Fürsten-Roman 2565 - Sandra Heyden - E-Book

Fürsten-Roman 2565 E-Book

Sandra Heyden

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Beschreibung

Sie liebt den Bruder des jungen Fürsten
Doch ihr Herz muss schweigen

Die Verlobungsfeier seines Bruders beginnt in einer Stunde, und Gideon muss vorher unbedingt noch einmal frische Luft schnappen, die Gedanken und Gefühle zügeln, die ihn und vor allem sein Herz so beherrschen. Er tritt an die Brüstung der weitläufigen Schlossterrasse, als sein Blick auf Zoe fällt.
Seine zukünftige Schwägerin ist ebenfalls schon für den Ball zurechtgemacht und spaziert gedankenverloren durch den Park. Sie sieht wunderschön aus - und Gideons Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Zoe! Die atemberaubend schöne Zoe wird einen anderen heiraten. Dieser Gedanke ist unerträglich für den Prinzen. Warum hat er seine Gefühle für sie nicht früher erkannt - zu einem Zeitpunkt, als er ihr noch hätte sagen können, dass er sie liebt, dass er sein unstetes Leben für sie aufgeben wird? Aber jetzt ist es zu spät, sie wird seinen Bruder heiraten. Einen Mann, der ihr Sicherheit und Geborgenheit bieten kann ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Sie liebt den Bruder des Fürsten

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy / Bastei Verlag

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-7479-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Sie liebt den Bruder des Fürsten

Doch ihr Herz muss schweigen

Von Sandra Heyden

Die Verlobungsfeier seines Bruders beginnt in einer Stunde, und Gideon muss vorher unbedingt noch einmal frische Luft schnappen, die Gedanken und Gefühle zügeln, die ihn und vor allem sein Herz so beherrschen. Er tritt an die Brüstung der weitläufigen Schlossterrasse, als sein Blick auf Zoe fällt.

Seine zukünftige Schwägerin ist ebenfalls schon für den Ball zurechtgemacht und spaziert gedankenverloren durch den Park. Sie sieht wunderschön aus – und Gideons Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Zoe! Die atemberaubend schöne Zoe wird einen anderen heiraten. Dieser Gedanke ist unerträglich für den Prinzen. Warum hat er seine Gefühle für sie nicht früher erkannt – zu einem Zeitpunkt, als er ihr noch hätte sagen können, dass er sie liebt, dass er sein unstetes Leben für sie aufgeben wird? Aber jetzt ist es zu spät, sie wird seinen Bruder heiraten. Einen Mann, der ihr Sicherheit und Geborgenheit bieten kann …

Edda von Raydt stand bis zu den Hüften im voll erblühten Ginster, als sie das kleine gelbe Postauto die schmale Klinkerstraße zwischen der Häuserzeile und dem Deich heraufkommen sah. Es wurde langsamer und hielt dann direkt vor dem weißen Staketenzaun, der ihren Vorgarten von der Straße trennte.

Edda stellte die Hacke an den Zaun, wischte sich die schmutzigen Hände an dem Overall, den sie bei der Gartenarbeit zu tragen pflegte, ab und ging dem Postboten entgegen.

»Moin, Ludger«, begrüßte sie ihn lächelnd.

»Moin, Edda«, erwiderte er freundlich. Er war ein kleiner beleibter Mann mit ungewöhnlich roten lockigen Haaren, die selbst dann noch leuchteten, wenn die Sonne sich einsam hinter die Wolken zurückgezogen hatte, so, wie an diesem Morgen. »So früh schon im Garten?«

»Ist die beste Zeit dafür. Hast du etwas für mich?«

»Ein Einschreiben«, entgegnete er ein wenig sensationsheischend. »Kommt aus München. Du musst hier unterschreiben.« Er hielt ihr ein elektronisches Gerät hin, auf dessen Display sie ihren Namen hinterließ. »Also dann – schönen noch Tag, Edda.«

Edda nahm kaum wahr, dass der Postbote zu seinem Wagen zurückging und davonfuhr. Sie starrte auf den Brief in ihrer Hand.

Aus München!

Ihr Herz gefror zu Eis.

Langsam ging sie zurück ins Haus, die schmale Treppe in ihr kleines Schlafzimmer hinauf. Von hier aus hatte sie einen großartigen Blick über den Deich auf die weite Dünung der Nordsee. Mechanisch setzte sie sich auf die kleine Bank unter dem Fenster, ihren Lieblingsplatz, und wendete den Brief in ihren Händen hin und her. Sie zögerte, ihn zu öffnen.

München – das weckte keine besonders angenehmen Erinnerungen!

Doch schließlich gab sie sich einen Ruck, riss den Umschlag auf und zog zwei eng beschriebene, sehr offiziell wirkende Seiten hervor. In edel geschwungenen Lettern prangte der Name eines ihr wohlbekannten Münchener Anwaltskonsortiums auf dem Briefkopf.

Doch was sie dann las, erschütterte sie doch.

Er war also heimgegangen!

Nach langer schwerer Krankheit, hieß es da, sei Rudolf Rembert Paul Fürst von Achingen-Raydt am 12. März dieses Jahres verstorben.

Edda von Raydts schlanke Finger wollten sich fast in das Papier krallen. Die Vergangenheit überfiel sie wie ein dunkler Schatten, und ihr Blick wanderte durch das schmale Sprossenfenster über den Deich hinaus auf die offene See. Grau wogten die Wellen der Nordsee und trugen Eddas Gedanken in eine weit zurückliegende Zeit …

Mehr als neunundzwanzig Jahre war es her. Wirklich schon so lange? Doch, ja – Gideon stand bereits vor seinem dreißigsten Geburtstag! Mit achtzehn Jahren hatte sie sich in den mehr als zehn Jahre älteren, gut aussehenden, weltgewandten Rudolf Fürst von Achingen-Raydt verliebt. Wie jung sie gewesen war, wie naiv und gutgläubig! Er war ihre große Liebe gewesen. Und doch hatte er letztlich nicht zu ihr stehen können, denn ihre Herkunft war nicht standesgemäß. Seine adelsstolze Familie hatte Edda das nie vergessen lassen, er hatte dem Druck seiner Verwandtschaft nicht standhalten können. Vor allem nicht dem seiner überaus strengen Tante Augusta, der herrschsüchtigen Matriarchin der Familie.

Schließlich hatte die junge Fürstin es nicht mehr ertragen. Mit dem knapp dreijährigen Tristan auf dem Arm hatte sie Rudolf verlassen, nicht ahnend, dass sie zu diesem Zeitpunkt wieder schwanger war. Natürlich hatte er sich Tristan zurückgeholt, seinen Erstgeborenen, den Erben des Fürstentitels, der standesgemäß erzogen werden musste.

Aus Stolz hatte Edda jede Unterstützung von ihm abgelehnt, hatte ihn nie wissen lassen, wohin sie gegangen war, ihn nie von der Existenz des kleinen Gideon unterrichtet, aus Angst, er würde ihr auch das zweite Kind wegnehmen. Sie war nach Schleswig-Holstein geflohen, wo ihr wesentlich älterer Bruder gerade eine Arztpraxis eröffnet hatte und bereit war, sie und den Neffen bei sich aufzunehmen.

Nach ein paar Jahren hatte der Bruder ihr ein eigenes Haus gekauft. Hier direkt am Deich zwischen Husum und St. Peter Ording standen nur wenige Eigenheime. Doch sie liebte die Gegend und war überzeugt, dass Rudolf oder seine Familie sie und Gideon in dieser ländlichen Einöde niemals finden würden.

Offensichtlich hatte er sie dennoch gefunden, wusste alles über sie und den Jungen, wie der Brief der Anwälte ihr offenbarte.

Fürst Rudolf hatte seinem zweiten Sohn Gideon ein Vermögen hinterlassen, das er sich mit Tristan und einer Halbschwester namens Cynthia teilen sollte.

Tristan! Wie oft hatte sie an ihren Sohn gedacht, wie heiß war die Sehnsucht nach dem geliebten Kind gewesen. Nun war er der Fürst. Ob er sie sehen wollte? Ob er überhaupt wusste, dass seine Mutter lebte, dass es einen Bruder gab?

Gideon jedenfalls wusste es nicht. Sie hatte es ihm nie gesagt. Ihm auch nie erklärt, wer sein Vater war.

Er sollte zur Testamentseröffnung erscheinen, sein Erbe antreten. Alles in ihr sperrte sich dagegen, ihren Sohn in diese Hölle gehen zu lassen. Eddas Sohn war auf das Erbe seines leiblichen Vaters nicht angewiesen. Sein Onkel würde es nur zu gern sehen, wenn Gideon eines Tages die Praxis übernähme, und hatte die Hoffnung darauf noch nicht aufgegeben.

Gideon hatte lange zwischen seinem ausgeprägten Hang zur Medizin und seiner ebenso deutlichen künstlerischen Begabung geschwankt hatte und sich schließlich für die Kunst entschieden. Er lebte schon seit Jahren in Berlin. Inzwischen konnte er von seinen Werken leben, wenn auch mehr schlecht als recht. Doch Gideon träumte auch nicht vom Luxus. Sein Leben war von einer Leichtigkeit, um die Edda ihn oft beneidete. Ihr Sohn belastete sich weder mit Geld noch Gut. Sein Leben war ein einziges Fest. Er lebte in den Tag hinein, feierte Partys, malte, hatte Liebschaften, die nie lange genug dauerten, um verpflichtend zu werden. Gideon war ein sympathischer Bohemien, der sein Leben leichtnahm.

Die Familie von Achingen hatte nie etwas mit ihm oder ihr, der Mutter des neuen Fürsten, zu tun haben wollen. Dann sollte es jetzt auch so bleiben. Sie würde Gideon nichts sagen. Er sollte sein Leben so leben, wie es ihm gefiel. Er sollte nicht durch ihre Vergangenheit belastet werden. Niemals!

***

»Ich fasse es nicht!«

In einem für ihn ungewohnten Wutausbruch zerschmetterte Tristan Fürst von Achingen-Raydt den schweren, kostbaren Silberrahmen, der das Bild seines erst kürzlich verstorbenen Vaters enthielt. Erschüttert ließ er sich in das elegante Chesterfield-Sofa sinken und starrte in die dunkle Höhle des Kamins.

»Ich fasse es einfach nicht«, brach es noch einmal aus ihm heraus.

Er wunderte sich kaum, als eine besorgte Hetty plötzlich sein Arbeitszimmer betrat und irritiert zuerst die Glasscherben und dann sein von zorniger Wut gerötetes Gesicht bemerkte.

»Was ist passiert?«, wollte sie mitfühlend wissen.

»Das ist passiert«, knurrte er und wies auf einen mehrseitigen Brief auf dem mächtigen Schreibtisch. »Lies ihn, dann weißt du es.«

Er hatte keine Geheimnisse vor ihr. Noch nie gehabt. Henriette Komtess von Sandorff war die Tochter des besten Freundes seines Vaters und praktisch auf dem Schloss aufgewachsen. Von Anfang an hatte er Hetty geliebt. Sie war seine Freundin geworden, seine Vertraute, sie war wie eine kleine Schwester für ihn. Jetzt, nach dem Tod seines Vaters, als auf dem Schloss alles zwischen Chaos und Lethargie zu stagnieren drohte, hatte sie wie selbstverständlich die Zügel in die Hand genommen und seitdem funktionierte wieder alles wie gewohnt. Tristan war ihr unglaublich dankbar dafür.

»Das ist ein Brief deines Vaters«, wunderte sie sich.

»Ja, er hielt es für notwendig, mich vor der Testamentseröffnung davon in Kenntnis zu setzten, dass meine Mutter nicht, wie er es mich all die Jahre hat glauben lassen, tot ist, sondern in Schleswig-Holstein lebt. Und einen Bruder habe ich auch noch. Gideon. Lebt in Berlin und ist Kunstmaler, oder so was in der Art.«

»Das muss alles sehr erschütternd für dich sein«, meinte Hetty mit ruhiger, doch besorgter Stimme. Mit dem Brief in der Hand setzte sie sich neben ihn.

»Würde es dich nicht erschüttern, wenn du erfahren müsstest, dass deine Mutter noch lebt und du einen Bruder hast, den du überhaupt nicht kennst?«

»Aber natürlich würde es das, und ich wäre vermutlich ebenso zornig auf meinen Vater wie du jetzt.«

Hettys ruhige Stimme nahm seiner Wut rasch die Schärfe.

»Er soll zur Testamentseröffnung kommen. Vater hat ihn wohl als einen der Erben eingesetzt.«

»Das wird Cynthia nicht freuen«, entgegnete Hetty, und eine kleine steile Falte erschien auf ihrer Stirn, wie immer, wenn irgendetwas größte Besorgnis in ihr hervorrief.

»Sicher nicht«, stimmte er ihr zu.

»Glaubst du, er wird kommen?«

»Gideon? Warum nicht? Soweit ich es dem Brief meines Vaters entnehmen kann, leben sowohl er, als auch meine Mutter in bescheidenen Verhältnissen. Und er ist Künstler, mein Gott. Er wird sich die Chance an Geld – an sehr viel Geld – zu kommen, nicht entgehen lassen.«

In diesem Augenblick rauschte Cynthia herein und knallte die Tür so laut zu, dass Tristan und Henriette auf dem Sofa zusammenzuckten.

Wie ein Racheengel baute sich die junge Prinzessin vor dem Kamin auf und starrte ihren Halbbruder erzürnt an.

»Ist es wahr?«, wollte sie grimmig wissen, und ihre dunklen Augen schossen wahre Blitze auf ihn ab.

Eigentlich war Cynthia mit ihren knapp zwanzig Jahren eine kleine Schönheit, wie Tristan fand. Sie besaß eine aufregende Figur, volles dunkles Haar und einen Schmollmund, der schon manchen Mann um den Verstand gebracht hatte. Aber leider war sie auch durch und durch berechnend, arrogant und kaltherzig. Sie war eine Echte von Achingen-Raydt, wie er immer wieder seufzend feststellte.

»Was ist wahr?«, gab er die Frage zurück.

»Dass es noch einen Bruder gibt?«

Tristan runzelte die Stirn. »Woher weißt du das?«

Hetty lachte kurz auf. »Auch eine Anwaltskanzlei beschäftigt junge Herren, die der Anziehungskraft unserer lieben Cynthia nicht widerstehen können«, meinte sie nur.

»So ist es«, gab Cynthia ihr recht. »Also, ist es wahr?«

»Tja, du wirst dich mit der Tatsache wohl abfinden müssen, dass das Erbteil, das du dir erhofft hast, ein wenig kleiner ausfällt. Wir werden teilen müssen, meine Liebe.«

»Niemals. Ist er überhaupt echt? Gibt es einen Vaterschaftstest?«

»Vor allem gibt es keine Zweifel«, teilte Tristan ihr mit und bedeutete Hetty, seiner Schwester den Brief des verstorbenen Fürsten auszuhändigen.

Cynthia überflog ihn rasch mit zunehmender Erbitterung.

»Das fasse ich nicht«, empörte sie sich schließlich. »Das werde ich nicht dulden. Auf keinen Fall. Verdammt, ich muss sofort mit Theresia sprechen.« Schon riss sie die Tür auf, um hinauszustürmen, als sie noch einmal innehielt. »Wird er zur Testamentseröffnung kommen?«, fragte sie und gab sich die Antwort gleich selbst: »Natürlich wird er kommen. So ein Künstler nagt am Hungertuch und ist überglücklich über die Aussicht auf so viel Geld.«

***

Doch Gideon kam nicht, und insgeheim revidierte Tristan sein hartes Urteil über den unbekannten Bruder. Der Bruder selbst war jedoch nichts, was man einfach ignorieren konnte. Er wollte ihn sehen. Er wollte ihn kennenlernen. Ihn mehr als die Mutter, der er insgeheim Vorwürfe machte, ihn als hilfloses Kleinkind schnöde verlassen und der kaltherzigen Familie seines Vaters überlassen zu haben.

Und so machte sich Fürst Tristan zwei Tage nach der Testamentseröffnung, auf Hettys Rat hin, auf den Weg ins turbulente Berlin. Der schwere Bentley, in dem er sich kutschieren zu lassen pflegte, hielt schließlich vor einer etwas heruntergekommenen Mietskaserne am Prenzlauer Berg.

»Sind sie sicher, dass das die richtige Adresse ist, Fritz?«, fragte er seinen Chauffeur.

»Leider ja, Durchlaucht«, gab dieser bedauernd zu verstehen und fügte besorgt hinzu: »Soll ich Sie nicht lieber begleiten?«

Fürst Tristan seufzte. In seinem ganzen dreiunddreißigjährigen Leben hatte er noch nie Kontakt zu Bewohnern solcher »Kaschemmen«, aufnehmen müssen. Er konnte sich auch beim besten Willen nicht vorstellen, was erstrebenswert daran sein sollte, an einem Ort wie diesem sein Dasein zu fristen. Dennoch wohnte sein Bruder hier. Und dieser Bruder war nicht zur Testamentseröffnung erschienen, hatte damit nicht das geringste Interesse am Erbe eines Riesenvermögens gezeigt, das ihm zweifelsohne zustand. Tristans Hochachtung wuchs.

Als Fritz ihm die Wagentür öffnete, stieg er aus und begab sich in den dunkel gähnenden Hausflur des grau verputzten Gebäudes, das in der Tat schon bessere Zeit gesehen hatte. An einer Batterie von Briefkästen suchte er nach dem Namen des Bruders. Nirgendwo stand der Name Achingen, aber schließlich entdeckte er ein verschlissenes Schildchen auf dem G. von Raydt stand. Das musste er sein. Natürlich wohnte er im Dachgeschoss und natürlich funktionierte der altertümliche Aufzug nicht.

Ihm blieb keine andere Wahl als fünf Stockwerke knarrende Treppen emporzusteigen. Er fand die Tür zur Wohnung seines Bruders nur angelehnt, dennoch hielt er es für angebracht, sein Erscheinen mit einem dezenten Klopfen anzukündigen. Als sich keine Reaktion zeigte, wurde sein Klopfen energischer.

»Die Tür ist doch offen, Herrgott«, ertönte eine etwas verärgerte, doch angenehme, dunkle Männerstimme.

Tristan fasste das als Einladung auf einzutreten und kam dem nach. Er trat direkt in ein Zimmer, dessen Chaos ihn praktisch erschlug. In dem großen Raum, der gleichzeitig sowohl als Wohn- und Schlafzimmer als auch als Atelier zu dienen schien, gab es nicht eine einzige ordentliche, geschweige denn saubere Stelle. Überall hing und lag Wäsche, auf einem wackeligen Couchtisch stapelte sich benutztes Geschirr, auf dem Boden fanden sich Essenreste. Der junge Fürst verstand nicht, wie man in einem solchen Unrat leben konnte.

Unter großen Dachflächenfenstern stand eine Staffelei, darüber hing ein schmutziges Laken, das offenbar ein halb fertiges Bild verbarg, daneben eine Art Tapeziertisch, der eine Vielzahl von Malutensilien beherbergte.

»Herr von Raydt?« Tristan war irritiert, denn der Raum war menschenleer.

»Wer will das wissen?« Die Stimme kam aus dem Hintergrund, wo eine Tür in ein kleines Bad führte.

Tja, dachte Tristan, wer will das wissen? Was sollte er sagen? Wie sollte er es sagen?

Er entschied sich, die Wahrheit so kurz wie möglich auf den Punkt zu bringen: »Ihr Bruder will das wissen«.

»Haha«, kam es amüsiert zurück. »Ich bin Einzelkind. Wenn Sie an meine Kasse wollen, die ohnehin leer ist, müssen Sie sich schon etwas anderes einfallen lassen«.

Das unterschwellige Lachen war ansteckend und sympathisch.