich könnte ihn über die Hausleitung anrufen, dachte sie. Mit verstellter Stimme. Hier spricht die Polizei, lassen Sie unverzüglich alles stehen und liegen und kommen Sie mit hoch erhobenen Händen heraus, ergeben Sie sich auf der Stelle ...

Gabriele nahm den Hörer auf. Wählte aber nicht.

Sie wollte Wolfgangs Gesicht sehen, wenn sie es ihm sagte. Wie lange hatten sie darauf gewartet? Wie viele Jahre waren darüber vergangen? Wie oft waren ihre Hoffnungen enttäuscht worden?

Sie hatte jetzt keine Ruhe, die letzten Seiten des Gutachtens zu tippen. Müssen sie sich eben noch einen Tag gedulden, dachte Gabriele. Die Mühlen der Justiz verzichten heute auf mich. Sie stapelte die handgeschriebenen Seiten ihres Gutachtens aufeinander und legte sie in den Ordner zurück.

Gabriele eilte zur Treppe, weil sie Schritte hörte.

Schaute über das Geländer.

Gleich würde Wolfgang vor ihr stehen. Mein Gott, war sie aufgeregt.

»Ei, du strahlst ja so, Gabi!«

Kuno kam aus dem dritten Stock herunter. Augenblicklich schoss ihr die Röte ins Gesicht.

»Stimmt's?«

Gabriele nickte. Erst ein wenig verlegen, dann heftiger. Woher wusste Kuno von dem Anruf? Hatte er mal wieder gelauscht?

»Wenn ihr nachher net wisst, wohin mit dem Glück, feiern könnt ihr doch bei mir.«

Kuno schlang seine Arme um Gabrieles Schultern und drückte sie fest an sich.

»Ei, isch mach mich dann fott! Bin schon e bissi spät dran.«

Kuno war immer ein bisschen spät dran. Manchmal raunzten ihn die Stammgäste an, die vor seinem Lokal warteten. Der silbrige Pferdeschwanz wippte auf und ab, als Kuno die steile Treppe immer zwei Stufen auf einmal nehmend hinunterrannte. Im nächsten Jahr wird er schon fünfundsechzig, dachte Gabriele. Isch bin en alter Sack und den schleppt mer nimmi fott, hatte er gesagt, als der Zahntechniker Egon im letzten Jahr den anderen kurzerhand mitteilte, er habe ein Haus für sich und seine Freundin gekauft. Der hessisch babbelnde Kneipier würde niemals ihre Wohngemeinschaft verlassen. Nun waren sie nur noch zu sechst.

Gabriele ging ins Schlafzimmer, öffnete den Kleiderschrank und suchte das kirschrote Abendkleid, das sie in Amsterdam erstanden hatte. Schulterfrei, bodenlang, eine Sünde wert. »Vor Gericht wirst du damit bei jedem Vorsitzenden Eindruck machen«, hatte Wolfgang gesagt, als sie ihn in dem aufregenden Fummel im Hotelzimmer überraschte. Erst einmal hatte sie das Kleid getragen. Am vorletzten Silvesterabend, beim Hausfest der Wohngemeinschaft. Tanz auf allen Etagen. Rockmusik für die Oldies, die immer gleichen Stücke von den Stones, Chuck Berry und John Mayall. Money, it's a gas, grab that cash and make a stash von Pink Floyd drei Mal hintereinander. Der Parkettboden im ersten Stock wurde völlig ruiniert, die Versiegelung war zu Staub getanzt worden. Es war ein Fest, von dem nicht nur die Freunde der WG noch wochenlang sprachen. Ein wenig neidisch auf die gute Hausgemeinschaft, in der Wolfgang und Gabriele seit so vielen Jahren lebten.

Wir sollten einfach ein paar Tage wegfahren, dachte sie. Nach Amsterdam vielleicht, da waren wir schon lange nicht mehr. Unbeschwerte Tage. Sich durch die Museen treiben lassen, auf Booten durch die Grachten schippern, sich in indonesischen Restaurants verwöhnen lassen, stundenlang im Hotelzimmer vögeln und nicht an die Mühen der Justiz denken. Damals bekamen sie nicht einmal mit, dass sich ein paar Straßen weiter die Krakers mit der Polizei eine Straßenschlacht lieferten. Die holländische Hausbesetzerszene war militant. Erst als sie wieder in die Hansestadt zurückgekehrt waren, lasen sie die ausführlichen Berichte in der Zeitung über die vielen Verletzten. Auf Seiten der Demonstranten und der Polizei.

Gabriele betrachtete sich im Spiegel. Ihre nackten Schultern waren viel zu blass für dieses Kleid.

Sie brauchte einen Plan, um Wolfgang aus seiner Kanzlei loszueisen. Wenigstens für ein Wochenende. Mehr war gewiss nicht drin. Urlaub war für Wolfgang ein Unwort. Wozu brauche ich Urlaub, sagte er immer wieder, ich fühle mich in meinem Beruf ausgesprochen wohl.

Gabriele hatte längst entdeckt, womit sich Wolfgang entspannte. Manchmal verbrachte er die ganze Nacht in seinem Zimmer unterm Dach, um zu schreiben. Dorthin nahm er niemals seine sonst so geliebten Aktenhefter mit. Angesprochen, ob sie lesen dürfe, was er schreibe, hatte Wolfgang stets gesagt, das sei nur für seine Augen bestimmt.

»Willst du mich gleich verführen oder bekomme ich vorher noch etwas zu essen?« Wolfgang van Bergen stand in der Tür, wie immer einen Stapel von Heftern unterm Arm. »Ich habe einen Mordshunger, bin den ganzen Tag nicht dazu gekommen, was zwischen die Kiemen zu kriegen. Und wenn ich nicht gleich ...«

Gabriele lief auf Wolfgang zu Umarmte, küsste ihn, presste ihren Kopf an seine Schulter.

»Wir sind schwanger!«, rief sie aus. Überschwänglich, mit heller Stimme. Wieder und wieder. »Wir sind schwanger! Es hat geklappt!«

»Seit wann weißt du es?«

»Die Praxis hat vor einer halben Stunde angerufen. Befund: positiv! Die Ärztin hat mir schon gratuliert.«

Wolfgang rutschten die Hefter aus dem Arm. »Und warum kommst du nicht gleich ..«

Er fasste Gabi um die Hüften, hob sie hoch und schwang sie in der Luft, während er sie immer wieder küsste.

»Kuno meint, wir sollten bei ihm feiern ...«

»Ach ne, nich schon wieder beim Kuno. Das ist kein Anlass für Bier und Soleier ...«

Wolfgang setzte Gabriele behutsam ab.

»Ich hab doch längst vorgesorgt!«, rief er beim Hinausgehen.

Kurz darauf kam er mit einer Pulle Sekt und zwei Gläsern ins Schlafzimmer zurück.

»Irgendwann musste es ja klappen!«, rief er aus. Als habe er einen Freispruch in der letzten Instanz erreicht.

Der Sektkorken knallte an die Decke, landete als Querschläger am Spiegel und rollte unters Bett.

Sie prosteten sich zu.

»Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben«, sagte Gabriele etwas leiser.

Nachdem sie sieben Jahre lang die Pille genommen hatte, schien sich keine Schwangerschaft mehr zu ergeben. Dabei zeigten die Untersuchungen bei der Hausärztin, dass es aus biologischen Gründen keinerlei Hindernisse geben konnte. So waren drei Jahre vergangen. Bis nun die erlösende Nachricht kam.

Wolfgang füllte die Gläser nach. »Jetzt trinken wir die Pulle leer und tanzen auf der Straße, dann gehen wir essen und zeigen wir dem Baby anschließend mal, worauf es in der Liebe ankommt ...«

Es klingelte an der Haustür.

Wolfgang sah auf die Uhr.

»Ach, verdammt, den hab ich doch glatt vergessen.«

»Um diese Uhrzeit? Ein Mandant? Das kann nicht dein Ernst sein, Wolfgang.«

»Nein, das ist Rolf. Der will zu dir.«

»Zu mir? Welcher Rolf? Ich kenne keinen Rolf Und heute schon gar nicht!«

»Natürlich kennst du Rolf? Rolf Campmann. Das geht ganz schnell, Gabi.« Wolfgang ließ sie stehen. »Zieh dir was anderes an, in dem Kleid können wir nicht ausgehen.«

Gabriele lachte ihr helles Lachen. Auch wenn sie ein wenig enttäuscht war.

Schnell schlüpfte sie wieder in ihre Jeans, zog eine hellblaue Seidenbluse an und holte das sandfarbene Jackett aus dem Schrank. Die elegante Gattin des Rechtsanwaltes wird heute zum Essen ausgeführt. Noch sieht man ihr nicht an, dass sie in anderen Umständen ist. Aber bald werden es alle erfahren, spätestens wenn die Hochzeitseinladungen rausgehen ...

Gabriele zögerte.

Wen aus ihrer Familie wollte sie zur Hochzeit einladen? Den Herrgott unter keinen Umständen.

»Kommst du bitte runter in die Kanzlei!«, rief Wolfgang. »Es geht ganz schnell, wirklich.«

»Ich fliege!«, antwortete Gabriele.

Rolf Campmann trug eine schwarze Lederjacke, einen kurz geschnittenen Bart, eine kreisrunde Nickelbrille und zog an einer maisgelben Gitanes.

»Ihr kennt euch, oder?«, sagte Wolfgang.

Gabriele hatte den Journalisten zwar einige Male im Fernsehen gesehen, aber noch nie mit ihm gesprochen.

»Ich brauche deine Hilfe, Gabriele!« Campmanns Stimme klang vertraulich.

Wolfgang wies dem Journalisten einen Platz an. »Willst du was trinken, Rolf?«

»Wenn du ein Bier hast, gerne«, erwiderte Campmann beinahe ausgelassen.

Muss er ihn auch noch auf ein Bier einladen, dachte Gabriele. Es geht ganz schnell, Wolfgangs Lieblingssatz, ja, ja, es geht ja immer alles ganz schnell ... bis es dann irgendwann zu spät ist, noch auszugehen ...

»Wobei soll ich Ihnen helfen?« Gabriele verschränkte die Arme unter dem Busen.

»Bleiben wir doch beim du«, sagte Campmann. »Es geht um deinen Großvater!«

Gabriele zuckte zusammen.

Wolfgang brachte ein tulpenförmiges Glas und schenkte Campmann das Bier ein. »Ich hab Rolf schon gesagt, dass du da keine Aktien drin hast, aber er wollte es unbedingt von dir selbst hören.«

Rolf Campmann nahm das Bierglas, prostete den beiden zu. »Ich versuche seit Wochen, an deinen Großvater heranzukommen, aber er lässt sich immer verleugnen. Ich dachte, du könntest mir weiterhelfen.«

Gabriele schüttelte den Kopf. »Der Herrgott ist für mich gestorben. Und der Rest der Familie auch.«

»Welcher Herrgott?«, fragte Campmann.

»So wurde der alte Herr im Hause der Hunnen immer genannt«, erklärte Wolfgang. »Ich hab doch gesagt, dass dir Gabi zu dem greisen Familienoberhaupt keinen Zugang öffnen kann.«

»Es wäre nur ein kurzer Anruf.« Campmann schien sich nicht so leicht abwimmeln zu lassen.

Gabriele wurde sauer. »Ich soll nach zehn Jahren zu Hause anrufen und sagen, da will ein gewisser Herr Campmann etwas von dir wissen. Wie stellst du dir das vor? Nur weil du versuchst, an ihn heranzukommen.«

Gabriele stand auf »Wolfgang, wir gehen jetzt.«

Sie hakte sich bei ihm ein.

Drängte ihn zur Tür.

Campmann stellte sein Bierglas ab. »Ich habe nur eine ganz simple Frage an deinen Großvater. Die lässt sich gewiss leicht klären, ich bräuchte nur eine kleine Voranmeldung ...«

»Bin ich dein Telefonfräulein, Rolf?«, fuhr Gabriele den Journalisten an.

Unbeirrt setzte Campmann fort: »Warum hat dein Großvater bereits im Januar 1930 einen jüdischen Mitarbeiter aus seiner Kanzlei geworfen? Ganze drei Jahre vor der faschistischen Machtergreifung. Arnold Zimmerschied war ein fähiger Jurist, hatte alle Examen mit Auszeichnung bestanden, summa cum laude, und wird ohne jeden Grund auf die Straße gesetzt.«

Gabriele ließ Wolfgang los.

»Ich hab noch nie was davon gehört«, sagte sie.

Das Telefon klingelte.

Wolfgang ging zum Schreibtisch.

»Lass es klingeln«, bat Gabriele inständig. »Bitte, Wolfgang, mir zuliebe«, setzte sie etwas lauter hinzu.

Wolfgang hielt den Hörer in der Hand.

»Van Bergen.«

Die Stimme, die an sein Ohr drang, nahm ihn schon bei den ersten Worten gefangen. Eine Frauenstimme, in melodiösem Alt. Nur ein paar Sätze hingehaucht. Sie habe eine sehr persönliche Bitte an ihn. Ob er etwas Zeit für sie habe?

»Ich komme«, sagte Wolfgang nach einem knappen Räuspern, »ich komme sofort, Frau Kerner!«

Dann legte er den Bakelithörer auf die Gabel des schwarzen Telefonapparates.

Er wandte sich an Gabi. »Wir treffen uns beim Thailänder! Einverstanden? Es geht ganz schnell. Sagen wir in einer Dreiviertelstunde!«

Gabriele konnte nichts erwidern.

Schon hatte Wolfgang die Kanzlei verlassen.

»Dann habe ich ja etwas Zeit.“ Rolf Campmann schenkte sich den Rest aus der Bierflasche ein. »Vielleicht kann ich dich noch umstimmen.«

Gabriele schaute aus dem Fenster. Wolfgang startete den alten BMW und brauste davon.

»Ziemlich gemütlich, diese Kanzlei«, sagte Campmann. »Ich kenne in der Hansestadt nur die ganz gediegenen Sozietäten wie die deiner Familie oder die kleinen Krauter-Juristen, die von der Hand in den Mund leben, deren Mobiliar stammt von Haushaltsauflösungen oder vom Sperrmüll.«

Wolfgang van Bergen hatte in den letzten zehn Jahren seine Kanzlei immer wieder selbst renoviert. Die Wände und Stuckdecken waren braun gestrichen, dann in Cremeweiß, jetzt erstrahlten sie in einem matten Grün. Sein Kollege Hermann, mit dem er die Sozietät betrieb, legte keinerlei Wert auf das Interieur, aber Wolfgang ließ sich nicht davon abbringen, alle paar Jahre zu renovieren, er brauche die Abwechslung.

»Ich kann dir nicht helfen, Rolf«, sagte Gabriele, ohne Campmann anzusehen, »das musst du schon mir überlassen.« Sollte sie diesem Journalisten über das Zerwürfnis mit ihrer Familie erzählen? Alte Narben aufreißen, neuerlich die Schmerzen spüren, die ihr der Herrgott und die ganze Sippe zugefügt hatten. Das lag alles so weit entfernt. Auch wenn sie vorhin daran gedacht hatte. Die gute Nachricht von der Schwangerschaft, die anstehenden Hochzeitsvorbereitungen. Nur eine einzige Person aus ihrer Familie war Gabriele geblieben. Aber die lebte unter falschem Namen, mehr als hundert Kilometer weit entfernt.

»Hast du dich nie gefragt, was die Kanzlei Huneus & Huneus in der NS-Zeit getrieben hat?« Campmann zündete seine Gitanes wieder an und hielt Gabriele die Schachtel hin.

Sie lehnte ab.

»Wolltest du das denn nicht wissen?«

Gabriele stockte.

»Soll das ein Verhör werden?«, fragte sie ungehalten. »Muss ich mich rechtfertigen, dass ich meine Alten nicht nach dem Leben in der Nazi-Zeit befragt habe?« Gabriele erinnerte, dass ihre Urgroßmutter Helene eine ziemliche Abneigung gegen die Parteibonzen hatte. Wenn von denen jemand kam wegen Scheidung und so, hab ich immer gesagt, wir hätten schon zu viele Mandate und könnten auf absehbare Zeit keine neuen hinzunehmen, hatte Helene augenzwinkernd ihrer Urenkelin erzählt. »Die Nazi-Zeit ist niemals ein Thema bei uns gewesen«, sagte Gabriele abwehrend. Was sollten Rechtsanwälte, die vornehmlich in Wirtschaftssachen unterwegs waren, auch schon Schlimmes angerichtet haben?

Gabriele hoffte, dass der Journalist aufstand und die Kanzlei verließ. Warum Wolfgang sie mit ihm alleine gelassen hatte, würde er ihr erklären müssen. Dieser Anruf war ja mal wieder besonders dringlich gewesen.

»Ich war zweiundzwanzig, als ich von meiner Familie getrennt wurde, ich hatte damals ganz andere Probleme.«

»Warum bist du ... getrennt worden?«, fragte Campmann. »Willst du darüber etwas sagen?«

»Nein!«, antwortete Gabriele.

Nun schaute sie ihn an. Jetzt geh schon, dachte sie. Trink das verdammte Bier aus und hau ab.

Gabriele wollte viele Jahre mit der Juristerei nichts zu tun haben und hatte in Frankfurt Psychologie studiert. Was sie vor ihren Eltern geheim hielt. Psychologen gehörten zu den verachteten Seelenklempnern, wie sich ihr Vater auszudrücken beliebte. Als sie Wolfgang kennen lernte, wechselte sie den Studienort. Nach ihrem Diplom an der Hamburger Universität arbeitete Gabriele eine Zeit lang für ein Marktforschungsinstitut in Süddeutschland. Dann las sie die Anzeige des Institutes für forensische Psychologie in Duisburg und bewarb sich.

»Und du siehst wirklich keine Möglichkeit ...« Campmann beendete den Satz nicht.

»Nein.« Wann kapiert er endlich, dass ich ihm nicht helfen kann?, dachte Gabriele.

»Ich will nicht aufdringlich sein, aber es wäre wirklich für mich wichtig.«

Sie spürte, dass dieser Journalist viel mehr wollte, als dem Herrgott eine simple Frage stellen.

»Der damals entlassene jüdische Mitarbeiter war der beste Freund meines Vaters. Arnold Zimmerschied bekam sofort nach dem Januar 1933 Berufsverbot, hat das Land gerade noch rechtzeitig verlassen können, sich später im mexikanischen Exil das Leben genommen. Mein Vater hat mir erst kurz vor seinem Tod davon erzählt. Er hat sich sein ganzes Leben lang Vorwürfe gemacht, dass er in dieser schweren Zeit seinem besten Freund nicht zur Seite gestanden hat.«

Nach den Auschwitz-Prozessen Mitte der sechziger Jahre gab es erste Diskussionen über die NS-Vergangenheit der Vätergeneration, die mit der Studentenrevolte 1968 ihren Höhepunkt erreichten. Jetzt, zehn Jahre später, nach der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer, wurde diese Diskussion erneut zum Thema. Während seiner Zeit im Protektorat Böhmen-Mähren war Hanns-Martin Schleyer als Führer des Industrieverbandes für Hunderttausende von Zwangsarbeitern in den Waffenfabriken zuständig gewesen.

»Arnold konnte in Mexiko keine Arbeit als Rechtsanwalt finden und hat sich beim Theater verdingt, als Beleuchter. Eines Abends wurde er auf der Bühne erhängt aufgefunden. Als der Vorhang zu einer Premiere aufging, sahen ihn die Zuschauer. Er hatte den Freitod gewählt. Mir geht dieses Bild einfach nicht aus dem Kopf.«

Campmann hob beide Schultern, als wolle er um Verzeihung bitten, dass er Gabriele derart bedrängte.

»Rolf, sei mir nicht böse, aber ich sehe keine Möglichkeit. Für mich gibt es zu dieser Familie keinen Rückweg. Vielleicht versuchst du es mal über meine Mutter ...«

»Die hat diese Galerie am Wall?«

»Der Name steht ja groß dran.«

Campmann verzog das Gesicht. Seine Zähne wurden sichtbar, sie waren so gelb wie seine Zigaretten.

»Wenn ich ihr sage, weswegen ich deinen Großvater sprechen will, wird die doch sofort die Schotten runterlassen. Ich dachte, mit dir und Wolfgang kann ich offen darüber reden, weil wir die Sache politisch ähnlich sehen.«

Meine Mutter wird dich achtkantig rausschmeißen, dachte Gabriele, wie sie mich damals aus der Galerie rausgeschmissen hat.

»Mein Großvater wird dieses Jahr fünfundachtzig.«

»Ich weiß, er ist am 1. September geboren.«

Gabriele zuckte neuerlich zusammen. Noch stand der Geburtstermin nicht genau fest, aber ihr Kind sollte Ende August zur Welt kommen. Hoffentlich nicht am Geburtstag ihres Großvaters.

»Ich muss jetzt los! Wolfgang soll nicht auf mich warten.«

»Hast du was dagegen, wenn ich mitkomme? Ich könnte euch von meiner Recherche erzählen.«

»Ein anderes Mal gerne, aber nicht heute. Wir haben etwas zu feiern.«

Gabriele hielt sich die Hand vor den Mund.

»Bin ich in etwas hineingeplatzt? Tut mir Leid.«

Sie strahlte den Journalisten an. »Ich habe vorhin erfahren, dass ich schwanger bin. Wir haben so lange darauf gehofft ...«

»Bin schon weg«, sagte Rolf Campmann. »Gratulation, wirklich, und bitte um Entschuldigung ... Wolfgang hätte doch sagen können, dass es euch beiden heute nicht passt«

Das hätte er, dachte Gabriele. »Er ist manchmal etwas schwer von Begriff ... in diesen Dingen«, sagte sie. »Halte mich auf dem Laufenden, wenn du etwas herausbekommst.«

Sie öffnete die Haustür, um Campmann hinauszubegleiten.

Dann rannte sie ins Schlafzimmer hinauf und zog sich das kirschrote Abendkleid an.

Nicht nur Wolfgang sollte Augen machen.

- zwei -

»Wie hält sie sich so?« Wolfgang van Bergen trat ganz nah an den Wachmann heran. Gerötete Augen, verschwitzte Stirn.

»Frau Kerner nimmt das alles sehr professionell! Der Prozess scheint ihr nichts anzuhaben!« Die Dienstmütze saß dem Justizbeamten tief im Nacken. »Sie ist die beliebteste Gefangene in unserer Anstalt. Wir haben vollstes Verständnis für sie.«

»Für eine mutmaßliche Mörderin?«, fragte Wolfgang.

Die Zeitungen hatten ausführlich über den Fall Kerner berichtet. Obwohl nach ihrem Geständnis die Luft ein wenig raus war. Kam nur noch darauf an, ob der Rechtsanwalt den Vorsatz wegplädieren konnte. Wahrscheinlich hatte es Streit an Bord gegeben. Waren sich die Männer in die Haare geraten? Sabine Kerner mittendrin. Mit einem Paddel hatte sie zugeschlagen. An die weiteren Umstände des Falles konnte sich Wolfgang nicht erinnern. Am Telefon hatte Frau Kerner es ausgesprochen dringend gemacht. Ihr Name elektrisierte ihn. Und ihre Stimme. Warum braucht sie rechtlichen Beistand? Sie hat doch einen Verteidiger. War das nicht dieser schneidige Dr. Frost, der zu den angesetzten Terminen aus Frankfurt angereist kam und das Gericht mit einer Batterie von Anträgen beschäftigte?

»Frau Kerner macht keinerlei Ärger und benimmt sich absolut tadellos uns gegenüber«, fügte der Wachmann hinzu, »das können wir nicht von allen Häftlingen sagen.«

»Ist es üblich, dass Untersuchungshäftlinge so spät noch Besuch empfangen dürfen?«, fragte Wolfgang den Justizbeamten, der ihn in der Haftanstalt von Gitter zu Gitter durchschloss.

»Üblich ist das keineswegs, Herr van Bergen.« Er blinzelte dem Rechtsanwalt verschwörerisch zu. »Aber auch wir haben manchmal ein Herz, verstehen Sie!«

Die Fahrt zum Untersuchungsgefängnis dauerte kaum eine Viertelstunde. Wolfgang war den Weg so oft gefahren, dass er sich nicht auf die Straße konzentrieren musste. Hier spricht Frau Sabine Kerner, hatte sie am Telefon das Gespräch eröffnet. Die Segeltörn-Mörderin. Diese rauchige Stimme, die ihn in Bann schlug.

Bei einer Segelpartie in dänischen Gewässern bringt die mutmaßliche Täterin ihren Liebhaber um. Frau Kerner nimmt die Schuld auf sich. Ich habe Wilfried Mohnheim mit einem Paddel erschlagen, hatte sie gestanden. Und so war es in allen Zeitungen zu lesen. Manchmal in fetten, roten Lettern. Allerdings gestand sie die Tat erst, nachdem die deutsche Polizei sie damit konfrontiert hatte, dass in der fraglichen Zeit keine nennenswerten Windstärken verzeichnet worden waren. Zunächst behaupteten die drei Kerners bei der dänischen Polizei gleichlautend, Wilfried sei bei einem heftigen Orkan über Bord gegangen. Die stundenlange Suche in stürmischer Nacht habe leider keinerlei Lebenszeichen ergeben. Es wurde ein Protokoll ausgefertigt und die Kerners konnten nach Hause reisen. Dann kamen der dänischen Polizei Zweifel. In jenen Tagen gab es weit und breit keinen Sturm. Sie übermittelten ihre Bedenken den deutschen Kollegen in der Hansestadt. Bei der ersten Vernehmung erlitt Sabine Kerner einen Nervenzusammenbruch und gestand den Mord an ihrem Liebhaber. Ich habe ihn bei einem Streit mit dem Paddel erschlagen, so hatte sie sich eingelassen.

»Können Sie sich vorstellen, warum sie mich hergebeten hat?«, fragte Wolfgang.

»Wenn Sie sich das nicht denken können«, antwortete der Beamte, »keine Ahnung. Ich bin ja kein Jurist.«

Die Mandanten, die Wolfgang in den letzten Jahren verteidigte, schätzten nicht nur sein forsches Auftreten vor Gericht, sondern seine zuverlässige Art, niemandem etwas vorzumachen, einen Sieg in einem aussichtslosen Prozess vorzugaukeln oder Hoffnung auf ein vermindertes Strafmaß zu wecken. Wolfgang liebte Fälle, die ein wenig Glanz versprachen. Sein erstes Verfahren, in dem er für Hannah Huneus, die jüngere Schwester seiner Freundin, einen Freispruch erzielte, bestimmte seinen weiteren Weg. Auch wenn es sich nur um einen Freispruch zweiter Klasse gehandelt hatte.

Die Besucherzelle war ein quadratischer Raum, in dem es nach gebohnertem Linoleum roch. Bis in Kopfhöhe waren die Wände mit dunkelgrauer Lackfarbe gestrichen, darüber weiß gekalkt. In der Mitte stand ein Tisch mit zwei Stühlen. Über der Tür lächelte sanft der Bundespräsident.

»Ich hole Frau Kerner«, sagte der Beamte.

Wolfgang mochte den Kollegen Dr. Frost nicht besonders. Der Strafverteidiger war ein pompöser Fatzke, der sich in jedes Rampenlicht stellte, kein Mikrofon ausließ und immer dicke Backen machte, wenn es darum ging, einen Freispruch zu prognostizieren, obwohl das Hauptverfahren noch gar nicht begonnen hatte. Warum Frau Kerner gerade ihn zum Verteidiger genommen hatte, konnte Wolfgang nur vermuten. Sein Name war republikweit bekannt: Dr. Frost liebte Skandalfälle, spielte in der Frankfurter High Society auf dem Medienklavier und tauchte immer wieder in den Klatschspalten der Boulevardpresse auf. Manchmal war Wolfgang ein wenig neidisch auf die Aufmerksamkeit, die Dr. Frost zuteil wurde.

»Schön, dass Sie gleich kommen konnten.« Ihre Altstimme war noch aufregender als am Telefon. »Ich werde Sie gewiss nicht enttäuschen, Dr. van Bergen.«

Sabine Kerner trug einen anthrazitfarbenen Hosenanzug und weiße Mokassin-Slipper. Ihr Gesicht war schmal geschnitten, sie hatte eisgraue Augen und dunkelrot geschminkte Lippen.

Der Rechtsanwalt bat den Wachhabenden, sie allein zu lassen.

»Herr van Bergen, ich sitze still dahinten in meinem Eckchen und sehe und höre nichts, wie es unseren Vorschriften entspricht«, antwortete der Uniformierte. »Immerhin sind Sie ja nicht der Verteidiger der Dame.«

Sabine Kerner wandte sich an den Beamten, er möge doch dieses Mal eine kleine Ausnahme machen. Sie lächelte ihn dabei so verwegen an, dass Wolfgang erschrak.

»Aber nicht länger als fünf Minuten!« Der Wachhabende erhob sich gemächlich von seinem Stuhl.

»Würden Sie meine Verteidigung übernehmen?«, fragte Sabine Kerner sofort, nachdem der Beamte die Tür hinter sich geschlossen hatte.

»Sie haben doch einen Verteidiger! Dr. Frost, überaus kompetent, wie man so hört.« Hat die dringliche Anfrage der Segeltörn-Mörderin damit zu tun, dass ihr Rechtsanwalt in Frankfurt wohnt und sie ihn für eine juristische Nachfrage nicht erreichen kann?

»Ich habe heute Nachmittag den Frost in die Wüste geschickt!«, sagte Sabine Kerner. Ihre eisgrauen Augen fixierten ihn.

»Warum?« Wolfgang versuchte, ihrem Blick standzuhalten. »Ich konnte ihm nicht mehr vertrauen!«, kam die prompte Antwort. Und sie klang äußerst verächtlich.

Sabine Kerner kniff die Augenlider zusammen. Der rote Mund ganz schmal.

»Haben Sie sich das gut überlegt? In einem laufenden Verfahren den Verteidiger zu wechseln hat nur selten zu einem befriedigenden Ergebnis geführt, aber das Vertrauen müssen ja erst mal die Mandanten ...« Wolfgang ließ den Satz unvollendet.

»Ich weiß, was ich tue.« Die Antwort so klar wie der Kammerton a. Ihre geringe Körpergröße täuschte. Sie schien über erhebliche Energien zu verfügen.

»Wie zerrüttet ist denn das Vertrauensverhältnis?« Wolfgang schaute auf die Uhr. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Justizwachtmeister wieder die Besucherzelle betrat. Fünf Minuten würden da nicht reichen. Unter keinen Umständen.

»Unsere Scheidung stand schon seit langem an«, erwiderte Frau Kerner. »Er will mich nicht mehr auf meinem Weg unterstützen.«

Wolfgang kamen ihre Formulierungen merkwürdig vor. So überaus gedrechselt. Welcher Art war die Liaison, die sie mit Frost eingegangen war? »Womit hat sich der Kollege Ihr Misstrauen erworben?«

»Ich habe heute Morgen schriftlich mein Geständnis zurückgezogen!« Wieder fixierte sie ihn »Gegen den ausdrücklichen Ratschlag des Herrn Doktor Frost, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Sabine Kerner faltete einen Zettel auseinander und reichte Wolfgang den Durchschlag.

Er überflog die Zeilen. Möchte ich hiermit mein Geständnis in dem anhängigen Verfahren widerrufen ... Das war ihm in seiner Zeit als Strafverteidiger noch nie passiert. Wenn eine Mandantin ihrem juristischen Beschützer davonlief, musste es besondere Vorkommnisse gegeben haben. Warum will sie gerade jetzt den Verteidiger auswechseln?, dachte er. Wolfgang stellte sich das anstehende Gespräch mit Dr. Frost äußerst schwierig vor.

»Hatten Sie denn Probleme mit dem Vorsitzenden Richter?« Wolfgang konnte sich nicht erinnern, ob Dr. Landmann oder Dr. Briegleb das Verfahren im Schwurgerichtssaal leitete.

»Nein, nein«, erwiderte Sabine Kerner, »der Richter frisst mir aus der Hand, Herr Doktor,«

Während des Studiums in Marburg hatte Wolfgang selbst mit dem Beruf geliebäugelt, den sein Lieblingsonkel Ulrich ausübte. Richter waren frei, durften unabhängig entscheiden, was konnte ein geschulter Jurist mehr erwarten. Sie waren die eigentlichen Herren im Gerichtssaal und besaßen eine hohe Reputation. Aber inzwischen schienen ihm die meisten dieser Schwarzroben verklemmte Bürokraten, die von Lob und Tadel der Hierarchie abhängig waren, oft pedantisch, fast immer politisch diffus, selten liberal und kriminalpsychologischen Ergebnissen gegenüber wenig aufgeschlossen. Manchmal genügte ein winziger Einspruch Wolfgangs, um einen altbewährten Richter vollständig aus der Rolle fallen zu lassen.

»Darf ich fragen, wie Sie gerade auf mich gekommen sind?« Er reichte Sabine Kerner den Durchschlag zurück.

»Oh«, nun funkelten ihre eisgrauen Augen, »Sie haben einen wirklich einzigartigen Ruf unter den Insassen. Jeder, den ich gefragt habe, was ich in meiner Verzweiflung tun solle, hat Ihren Namen genannt, Herr Dr. van Bergen ...«

»Ich habe keinen Doktor!«, unterbrach Wolfgang sie.

»Würde das denn im Verhältnis zwischen uns etwas ändern?« Ihre Frage klang überaus kess.

Die Tür wurde aufgeschlossen.

»Die Zeit ist um!«, sagte der Wachhabende. Er zeigte auf seine Armbanduhr.

»Noch zwei Minütchen«, bat Sabine Kerner, »nur noch zwei Minütchen, wir sind gleich fertig, Karl.«

Sie schaute Wolfgang auffordernd an.

»Möglicherweise werde ich die Verteidigung von Frau Kerner übernehmen«, sagte er mit ruhiger Stimme, »das ist ein anwaltliches Gespräch, lassen Sie uns bitte allein.«

»Ach«, erwiderte der Wachhabende, »dann wäre sie ja in bewährten Händen.« Mit einem angedeuteten Bückling verließ er die Besucherzelle. »Klingeln Sie, wenn Sie rauswollen.«

Als der Justizbeamte die eiserne Tür wieder verschlossen hatte, sagte Frau Kerner: »Ich war mir ganz sicher, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Sie werden diesem Briegleb schon Paroli bieten, wenn es ab jetzt hart auf hart kommt.«

Scheint ja fest davon auszugehen, dass ich sie verteidigen werde, dachte Wolfgang. Wenn sie sich da mal nicht irrt.

Wolfgang war in der Hansestadt schnell der Stempel eines Linksanwaltes aufgedrückt worden. Über Jahre verteidigte er Demonstranten vor Gericht, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Hausbesetzer, unrechtmäßige Inbesitznahme von fremdem Eigentum, oder Atomkraftgegner. Er gehörte jedoch nie zu den dogmatischen, linken Kollegen, die davon ausgingen, in der BRD herrsche unumschränkt die Klassenjustiz. Auch wenn man bei manchen Urteilen diesen Verdacht haben konnte.

Bei einem Hearing der Atomkraftgegner, an dem Wolfgang van Bergen als Rechtsbeistand teilgenommen hatte, war er mal gefragt worden, warum die meisten Juristen sich derart obrigkeitshörig und reaktionär benahmen. Wolfgang zitierte den ersten Rektor der FU in Berlin, der sagte, die Juristenausbildung gleiche der Dressur von Zirkusflöhen. »Das geht ganz einfach, meine Herren«, hatte Professor Redslob im Auditorium Maximum gesagt, »die gefangenen Flöhe kommen in eine Zigarrenkiste, auf der eine Glasscheibe liegt. Wenn sie dann springen, stoßen sie sich die Birne. Und peng! Irgendwann haben die dümmsten Flöhe kapiert, dass sie nicht so hoch springen dürfen. Dann legt der Flohdirektor die Glasscheibe ein wenig tiefer. Und peng! Schon wieder haben sich die Flöhe den Kopf gestoßen. Eines Tages nimmt er die Glasscheibe weg und nicht mal der schlaueste Floh hüpft noch aus der Kiste - vor lauter Angst, oben anzuecken.« Der Beifall für Wolfgangs Redebeitrag hatte gar nicht enden wollen. Er fügte hinzu: »Wenn sie gelernt haben, sich nur noch im Kriechgang fortzubewegen, ist die Juristenausbildung abgeschlossen. Das nennen wir das Assessorexamen.« Wolfgang schaffte es, die meisten der angeklagten Demonstranten, die in Itzehoe und Brokdorf mit der Polizei in Konflikt geraten waren, frei zu bekommen.

»Sie müssen dem Gericht eine glaubhafte Erklärung liefern, warum sie zunächst die Tat auf sich genommen haben und jetzt zu der Entscheidung des Widerrufs gekommen sind. Aber was das Wichtigste ist, natürlich müssen Sie im Prozess mitteilen, wie die Sache wirklich vor sich gegangen ist!«, sagte Wolfgang.

»Kann ich mich nicht auf mein Zeugnisverweigerungsrecht berufen? Als Angeklagte? Ich habe mit einem Mithäftling gesprochen ...« Frau Kerner unterbrach sich.

»Das können Sie natürlich, aber dann wird Ihnen das Gericht gewiss nicht so leicht folgen. Was werden Ihr Mann und Ihr Sohn als Zeugen aussagen? Immerhin gingen die beiden bis jetzt davon aus, dass Sie die Tat gestanden haben Da muss Butter bei die Fische, wie man das in der christlichen Seefahrt nennt.«

Sabine Kerner schob die Lippen vor und zurück, öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse und schloss ihn wieder, sah aus dem vergitterten Fensterchen der Besucherzelle, bevor sie Wolfgang selbstbewusst anblickte.

»Sie müssen entscheiden, ob es von Vorteil für mich ist ...« Wiederum hielt sie inne.

»Als Erstes muss ich Ihnen vertrauen können, Frau Kerner!«, sagte Wolfgang, »ich möchte von Ihnen erfahren, wie die Tat geschehen ist, sonst kann und werde ich Sie nicht verteidigen.«

In den letzten zehn Jahren war es häufiger vorgekommen, dass jemand versucht hatte, ihm Lügen aufzutischen, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Wolfgang nannte das Varianten-Schach. Mit welcher Variante will ein Beschuldigter seinen Kopf aus der Schlinge ziehen? Wenn eine Variante keinen Erfolg hat, kommt die nächste dran. Manchmal gelang es Wolfgang, diesem Varianten-Schach vorzeitig ein Ende zu machen.

»Ich kann Karlheinz nicht mehr decken!«, begann Sabine Kerner leise. Sie wandte den Blick zum Bundespräsidenten, dessen Foto direkt über Wolfgangs Kopf prangte. »Mein Mann hat Wilfried gehasst. Das spürte ich gleich am ersten Tag, als wir an Bord der Coralsea gegangen sind. Es kam schon nach wenigen Stunden zum Krach zwischen den beiden, wer der bessere Segler sei und welchen Kurs wir einschlagen sollten. Zwei Kampfhähne eben ...«

Ihre Stimme war kaum noch zu hören.

Wolfgang beugte sich vor.

»Wie kamen Sie denn auf die glorreiche Idee, mit Ehemann und Geliebtem auf einen Segeltörn zu gehen und dabei auch noch Ihren Sohn mitzunehmen?«

Sabine Kerner schüttelte heftig den Kopf. »Die beiden Männer wussten nichts voneinander ...«

»Sind Sie sich da sicher?«, unterbrach Wolfgang sie.

»Absolut sicher. Mein Verhältnis mit Wilfried war ja schon längst vorbei. Das habe ich Dr. Frost immer wieder gesagt. Aber er meinte, das sei für das Verfahren unerheblich...«

Mit einer Handbewegung forderte Wolfgang Frau Kerner auf weiterzusprechen.

Aber sie schwieg.

Schaute ihn unverdrossen an.

»Sie wollten mir erzählen, was in dieser Nacht passiert ist?«

»Ich wollte das nicht ...«

»Was?«

»Ich wollte nicht, was da passiert ist!«

Wolfgang sah, dass die eisgrauen Augen feucht wurden, wie sich in den Augenlidern Tränen sammelten.

Angeklagte zur Wahrheit zu führen war manchmal schwerer, als einen eingebildeten Richter vom Sockel zu holen. Wie viele Prozesstage waren eigentlich schon ins Land gegangen?

»Frau Kerner, es wird Ihnen nicht viel helfen, wenn Sie sich in Schweigen hüllen. Auch wenn das Ihr gutes Recht ist«

Warum hat sie behauptet, sie habe Mohnheim mit einem Paddel erschlagen?, dachte er. Nun kommt also die dritte Variante an die Reihe. Schach dem Ehemann!

»Wenn Sie sagen, Sie wollen Ihren Ehemann nicht decken, dann sind das durchaus schwere Vorwürfe«, sagte Wolfgang, »die werden Sie beweisen müssen!«

Sabine Kerner legte den Kopf auf die Tischplatte.

Verbarg ihre Tränen.

Atmete geräuschvoll.

Ihr schmaler Körper wurde von einem Zittern erfasst.

Ganz schön melodramatisch, dachte Wolfgang, er war sich ziemlich sicher, dass hier eine Zirkusnummer aufgeführt wurde.

Eine Zeit lang schwieg er.

Mit einem solchen Auftritt vor Gericht war nichts zu gewinnen. Damit würde die Angeklagte das Gegenteil erreichen.

»Ich möchte, dass Sie zum Pflichtverteidiger bestellt werden!«, sagte Sabine Kerner, nachdem sie den Kopf langsam wieder gehoben hatte.

Wolfgang zog die Augenbrauen hoch.

»Dr. Frost hat meine finanziellen Reserven restlos aufgebraucht ...«

»Ist das der Grund, dass Sie mitten im Rennen die Pferde wechseln?«, unterbrach Wolfgang sie.

»Nicht in erster Linie, Herr van Bergen, aber das wäre momentan für mich die beste Lösung.«

»Wenn Sie sich davon mehr versprechen ...«

»Heißt das, Sie werden meinen Fall übernehmen?«, setzte Sabine Kerner nach.

»Ein bisschen Bedenkzeit brauche ich schon. Ich muss ja zunächst mit meinem Frankfurter Kollegen telefonieren. Wir wollen gewiss nichts hinter seinem Rücken machen.«

Sabine Kerner öffnete die vollen Lippen einen kleinen Spalt und zeigte ein schmales Lächeln.

»Der weiß schon Bescheid! Ich habe ihm gesagt, dass ich beabsichtige, Sie zu engagieren!«

»Ach«, entfuhr es Wolfgang. »War das nicht ein bisschen vorschnell?«

»Aber doch nicht falsch, oder?«

Nun lachte sie ganz offen. War ihre Stimme nicht gerade noch ...?

»Wie hat Dr. Frost reagiert?«, fragte Wolfgang.

»Wie der Name schon sagt!«

Sabine Kerner erhob sich.

»Ich will Sie nicht allzu lange aufhalten. Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen.«

Sie reichte ihm die Hand.

»Ich lasse Ihnen Bescheid geben«, sagte Wolfgang. Ihre Hand fühlte sich geschmeidig an, fest und überaus warm. »Auf jeden Fall bräuchte ich eine Vollmacht von Ihnen!«

»Ich hätte gewettet, dass Sie das Formular schon mitgebracht haben.«

»Da haben Sie sich geirrt, Frau Kerner.«

Sie betätigte die Klingel neben der Eisentür.

»Vielen Dank, dass du mir geholfen hast, Karl«, sagte sie zu dem Wachtmeister. Er himmelte sie an, als stehe die heilige Justitia persönlich vor ihm.

»Hat Sie denn eine Chance?« Der Beamte klapperte mit den Schlüsseln.

»So etwas kann man erst bei der Urteilsverkündung wissen!«, erwiderte Wolfgang.

»Briegleb ist ein alter Fahrensmann, der schickt doch so eine tolle Frau nicht einfach fünfzehn Jahre in den Kahn? Jetzt, wo sie das Geständnis zurückgezogen hat ...«

»Was hatten Sie denn für einen Eindruck von Dr. Frost?«, unterbrach Wolfgang ihn.

»Ein Ekelpaket!«, entfuhr es dem Beamten. »Dr. Frosch wäre ein besserer Name für ihn. Er kam mir immer vor wie ein glitschiger Frosch.«

Wolfgang hörte das keineswegs ungern. So wenig er es mochte, wenn über Kollegen gehechelt wurde.

Erst als er den BMW, den seine Tante Ulrike und ihre Freundin Detti ihm überlassen hatten, startete, fiel ihm ein, wer die Anklage im Verfahren gegen Sabine Kerner vertrat.

Es war sein Vater, Oberstaatsanwalt Eberhard van Bergen.

Hatten ihn die Juristen in der Familie nicht davor gewarnt, als sie ihm dringend abrieten, sich als Rechtsanwalt in der Hansestadt niederzulassen? Anstatt die vorgezeichnete Spur einzuschlagen und wie alle seine Vorfahren Staatsanwälte oder Richter zu werden. Stell dir doch nur mal vor, du trittst im Gerichtssaal gegen jemanden aus deiner Familie an ...

Mit überhöhter Geschwindigkeit brauste er in Richtung Innenstadt. Hoffentlich war Gabriele noch beim Thailänder. Leider war es nicht so schnell gegangen, wie er gehofft hatte.

Diese Kerner ging ihm nicht aus dem Kopf. Ihre eisgrauen Augen, die warme Altstimme, der feste Händedruck. Am meisten hatte ihn ihre Zielstrebigkeit beeindruckt. Sie schien alles gut durchdacht und fest im Griff zu haben. Es war ein durchaus gewagtes Manöver, mitten im Prozess ein Geständnis zurückzuziehen. Das würde ein juristisches Meisterstück erfordern.

Wolfgang fasste einen Entschluss.

Er würde Sabine Kerner verteidigen.

Eine solche Herausforderung sagte ihm durchaus zu.

- drei -

»Die Sendung ist abgesetzt!« Der Fernsehdirektor verließ ohne weitere Bemerkung den Schneideraum.

Die Cutterin stoppte den Rohschnitt, der auf dem 16-mm-Tisch in drei getrennten Rollen lag.

Karla Kaltenburg ließ den Text sinken. Sie hatte ihren Kommentar nicht mal zu Ende lesen dürfen.

»Das lass ich ihm nicht durchgehen.« Die Cutterin sprang wutentbrannt auf »Piet, du kommst sofort zurück und begründest das«, rief sie über den langen Flur, an dem die Schneideräume der Fernsehanstalt lagen.

Einige Türen sprangen auf. Neugierige Autoren, verstörte Regieassistentinnen, gestandene Schnittmeister. Niemand wollte das Schauspiel verpassen, das sich anzubahnen schien. Es war nicht das erste Mal, dass diese Cutterin sich mit einem Fernsehgewaltigen anlegte.

Karla war ebenfalls aufgestanden.

Ihr Redakteur hatte sich mit Magengrimmen entschuldigt. Leider sei er heute Morgen unpässlich und zu nichts zu gebrauchen. Christoph hatte immer Magengrimmen, wenn eine Abnahme durch den Fernsehdirektor Klaus Peter Loch, genannt Piet, anstand.

Es dauerte eine Weile, bis er wieder den Schneideraum betrat. Seine Miene war gequält.

Die Cutterin nickte Karla ermutigend zu. Sie besaß in der Anstalt ein hohes Renommee, schließlich hatte sie die ersten Fernsehspiele von Rainer Werner Fassbinder geschnitten.

»Dieses infame Machwerk werden wir unter keinen Umständen senden«, sagte der Fernsehdirektor, »es verstößt gegen sämtliche Regeln ...«

»Geht es Ihnen um die Schleyer-Bilder?« Karla stieß direkt zum Zentrum des anstehenden Konfliktes vor.

»Um die auch!«, erwiderte der Fernsehdirektor.

»Die stammen aus unserem hauseigenen Archiv!«, warf die Cutterin ein. »Es war ein Auftritt bei Panorama!«

»Dann kommen diese Bilder ab sofort in den Giftschrank!«, verfügte der Fernsehdirektor. Seine Verfügungen besaßen in diesen Tagen Gesetzeskraft.

Karla hatte eine filmische Sequenz verwandt, auf der zu sehen war, wie der Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer für einen Fernsehauftritt geschminkt wurde. Die Maskenbildnerin bemühte sich vergeblich, den Schmiss auf seiner Wange mit Schminke abzudecken. Der Arbeitgeberpräsident schaute regungslos dem Versuch zu.

»Dr. Schleyer ist ermordet worden und Sie machen sich über ihn lustig, Frau Kaltenburg! Wir sind hier beim Fernsehen und nicht im Kabarett, obwohl ich es auch dort äußerst abgeschmackt fände.«

»Was sollen wir ändern, Piet?« Die Cutterin fuhr den Rohschnitt an die entsprechende Stelle. Bei einem Besäufnis mit dem Fernsehdirektor hatte er ihr mal das Du angeboten, von dem sie gerne Gebrauch machte. Besonders wenn es um knifflige Abnahmen wie diese ging.

»Diese Bilder müssen raus. Der Film muss ganz anders werden. Das ist alles linkes Gesocks, was Sie hier von sich geben!«

Karla Kaltenburg versuchte, sich nicht zu erregen. »Früher nannte man so etwas Zensur!«

»Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich werde diesen Film unter keinen Umständen ausstrahlen lassen!«

Der Titel des Filmes, an dem Karla seit fast zwei Monaten arbeitete, lautete: »Wie couragiert ist unsere Presse?« Er zeigte anhand von verschiedenen Themen, wie sehr es der bundesdeutschen Presse an Zivilcourage mangelte. Weder die Selbstverbrennung des Atomkraftgegners Hartmut Gründler noch die Lockheed-Millionen, mit denen der frühere Verteidigungsminister Strauß geschmiert wurde, waren in den Zeitungen ausführlich behandelt worden. In einem Interview sagte ein Journalist der ZEIT: »So etwas wie Watergate wäre bei uns niemals herausgekommen, dazu ist die Ehe zwischen Politik und Journaille in Bonn viel zu gut eingespielt!«

Karla wusste, dass die Schleyer-Szene nicht die einzige Stelle war, die dem Fernsehdirektor missfiel. Sie hatte sie eingebaut, damit sie bei der Abnahme etwas »zum Opfern« hatte. Die Cutterin hatte der jungen Journalistin diesen Rat gegeben.

»Was soll sonst noch zensiert werden?«, fragte Karla.

Der Fernsehdirektor fuhr sie an: »Jetzt hören Sie doch mit diesem albernen Wort auf, Zensur ist etwas ganz anderes ...«

»Zensur ist nach dem überlieferten preußischen Recht immer die Vorzensur gewesen«, fiel Karla ihm ins Wort. »Wenn einer Redaktion ein Artikel verboten wurde, bevor er in der Zeitung gedruckt wurde ... das machen wir doch gerade hier ...«

»Es geht nicht um Zensur, sondern um Pietät!«, unterbrach sie der Fernsehdirektor barsch.

Und um die Stimmen der konservativen Fernsehräte bei der Wiederwahl im kommenden Herbst, dachte Karla.

»Was Sie da in Stammheim erlebt haben, ist ein Einzelfall - der hat keinerlei Aussagewert!« Der Fernsehdirektor lehnte sich in dem rollenden Sessel zurück, der bei Abnahmen immer für ihn frei zu bleiben hatte. Beinahe wäre er mit dem »Galgen« zusammengestoßen, an dem die Filmreste baumelten.

»Das ist Frau Kaltenburg so passiert!«, protestierte die Cutterin. »Sollen wir denn, wenn wir geschlagen werden, auch noch die andere Wange hinhalten, Piet?«

Karla wollte vor den Toren des Hochsicherheitstraktes in Stuttgart-Stammheim, in dem die Terroristen zu Tode gekommen waren, einen Kommentar aufnehmen und war von der Polizei mit Gewalt daran gehindert worden. Der ungarische Kameramann hatte die Kamera laufen lassen und die Szene festgehalten.

»Ihre Zweifel, dass sich die Terroristen selbst umgebracht haben, schön und gut, das mag ja Ihre Meinung sein ...«

»Wollen Sie mir auch noch meine Meinung verbieten?«, unterbrach ihn Karla entrüstet. »Der Chefredakteur vom STERN hat die gleichen Zweifel wie ich. Er hat doch in dem Interview, das Sie eben gerade gesehen haben, ausdrücklich gesagt, dass es ihm 100 000 Mark wert gewesen wäre, wenn seine Journalisten den Beweis erbracht hätten, dass die These vom Selbstmord falsch ist und tatsächlich ...«

»Der STERN ist keine öffentlich-rechtliche Anstalt!«

»Müssen wir denn diese schöne Passage auch rausnehmen, Piet?«, fragte die Cutterin stoisch. Sie schaute den Fernsehdirektor an, als hätte er ihr gerade das Lieblingsspielzeug weggenommen. Sie hatte bei Fassbinder gelernt, was es hieß, Emotionen einzusetzen.

»Nein, nein, die ist ja dokumentarisch! Aber ich will ein paar mehr Fragezeichen in dem Film und nicht diese unverschämt überheblichen Behauptungen von Frau Kaltenburg. Sie stellen der deutschen Presse ein durchweg schlechtes Zeugnis aus. Das ist jugendlicher Übermut, nichts als die reine Anmaßung von links!«

Und er will natürlich auch nicht in den nächsten Wochen bei Presse-Empfängen angequatscht werden, warum in seiner Anstalt so ein Film ausgestrahlt werden durfte, dachte Karla.

Fast zwei Stunden dauerte die Auseinandersetzung im Schneideraum. Am Schluss ging es nur noch um die Schleyer-Bilder.

Der Film durfte mit einigen Schnittauflagen gezeigt werden. Die Sequenz, die den Arbeitgeberpräsidenten beim Schminken zeigte, wanderte wie angeordnet in den Giftschrank.

Hans Peter Loch verließ als Sieger den Schneideraum. »Ich hoffe, Sie haben die Lektion ein für alle Mal begriffen, Frau Kaltenburg! Unser öffentlich-rechtliches Fernsehen muss ausgewogen bleiben, sonst verlieren wir jedes Recht auf Meinungsäußerung.«

Im Auto sang Karla. Outsidethe society, that's where I want to be von Patti Smith.

Sie schlug den Takt auf dem Lenkrad. Ich hab es dem langen Piet gezeigt, verdammt noch mal. Als sie Christoph am Telefon über ihren Erfolg berichtete, sagte der Redakteur, er fühle sich schon viel besser, vielleicht komme er abends noch vorbei. Karla hatte ihn daraufhin ausgeladen.

Diesen Fernsehredakteur, der nur ein paar Jahre älter war als sie, hatte sie bei einer Demonstration in Brokdorf kennen gelernt. Sie hatte sich ein wenig in ihn verliebt und relativ schnell das Angebot bekommen, fürs Fernsehen zu arbeiten. Erst kürzere Magazin-Beiträge, dann Features. Die Dokumentation »Wie couragiert ist unsere Presse?« sollte eine Dreiviertelstunde lang sein.

Zuhause angekommen rollte sie sich einen Joint. Seit Jahren hatte sie keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt, sondern nur gelegentlich eine Tüte durchgezogen.

Zu gerne hätte sie jetzt ihre Schwester angerufen und von dem Triumph erzählt, aber sie hatte mit Gabriele vereinbart, nur in wirklich dringenden Fällen miteinander zu telefonieren.

Der Joint entspannte Karla schon nach den ersten Zügen.

Sie trat auf den Balkon, auf dem ein paar vertrocknete Pflanzen standen. Lehnte sich über die Brüstung. Ab jetzt würde der lange Piet ein Auge auf ihre Filme haben, das stand fest. Diesmal hatte sie sich noch durchgesetzt. Sie wollte sich nicht verbiegen lassen, wie viele ihrer Kollegen. Nach dem deutschen Herbst vollführten einige Journalisten wahre Eiertänze. Hatten über Nacht die Farbe gewechselt. Aus Wolfspelzen waren Lammfelljacken geworden. Es hatte nicht wenige gegeben, die sich von ihren eigenen Filmen distanziert hatten. Wenn meine Meinung im Fernsehen nicht mehr tragbar ist, dann suche ich mir eben eine andere Arbeit.

Es klingelte an der Haustür.

Wahrscheinlich hat Christoph zwei Pullen Schampus in der Hand, keine Spur von Magengrimmen mehr, will den Sieg feiern, den wir natürlich gemeinsam errungen haben, und dann über Nacht bleiben. Meinetwegen, dachte Karla, wenn es der Karriere dient.

Schnell drückte sie den Joint in einem Blumentopf aus. Vor der Tür stand Bernie.

Er trug zwei Reisetaschen, prall gefüllt, und etliche vollgestopfte Plastiktüten.

Die Haare hennarot, auch sein schütterer Bart war gefärbt. »Kann ich ein paar Tage bei dir abtauchen, Hannah?« Bernie stieß einen Seufzer aus.

Karla zog ihn schnell in die Wohnung. »Verdammt, du sollst mich nicht Hannah nennen! Wie oft muss ich dir das noch sagen, Bernie? Das ist gefährlich.«

»Für mich bist und bleibst du immer Hannah. Den neuen Namen hab ich dir doch selbst gegeben. Schon wieder vergessen?«

Sein Kopf lag schief.

Bernie Sachse hatte bei einem Einbruch im Passamt einen Stapel Personalausweise und Pässe mitgehen lassen. Auch Hannah Huneus profitierte davon, als sie damals untertauchen wollte. Spurlos untertauchen. Verschwinden aus dem Dunstkreis der Familiensippe. Bei ihrem Prozess hatte ihr Vater es nicht mal für nötig befunden, die Verteidigung zu übernehmen. Wenn Wolfgang nicht gewesen wäre ... Freispruch auf ganzer Linie.

Gleich danach war sie abgetaucht.

»Bernie, um das sofort klarzustellen, wenn du irgendwas am Laufen hast, dann verschwinde auf der Stelle. Ich hab keine Lust auf Bullerei und Hausdurchsuchung. Ist das klar?«

Bernie Sachse hob beide Hände. Unter den Ärmeln seiner Windjacke wurden lange Risse sichtbar. »Ich bin absolut clean, Hannah!«

Er grinste.

Hannah war viel zu gut gelaunt, um sich mit Bernie zu streiten. Ihre Beziehung war schon seit Jahren zu Ende. Bernies Lebensmotto hatte ihr nie eingeleuchtet. »Warum arbeiten, um nichts zu verdienen! Dann doch lieber verdienen, ohne was zu arbeiten.« Sein Lieblingstext war »Das Recht auf Faulheit«, Paul Lafargues 1883 erschienene Schrift.

»Wie lange willst du bleiben?«, fragte Hannah.

Bernie zuckte mit den Schultern. »Ich muss mal wieder ein paar Tage von der Bildfläche verschwinden!«

»Bullerei oder Dealer?«

»Beides«, erwiderte Bernie Sachse. »Aber die Bullen mehr!«

Wieder grinste er. Ihm fehlten die beiden oberen Schneidezähne

Es war nicht das erste Mal, dass Hannah ihrem früheren Freund Bernie aus der Patsche half. Einmal musste sie ihn im Knast besuchen. Einfacher Diebstahl. Bernie war von einem Jugendlichen dabei beobachtet worden, wie er ein Einbahnstraßenschild umgestellt hatte, so dass der Verkehr zum Erliegen kam und er in aller Seelenruhe einen Bruch verüben konnte.

»Also gut, drei Tage. Dann bist du wieder weg hier. Du kannst das Gästezimmer haben. Sobald du dich auf der Straße blicken lässt, ist Sense. Kapiert?«

Bernie nickte.

So machte er es immer. Ein paar Tage geräuschlos in fremden Wohnungen untertauchen.

Er schnupperte.

»Am Morgen ein Joint und der Tag ist dein Freund!« Bernie tänzelte in der Küche.

»Es ist später Nachmittag.« Hannah roch, dass er dringend ein Vollbad brauchte.

»Rauchst du den Joint am Nachmittag, dich sogar die Hausfrau mag!«

Nun lachten sie. Beide.

Es war nicht das erste Mal, dass Rolf Campmann die Auffahrt zur Villa Huneus hinaufging. Diesmal trug er einen gedeckten Anzug aus dem Frackverleih in der Humboldtstraße, hatte sein Gesicht glatt rasiert und die Nickelbrille durch ein solides Kassengestell ersetzt.

»Ich komme von der Philharmonischen Gesellschaft«, sagte er mit leiser Stimme, »ich würde gerne Herrn Thomas Huneus senior sprechen.«

Else, eines der beiden Hausmädchen, ließ ihn in die Halle eintreten und bat ihn zu warten.

Campmann hatte sich auf diesen Besuch vorbereitet. Ein paar diskrete Informationen, etwas Recherche und eine Information, die ihn umgehend als Kenner der Materie ausweisen sollte.

Seine Tarnung war perfekt. Selbst der Nachbar von gegenüber hatte ihn nicht auf Anhieb erkannt.

»Sie möchten schon mal in der Bibliothek Platz nehmen«, sagte Else. Ihr wohlgeformter Dutt war in einem Haarnetz verpackt. Sie trug ein schwarzes, durchgeknöpftes Kleid mit weißem Kragen. Fehlt nur noch ein Häubchen auf dem Kopf, dachte Campmann, in diesen Familien scheint sich ja über Generationen nie etwas zu ändern.

Die Bibliothek hätte jeder juristischen Fakultät große Ehre gemacht. Originalausgaben von den Standardwerken, der Sachsenspiegel stammte aus dem 13. Jahrhundert, Gesetzestexte aus den unterschiedlichsten Ländern, auch juristische Zeitschriften waren fortlaufend gesammelt, gebunden und akkurat mit goldenen Zahlen auf den Buchrücken versehen aufgereiht. Soweit sein Auge reichte, entdeckte Campmann ausschließlich juristische Sachbücher. Die Bibliothek enthielt nicht ein belletristisches Werk.

Nun würde er also dem Herrgott, wie Gabriele ihn genannt hatte, gegenüberstehen. Wenn er nur halb so knorrig war, wie Wolfgang ihn beschrieben hatte ...

»Junger Mann, ist das nicht ein bisschen verfrüht?«

Der Mann, der auf Campmann zueilte, machte keineswegs den Eindruck eines alten Herren.

Sein volles Haar war an der Seite gescheitelt. Eng stehende Augen, über denen buschige, weiße Brauen wucherten, eine scharf geschnittene Nase, volle Lippen.

Der Händedruck war unsanft.

»Wir wollten uns rechtzeitig mit Ihnen in Verbindung setzen«, erwiderte Campmann, »schließlich gilt es ja, für Sie ein schönes Festprogramm zusammenzustellen.«

Thomas Huneus senior wies ihm einen Platz an. Der Sessel war überraschend tief.

»Wie wär's mit einer kleinen Aufmunterung, junger Mann?«

»Ich sage nicht nein!«

Campmann beobachtete, wie Thomas Huneus eine Zeit lang vor der gläsernen Bar stand und mal zu dieser, mal zu jener Flasche griff. Als gelte es, für den Musikus einen ganz besonderen Tropfen auszuwählen.

Der Portwein, den er ihm in einem fein geschliffenen Glas kredenzte, hatte viele Jahre in Eichenfässern gelegen.

»In meinem Alter trinke ich nur noch, was mir Spaß macht!«

Er prostete ihm zu.

Campmann ließ den Chef des Hauses nicht aus den Augen. Offensichtlich hatte er keinerlei Verdacht geschöpft.

»Dann wollen wir mal gleich in medias res! Was haben Sie im Programm?«

Campmann stellte behutsam das Sherryglas auf das Beistelltischchen und zog geschwind einen Zettel aus der Innentasche.

»Also«, begann er nach einem Räuspern, »wir könnten mit Mozarts Alla turca beginnen, danach eine Kammerversion von Verdis Ouvertüre zu Il Trovatore, dann hätten wir ein paar Stücke von Beethoven ...«

»Aber Sie müssten auf jeden Fall...«, unterbrach ihn Thomas Huneus.

»Auf jeden Fall spielen wir natürlich Schuberts Forellenquintett«, beeilte sich Campmann zu sagen. »Es ist doch selbstverständlich, dass wir Ihr Lieblingsstück nicht auslassen werden!«

»Das will ich meinen!«

Thomas Huneus hob sein Glas. Sog den Portwein mit schmatzendem Geräusch in die Mundhöhle.

Campmann ließ den Zettel wieder verschwinden. Was doch eine gute Recherche ausmachen konnte. Schuberts Forellenquintett war der Schlüssel zum Senior des Hauses Huneus gewesen.

»Das hätten wir aber auch alles am Telefon besprechen können, junger Mann.«

»Wir finden es immer besser, wenn wir rechtzeitig die Wünsche der Jubilare kennen lernen. Manchmal hat jemand ja einen recht ausgefallenen Geschmack und dann sollten wir Musiker ja auch ausreichend Zeit zum Proben haben.«

»Die Philharmonische Gesellschaft hat uns bisher nie enttäuscht. Aber Sie«, Huneus zeigte auf sein Gegenüber, »Sie sind neu im Orchester! Oder irre ich mich da.«

Campmann nickte. »Ich bin erst seit einem Vierteljahr dabei!«

»Welches Instrument?«

» Geige.«

»Welches Pult?«

»Drittes Pult!«

Noch eine Frage und die Tarnung fliegt auf, dachte Campmann.

»Sie sind ja jung, das wird schon werden. Sie kennen doch diesen Musikerwitz, oder? Frage: Wie kommt man hier zum Orchester des Norddeutschen Rundfunks? Antwort: Üben, üben, üben!«

»Nein«, Campmann bemühte sich um ein kräftiges Lachen, »den kannte ich noch nicht«

Huneus erhob sich. »Der Termin steht fest. Machen Sie ein schönes Programm! Nicht zu lang bitte! Und meinen Schubert nicht vergessen! Den hören wir immer wieder gern.«

Campmann nickte zu jedem seiner Sätze.

»Sagt Ihnen der Name Arnold Zimmerschied etwas?«, fragte er, ohne Huneus dabei anzusehen.

Der Rechtsanwalt antwortete erst nach einer langen Pause. »Wie kommen Sie jetzt darauf?«

»Er war ein guter Freund meines Vaters!« Campmann hob seinen Blick, um die Reaktion seines Gegenübers nicht zu verpassen.

»Da können Sie mal sehen, wie eng unsere sozialen Kreise miteinander verbunden sind.«

»Haben Sie denn noch eine Erinnerung an ihn?«

»Aber gewiss doch. Er hat ja eine Zeit lang in unserer Kanzlei gearbeitet!«, antwortete Huneus. »Und bestellen Sie Ihrem Herrn Vater einen schönen Gruß von mir.«

Thomas Huneus drängte Campmann zu gehen.

»Dann wissen Sie sicher auch, dass sich Arnold Zimmerschied in Mexiko das Leben genommen hat.«

»Das ist mir neu!« Jetzt trat Huneus ganz nahe an ihn heran. .

»Wir haben uns aus den Augen verloren. Das muss irgendwann in den Dreißigern gewesen sein.«

»Mein Vater sagte mir, Sie hätten ihn damals aus der Kanzlei entlassen! Stimmt das?«

»Daran kann ich mich nicht mehr erinnern«, erwiderte der Rechtsanwalt, »das ist wirklich zu lange her.«

Campmann konnte den Alkoholatem riechen, so dicht stand Huneus neben ihm. »Aber wenn wir jemanden entlassen haben, was sehr selten vorgekommen ist, dann hatte er sich das immer selbst zuzuschreiben«, fügte der Rechtsanwalt nach einer Weile an.

»Inwiefern?« Campmann gab sich erstaunt. Die Opfer sind immer schuld, dachte er.

»Herr Zimmerschied war kein, um es milde zu sagen, fähiger Jurist. Er wollte sich nicht so recht in unsere Kanzlei einpassen ... und er war, ich scheue mich, nachdem ich das von Ihnen gehört habe, zu sagen, ein kleiner Aufschneider.«

Campmann senkte die Stimme. »Wussten Sie, dass er Jude war?«

»Nein«, erwiderte Huneus und wich dabei zurück, »nein, ganz gewiss nicht.«

Er wandte sich ab und machte zwei entschiedene Schritte in Richtung Tür.

»Mein Vater hat mir gesagt, Arnold Zimmerschied wäre entlassen worden, weil er Jude war und zwar schon im Jahre 1930 ...«

»Da weiß Ihr Vater mehr als ich, junger Mann«, unterbrach ihn Thomas Huneus, ohne sich umzudrehen. »Seine Entlassung hatte auf keinen Fall etwas damit zu tun. Wir Juristen haben nie jemanden nach seinem Glaubensbekenntnis beurteilt. Richten Sie das Ihrem Vater aus, bitte!«

Campmann kam Huneus hinterher. »Mein Vater ist tot!«

»Und warum behelligen Sie mich dann nach so vielen Jahren noch damit?«, fragte Thomas Huneus. Seine Stimme war heftig geworden. Er fuhr sich mit beiden Händen über den Kopf

Campmann spürte, dass der alte Herr ihn angelogen hatte. Erst kann er sich nicht erinnern, dann hat er Anschuldigungen parat und nun wird er auch noch pampig. Der Selbstmord von Arnold Zimmerschied lässt ihn völlig ungerührt.

»Reine Neugier!«, erwiderte der Journalist.

»Ich hoffe, Ihre Neugier ausreichend befriedigt zu haben.« Das klang überaus schroff. »Sie wissen, wo es hinausgeht.«

Thomas Huneus streckte seinen Arm aus, um ihm die Richtung anzuzeigen. Zu einem weiteren Händedruck kam es nicht.

Zwei Stunden später kehrte Karoline Huneus in die Villa zurück. Sie hatte ihre Galerie kurzerhand geschlossen, um so schnell wie möglich nach Hause zu fahren.

Karoline eilte in die Bibliothek. Ihr Schwiegervater sollte als Erster die Nachricht erfahren.

Seit dem Tod der Urmutter Helene musste sie die Stelle der »guten Seele« im Hause Huneus übernehmen. Gegen ihren Willen. Viel lieber verbrachte sie die Tage in ihrer Galerie mit Freunden und Champagner, mit fröhlichen Künstlern und frivolen Geldsäcken, die gelegentlich mal in »Kunst machten« und ihr damit einen schönen Umsatz bescherten.

»Bernie steht auf dem Fahndungsplakat!«, rief sie, kaum dass sie die hohe Tür geöffnet und wie erwartet ihren Schwiegervater in seinem Lieblingssessel angetroffen hatte.

»Welcher Bernie? Auf welchem Fahndungsplakat?«, vernahm sie seine schläfrige Stimme.

»Bernie Sachse!«

»Ich kenne keinen Bernie Sachse.« Thomas Huneus machte eine abweisende Handbewegung. »Hat sich bei dir eigentlich jemand von der Philharmonischen Gesellschaft gemeldet?«

Karoline Huneus ging mit schnellen Schritten über den riesigen Orientteppich, auf dem Jagdszenen aus dem Morgenland zu sehen waren.

»Bernie Sachse war der Freund von unserer Hannah!«, sagte sie mit erhobener Stimme.

Ihr Blick fiel auf die Portweinflasche, deren Inhalt sich bedenklich dem Ende zuneigte.

»Und was haben wir mit der noch zu schaffen? Mich interessiert viel mehr, ob du jemandem gesagt hast, dass ich Schuberts Forellenquintett bei meinem Fünfundachtzigsten hören möchte?«

Karoline nickte.