Flusspiraten am Ohio - Jörg Kastner - E-Book

Flusspiraten am Ohio E-Book

Jörg Kastner

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Beschreibung

Folge 4 der großen »Amerika«-Saga von Jörg Kastner: Nur mit Mühe und Not können die drei Auswanderer Jacob Adler, Martin Bauer und Irene Sommer den Gefahren New Yorks entrinnen: Jacob und Martin heuern als Frachtbegleiter auf einem Dampfer an, Irene und ihr kleiner Sohn Jamie entkommen so ebenfalls der Stadt der Ratten. Sie wähnen sich in Sicherheit, doch statt harmloser Fracht transportiert das Boot Schmuggelware, die für die Südstaaten bestimmt ist – gefährliche Revolverkanonen. Die schöne Vivian Marquand, die Jacob und Martin den Job angeboten hat, ist eine zu allem entschlossene Agentin des Südens. Mitten auf dem Fluss greifen die Truppen des Nordens an und es kommt zu einem erbarmungslosen Kampf auf Leben und Tod. Jörg Kastners große »Amerika«-Saga begleitet die beiden Auswanderer Jacob Adler und Irene Sommer in die Neue Welt. Mit ihnen suchen zahllose Menschen – Verarmte, Verbitterte, Verfemte – eine neue Heimat jenseits des Atlantiks. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten warten auf die Auswanderer viele unbekannte Gefahren: Naturkatastrophen, wilde Tiere, Banditen und Indianer. Zudem tobt in Amerika ein erbarmungslos geführter Bürgerkrieg. Doch trotz aller Bedrohungen durchqueren Jacob und Irene den riesigen Kontinent und begegnen dabei so manch berühmter Persönlichkeit. Jede Mühsal und jedes Abenteuer nehmen die beiden auf sich für ihre neue Heimat – Amerika.

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Seitenzahl: 159

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Jörg Kastner

Flusspiraten am Ohio

Folge 4 der großen SagaAmerika – Abenteuer in der Neuen Welt

Roman

Was davor geschah

Als der junge Zimmermann Jacob Adler nach dreijähriger Wanderschaft in seinen Heimatort Elbstedt zurückkehrt, ist dort nichts mehr wie vorher. Seine Mutter ist tot, der Vater und die Geschwister sind angeblich nach Amerika ausgewandert, wo ein Onkel Jacobs in Texas eine Plantage betreibt. Hinter allem stecken der »Bierkönig« Conrad Arning und sein Sohn Bertram, mit dem Jacobs Verlobte jetzt verheiratet ist und der Jacob eine falsche Anklage wegen versuchten Mordes anhängt. Jacob flieht nach Hamburg und schifft sich mit seinem neuen Freund Martin Bauer nach Amerika ein. An Bord des Seelenverkäufers ALBANY zu Beschützern der jungen Irene Sommer und ihres kleinen Sohns Jamie geworden, müssen sich die Freunde schon kurz nach ihrer Ankunft in New York gegen den ebenso rücksichtslosen wie einflussreichen Max Quidor und seine Handlanger zur Wehr setzen. Sie können Quidor austricksen und verlassen die große Stadt am Hudson River, um ihre große Reise nach Westen anzutreten.

Kapitel 1Aufruhr in Dutchtown

In der Nacht vom zweiten auf den dritten Juni des Jahres 1863 wurde Klein-Deutschland, von der Englisch sprechenden Bevölkerung New Yorks auch Dutchtown genannt, von einer ungewohnten Unruhe ergriffen. Schuld daran waren die schweren Wagen, die aus allen Himmelsrichtungen in das Deutschenviertel rollten. Die Fahrer, von denen die massigen, kompakten Zugpferde durch die Straßen gelenkt wurden, trugen die dunkle Uniform der Stadtpolizei. Dieselbe Uniform trugen auch die Insassen, die den Wagen entsprangen, sobald sie ihre in jener Ecke an der Bowery gelegenen Ziele erreicht hatten, wo ein Etablissement neben dem anderen alle Vergnügungen und Ausschweifungen bot, die menschlicher Geist sich vorzustellen vermochte. Laut knallten die Stiefel der Uniformierten über das Pflaster, pochten ihre hölzernen Stöcke gegen die Türen, erscholl das Geschrei von Männern und Frauen, wenn sie abgeführt und in die Wagen gesperrt wurden.

Einer dieser Wagen, dessen Ziel in der verrufenen Christie Street lag, musste an der Ecke Bowery und Houston Street dem unerwartet aus einer Einfahrt hervorpreschenden Lieferwagen einer Brauerei ausweichen, schrammte dabei an einer Mauer entlang und verlor ein Rad. Der Fahrer brachte die Pferde mit lauten Rufen zum Stehen. Fluchende Polizisten sprangen aus dem Wagen auf die Straße, hoben ihr Fahrzeug auf Kommando ihres Sergeants an und befestigten das Rad wieder auf der Achse. Der Sergeant scheuchte seine Männer zurück in den Wagen, dessen Tür noch nicht ganz geschlossen war, als der Fahrer auch schon die Bremse löste und die Pferde antrieb. Der unfreiwillige Aufenthalt hatte einige Minuten gedauert, die einem Mann in der Christie Street, der gerade über seinem Pokerblatt brütete, einen wertvollen Vorsprung sichern konnten.

Vier Könige lächelten den schlanken Mittdreißiger mit dem dunklen, leicht gewellten und sorgfältig gescheitelten Haar an. Aber das herbe und zugleich gut aussehende Gesicht blieb unbewegt, das klassische Pokerface. Innerlich jedoch jubelte Max Quidor über sein Blatt. Damit konnte er nur gewinnen! Ausgerechnet Könige! Das war für ihn wie ein Symbol, der Wink einer höheren Macht, alles auf seine Karten zu setzen. Denn er selbst fühlte sich als König über diesen Bezirk von Dutchtown.

Quidors Blick kreuzte sich mit dem von Lester Wiggfield, der als Einziger in der Runde mitgegangen war. Alle anderen waren aus der Partie ausgestiegen, als Quidor immer wieder den Einsatz erhöhte, ohne auch nur eine einzige Karte zu kaufen. Das konnte nur zweierlei bedeuten. Entweder war der Inhaber des Golden Atlantic, in dem sich die Pokerrunde zusammengefunden hatte, ein begnadeter Bluffer, oder er hatte ein konkurrenzloses Blatt. Wie sonst hätte er es wagen können, den Einsatz auf zehntausend Dollar hochzuschrauben? Das Risiko, dass Quidor kein Bluffer war, war allen Mitspielern zu hoch gewesen, nur Wiggfield nicht. Entweder besaß er großes Vertrauen in sein eigenes Blatt oder in seine eigenen Fähigkeiten als Bluffer.

So sehr Quidor auch in den asketischen Zügen des hageren Yankees nach einem Hinweis auf dessen Blatt suchte, er tat es vergeblich. Die wässrigen Augen über der krummen Nase blickten den Inhaber des Golden Atlantic so unschuldig an, als sähen sie die Welt in dieser Minute zum ersten Mal. Wäre es anders gewesen, wäre der deutschstämmige Geschäftsmann enttäuscht gewesen. Lester Wiggfield genoss drüben auf der anderen Seite der Bowery einen ähnlichen Ruf wie Quidor in Klein-Deutschland. Wiggfields Etablissement Royal Flush bemühte sich seit Langem, dem Golden Atlantic den Rang abzulaufen. Und jeder der beiden Männer stand in dem Ruf, zu den besten fünf Pokerspielern New Yorks zu gehören.

Wiggfield machte diesem Ruf alle Ehre, als er mit unbewegtem Gesicht fünf der großen, viereckigen Chips in die Mitte schob und zwischen zwei Zügen aus seiner teuren Henry-Clay-Zigarre verkündete: »Ich erhöhe um fünftausend.«

Bluffte er? Oder war er von seinem Blatt so überzeugt, wie er sich gab? Quidor konnte es beim besten Willen nicht sagen. Aber das erhöhte nur den Reiz dieses Spiels, von dem er jeden Zug genießen wollte. Lange hatte es gedauert, bis er Wiggfield ins Golden Atlantic gelockt hatte. Der Yankee war nur gegen das Versprechen gekommen, dass Quidor demnächst im Royal Flush spielen würde. Denn das Zusammentreffen der beiden berühmten Gambler war eine große Attraktion, die eine Menge Gäste anlockte und den Umsatz förderte. Quidor beglückwünschte sich, dass seine erste Pokerpartie mit Wiggfield im Golden Atlantic stattfand, denn gerade dieses erste Zusammentreffen der beiden hatte besonders viele Schaulustige angelockt.

Im großen Spielsaal konnte man kaum noch ein Bein auf die Erde bekommen. Als sich das Spiel an Quidors Tisch zu einem Duell zwischen ihm und Wiggfield entwickelt hatte, war an den anderen Tischen nach und nach das Spielen eingestellt worden. Die Karten ruhten in ihren Behältern, die Roulettekugel sprang nicht mehr über die schwarzen und roten Felder, und die Würfel hatten noch nie so wenig Beachtung gefunden wie in diesen Minuten. Alles drängte sich um den Pokertisch in der Mitte des großen Saales, wo sich bald zeigen würde, welcher der beiden berühmten Gambler und Spielhallenbesitzer sich an diesem Abend in seinem Ruhm würde sonnen können. Nur eine Absperrkette, die Quidors Angestellte um den Tisch bildeten, verhinderte, dass die Menge ihn überlief wie die Flut den Strand von Staten Island.

Quidor selbst wurde von seinen beiden persönlichen Leibwächtern abgeschirmt, dem hellblonden Henry und dem dunkelhaarigen Tom, dem eine kreuzförmige Stirnnarbe ein verwegenes Aussehen verlieh. In ihren dunklen Anzügen und mit den schweren Revolvern an den Hüften wirkten sie wie Todesengel und schreckten jeden davon ab, ihrem Boss zu nahe zu treten.

Quidor hatte gerade ebenfalls fünf der großen Chips in die Mitte des Tisches geschoben, wo zusammen mit den Einsätzen der inzwischen ausgestiegenen Spieler Elfenbeinchips im Wert von ungefähr 35.000 Dollar aufgehäuft waren, als eine unerwartete Unruhe die Menschen im Spielsaal ergriff. Sie wirkten wie eine der riesigen Büffelherden auf den westlichen Prärien, die von irgendeinem Punkt aus in Bewegung geriet, ohne dass die zottigen Tiere selbst den Grund kannten. Sogar die von den Ausdünstungen der vielen Menschen, vom Tabaksqualm und vom Alkoholdunst zum Schneiden dick gewordene Luft schien plötzlich in Bewegung zu geraten, als sich etwas mit ungeheurer Energie eine Gasse durch das Meer aus Leibern bahnte. So musste es ausgesehen haben, als sich das Rote Meer vor Moses teilte.

Aber nicht der biblische Führer der Israeliten erschien in dieser Gasse, die sich sofort wieder hinter dem Unruhestifter schloss, sondern eine auffallend schöne Frau in einem tief ausgeschnittenen weinroten Kleid. Ein Raunen ging durch den Saal, als ihr Name von einem zum anderen geflüstert wurde. Die nicht mehr ganz junge Schönheit mit dem dunklen Lockenhaar war Jeanette Latour, die als Quidors Favoritin galt und eines der Häuser für ihn führte, in denen junge Frauen ihre Haut zu Markte trugen.

Sie wirkte abgehetzt und hatte noch nicht einmal eine Jacke um ihre fast bloßen Schultern gelegt. Der Saum ihres Kleides war befleckt vom Schmutz und Unrat, der die Straßen bedeckte. Die Französin strahlte in ihrer Hast und ihrer Zielstrebigkeit etwas aus, das keinen Widerspruch zu dulden schien. Das spürten die Menschen im Golden Atlantic und machten ihr trotz der drangvollen Enge Platz.

Der Besitzer des Etablissements war über das unerwartete Auftauchen seiner Favoritin nicht erfreut. Seine Augen wurden zu Schlitzen, hinter denen es gefährlich funkelte, als er ihr entgegensah. Quidor war ungehalten über die Störung. Im Augenblick konnte er sich nicht vorstellen, dass etwas auf der Welt wichtiger sein konnte als die Pokerpartie zwischen ihm und Lester Wiggfield.

Es war allgemein bekannt, dass es Quidor mit der Treue hielt wie ein Angler mit den Fischen. Der begehrenswerteste ist immer der Fisch, der gerade an der Angel hängt. Mit dem Geschäftsmann und den Frauen war es ähnlich. Zwar kehrte er immer wieder in Jeanette Latours Arme zurück, aber die hübschesten Neuzugänge seiner Bordelle weihte er regelmäßig persönlich in ihre Arbeit ein. Für die Französin, die ihn abgöttisch liebte, war das jedes Mal wie ein Messerstich ins Herz. Deshalb hatte sie auch vor einigen Tagen der jungen Deutschen Irene Sommer, die von Quidor gefangengehalten worden war, um sie sich gefügig zu machen, zur Flucht verholfen. Jeanette hatte ihre Beteiligung daran abgestritten, aber ihr Geliebter hatte ihr nicht geglaubt und sie so stark zusammengeschlagen, wie er es noch nie zuvor getan hatte; erst nach zwei Tagen hatte sie sich vom Bett erheben können. Noch immer war er nicht gut auf sie zu sprechen. Ein weiterer Grund, weshalb er ihr jetzt so ablehnend entgegensah.

»Ich muss dich sprechen, Max, sofort!«, rief sie mit ihrem französischen Akzent, noch bevor sie seinen Platz erreicht hatte.

Quidor blickte auf die vier Könige in seinen Händen, auf die Chips in der Mitte des Tisches, auf das asketische Pokerface seines Gegenübers und dann in Jeanettes Gesicht, das beim näheren Hinsehen noch die Spuren der Schläge zeigte. »Aber doch nicht jetzt! Siehst du nicht, dass ich mitten in einer wichtigen Partie stecke? Und überhaupt, weshalb arbeitest du nicht um diese Zeit?«

»Weil ich etwas sehr Wichtiges erfahren habe«, sagte die Frau, jetzt, wo sie neben ihm stand, erheblich leiser.

»Was kann so wichtig sein, dass es keinen Aufschub duldet?«

Jeanette flüsterte die Antwort in sein Ohr: »Jede Minute kann im Golden Atlantic eine polizeiliche Durchsuchung stattfinden. Die Polizei besitzt einen Haftbefehl für dich!«

Quidors Gesicht verlor den unbewegten Ausdruck, und er sah seine Geliebte ungläubig an.

»Woher weißt du das?«

»John Hingle, der stellvertretende Polizeichef von Manhattan, war heute Abend bei der Flotten Liz. Zum Abschied sagte er ihr, dass er für einige Zeit nicht kommen könnte, weil es in Dutchville bald heiß hergehen würde. Als Liz nachhakte, verriet er ihr, dass die Polizei heute Nacht das ganze Viertel auf den Kopf stellen wird und dass du per Haftbefehl gesucht wirst. Anscheinend sind deine Waffenschiebereien aufgeflogen. Du musst schnellstens abhauen, Max. Jede Minute ist kostbar!«

In Quidors Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Vielleicht hätte er sich nicht darauf einlassen sollen, Waffen an die Südstaatler zu schmuggeln. Aber der Verdienst war einfach zu verlockend gewesen. Deutschstämmige Waffenfabrikanten, von ihren in den Vereinigten Staaten geborenen Konkurrenten durch Intrigen ausgebootet, wurden ihre Erzeugnisse nicht an die Unions-Armee los und blieben trotz des heftig tobenden Bürgerkrieges zwischen Nord- und Südstaaten auf den Waffen sitzen. Schließlich waren sie bereit gewesen, die Ware zum Selbstkostenpreis abzugeben. Quidor hatte seine Kontakte spielen lassen und eine Schmuggelorganisation aufgebaut, um die Waffen in den Süden zu transportieren, wo er sie an die schlecht ausgerüsteten Konföderierten weit über Wert verkaufen konnte.

In diesen Tagen war ein großer Transport unterwegs: Einhundert Revolverkanonen samt Munition, die den Rebellen bei der Verteidigung von Vicksburg helfen sollten, waren per Eisenbahn und Frachtwagen nach Pittsburgh geschickt worden und sollten von dort auf dem Ohio und dem Mississippi ins Kampfgebiet transportiert werden.

»Was ist los?«, fuhr Wiggfields näselnde Yankee-Stimme mitten in Quidors Gedanken. »Gehen Sie mit, Quidor, oder wollen Sie sich lieber der Dame widmen?«

Leichter Spott lag auf dem Gesicht des Sprechers. Die Überheblichkeit ärgerte den Deutschen, und er zwang sich, Jeanettes Drängen zu einer raschen Flucht ignorierend, wieder an das Pokerspiel zu denken. Jetzt ging es ihm weniger ums Geld als darum, den Yankee in seine Schranken zu weisen. Quidor hasste es, jemandem zu unterliegen oder verspottet zu werden.

Jetzt erst bemerkte der Inhaber des Golden Atlantic, dass sein Gegenüber fünf weitere große Chips in die Mitte des Tisches geschoben hatte. Quidor tat es ihm nach und fügte noch einmal fünf Chips hinzu.

»Ihre fünftausend, Wiggfield, und fünftausend zum Sehen.«

»Soll mir recht sein«, presste der Yankee undeutlich zwischen fast geschlossenen Zähnen, die auf der Henry Clay herumkauten, hervor. Er starrte auf die Chips im Wert von rund fünfzigtausend Dollar, die auf ihren Gewinner warteten. »Jetzt zeigen Sie mal Ihr Bombenblatt!«

Quidor nahm sich die Zeit, seinen Sieg auszukosten, und deckte langsam eine Karte nach der anderen auf. Als auf die Karosieben der Karokönig folgte und auf ihn der Herzkönig, herrschte im Saal gebannte Stille. Doch mit dem Pikkönig setzte ein Raunen ein, das sich mit dem Aufdecken des Kreuzkönigs zu lautem Jubel steigerte. Alle, die auf Quidors Sieg gesetzt hatten, forderten lautstark ihren Gewinn ein.

Sie wurden, ebenso wie Quidor, unsicher, als Wiggfield keine Anstalten traf, seinem Gegner zu gratulieren, sondern seinerseits eine Karte nach der anderen aufdeckte. Schließlich lagen neben der Pikdame vier Asse auf dem grünen Filz. Der Jubel der einen Partei verstummte, und nach einigen Sekunden völligen Schweigens jubelten die Männer, die auf den Yankee gesetzt hatten.

»Mehr Glück beim nächsten Mal, Quidor«, meinte Wiggfield mit einem süffisanten Lächeln und strich seinen Gewinn ein.

Sein dunkelhäutiger Leibwächter trat an die Seite des Yankee-Gamblers, nahm seinen Hut ab und sammelte die Chips darin ein.

Quidor zwang sich, äußerlich ruhig zu bleiben und seine innere Enttäuschung zu verbergen. Es war wie verhext; seit einigen Tagen lief alles, was er anfasste, schief. Als läge ein Fluch über ihm.

Angefangen hatte alles an dem Abend, als dieser deutsche Zimmermann, Jacob Adler, für ihn gegen den Iren Joe O’Malley boxte und sich weigerte, den Kampf zu verlieren, obwohl Quidor der besseren Quote wegen auf den Iren gesetzt hatte. Der Fight hatte in einem Tumult geendet. Adler und sein Freund Martin Bauer, den Quidor als Geisel genommen hatte, entkamen ebenso wie ihre Freundin Irene Sommer. Sogar Irenes kleines Kind, das Quidor dem kinderlosen Großmagnaten James Frederick Duncan ›geschenkt‹ hatte, um ihn von sich abhängig zu machen, hatten sie zurückgeholt. Ein erboster Duncan trat daraufhin im Stadtrat gegen die deutschen Geschäftsleute und besonders gegen Quidor ein. Seitdem verwandelte sich in Quidors Händen alles zu Pech.

Er unterdrückte den bohrenden Hass auf Jacob Adler, dem er Rache geschworen hatte, und stand ruckartig vom Spieltisch auf. »Gratuliere, Wiggfield. Ich persönlich werde Ihnen Ihren Gewinn aushändigen. Ehre, wem Ehre gebührt.«

Dann flüsterte er schnell ein paar Anweisungen an seine beiden Leibwächter.

»Was tust du, Max?«, fragte Jeanette entsetzt. »Dir läuft noch die Zeit davon!«

»Geh mit Henry«, antwortete Quidor nur und führte dann in Toms Begleitung den Gewinner des Spiels und seinen schwarzen Schatten ins rückwärtig gelegene Büro, wo ein weißhaariger Angestellter die Einnahmen des bisherigen Abends zählte und im Geldschrank deponierte.

Quidor schickte ihn nach draußen und wandte sich an die beiden Männer, die erwartungsvoll auf die vielen Bündel Geldscheine blickten. »Es ist so weit, Wiggfield. Jetzt bekommen Sie, was Ihnen zusteht.«

Bei diesen Worten sah er nicht den Yankee an, sondern Tom, der sich unauffällig an die Seite des Schwarzen begeben hatte, der seinen Hut mit den Elfenbeinchips in beiden Händen hielt.

Wie aus dem Nichts lag ein dünnes Messer in Toms Rechter, und die Klinge fuhr dem dunkelhäutigen Leibwächter durch die Kehle. Mit einem gurgelnden Laut sank der Mann zu Boden und verstreute dort den Gewinn seines Herrn.

Dieser wollte etwas sagen, konnte vor Entsetzen aber nur den Mund zu einem stummen Protestschrei öffnen. Dann ereilte ihn das Schicksal seines Leibwächters.

»Mein Geld kann ich jetzt besser gebrauchen, Sie dummer Kerl«, sagte Quidor zu dem sterbenden Yankee, der auf die aus dem Hut gefallenen Chips gestürzt war.

Tom wischte die Klinge seines Messers an einem Ärmel von Wiggfields teurem Rock sauber und half dann seinem Boss, alles Geld in einer großen Tasche aus schwarzem Leder zu verstauen. Quidor schätzte die Gesamtsumme auf etwa einhunderttausend Dollar. Nicht schlecht als Handgeld für seine Flucht. Aber er wollte sich noch mehr Geld holen, den Gewinn aus dem Verkauf der Revolverkanonen. Vierhunderttausend Dollar wollten die Südstaatler für die Lieferung bezahlen. Alles zusammen war genug Geld, um sich eine neue Existenz aufzubauen.

Die beiden Männer verschwanden durch einen schmalen Gang auf einem Hinterhof, der an die Bowery grenzte. Hier warteten bereits Henry und Jeanette mit vier gesattelten Pferden. Von der Christie Street, an der die Front des Golden Atlantic lag, klangen Hufgetrappel, das Rattern von Wagenrädern und laut gerufene Kommandos eines Kutschers herüber.

»Das ist die Polizei«, stieß die Französin hervor. »Wir müssen uns beeilen, Max!«

Er nickte und sah sie prüfend an. Sie trug noch immer ihr weinrotes Kleid, aber ein Kutschermantel lag um ihre Schultern und ein zerbeulter Hut verdeckte ihre Haarpracht.

»Bist du sicher, dass du mitkommen willst?«, fragte er. »Es wird ein harter Ritt.«

Jeanette erwiderte seinen Blick. »Oui, ich bin sicher. Weil ich dich liebe, Max.«

Er schwang sich auf sein Pferd. »Dann los!«

Während der Polizeiwagen vor dem Haupteingang des Golden Atlantic hielt und die Insassen auf die Straße sprangen, um das Gebäude zu umstellen, sprengten die vier Reiter durch einen schmalen Weg hinaus auf die Bowery und entkamen so in letzter Minute ihren Häschern.

Verbissen trieb Max Quidor sein Pferd durch das nächtliche New York. Die großen Häuser wurden zu Schatten, die an ihm vorbeiflogen. Er konnte es nicht verhindern. Immer wieder musste er an diesen deutschen Zimmermann, Jacob Adler, denken. Mit ihm hatte sein Unglück angefangen. Ohne ihn hätte Quidor nicht aus New York fliehen müssen wie ein gemeiner Strauchdieb. Irgendwann würde er ihn wieder treffen, und dann sollte Adler für all dies büßen.

Kapitel 2Der Pinkerton-Mann

Pittsburgh, Pennsylvania, drei Tage später.

Das schwere Stahlross mit dem vorgeschnallten Kuhfänger rollte fauchend, ächzend, Rauch ausstoßend und Funken stiebend in die große Stadt am oberen Ohio ein und umhüllte die auf dem Bahnsteig wartenden Menschen mit einem Mantel aus Lärm, Rauch und Gestank. Als die Lokomotive mit einem letzten, an ein vorzeitliches Ungeheuer gemahnenden Schnaufen endlich zum Stillstand gekommen war, verringerten die Menschen den bisher respektvollen Abstand zu dem Lindwurm aus Eisen und Holz. Sie drängten sich an die Plattformen der Wagen, auf denen bald ebenfalls Menschen erschienen, erst das Zugpersonal und dann die Fahrgäste. Die meisten der Letzteren wurden bereits erwartet und lauthals begrüßt.

Nicht so die beiden Männer und die Frau, die aus einem der vorderen Wagen stiegen und von keinem der Wartenden beachtet wurde. An ihnen war auch nichts Auffälliges. Sie waren bloß müde, abgekämpfte Passagiere, hinter denen die Strapazen einer anderthalbwöchigen Reise per Wagen, Kanalboot und Eisenbahn lagen.

Am wenigsten müde wirkte der hochgewachsene, breitschultrige Mann mit dem sandfarbenen Haar und dem gut geschnittenen, offenen Gesicht, der einen goldenen Ring im rechten Ohr trug, als Zeichen seiner Angehörigkeit zur Zimmermannszunft. Jacob Adler schleppte zusammen mit seinem stämmigen, einen halben Kopf kleineren Freund Martin Bauer das gesamte Gepäck der kleinen Gruppe.