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Hanni & Nanni war gestern – jetzt kommen Finja & Franzi
Na so was! Da kommt ihre Tante Tilda aus dem Urlaub zurück und erklärt Finja und Franzi, dass sie nach Mallorca auswandern wird. Und wer kümmert sich jetzt am Nachmittag um die Zwillinge? Gut, dass es das Internat Hummelmühle gibt, gelegen auf einer Insel mit Badestrand, einer Segelschule und Bauerngarten mit Tieren. Und ganz ohne Eltern! Ein kleines Paradies – wie Finja und Franzi schon am ersten Schultag herausfinden. Und spätestens nach der coolen Mitternachtsparty mit all ihren neuen Freundinnen sind die Zwillinge sicher: Etwas Besseres als die Hummelmühle konnte ihnen gar nicht passieren!
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Seitenzahl: 188
Kinder- und Jugendbuchverlagin der Verlagsgruppe Random House
1. Auflage 2014
© 2014 by cbt Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Susanne Ulhorn, München
Umschlag- und Innenillustration: Melanie Garanin
MI · Herstellung: KW
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-14240-7www.cbt-buecher.de
Tante Tilda dreht durch
»Franzi? Finja? Seid ihr so weit, wir müssen los! Eure Tante Tilda landet in einer halben Stunde, und wenn wir in einen Stau geraten, kommen wir zu spät zum Flughafen!«, ruft Britta Renner, die Mutter der zwölfjährigen Zwillinge Franzi und Finja, in den Korridor. Aus Finjas Zimmer ertönt die kurze Melodie, die ihr Laptop immer beim Herunterfahren abspielt, dann ein rumpelndes Geräusch, als ob sie irgendetwas unters Bett wirft, ein kleiner Seufzer, doch im nächsten Augenblick tritt sie in den Korridor, wo Franzi, deren Zimmer nebenan liegt, bereits wartet. Franzi rückt ihre kurze Jeansweste zurecht, die sie noch rasch über ihr pinkfarbenes Glitzershirt gestreift hat. Auf der Gummikappe ihres rechten Turnschuhs prangt ein grinsendes Smiley. Finja hat sich wie immer schlichter angezogen und begnügt sich mit ihrer dunkelblauen Lieblingsstrickjacke, dazupassenden Ballerinas und einem Haarreifen, der ihre dunkelblonden Locken bändigt.
»Wenn Tilda überhaupt in der Maschine sitzt«, gibt Finja zu bedenken. »Eine halbe Stunde vor Boardingschluss habe ich noch mit ihr geskypt! Tilda muss einen Helikopter genommen haben, um ihren Flug noch zu kriegen.«
»Typisch«, seufzt ihre Mutter. »Hat sie dir keine SMS geschickt, ob es geklappt hat?«
Finja hebt ihre Augenbrauen und schüttelt den Kopf. »Fehlanzeige. Bei Skype hat sie zum Schluss nur gesagt, dass sie eine Überraschung mitbringt. Und dass sie nicht weiß, ob uns diese Überraschung gefallen wird. Sie betrifft die ganze Familie, meinte sie.«
Franzi verdreht die Augen. »Bitte nicht«, stöhnt sie. »Ich hab jetzt schon keine Lust darauf.«
Ihre Schwester wickelt eine Locke um den Zeigefinger und lässt sie wieder los. »Vielleicht bringt sie einen Hund oder eine Katze mit!«, vermutet sie. »Auf Mallorca gibt es doch so viele streunende Tiere.«
»Träum weiter, Süße«, erwidert Franzi. »Bei deiner Tierverrücktheit hätte sie dann nie daran gezweifelt, dass zumindest dir die Überraschung gefallen würde. Es muss etwas ganz Unterirdisches sein!«
»Dann lasst uns mal losfahren.« Britta Renner nimmt ihren Autoschlüssel aus der Kommodenschublade und blickt so grimmig drein, dass man meinen könnte, ihre Schwägerin Tilda habe die gesamte Hotelbelegschaft als Dankeschön für ihre Mühe zum Mittagessen eingeladen, welches natürlich Britta zubereitet. Mit entschlossenem Schritt stürmt sie voraus, Franzi hechtet dicht neben Finja her bis zum Carport neben der Doppelhaushälfte. Vollkommen synchron schlüpfen die Mädchen in ihre Sitze und lassen ihre Anschnallgurte einrasten. Ihr Vater Ewald, der schon vorgegangen ist, startet den Motor, gleich darauf biegen sie mit quietschenden Reifen in die Hauptstraße ein.
»Vielleicht hat sie sich bloß wieder eine neue Haarfarbe zugelegt«, vermutet Finja. »Oder sie hat sich liften lassen.«
»Die Überraschung betrifft die ganze Familie«, kichert Franzi. »Wie sie herumläuft, ist aber ihre Sache – außer natürlich wenn wir uns mit ihr auf der Straße zeigen müssen. Knallrote Haare bei einer Tante über fünfzig – sie ist manchmal schon echt peinlich.«
Mit diesen Worten stöpselt sie die Ohrhörer ihres MP3-Players ein und drückt auf die Abspieltaste, während Finja aus dem Fenster schaut und offenbar nachdenkt. Auch Franzi schüttelt in Gedanken an ihre Tante den Kopf.
Tilda, die eigentlich Mathilde heißt, ist die ältere Schwester von Franzis und Finjas Vater Ewald. »Ich könnte fast deine Mutter sein«, sagt sie manchmal zu ihm, wenn sie ihn ärgern will, »aber nur beinahe.« Und den Mädchen vertraute sie einmal an: »Mit siebzehn hätte ich mir natürlich bestimmt nicht freiwillig so ein nerviges kleines Schreibündel angeschafft, wie euer Vater eines war, als er zur Welt kam. Aber er war dermaßen süß, und das ist er bis heute – sonst würde ich schließlich nicht immer noch so gern auf ihn aufpassen, dass ich sogar bei euch eingezogen bin.«
Noch vor der Geburt der Zwillinge hatte sie diesen Entschluss gefasst. Das Haus war gerade fertig geworden und das Bankkonto von Britta und Ewald so leer wie die eigenhändig ausgebaute Mansarde, also verkündete Tilda: »Ihr schafft das sowieso nicht allein mit zwei Kindern und eurem Beruf. Oder wollt ihr etwa rund um die Uhr wickeln und Fläschchen geben, weil Schlaf sowieso überbewertet wird? – Na also. Ich ziehe zu euch unters Dach, zahle anständig Miete und greife euch mit den Milchschluckern unter die Arme, wenn ich schon selber keine bekommen habe. Nach drei gescheiterten Ehen bleibe ich für den Rest meines Lebens lieber solo, und einer muss ja dafür sorgen, dass aus den beiden Mädels keine Langweilerinnen werden.«
Franzi und Finja kamen zur Welt, und als ihre Eltern beide wieder in ihrer Praxis als Röntgenärzte arbeiteten, machte Franzi ihrer Tante vom ersten Tag an klar, dass sie und ihre Schwester alles andere als Langweilerinnen sind. Franzi hatte fast ständig Hunger und wollte immer zuerst gefüttert werden, und statt zu schlafen, war sie nur zufrieden, wenn Tilda mit ihr spielte, ihr vorsang oder sie kitzelte.
»Franzi ist wie ich«, strahlte Tilda oft, wenn Britta und Ewald abends nach Hause kamen. »Genauso eine Hummel, die nicht eine Minute still sein kann, ein total abgefahrenes Kind!«, schwärmte sie oft. »Auf Finja aufzupassen, ist dagegen Erholung pur. Entweder schläft sie oder erzählt ihrem Hasen-Mobile Brabbelgeschichten. Wunderbar!«
Tilda liebte also beide Mädchen von Anfang an, jede auf ihre Art. So ist es bis heute geblieben – die Tante sorgt dafür, dass die Zwillinge mittags nach Schulschluss »etwas Anständiges zu essen und die guten Ratschläge einer verrückten alten Dame« bekommen, wie sie immer sagt. Dafür genießt sie es umso mehr, wenn die Mädchen Ferien haben und sie selbst tun und lassen kann, was sie will – allein verreisen zum Beispiel.
Einmal wollte Franzi von Tilda wissen, warum sie weder arbeite noch einen Mann habe.
»Brauche ich nicht«, hatte ihre Tante abgewunken und kopfschüttelnd gelacht. »Mein erster Mann ist Millionär und hat mir bei der Scheidung die Hälfte des Wertes seiner Villa ausgezahlt, dem zweiten habe ich seine Kreditkarte leer geshoppt, als er sich in eine andere verguckt hatte. Der dritte ist gleich in Honolulu untergetaucht, damit mir so etwas bei ihm nicht auch noch einfällt. Ich habe also ausgesorgt, und nun möchte ich vom Thema Männer nichts mehr hören, bis eine von euch selber so dusselig ist, sich einen anzulachen. Alles klar?«
So angestrengt sie auch überlegt, Franzi kann sich keine Überraschung vorstellen, die Tante Tilda aus dem Urlaub mitbringen könnte. Wahrscheinlich ist es nur irgendein schräges Mitbringsel, das sie einem fliegenden Händler am Strand abgekauft hat, etwa für jede der Zwillinge ein schrillbuntes Flatterkleid, das Finja garantiert nicht anziehen würde. Oder komische Figuren aus einem Andenkenladen, die sie dann einfach irgendwo im Haus aufstellt und für schön erklärt. Auf solche Überraschungen können wir wirklich verzichten, denkt Franzi und ist sich sicher, dass Finja und sie sich in diesem Punkt ausnahmsweise einmal einig sein werden.
Die Familie nähert sich dem Flughafen. Ewald steuert den Wagen in eine freie Parklücke, wenig später stehen sie alle vier vor dem Gate, hinter dem Tante Tilda hoffentlich bereits auf ihr Gepäck wartet. Franzi hat ihre Ohrhörer herausgenommen und versucht, durch die Glasscheibe der Sicherheitsabsperrung zu spähen. Finja putzt ihre Brille, setzt sie wieder auf und rückt sie immer wieder zurecht, als könnte sie Tilda sonst übersehen.
»Ich glaube, insgeheim freut ihr euch doch auf eure Tante«, bemerkt Britta mit einem amüsierten Seitenblick auf ihre Töchter.
»Klaro! Mit ihr ist es längst nicht so öde wie mit euch alleine«, erwidert Franzi. »Da kommt sie!«
Sie deutet mit dem Zeigefinger auf einen Kofferwagen, der sich langsam auf die Familie zubewegt. Ein Berg von Gepäckstücken droht fast davon herunterzurutschen, und von Tilda sieht Franzi nur die schwarz gefärbten Haare, die von einem bunten Haarband gebändigt werden.
Im nächsten Augenblick hechtet jedoch ein braun gebrannter Mann mit ziemlich wirren grauen Locken, die er am Hinterkopf zu einem Zopf zusammengebunden hat, auf sie zu, rettet die Koffer vor dem Herunterfallen und nimmt ihr den Wagen ab. Tilda tritt dahinter hervor, strahlt wie die Sonne auf ihrer Lieblingsinsel und eilt auf die Familie zu.
»Sie hat wieder das Schlauchkleid an«, raunt Franzi ihrem Zwilling zu. »Unverbesserlich!«
»Bruderherz! Meine Lieblingsschwägerin! Und vor allem Franzi und Finja! Endlich habe ich euch wieder!«, ruft Tilda, breitet ihre Arme aus und drückt jeden der vier lange und fest. Den Zwillingen drückt sie sogar einen extra dicken Schmatzer auf jede Wange, den Franzi jedoch sofort wieder abwischt. Verstohlen blickt sie sich nach der angekündigten Überraschung um, kann aber nichts entdecken.
»Ist bestimmt noch im Koffer«, flüstert Finja ihrer Schwester zu, aber Franzi will nicht bis zu Hause warten und baut sich vor Tilda auf.
»Was ist die Überraschung, von der du vorhin auf Skype geredet hast?«, will sie wissen. Tilda reißt ihre Augen auf.
»Habt ihr sie noch nicht entdeckt? Ihn, meine ich? Uwe, komm doch mal her!«, ruft sie nach hinten gewandt, wo der Grauhaarige noch immer versucht, Tildas Gepäckstücke vor dem Absturz zu bewahren. Mit ein paar Handbewegungen, die an einen Schlangenbeschwörer erinnern, versucht er ihnen zu befehlen, auf dem Kofferwagen liegen zu bleiben. Erst als sich nichts mehr bewegt, kommt er herübergeeilt.
»Der Typ soll ’ne Überraschung sein? Für uns? Das ist doch bloß ein Mann«, entfährt es Franzi, doch als er laut auflacht, denkt sie, dass er eigentlich ganz nett aussieht, nicht so ernst oder streng wie die meisten alten Männer. Aber was sollen sie und ihre Schwester mit diesem Hippie? Und was soll an ihm so Besonderes sein?
Tilda strahlt Uwe an. »Natürlich ist Uwe nicht für euch, sondern für mich, also mein neuer Freund! Wir haben uns vor drei Wochen auf Mallorca kennengelernt und uns sofort Hals über Kopf ineinander verliebt.«
»Ach du Schleimsuppe«, entfährt es Franzi.
»Ist das nicht fantastisch?« Tilda scheint nichts gehört zu haben oder sie ist taub vor Liebe. »Und die Überraschung für euch ist: Vom neuen Schuljahr an habt ihr tildafrei! Keine nervige Tante mehr nach der Schule! Uwe hat nämlich eine traumhafte Finca auf Mallorca gekauft, die müsst ihr euch in den Herbstferien unbedingt ansehen kommen. Olivenbäume, Wein, Swimmingpool, alles nicht weit vom Meer! An der Strandpromenade habe ich sogar einen kleinen leer stehenden Laden entdeckt, in dem ich flippige Klamotten verkaufen will, da wird bestimmt auch was für euch dabei sein, wenn es so weit ist! Wir sind jetzt nur nach Hause gekommen, um ganz schnell zu heiraten und alles zu regeln, was zu regeln ist. Danach packe ich meine Siebensachen und ziehe nach Mallorca! Ist das nicht super?«
Die ganze Familie starrt Tilda mit offenem Mund an.
»Nach Mallorca ziehen?«, stößt Britta hervor, nachdem sie ihren Mund ein paarmal auf- und zugeklappt hat wie ein Karpfen auf dem Trockenen.
»Heiraten?«, wiederholt Franzi die Worte ihrer Tante.
»So mir nichts, dir nichts? Das geht aber nicht«, stammelt auch Ewald und schüttelt fassungslos den Kopf. Franzi stemmt ihre Hände in die Hüften und sieht ihrer Tante mit herausforderndem Blick in die Augen.
»Ich denke, du willst mit Männern nichts mehr zu tun haben«, erinnert sie Tilda, es ist ihr ganz egal, dass Uwe bei ihren Worten in seiner Bewegung erstarrt. »Und jetzt heiratest du einen, den du erst seit drei Wochen kennst, und willst gleich auswandern?«
Tilda schaut ein wenig verlegen zwischen der vorlauteren ihrer beiden Nichten und ihrem Freund hin und her.
»Uwe ist die Liebe meines Lebens«, behauptet sie trotzig. »Und ich weiß gar nicht, was ihr alle habt: Franzi und Finja sind bald Teenager, die brauchen doch keine Nanny mehr. Und das Dachgeschoss wird frei, wenn ich ausziehe, das könnt ihr beide euch doch teilen, nicht wahr, Mädels? Welche zwölfjährigen Zwillinge können schon von sich behaupten, in dem zarten Alter schon die erste eigene Wohnung zu bekommen? Hey, eine Zwillings-WG! Ist das nicht cool?«
Franzis Gesicht erhellt sich. »Irgendwie schon«, gibt sie zu. »Was meinst du, Schwesterherz?«
»Später vielleicht, ja«, antwortet Finja vorsichtig. »Aber jetzt schon …?«
»Du denkst, du kannst das alles allein entscheiden, Mathilde«, wirft Britta ihrer Schwägerin vor. »Hast du dabei eine Sekunde an uns gedacht? Zwillings-WG, das ist wieder typisch! Dabei sind Franzi und Finja noch Kinder und keine Studentinnen!«
»War ja klar, dass du das nicht erlaubst«, bemerkt Franzi düster.
»Weil es die Wahrheit ist!«, ereifert sich ihre Mutter. »Ich will einfach nicht, dass ihr fünf Tage in der Woche nachmittags alleine seid oder euch auf der Straße herumtreibt!«
»Natürlich haben wir bei unseren Heiratsplänen daran gedacht.« Uwe legt den Arm um Tildas Schultern, als müsse er sie beschützen. »Am besten, wir fahren jetzt erst einmal nach Hause und besprechen dort, wie es jetzt weitergehen soll.«
»Wie gut, dass Britta und Ewald einen Van mit sieben Sitzen haben«, lacht Tilda. »Sonst müsstest du laufen!«
Nach Hause, denkt Franzi, greift nach Finjas Hand, und beide setzen sich mit wütendem Gesicht in Bewegung. Was bildet der sich eigentlich ein?
Familienrat beim Spinat
»Natürlich verstehen wir, dass du dich nicht ein Leben lang nach uns richten willst, wenn du dich neu verliebt hast«, räumt Britta eine Stunde später beim gemeinsamen Abendessen ein. Zu Tildas Begrüßung hat sie Spinat mit Kartoffeln und Rührei gekocht, und wie jedes Mal hat Tilda geschworen, nie wieder so lange auf diese Köstlichkeit verzichten zu können. Franzi verkneift sich die Frage, wie sie das in Spanien schaffen will – jetzt steht Wichtigeres auf dem Programm.
»Es ist dein gutes Recht, zu heiraten und auszuwandern, wenn du das möchtest«, bekräftigt auch Ewald. »Aber kommt das nicht alles ein bisschen plötzlich? Lasst euch doch ein bisschen Zeit zum Kennenlernen, ihr müsst doch nichts überstürzen! Und so ohne Weiteres, wie du dir das vorstellst, können wir Finja und Franzi nicht einfach nachmittags sich selbst überlassen. Wir sind beide meistens bis abends in der Praxis, du weißt, wie voll es bei uns immer ist.«
»Mama kann ja halbtags arbeiten und ihr stellt noch einen anderen Radiologen ein«, schlägt Finja vor.
»Das haben wir schon so oft versucht«, seufzt Britta und wickelt eine von Finjas Locken um ihren Finger. »Aber allen Röntgenärzten, die sich vorgestellt haben, war es zu stressig bei uns. Deshalb sind wir ja so froh und dankbar, dass du bei uns wohnst, Tilda!«
»Ich habe euch immer gerne geholfen, Schnucki.« Tilda nimmt sich noch eine Kartoffel und eine große Kelle Spinat. »Aber ich bin jetzt sechsundfünfzig Jahre alt. Nicht mehr zwanzig, aber auch noch nicht neunzig. Bevor ich eines Tages als Mumie euren Kindern die ersten Fältchen wegschminke, will ich es noch mal richtig krachen lassen. Wir finden schon eine Lösung, meint ihr nicht?« Jetzt ist sie es, die den Zwillingen die immer etwas widerspenstigen Haare zerwuschelt. Franzi lacht und bringt ihre Mähne danach noch mehr durcheinander, bis sie in alle Richtungen abstehen, während Finja schweigend ihren Haarreifen wieder an die richtige Stelle rückt.
»Schaut doch im Supermarkt am Schwarzen Brett nach einer netten Frau, die für die Zwillinge da sein kann, wenn sie aus der Schule kommen!«, schlägt Tilda vor. »Oder gibt es keinen Hort? Kein cooles Jugendfreizeitheim in der Nähe, wo sie mit Gleichaltrigen abhängen und ihre Hausaufgaben erledigen können?«
»Fehlanzeige«, winkt Franzi ab. »Hier gibt es nur Kindergärten. Und kommt bloß nicht auf die Idee, uns einen Babysitter zu organisieren! Mit dir war es ja ganz witzig, Tilda, aber jetzt irgend so ’ne Olle aus der Nachbarschaft …«
»Irgendeine Lösung müssen wir aber finden!« Ewald springt von seinem Stuhl auf und beginnt, im Wohnzimmer auf und ab zu tigern. Dann bleibt er abrupt stehen und wendet sich an Uwe, der noch gar nichts gesagt hat, sondern genüsslich den letzten Spinat von seinem Teller kratzt und mit einem kräftigen Schluck Bier nachspült.
»Sie haben noch gar nichts dazu gesagt«, wirft Ewald ihm vor. »Dabei haben Sie uns das alles eingebrockt, also können Sie ruhig auch mal eine Idee zu der Angelegenheit beisteuern!«
Uwe legt sein Besteck hin und tupft sich genüsslich den grauen Dreitagebart mit einer Serviette ab.
»Könnte ich«, bestätigt er. »Das könnte ich sogar ziemlich gut. Die Frage ist nur, was die werte Familie Renner von meiner Idee halten wird.«
»Wir ziehen alle nach Mallorca!«, jubelt Franzi. »Dort könnt ihr mindestens genauso gut den Leuten ihre Knochen durchleuchten wie hier, nicht wahr, Mama und Papa?«
»Ausgeschlossen«, widersprechen Britta und Ewald wie aus einem Mund.
»Das meinte ich auch nicht«, versucht Uwe die Eltern zu beruhigen. »Aber habt ihr vielleicht schon mal über ein Internat für die Zwillinge nachgedacht?«
»Ein Internat?« Britta zieht die Augenbrauen hoch.
»Niemals!«, rufen Franzi und Finja zweistimmig. Dieses Mal ist Finja sogar lauter zu hören als ihre Schwester.
»Hört ihm doch wenigstens mal zu!«, bittet Tilda. »Uwes Idee wird euch vielleicht sogar gefallen.«
Also setzt sich Ewald wieder an den Tisch, und alle bemühen sich, ein interessiertes Gesicht aufzusetzen. Franzi stößt Finja unter dem Tisch mit dem Fuß an; auf keinen Fall kriegt dieser Seelöwe uns zu etwas herum, was wir nicht wollen, soll das heißen. Finja nickt fast unmerklich, während Uwe sich räuspert.
»Ich bin noch nicht dazu gekommen, euch zu erzählen, dass ich Schulleiter bin«, beginnt er, »genauer gesagt: war, denn zum Ende des letzten Schuljahres bin ich in den Ruhestand gegangen und habe mein Gymnasium einer Nachfolgerin übergeben.«
»Was du nicht sagst«, bemerkt Franzi. »Schulleiter? Also Lehrer? Das kann nicht sein. In so was verknallt sich meine Tante nicht.«
»Tilda ist eben immer für Überraschungen gut«, lacht Uwe unbeirrt. »Aber ich habe es ihr tatsächlich erst gestanden, als ich sicher war, sie würde mich trotzdem mögen.«
»Warum hast du nicht im letzten Moment noch die Beine in die Hand genommen, Tilda?«, zischt Franzi. »Überleg doch mal, ein Pauker und dann auch noch Chef! Das wird nix, für so einen musst du uns nicht verlassen, denk doch mal nach! Was willst du in dieser Finca machen, wenn er dir stundenlang Vorträge hält und dich arbeiten lässt?«
»Keine Sorge, Franzi.« Tilda zieht ihre Lippen in einem glänzenden Rosa nach und bemalt auch gleich noch Franzis Mund. »Du weißt, dass ich mir nicht so schnell etwas vorschreiben lasse. Aber was es mit seiner Schule auf sich hat, das solltet ihr euch anhören!«
Franzi verdreht die Augen und lehnt sich zurück. Finja tippt etwas in ihr Smartphone, schiebt es dann aber schnell wieder in die Hosentasche. Britta schiebt nervös ihr Wasserglas hin und her.
»Die Schule, die ich geleitet habe, ist ein Internat, das auf einer wunderschönen Insel gelegen ist, nur knappe zwei Autostunden von hier entfernt«, beginnt Uwe. »Nur das Internat und die Schule, zu der auch Schüler von außen kommen, befinden sich auf dieser Insel – und natürlich alles, was dazugehört. Sonst nichts, das ist Natur pur! Das Internat heißt wie die Insel ›Hummelmühle‹ und ist teilweise wirklich in einer alten Mühle untergebracht. Habt ihr tatsächlich noch nie davon gehört?«
»Wir haben uns noch nie damit befasst«, gibt Britta zu. »Die beiden sind ja längst am Schiller-Gymnasium in der Nachbargemeinde angemeldet.«
»Ist auch besser so«, meint Franzi. »Hummelmühle! In ein Mädcheninternat gehe ich sowieso nicht.«
»Hört, hört!« Tilda strafft ihren Körper und blickt ihre Nichte neugierig an. »Interessiert sich da jemand etwa schon für Jungen?«
»Quatsch«, stößt Franzi hervor und spürt, wie sie rot wird. Inständig hofft sie, dass nicht gerade in großen, verschnörkelten Leuchtbuchstaben auf ihrer Stirn der Name eines ganz bestimmten Jungen steht, in den sie sich vor den Ferien … »Ich meine bloß, nur mit Mädchen ist es doch todlangweilig«, sagt sie schnell. »Mit den wenigsten kann man auch mal Blödsinn machen.«
»Ich kann dich beruhigen, Franzi«, widerspricht Uwe. »Auch wenn Hummelmühle zunächst nach einem reinen Mädcheninternat klingt, ist es doch ein gemischtes. Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen ist ziemlich ausgewogen.«
»Ein Lyzeum fände ich besser«, äußert Finja. »Ein Gymnasium nur für Mädchen.«
»Ah, eine Fachfrau! Beiden kann ich es leider nicht recht machen.« Uwe hebt bedauernd die Schultern. »Dann ist die Hummelmühle vielleicht doch nicht das Richtige für euch.«
»Sag ich doch«, seufzt Franzi.
»Gibt es da WLAN?«, will Finja wissen. Uwe nickt.
»In allen Zimmern«, bestätigt er. »Die Oberstufenschüler haben fast alle ihre Laptops dabei, aber es gibt auch eine Internetecke mit drei Computern auf jeder Etage.«
»Finja schreibt nämlich fast jeden Tag einen Blog, in dem sie sich mit anderen Nerds austauscht«, erklärt Franzi.
»Die Insellage hat natürlich was«, lenkt Ewald ein, und seine Töchter erkennen deutlich, wie sich sein Blick erhellt und der leichte Zorn auf Uwe zu verrauchen scheint. »Wie kommen denn die Schüler dorthin? Schwimmen die rüber?«
»Da wird es wohl eine Fähre geben, du Witzbold«, meint Britta mit einem ungeduldigen Unterton in der Stimme. »Mich interessiert eher das Konzept der Schule. Welche Nachmittagsangebote es gibt und wie es mit der Begabtenförderung aussieht. Und ob es für die Internatler nicht langweilig ist, immer nur auf dieser Insel zu sein.«
»Keineswegs langweilen sie sich«, berichtet Uwe. »Die Hummelmühle hat einen eigenen Segelklub, einen Schwimmverein, eine Holzwerkstatt, verschiedene Musik-AGs, ein Kunstatelier, einen Discoraum, einen Bauerngarten … und nicht zuletzt eine Menge Tiere.«
»Tiere?« Finja, die wieder ihr Handy beim Wickel hatte, horcht auf.
»Dafür würdest du dich sogar mit Jungs abfinden, stimmt’s, kleine Schwester?« Franzi knufft Finja amüsiert in die Seite. »Ich nehm dich dann auch gerne mal mit in den Discoraum.«
»Da gehen allerdings eher die etwas älteren Schüler hin«, wirft Uwe ein, was zur Folge hat, dass Franzis Augen erst recht zu leuchten beginnen. »So ungefähr vom neunten Jahrgang an.«
Finja boxt ihre Schwester zurück. »Disco ist was für Tussen«, erwidert sie. »Und wenn ich frage, was auf der Insel für Tiere leben, heißt das noch lange nicht, dass ich ins Internat will. Es interessiert mich einfach.«
»Es gibt ein paar Schafe, Ziegen, Ponys, Katzen, Kaninchen, Hühner, einen schokobraunen Labrador und einen Esel«, berichtet Uwe. »Und folglich eine Bio-AG für Schülerinnen und Schüler, die Spaß daran haben, sie alle zu pflegen und sich mit ihnen zu beschäftigen. Auch der Bauerngarten wird unter fachkundiger Anleitung von unseren Schülern bewirtschaftet.«
»Traumhaft!« Auch Ewalds Pupillen sehen aus wie Bühnenscheinwerfer. »So vielseitig! Ein solches Internat hätte ich als Junge auch gerne besucht. Meint ihr nicht, dass das vielleicht doch was für euch wäre, Mädels?«
»Segeln klingt nicht so übel«, überlegt Franzi laut.
»So ein schneller Sinneswandel?«, wundert sich Britta.
»Wir können es uns doch mal ansehen«, schlägt Ewald vor. »Ganz unverbindlich. Wenn es Finja und Franzi nicht gefällt, fahren wir nach Hause und suchen weiter nach einer Lösung.«
»Im Moment ist natürlich kaum jemand da«, wirft Uwe ein. »Noch sind ja Ferien. Aber so könnte ich euch alles in Ruhe zeigen.«