Flieg, mein roter Adler III - Udo Wieczorek - E-Book

Flieg, mein roter Adler III E-Book

Udo Wieczorek

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Beschreibung

Erster Weltkrieg: Vinzenz und Josef, einst beste Freunde, stehen sich auf gegnerischen Seiten gegenüber. Aufgewachsen in einem Tiroler Bergdorf wurden sie getrennt, als Josefs Mutter einen italienischen Grafen heiratete. Doch Josefs schönes neues Leben birgt auch Schattenseiten. Im Dunkeln verborgen entspinnt sich gegen ihn und seine Familie die tödliche Intrige eines mächtigen Gegners. Umgeben von den majestätischen Alpen, getrieben vom Grauen des Krieges müssen sich die ehemaligen Freunde entscheiden, welchen Weg sie wählen. Eine falsche Entscheidung könnte ihr Ende bedeuten. Teil drei des dreiteiligen Historienromans.

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Udo Wieczorek

Flieg, mein roter Adler III

Historischer Roman

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-digital.de

Gmeiner Digital

Ein Imprint der Gmeiner-Verlag GmbH

© 2016 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlagbild: © Collage unter Verwendung von: © fakegraphic – Fotolia.com, © love1990 – Fotolia.com, © Udo Wieczorek

Umschlaggestaltung: Simone Hölsch

ISBN 978-3-7349-9418-0

Widmung zum dritten Teil

In einem schrecklichen Krieg zwischen grünen Hängen, schroffen Wänden und Gletschereis haben einst Tausende junger und alter Menschen selbstlos ihr Leben gegeben. So paradox es auch anmutet, kämpften sie auf beiden Seiten in derselben Absicht; erbittert und grausam für Gott, ihren König und Kaiser und ihr geliebtes Vaterland.

In unserer heutigen Welt, die von völlig anderen Werten geprägt ist, scheint jene bedingungslose Aufopferung nicht mehr nachvollziehbar. Doch in diesen kargen, vergangenen Tagen der Not waren gerade diese Grundfesten des Lebens alles, was die Menschen besaßen, woran sie glauben konnten.

Zwischen Selbstverwirklichung und unserer inneren Einsamkeit fehlt es uns längst an der notwendigen Zeit und dem geistigen Raum, um dieses einst so starke Zugehörigkeitsgefühl und jene rücksichtslose Bescheidenheit, ja Selbstaufgabe, begreifen zu können. Das Leid der Menschen, welche diesen Krieg über- und durchlebt haben, ist für immer und ungeteilt in der Tiefe der Geschichte versunken. Nicht aber das mahnende Wissen darüber.

Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die ihr einsames Grab in den Bergen ihrer Heimat gefunden haben. In den Bergen, die wir heute so lieben, die auch sie einst geliebt haben.

Diese Zeilen gehören jenen, an die sich niemand mehr erinnert.

13. Ein Seltsamer Besuch

Lydia, die Zofe, stand ratlos vor dem großen Schrank der Gräfin.

»Ich bitte um Verzeihung. Ist gnädige Frau sich wirklich sicher? Sollen es tatsächlich alle Kostüme und Kleider sein?«

Maria stand abwesend am Fenster und blickte hinauf zu den Bergen. Sie drehte ihren Kopf halb zur Seite, ohne Lydia anzusehen.

»Ja, alle, welche sich im Schrank befinden.«

Lydia schüttelte den Kopf und fügte an: »Es ist so schade um das herrliche Tuch. Dabei kann ich nicht einmal garantieren, dass der Schneider auch Verwendung dafür findet. Aber da Frau Gräfin mich danach gefragt hatte …«

Maria wandte sich vom Fenster ab, schritt auf Lydia zu und nahm ihre Hände in die ihrigen.

»Gute Lydia, sei versichert, es ist besser so. Zu Panzo und Tomasi kann ich die Robe nicht wieder zurückschicken. Und wenn sie der örtliche Schneider nicht annimmt, dann biete sie auf dem Markt feil. Es ist nicht maßgeblich, dass sie verkauft werden. Ich möchte nur nicht, dass meine Kleider nutzlos im Schrank hängen, ohne von jemandem getragen zu werden.« Maria blickte voller Trauer in den Magnolienhain hinaus und fügte mit bebender Stimme an:

»Ich werde mein Leben lang nur mehr schwarz tragen. Und zudem werden mir diese Kleider in Kürze auch nicht mehr passen.«

In ihrem verklärten Blick trafen sich Trauer und Hoffnung, als sie sich liebevoll über den Bauch fuhr.

»Was hat sich eigentlich in diesem Mordfall getan? Haben Herr Inspektor den Mörder überführen können?« Rattei und der Inspektor waren sich zufällig beim Markt über den Weg gelaufen und ins Gespräch gekommen. Der Inspektor zuckte mit den Achseln und schmunzelte über die Neugier Ratteis.

»Er hat ein gutes Gedächtnis! Das ist immerhin schon eine Weile her.«

»Man merkt sich nicht viel im Geschäft mit dem Tod, ich würde sonst ja trübsinnig werden. Aber dieser Abend, nein, der geht mir nicht aus dem Kopf. Insbesondere wie dieser merkwürdige General auftauchte …«

Der Inspektor blies amüsiert den Atem durch die Nase.

»Visarelli? Ich habe mir in der Tat lange überlegt, in diese Richtung zu ermitteln. Heute kann ich mir selbst danken, es nicht getan zu haben. Dieser Mann ist ein Volksheld, ein gefeierter Volksheld. Hätte ich damals auch nur den geringsten Verdachtsmoment gegen ihn vorgebracht, stünde ich heute trotz meines Alters wohl an der Front wie viele meiner Kollegen.«

Rattei lächelte selbstgefällig und hob den Zeigefinger: »Manchmal ist es eben gut, auf den alten Rattei zu hören.«

Der Inspektor lächelte nur, sagte nichts darauf und schlenderte weiter. Plötzlich aber blieb er wie angewurzelt vor einem Marktstand stehen. Seine Gesichtszüge wurden mit einem Mal hart. Er zog sein Monokel aus der Tasche und beugte sich forschend über die ungewöhnliche Auslage des Standes. Rattei blickte ihn nachdenklich von der Seite an.

»Ispettore? Ist alles in Ordnung?«

Der Inspektor winkte ab und sah der erschrockenen Marktfrau durchdringend in die Augen.

»Woher hat Sie diese Kleider?«

»Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen, Herr Inspektor«, stammelte die Marktfrau ängstlich. »Die Lydia vom Schloss … Sie hat sie mir gegeben, dass ich sie verkaufen solle! Ihre Herrin wollte sie nicht mehr tragen, nachdem ihr Herr Gatte gefallen sei.«

Der Inspektor zückte sein Blöckchen und fing an, sich ein paar Notizen zu machen.

Rattei hatte längst bemerkt, dass der Inspektor nicht aus privatem Interesse Frage um Frage stellte. Der beflissene Kriminalbeamte wirkte ungemein konzentriert. Seine Gelassenheit schien verflogen, als sei er in einem ganz bestimmten Fall auf eine glühend heiße Spur gestoßen.

Rattei kam sich überflüssig vor und zog den Hut.

»Dann werde ich Herrn Inspektor nicht länger stören. Einen schönen Tag darf ich …«

»Nein, Rattei!«, unterbrach ihn der Inspektor, ohne ihn anzusehen.

»Bleiben Sie hier. Ich brauche Sie noch.«

Rattei brachte ein verhaltenes »Selbstverständlich« hervor und nahm Haltung an.

Der Inspektor zog seine Brieftasche hervor, entnahm ihr einen großen Schein und stellte mit sachlichem Ton fest: »Das wird wohl ausreichend sein.«

Die Marktfrau knickste und fragte verunsichert nach: »Herr Inspektor nehmen alle Kleider?«

»Alle«, entgegnete er knapp. Dann wandte er sich zu Rattei.

»So hilf Er mir beim Tragen. Zur Wache ist es ein gutes Stück zu gehen!«

Visarelli hielt seit Minuten Trost spendend Marias Hand. Seine Nähe zu ihr trieb ihm keine Schweißperlen mehr auf die Stirn. Selbst ihr gütiger Blick brachte ihn nicht mehr an den Rand des schieren Wahnsinns. Er hatte beinahe erreicht, wonach er all die Jahre strebte. Das, was für ihn zum inneren Zwang und Wahn geworden war, an dem er fast zerbrochen wäre. Visarelli fühlte sich wie von einer schweren Last befreit. Er spürte, wie für ihn die Zukunft anbrach und er kostete jede Minute davon aus. Eine Zeit ohne Schwermut, ohne dunkle, böse Gedanken. Der vollendete Plan, der ihn so weit gebracht hatte, war sang- und klanglos in der Vergangenheit versunken. Visarelli hatte ihn mutwillig verdrängt, ja vergessen. Es war vorüber. Manuell gehörte nun für alle Zeit der Vergangenheit an. Von jetzt an gab es nur ihn und Maria. Zumindest in den wenigen Tagen, die er sich erlauben konnte, seinen Posten zu verlassen. Irgendwann, so sagte er sich, würden sie zusammenwachsen. Vielleicht nicht sofort. Aber gewiss bald, davon war Visarelli felsenfest überzeugt.

»Es ist einsam geworden, Flavio. Das Schloss wirkt wie ein Gefängnis auf mich, in dem ich, wohin ich mich auch wende, überall an ihn erinnert werde.«

Visarelli senkte geschlagen den Kopf; er spielte den Mittrauernden.

»Ich wollte, ich könnte dir die Einsamkeit öfter verkürzen. Du musst wissen; damals, nach der schrecklichen Sitzung im Sommerpalais gab ich Manuell ein ehernes Versprechen. Ich schwor, mich um dich und Josef zu kümmern, falls Manuell …« Visarelli sprach den Satz nicht zu Ende. Er seufzte tief, während er sich erhob und auf den großen Wandteppich im Saal zustolzierte.

»Ich ahnte nicht in Ansätzen, wie schwierig dieses Wort, das ich ihm gab, zu erfüllen sein sollte! Josef hat sich von mir abgekehrt, beschreitet seinen eigenen Weg, von dem ihn nichts auf der Welt abbringen kann. Und dieser gottverdammte Krieg!« Visarelli drehte sich zu Maria um. Seine Mimik wechselte übergangslos von tiefer Wut zu perfekt gespieltem Leiden.

»Verzeih, Maria. Meine Pflicht erlaubt es mir nicht, öfter bei dir zu sein, um dir die einsamen Abende zu verkürzen. Alles, was ich tun kann, ist meinen maßgeblichen Teil dazu beizutragen, diesen mörderischen Krieg so rasch wie möglich zu beenden. Danach, Maria …«

Maria hatte sich ebenfalls erhoben und unterbrach Visarelli, der sogleich schwieg.

»Es ist gut zu wissen, von einer so treuen Seele, wie du es bist, umgeben zu sein, Flavio. Ich danke dir aus tiefstem Herzen und bitte dich zugleich, nicht müde zu werden, Josef vor Augen zu führen, dass ihn sein Hass ins Verderben führen wird. Du weißt, er ist jetzt alles, was mir verblieben ist. Ihm gilt meine ganze Liebe.«

Maria verstummte unter einem kaum merklichen Schluchzen. Sie war mit einem Mal blass geworden und legte ihre Hände auf ihren Bauch. Visarelli bemerkte ihre Schwäche und schritt sofort besorgt auf sie zu.

»Fühlst du dich nicht wohl? Soll ich meinen Arzt rufen?«

Maria hob abwehrend die Hand. »Es ist nichts, sei unbesorgt. Nur manchmal drängt sich eine seltsame Hoffnung in mein Bewusstsein, dass er irgendwann in der Tür steht. Ich weiß, es ist töricht, daran zu glauben, und wahrscheinlich entspringt dieses Gefühl nur dem innigsten meiner unerfüllbaren Wünsche. Und doch ist mir manchmal, als wolle irgendetwas in mir sagen, dass er lebt.«

»Völlig ausgeschlossen!«, brach es überzeugt und kalt aus Visarelli hervor. Maria blickte ihn lange an, ohne ein Wort zu sagen.

»Entschuldige bitte. Das war pietätlos von mir. Ich wollte …«

»Nein, Flavio«, unterbrach ihn Maria, »du hast ja Recht. Ich muss mich damit abfinden. Aber auch das wird niemals etwas daran ändern, dass ihm meine ganze Liebe gilt. Ich werde ihn für immer in meine Gebete einschließen.« Visarelli presste vor Wut seine Kiefer aufeinander und besänftigte sich mit Gedanken. Treue Seele, guter Freund … Das reicht mir nicht! Selbst über den Tod hinaus steht er mir noch im Wege. Aber die Zeit wird’s richten. Früher oder später gehörst du mir, Maria.

»Gnädige Frau; ein Herr Ispettore Martinelli wünscht Sie zu sprechen.«

Ein Zimmermädchen war in den Saal gekommen und unterbrach die Unterhaltung. Visarelli stutzte.

»Ispettore Martinelli?«

Maria tupfte sich mit einem Taschentuch die Tränen von den Wangen und beschwichtigte:

»Sicher nur wegen Manuells Tod. In den letzten Wochen bezeugten mir Menschen ihr Beileid, die ich nie zuvor gesehen habe.«

Visarelli nickte wissend.

»Dann werde ich mich nun empfehlen. Die Zeit drängt; man erwartet mich heute im Stab zurück.« Er nahm Marias Hand, küsste sie und schritt forsch durch die Empfangshalle an den großen Ohrensesseln vorüber. Dem ihm abgewandten Inspektor schenkte er keinen Blick, nahm seinen Mantel und die Mütze von einem Diener entgegen und eilte hinaus.

Das Zimmermädchen machte einen kaum merklichen Knicks.

»Die gnädige Frau erwartet Sie jetzt.«

Inspektor Martinelli zog aus Gewohnheit sein Blöckchen aus der Reverstasche und zückte seinen Bleistift. Dann ging er nichts ahnend, vor sich hin sinnierend, durch die Tür und sah erst auf, als sich Maria zu ihm wandte. Es verschlug ihm förmlich die Sprache, als er in Marias Gesicht blickte. Er hatte das Bild der ermordeten Valeria deutlich vor Augen. Die Ähnlichkeit war frappierend.

»Gnädige Frau sind … Gräfin di Monti?«

Maria sah den Inspektor fragend an.

»Gewiss, und mit wem habe ich das Vergnügen?« Der Inspektor legte unsicher seine Utensilien beiseite und verneigte sich.

»Verzeihen Sie bitte. Wie unhöflich von mir. Inspektor Martinelli von der örtlichen Kriminalpolizei. Ich darf Ihnen im Namen der gesamten Wache unser aufrichtiges Beileid aussprechen. Welch bitterer Verlust.« Er hielt für einen Moment inne, musterte Maria abermals und hob wieder an:

»Nun, verehrte Gräfin; ich bin aus dienstlichen Gründen hier und darf Sie bitten, mir ein paar Fragen zu beantworten.«

Maria wurde skeptisch und sie entgegnete reserviert: »Um was handelt es sich denn? Ich hoffe doch, mein Personal hat sich nichts zu Schulden kommen lassen …«

Der Inspektor schüttelte den Kopf.

»Nein, Verehrteste. Wir ermitteln in einem gewissen Fall, der schon eine Weile zurückliegt. Der Fall schien fast unaufklärbar, bis wir kürzlich auf dem Wochenmarkt auf eine neue Spur stießen.«

Maria begann zu kombinieren, gab dem Inspektor aber die Unwissende.

»Bei aller Wertschätzung, doch ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem Wochenmarkt und dem Hause Monti.« Der Inspektor zögerte etwas.

»Nun, verehrte Gräfin, wir fanden Kleider, welche offensichtlich aus Ihrer Garderobe entstammten.«

Maria begann verhalten zu schmunzeln.

»Ich weiß Ihre Vorsicht zu schätzen, Herr Inspektor. Aber hierbei gibt es keinen Anlass zur Sorge. Ich habe sie dort durch meine Zofe verkaufen lassen. Das ist meines Wissens nach aber kein Verbrechen.«

Der Inspektor lächelte dezent zurück. »Sicherlich nicht. Mir wären die Kleider wohl kaum aufgefallen, wenn ich sie nicht schon einmal woanders gesehen hätte. Wir entdeckten ein paar der teueren Stücke bei den Ermittlungen des vorhin erwähnten Falles in den Räumen des Opfers. Sie glichen sich, als stammten sie aus ein und derselben Manufaktur.«

Maria wurde blass. Erschüttert legte sie die Hand an den Mund.

»Sie sprechen von einem Opfer. Es war ein Mord? Und meine Kleider … Ich verstehe nicht …« Der Inspektor unterbrach Maria mit einer besänftigenden Handbewegung und kramte in seiner Aktentasche. Schließlich legte er eine Fotografie auf den Tisch und fügte an:

»Dies sind die Kleider vom Tatort. Sie entsprechen den Ihren, welche ich auf dem Markt für die Ermittlungen erstanden habe, in fast allen Details. Selbst die Größe ist nahezu identisch. Die Frage ist nicht, ob das Opfer Sie, verehrte Gräfin, nachahmen wollte; denn das hat es unzweifelhaft und schändlicherweise getan. Ich stehe vielmehr vor dem Rätsel, weshalb sie das getan tat. Verehrteste müssen wissen, die Person übte ein gewissermaßen anrüchiges Gewerbe aus.«

Maria wandte sich ab.

»Das ist ja entsetzlich! Ich kann Sie nur um Diskretion bitten, Herr Inspektor. Wer war diese infame Person?«

»Dafür verbürge ich mich persönlich, gnädige Frau. Ihr Name war Valeria Pontarelli. Sie stammte aus Spilimbergo und wohnte in der Via Scalfaro in der Unterstadt beim Walzwerk.« Der Inspektor sah Maria fragend an, während sie angestrengt überlegte.

»Ist Ihnen dieser Name oder die Adresse vielleicht bekannt?«

Maria protestierte.

»Ich bitte Sie, Inspektor! Wenn ich nicht genau wüsste, dass diese Frage einer dienstlichen Überlegung entspringt, würde ich sie als impertinent bezeichnen. Ich pflege weder Kontakt in diese Gegend, noch kenne ich diesen Namen.«

Der Inspektor notierte beflissen ein paar Zeilen. Nach einer Weile begann er nachdenklich: »Sie stammen nicht aus Italien, nicht wahr?«

Die Frage versetzte Maria einen Stich ins Herz. Sie wurde nervös, begann an den Händen zu zittern. Als wäre es gestern gewesen, flog die Anspannung aus der Zeit ihrer Einwanderung rasend durch ihre Hirnwindungen. Sie wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher als Manuell an ihre Seite.

»Ich stamme aus Tirol«, erwiderte Maria knapp.

Der Inspektor nickte wissend.

»Ich verstehe. Es ist derzeit nicht einfach für Sie. Aber sagen Sie, haben Sie Geschwister?«

Maria begann zu zittern. Die Fragen des Inspektors flößten ihr Angst vor etwas ein, das sie längst als vergessen wähnte.

»Nein, ich hatte nie Geschwister«, antwortete sie mit bebender Stimme. »Ich bitte um Verzeihung, Herr Inspektor. Doch ich fühle mich heute nicht recht in der Lage, mich derartigen Fragen auszusetzen. Ich möchte Sie bitten, jetzt zu gehen.«

Der Inspektor zeigte Verständnis und steckte sein Blöckchen in das Revers zurück.

»Selbstverständlich. Ich komme gleich zum Ende, verehrte Gräfin. Ich würde lediglich die Anschrift ihres Schneiders benötigen.«

Maria überlegte kurz.

»Panzo e Tomasi, Via Venezia in Vicenza. Es ist unsere Hausschneiderei. Sie übernehmen alle Arbeiten für das Haus Monti.«

Der Inspektor nahm seine Tasche auf und verneigte sich kurz. »Dann darf ich mich verabschieden. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit.« Er ging ein paar Schritte aus dem Zimmer, bevor er sich unter der Tür noch einmal zu Maria umdrehte. »Dieser Herr, der vorhin so eilig durch die Halle schritt – darf ich fragen, wer das war?«

Maria erfasste Schwindel und Übelkeit. Sie stützte sich auf die Lehne eines Sessels und entgegnete kraftlos: »Ein enger Kollege und Freund meines Mannes. Er steht der Familie di Monti sehr nahe.«

Der Inspektor nickte nüchtern und ging ohne ein weiteres Wort zu verlieren aus der Halle.

»Natürlich erinnere ich mich. Diese Kleider und Kostüme habe ich schließlich selbst gefertigt.« Der Schneider trennte den Saum eines Kostüms auf und wies auf ein verdeckt eingesticktes Monogramm. »Sehen Sie, P und T, Vicenza. Es ist unglaublich! Aber es trifft zu. Wir haben tatsächlich zwei nahezu identische Garderoben gefertigt. Eine für das Haus di Monti und eine für diesen …«

»Diesen?«, hakte Martinelli sofort neugierig nach.

»Ich erinnere mich genau an ihn. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt einen Namen angegeben hat!« Der Schneider fasste sich ans Kinn und überlegte angestrengt. »Es war ein gepflegter Herr mittleren Alters. Sein Anzug, nun, ich würde sagen, er war eher schlecht konfektioniert. Aber das Stück stammte ja nicht aus unserer Manufaktur, was will man da erwarten! Jedenfalls hatte dieser Herr absolut genaue Vorstellungen von den Stücken. Er beschrieb sie bis ins Detail und legte mir sogar Zeichnungen vor. Ich wunderte mich zunächst, aber es waren zweifellos wunderschöne Stücke darunter, für die es lohnte, sich ins Zeug zu legen. Ich fragte ihn, ob er sich vielleicht als Modezeichner bei uns betätigen wolle; rein zur Posse natürlich. Aber er schien keine Späße zu verstehen.«

Der Schneider redete für Inspektor Martinellis Geschmack entschieden zu viel; er unterbrach ihn:

»Und es ist Ihnen damals nicht aufgefallen, dass diese Kleider bereits einmal in Ihrer Schneiderei gefertigt wurden? Etwa für das Haus di Monti?«

Der Schneider zuckte verlegen mit den Achseln und entgegnete selbstbewusst.

»Erst als Sie es mir vor Augen führten! Es lag ja auch eine gewisse Zeit zwischen den Bestellungen. Und zudem kommt es häufiger vor, dass gewisse Personen Gefallen an unserer Konfektion finden und sich das eine oder andere Modell nachschneidern lassen wollen, welches sie auf einem Ball gesehen haben. Sehen Sie, Herr Inspektor. Wir beschäftigen neun Schneidermeister in unserem bescheidenen Unternehmen. Das Haus di Monti wird von Signor Burell bedient.« Der Schneider öffnete die Tür zur Werkstätte und rief: »Burell, sofort zu mir!« Mit einer entschuldigenden Grimasse wandte er sich wieder dem Inspektor zu und beäugte fassungslos die Fotografie Valerias Garderobe.

»Ich bin nicht in jedem Fall darüber informiert, welche Kollektion an die Adresse der Montis geliefert wird. Aber es ist in der Tat erstaunlich.«

Inspektor Martinelli notierte ein paar Zeilen, während er laut vor sich hinredete.

»Dieser Mann hinterließ also weder seinen Namen, noch nannte er eine Adresse?«

Der Schneider überlegte und schüttelte den Kopf.

»Er kam, bestellte und holte die Kostüme allesamt nach ein paar Wochen selbst wieder ab. Er bezahlte an Ort und Stelle und gab darüber hinaus ein ordentliches Trinkgeld. Es muss vor vier oder fünf Jahren gewesen sein, als er das erste Mal kam.«

Der Lärm der Fabrikation brandete kurz durch die Tür, als Burell an den Tresen trat.

»Sie haben nach mir gerufen?« Der Chef des Hauses wies anklagend auf die Fotografien und die Garderobe, welche über dem Tresen hing.

»Sehen Sie sich das an! Ohne es zu wissen hat das Haus Panzo e Tomasi zwei identische Kollektionen ausgeliefert. Die eine von Ihnen, die andere von mir persönlich!«

Burell kratzte sich verlegen am Hinterkopf und kniff die Augen zusammen.

»Das muss in den Jahren acht/neun gewesen sein. Es ist unzweifelhaft meine Arbeit. Ich freute mich, endlich auch für die Frau Gräfin konfektionieren zu dürfen …«

Inspektor Martinelli tat so, als notierte er alles beflissen. Innerlich hatte er sich bereits damit abgefunden, von den Herren keinen Namen zu erfahren und stellte die nächste Frage eher beiläufig.

»Seit wann genau konfektionieren Sie für die Gräfin?«

Burell griff in einen offenen Schrank hinter sich und zog ein Rechnungsbuch hervor. Er schlug es auf, ließ seinen Finger langsam über die Seiten gleiten, bis er schließlich innehielt.

»Hier haben wir es! Wie ich bereits sagte; neunzehnhundertacht, am dreißigsten Juni verließ die erste Damenkollektion das Haus. Ich war persönlich im Schloss zugegen und nahm die Maße der gnädigen Frau auf. Die Bestellung umfasste auch ein Brautkleid. Dieses allein war schon ein Vermögen wert!« Burell geriet ins Schwärmen, stockte aber rasch und hob den Zeigefinger. »Aber halt! Ich habe etwas vergessen!«

Martinelli wurde aufmerksam. Neugierde begann in ihm aufzusteigen.

»Vielleicht zwei, drei Monate davor kam ein Herr zu mir und übermittelte eine kleine Bestellung vom Grafen di Monti, Gott hab ihn selig.« Burell bekreuzigte sich hastig und fuhr fort: »Ich wunderte mich, denn normalerweise erschien der Herr Graf stets persönlich, oder ich suchte ihn im Schloss auf. Nun, dieser Herr trug eine Uniform, und ich meine mich an die Abzeichen eines Generals erinnern zu können. Seine Schultern waren reicher dekoriert als die der gräflichen Uniform, welche ich schließlich vom Faden bis zum Knopf auswendig kannte.«

Martinellis Bleistift flog förmlich über das kleine Stück Papier, während sich die Stichwörter in seinen Verstand einbrannten. General, Uniform …

»Wir sollten den Auftrag binnen weniger Tage gefertigt haben. Ich erinnere mich genau, da ich Tag und Nacht arbeitete, um die Robe termingerecht versenden zu können. Es waren übrigens auch zwei Anzüge für einen Jungen dabei. Schließlich sollten wir alles über die Grenze nach Österreich Ungarn versenden. Zugegeben, ich stutzte anfänglich. Aber der Auftrag gab ordentliches Geld; und das ist es, worauf es ankommt!«

Martinelli hatte längst angefangen zu kombinieren.

»Könnten Sie diesen Mann beschreiben?«

Burell zog die Brauen nach oben und fuhr sich nachdenklich durch das von Brillantine glänzende Haar.

»Es ist wohl eine Zeit lang her … aber er war von kräftiger Statur, etwa so groß wie ich selbst, dunkle, fast finstere Augen, militärischer Bürstenhaarschnitt … und er wirkte sehr ernst.« Martinelli sah den Geschäftsführer abgeklärt an.

»Haben Sie eine Zeitung im Haus?«

»Zeitung? Natürlich! Burell, bringen Sie mir das Tagesblatt von meinem Schreibtisch.«

Martinelli blätterte aufgeregt ein paar Seiten um. Er suchte etwas ganz Bestimmtes. Schließlich hieb er triumphierend auf ein Bild.

»Hier, das ist der Mann, nicht wahr?«

Der Chef und Burell sahen sich fragend an. Burell tupfte sich die Stirn mit seinem Taschentuch ab und nickte fassungslos.

»Unglaublich! Er erschien mir damals zwar etwas korpulenter, aber er ist es ohne Zweifel!« Martinelli nickte wissend.

»Und wie ist es mit Ihnen, Signor Panzo?«

»Ja, durchaus! Wenn ich mir den Schnauzbart wegdenke und eine Uniform statt der bürgerlichen Kleidung hinzu; dann ist es ein und dasselbe Gesicht! Visarelli, der General seiner Majestät, ein Kunde unseres Hauses? Welch ein Glück!«

Das Gesicht des Chefs nahm skeptische Züge an.

»Sagen Sie, Herr Inspektor; Sie ermitteln nicht etwa gegen eine der genannten Personen? Dann nämlich müsste sich unser Haus von den Betreffenden distanzieren; Sie verstehen sicher …?«

Martinelli klappte seinen Block zusammen, steckte den Bleistift in seine Jackentasche und erwiderte zufrieden:

»Es gibt keinen Grund zur Sorge, meine Herren. Es stellt sich für Sie anders dar, als es sich tatsächlich verhält. Die Personen sind allesamt integer. Ich bin nicht befugt, Ihnen weitere Auskünfte zu geben. Haben Sie vielen Dank.«

Martinelli setzte sich in seinen Wagen, las die notierten Zeilen noch einmal langsam durch und blickte ernst durch die angelaufene Scheibe hinaus in den Regen.

»Also doch Visarelli – ich muss sofort zu Rattei«, sagte er nach einer Weile und startete den Motor.

14. Im Rausch von Ehre und Hass

Visarelli stand am Fenster des Kommandostandes und sah hinauf zu den hohen Bergen.

»Ich will nicht wieder mit der alten Leier kommen. Ich habe alles dafür getan, dem gerecht zu werden, was ich einst Ihrem Vater versprochen hatte. Sie sind nun selbst alt genug, um zu entscheiden, wo Ihr Platz in dieser großen Armee ist.« Josef verhielt sich still, er spürte, dass Visarelli etwas mit ihm im Schilde führte. »Ich habe lange mit mir gerungen, Sottotenente«, begann er wieder theatralisch unter einem selbstgefälligen Nicken. »Und ich bin, weiß Gott, nicht glücklich über diese Entscheidung. Aber wir brauchen in der Tat dringend einen Offizier dort oben unterhalb der Sanparellascharte.« Er hielt kurz inne, zog an seiner Zigarre und setzte lapidar nach, als wäre dieser Entschluss längst eine Selbstverständlichkeit gewesen: »Die Versetzung erfolgt natürlich auf Ihren eigenen, ausdrücklichen Wunsch.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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