Freundschaft in finsteren Zeiten - Hannah Arendt - E-Book

Freundschaft in finsteren Zeiten E-Book

Hannah Arendt

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Beschreibung

Die politische Dimension der Freundschaft entfaltet Hannah Arendt in ihren klassisch gewordenen »Gedanken zu Lessing«, die das gemeinsame Interesse an der Welt betonen. Denn die geschlossene Welt der »Brüderlichkeit«, in die »Erniedrigte und Beleidigte« sich ehemals zurückziehen konnten, ist in »finsteren Zeiten« zerstört worden, der Rückzug ins Private gescheitert und das Vergangene nicht zu bewältigen. Hannah Arendt setzt diesen verlorengegangenen Möglichkeiten eine Vision der Freundschaft entgegen, deren politische Leidenschaft vom gemeinsamen Interesse für die Welt lebt. Ihre ebenso polemische wie tröstende Auffassung des Miteinanders erhält im Licht der gegenwärtigen Polarisierung der Gesellschaft und politisch-gesellschaftlicher Krisen neue Bedeutung und Kraft.

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Hannah Arendt

Freundschaft infinsteren ZeitenGedanken zu Lessing

Mit Erinnerungen von Mary McCarthy,Alfred Kazin, Jerome Kohn undRichard Bernstein

Herausgegeben und eingeleitetvon Matthias Bormuth

Fröhliche Wissenschaft 131

Für Michael Krüger

Inhalt

Matthias Bormuth

Im Spiegel Lessings oder Eine Republik der Freunde

Einleitung

Hannah Arendt

Gedanken zu Lessing

Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten

Mary McCarthy

Abschied von Hannah (1907–1975)

Alfred Kazin

»You will fetch me.«

Freundschaft mit Hannah Arendt

Jerome Kohn

»Sie war meine Lehrerin.« – Hannah Arendt

Richard Bernstein

»… ich kann nicht ohne Verstehen leben.«

Begegnungen mit Hannah Arendt

Ein Gespräch mit Matthias Bormuth

Editorische Angaben und Dank

Matthias Bormuth

Im Spiegel Lessings oder Eine Republik der Freunde

Einleitung

Ich habe nichts getanich wollte einfach verstehenZbigniew Herbert

I

»Mit großer Freude lesen wir eben, liebe Hannah, von der Verleihung des Lessing-Preises an Sie.« So telegrafiert Karl Jaspers Ende Januar 1959 nach New York. Hannah Arendt antwortet ihrem Heidelberger Lehrer dankbar und salopp: »Ja, ein Lessingpreis […]. Überhaupt haben Sie mir den natürlich eingebrockt: die Vorrede zu der ›Totalen Herrschaft‹ und dann die Paulskirche.« Was verbirgt sich hinter diesen Andeutungen?

Wenige Monate zuvor war Arendt einer größeren Öffentlichkeit in Deutschland mit der Laudatio bekannt geworden, die sie zur Verleihung des renommierten Friedenspreises des deutschen Buchhandels an Jaspers gehalten hatte. In Frankfurt sprach sie vom »Wagnis der Öffentlichkeit«, das der politische Philosoph nach 1945 eingegangen war, um die kantische Idee der Freiheit gegenüber totalitären Gefahren zu verteidigen. Ihr erstes Buch The Origins of Totalitarianism stand in dieser Tradition. Schon die amerikanische Ausgabe von 1951 war eingeleitet von Jaspers’ zeitpolitisch-philosophischem Appell: »Weder dem Vergangenen anheimfallen noch dem Zukünftigen. Es kommt darauf an, ganz gegenwärtig zu sein.« Für die deutsche Ausgabe war auch seine Vorrede eine wichtige Markierung. Jaspers schloss darin: »Die Denkungsart dieses Buches aber ist deutscher und universaler Herkunft, geschult an Kant, Hegel, Marx und an deutscher Geistes wissenschaft, dann wesentlich an Montesquieu und Tocqueville.« Arendt gehörte mit der großen Resonanz, die Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft auslöste, auch im deutschen Sprachraum zu den westlichen Denkern, die als liberale Aufklärer gegen die totalitären Mächte der Freiheit des Einzelnen und der Völker das Wort sprachen.

Ihr eigener Essay »Bürger der Welt«, geschrieben zu dieser Zeit für den Jaspers-Band der Library of Living Philosophers, spiegelte das ihnen gemeinsame Selbstverständnis nochmals genauer in Kants Idee des Weltbürgertums: »Eine Philosophie der Menschheit unterscheidet sich von einer Philosophie des Menschen dadurch, daß sie darauf besteht, daß nicht der Mensch, im einsamen Dialog zu sich selbst redend, die Erde bevölkert, sondern die Menschen, die miteinander reden und sich verständigen.« Arendt erinnerte zudem an Jaspers’ Idee der Achsenzeit und ihre prophetischen Gestalten: »Überall treten große Persönlichkeiten auf, die sich nicht länger auffassen […] als bloße Mitglieder bestimmter sozialer Gebilde, sondern die sich selber als Individuen begreifen und neue individuelle Lebensweisen entwerfen […].«

Gegen diesen aufklärerischen Individualismus setzte sie in kritischer Abstufung Hegels gedanklich beeindruckende Philosophie der Geschichte, deren Stichwort der »Schlachtbank der Geschichte« in den Budapester Ereignissen kurz zuvor grausame Realität geworden war. Ihr Traktat Die ungarische Revolution skizzierte entsprechend den sowjetischen Terror und pries den »Drang nach Gedankenfreiheit«, den die Bürgerräte dagegen in einer auseinanderfallenden Welt der Unterdrückung entwickelt hatten, auch wenn sie zuletzt unterlegen waren. Dem Geist solcher auf Freiheit bedachter Foren selbstverantwortlicher Bürger gehörte Arendts ganze Leidenschaft: »Was die Revolution vorwärtstrieb, war nichts als die elementare Kraft, entsprungen aus dem Zusammenhandeln eines ganzes Volkes […]. Die russischen Truppen sollten sofort das Land verlassen und freie Wahlen sollten stattfinden, um die neue Regierung zu bilden. Hier ging es […] einzig darum, eine Freiheit, die bereits eine vollendete Tatsache war, zu stabilisieren und die für sie geeigneten politischen Institutionen zu finden.«

Es wundert kaum, dass vor diesem Hintergrund und dem medienwirksamen Auftritt in der Paulskirche die Hamburger Bürgerschaft die Gelegenheit nutzte, um Arendt in der heißen Phase des Kalten Krieges im Namen Lessings ehren zu wollen: »Ihre Arbeiten auf dem Gebiete der politischen Theorie und Wissenschaft sind wesentliche Beiträge zur Erhellung und Deutung der das moderne Leben bestimmenden geistigen und politischen Mächte. Ihr streitbares Bemühen, die Wechselwirkungen von Kultur und Politik darzustellen, hat die zeitgeschichtliche Erkenntnis in hervorragender Weise gefördert. Ihre Untersuchungen weisen nach Form und Methode über den wissenschaftlichen Bereich hinaus und sind in ihrer sprachlichen Durchbildung schriftstellerische Leistungen von hohem künstlerischem Rang.« Der Senator beschloss seine Rede entsprechend mit dem Satz: »›Lessinghafter‹ als Sie hat sich bestimmt kaum einer verhalten, um in unsere wirren Zeitläufte das Licht einer geistigen Ordnung zu tragen.«

Im Sommer 1960 gab der Hamburger Senat seine Broschüre zur Preisverleihung heraus, im Herbst des Jahres folgte Piper als kommender Hausverlag mit seiner Ausgabe. Arendt selbst stellte ihre »Gedanken zu Lessing« 1968 an den Anfang ihrer Essaysammlung Men in Dark Times. Die deutsche Ausgabe Menschen in finsteren Zeiten erschien erst rund zwei Jahrzehnte später, nicht zufällig im Umbruchjahr 1989. Nun war zeitgemäß geworden, was Arendt als Glauben an die Ausstrahlung einzelner Individuen zum Ärger der europäischen Linken emphatisch beschrieben hatte, stand es doch gegen ihre von Marx inspirierten Geschichtskonstruktionen: »Die Überzeugung, daß wir selbst dann, wenn die Zeiten am dunkelsten sind, das Recht haben, auf etwas Erhellung zu hoffen, und daß solche Erhellung weniger von Theorien und Begriffen als von jenem unsicheren, flackernden und oft schwachen Licht ausgehen könnte, welches einige Männer und Frauen unter beinahe allen Umständen in ihrem Leben und ihren Werken anzünden und über der ihnen auf der Erde gegebenen Lebenszeit leuchten lassen […].«

Die Hamburger Rede spricht moralisch deutlich von »Fragen der richtigen Haltung in ›finsteren Zeiten‹«, die »natürlich der Generation und Menschengruppe, der ich angehöre, besonders vertraut« seien. Neben Jaspers, der als Arendts Lehrer und väterlicher Freund die deutsche Universitätswelt repräsentierte, stand Kurt Blumenfeld, seit den Jahren der Weimarer Republik ebenfalls väterlicher Freund, für ihren anderen Ursprung: das deutsch-jüdische Bildungsbürgertum in seiner Problematik. Der führende Politiker des Zionismus blieb Arendt über die Jahre des Exils verbunden, auch in gemeinsamen New Yorker Zeiten während des Krieges. Als Blumenfeld die Rede in Israel las, wo er für den jungen Staat noch aktiv war, zeigte er sich begeistert vom spürbaren »Eros der Freundschaft« und schloss: »Deine Arbeit geht bis an die äußerste Grenze.« Arendt antwortete: »Gut, daß Dir die Lessing-Rede gefällt. Als ich sie schrieb und später, als ich sie hielt, hast Du mir immer vor Augen gestanden. Es war mir klar, daß nicht die ›Kenner‹, von denen wir ja beide nicht sehr viel halten, sondern Du verstehen wirst, what I am talking about.«

Aber unabhängig von den väterlichen Freunden sind es vor allem die amerikanischen Jahre, die mit den dort gewachsenen Freundschaften Arendts Blick auf Lessing prägten. So wie ihr literarischer Heros Franz Kafka in Amerika die Statue of Liberty programmatisch auftreten lässt, wurde Arendt die politische Idee und Realität der Vereinigten Staaten, deren Bürgerin sie einige Jahre nach Ende des Krieges geworden war, immer wichtiger. In Vorlesungen an der Princeton University pries Arendt vor allem die Traditionen lokaler Gremien freier Bürger, die die Gründerväter etabliert hatten. In Über die Revolution verdichtete sie ihre Begeisterung, die sie mit den europäischen Ereignissen des Jahres 1956 verknüpfte. Jaspers, dem sie das Buch gewidmet hatte, schrieb an sie: »Deine Einsicht in das Wesen politischer Freiheit. […] Dein Vergleich und Deine Identifizierung des Sinnes der ›Räte‹, der ›kleinen Republiken‹, des Anfangs und der Wahrheit aller Revolutionen seit der amerikanischen, waren mir aus Deiner Ungarn-Schrift bekannt. Bei ihr zögerte ich noch, jetzt bin ich von dem Sinn-Parallelismus überzeugt und von der Chance, die, obgleich bisher immer verloren, Du darin siehst […].«

Die Gruppe der New York Intellectuals, in die sie nach Origins of Totalitarianism aufgestiegen war, entsprach, zumal bei deren vorwiegend jüdischer Herkunft, ungefähr dem, was Arendt rückblickend für Rosa Luxemburg als »Gruppe der Ebenbürtigen« beschrieben hatte. Es waren agile Intellektuelle, mit wachem kulturell-politischen Sinn, die im Umkreis der großen New Yorker Universitäten und Zeitschriften agierten. Vielfach hatten sie ursprünglich einen marxistischen Hintergrund, den Arendt schon im Pariser Exil mit linksliberalen und marxistischen Intellektuellen wie Walter Benjamin diskutiert hatte. Im Umkreis der Zeitschrift Partisan Review war nach den Enttäuschungen über den sowjetischen Terror Lionel Trillings Stichwort der Liberal Imagination entscheidend geworden. Arendt repräsentierte in diesem Kreis das liberale Alteuropa und die deutsche Bildungswelt unter den Bedingungen des Zivilisationsbruches.

Mit anderen Worten: Ihre »Gedanken zu Lessing« sind nicht ohne die amerikanischen Erfahrungs- wie Bildungswelten zu verstehen. Deshalb ergänzen vier kurze Porträts, die New Yorker Freunde von Hannah Arendt gaben, den vorliegenden Band. Sie werden eröffnet vom Nachruf, den Arendts engste Freundin Mary McCarthy direkt nach ihrem Tod im Jahr 1975 schrieb. Ihm folgen die Erinnerungen, die Alfred Kazin in seiner Autobiografie New York Jew über ihre amerikanischen Anfänge verfasste, als Arendt noch am Rande Harlems wohnte und am verschmutzten Columbus Circle in Arbeitspausen über den katastrophalen Traditionsbruch nachdachte. Nach diesen Zeugnissen aus dem engeren Kreis der New York Intellectuals steht zuerst Jerome Kohn als ihr vertrauter Schüler und Nachlassverwalter für die jüngeren Intellektuellen New Yorks mit seiner Grabrede, die erst kürzlich wiedergefunden und wie die übrigen Porträts von Joachim Kalka übersetzt wurde. Zum Abschluss folgen die Erinnerungen an freundschaftliche Begegnungen mit Hannah Arendt, von denen Richard Bernstein als Professor der New School of Social Research jüngst im Gespräch berichtete.

II

Seit ihrer Totalitarismusstudie war Hannah Arendt als scharfe Kritikerin bekannt, die nicht davor zurückscheute, sich wie Albert Camus alle Sympathien mit der europäischen Linken zu verderben. Der Schriftsteller war für sie »zweifellos der beste Mann, den es augenblicklich in Frankreich gibt«, wie sie ihrem Mann Heinrich Blücher nach einem Pariser Treffen mit Camus im Mai 1952 schrieb. Denn im Gegensatz zu Jean-Paul Sartre hielt er die individuelle Freiheit höher als die proklamierte Utopie einer gerechteren Welt, für deren Erreichen man blutige Opfer hinnahm, die Augen vor den Aporien des grandiosen wie hermetisch geschlossenen Glaubens schließend. So wundert es nicht, dass ihre Lessing-Rede emphatisch den historisch besten Mann feiert, der in Deutschland als einzelner Kritiker gegen blinde Glaubenswelten aufgestanden war mit einem Denken, das »immer Partei ergreift im Interesse der Welt, ein jegliches von seiner jeweiligen weltlichen Position her begreift und beurteilt und so niemals zu einer Weltanschauung werden kann«. Lessings Treue zur historischen Wirklichkeit steht nach Arendt gegen den zeitgemäßen Zug vieler Intellektueller, sich wünschbare Welten vorzustellen: Er »übersteigerte nichts in die Schwärmerei einer Utopie.«

Es geht Arendt im ersten Teil ihrer Rede um die innere Freiheit des Kritikers, der in der »Parteinahme für die Welt« notfalls bereit sein solle, »die Widerspruchslosigkeit mit sich selbst, die wir doch bei allen, die schreiben und sprechen, als selbstverständlich voraussetzen«, zu opfern. Aufgabe des Kritikers sei mit Lessing, an- und aufregend in einem größeren Diskurs zu wirken, ohne eine kohärente Antwort parat haben zu müssen: »Er hat […], statt mit einem System seine Identität in der Geschichte festzulegen, […] wie er selbst wußte, ›nichts als Fermenta cognitionis‹ in die Welt gestreut.« Solches »Selbstdenken« betrachtet Arendt emphatisch als gesellschaftlich nötigen Ausdruck menschlicher »Bewegungsfreiheit«: »Das Aufbrechen-Können, wohin man will, ist die ursprünglichste Gebärde des Frei-Seins, wie umgekehrt die Einschränkung der Bewegungsfreiheit seit eh und je die Vorbedingung der Versklavung war.«

Aber in einer Zeit, der mit den »Stützen der Wahrheit auch die Stützen der weltlich-politischen Ordnung« weggebrochen sind, kann solche »lebendige Menschlichkeit eines Menschen«, so unterstreicht Arendt, nicht die einzige Bedingung für ein gesellschaftliches Leben sein: »Die Welt wird unmenschlich, ungeeignet für menschliche Bedürfnisse, welche die Bedürfnisse von Sterblichen sind, wenn sie in eine Bewegung gerissen wird, in der es keinerlei Bestand mehr gibt.« Die revolutionäre Bewegung, die 1789 Frankreich ergriffen hatte und in deren Folge sich im 20. Jahrhundert die »furchtbarsten Irrlehren« durchsetzen, ist für Arendt das historische Beispiel für die dramatische Gefahr, die in schrankenloser Beweglichkeit revolutionären Denkens liegen kann. Camus’ Der Mensch in der Revolte steht ähnlich für diese Kritik. Was bei ihm das revoltierende Aufbegehren ist, besitzt bei Arendt schon die institutionell gesichertere Form einer »Neugründung«, die sie in der Amerikanischen Revolution mit ihren pragmatisch handhabbaren Räumen des öffentlichen Sprechens sieht. Ihre amerikanischen Freunde belächelten manchmal ihre Emphase, oftmals ohne zu ahnen, wie sehr ihre Idealisierung der Gründerväter sich der Boden- und Rechtlosigkeit der Erfahrungen verdankte, denen Arendt seit 1933 ausgesetzt war, bevor sie sich über Frankreich und die Flucht über die Pyrenäen mit ihrem Mann in die Vereinigten Staaten retten und ein Leben aufbauen konnte.

Arendts ausführliches Porträt des Kritikers Lessing lässt sich nicht nur als retrospektive Verdichtung ihres eigenen Selbstverständnisses in der Debatte um den modernen Totalitarismus verstehen. Zugleich kündigt sich in der Begeisterung für die radikale Kritik kollektiver Glaubenswelten eine Leidenschaft in eigener jüdischer Sache aus, die bald im Jerusalemer Eichmann-Prozess im Namen individueller Überzeugungen die polemische und ironische Verve Lessings selbst verwirklichen wird. Dass daraufhin auch enge Freundschaften zu liberalen Intellektuellen deutsch-jüdischer Herkunft zerbrechen werden, ist eine Realität, die Arendt in ihrem utopischen Vertrauen, was solche Gespräche an Widersprüchlichkeiten aushalten können, kaum für möglich gehalten hätte. Sie hätte sich nicht träumen lassen, dass Kurt Blumenfeld, der ihre Rede so geschätzt hatte, sich nach ihren Veröffentlichungen der Eichmann-Artikel im New Yorker noch auf dem Totenbett von ihr abwenden würde, wie es Margarethe von Trottas Film Hannah Arendt zuletzt dramatisch inszenierte.

III

Kritik benötigt innere und äußere Freiheit, um zur Entfaltung kommen zu können. Deren prekäre Ausgangsbedingungen in der deutsch-jüdischen Geschichte hatte Arendt schon in ihrem ersten Buch fasziniert betrachtet, das nach einem Vierteljahrhundert im Jahr der Hamburger Rede erschienen war. Rahel Varnhagen. Aus dem Leben einer deutschen Jüdin in der Romantik hatte dem Versuch gegolten, nach Lessing in der Berliner Aufklärung das freie Gespräch unter kritischen Geistern aller Gesellschaftsschichten im eigenen Salon zu etablieren. Die Zerstörung der Illusionen, die sich Rahel Varnhagen lange über die freiheitliche Assimilation in die deutsche Bildungswelt gemacht hatte, schildert Arendts Biografie mit herber Deutlichkeit. Rahel, die zuletzt durch die Ehe mit Varnhagen van Ense in die christlich-deutsche Welt eingeheiratet hatte, musste, als in der Restaurationszeit die Judenverfolgung wieder einsetzte, ihren bitteren Irrtum einsehen. Dem Salon als freiem Forum war nur eine kurze Blüte vergönnt: »Da also die Welt sehr schlecht eingerichtet ist, immer weiter Hepp-hepp von allen Seiten ertönt – 1819 ging ein Pogromsturm über ganz Preußen – erscheint Rahel das alte, irreale, verzweifelte Sein mit einem Schlage viel realer, viel wahrer, viel passender. Es zeigt sich, daß der Paria nicht nur mehr Sinn für die ›wahren Realitäten‹ sich zu bewahren vermag, sondern unter Umständen auch mehr Wirklichkeit besitzt als der Parvenu, der, ein Scheindasein zu führen verurteilt, von allen Gegenständen einer nicht mehr für ihn eingerichteten Welt nur wie im Maskeradenspiel Besitz ergreift.«

So zeichnete Arendt im Bilde der deutschen Jüdin aus der Aufklärungszeit ihren eigenen Erkenntnisweg nach. Dass sie im Piper-Verlag nach dem zögerlichem Interesse des Verlegers auch auf erheblichen Widerstand bei dem Wunsch stieß, Rahel als Jüdin im Titel kenntlich zu machen, zeigt den restaurativen Geist der Zeit, zumal ihr Lektor – ohne dass sie es gewusst hätte – eine deutlich nationalsozialistische Vergangenheit hatte. So nimmt es nicht wunder, dass sie in Hamburg nun in eigener Sache ihren historischen Standort beim Namen nennt: ihre »Zugehörigkeit zu der Gruppe der aus Deutschland in verhältnismäßig jungem Alter vertriebenen Juden«. Es helfe nichts, wenn man meint, die Zeitläufe ignorieren und eine deutsch-jüdische Symbiose deklarieren zu können: »Diejenigen, die solche Identifizierungen einer feindlichen Welt ablehnen, mögen sich der Welt wunderbar überlegen fühlen, aber eine solche Überlegenheit ist dann wirklich nicht mehr von dieser Welt, sie ist die Überlegenheit eines besser oder schlechter ausstaffierten Wolkenkuckucksheims.«