Frühlings Erwachen - Markus Orths - E-Book

Frühlings Erwachen E-Book

Markus Orths

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Beschreibung

Melchior und Moritz verspüren die ersten sexuellen Regungen und fragen sich, warum sie in die Schule gehen sollen, wofür sie überhaupt auf der Welt sind. Wendla, Martha und Thea beginnen sich für Jungen zu interessieren. Ilse hat die Schule vorzeitig verlassen, um das Leben kennenzulernen. Während Melchior philosophiert, zittert Moritz um seine Versetzung. Allesamt erfahren sie Freud und Leid der Pubertät, schulischen Leistungsdruck, erste Liebe, erste Enttäuschungen. Als Moritz die Schule nicht schafft und Wendla schwanger wird, eskalieren die Ereignisse. Hilfe ist nicht zu erwarten, denn mitteilen können sie sich nicht. Die Erwachsenen bilden eine undurchdringliche Mauer aus Unverständnis und Unbeholfenheit.

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Markus Orths

Frühlings Erwachen

nach Frank Wedekind

Melchior und Moritz verspüren die ersten sexuellen Regungen und fragen sich, warum sie in die Schule gehen sollen, wofür sie überhaupt auf der Welt sind. Wendla, Martha und Thea beginnen sich für Jungen zu interessieren. Ilse hat die Schule vorzeitig verlassen, um das Leben kennenzulernen. Während Melchior philosophiert, zittert Moritz um seine Versetzung. Allesamt erfahren sie Freud und Leid der Pubertät, schulischen Leistungsdruck, erste Liebe, erste Enttäuschungen. Als Moritz die Schule nicht schafft und Wendla schwanger wird, eskalieren die Ereignisse. Hilfe ist nicht zu erwarten, denn mitteilen können sie sich nicht. Die Erwachsenen bilden eine undurchdringliche Mauer aus Unverständnis und Unbeholfenheit.

6 D |9 H, Mehrfachbes. möglich

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Theatertexte finden Sie unter www.dreimaskenverlag.de

Copyright © Drei Masken Verlag GmbH, Herzog-Heinrich-Straße 18, 80336 München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u.a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Drei Masken Verlag GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

Personen

Wendla Bergmann

Frau Bergmann

Martha Bessel

Ilse

Frau Gabor

Moritz Stiefel

Melchior Gabor

Hänschen Rilow

Ernst

Georg

Rektor Sonnenstich

Herr Gabor

Lehrer:

A

C

D

Erster Akt

Erste Szene

Wendlas Zimmer. Musik: Christina Aguilera. Wendla liegt auf dem Bett und tanzt. Ihre Mutter rüttelt an der Klinke, klopft stärker an die Tür.

Frau Bergmann (geht an ihr vorbei hinein)

Ich denke, du machst Hausaufgaben? Mit Musik...?

Wendla

...kann ich mir Vokabeln besser merken.

Frau Bergmann

Was für Vokabeln?

Wendla

Words don’t bring me down. To bring someone down. Oder to fall down. To go down. (plötzlich lachend) To go down ON SOMEONE. Weißt du, was das heißt?

Frau Bergmann

Wendla, du darfst dein Talent nicht vergeuden.

Wendla

Ich darf meine Zeit nicht vergeuden.

Frau Bergmann

Du könntest, wenn du wolltest...

Wendla

Ich könnte viel.

Frau Bergmann

Wenn du nicht so faul wärst, du...

Wendla (singt und hält sich die Ohren zu)

„Words don’t bring me down…“

Frau Bergmann

Der Direktor hat gerade angerufen.

Wendla

Sonnenstich?

Frau Bergmann

Herr Doktor Sonnenschein.

Wendla

Was wollte er?

Frau Bergmann

Es gab Beschwerden. Über deine Kleidung. Die Lehrer fühlen sich irritiert. Kein Wunder. Man weiß ja gar nicht mehr, wo man hinschauen soll, wenn man dich sieht.

Wendla

Mir ist egal, was sie sagen. (Singt) „I’m beautiful.“

Frau Bergmann (deutet auf Wendlas Kleidung)

Findest du das schön?

Wendla

Was willst du denn? Soll ich etwa rumlaufen wie die Schneider? Da kann doch niemand mehr erkennen, ob das überhaupt eine Frau ist! Das nennt sich Feminismus? Dass sich die Frauen genauso anziehen wie die Männer? Bei mir gibt es nun mal Dinge, die sich sehen lassen können. Und Dinge, die sich sehen lassen können, wollen gezeigt werden.

Frau Bergmann

Also man verlangt jedenfalls, dass du dich in der Schule gesitteter kleidest.

Wendla

Warum denn?

Frau Bergmann

Weil ... weil ... deine Kleidung ablenkt!

Wendla

Wen?

Frau Bergmann

Die ... Lehrer, die ... Schüler, einfach alle.

Wendla

Wovon?

Frau Bergmann

Vom ... vom Wesentlichen.

Wendla

Was ist das Wesentliche?

Frau Bergmann

Das Wesentliche ist ... Wendla. Es ist ... Es ist das Leben. Ich meine das WIRKLICHE Leben. Das RICHTIGE Leben. Das hat nicht immer was mit ... mit Lust und Leichtigkeit zu tun. Es sind tausend Möglichkeiten, die vor dir liegen, Wege, die irgendwohin führen. Du kannst wählen, Wendla, auswählen, dir steht alles offen! Aber dazu brauchst du die Schule. Du musst dich reinhängen. Konzentrieren. Deine Fähigkeiten ausschöpfen. Wirf nicht alles fort für kurzfristige ... Vergnügungen. Das Leben hat den längeren Atem, Wendla.

Wendla (ernst)

Ich denke oft daran, wie es ist, nicht mehr zu sein.

Frau Bergmann

Was meinst du?

Wendla

Die Gedanken kommen nachts. Wenn ich nicht schlafen kann. Dann sehe ich plötzlich einen Atemzug vor mir und weiß, das ist der letzte. Mir zerfallen die Zähne im Mund. Es ist alles leer. (schreibt den Aguilera-Satz ins Vokabelheft) Trying hard to fill the emptiness. Aber ich weiß dann: Ich muss jeden Zug, der mir noch bleibt, auf der Zunge zergehen lassen. Das ist alles, was zählt. Ich weiß auch schon wie, Mutter. Da ist noch etwas in mir, das sich...

Frau Bergmann

Das ist nur das Alter.

Wendla

Was?

Frau Bergmann

Das geht vorbei, Wendla, das geht vorbei.

Wendla (nachdenklich)

Was geht sonst noch vorbei, Mutter?

Frau Bergmann

In Zukunft will ich keine nackte Haut mehr sehen, wenn du in die Schule gehst. Ist das klar?

Wendla

Was geht sonst noch vorbei, Mutter?

Frau Bergmann

Genug geredet. Lern jetzt weiter, Wendla, lern weiter! Ab

Wendla (allein)

Was geht sonst noch vorbei?

Zweite Szene

Die Jungen (Ernst, Hänschen, Georg, Melchior, Moritz) beim Basketballspielen. Letzter Korb.

Hänschen

Was soll das?

Melchior

Das ist mir zu langweilig. Ich mach nicht mehr mit.

Hänschen

Okay, Moritz und Georg.

Georg

Hast Du schon Latein gelernt?

Melchior

Spielt ruhig weiter.

Moritz

Wohin gehst du?

Melchior

Spazieren.

Ernst

Es wird ja dunkel.

Melchior

Warum soll ich nicht im Dunkeln spazieren gehen?

Georg

Gerundium! - Plusquamperfekt! - Übersetzung! - ACI!

Moritz

An nichts kann man denken, ohne dass einem die Schule dazwischen­kommt!

Hänschen

Ich geh nach Hause.

Ernst

Ich auch.

Georg

Gute Nacht.

Melchior

Gute Nacht.

Alle entfernen sich bis auf Moritz und Melchior.

Melchior

Möchte doch wissen, wozu wir eigentlich auf der Welt sind!

Moritz

Und wozu wir in die Schule gehen! – Ich kann’s dir sagen: (zeigt auf seinen Kopf) Damit sie uns vollstopfen können! – Und warum stopfen sie uns voll? – Damit sie uns prüfen können! – Und warum prüfen sie uns? – Damit wir durchfallen.

Melchior

Kennst du die Gauß’sche Normalverteilung?

Moritz

Was?

Melchior

Die Gauß’sche Normalverteilung. Die Notenkurve sieht immer aus wie ein ... wie ein Grabhügel. Wenig gute Noten, wenig schlechte, viel Durchschnitt. Das heißt, ein paar von uns werden immer durchfallen.

Moritz

Wenn mein Vater nicht wär, ich wär schon längst über alle Berge. – – – Mir ist so komisch zu Mute. Siehst du die schwarze Katze?

Melchior

Glaubst du an so was?

Moritz

Ich weiß nicht. – Es hat nichts zu sagen.

Melchior

„Ich glaube, das ist eine Charybdis, in die jeder stürzt, der sich aus der Skylla religiösen Irrwahns emporgerungen.“

Moritz

Wer sagt das?

Melchior

Wedekind, Frühlings Erwachen.

Moritz

In Deutsch bin ich genauso schlecht wie in Latein.

Melchior(dozierend)

mens sana in corpore sano.

Moritz

Was machst du?

Melchior

Ich ziehe mein T-Shirt aus. Es ist klatschnass. Wenn der Schweiß trocknet, wird er kalt. Na los! Oder traust du dich nicht?

Moritz (zieht sein T-Shirt aus)

Glaubst du an so etwas wie Schamgefühl?

Melchior

Schamgefühl? Das war nur ein T-Shirt, mein Freund. Stell dir vor, du musst dich GANZ ausziehen. Hier. Jetzt. Sofort. Würdest du es tun?

Moritz

Nein.

Melchior

Angsthase.

Moritz

Als ob DU dich trauen würdest!

Melchior

Sag so was nicht, Moritz. Ich würde es tun, aber nur, wenn du es auch tust!

Moritz

Angeber!

Melchior

Eigentlich ist es einfach. (Zieht sich Schuhe und Strümpfe aus.)

Moritz(wird unruhiger)

Komm, hör doch auf damit!

Melchior