High Society 5 - Sammelband - Sandra Heyden - E-Book

High Society 5 - Sammelband E-Book

Sandra Heyden

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Beschreibung

High Society - Liebe in Adelskreisen Sammelband

Leseglück für viele Stunden zum Sparpreis!

Es wird geliebt, gehasst, gewonnen und verloren. Werfen Sie einen Blick in die aufregende Welt der Reichen und Schönen und erleben Sie spannende Verwicklungen! Denn eins wird es in den feinen Kreisen garantiert nie: langweilig!

Was Frauen lieben und wovon sie heimlich träumen, davon erzählen die Romane in High Society - Liebe in Adelskreisen auf mitreißende Weise. Die perfekte Mischung aus Humor, Romantik, Drama und großen Gefühlen lässt den Alltag schon auf Seite 1 in weite Ferne rücken.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Silvia-Gold 5: Im Strudel der Erinnerungen
In Adelskreisen 32: Alles Liebe nur für dich
Fürsten-Roman 2432: Champagner trinkt man nicht allein, Prinzessin!

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 250 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 348

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © iStockphoto: EXTREME-PHOTOGRAPHER ISBN 978-3-7325-8556-4

Sandra Heyden, Charlotte Vary, Caroline Thanneck

High Society 5 - Sammelband

Inhalt

Sandra HeydenSilvia-Gold - Folge 005Die Hände des Mannes zittern unkontrolliert, und die Schrift verschwimmt vor seinen Augen. Erinnerungsfetzen, die ihn immer wieder verwirrt haben, passen auf einmal zusammen und ergeben ein Bild: Der Brief, den er unter Katjas Sachen gefunden hat, stammt von Cora - seiner Frau! Mit ihr ist er verheiratet, nicht mit Katja, wie diese ihm seit seinem Gedächtnisverlust eingeflüstert hat. Und sein Name ist auch nicht Gert Hemming - er heißt Gregor de Baek, und er hat im fernen Deutschland ein Kind ... Nun, da seine Vergangenheit klar wie ein Spiegel vor ihm liegt, hält Gregor nichts mehr in Thailand. Katja hat sein Leben gestohlen, doch er wird es sich zurückholen! Voller Hoffnung kehrt er zurück in die Heimat, aber dort ist längst nichts mehr so, wie es einmal gewesen ist, denn auch Cora gehört längst einem anderen Mann ...Jetzt lesen
Charlotte VaryIn Adelskreisen - Folge 32Eine Prinzessin zwischen Angst und Glück. Prinzessin Esther hat Angst! Angst vor der wie wahnsinnigen, unberechenbaren Liebe eines Mannes, der es nicht ertragen kann, dass sie seine Gefühle nicht mehr erwidert. Überall lauert er ihr auf, beobachtet jeden ihrer Schritte mit flammenden Blicken, und es gibt keine Möglichkeit, ihm zu entkommen. Vielleicht, so hofft die Prinzessin verzweifelt, wird er endlich Ruhe geben, wenn er von ihrer Verlobung mit Prinz Wolfgang erfährt. Wie sehr sie sich irrt, muss sie schon bald darauf erkennen: Auf Wolfgang ist geschossen worden!Jetzt lesen
Caroline ThanneckFürsten-Roman - Folge 2432Als die temperamentvolle Schlosserbin Desiree gezähmt wurde. Nach einer sehr schmerzhaften Enttäuschung hat Desiree Prinzessin von Rothmann mit der Liebe erst einmal abgeschlossen - so glaubt sie jedenfalls. Die Arbeit in der Reederei ihrer Eltern füllt sie aus, und sie ist mit ihrem Leben zufrieden. Doch dann muss sie erfahren, dass das Unternehmen ihres Vaters in großen Schwierigkeiten steckt. Nur einer kann helfen, und der wäre unter gewissen Umständen auch dazu bereit. Doch bei dem möglichen Retter in der Not handelt es sich ausgerechnet um Maximilian Fürst von Hassenstein, einstmals Desirees große Liebe und ausgerechnet der Mann, der die Prinzessin vor Jahren so tief verletzt hat. Und tatsächlich macht Fürst Maximilian es Desiree nicht leicht, denn er stellt eine unglaubliche Bedingung: Er wird der Reederei nur dann unter die Arme greifen, wenn Desiree mit ihm eine Kreuzfahrt auf einem der Schiffe ihres Vaters unternimmt...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Im Strudel der Erinnerungen

Vorschau

Im Strudel der Erinnerungen

Ein Schicksalsschlag und der schwere Weg zurück ins Leben

Von Sandra Heyden

Die Hände des Mannes zittern unkontrolliert, und die Schrift verschwimmt vor seinen Augen. Erinnerungsfetzen, die ihn immer wieder verwirrt haben, passen auf einmal zusammen und ergeben ein Bild: Der Brief, den er unter Katjas Sachen gefunden hat, stammt von Cora – seiner Frau! Mitihrist er verheiratet, nicht mit Katja, wie diese ihm seit seinem Gedächtnisverlust eingeflüstert hat. Und sein Name ist auch nicht Gert Hemming – er heißt Gregor de Baek, und er hat im fernen Deutschland ein Kind …

Nun, da seine Vergangenheit klar wie ein Spiegel vor ihm liegt, hält Gregor nichts mehr in Thailand. Katja hat sein Leben gestohlen, doch er wird es sich zurückholen!

Voller Hoffnung kehrt er zurück in die Heimat, aber dort ist längst nichts mehr so, wie es einmal gewesen ist, denn auch Cora gehört längst einem anderen Mann …

Fassungslos starrte Nike Ollmers auf die beiden eleganten Koffer am Fuße der Treppe und auf den Herrn daneben, der soeben per Handy ein Taxi bestellte.

»Das können Sie nicht tun!«, rief sie empört. »Sie können nicht einfach die Flucht ergreifen, Sven. Ihr Vater beruhigt sich schon wieder.«

»Ach, und für wie lange?« Sven de Baek klappte sein Handy zu und musterte die Privatsekretärin seines Vaters spöttisch. »Er hat doch ständig etwas an mir auszusetzen. Er hat mich ohnehin nur in die Firma geholt, weil Gregor tot ist. Trotzdem reibt er ihn mir ständig unter die Nase: Gregor hier, Gregor da. Gregor hätte nie eine solche Entscheidung gefällt, Gregor hätte sich mehr Gedanken gemacht. Gregor war einfach ein Genie. Dabei hat er sich ständig mit ihm in der Wolle gehabt. Gregor wollte die blöde Firma nicht. Ich schon. Aber das hat mein Vater ja nie zur Kenntnis genommen. Ständig tritt er mir auf die Füße, zweifelt alles an, was ich entscheide.«

Sven de Baek war ein gut aussehender, junger Mann von knapp dreißig Jahren, der sehr charmant sein konnte, wenn er wollte und sich davon Vorteile versprach. Im Augenblick jedoch funkelten seine dunklen, fast schwarzen Augen ausgesprochen wütend.

»Vielleicht sind Sie eben kein besonders guter Manager«, gab Nike Ollmers zu bedenken, was zur Folge hatte, dass Sven einen spöttischen Ruf ausstieß.

»Ich bin der einzige Sohn des Chefs, und zwangsläufig wird der Laden einmal mir gehören«, gab er hochmütig zurück. »Das sollte doch wohl reichen!«

»Sven!« Eine schöne Frau eilte die Treppe herunter.

Cora de Baek, die Witwe des so früh ums Leben gekommenen Gregor, war eine ausgesprochene Schönheit. Das musste Nike zugeben. Cora war jung, noch keine dreißig. Sie war groß und schlank und von einer sinnlichen, betörenden Schönheit. Vor knapp einem Jahr hatten sie und Sven sich offiziell verlobt. Es war offensichtlich, dass sie ihn sehr liebte. Als Witwentröster konnte Nike sich den Sohn des Hauses gut vorstellen. Davon verstand er etwas. Mehr jedenfalls als vom Geschäft einer Papierwarenfabrik.

»Du kannst doch nicht einfach abreisen und mich hier allein lassen!« Cora umarmte ihren Verlobten leidenschaftlich. Wieder einmal stellte Nike fest, dass die beiden in der Tat ein schönes Paar waren. »Wo willst du denn hin?«

Sven erwiderte die Umarmung, und ein zärtliches Lächeln glitt über sein eben noch so wütendes Gesicht.

»Tut mir leid, Liebes, aber ich muss jetzt erst mal für eine Weile hier raus. Das verstehst du sicher.«

»Natürlich verstehe ich das. Aber dein Vater wird sich schon wieder beruhigen.«

Sven stieß ein bitteres Lachen aus.

»Das sagt unsere herzensgute Nike hier auch. Fragt sich nur, für wie lange der Frieden anhält! Er hat doch ständig etwas an mir auszusetzen. Nein, es ist besser, wenn wir uns für eine Weile aus dem Weg gehen. Komm doch mit, Cora! Wir machen uns ein paar herrliche Wochen in Monte Carlo …«

Nach Monte Carlo wollte er also! Nike ahnte, dass ihn das dortige Spielkasino anzog – wie der Speck eine Made. Sven de Baek war ein leidenschaftlicher Spieler, wenn auch selten vom Glück begünstigt. Meistens verspielte er das Geld seines Vaters und kam erst heim, wenn dieser ihm den Geldhahn zudrehte.

»Du weißt, dass ich das nicht kann«, erwiderte Cora bedauernd. »Dein Vater würde mir nie erlauben, ohne Ida zu verreisen, das weißt du doch.«

Sven schnaubte verächtlich. »Mein Vater tut, als wäre das Balg ein Engel auf Erden.«

»Sie ist eben alles, was er von Gregor noch hat«, meinte Cora. Doch sehr verständnisvoll klang das nicht.

Nike wusste nur zu gut, dass Cora sich nicht viel aus ihrer kleinen Tochter machte. Sie interessierte sich nur für das Kind, wenn sie es vorführen konnte wie ein Püppchen, und sie vor Publikum ganz in ihrer Rolle als alleinerziehende trauernde Witwe aufgehen konnte.

»Gregor!«, fuhr Sven auf und schob seine Verlobte verärgert von sich. »Es geht ständig nur um Gregor in diesem Haus. Ich ertrage das nicht mehr!« Er schnappte sich seine Koffer und eilte durch die Diele hinaus, um vor der Tür auf sein Taxi zu warten.

Cora blitzte Nike wütend an, als die Tür hinter Sven ins Schloss fiel.

»Das ist alles nur Ihre Schuld, Frau Ollmers!«, behauptete sie.

Cora war die Einzige im Haus, die sie so formell anredete. Nike war klar, dass Gregors Witwe damit ihre herausragende Stellung als Schwiegertochter unterstreichen und Nike verdeutlichen wollte, dass sie nur eine Angestellte war. Die Privatsekretärin des Hausherrn zwar, aber auch Kindermädchen für Ida und ganz allgemein Mädchen für alles in diesem Haus, denn Cora machte sich nicht gern die Hände schmutzig mit so etwas Schnödem wie dem Führen eines Haushalts.

»Wie das?«, wollte Nike indigniert wissen.

»Wenn Sie meinen Schwiegervater nicht von diesem fehlgeschlagenen Geschäft unterrichtet hätten …«

»Liebe Frau de Baek«, blieb auch Nike förmlich, »die Fabrik ist immer noch das Eigentum Ihres Schwiegervaters. Friedrich hat wohl ein Recht darauf zu erfahren, was vor sich geht, auch wenn er wegen seines Gesundheitszustands nicht mehr jeden Tag ins Büro gehen kann.«

»Nicht mehr jeden Tag? Er ist höchstens einmal im Monat dort.«

»Darum bin ich ja hier. Ich bin seine Verbindung zur Firma, nicht wahr? Dafür wurde ich eingestellt, und ich werde meine Aufgaben ganz sicher nicht vernachlässigen, nur, weil es Ihrem Verlobten nicht passt.«

Cora warf den Kopf in den Nacken und ging zur Tür, um Sven beim Warten Gesellschaft zu leisten.

»Dann sollten Sie vielleicht wieder an die Arbeit gehen, für die Sie bezahlt werden, Frau Ollmers«, meinte sie zuvor noch schnippisch.

Nike seufzte und ging in die Bibliothek zurück, die Friedrich de Baek als Arbeitszimmer diente. Er saß in einem bequemen ledernen Sessel hinter einem mächtigen antiken Schreibtisch. Friedrich de Baek war ein großer, kräftiger Herr mit schlohweißem, noch vollem Haar. Auf seiner prägnanten Hakennase saß eine strenge Hornbrille mit außerordentlich starken Gläsern, die zeigte, dass er nur noch wenig sehen konnte.

Er ging auf die siebzig zu, und wenn nicht kurz nach dem Tod seines ältesten Sohnes eine Art Schlaganfall nicht nur seinen Kreislauf, sondern auch seine Sehfähigkeit beeinträchtigt hätte, wäre er mit Sicherheit jeden Tag in seiner Fabrik, um sie mit resoluter, energischer Hand zu leiten. So aber war er auf Nike Ollmers, seine rechte Hand, angewiesen.

Hinter ihm an der Wand hing ein Porträt von Gregor, das Friedrich nach dessen Tod nach einem Foto hatte in Öl malen lassen. Nike mochte dieses Bild. Immer wieder konnte sie es sich anschauen und fand es jammerschade, dass Gregor de Baek schon so früh hatte aus dem Leben scheiden müssen.

Friedrichs sonore Stimme holte sie in die Gegenwart zurück.

»Ist er weg?«

Nike nickte und nahm auf einem Stuhl neben dem Schreibtisch Platz.

»Er wartet draußen auf sein Taxi. Er will nach Monte Carlo.«

»Ha, das Spielkasino wird sich über den Verlierer freuen. Mehr können die gar nicht verdienen als an ihm. Ich gebe ihm drei Wochen. Dann sperren Sie sein Konto, Nike.«

»Ist das wirklich nötig? Ich meine, warum streiten Sie sich ständig mit ihm? Er ist doch Ihr einziger Sohn, Friedrich.«

»Leider«, gab der alte Herr wütend zurück. »Ich wünschte, es wäre nicht so.« Friedrich de Baek versank in bitteren Erinnerungen. »Wäre Gregor doch damals nur nicht nach Thailand gefahren! Wäre das alles bloß nie geschehen! Ich habe ihn gewarnt. Aber auch Gregor hat ja nie auf mich gehört. Wollte immer seinen Kopf durchsetzen.« Ein Lächeln stahl sich in die hellen Augen des alten Herrn. »Aber er hatte Charakter, das muss man sagen. Anders als Sven, der ständig einen krummen Buckel macht, um zu bekommen, was er will. Gregor war stur. Eigensinnig. Letztendlich hätte er die Fabrik übernommen, da bin ich mir sicher. Und er wäre ein guter Chef geworden. Ihm hätte ich mein Lebenswerk ohne Sorge in die Hände legen können. Ihm schon.«

Nike schenkte ihrem Arbeitgeber einen mitfühlenden Blick. Sie wusste, dass er immer noch um seinen ältesten Sohn trauerte und diesen Schicksalsschlag wohl auch niemals verwinden würde.

Sie selbst hatte Gregor nie kennengelernt, nur Bilder gesehen, die Friedrich ihr immer wieder zeigte und die sie ihm beschreiben musste, weil er selbst sie nicht mehr wirklich erkennen konnte. Bilder eines großen, hochgewachsenen jungen Mannes mit einer sympathischen Ausstrahlung und einer sportlich-athletischen Figur. Das schmale Gesicht war dem seines Vaters nicht unähnlich. Es wurde von einer etwas zu langen Nase dominiert, hellen, grauen Augen und weizenblondem, kurzem Haar. Ein gut aussehender junger Mann, der ihr, Nike, hätte gefallen können, wäre sie ihm je begegnet.

Doch Gregor war tot, ums Leben gekommen bei jenem schrecklichen Tsunami an der Küste Thailands, bei dem so unglaublich viele Menschen ihr Leben verloren hatten. Und einer von ihnen war Gregor de Baek gewesen!

***

Todesstille!

Er saß an diesem Vormittag allein auf dem großzügigen Balkon seiner Hotel-Suite mit Blick auf den Strand von Phuket. Dennoch wusste er, dass er die Suite nicht allein bewohnte. Das Bild einer schönen, blonden jungen Frau blitzte auf. Einer wütenden jungen Frau. Doch wie immer, wenn er es ergreifen wollte, verschwand es in der Dunkelheit. Er legte seine Lektüre zur Seite. Der Hund, der auf dem Dach des Hotels seinen Auslauf hatte und sich seit Stunden aufgeführt hatte wie ein Berserker, war verstummt. Auch die Vögel zwitscherten nicht mehr. Es war eine atemlose, Unheil verkündende, allumfassende Stille – in die ohne Vorwarnung ganz plötzlich ein bedrohliches, tosendes, brüllendes Brausen einbrach, das die Schreie der Menschen am Strand und am Pool des Hotels verschluckte.

Wie erstarrt sah er die Wasserwand auf sich zukommen. Hoch, nein, höher als das mehrstöckige Hotel. Die Schaumkronen wirkten wie die Zähne eines riesigen Drachen – und sie schlugen zu!

Im Bruchteil einer Sekunde, ehe ihm überhaupt richtig bewusst wurde, was geschah, fühlte er sich von einer Riesenhand ins Zimmer geschleudert, über das Bett hinweg gegen eine Wand, die plötzlich nicht mehr da war. Wasser drang in seine Lungen. Panik erfüllte ihn. Todesangst!

Dann war alles vorbei. Dunkelheit befreite ihn, umhüllte ihn friedvoll – wie ein Leichentuch

Gert Hemming erwachte schweißgebadet und schnellte – nach Luft schnappend – von seinem Lager auf. Sein Herz raste, und er begann nur langsam, sich zu beruhigen, als er erkannte, wo er war. Er war zu Hause, in seinem Dorf. Jedenfalls war es jetzt sein Zuhause. Er hatte keine Erinnerung an sein Leben vor der Flutwelle. Er wusste nur, was Katja ihm erzählt hatte. Von ihrem gemeinsamen Plan, alles hinter sich zu lassen und sich in Thailand ein neues Leben aufzubauen, ein schlichtes Leben.

Auch die Flutwelle hatte diesen Plan nicht zerstören können. Katja hatte ihn umgesetzt, als die Ärzte in Bangkok ihnen klarmachten, dass seine tief greifende Amnesie sich nicht so einfach lösen würde, vielleicht niemals.

Nun war er hier zu Hause, in einem schlichten Raum, Wände aus Reismatten, ein Wellblechdach. Die hohe Luftfeuchtigkeit machte ihm zu schaffen. Es war Monsunzeit.

Langsam schwang er die Beine aus dem Bett. Ein Bett, selbst gebaut, neben einem altmodischen Gasherd und einer ebenfalls selbst gebauten Dusche, der einzige Luxus, den sie besaßen.

Der Gedanke an eine kühle, erfrischende Dusche ließ ihn vor die Hütte treten, in eine Art Hof, wo es neben der Hütte einen kleinen, mit Reismatten abgeteilten Raum gab – ihr Badezimmer. Natürlich war das Wasser weder kühl noch erfrischend. Es war lauwarm. Es wurde nie richtig kalt, und die Luftfeuchtigkeit sorgte dafür, dass er sich nach der Dusche genauso ausgelaugt fühlte wie vorher.

Er ging in die Hütte zurück, zog sich saubere Shorts an und suchte nach einem sauberen Hemd oder T-Shirt. Er fand keines. Katja musste sie zum Waschen gegeben haben. Eine Frau aus dem Dorf erledigte für ein kleines Entgelt ihre Wäsche, wusch sie im Fluss, einem kleinen Nebenarm des Chao Phraya. Er ging ungern zum Fluss. Beim Anblick der Wasserfläche kehrte die Panik zurück, das Gefühl, ersticken zu müssen.

Vielleicht hatte Katja noch ein Hemd. Sie trug gern weite Hemden, die auch ihm passten. Er öffnete die Truhe, in der sie ihre Kleidung aufbewahrte. Das erste Mal in all den Jahren, dass er sich von ihr ein Hemd leihen musste. Es war ihm unangenehm, in ihren Sachen zu wühlen. Rasch zog er das Kleidungsstück heraus und schlug den Deckel wieder zu, ohne zu merken, dass er mit dem Hemd ein Stück Papier herausgezogen hatte. Es segelte zu Boden, als er das Hemd auseinanderfaltete, um es anzuziehen.

Verdutzt hob er es auf, wollte es schon in die Truhe zurücklegen, als er bemerkte, dass es sich um einen Brief handelte, einen alten Brief und ihm ein Name ins Auge stach: Cora de Baek!

Er las den Namen, und gleichzeitig blitzte wieder jenes schöne Frauenbild, jung und blond, aus seinem Albtraum auf. Er war plötzlich absolut sicher, sie war Cora de Baek! Und sie war seine Frau!

Wie in Trance setzte er sich wieder auf das Bett. Seine Frau? Katja war seine Frau! Das jedenfalls hatte sie ihm gesagt. Es hatte keinen Grund gegeben, ihr nicht zu glauben. Zweifel, die ihn von Zeit zu Zeit plagten, verdrängte er. Doch in letzter Zeit nahmen sie zu, in gleichem Maße wie seine Albträume. Er war nicht in der Lage, Katjas Zärtlichkeiten zu erwidern. Er konnte ihr kein Ehemann sein. Etwas in seinem Herzen hielt sie auf Distanz. Zu seiner Erleichterung war Katja geduldig gewesen in den letzten Jahren, doch ihre Geduld schien sich allmählich zu erschöpfen.

In seinem Kopf begann es, sich zu drehen. Und als würde er dort Klarheit finden, begann er, den Brief zu lesen. Den Brief, den Cora de Baek an eine gewisse Katja Karnow geschrieben hatte, ihrer Freundin:

Hamburg, 13. Februar

Liebste Katja, vor drei Tagen habe ich Ida geboren. Sie ist gesund und munter. Friedrich hat sich sehr gefreut, und auch Gregor wäre glücklich gewesen, sie in den Armen zu halten. Er wollte das Kind ja immer mehr als ich. Ich nehme Idas Geburt zum Anlass, dir noch einmal für alles zu danken. Es war eine schreckliche Zeit nach dem Tsunami letzte Weihnachten. Sven und ich waren ja schon fort, aber du hast Gregor gesucht und ihn letztendlich ja auch gefunden. Du kannst dir vorstellen, wie furchtbar es für Friedrich war, vom Tod seines Sohnes zu erfahren. Er leidet schrecklich darunter, ihm nie gesagt zu haben, wie sehr er ihn geliebt hat. Er trauert unglaublich. Gestern hat er sogar eine Art Schlaganfall erlitten, nicht im Gehirn, wie die Ärzte sagen, sondern im Bereich der Sehnerven. Sie sagen, dass seine Sehfähigkeit für immer beeinträchtigt bleiben wird.

Schade, dass du nicht zurückkommen willst, sondern in Thailand bleiben und dir ein neues Leben aufbauen wirst. Ich kann dich verstehen. Diesen Tsunami erlebt zu haben, das Chaos danach – es kann für dich wirklich nicht einfach gewesen sein. Und du warst ja auch schon immer abenteuerlustig. Wie Gregor – zu Friedrichs Leidwesen. Gregor zog es auch immer in die Welt – und sein Vater wollte ihn zu Hause halten. Und nun ist Gregor fort, für immer. Stell dir vor, ich vermisse ihn. Zumindest ein wenig.

Also, auch in Friedrichs Namen, hab Dank für alles, was du für uns getan hast. Wir werden es dir nie vergessen. Ich wünsche dir alles Gute und ein Leben, so wie du es dir wünschst.

Deine Freundin Cora de Baek

Fassungslos ließ er den Brief sinken. Schlagartig strömten Erinnerungen auf ihn ein. Sie überfluteten ihn geradezu. Alle Erinnerungen! Plötzlich passten die Puzzleteile der Erinnerungsfetzen aus all seinen Träumen, die er sich nicht hatte erklären können, zusammen. Sein Name war nicht Gert Hemming. Er war Gregor de Baek!

***

Auf dem Rückweg vom Markt in einer Siedlung nahe Uthai Thani, einer kleinen Stadt etwa fünfzig Kilometer südlich des Dorfes, in dem sie lebten, begann es zu regnen. Den ganzen Tag hatte sie auf dem Markt ihre Töpferwaren verkauft. Ein erfolgreicher Markttag, dessen Ertrag ihnen für die nächsten Tage ein einigermaßen behagliches Leben ermöglichen würde. Darum störte sie sich nicht an dem Regen, der wie ein feiner Landregen begann und sich zu einem nicht enden wollenden heftigen Regenguss auswuchs. So heftig, dass jeder einzelne Tropfen schmerzte, der ihre Haut traf.

So war sie froh, endlich das schützende Dach ihrer Hütte zu erreichen, die etwas abseits des eigentlichen Dorfes lag.

Es war ein guter Tag gewesen. Sie und Gert hatten sich hier eine kleine Töpferwerkstatt aufgebaut, von deren Erträgen sie ein bescheidenes Leben führen konnten. Dennoch war sie glücklich. Sie brauchte keinen Luxus oder die Bequemlichkeit eines »zivilisierten« Lebens. Sie wollte nur Gert! Er war, seit sie Denken konnte, ihre Obsession – undenkbar, ihn zu verlieren!

Die letzten Jahre waren die glücklichsten ihres Lebens gewesen. Vielleicht war »Glück« nicht ganz das zutreffende Wort. »Zufriedenheit« traf es eher und das euphorische Gefühl des Triumphes, bekommen zu haben, was sie schon immer haben wollte.

Völlig durchnässt, doch heiter betrat sie die Hütte und stellte den Korb mit den wenigen restlichen Schüsseln und Schalen, die sie nicht hatte verkaufen können, auf den Boden.

»Es war ein guter Tag!«, rief sie, um das laute Prasseln auf dem Wellblechdach zu übertönen. Im gleichen Moment sah sie Gert wie erstarrt auf dem Bett sitzen, ein Hemd in der Hand, und sie wusste, dass etwas passiert war. Seit dem Tsunami vor viereinhalb Jahren hatte er manchmal diese Anfälle von Erstarrung, in denen er einfach nur dasaß und in sich hineinzulauschen schien, auf der Suche nach Erinnerungen. Bislang hatte er sie nicht gefunden, und dafür war sie überaus dankbar.

Katja setzte sich neben ihn und nahm seine Hand. »Gert!«

Der Name schien ihn wachzurütteln. Ohne sie anzusehen, erwiderte er mit tonloser Stimme: »Mein Name ist Gregor, Gregor de Baek.«

Nun war es an Katja zu erstarren. Zischend sog sie Luft ein. Das Entsetzen griff mit mächtiger Hand nach ihr. Was sie immer befürchtet hatte, war nun eingetreten.

Er erinnerte sich!

Gregor zog einen Brief unter dem Hemd hervor und zeigte ihn ihr, ohne ihn loszulassen.

Sie hätte ihn vernichten sollen. Dumme Sentimentalität!

»Warum?«, fragte er und sah sie endlich an: eine schlanke, mittelgroße Frau mit dunklem, glattem Haar und ebenso dunklen, feurigen Augen. Ihr sonnengebräunter Teint ließ sie attraktiv wirken, auch wenn man sie nicht wirklich schön nennen konnte. »Warum hast du mir mein Leben gestohlen?«

»Das habe ich nicht«, verteidigte sie sich. »Du selbst hast dein Leben gehasst, erinnerst du nicht mehr? Du wolltest ein neues Leben, hier, mit mir, in Thailand!«

»Nein!«, sagte er, und es klang hart.

Katja begriff. »Du erinnerst dich?«

Er nickte. »An alles! Also, noch einmal: Warum hast du mir mein Leben gestohlen?«

»Du hast dein Leben gehasst, Gert … Gregor«, verbesserte sie sich und fuhr fort: »Ständig hattest du Streit mit deinem Vater. Er wollte sich zwingen, die Papierfabrik zu übernehmen. Das wolltest du auf keinen Fall.«

Wieder nickte er. »Ich erinnere mich.«

»Du hast auch mit Cora ständig gestritten. Sie hat dich ohnehin nur wegen des Geldes geheiratet …«

»Ich habe Cora geliebt«, unterbrach er sie heftig.

»Ich weiß, aber sie dich nicht. Für sie warst du nur der Goldesel, der ihr das Leben bieten konnte, das sie ihrer Meinung nach verdient hatte. Ohne mich hättest du sie doch niemals kennengelernt. Sie war meine beste Freundin. Ich habe sie dir vorgestellt. Der größte Fehler meines Lebens, denn ab sofort hattest du nur noch Augen für sie. Cora war immer schon hübscher als ich, sinnlicher, verführerischer. Sie hat ihre Chance sofort erkannt und sich dich geangelt. Sie hat dich nie geliebt, Gregor. Ich aber schon! Seit unserer Schulzeit liebe ich dich. Aber du hast mich nie beachtet.«

Gregor musterte sie fast mitleidig. »Was ist passiert?«

»Der Tsunami ist passiert!« Katja sprang auf. »Wir wollten Weihnachten gemeinsam in Phuket verbringen, du, Cora, dein Bruder Sven und ich. Cora ging es nicht gut, sie war zu dem Zeitpunkt schon hochschwanger und hätte eigentlich gar nicht reisen sollen. Ihr Zustand verschlimmerte sich, und du hast darauf bestanden, mit ihr nach Deutschland zurückzukehren. Sie wollte nicht, und ihr hattet einen furchtbaren Streit. Sie willigte schließlich ein, nach Hause zurückzukehren, aber nicht mit dir. Du hast darauf bestanden, dass ich oder Sven sie begleite. Sie entschied sich für Sven. Am Tag der Katastrophe habe ich die beiden nach Bangkok zum Flughafen begleitet. Cora wollte dich nicht bei sich haben. Du musst im Hotel gewesen sein, als die Flutwelle kam …«

Gregor nickte. »Ja, daran kann ich mich erinnern.«

»Ich war schon auf dem Rückweg, als die Nachricht von der Katastrophe kam«, berichtete Katja weiter. »Es war ein unglaubliches Chaos. Du kannst es dir nicht vorstellen. Ich habe sofort nach dir gesucht, du warst alles, woran ich denken konnte. Ich musste dich finden! Aber unser Hotel war ein einziger Trümmerhaufen. Ich war wie von Sinnen, Gregor. Ich dachte, du wärst tot, und doch konnte ich es nicht glauben.«

»Hast du mich gefunden?«

Sie schüttelte den Kopf. »Eigentlich war es der Hund. Kannst du dich an den Hund des Hotels erinnern?«

»Ja, er war an dem Tag auf dem Dach. Außer Rand und Band.«

»Irgendwie muss er überlebt haben. Jedenfalls wich er mir nicht von der Seite, als ich in den Trümmern nach dir suchte. Plötzlich hat er wie wild angeschlagen und wollte sich nicht mehr von der Stelle rühren. Mir war klar, dass er etwas oder jemanden gefunden hatte, und ich holte Hilfe. Einheimische haben mir geholfen, die Trümmer zu beseitigen. Und wir fanden dich. Du warst schwer verletzt. Kaum noch am Leben, aber ich war so glücklich, dass dein Herz noch schlug, so unglaublich glücklich! Ich habe dann dafür gesorgt, dass du nach Bangkok in eine gute Klinik gebracht wurdest und die bestmögliche Versorgung bekamst. Ich bin nicht von deiner Seite gewichen. Wohl deshalb hat man mich für deine Frau gehalten. Ich habe nicht widersprochen.«

»Warum nicht?«

»Weil es meine Chance war, Gregor. Ich habe das sofort erkannt. Du lagst im Koma. Jemand musste für dich handeln. Es war meine Chance, dich endlich für mich zu bekommen und zu behalten, verstehst du das nicht? Ich habe nicht lange überlegt. In dem Chaos war es leicht, einen Unbekannten als Gregor de Baek zu identifizieren, der wegen des Wetters und der Seuchengefahr rasch eingeäschert und nach Deutschland überführt wurde. Er wurde unter deinem Namen in Deutschland beigesetzt.«

Gregor konnte es nicht glauben und schüttelte nur immer wieder fassungslos den Kopf.

»Aber du musstest doch damit rechnen, dass deine Lügengeschichte auffliegt, sobald ich aus dem Koma erwache. Du konntest doch nicht davon ausgehen, dass ich …«

»… dass du dich nicht mehr erinnern würdest?«, vollendete Katja den Satz, und ein Lächeln glitt über ihre Lippen. »Ich sagte ja, ich habe nicht nachgedacht. Ich sah nur meine Chance, wenigstens für eine Weile so zu tun, als wäre ich deine Frau. Doch dann kam mir der Zufall zu Hilfe. Eigentlich war es Schicksal, Gregor, findest du nicht? Du erwachtest aus dem Koma und konntest dich an nichts mehr erinnern. An gar nichts. Nicht an deinen Namen, nicht an dein Leben und nicht an das, was passiert war. Zunächst hofften die Ärzte auf eine traumatisch bedingte Amnesie, die sich bald lösen würde. Davor hatte ich natürlich Angst. Aber nichts geschah. Deine Erinnerung kehrte nicht zurück, und die Ärzte diagnostizierten schließlich eine permanente Amnesie ohne Hoffnung darauf, dass sie sich je bessern würde. Gregor, es war der glücklichste Tag in meinem Leben! Ich hatte dich für mich – endlich und für immer!«

»Es war alles gelogen, alles, was du mir erzählt hast über mein früheres Leben?«

»Natürlich!« Katja schien keine Reue zu empfinden. »Es war einfach, in einer Stadt wie Bangkok Papiere für uns zu beschaffen. Katja und Gert Hemming – klingt doch fantastisch.« Katja nahm wieder neben ihm Platz und ergriff seine Hand. »Wir sind dann in dieses Dorf gekommen und haben uns hier eine Existenz aufgebaut. Es ist doch ein gutes Leben hier.«

Gregor entzog ihr seine Hand. »Ich habe dir vertraut, Katja. Aber alles war eine Lüge, mein ganzes Leben mit dir.«

»Ich liebe dich, Gregor. Ich liebe dich über alles, und ich will dich nicht verlieren.«

»Wie stellst du dir das vor? Wie soll es weitergehen?«

»Muss sich denn etwas ändern? Es geht uns doch gut hier. Es geht dir gut.«

»Gut!« Ein bitteres Lachen tropfte von seinen schmalen Lippen. »Es geht mir nicht gut, Katja. Es ging mir in all den Jahren nicht wirklich gut. Es gab von Anfang an Erinnerungen. Erinnerungsfetzen, die nicht mit dem zusammenpassten, was ich von dir wusste. Und es gab von Anfang an diese Distanz zwischen uns, die ich mir nicht erklären konnte. Du hast viel für mich getan, ohne Frage. Und ich habe darunter gelitten, dir nicht der Ehemann sein zu können, der ich hätte sein müssen. Du hast es immer auf das Trauma der Amnesie geschoben. Dabei wusstest du stets die Wahrheit. Vielleicht liebst du mich, Katja. Aber ich habe dich nie geliebt. Ich habe eine Frau, die ich liebe. Ich habe ein Kind, eine Tochter. Ich habe mich unglaublich auf dieses Kind gefreut. Ich bin jetzt dreiunddreißig Jahre alt und habe mein Kind noch nie gesehen. Du hast dafür gesorgt, dass ich meine Tochter nie kennenlernen durfte. Ich habe einen Vater, einen Bruder. Du hast mir all das genommen. Warum? Um einem Wahn von Liebe zu folgen?«

»Ich habe immer gehofft, du würdest mit der Zeit lernen, mich zu lieben«, gestand Katja. »Ich will dich behalten. Du gehörst mir, Gregor, mir! Ich habe alles aufgegeben für dich. Ich habe das aus dir gemacht, was du heute bist. Keine andere Frau – schon gar nicht Cora – kann dir geben, was ich dir gebe. Absolute Liebe!«

Sie versuchte ihn zu umarmen, doch er stieß sie von sich.

»Du bist unglaublich. Du stiehlst mir mein Leben – ohne jegliche Gewissensbisse?«

»Ich liebe dich!«, erwiderte sie nur.

»Das tut mir leid für dich.«

Ungläubig sah sie ihn an. »Was willst du tun?«

»Ich will mein Leben wiederhaben, Katja. Ich will es zurück!«

»Du willst zurück nach Deutschland gehen?« Sie konnte es nicht glauben. »Du kannst mich nicht allein lassen, Gregor. Du gehörst mir. Wir gehören zusammen.«

»Das hast du dir und mir all die Jahre eingeredet. Aber es ist nicht wahr. Alles, was du sagst, Katja, kann meinen Entschluss nicht ändern. Ich werde nach Bangkok gehen und den nächsten Flug nach Hamburg buchen.«

»Das kannst du nicht. Keiner wird dich erkennen. Du bist tot!«

***

Gregor war gegangen. Er hatte das Hemd angezogen, seinen Rucksack mit den nötigsten Dingen gepackt und war gegangen. Er war fort.

Stundenlang saß sie in der Hütte und wartete darauf, dass er sich besinnen und zu ihr zurückkehren würde. Doch er kam nicht! Erst gegen Morgen wurde ihr klar, dass er nie mehr kommen würde, wenn sie nicht etwas dagegen unternahm.

Sie würde Gregor auf keinen Fall kampflos aufgeben. Auf keinen Fall. Doch sie brauchte Hilfe, das war ihr klar. Und sie wusste auch, von wem! Sven de Baek! Er musste ihr helfen – das war er ihr schuldig!

***

Er hatte nicht erwartet, problemlos mit den falschen Papieren durch die Kontrollen am internationalen Flughafen von Bangkok zu kommen. Doch zu Gregors Erstaunen gab es keinerlei Schwierigkeiten.

Schneller als erwartet war er in Bangkok angekommen. Ein Viehtransporter hatte ihn mitgenommen und direkt am Flughafen abgesetzt. Er hatte seine Uhr verkauft, um den Flug bezahlen zu können. Eine Uhr, von der er jetzt wusste, dass sie einmal ziemlich teuer gewesen war. Wie froh war er gewesen, einen Direktflug nach Hamburg zu erwischen!

In der Economy-Class zwängte er sich in seine Sitzreihe und erinnerte sich, dass er früher immer Business-Class geflogen war.

Sein Sitznachbar bedauerte ihn.

»Für Ihre Größe ist diese Klasse nicht gemacht, wie?«

»Nein, aber es wird schon gehen.«

Der Mann musterte ihn eingehend.

»Auf dem Weg nach Hause?«, vermutete er dann, und Gregor nickte.

»Sie waren wohl lange in Thailand?«

Wieder nickte Gregor. »Ein paar Jahre.«

»Na«, meinte sein Sitznachbar ein wenig ironisch, »hoffentlich erkennen die Leute Sie zu Hause noch«, und widmete sich einer Zeitschrift.

Gregor wurde während des Fluges klar, wie recht der Mann hatte und auch Katja. Er war tot, offiziell tot! Er konnte seiner Familie nicht einfach gegenübertreten und ihr den Schock ihres Lebens bereiten. Er konnte nicht einfach heimkehren und sagen: »Hallo, hier bin ich!«

Sein Vater war krank, überlebte den Schock womöglich nicht. Würde man ihn überhaupt erkennen?

Er hatte sich in der Tat verändert. Er war magerer geworden, war nicht mehr so athletisch wie früher. Sein Haar war jetzt heller, fast weiß, ausgebleicht von der Sonne Thailands. Außerdem trug er nun einen Vollbart, während er früher immer glatt rasiert gewesen war.

Nein, erkennen würde man ihn auf den ersten Blick wohl kaum.

War es möglich, unerkannt hinzugehen und durch den Zaun zu spähen, um wenigsten sein Kind zu sehen – aus der Ferne? Wohl kaum. Die Villa seines Vaters lag in einem weitläufigen Park. Vom Zaun aus war nicht einmal das Haus zu sehen.

Der Flug schien Gregor ewig zu dauern. Es gab eine Zwischenlandung in Kairo. Fluggäste stiegen aus, neue ein. Doch endlich, endlich landeten sie in Hamburg. Es war noch früh am Tag.

Zu seinem Erstaunen gab es wieder keine Schwierigkeiten an den Kontrollen. Die Zollbeamtin zögerte kurz beim Anblick seines Passes, winkte ihn dann jedoch durch. Ein wenig verloren sah Gregor sich in der großen Ankunftshalle um und entdeckte schließlich eine kleine Backstube, die schon geöffnet hatte. Er sehnte sich plötzlich nach einem Kaffee. Nach einem richtigen Hamburger Kaffee und Brötchen.

In der kleinen Backstube duftete es nach frischem Brot und aromatischem Kaffee. Gregor bestellte beides und setzte sich an einen kleinen Tisch. Er musste seine nächsten Schritte überdenken. Er war zwar zu Hause in Hamburg, doch was sollte er jetzt tun?

Gregor genoss den Kaffee und das Käsebrötchen. Richtiger Käse. Wie sehr hatte er den vermisst. Plötzlich bemerkte er die Zeitung, die ein früher Gast auf dem Stuhl neben ihm wohl vergessen hatte. Welch eine unerwartete Gelegenheit, sich zu informieren!

Mit großem Interesse las Gregor die Zeitung, bis sein Blick auf die Stellenangebote fiel. Er wusste nicht, warum, aber eine kleine Anzeige stach, ihm ins Auge: Papierwarenfabrik de Baek – Aushilfsgärtner für Privatvilla mit ausgedehnter Parkanlage gesucht.

Es konnte sich nur um das Haus seines Vaters handeln: sein Elternhaus! Mit Wehmut erinnerte er sich an den herrlichen Park mit seinen hohen Bäumen und dem großen Teich, in dem er als Kind so gern geschwommen war.

Eine Idee keimte in ihm auf.

Hastig bezahlte er, nahm die Zeitung und verließ das Flughafengebäude. Dort bestieg er eines der wartenden Taxen und nannte dem Fahrer eine Adresse am Rande des Sachsenwaldes. Die Fahrt würde ihn sein letztes Geld kosten. Doch es war einen Versuch wert! Auf jeden Fall war es das.

***

Gregor hieß das Taxi vor dem großen, schmiedeeisernen Tor halten. Den Rest des Weges wollte er zu Fuß zurücklegen. Erst als das Taxi außer Sichtweite war, trat er an das geschlossene Tor heran und blickte den breiten Fahrweg entlang, der, von hohen Platanen gesäumt, sich wie eine lange, gerade Schnur zog, bevor er am Ende eine Kurve machte. Eine Kurve, die, wie Gregor sich erinnerte, direkt zum Haus führte.

Gregor ging zu dem schmalen Seitentor, das früher immer offen gewesen war. Zu seiner Erleichterung hatte sich daran nichts geändert. Er schlüpfte hindurch und lief den Weg hinauf. So viele Erinnerungen wollten sich ihm gleichzeitig mitteilen! Erinnerungen an eine glückliche Kindheit. Erinnerungen an die Mutter, die schon so früh gestorben war. Erinnerungen an den Vater, der genauso stur und eigensinnig gewesen war wie er, und mit dem er immer wieder Kämpfe ausgefochten hatte.

Hinter der Kurve tauchte die Villa ganz unvermittelt vor ihm auf. Ein Herrenhaus fast, groß und lang gestreckt. Hohe klassizistische Säulen trugen mittig einen flachen Giebel, dessen Relief ein Thema aus der griechischen Mythologie darstellte: Penelope umarmte den heimkehrenden Odysseus.

Ein leises Lachen entfuhr Gregors Lippen. Ob auch Cora ihn umarmen würde? Er bezweifelte es. Katja hatte harsche Worte für Cora gefunden, die doch eigentlich ihre Freundin war. Im ersten Moment hatte Gregor sich geweigert, sie zu glauben. Doch allmählich war ihm klar geworden, dass sie keine Lüge waren. Er erinnerte sich, dass seine heiße, verzehrende Liebe zu Cora schon vor der Katastrophe abgekühlt war. Cora hatte sich als eigensüchtig und oberflächlich entpuppt.

Gregor seufzte. Ob Cora noch hier lebte – mit dem Kind? Er hoffte es. Sein Vater besaß ein ausgeprägtes Pflichtgefühl. Niemals würde er seine Schwiegertochter und vor allem nicht seine Enkelin im Stich lassen.

Sein Blick wanderte die schlichte, schmucklose Fassade des Hauses entlang. Neben dem säulengetragenen Mittelteil erstreckte sich das Gebäude in zwei zweistöckigen Flügeln nach links und rechts. Links lagen die Wohn- und Arbeitsräume, rechts die Küche und die Wirtschaftsräume, während der zweite Stock den Schlafräumen vorbehalten war.

Er nahm nun all seinen Mut zusammen und stieg die flachen Stufen zur Haustür hinauf. Unter dem Klingelknopf hing ein poliertes Messingschild, auf dem in klaren, schnörkellosen Buchstaben der Name de Baek eingraviert war.

Er war zu Hause. Endlich.

Entschlossen drückte er auf die Klingel.

Eine aparte junge Frau öffnete ihm nach einer Weile die Tür. Brünett mit einem pfiffigen Kurzhaarschnitt. Ein Typ wie die junge Audrey Hepburn. Nicht besonders groß – mindestens einen Kopf kleiner als er –, aber sehr schlank und unglaublich anmutig.

»Ja, bitte?« Ihr Lächeln vertiefte sich und spiegelte sich in ihren warmen braunen Augen.

Er musste sie wohl angestarrt haben wie ein Kaninchen, das gerade dem Zauberhut entkommen war. Wer war sie? Rasch räusperte er sich und hielt die Zeitung hoch.

»Mein Name ist Gert Hemming. Ich komme wegen der Anzeige.«

»Oh, dann treten Sie bitte ein.« Sie öffnete weit die Tür, um ihn hereinzulassen.

Gregor zögerte einen Moment. Zum ersten Mal seit vielen Jahren betrat er sein Elternhaus. Sein Blick wanderte unwillkürlich durch die große Eingangshalle. Nichts hatte sich hier verändert. Immer noch stand die mannshohe chinesische Vase neben dem Treppenaufgang. Immer noch schützten kostbare orientalische Teppiche den glänzenden Marmorboden. Vorhänge aus Goldbrokat hingen an den hohen Fenstern.

Hier war er geboren worden, hier war seine Mutter gestorben. Hier hatte er mit seinem Vater gestritten, aber hier hatte er auch geliebt und sogar geheiratet. Für einen Augenblick drohten ihm unter der Flut der Erinnerungen die Knie zu versagen.«

Nike bemerkte es. »Geht es Ihnen nicht gut? Wollen Sie sich setzen?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, es geht schon. Es ist nur der Klimawechsel. Macht mir ein bisschen zu schaffen.«

»Sie waren im Ausland?« Sie öffnete die Tür zu ihrem Büro und bat ihn, an einem kleinen Konferenztisch Platz zu nehmen.

Gregor überlegte kurz, ob er es wagen konnte, wenigstens einen Teil der Wahrheit zu sagen, und entschied dann, dass er nichts dabei riskierte.

»Ja«, sagte er. »Ich war ein paar Jahre in Thailand.«

Nike horchte auf, und sie musterte den Mann mit dem ausgebleichten Haar und dem unschönen Vollbart mit neuem Interesse.

»In Thailand? Wo? In Phuket?«

»Nein, ich hatte eine kleine Töpferwerkstatt in einem Dorf bei Uthai Thani, nördlich von Bangkok. Warum? Waren Sie schon in Thailand?

Nike schüttelte den Kopf. »Nein, noch nie.« Damit war das Thema für sie abgehakt, und sie deutete auf die Zeitung. »Sie sind der Erste, der sich für die Stelle interessiert, Herr Hemming. Haben Sie denn Erfahrung als Gärtner?«

»Eigentlich nicht«, gestand er. »Aber sehen Sie, ich bin gerade erst aus Thailand zurück, und ich brauche dringend einen Job. Vielleicht könnten Sie ein gutes Wort für mich einlegen?«

Nike lächelt ein wenig mokant.

»Ich führe das Einstellungsgespräch, Herr Hemming. Ich bin Nike Ollmers, die rechte Hand von Herrn de Baek und als solche für Personalfragen zuständig.«

Gregor deutete eine kleine Verbeugung an.

»Verzeihung. Ich hielt sie für die Hauswirtschafterin«, entschuldigte er sich, und sein Blick glitt dabei über die legeren Jeans und die schlichte Bluse, die sie trug. Sie verstand und lächelte wieder. Er hätte versinken können in diesem Lächeln, so sehr berührte es ihn.

»Herr de Baek mag es in seinem Haus gern locker. In der Firma trage ich selbstverständlich ein Kostüm oder einen Hosenanzug. Beruhigt Sie das?«

»Sehr!« Gregor musste schmunzeln.

»Nun, wenn Sie keine Erfahrung haben als Gärtner, wüsste ich nicht …«

»Lassen Sie es mich doch versuchen! Hier steht, Sie suchen einen Aushilfsgärtner, das heißt, es gibt einen hauptamtlichen Gärtner. Er könnte mir doch alles zeigen, mir einiges beibringen. Wäre auch was für meine Zukunft«, fiel Gregor ihr rasch ins Wort. Damit, dass er für diese Arbeit abgelehnt werden könnte, hatte er nicht gerechnet. »Bitte, ich brauche den Job. Ich habe mein letztes Geld für das Taxi hierher ausgegeben.«

Sein bittender Dackelblick ließ Nike auflachen. Sie empfand Sympathie für den Globetrotter. Etwas in seinen hellen, grauen Augen kam ihr seltsam vertraut vor.

»Also gut«, entschied sie spontan, »versuchen wir es. Drei Monate Probezeit. Das Ganze ist befristet auf ein Jahr – wenn Sie es so lange durchhalten.«

»Das werde ich«, versprach er enthusiastisch. »Sie werden mit mir zufrieden sein.«

»Das werden wir sehen.« Nike erhob sich. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihren Arbeitsplatz und Ihre Unterkunft.« Sie hatte bereits die Tür geöffnet, hielt nun jedoch inne und sah ihn an. »Entschuldigen Sie, das habe ich vergessen zu erwähnen. Wir bieten Ihnen neben dem Gehalt freies Wohnen. Es ist Ihnen doch recht?«

»Passt mir gut. Ich hätte ohnehin nicht gewusst, wo ich bleiben soll.«

»Na, wunderbar! Dann folgen Sie mir bitte.«

Als sie wieder die Diele durchquerten, sah Gregor eine Frau auf der Treppe stehen, die ihnen neugierig nachsah. Eine schöne, blonde Frau. Cora.

Für einen Moment glaubte er, sein Herz müsse stehen bleiben. Doch zu seiner Verwunderung schlug es ganz normal. Er hatte sich danach gesehnt, sie wiederzusehen, sie in den Armen zu halten, so wie früher. Doch sein Herz schlug keine leidenschaftlichen Kapriolen. Fast fünf Jahre hatte er sie nicht gesehen, und er musste erkennen, dass seine Liebe zu dieser sinnlichen Frau nichts weiter gewesen war als ein Strohfeuer. Es war hell und leidenschaftlich aufgeflammt und in den Jahren der Trennung verglüht. Da war nichts mehr. Nur noch Asche.

Erleichtert nahm er wahr, dass Cora ihn nicht erkannte, und eilig folgte er Nike hinaus in den Park.

Im hinteren Teil der weitläufigen Anlage befanden sich einige Wirtschaftsgebäude, Geräteschuppen, Garagen für Nutzfahrzeuge und das Wohngebäude für die Hausangestellten. Zwei Hausmädchen lebten hier und Theo Willers, der Hauptgärtner. Schon seit Gregors Kindheit arbeitete er für die Familie.

»Herr Willers«, begrüßte Nike den schon etwas älteren Gärtner freundlich. »Hier bringe ich Ihnen Ihren neuen Aushilfsgärtner. Er heißt Gert Hemming, war ein paar Jahre im Ausland und hat überhaupt keine Erfahrung. Glauben Sie, dass Sie ihn anlernen können?«