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Melchior und Moritz verspüren die ersten sexuellen Regungen und fragen sich, warum sie in die Schule gehen sollen, wofür sie überhaupt auf der Welt sind. Wendla, Martha und Thea beginnen sich für Jungen zu interessieren. Ilse hat die Schule vorzeitig verlassen, um das Leben kennenzulernen. Während Melchior philosophiert, zittert Moritz um seine Versetzung. Allesamt erfahren sie Freud und Leid der Pubertät, schulischen Leistungsdruck, erste Liebe, erste Enttäuschungen. Als Moritz die Schule nicht schafft und Wendla schwanger wird, eskalieren die Ereignisse. Hilfe ist nicht zu erwarten, denn mitteilen können sie sich nicht. Die Erwachsenen bilden eine undurchdringliche Mauer aus Unverständnis und Unbeholfenheit.
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Seitenzahl: 60
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Markus Orths
Frühlings Erwachen
nach Frank Wedekind
Melchior und Moritz verspüren die ersten sexuellen Regungen und fragen sich, warum sie in die Schule gehen sollen, wofür sie überhaupt auf der Welt sind. Wendla, Martha und Thea beginnen sich für Jungen zu interessieren. Ilse hat die Schule vorzeitig verlassen, um das Leben kennenzulernen. Während Melchior philosophiert, zittert Moritz um seine Versetzung. Allesamt erfahren sie Freud und Leid der Pubertät, schulischen Leistungsdruck, erste Liebe, erste Enttäuschungen. Als Moritz die Schule nicht schafft und Wendla schwanger wird, eskalieren die Ereignisse. Hilfe ist nicht zu erwarten, denn mitteilen können sie sich nicht. Die Erwachsenen bilden eine undurchdringliche Mauer aus Unverständnis und Unbeholfenheit.
6 D |9 H, Mehrfachbes. möglich
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Personen
Wendla Bergmann
Frau Bergmann
Martha Bessel
Ilse
Frau Gabor
Moritz Stiefel
Melchior Gabor
Hänschen Rilow
Ernst
Georg
Rektor Sonnenstich
Herr Gabor
Lehrer:
A
C
D
Erste Szene
Wendlas Zimmer. Musik: Christina Aguilera. Wendla liegt auf dem Bett und tanzt. Ihre Mutter rüttelt an der Klinke, klopft stärker an die Tür.
Frau Bergmann (geht an ihr vorbei hinein)
Ich denke, du machst Hausaufgaben? Mit Musik...?
Wendla
...kann ich mir Vokabeln besser merken.
Frau Bergmann
Was für Vokabeln?
Wendla
Words don’t bring me down. To bring someone down. Oder to fall down. To go down. (plötzlich lachend) To go down ON SOMEONE. Weißt du, was das heißt?
Frau Bergmann
Wendla, du darfst dein Talent nicht vergeuden.
Wendla
Ich darf meine Zeit nicht vergeuden.
Frau Bergmann
Du könntest, wenn du wolltest...
Wendla
Ich könnte viel.
Frau Bergmann
Wenn du nicht so faul wärst, du...
Wendla (singt und hält sich die Ohren zu)
„Words don’t bring me down…“
Frau Bergmann
Der Direktor hat gerade angerufen.
Wendla
Sonnenstich?
Frau Bergmann
Herr Doktor Sonnenschein.
Wendla
Was wollte er?
Frau Bergmann
Es gab Beschwerden. Über deine Kleidung. Die Lehrer fühlen sich irritiert. Kein Wunder. Man weiß ja gar nicht mehr, wo man hinschauen soll, wenn man dich sieht.
Wendla
Mir ist egal, was sie sagen. (Singt) „I’m beautiful.“
Frau Bergmann (deutet auf Wendlas Kleidung)
Findest du das schön?
Wendla
Was willst du denn? Soll ich etwa rumlaufen wie die Schneider? Da kann doch niemand mehr erkennen, ob das überhaupt eine Frau ist! Das nennt sich Feminismus? Dass sich die Frauen genauso anziehen wie die Männer? Bei mir gibt es nun mal Dinge, die sich sehen lassen können. Und Dinge, die sich sehen lassen können, wollen gezeigt werden.
Frau Bergmann
Also man verlangt jedenfalls, dass du dich in der Schule gesitteter kleidest.
Wendla
Warum denn?
Frau Bergmann
Weil ... weil ... deine Kleidung ablenkt!
Wendla
Wen?
Frau Bergmann
Die ... Lehrer, die ... Schüler, einfach alle.
Wendla
Wovon?
Frau Bergmann
Vom ... vom Wesentlichen.
Wendla
Was ist das Wesentliche?
Frau Bergmann
Das Wesentliche ist ... Wendla. Es ist ... Es ist das Leben. Ich meine das WIRKLICHE Leben. Das RICHTIGE Leben. Das hat nicht immer was mit ... mit Lust und Leichtigkeit zu tun. Es sind tausend Möglichkeiten, die vor dir liegen, Wege, die irgendwohin führen. Du kannst wählen, Wendla, auswählen, dir steht alles offen! Aber dazu brauchst du die Schule. Du musst dich reinhängen. Konzentrieren. Deine Fähigkeiten ausschöpfen. Wirf nicht alles fort für kurzfristige ... Vergnügungen. Das Leben hat den längeren Atem, Wendla.
Wendla (ernst)
Ich denke oft daran, wie es ist, nicht mehr zu sein.
Frau Bergmann
Was meinst du?
Wendla
Die Gedanken kommen nachts. Wenn ich nicht schlafen kann. Dann sehe ich plötzlich einen Atemzug vor mir und weiß, das ist der letzte. Mir zerfallen die Zähne im Mund. Es ist alles leer. (schreibt den Aguilera-Satz ins Vokabelheft) Trying hard to fill the emptiness. Aber ich weiß dann: Ich muss jeden Zug, der mir noch bleibt, auf der Zunge zergehen lassen. Das ist alles, was zählt. Ich weiß auch schon wie, Mutter. Da ist noch etwas in mir, das sich...
Frau Bergmann
Das ist nur das Alter.
Wendla
Was?
Frau Bergmann
Das geht vorbei, Wendla, das geht vorbei.
Wendla (nachdenklich)
Was geht sonst noch vorbei, Mutter?
Frau Bergmann
In Zukunft will ich keine nackte Haut mehr sehen, wenn du in die Schule gehst. Ist das klar?
Wendla
Was geht sonst noch vorbei, Mutter?
Frau Bergmann
Genug geredet. Lern jetzt weiter, Wendla, lern weiter! Ab
Wendla (allein)
Was geht sonst noch vorbei?
Zweite Szene
Die Jungen (Ernst, Hänschen, Georg, Melchior, Moritz) beim Basketballspielen. Letzter Korb.
Hänschen
Was soll das?
Melchior
Das ist mir zu langweilig. Ich mach nicht mehr mit.
Hänschen
Okay, Moritz und Georg.
Georg
Hast Du schon Latein gelernt?
Melchior
Spielt ruhig weiter.
Moritz
Wohin gehst du?
Melchior
Spazieren.
Ernst
Es wird ja dunkel.
Melchior
Warum soll ich nicht im Dunkeln spazieren gehen?
Georg
Gerundium! - Plusquamperfekt! - Übersetzung! - ACI!
Moritz
An nichts kann man denken, ohne dass einem die Schule dazwischenkommt!
Hänschen
Ich geh nach Hause.
Ernst
Ich auch.
Georg
Gute Nacht.
Melchior
Gute Nacht.
Alle entfernen sich bis auf Moritz und Melchior.
Melchior
Möchte doch wissen, wozu wir eigentlich auf der Welt sind!
Moritz
Und wozu wir in die Schule gehen! – Ich kann’s dir sagen: (zeigt auf seinen Kopf) Damit sie uns vollstopfen können! – Und warum stopfen sie uns voll? – Damit sie uns prüfen können! – Und warum prüfen sie uns? – Damit wir durchfallen.
Melchior
Kennst du die Gauß’sche Normalverteilung?
Moritz
Was?
Melchior
Die Gauß’sche Normalverteilung. Die Notenkurve sieht immer aus wie ein ... wie ein Grabhügel. Wenig gute Noten, wenig schlechte, viel Durchschnitt. Das heißt, ein paar von uns werden immer durchfallen.
Moritz
Wenn mein Vater nicht wär, ich wär schon längst über alle Berge. – – – Mir ist so komisch zu Mute. Siehst du die schwarze Katze?
Melchior
Glaubst du an so was?
Moritz
Ich weiß nicht. – Es hat nichts zu sagen.
Melchior
„Ich glaube, das ist eine Charybdis, in die jeder stürzt, der sich aus der Skylla religiösen Irrwahns emporgerungen.“
Moritz
Wer sagt das?
Melchior
Wedekind, Frühlings Erwachen.
Moritz
In Deutsch bin ich genauso schlecht wie in Latein.
Melchior(dozierend)
mens sana in corpore sano.
Moritz
Was machst du?
Melchior
Ich ziehe mein T-Shirt aus. Es ist klatschnass. Wenn der Schweiß trocknet, wird er kalt. Na los! Oder traust du dich nicht?
Moritz (zieht sein T-Shirt aus)
Glaubst du an so etwas wie Schamgefühl?
Melchior
Schamgefühl? Das war nur ein T-Shirt, mein Freund. Stell dir vor, du musst dich GANZ ausziehen. Hier. Jetzt. Sofort. Würdest du es tun?
Moritz
Nein.
Melchior
Angsthase.
Moritz
Als ob DU dich trauen würdest!
Melchior
Sag so was nicht, Moritz. Ich würde es tun, aber nur, wenn du es auch tust!
Moritz
Angeber!
Melchior
Eigentlich ist es einfach. (Zieht sich Schuhe und Strümpfe aus.)
Moritz(wird unruhiger)
Komm, hör doch auf damit!
Melchior