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Alexandra McInnes hat als Pilotin der Special Forces zahlreiche Einsätze erfolgreich geflogen. Doch bei einem verheerenden Unfall wird sie schwer verletzt. Der Kybernetiker Dr. Jensen eröffnet ihr die Möglichkeit, an einem einzigartigen Experiment teilzunehmen: Sie soll ihr Bewusstsein in das Online-Spiel Vorena übertragen und dort vollständig geheilt weiterleben. Als Alexandra die gigantische Welt Vorenas betritt, verändert dies alles. Fortan muss sie als Kämpferin Questen erfüllen, sich mit anderen Spielern verbünden und Reiche erobern. Doch bald holt sie ihre Vergangenheit ein. Denn Alexandra ist nicht die einzige, die in Vorena ein neues Leben beginnen will. Und die Spielwelt Vorena wird bald realer, als sie ahnen konnte ...
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Für Charly
ISBN 978-3-492-99239-8
© Piper Verlag GmbH, München 2018
Covergestaltung: Guter Punkt, München
Covermotiv: Uwe Jarling
Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe
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Cover & Impressum
1 Willkommen in Vorena
2 Das Spiel
3 Die dunkle Schwester
4 Ich muss hier raus
5 Der untote Gefolgsmann
6 Hauptmann Loris
7 Das nächste Ziel
8 Die Gebrüder Holzmann
9 Das Gasthaus Toter Eber
10 Besser als gut
11 Meister Ribin
12 Begegnung mit Goblins
13 Die Queste »Finde Feliss«
14 Der untote Riesenhengst
15 Die Erbin des Herzogtums
16 Auf dem Friedhof
17 Die alte Crew
18 Hochgericht
19 Bessere Freunde werden wir nie finden
20 Grenztechnologie
21 Keine halben Sachen
22 Drei Lager
23 Gustav, das gutmütige Dämonenpferd
24 BOOOOOM
25 Die freie Stadt Arensvelt
26 Der höfliche Magistrat
27 Marktrummel
28 Die Magier-Gilde
29 Shadow_Stalker
30 Ihr braucht was zu tun?
31 Direct Tactics
32 Mehr als nur ein Spiel?
33 Hinweise und Nachrichten
34 Pia, Dienerin der Bastet
35 Wettrennen der Gilden
36 Fluchbrecher
37 Von Ehre und Stolz
38 Das Refugium
39 Marensfurt verändert sich
40 Du hast es gebraucht
41 Nichts daran ist einfach
42 Das Haus der Wahrheit
43 Kostspieliges
44 Die Queste »Jagd auf das Ungeheuer«
45 Soziopathen
46 Leuchten
47 Bewegungskunst
48 Das Stadtschloss
49 Feilschen
50 Im Sanktum
51 Wesex
52 Rabina und Masina
53 Das Biest von Arensvelt
54 Der Mann in der dunklen Kutte
55 Fanfaren
56 Die Bitte um eine Audienz
Abkürzungsverzeichnis
»Bist du bereit?«, fragt eine rauchige weibliche Stimme, die bei mir eine Assoziation mit alten Schwarz-Weiß-Filmen, Zigarettenhaltern und Whiskey in vernebelten Bars auslöst.
»Ja«, sage ich.
Nichts geschieht.
Wie aus der Ferne höre ich die Stimme von Dr. Jensen. »Du musst lauter sprechen. Oder besser, deutlicher denken.«
Ja, denke ich entschlossen.
Für einen Moment leuchtet der graue undefinierte Raum, in dem ich mich befinde, golden auf, und ein Schriftzug erscheint vor meinen Augen, um dann langsam wieder zu verblassen.
»Willkommen in Vorena.«
Stehe auf einer Wiese in einer kleinen Waldlichtung und höre das Rascheln der Blätter an den Bäumen, fühle den Wind in meinem Haar und an meinen Beinen. Ein Schmetterling fliegt an mir vorbei, in der Ferne höre ich Vögel zwitschern. Über mir spannt sich ein azurblauer Sommerhimmel mit ein paar kleinen Schäfchenwölkchen.
Ein paar Schritte von mir entfernt bahnt sich ein kleiner fröhlich gurgelnder Bach seinen Weg durch die Lichtung.
Von irgendwoher höre ich ein Pferd wiehern.
Ein Sommertag wie aus einem Bilderbuch.
Blinzele und hebe die Hand, um an meine Wangen zu fassen und die Tränen wegzuwischen, während ich an mir heruntersehe. Ich trage ein einfaches Leinenkleid, kratzig und grob geschnitten, und meine Füße stecken in einfachen Sandalen.
Muss heftig schlucken, als ich sehe, wie sich erst meine große Fußzehe wie durch Magie bewegt. Dann mein ganzer Fuß.
Tue einen Schritt, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, und dann noch einen, einen weiteren und dann wieder einen, bis ich an dem kleinen Bach stehe, wo ich mich langsam hinsetze und dann meine Füße in das Wasser halte, das sich kalt und nass anfühlt und um meine Füße strömt.
»Mein Gott«, hauche ich.
Die Luft neben mir schimmert, und Dr. Jensen steht neben mir. Er trägt noch immer seinen weißen Doktorkittel, und seine auf Hochglanz polierten Schuhe scheinen mir hier irgendwie fehl am Platz.
Dr. Jensen ist einer dieser Menschen, die man nur schwer einordnen kann. Er mag irgendetwas zwischen dreißig und fünfzig sein, mit glatten schwarzen Haaren, den fein geschnittenen Gesichtszügen, die man bei Eurasiern so oft findet, und er besitzt einen kleinen Gamsbart, der mich immer fasziniert, wenn Dr. Jensen spricht und der kleine Bart auf und nieder hüpft.
»Ich glaube«, lächelt er, »Glückwünsche sind angebracht.« Mit einer Geste lässt er ein Hologramm vor sich erscheinen, dessen Balken mir absolut nichts sagen, ihn aber zufrieden nicken lassen. »So wie es aussieht, haben wir mit dir zum ersten Mal eine Integration von hundert Prozent auf allen Parametern erreicht!« Mit einer nachlässigen Geste lässt er die schimmernde Anzeige verschwinden und lächelt mich an. »Wie fühlt es sich für dich an?«
Ich schlucke und sehe auf meine Füße herab, bewege sie im Wasser, fühle die Kühle, die Nässe und den leichten Widerstand des Wassers.
Bewege meine Zehen.
Schlucke erneut.
»Es ist sechs Jahre her, dass ich meine Beine habe spüren können«, sage ich und muss mich räuspern, so schwer fällt es mir zu sprechen. »Also kann ich mir nicht sicher sein … aber …« Schlucke wieder, schaue zu ihm hoch und spüre, wie mir die Tränen über die Wangen laufen. »Echt«, bringe ich mühsam hervor. »Es fühlt sich echt an! Wie ist das nur möglich?«
»Als ob du die Antwort nicht wüsstest.« Er schaut sich in der kleinen Lichtung um, sieht dann wieder auf mich herab und lächelt, um dann einen zufriedenen Seufzer auszustoßen. »Tatsächlich bin ich etwas neidisch auf dich. Dir ist bewusst, dass wir hier heute Geschichte schreiben?«
Es ist lange her, dass jemand auf mich hätte neidisch sein können, doch ich glaube Dr. Jensen.
Ein bisschen.
Er nickt, als hätte ich etwas gesagt. »Wissenschaft«, sagt er dann, »ist ein langer Weg mit vielen kleinen Schritten. Bei jedem Schritt hoffen wir, dass wir das Ziel erreichen, doch viel zu oft ist es nur das: ein kleiner Schritt. Doch heute … Alexandra, dies ist der Beweis, dass dein neurales Interface funktioniert! Heute sind unsere Träume wahr geworden!«
Ich schaue in den kleinen Bach hinab und ziehe meine Füße wieder heraus, langsam werden sie mir doch etwas kühl. »Noch nicht ganz«, erinnere ich ihn.
Mit einer Handbewegung ruft er ein anderes schimmerndes Display herbei und dreht es mit einem Finger in meine Richtung.
»Auch für dich ist es nur noch eine Frage der Zeit«, sagt er zuversichtlich, während ich das Bild auf dem Display sorgfältig betrachte. Es zeigt einen langen durchsichtigen Zylinder, in dem eine ausgemergelte Gestalt schwebt, von einer Art stählernem Käfig und durch eine Atemmaske, Dutzenden von langsam pulsierenden Schläuchen und farbigen Kabeln innerhalb des Tanks gehalten.
Ein kleineres Fenster informiert mich darüber, dass der Patient, Alexandra McInnes, einen Puls von fünf Herzschlägen pro Minute besitzt und einmal alle fünf Minuten atmet.
Herz- und Atemfrequenz, Gehirnaktivität, Sauerstoffgehalt des Blutes … und Dutzende weitere Parameter, alle befinden sie sich im grünen Bereich.
»Wir haben dich erfolgreich in Stasis versetzen können. So wie es jetzt ist, könnten wir dich jahrhundertelang am Leben erhalten. Auf jeden Fall lange genug für deine Regenerationstherapie. Falls alles gut geht, wirst du wieder gehen können, wenn du aufwachst.«
Ich mustere diesen ausgemergelten Körper mit dem rasierten Schädel, an dem sich zwischen all den Elektroden rote Stoppeln zeigen, und vermag es nicht, eine Verbindung zwischen mir und diesem … Ding herzustellen.
Captain Alexandra Maria McInnes. Alter achtunddreißig. Mit fast tausendeinhundert Stunden auf dem linken Sitz eines UH-60-Kampfhubschraubers, davon gut hundertachtzig Stunden im Kampfeinsatz in Ländern, in denen man uns nicht wollte und die nichts davon erfahren durften, dass wir dort waren.
Ich besitze ein Talent, kann einen UH-60 tanzen lassen, als wäre er mein eigener Körper, habe zudem das richtige Temperament dafür. So sehr, dass ich den Rufnamen Ice bekommen habe.
All das hat vor sechs Jahren, Anfang ’26, ein jähes Ende gefunden. Nicht bei einem heldenhaften Einsatz, sondern auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums, als mich ein besoffener Idiot in einem gigantischen Pick-up überfuhr, als ich gerade meine Einkäufe in meinen Wagen packen wollte.
Er hat mich fast fünfzig Meter über den Asphalt geschleift, bevor sich mein zerstörter Körper endlich von dem Pick-up löste. Mein Vater behauptete nachher, dass jede andere dreimal gestorben und dass ich nur zu stur zum Sterben wäre.
Wahrscheinlich hat er mich damit aufmuntern wollen.
Was ich ihm nie gesagt habe, war, wie oft ich mir seitdem gewünscht habe, ich wäre an jenem Tag gestorben.
Ich höre es immer wieder.
Gemessen an dem, was mir geschehen ist, habe ich viel Glück gehabt.
Das ist es, was mir die Ärzte wiederholt gesagt haben. Keine schweren inneren Verletzungen, weil ich meine Uniform mit dem Körperpanzer getragen hatte, kaum Abschürfungen und nur ein paar Schrammen in meinem Gesicht. Beide Beine, beide Schlüsselbeine, die meisten Rippen und ein Arm gebrochen, außerdem eine Fraktur des Hüftknochens. Beim heutigen Stand der Medizin kein großes Problem.
Ach ja.
Bis auf die dreifach gebrochene Wirbelsäule.
Die definitiv ein Problem ist.
Ein paar Millionen im Lotto gewinnen, auf einer Südseeinsel herumliegen und mit den Beachboys flirten, das nenne ich Glück haben.
Während der letzten sechs Jahre habe ich nur meinen linken Arm und meinen Kopf bewegen können. Das war alles.
Ich hatte zudem noch das Glück, alleine und ohne Maschinen atmen zu können.
Glück.
Unter Glück haben verstehe ich etwas anderes.
Vor sechs Monaten begann sich mein Zustand weiter zu verschlechtern. Selbst die Ärzte wussten nicht so genau, warum, doch mein körperlicher Zustand verschlechterte sich mehr und mehr.
Ich habe gehört, wie eine der Krankenschwestern etwas zu ihrer Kollegin sagte. Dass mein Körper einfach aufgegeben hätte.
Eine Erklärung, so gut wie jede andere.
Tatsächlich bin ich der Meinung, dass es nicht mein Körper ist, der aufgegeben hat, sondern ich selbst.
Ich bin immer sehr aktiv gewesen, habe Herausforderungen geliebt, mich bei jeder Gelegenheit selbst getestet. Man braucht schon eine gewisse Form von Masochismus und die unerschütterliche Überzeugung, die Beste zu sein, um bei den Special Forces zu landen.
Ich gebe es zu, ich bin ein Adrenalinjunkie gewesen. Ich tat es nicht für mein Gehalt, ich tat es nicht aus Patriotismus, ich tat es, weil ich das Leben nur dann fühlte, schmeckte, roch, lebte, wenn es auf der Kippe stand.
Hätte man mich vor Jahren gefragt, hätte ich ernsthaft geantwortet, dass ich davon ausgehe, dass mein Leben in einem Feuerball irgendwo weit weg in einer gottverdammten Wüste ein Ende finden würde, ganz in der Nähe von einem Ort, von dem der allergrößte Teil der Menschheit noch nie etwas gehört hatte.
Auf eine Art, die mir posthum wahrscheinlich eine Medaille eingebracht hätte.
Zum größten Teil hilflos gelähmt in einem Krankenbett zu verrotten ist nicht, wie ich mir mein Leben oder mein Ende vorgestellt habe.
Es gab einen Hoffnungsschimmer für mich, doch er war so fern, so schwach, dass ich nicht daran glauben konnte.
Oder wollte.
Nerven regenerieren sich schlecht. Doch es gibt schon seit einigen Jahren erfolgversprechende Ansätze, die Regeneration von Nervenzellen zu beschleunigen, doch in der praktischen Anwendung braucht es zwei widersprüchliche Bedingungen dafür.
Zum einen müssen die Nervenzellen stimuliert werden, was etwas damit zu tun hat, den Nervenenden zu helfen, sich mit den richtigen Nerven zu verbinden, so in etwa wie ein Elektriker in einem Schaltkasten Kabel verlegt. Zum anderen aber ist es beim derzeitigen Stand der Wissenschaft absolut notwendig, dass sich der Patient über einen Zeitraum von Wochen und Monaten nicht einen Millimeter bewegt.
Etwas, das, beides zusammen, sich widerspricht, schlichtweg nicht möglich ist, selbst bei einem bewusstlosen Patienten.
Neuronale Schnittstellen gehören noch zu den Grenztechnologien, vor allem dazu entwickelt, Querschnittsgelähmten zu helfen, besser mit ihrer Umwelt interagieren zu können.
Doch auch außerhalb der Medizin gibt es Anwendungsgebiete dafür. So in der Spieleindustrie.
Dr. Jensen besitzt mehrere Doktortitel im Bereich der Biotechnologie und Kybernetik. Doch er ist nicht mein behandelnder Arzt.
Zuerst glaubte ich, er wäre der Leiter der Forschungseinrichtung von VR-Integrated Industries, dem zurzeit bedeutendsten Hersteller von VR-Spielen. Mittlerweile weiß ich, dass er weitaus mehr ist.
Vorena Online ist das Neueste dieser Spiele, ein RPG der vierten Generation und hat innerhalb weniger Wochen bei Millionen von Computerspielern wahre Begeisterungsstürme ausgelöst, vor allem durch die ausgefeilte Virtuelle Realität des Spiels.
Man kann es auf dem PC spielen, mit einem VR-Helm und/oder Anzug oder in einer der neuen Immersionskapseln.
Doch das ist VRI noch nicht genug. All diese Technologien funktionieren auf der Basis, den Körper des Spielers zu stimulieren. Diese Schnittstelle herauszunehmen, nicht den Körper, sondern das Gehirn direkt zu stimulieren, alle Sinne des Spielers mit dem Spiel zu verbinden, ist der logische nächste Schritt.
Fachleute gehen davon aus, dass es noch zehn bis zwanzig Jahre dauern wird, bis es so weit ist, Dr. Jensen und ich wissen es besser.
Jetzt wissen wir es besser. Doch als er mir das Angebot unterbreitet hat, hat er mich sehr deutlich auf die Gefahren hingewiesen.
Auf der anderen Seite habe ich auch nichts mehr zu verlieren gehabt. Zu diesem Zeitpunkt haben mir die Ärzte nur noch drei bis vier Monate gegeben.
Dr. Jensen hat sich meinen Respekt vor allem dadurch verdient, dass er geradezu brutal offen gewesen ist. Meine Chance, das Experiment zu überleben, hat er auf unter dreißig Prozent angesetzt.
Eine Chance von dreißig Prozent auf ein positives Ergebnis versus die hundertprozentige Gewissheit, die nächsten Monate nicht zu überleben?
Ich habe nicht lange gezögert.
»Wie viele?«, frage ich ihn jetzt, ohne ihn anzusehen.
Er schaut mich fragend an.
»Wie viele Fehlschläge gab es?« Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihm diese Frage gestellt habe. Bisher hat er sie mir nicht beantwortet. Doch er hat versprochen, meine Fragen zu beantworten, wenn das Experiment erfolgreich ist.
Sein Lächeln schwindet. Einen Moment scheint er zu zögern, dann seufzt er. »Weniger, als du vielleicht vermutet hast.«
»Wie viele?«
»Fünfzehn.«
Er hat recht. Ich habe eine höhere Zahl befürchtet.
Dennoch.
Fünfzehn.
»Was geschah mit ihnen?«
Wieder zögert er, um sich dann einen Ruck zu geben. »Zwölf starben während der Operation. Drei kamen mit dem Interface nicht zurecht.« Er sieht meinen fragenden Blick. »Einer verlor seine intellektuelle Kapazität, ein anderer wurde wahnsinnig und der letzte unserer Probanden fiel in ein Koma, aus dem er bis jetzt noch nicht wieder erwacht ist. Doch jeder von ihnen brachte uns einen großen Schritt weiter. Ihr Opfer ist nicht vergebens gewesen.«
Fünfzehn Menschen, die sich in der gleichen oder ähnlichen Situation befunden haben wie ich und die gleiche Entscheidung getroffen haben. Die wie ich auf eine Karte gesetzt − und dabei verloren haben.
Ich weiß, warum sie es getan haben.
Es geht nicht nur um Heilungsaussichten für Querschnittsgelähmte. Oder um die Spieleindustrie.
Ein funktionierendes Neuronales Interface wird die Welt verändern. Dinge möglich machen, von denen man bislang nur hat träumen können. Gedankengesteuerte Maschinen. Oder Kampfhelikopter. Die Verschmelzung von Mensch und Maschine. Etwas in der Art. Ein großer Schritt für die Menschheit.
Etwas, für das es sich lohnt zu sterben.
Nicht ganz meine Meinung, ich bin eher der Ansicht, dass es etwas ist, für das es sich lohnt zu leben.
Ein großer Schritt für die Menschheit. Und hehre Worte. Sie verlieren etwas die Bedeutung, wenn es dein eigener Arsch ist, der auf dem Spiel steht.
Ob es ihnen geholfen hat, dass sie für ein großes Ziel gestorben sind? Ich habe da meine Zweifel, aber das bin nur ich, ich tue schließlich nur so, als wäre ich patriotisch.
Dennoch.
Fünfzehn.
Und es ist keineswegs gesagt, ob ich nicht doch noch zu ihnen zählen werde, denn der entscheidende Test steht noch aus.
Der Langzeittest.
Mir ist im Moment viel zu deutlich bewusst, welche Risiken noch immer bestehen.
»Und jetzt?«, frage ich ihn.
Dr. Jensen weist in Richtung des Bachlaufes, der sich links von mir durch eine kleine Schneise zwischen den Bäumen hindurchschlängelt. »Wenn du die Lichtung verlässt, kommst du in die Charakterauswahl. Danach wird dich das Spiel dorthin bringen, wo es für dich am sinnvollsten ist. Ab dann steht dir Vorena offen wie jedem anderen Spieler.« Er lächelt verschmitzt. »Nicht ganz wie jedem anderen Spieler, Alexandra. Wir haben uns entschlossen, für dich einige Charakter-Klassen freizuschalten, die noch nicht für jeden zugänglich sind.«
Muss unwillkürlich lachen. »Also darf ich auch noch Betatester für euch spielen?«
»Nun«, sagt er mit einem feinen Lächeln. »Warum nicht den meisten Nutzen aus unserem kleinen Experiment ziehen? Doch du musst keine der neuen Klassen nehmen, wenn du nicht willst. Es wäre nur … nett.«
Nicke. Er hat recht. Warum nicht? Ich habe nur eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele Millionen Euro VRI in die Entwicklung des Neuralen Interfaces gesteckt hat, warum also nicht die Investition, also mich, für einen Betatest benutzen?
»Mach dir keine Sorgen, Alexandra«, fügt er rasch hinzu. »Der einzige Unterschied zwischen dir und einem anderen Spieler ist das Interface. Die Spielumgebung selbst ist bereits millionenfach getestet. Du besitzt zudem noch einen anderen Vorteil.«
»Welcher wäre das?«
Er lacht. »Kein Lag. Du bist über eine Glasfaserstrecke von weniger als fünfhundert Metern direkt mit unserem Hauptserver verbunden.«
Kein Lag. Das ist wenigstens etwas.
Schaue zu der kleinen Schneise hin, hinter der die Spielwelt auf mich wartet. »Sie halten ein Auge auf mich?«, frage ich Dr. Jensen.
Er nickt und zeigt strahlend weiße Zähne. »Davon kannst du getrost ausgehen.« Etwa zwei Dutzend ausgewiesene Fachleute, vermute ich, er hat ein ganzes Team darauf angesetzt, auszuwerten, wie ich mit der Virtuellen Realität interagiere. Die meisten werden Datenströme auswerten, doch ich werde keinen Schritt unbeobachtet tun können. Es ist ein Teil des Deals, den ich mit Dr. Jensen gemacht habe.
Wie jede andere in meinem Alter auch, habe ich Computerspiele gespielt. Doch wenn ein Arbeitsalltag daraus besteht, feindlichen Leuchtspurgeschossen auszuweichen und Spezialkommandos in einem heißen Landegebiet abzusetzen oder auch nur in stockdunkler Nacht im Tiefflug mit einem UH-60 ein Bachbett entlangzufliegen, lässt es mich etwas unbeeindruckt von Computerspielen.
Bei dem Leben, das ich geführt habe, wer braucht da noch eine Simulation? Zumal das Militär sein Personal in Simulatoren ausbildet, von denen ein Computerspieler nur träumen kann.
Dachte ich zumindest.
Doch in den letzten Jahren, in denen ein Computer so ziemlich das Einzige war, das ich noch bedienen konnte, hat sich das für mich geändert. Jetzt, nachdem mir Dr. Jensen dieses Angebot gemacht hat, hatte ich mehr als einen Grund, mich umfassend über VRI und ihr neuestes VRMMORPG zu informieren.
Es gibt das Spiel in zwei Varianten. Die eine Variante erlaubt es, das Spiel mit einem PC und VR-Brillen und Anzügen zu spielen. Die zweite Variante ist denen vorbehalten, die sich eine Immersionskapsel leisten können.
Eine VI-Kapsel kostet so viel wie ein Mittelklassewagen, erlaubt dem Spieler aber auch, seine Umgebung als Realität wahrzunehmen und je nach Ausstattung bis zu mehreren Tagen in der Spielwelt zu verbleiben.
VRI hat vor allem in den Ballungszentren Kapselhotels eingerichtet, und obwohl die Miete für diese Kapseln fast tausend Dollar die Woche beträgt, kommt VRI kaum mit der Nachfrage mit. Ich weiß von Dr. Jensen, dass jetzt schon über eine halbe Million Spieler ein Konto angemeldet hatten, obwohl das Spiel erst in vierundzwanzig Stunden online gehen wird.
So wie ich das verstehe, hat VRI mir die Gelegenheit gegeben, das Spiel vierundzwanzig Stunden vor allen anderen zu erleben. Dr. Jensen hatte eher nebenbei erwähnt, dass es Spieler gibt, die exorbitant hohe Beträge dafür geboten haben, ihre Betatest-Charaktere zu behalten oder früher in das Spiel gelassen zu werden. Jeder anständige Rollenspieler hätte sich nach der Chance, die sich mir hier bot, die Finger geleckt.
Nur dass ich kein anständiger Rollenspieler war.
Das einzige Interesse, das ich an dem Ganzen habe, ist, dass das Neurale Interface es mir erlaubt, mich so lange bewegungslos in Stasis zu halten, bis sich meine Nerven regeneriert haben.
Mein behandelnder Arzt, Lieutenant Commander Tonja Zukow, nicht Dr. Jensen, der nur die Interessen von VRI vertritt, hat mir erklärt, dass es für meine Heilung wesentlich ist, mich so aktiv wie möglich zu verhalten, da es dadurch einfacher ist, meine Nervenbahnen zu kartografieren und die richtigen Verbindungen herzustellen.
Aus dem gleichen Grund kommen für mich Charaktere, die zu weit von meiner realen Körperform abweichen, nicht infrage.
Dennoch scheue ich mich vor dem nächsten Schritt und beschäftige mich erst einmal damit, die Unterschiede zwischen meiner virtuellen Umgebung und der echten Realität herauszufinden.
Es gelingt mir nicht. Sowohl Dr. Zukow als auch Dr. Jensen haben mir den Mechanismus erklärt, der dahintersteckt.
Wir Menschen nehmen unsere Umwelt nicht halb so präzise wahr, wie man glauben mag. Unser Gehirn interpoliert, interpretiert oder, wenn nichts anderes mehr hilft, vermutet und rät, was das, was wir wahrnehmen, wohl sein kann. Gibt man einem Gehirn nur genügend Daten, übernimmt es die Aufgabe selbst, die Wahrnehmung seiner Umwelt zu gestalten.
Also fühlen sich die Grashalme wie Grashalme an, surren die Insekten, wie ich es kenne, und fühle ich die Wärme der Sonne auf meiner Haut, weil mein Gehirn einfach daran glaubt, dass es so ist.
Was nichts daran ändert, dass eine ganze Batterie von Supercomputern dafür notwendig ist, die ganzen Daten zu verwalten. Jeder einzelne Grashalm, auch der, den ich eben ausgerissen habe und auf dem ich jetzt herumkaue, wird von den Spielservern berechnet, eine Rechenleistung, die noch vor zehn Jahren das Volumen von ganz New York eingenommen hätte.
Beim Durchwühlen mehrerer Foren bin ich über einen immer wieder vorkommenden Begriff gestolpert.
Noob.
Jemand, der zum ersten Mal ein solches Spiel spielt und nicht die geringste Ahnung besitzt.
Also jemand wie ich.
Dr. Jensen hat versucht, mich dahingehend zu beruhigen, indem er mir erklärte, dass Vorena einen anderen als den üblichen Weg einschlagen wird.
Ältere Spielmechaniken wären notwendig gewesen, um eine Umgebung zu simulieren, ein Interface zwischen dem Spieler und der Welt zu schaffen, in dem sich sein Avatar befand.
Vieles davon ist nicht notwendig, wenn man in dem Spiel leben kann.
Dennoch habe ich genügend Horrorgeschichten von Spielern gelesen und gehört, die ihren Charakter so falsch geskillt haben, dass es fast unmöglich war, sie erfolgreich zu spielen.
Der einfachste Weg, das Problem zu lösen, ist dann, sich einen neuen Charakter zu erschaffen und neu anzufangen.
Für Vorena gilt dies nicht.
Ein Spieler, ein Charakter. Und auch wenn Dr. Jensen und VRI mir entgegengekommen sind, hat mir Dr. Jensen deutlich klargemacht, dass auch ich mich an die Spielmechaniken halten musste.
Die Sonne scheint weiter, die Insekten fliegen herum, der Bach plätschert … und irgendwann muss auch ich einsehen, dass ich hier nicht ewig bleiben kann.
Man hat mich gut darauf vorbereitet, wie das Interface für mich funktionieren soll, doch dies ist nicht mehr die Theorie, sondern die Praxis.
Also gut.
Einfach konzentriert denken.
Charaktererschaffung.
Zu meiner Überraschung funktioniert dies tatsächlich.
Ein Ebenbild meiner selbst erscheint schwebend vor mir auf dem Gras, während die gleiche rauchige Stimme, die mich vorhin in Vorena willkommen geheißen hat, mich jetzt wieder begrüßt.
Nur diesmal ist es nicht nur eine Stimme, neben mir steht jetzt eine Frau, etwa in meinem Alter, mit ebenmäßigen Gesichtszügen, langen goldenen, in einem Zopf zusammengebundenen Haaren, die eine Art Toga und gewickelte Sandalen trägt.
»Ich bin Diana«, sagt sie freundlich. »Und ich bin hier, um dir bei der Auswahl deines Charakters zu helfen.«
Und das ist auch bitter nötig, denn mein Ebenbild, das mir Diana so stolz präsentiert, ist die gleiche ausgemergelte Gestalt, die in diesem Tank schwebt.
Mein Gott, denke ich erschrocken, ich sehe aus wie ein lebender Kadaver.
Oder eher vielleicht doch wie eine Tote. Ich bin etwas über 173 Zentimeter groß, und vor meinem Unfall habe ich durchtrainierte 67 Kilo gewogen.
Kurz vor der Operation bin ich nur noch 38 Kilo schwer gewesen, und so sehe ich, nein, mein Ebenbild, jetzt auch aus.
Man vermeidet es, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die man nicht wissen will, doch jetzt, hier, werde ich erneut damit konfrontiert, dass ich genau das bin, was sich mir hier zeigt: eine lebende Tote, die nur noch wenige Monate, vielleicht auch nur Wochen, hätte überleben können.
»Warum«, sage ich und schlucke, weil sich meine Stimme so belegt anhört, »wurde dieser Körper gewählt?«
»Dieser Körper wurde aufgrund der letzten Daten, die mir zur Verfügung stehen, rekonstruiert«, teilt mir Diana mit einem strahlenden Lächeln mit. »Ich kann dir versichern, dass er eine naturgetreue Abbildung darstellt. Selbstverständlich kannst du im Rahmen der Charaktererschaffung das Aussehen deines Körpers in bestimmten Parametern verändern.« Sie schaut mich ernsthaft an. »Wir raten unseren Spielern dazu, sich nicht zu weit von ihrer wahren Körperform zu entfernen.«
Was mir nur beweist, dass selbst hoch entwickelte KIs noch deutliche Defizite besitzen.
Dass Dr. Zukow mir genau das Gegenteil geraten hat, ist irrelevant. Bei dem Gedanken, gezwungen zu sein, diesen Körper zu verwenden, steigt eine Panik in mir auf, die ich nur mühsam bekämpfen kann. Ich zwinge mich dazu, ruhig zu bleiben, und weise auf meinen jetzigen Körper hin, von dem ich weiß, dass er anhand von Fotografien vor meinem Unfall erstellt worden ist.
»Was ist falsch an dem Körper, den ich jetzt innehabe?«
Diana schaut mich an und lächelt wieder. »Nichts. Doch nach meinen Informationen stellt er einen veralteten Datensatz dar, und es ist üblich, mit den neuesten Informationen zu arbeiten.«
»Ist es möglich, diesen alten Datensatz als Grundlage für meinen Körper zu verwenden?«
»Selbstverständlich«, sagt Diana, und anstelle des ausgemergelten Kadavers schwebt nun eine Alexandra McInnes vor mir, wie ich sie kenne.
Oder gekannt habe.
Die Erleichterung ist so groß, dass mir fast schwindelig wird. Erst jetzt kommt mir der Gedanke, dass es für die Panik keinen Grund gegeben hat. Weder Dr. Zukow noch Dr. Jensen hätten zugelassen, dass mir so etwas geschieht, es hätte allem, was wir vorhaben, widersprochen.
Diana wartet geduldig, bis ich mich wieder gefasst habe. Das ist ein Vorteil von KIs. Keine Ungeduld.
Lasse mir Zeit, mich selbst zu mustern. Mein altes Ich. Das, was ich wiederhaben will.
Ich bin nie eine besondere Schönheit gewesen, doch das beständige Training hat mir die Figur einer Athletin gegeben, von der ich weiß, dass sie die Blicke der Männer auf sich gezogen hat.
Manche Frauen sind von Natur aus schön, doch ich gehöre nicht zu ihnen, für meine Figur habe ich reichlich schwitzen und kämpfen müssen.
Selbst wenn sich das Experiment als erfolgreich erweist und ich geheilt werden kann, weiß ich auch, dass es Hunderte von Stunden harter Arbeit benötigen wird, wieder dorthin zu kommen.
Bis dahin nehme ich es als Anreiz. Als Ziel. Als eine Herausforderung.
Also dann, der nächste Schritt.
Charakterauswahl.
Vorena ist eine Fantasy-Welt. Als solche wird sie von den üblichen Verdächtigen bevölkert. Es gibt die Klassiker, Orks, Elfen und Zwerge, dazu noch eine Reihe anderer Rassen, von Katzenwesen und Minotauren über Dryaden und Feenwesen bis hin zu Sauriern.
Zudem noch Hunderte anderer Rassen, von denen die meisten jedoch nicht für Spieler auswählbar sind.
»Nach meinen Informationen ist die Rassenauswahl für dich auf Halb-Orks, Menschen, Elfen, Halb-Elfen und Kathili beschränkt«, teilt mir Diana überrascht wirkend mit. »Ich habe bisher noch nicht eine so beschränkte Auswahl gesehen, doch es braucht einen Spielleiter der Stufe 5, um die Beschränkung aufzuheben. Wenn du möchtest, kann ich einen Spielleiter kontaktieren, um das Problem zu lösen, doch es kann eine Weile dauern, da keiner der zurzeit anwesenden Spielleiter eine höhere Stufe als 3 besitzt.«
»Das ist nicht nötig«, teile ich Diana mit. Dr. Jensen hat es mir erklärt, und vermutlich war er der Spielleiter, der dies so eingerichtet hat.
»Gut«, nickt sie. Sie tut eine Geste, und die schwebende Figur vor mir teilt sich in fünf weitere auf, die jetzt in einem Halbkreis vor mir schweben. Ganz links steht eine Halb-Orkin … nennt man das so? Einen Kopf größer als mein reales Ich, deutlich breiter und wuchtiger, gebaut wie eine Bodybuilderin, grünhäutig und mit zwei mächtigen Hauern versehen, die aus dem kantigen Unterkiefer herausragen.
Ein Blick auf sie teilt mir mit, dass sie im Vergleich zu einem Menschen über mehr Stärke und Ausdauer verfügt, dafür ein Minus bei Charisma, Intelligenz und Willenskraft zu verzeichnen ist.
Eine Halb-Orkin? So ganz und gar nicht ich.
Ohne dass ich bewusst wahrnehme, wie ich es tue, entferne ich sie direkt aus der Charaktererschaffung, und die anderen Figuren rutschen näher zusammen.
Die Figur, die jetzt vor mir schwebt, ist eine menschliche Frau, mein eigenes Ebenbild. Sie besitzt, wie für Menschen in solchen Spielen üblich, keine besonderen Boni oder Mali.
Ich mustere die Elfe rechts davon. Es ist etwas irritierend, mich in ihr wiederzuerkennen, denn zugleich erinnert sie mich irgendwie auch an einen Windhund.
Fein gezeichnete Gesichtszüge, schräge Katzenaugen, schlank und zäh wirkend. Bonus auf Intelligenz, Geschicklichkeit und Charisma, Malus auf Stärke und Konstitution. Gut geeignet, wenn man einen Magier spielen will … was mich durchaus reizt. Aber ich kann mich irgendwie nicht mit der Elfe anfreunden.
Noch während ich das denke, verschwindet auch sie aus der Auswahl. Die Halb-Elfe entspricht schon eher dem, was ich mir vorstelle.
Schlanker als ich, nur etwas größer als mein Originalkörper. Boni und Mali wie eine Elfe, nur im geringeren Maße. Vielleicht, doch … ich schüttele den Kopf, sie verschwindet, und die Kathili schwebt nun vor mir. Ein Katzenwesen, das graziös und elegant vor mir steht, etwas schlanker als ich selbst, mit einem graubraungoldenen kurzen Fell, weiten wachen Augen und einer Katzennase. Ein- und ausfahrbare Krallen anstelle von Fingernägeln. Ein hoher Bonus auf Geschicklichkeit, ein Malus auf Weisheit und Stärke.
Sie sieht süß aus.
Süß sein ist nichts für mich.
Habe keine Übung darin.
Ich weiß, dass diese Katzenwesen eine große Fangemeinschaft besitzen, doch irgendwie sehe ich mich nicht in ihr, und schon verschwindet auch sie aus der Auswahl. Was die Menschenfrau und … eine weitere Figur übrig lässt.
»Was ist das für eine Rasse?«, frage ich Diana, die diese letzte Figur erst jetzt wahrzunehmen scheint und erstaunt blinzelt.
»Einen Moment bitte, ich kenne diese Rasse nicht und ich … oh«, sagt sie und lächelt. »Das ist ein Uralter. Ein NSC. Ich sehe gerade, dass dir diese Rasse freigeschaltet wurde, da sie sich innerhalb der für dich geltenden Parameter befindet und ein Ausgleich dafür bieten soll, dass deine Rassenauswahl so beschränkt ist.«
Mustere die Figur, die so stolz vor mir schwebt. Der wesentliche Unterschied zwischen ihr und meinem menschlichen Ebenbild besteht darin, dass ihre Hautfarbe deutlich heller, fast schon bleich ist und sie weiße Haare besitzt. Sie kommt mir vielleicht auch etwas schlanker, dafür aber auch drahtiger vor. Die Boni und Mali sind interessant. Sie besitzt einen Bonus auf Intelligenz, Geschicklichkeit und Konstitution und einen Malus auf Stärke. Anders als bei den anderen Rassen gleichen sich Boni und Mali nicht aus, die Boni überwiegen.
»Was ist ein Uralter?«, frage ich, während ich mir den Uralten noch genauer betrachte. Während die anderen Figuren einfache Kleidung getragen haben, steht diese Figur in einem langen dunklen Kettenmantel vor mir, trägt einen Umhang mit einer Haube und neben einem schlanken Schwert, an einer Kette hängend, einen farblosen faustgroßen Kristall in einer goldenen Fassung an ihrem Gürtel.
Ihre Gesichtszüge sind etwas feiner gezeichnet als meine eigenen, und sie steht, anders als mein menschliches Ebenbild, irgendwie stolz und erhaben. Ihre Augen sind, anders als meine eigenen, von einem strahlenden Grün, und das lange weiße Haar scheint sich von alleine zu bewegen, als wäre sie unter Wasser einer Strömung ausgesetzt.
Vor allem das Gesicht fasziniert mich. Die Änderungen sind nur gering, eigentlich sind es nur Nuancen, doch diese feinen Unterschiede machen aus meinem Allerweltsgesicht etwas vollständig anderes.
Dieses Gesicht zieht einen in den Bann, ich kann selbst kaum wegschauen. Mein Gott, denke ich ergriffen und vergesse für den Moment, dass dies mein Avatar in diesem Spiel sein soll. Sie ist nicht … direkt schön, das war es nicht. Beeindruckend? Charakterstark? Einnehmend? Weiß selbst nicht, wie ich es nennen soll, dieses Gesicht besitzt einfach etwas Besonderes.
Etwas, das ich haben will.
»Die Uralten sind eine mythologische Rasse, die in ferner Vergangenheit den Kontinent Vorena besiedelt hat. Ihre geheimnisvollen Hinterlassenschaften, Ruinen und Gräber geben nur einen bruchteilhaften Hinweis auf die erhabene Größe ihrer Kultur und Zivilisation und sind Ausgangspunkt für unzählige Questen, die Licht in das Dunkel um den Untergang ihrer Zivilisation bringen sollen.«
Diana hört sich an, als ob sie etwas vorliest, und als ich zu ihr hinschaue, sehe ich tatsächlich ein dünnes Pamphlet in ihrer Hand.
Schaue sie fragend an. »Und weiter?«
»Nichts weiter.« Sie hält das Pamphlet hoch, das sich jetzt gerade vor meinen Augen in nichts auflöst. »Das ist alles, was ich an Informationen habe.«
Sie tritt nun selbst näher an die schwebende Figur heran, um sie neugierig zu mustern. Ich weiß, dass die Ausarbeitung der NSC in Vorena Online erstklassig ist, und wenn sie mir vorhin nicht meinen ausgemergelten Körper angeboten hätte, wäre ich versucht gewesen, zu glauben, dass Diana von einem Menschen gesteuert wird. Jedenfalls scheint sie jetzt selbst neugierig und vielleicht auch etwas erstaunt zu sein.
»Ich kann dir allerdings sagen, dass bei dieser Rasse die Anpassungsoptionen sehr eingeschränkt sind. Du wirst ihr Aussehen nur minimal verändern können, Haar-, Augen- und Hautfarbe sind fest voreingestellt, zudem gibt es nur zwei Starter-Klassen.« Sie runzelt die Stirn. »Was ungewöhnlich ist. Wären diese beiden Klassen nicht so detailliert ausgearbeitet, hätte ich vermutet, dass diese Rasse noch unfertig ist.«
»Welche Klassen sind das?«, frage ich sie.
Mit Dianas Geste tritt der menschliche Charakter zurück, und die Figur vor mir spaltet sich in die schon bekannte und eine weitere Figur, die eine lange dunkle Robe und einen Stab trägt.
»Spellwarden und … Reaver«, teilt mir Diana mit und runzelt die Stirn erneut. Sie weist mit ihrem Blick auf die Spellwarden. »Über sie weiß ich nicht mehr, als du hier selbst lesen kannst, doch ich habe eben erfahren, dass die Reaver-Klasse in mehreren High Level Dungeons als Endboss zum Einsatz kommen wird. Beide Klassen besitzen eine Elite-Fertigkeit. Spellwarden besitzen die Fertigkeit, magische Energien aus äußeren Quellen aufzunehmen, zu analysieren, zu speichern und für eigene Magie zu verwenden. Reaver besitzen die Fertigkeit, Lebensenergie äußeren Quellen zu entreißen und für die Heilung von Wunden und für die Steigerung ihrer eigenen Lebensenergien zu verwenden.« Sie wirft der Reaver-Figur einen fast schon verärgert wirkenden Blick zu. »Eine Art Vampir. Meinen Informationen nach sind alle im Spiel befindlichen Reaver als Monster klassifiziert.«
»Was ist mit den Spellwarden?«
»Zum aktuellen Stand gibt es keinen einzigen Spellwarden im Spiel. Es gibt mehrere geschichtliche Hinweise auf diese Klasse … In Spiel-Legenden. Mehr nicht. Demnach sind Spellwarden eine Helden-Klasse, auch wenn sie viele Eigenschaften mit den Reavern teilen.«
Eine Heldin und ein Ungeheuer.
Fasziniert stelle ich fest, dass ich fühle, wie sich mein Puls beschleunigt, als ob ich mich auf einen Tiefflug in feindlichem Gelände vorbereiten würde. Sogar meine Handflächen werden feucht. Einer meiner Ausbilder hat mir vorgeworfen, dass dies mir immer dann geschieht, wenn ich etwas Verrücktes tun will.
»Handelt es sich um einen Fehler?«, frage ich Diana und hoffe auf die richtige Antwort.
»Nein«, sagt sie und schüttelt den Kopf. »Diese Rasse wurde explizit für dich freigeschaltet, ein Systemfehler ist ausgeschlossen. Wenn, dann wurde er von dem Spielleiter begangen, der diese Rasse für dich freigeschaltet hat.«
»Ein Spielleiter der Stufe 5?«
»Ja«, nickt sie.
»Gibt es höhere Stufen?«
»Nein«, teilt Diana mir mit. »Die höchste Stufe, die ein Spielleiter erreichen kann, ist 3. Die Stufe 4 ist Designern und Programmierern vorbehalten, die Stufe 5 der Exekutive von VRI.«
»Wie viele Spielleiter der Stufe 5 gibt es?«
»Einen.«
»Dr. Jensen?«, frage ich Diana, und sie schaut mich tadelnd an.
»Es ist ein Grundsatz von VRI, die Identität unserer Spielleiter den Spielern gegenüber nicht preiszugeben.«
Winke ab, es ist nicht wichtig.
Wichtig ist, dass es kein Fehler ist, und Dr. Jensen war mir schon immer wie jemand vorgekommen, der genau weiß, was er tut. Für mich besteht kein Zweifel, dass diese Spellwarden die Klasse ist, von der er hofft, dass ich sie betatesten werde.
Also schaue ich sie mir genauer an.
Im eigentlichen Sinne gibt es keine Klassen in Vorena Online. Wenn man will, kann man einen schwerbewaffneten Magier spielen, der mit einer Zweihandaxt in den Kampf zieht.
Doch was es an Klassen gibt, bevorzugt eine bestimmte Entwicklungsrichtung, indem sie verschiedene Eigenschaften zur Verfügung stellt. Diese sind klassen- und rassengebunden und unterscheiden sich somit von den Fertigkeiten, die jeder Spieler lernen kann.
Eine Krieger-Klasse, zum Beispiel, besitzt als Eigenschaften eine höhere Lebensregeneration und Zähigkeit und erlaubt es, bestimmte Fertigkeiten, wie den Kampf mit einem Zweihänder, leichter und schneller zu erlernen.
Es ist noch immer möglich, einen gepanzerten Magier zu spielen, doch er wird es sehr viel schwerer haben, einer reinen Kämpfer-Klasse gleichzukommen.
Auch Eigenschaften können im Spiel erworben werden, doch nur unter speziellen Voraussetzungen, im Rahmen von Questen, Ereignissen und besonderen Umständen. Man kann sie nicht lernen, man erhält sie als Belohnung.
Zunächst schaue ich mir die Rasse-Fertigkeiten an.
Uralte
Unsterblich / Ungebunden
Es ist nicht möglich, Uralte an einen Seelenstein zu binden.
Uralte werden im Todesfall nicht an dem nächstgelegenen Seelenstein zum Leben erweckt, sondern an dem Ort ihres Todes.
Bis zu diesem Zeitpunkt verbleibt das Bewusstsein des Spielers an dem Ort seines Todes. In höheren Stufen kann der Spieler auf den Ort seiner Wiedergeburt Einfluss nehmen.
Magiesicht (Rasse)
Uralte sind imstande, die in allen Dingen inhärenten magischen Energien wahrzunehmen.
Siehe Magiesicht (Magier (Fertigkeit))
Grace (Rasse)
Abhängig vom Charisma-Wert des Charakters erscheinen alle Handlungen des Charakters graziös und elegant, für je vier Punkte Charisma erhält der Charakter einen Punkt Geschicklichkeit.
Siehe Grace (Kathili (Rasse)), Grace (Bard (Fertigkeit)).
Familiar (Rasse)
Uralten fällt es leichter, einen Familiar zu finden und diesen besonders eng an sich zu binden. Dies gilt ebenfalls für beschworene Wesen.
Siehe Familiar (Magier (Fertigkeit)),
Begleiter (Kathili (Rasse))
Adaptiv (Einzigartig (Rasse))
Uralten ist es möglich, aktive und passive Skills und gewirkte Zauber durch genaue Beobachtung zu erkennen, zu verstehen, zu erlernen und für eigene Bedürfnisse umzuwandeln.
Sehe fragend zu Diana hin. »Diese Ungebunden-Eigenschaft, sprengt sie nicht die Spielmechanik?«
Diana zuckt in einer überzeugend menschlichen Geste mit den Schultern. »Es kann sowohl ein Vorteil als auch ein Nachteil sein. Die Zeitspanne zwischen dem Tod und der Wiederbelebung unterscheidet sich nicht von der der anderen Spieler.«
Okay. Ich kann mir die Vor- und Nachteile dieser Eigenschaften leicht vorstellen. Sollte man an einer Stelle sterben, an der sich zum Zeitpunkt des Wiedererweckens immer noch der Feind befindet, kann es schnell hässlich werden.
»Und Adaptiv? Diese einzigartige Fertigkeit?«
»Es gibt eine Fertigkeit, die ganz ähnlich funktioniert«, erklärt Diana. »Diese Fertigkeit kann von anderen Spielern bei der Charaktererschaffung gewählt werden. Bei Uralten sind die meisten Fertigkeiten bereits vordefiniert.«
Ich nicke und wende mich den Klassen-Fertigkeiten zu.
Spellwarden
Mit wenigen Ausnahmen entspricht ein Spellwarden der Klasse der Kampfzauberer.
Manameisterschaft (Uralter (Einzigartig (Spellwarden-Klasse)))
Spellwarden sind imstande, Mana aus äußeren Quellen aufzunehmen, zu analysieren, zu speichern und zu verwenden.
Nicht kompatibel mit Lebensmeisterschaft (Uralter (Einzigartig (Reaver-Klasse))).
Spellmatrix (Klasse)
Spellwarden verfügen anstelle eines Zauberbuchs über eine Spellmatrix, die sowohl Zaubersprüche enthält als auch magische Energie (Mana) speichern kann. Wie andere klassenspezifische Gegenstände auch (siehe Magier (Zauberbuch), Bard (Instrument)), ist eine Spellmatrix seelengebunden und kann weder geraubt, gestohlen oder beschädigt werden.
Nemesis (Reaver)
Spellwarden sehen Reaver (Uralte (Klasse)) als die Ursache für den Untergang von Karthea und der Entstehung der Voidwastes (Region / Gebiet). Ein Spellwarden ist durch einen göttlichen Schwur verpflichtet, nicht eher Ruhe zu geben, bis auch der letzte Reaver von der Oberfläche Vorenas getilgt wird. Die Feindschaft beruht auf Gegenseitigkeit.
Arkaner Schutz (Klasse)
Ein Spellwarden besitzt die Fertigkeit, Schutzzauber zu sprechen und in Gegenstände zu bannen. Siehe Arkaner Schutz (Magier (Verzauberer (Fertigkeit))).
Portal (Klasse)
Ein Spellwarden besitzt die Fertigkeit, einmal am Tag je fünf Stufen ein magisches Portal zu einem ihm bekannten Ort zu errichten.
Das Portal wird Anzahl Stufen x 2 Minuten bestehen, kann jedoch auf Wunsch des Spellwarden früher geschlossen werden.
In höheren Stufen erhält der Spellwarden zunehmende Kontrolle über die Größe und erlaubte Benutzer des Portals. Siehe Portal (Magier (Beschwörer (Fertigkeit))).
Manainfusion (Klasse)
Einmal je Stufe und Tag ist der Spellwarden imstande, die Stufe eines Zauberspruchs zu erhöhen, in dem die für die höhere Stufe eines Zaubers angesetzten Manakosten verdoppelt werden.
Siehe Manainfusion (Magier (Beschwörer (Fertigkeit))).
Der Rest der Fertigkeiten entspricht, wie angekündigt, denen eines Kampfmagiers. Der Spellwarden kann mittlere Rüstung tragen und Einhandwaffen verwenden. Die Startfertigkeiten beinhalten Lesen / Schreiben, Benutzung von Spruchrollen, Übertragung von Spruchrollen in ein Zauberbuch (oder in diesem Fall eine Spellmatrix) sowie die üblichen Überlebensfertigkeiten.
Zumindest am Anfang besitzt der Spellwarden, wie der Kampfmagier auch, weder in den Kampffertigkeiten oder den Magiefertigkeiten eine Spezialisierung. Diese können im Spielverlauf erworben werden, auch wenn es ihnen nicht so leichtfällt wie einem reinen Magier oder Kämpfer.
»Diese Klasse kommt mir trotz allem etwas übermächtig vor«, stelle ich fest. Nicht, dass ich etwas dagegen habe, doch ich will auch nicht, dass ich dadurch Schwierigkeiten im Spiel bekomme.
Diana mustert die Figur der Spellwarden nachdenklich und schüttelt dann den Kopf. »Die Anzahl der Fertigkeiten und der Eigenschaften entspricht der anderer Charakter-Klassen«, teilt sie mir dann mit. »So ungewöhnlich ist diese Klasse nicht. Diese Klasse vereint nur Eigenschaften und Fertigkeiten aus unterschiedlichen Klassen und Rassen in sich, und manche Klassen-Fertigkeiten werden hier als Rasse-Fertigkeiten verwendet. Was Ungebunden und Manameisterschaft angeht, jede Rasse besitzt einzigartige Fertigkeiten, die anderen Rassen nicht zugänglich sind. Ob ein Charakter übermächtig ist oder nicht, kommt zum größeren Teil darauf an, wie er gespielt wird.«
Wenn ich ehrlich bin, habe ich meine Entscheidung längst getroffen. Dennoch will ich zuvor etwas ausprobieren. Bei meinem menschlichen Ebenbild kann ich mehr Dinge variieren als bei dem Spellwarden, und dies tue ich jetzt auch. Um wie gehofft festzustellen, dass das äußere Erscheinungsbild eines Spellwardens auch für einen menschlichen Charakter umsetzbar ist.
Weiß nicht, wie unüblich die blasse Haut, die grünen Augen und das weiße Haar sind, doch es ist definitiv möglich, als Mensch einen solchen Charakter zu erstellen.
Beide Figuren sehen nun fast identisch aus. Dennoch, die Spellwarden besitzt etwas Besonderes. Vielleicht ist es einfach nur die Haltung, die der Avatar einnimmt, oder aber die besondere Ausstrahlung, die ich ihr zuschreibe, die wahrscheinlich aber nur in meiner Einbildung existiert.
Was es für mich entscheidet, ist, dass ich die Idee aufregend finde, diese Klasse zu spielen. Gerade weil so wenig Informationen über sie existieren und ich das Gefühl habe, dass es eine Herausforderung sein wird.
Und natürlich, weil sie für absehbare Zeit einmalig sein dürfte. Wer will nicht gerne einmalig oder außergewöhnlich sein?
Der wahre Grund aber ist ein anderer. Obwohl beide Figuren fast identisch sind, finde ich die Spellwarden auf eine schwer zu beschreibende Art … schön.
Ich könnte noch Dinge verändern. Ihr eine schmalere Taille geben, größere Brüste, längere Beine, eine ausladende Hüfte, doch ich finde nicht, dass dies notwendig ist. Sie gefällt mir, wie sie ist, und sie schien mir etwas zu sein, was mir im realen Leben nie so leichtgefallen ist, wie man hätte glauben können. Sexy.
Kurz vor meinem Unfall hat sich mein letzter Freund von mir getrennt. Weil er sich unsterblich in eine andere verliebt hatte. Ich habe ihm die Frage gestellt, die man nicht stellen soll.
Was hat sie, was ich nicht habe?
»Sie hat etwas«, war die Antwort gewesen. »Etwas, das du nicht hast. Sie ist aufregend. Sexy. So ganz anders als du.«
Ich habe Kampfhubschrauber geflogen. Ihr Beruf ist fast schon ein Klischee. Sie war Frisörin.
Er fand sie aufregender als mich.
Wer soll das verstehen?
Habe ihn gefragt, und er hat tatsächlich versucht, mir eine Antwort zu geben. Ich wäre immer so zuverlässig. Wieso waren Eigenschaften, die eigentlich zu Tugenden gehören sollten, plötzlich von Nachteil?
So wäre es nicht, hat er mir versichert.
Seiner Meinung nach wirkte die andere einfach aufregender. Sexy. Eben einfach so ganz anders als ich.
Genau das ist die Spellwarden. Aufregend. Sexy. So ganz anders als ich. Das Beste an ihr? Sie ist keine Frisörin!
Bei dem Gedanken entweicht mir ein belustigtes Schnauben.
Diana schaut mich fragend an.
Ich winke ab. »Es ist nichts.«
Wie soll ich einer KI auch diesen absurden Gedanken erklären?
Sie nickt verständnisvoll. »Hast du deine Wahl getroffen?«
»Ja. Ich nehme die Spellwarden.«
»Bist du sicher?«, fragt sie mich.
Ohne zu zögern, antworte ich mit Ja.
Auch die Frage nach dem Namen ist leicht zu beantworten.
Alexandra Eisrabe.
Wie mein Rufzeichen.
Name
Alexandra Eisrabe
Rasse
Uralte
Klasse
Spellwarden
Stufe
1
Attribute
Boni / Mali
Gesamt
Stärke
10
– 1
9
Geschicklichkeit
10
+ 1
11
Konstitution
10
– 2
8
Intelligenz
10
+ 2
12
Weisheit
10
+ 1
11
Charisma
10
+ 1
11
Lebenspunkte
80
Manareserve
120
Freie Attributs-punkte
5
Fertigkeiten
Fertigkeiten
Stufe
Schwertkampf
einhändig
1
Für den Anfang verteile ich drei Punkte auf Konstitution und zwei auf Stärke, da ich davon ausgehe, dass ich zumindest am Anfang kaum über Zaubersprüche verfügen werde.
Immerhin, eine Fertigkeit, Schwertkampf, besitze ich bereits.
»Kann ich weitere Fertigkeiten erwerben?«, frage ich Diana.
»Im Moment nicht«, erklärt sie mir. »Später im Spiel gibt es vielfältige Möglichkeiten. Du kannst sie von einem Lehrer erlernen, zufällig entdecken, in einem Buch etwas darüber lernen, oder aber«, sie lächelt vielsagend, »das System stellt fest, dass du, der Spieler, die Fertigkeit bereits besitzt und erlaubt dann deinem Charakter, diese leichter zu lernen.«
»Schade«, sage ich und schnaube kurz auf, »dass es im Spiel keine Helikopter gibt.«
»Das nicht«, lächelt sie. »Dafür aber andere Dinge.«
»Zum Beispiel?«
Ihr Lächeln wird breiter. »Drachenfliegen.«
Erst viel später kommt mir in den Sinn, dass sie damit wahrscheinlich nicht die Variante bespannter Aluminiumrahmen meint, sondern eher die andere.
Die, die lebt, gepanzert ist und Feuer speit.
Und Menschen frisst.
Die Punkte sind verteilt, sieht aus, als wäre ich fertig.
Ich sehe Diana fragend an.
»Dann wünsche ich dir viel Glück«, sagt Diana lächelnd. »Vergiss nicht, dass du mich über die Hilfefunktion jederzeit rufen kannst, wenn du etwas erklärt haben willst.«
Bevor ich ihr etwas darauf antworten kann, wird es dunkel um mich, und ich befinde mich plötzlich und unerwartet in einem Zweikampf auf Leben und Tod.
So dunkel, wie es ist, bin ich dennoch nicht blind. Alles um mich herum scheint einen leichten blauen Schimmer zu besitzen, so wie die fluoreszierenden Zeiger einer Uhr.
Ich liege auf dem Boden eines Raums mit gemauerten Steinen, einer hohen, von Kreuzbögen getragenen Decke, ganz ähnlich einer Kirche. Wie in einer Kirche gibt es an dem hinteren Ende einen großen altarähnlichen Stein, und hinter diesem liege ich zusammen mit einer ebenfalls schwach schimmernden Gestalt. Ich finde eine meiner Hände um den Hals dieser Person gekrallt, mit der anderen halte ich ihre Hand auf, die einen Dolch hält, den sie versucht, mir in die Seite zu rammen.
Selbst in der Dunkelheit ist dieser Dolch schwärzer als die Nacht, und ich weiß nicht nur, dass es keine gute Idee sein wird, ihr zu erlauben, mir diesen Dolch in die Seite zu stoßen, ich fühle zudem Angst und Grauen, verbunden mit dem sicheren Bewusstsein, dass diese Klinge für mich mehr als nur den Tod bedeutet!
»Stirb endlich!«, höre ich meine Gegnerin mit meiner eigenen Stimme keuchen. »Erst dann kann ich aus deinem Schatten treten und mich lösen von den Bändern, die mich schwächen! Verflucht, verrecke endlich! Leben ist nur eine Illusion!«
»Hu?«, sage ich dazu. Ich weiß, ich weiß, doch immer, wenn ich überraschend feststelle, dass ich mich in einem Kampf auf Leben und Tod mit mir selbst befinde, werde ich eloquent.
Meine Überraschung gibt ihr die Gelegenheit, ihren Arm aus meinem Griff zu winden, und nur mit Mühe gelingt es mir, ihren nächsten Dolchstoß abzuwehren.
Im nächsten Moment höre ich auf zu denken. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich eine solche oder ähnliche Situation bereits erlebt hatte.
Bestimmt Hunderte Male im Training und zweimal, als es ernst wurde. Werfe mich zur Seite, rolle herum, und während der Dolch hinter mir den Steinboden trifft, springe ich auf. Schneller als sie, schnell genug, um sie mit einem Kick am Kopf zu treffen, als sie sich ebenfalls aufzurichten versucht.
In meiner Einheit ist Nahkampftraining so etwas wie ein Gottesdienst gewesen. Schließlich können Waffen einem abgenommen werden.
Zwei Dinge stelle ich in diesen ersten Sekunden fest. Meine Gegnerin ist unglaublich stark … und vollständig ungeübt im Nahkampf. Dennoch verfügt sie über erstaunliche Nehmerqualitäten, selbst der Kopftreffer hält sie nicht lange auf, und es gelingt ihr, auf die Beine zu kommen.
Allerdings … so, wie sie jetzt dasteht, höre ich plötzlich die Stimme von Sergeant Moore in meinem Kopf. Wenn jemand dämlich genug ist, sich so vor euch zu stellen, sagt höflich Danke und tut Folgendes …
Es funktioniert wie im Lehrbuch. Ich trete ihr seitlich gegen das Knie, fühle, wie das Gelenk unter meinem Fuß nachgibt und sie einknickt, trete einen Schritt vor, ziehe sie herum, breche ihr den Arm, mit dem sie den Dolch hält, und entwaffne sie.
Im nächsten Moment trete ich hinter sie, reiße ihr mit einer Hand ruckartig das Kinn nach oben, sodass ihr Hals überstreckt ist und sie kaum Luft bekommt, und ziehe ihr ihren eigenen Dolch durch die Kehle.
Woraufhin sie einen leisen Seufzer von sich gibt, unter meinen Händen zu Staub zerbröselt und der Dolch in meiner Hand aufglüht, sodass ich ihn fallen lassen muss, bevor er mich verbrennt.
Der Dolch fällt scheppernd auf den Boden, und eine geisterhafte Gestalt erwächst aus ihm, eine Gestalt, die verdammt der ähnelt, die gerade eben erst zu Staub zerfallen ist.
»Du glaubst, du hast gewonnen, Alex?«, fragt sie zischend. »Du wirst nie gewinnen, ich werde immer besser sein als du!«
Eine unheilige Furcht ergreift mich, eine namenlose Angst und Panik, die mich kaum denken lässt, es reicht gerade so noch, dass ich mich daran erinnere, dass der Dolch sich wie Stein angefühlt hat.
Stein bricht.
Hastig beuge ich mich zu dem Dolch hinunter, lehne ihn im schrägen Winkel gegen den Altar und trete zu.
Der Dolch zerbricht wie Glas in tausend kleine Stücke, dann höre ich einen lang gezogenen Schrei, der sowohl Verzweiflung als auch Wut enthält, während sich die schemenhafte Gestalt vor mir wie vor Schmerzen krümmt, dann wie von einem Staubsauger in ein unsichtbares Loch gezogen wird und mit einem leisen »Plopp« verschwindet.
Eine ferne Stimme flüstert: »Es ist noch nicht vorbei …«
Was mich schwer atmend an den Altarstein gelehnt zurücklässt. Ich muss husten. Kein Wunder, denn überall im ganzen Raum befindet sich eine dicke Staubschicht.
Okay.
Schön, dass wir gesprochen haben.
Was zur Hölle …?
Ein schwach glimmender Rahmen erscheint in meinem Sichtfeld, ich schaue hin, und eine Nachricht schwebt plötzlich vor mir.
Die verlorene Schwester
Alexandra Eisrabe, über Jahrhunderte hinweg hielt die verbotene Magie der Reaver dich zusammen mit deiner Todfeindin in einer magischen Stasis gefangen, mit der die Reaver-Priesterin Maguela Eisrabe versuchte, ihr Schicksal doch noch abzuwenden. Als nach Jahrhunderten der Zauber verblasste, gelang es dir, das Urteil des hohen Rates an deiner Schwester zu vollstrecken. In Anerkennung deiner Taten erhältst du die Eigenschaft Unbeirrbar.
Unbeirrbar
Stufe 1: Unbeirrbar erlaubt dir in einem Kampf eine Chance von 5 %, sämtlichen Ablenkungen zu widerstehen, die dich von deinem Ziel abbringen könnten.
Neue Fertigkeit erlernt.
Nahkampf: Stufe 1
Entwaffnen: Stufe 1
Okay. Das ist ganz definitiv anders, als ich es erwartet habe. Vor allem aber ist es mir kaum möglich zu glauben, dass ich mich tatsächlich nur in einem Spiel befinde.
Nun, ich weiß es. Und ich weiß, wo sich mein Körper befindet, doch nichts von dem, was ich gelesen oder gehört habe, hat mich darauf vorbereitet, wie echt sich das alles anfühlt.
Vor allem mein Körper.
Habe mir irgendwo den Ellenbogen angeschlagen, meine Schulter tut weh, und meine linke Hand schmerzt noch immer von den Verbrennungen, die ich mir an dem Dolch meiner Schwester zugezogen habe.
Meine Schwester. Die Reaver. So also hatte sich VRI gedacht, meinen Charakter einzuführen. Über Jahrhunderte in einem endlosen magischen Kampf mit meiner Schwester gefangen.
Arschlöcher.
VRI weiß alles, was es über mich zu wissen gibt. Sie wissen auch, dass ich eine Zwillingsschwester gehabt habe. Manuela. Die nur elf Jahre alt geworden ist, weil ich zu langsam gewesen bin, um sie zu retten.
Maguela Eisrabe. Auf den einen Buchstaben kommt es nun auch nicht an.
Arschlöcher.
Man hat mir gesagt, dass die KI, die das Spiel leitet, dieses an mich anpassen wird. Doch das hier … das ist mir zu persönlich.
Okay. Maguela ist ein Reaver gewesen. Offensichtlich eine von den Bösen. Okay. Doch es ändert nichts daran, dass ich hier im Spiel meine Schwester zum zweiten Mal getötet habe.
Verfluchte Arschlöcher.
Nur mit Mühe reiße ich mich zusammen. Mein Puls rast, ich fühle den Adrenalinschock am ganzen Körper, zittere wie Espenlaub, und der Staub in der Luft lässt mich kaum atmen, ohne dass ich einen heftigen Hustenanfall bekomme. Wäre ich nicht so angepisst, würde es mich vielleicht faszinieren, wie echt sich auch das anfühlt.
Es braucht eine Weile, bis ich mich wieder gefangen habe. Von meiner fast sprichwörtlichen Gelassenheit, die mir meinen Rufnamen eingebracht hat, ist im Moment jedenfalls nicht viel zu bemerken.
Obwohl ich auf seltsame Art sehen kann, weiß ich, dass es hier unten stockdunkel ist. Hier unten sage ich deswegen, weil ich dieses drückende Gefühl verspüre, das ich mit tiefen Kellern, Höhlen oder Bunkern verknüpfe.
Es ist hier absolut still, bis auf das »Plink, Plink« von Wassertropfen, die irgendwo drüben in der Ecke in unregelmäßigen Abständen zu Boden fallen.
Die Art, in der ich sehen kann, ist außergewöhnlich. Jeder einzelne Stein des Mauerwerks, jeder einzelne Gegenstand zeigt sich mir als ein mehr oder weniger schwach glimmender Umriss.
Der Altar, an dem ich lehne, besteht aus einem einzigen massiven Block, und auf ihm kann ich die Umrisse von zwei Kerzenhaltern mit Kerzen erkennen, einer von ihnen steht noch, der andere ist wohl bei dem Kampf mit meiner Schwester umgefallen.
Zwischen den beiden Kerzenhaltern liegt etwas Undeutliches, kaum Wahrnehmbares auf dem Altarstein. Vorsichtig strecke ich die Hand aus … und zucke zurück, als ich brüchige Knochen unter meinen Fingern spüre.
Neben den Kerzen gibt es noch an jeder Wand je zwei Fackelhalter, jedoch sind bis auf zwei Ausnahmen die Fackeln bis auf ihre Stümpfe herab abgebrannt. Nicht, dass mir Fackeln oder Kerzen etwas nutzen, solange ich nichts besitze, womit ich sie anzünden kann.
Ich fluche leise, als mir einfällt, dass mein Charakter ein Inventar besitzen müsste.
Inventar.
Halb durchsichtig erscheint vor meinem inneren Auge ein offener Lederbeutel, der sechzehn Fächer enthält. In einem Fach findet sich eine tote Spinne. Ein Laib Brot. Verrottet. Ein Stück Käse. Verschimmelt und ausgetrocknet.
Das ist alles.
Offenbar starte ich gut ausgestattet in das Spiel.
Eine Anzeige am oberen Rand des Lederbeutels teilt mir mit, dass ich 0 Gold, 3 Silber und 18 Kupferstücke mein Eigen nennen kann.
Inventar
Zustand
Wert
Leinenhemd, -hose, Ledergürtel.
verrottet
0c
Lederstiefel.
verrottet
0c
Stulpenhandschuhe.
verrottet
0c
Kettenmantel.
verrottet
2s 8c
Langschwert, Dolch.
verrostet
5c
Ein Ring und ein Amulett aus Kupfer, ehemals magisch, jetzt grün oxidiert und ohne die geringste Spur von Magie.
oxidiert
0c
Ein Siegelring, Onyx-Stein, gefasst in einem goldenen Ring. Gravur eines Raben.
perfekt
1g 3s 7c
Spellmatrix. Magisch. Manaladung 0 / 200. Gespeicherte Zauber, 3. Unverkäuflich. Seelengebunden.
perfekt
300g
Das Letzte lässt mich halb amüsiert aufschnaufen. Warum etwas einen Wert zuweisen, wenn es unverkäuflich ist?
Aber jetzt, da ich daran erinnert werde …
Zauberspeicher
Mana
0 von 200
Stufe
Manakosten
Zaubertrick Licht
Leuchtfeuer
Brings mir!
0
1
1
1 / Min
10
10 / Kg / Meter
Na also, denke ich. Licht. Eine etwa faustgroße Kugel aus Licht erscheint über meiner Hand, und ohne nachzudenken, schiebe ich sie mit einer Geste rechts über meine Schulter hinter mich, sodass mich der Lichtschein nicht blendet.
Ich schaue nach, mein Mana regeneriert sich mit 11 (– 1) pro Minute, also kann ich die Lichtkugel wohl endlos lange aufrechterhalten. Jetzt, wo mein magisches Licht den Raum erhellt, ist das blaue Schimmern von vorher nur für mich wahrzunehmen, wenn ich mich darauf konzentriere.
Schon vorher habe ich das Gefühl gehabt, mich in einer Kirche oder einem Tempel zu befinden, jetzt verstärkt sich der Eindruck, denn in meinem magischen Licht zeigen sich nun die Überreste von acht einfachen Holzbänken. Am anderen Ende des Raums gibt es eine Tür, die schief und vermodert in verrosteten Angeln hängt. An den Wänden sind an den beiden Längsseiten die Reste von verrotteten Wandteppichen zu sehen, der größte Teil von ihnen liegt in einem grauen lumpigen Haufen auf dem Boden.
Auf dem Boden zwischen den verfallenen Sitzbänken liegen zwei weitere Skelette. Eines trägt einen langen verrosteten Kettenmantel mit einem Riss über dem Bauch, das Skelett liegt gekrümmt auf dem Boden, die knöchernen Hände versuchen immer noch, den eigenen Bauch zu schützen.
Bei dem anderen Skelett muss man nicht raten, wie es den Tod gefunden hat, ein Hieb hat ihm ein Drittel des Schädels abgeschlagen.
Waffen, Rüstungsteile, Kleiderreste … alles so sehr verrottet, dass nichts davon mir nützlich ist.
Bleibt der Altar.
Zwei silberne, schwarz angelaufene Kerzenhalter, halb abgebrannte schwarze Kerzen.
Ich unterdrücke einen Seufzer.
Selbstverständlich sind es schwarze Kerzen.
Auf dem Altar liegt ein brüchiges, braunes Skelett, von der Größe her das eines Kindes. Der Schädel mit den ausgeprägten Reißzähnen, die Hand- und Fußknochen mit den Klauen, deuten darauf hin, dass es sich wohl um ein Kathili-Kind gehandelt haben muss.
Die Gelenke werden noch immer von verrosteten Ketten und Manschetten gehalten, der Altar selbst besitzt eine Blutrinne, die zu einer Lippe führt, von der aus das Blut in eine schwarz angelaufene Silberschale hat tropfen können. Die Schale selbst ist verbeult und liegt auf die Seite gekippt auf dem Boden, um sie herum ist der Boden dunkler.
So.
Das also ist die Vorgeschichte, die sich das Spiel für mich ausgedacht hat. Offenbar bin ich heldenmutig und voller Eifer durch diese geborstene Tür gestürmt, habe mir mit den vormaligen Besitzern der beiden Skelette ein Gefecht geliefert und dann versucht, meine geliebte Schwester, die Reaver, zweifellos eine Vertreterin all dessen, was böse ist auf dieser Welt, daran zu hindern, ein Kathili-Kind zu opfern.
Was mir selbstverständlich nicht gelungen ist. Eine undefinierte Anzahl Jahrhunderte später fallen meine Schwester und ich aus einer magischen Zeitblase, ich gewinne den Kampf und bin nun bereit, mich den Herausforderungen eines neuen Zeitalters zu stellen, in dem ich ohne Zweifel heldenhaft für das Gute kämpfen werde.
Wunderbare Hintergrundgeschichte für meinen Charakter. Unfähig zu verhindern, dass die eigene Schwester ein Kind opfert … und dann noch dazu gezwungen, ebendiese Schwester zu erschlagen.
Angeblich passen die o so cleveren KIs die Hintergrundgeschichte jedes Charakters an den Spieler an, sodass der Spieler auch emotional in Vorena investiert.
O ja.
Danke.
Genau das habe ich ganz dringend gebraucht. Ich hebe meine linke Hand gegen die dunkle Steindecke und streckte dann langsam den Mittelfinger aus.
»Fuck you!«
Ich erwarte keine Antwort und bekomme sie auch nicht.
Es gibt einen einzigen Ausgang, es ist also nicht schwer zu erraten, was das Spiel von mir will. Nun, hierbleiben kann ich schließlich nicht.
Halt.
Ich habe etwas vergessen.
Beute machen. Wie konnte ich das nur vergessen? Schließlich ist es der Grundstock jedes RPGs!
Bei den beiden Skeletten finde ich eine weitere tote Spinne sowie ein Silber- und zwanzig Kupferstücke.
Die Spinne lasse ich zurück.
Von meiner Schwester sind nicht mehr als ein paar braune Knochensplitter und Staub übrig, dennoch öffnet sich das Inventar, als ich mich darauf fokussiere.
Bei ihr kann ich zwei Schmuckstücke plündern. Ein Siegelring, gleich dem, den ich schon besitze, und ein kleines Medaillon. Als ich meine Aufmerksamkeit auf dieses Medaillon richte, erscheint ein vergrößertes Abbild vor mir, das aufklappt und die Miniatur zweier lachender junger Mädchen zeigt, die sich gegenseitig umarmen. Am unteren Rand findet sich eine Gravur in einer Runenschrift, die ich ohne Probleme lesen kann.
Für immer zusammen Alexandra und Maguela.
Es fehlen nur noch die eingravierten Herzchen.
Ich lasse das Medaillon in dem Inventar meiner Schwester zurück, drehe mich um und gehe entschlossenen Schrittes zur Tür … um dann doch innezuhalten, zurückzugehen und das Medaillon aus dem Inventar der Toten zu fischen.
Mein Spielcharakter sieht aus wie ich, nur mit hellerer Haut und weißem Haar.
Die Mädchen in der Miniatur auch. So wie Manuela und ich, kurz bevor sie gestorben ist. Irgendwo in einem alten Fotoalbum, das wie der Rest meiner Besitztümer in einer Langzeit-Lagerung untergebracht ist, gibt es bestimmt ein Bild, das dem in diesem Medaillon gleicht.
Arschlöcher, flüstere ich noch einmal und lasse das Medaillon sorgsam in mein Inventar fallen.
Ich trete an die Tür heran, lege die Hand auf den Knauf meines Schwertes … und fluche, als der Gürtel bricht und alles bis auf Spellmatrix und Inventarbeutel laut scheppernd auf den Boden fällt.