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Ines träumt! Von einem Papi, der sie verwöhnt, der mit ihr reiten geht und ihr die schönsten Kleider kauft, der ihr bei Mathe hilft und mit dem sie einfach über alles reden kann.
In ihrer Fantasie nimmt die Vaterfigur so intensiv Gestalt an, dass ihre Tante Daniela, die der Kleinen Vater und Mutter ersetzt, ganz betroffen ist. Was kann sie bloß noch unternehmen, um Ines aus ihrer Traumwelt herauszuholen?
Ganz schlimm wird es, als Ines plötzlich schwer erkrankt. Leukämie lautet die schreckliche Diagnose! Und immer lebendiger wird die Fantasiegestalt des kleinen Mädchens. Schon bald behauptet Ines felsenfest, dass der berühmte und so unglaublich nette Dr. Lukas ihr Papa ist. Und er ist ein Zauberer, der sie wieder gesund machen wird ...
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Seitenzahl: 107
Cover
Impressum
Vaterlos, doch voller Träume
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock / Rohappy
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-4757-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Vaterlos, doch voller Träume
Ein krankes Mädchen wünscht sich Familienglück
Von Sandra Heyden
Ines träumt! Von einem Papi, der sie verwöhnt, der mit ihr reiten geht und ihr die schönsten Kleider kauft, der ihr bei Mathe hilft und mit dem sie einfach über alles reden kann.
In ihrer Fantasie nimmt die Vaterfigur so intensiv Gestalt an, dass ihre Tante Daniela, die der Kleinen Vater und Mutter ersetzt, ganz betroffen ist. Was kann sie bloß noch unternehmen, um Ines aus ihrer Traumwelt herauszuholen?
Ganz schlimm wird es, als Ines plötzlich schwer erkrankt. Leukämie lautet die schreckliche Diagnose! Und immer lebendiger wird die Fantasiegestalt des kleinen Mädchens. Schon bald behauptet Ines felsenfest, dass der berühmte und so unglaublich nette Dr. Lukas ihr Papa ist. Und er ist ein Zauberer, der sie wieder gesund machen wird …
»Hast du schon gehört, dass der Wiedner selbst kein einziges Instrument spielen kann?«, flüsterte Ines’ Banknachbarin ihr zu und deutete mit einem bezeichnenden Blick auf die korpulente Gestalt, die vorn an der Tafel stand und versuchte, dieser Klasse die Unterschiede zwischen den einzelnen Blasinstrumenten zu erklären.
Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, denn das musikalische Interesse von zehnjährigen Kindern zu wecken, empfand Studienrat Wiedner als äußerst mühsam.
Als nun die kleine Ines Färber laut lachte, verstummte er und runzelte drohend die Stirn.
Natürlich, die kleine Färber, dachte er grimmig. Immer wieder fiel dieses hübsche, aber quirlige Mädchen durch seine mangelnde Disziplin auf. Aber was konnte man auch schon erwarten von einem Kind, das bei seiner berufstätigen und noch dazu alleinstehenden Tante aufwuchs? Dem Kind fehlte eben die strenge, ordnende Hand eines Vaters.
»Ines, ich bitte dich jetzt zum letzten Mal, den Unterricht nicht ständig zu stören. Beim nächsten Mal wirst du die Klasse verlassen und erhältst eine Eintragung ins Klassenbuch!«, rief Wiedner das Kind zur Ordnung, das jetzt mit seltsam bleichem Gesicht zu ihm aufsah.
Ines hörte die mahnende Stimme ihres Lehrers wie durch einen Wattebausch. Warum war es nur plötzlich so heiß im Klassenraum, und warum drehte sich plötzlich alles um sie? Hier gab es doch gar kein Karussell, noch dazu im Dunkeln …
Als es wieder hell wurde, lag Ines zu ihrem Erstaunen auf der Liege im Lehrerzimmer. Das hagere Gesicht der Schulleiterin beugte sich über sie und lächelte nun freundlich.
»Na, da bist du ja wieder, Ines. Da hast du uns aber einen ganz schönen Schrecken eingejagt, Kleine.«
»Ja?« Ines wunderte sich und schüttelte den Kopf. »Da war ein Karussell, glaube ich …«
»Du bist ohnmächtig geworden. Hast du das schon öfter gehabt?« Die Stimme der ältlichen Schulleiterin klang besorgt.
Ines strich sich eine Strähne ihres langen, blonden Haares aus der Stirn. »Nein, ich glaube nicht.«
»Na, jedenfalls ist es besser, wenn du jetzt erst einmal nach Hause gehst und dich gründlich ausruhst.«
»Tante Dani arbeitet doch«, widersprach Ines nicht sehr energisch, und auch sie selbst musste einsehen, dass irgendetwas mit ihr nicht so war wie sonst. »Ich kann jetzt nicht nach Hause.«
»O doch. Ich habe deine Tante bereits angerufen. Sie kommt dich gleich abholen.«
Wie auf ein Stichwort klopfte es an der Tür, und eine attraktive junge Frau trat ein. Die großen, braunen Augen in dem schmalen Gesicht wirkten ungewöhnlich ernst und besorgt. Schulterlanges, brünettes Haar fiel in das schöne Gesicht, als sie sich jetzt über ihre Nichte beugte. Ihre Stimme klang warm und zärtlich.
»Was machst du denn für Sachen, mein Schatz?«
»Ich war ohnmächtig«, erklärte Ines ein wenig schwach, aber nicht ohne Stolz.
Die Prinzessinnen in ihren Märchen wurden auch oft ohnmächtig, und dann kam ein Prinz und rettete sie.
Daniela Oldenfeld blickte fragend zur Schulleiterin, die nur stumm nickte.
»Ohnmächtig? Wie konnte das passieren?«
»Nun, wir können uns diese Ohnmacht ebenso wenig erklären wie Ihre Nichte, Frau Oldenfeld«, meinte die Schulleiterin. »Vielleicht sollten Sie das Kind einmal gründlich untersuchen lassen.«
»Ja, das werde ich ganz sicher tun«, versicherte die junge Frau. »Wie ist es, Ines, kannst du aufstehen, oder soll ich dich zum Auto tragen?«
»Ach, es ist gar nicht mehr schlimm«, meinte Ines und richtete sich auf. »Mir ist nur so schrecklich heiß.«
Die schlanke, zartgliedrige Hand ihrer Tante legte sich sanft und angenehm kühl auf ihre heiße Stirn.
»Du hast Fieber, Kleines«, stellte sie besorgt fest. »Du gehörst ins Bett, aber sofort!«
Eine halbe Stunde später lag Ines unter der warmen Bettdecke im Zimmer ihrer Tante. Daniela Oldenfeld saß auf der Bettkante und sorgte dafür, dass Ines das fiebersenkende Mittel schluckte, das sie ihr gab.
»Ich habe Doktor Simmar angerufen«, erklärte sie. »Er kommt heute Abend vorbei und sieht nach dir.«
Ines winkte ab. »Ach, ich bin doch gar nicht krank. Meinetwegen braucht Onkel Florian nicht zu kommen. Aber ich wette, er kommt trotzdem – um dich zu besuchen, Tante Dani.«
Daniela lachte. »Er ist ja auch unser bester Freund, nicht wahr?«
Ines nickte, aber sie wusste sehr gut, dass der junge, nette Arzt eigentlich nur an ihrer Tante interessiert war, wenn er auch Ines ganz gernhatte. Unruhig sah sie auf, als die Tante sich jetzt erhob.
»Musst du wieder weg?«
»Leider, Kleines«, erwiderte ihre hübsche Tante und seufzte. »Es hat eben schon Ärger gegeben, als die Schule anrief. Gleich beginnt das Mittagsgeschäft, und da werden im Supermarkt alle Kassen geöffnet, und ich werde gebraucht.«
Ines nickte nur. Sie kannte das. Als Kassiererin in einem großen Supermarkt war ihre Tante häufig sehr angespannt, und dabei verdiente sie noch nicht einmal sehr viel. Nur gerade eben so viel, dass es für sie beide und diese kleine Wohnung am Stadtrand reichte.
»Kommst du spät heute?«, wollte Ines noch wissen.
»Ich hoffe nicht. Spätestens in zwei bis drei Stunden bin ich zurück. Wenn es dir wieder schlechter geht, dann ruf bitte Doktor Simmar an, ja? Er kommt dann sofort zu dir.«
»Ja, ist gut«, murmelte Ines schläfrig, und als ihre Tante sie zärtlich küsste, fielen ihr schon fast die Augen zu.
***
Es war still in der Wohnung, als Ines später erwachte. Nur die alte Standuhr im Wohnzimmer, die schon ihren Großeltern gehört hatte, tickte laut und vernehmlich. Durch die herabgelassenen Jalousien warf die Frühlingssonne schmale Streifen auf die Bettdecke, und aufwirbelnder Staub kitzelte Ines in der Nase.
Sie fühlte sich ausgeruht und nicht im Geringsten krank. Voller Tatendrang setzte sie sich auf und sah sich im Halbdunkel des Raumes um. Ines mochte das Zimmer ihrer Tante. Es war klein, aber irgendwie sehr anheimelnd. Außer dem Bett, in dem sie lag, gab es nur eine alte Kommode mit einem großen Spiegel darüber und einen noch älteren Kleiderschrank. Unter dem Fenster standen ein kleiner runder Tisch aus Rattan und ein passender Sessel mit einer riesigen Lehne aus Weidengeflecht.
Ines liebte diesen Sessel. Immer wenn sie wieder einmal Königin oder Prinzessin spielte, wurde er unweigerlich zu ihrem Thron.
Sie schlüpfte aus dem Bett und zog die Jalousien auf. Im Spiegel schnitt sie ihrem kleinen Gesicht eine hässliche Grimasse.
»Ich bin ein böser Zauberer«, murmelte sie mit tiefer Stimme. »Und ich verzaubere dich in eine hässliche Kröte – Abrakadabra!« Sie ergriff die Haarbürste ihrer Tante und schlug mit theatralischer Geste dreimal auf die Kommode. »Erst wenn du drei Prüfungen bestehst, wirst du zurückverwandelt in eine wunderschöne Prinzessin.«
Ines betrachtete sich skeptisch im Spiegel. »Hm«, machte sie dann, »eine Prinzessin im Nachthemd – das geht nicht.« Fast automatisch wanderte ihr Blick zum Kleiderschrank ihrer Tante. Tante Dani hatte so wunderschöne Sachen …
Wenig später drehte Ines sich zufrieden in Danielas einzigem Seidenkleid und gab sich redlich Mühe, sich in den hohen Stöckelschuhen aufrecht zu halten. Ein schwarzer Schleierhut, den Daniela bei der Beerdigung ihrer einzigen Schwester, Ines Mutter, getragen hatte, vervollständigte den Aufzug.
Doch ganz zufrieden war Ines nicht. Schließlich brauchte eine richtige Prinzessin auch eine Schleppe. Eine alte Gardine wäre nicht schlecht, und Ines wusste auch, wo ihre Tante all die Dinge aufbewahrte, die sie nicht mehr brauchte: in der untersten Schublade der Kommode.
Ines hatte noch nie ohne Erlaubnis in dieser Schublade gekramt, und sie zögerte kurz, bevor sie das Schubfach öffnete. Alte Handtücher lagen dort, Bettwäsche, die geflickt werden musste, ein alter Spitzenunterrock und ganz unten lag sogar, ordentlich gefaltet, eine leicht vergilbte Tüllgardine.
Glücklich schob Ines alles andere beiseite und griff nach ihrem Schatz, als ihre Finger einen kleinen Karton berührten, der verborgen unter all den ausrangierten Textilien lag. Eine Schatzkiste?
Die kleinen Finger griffen zu und zogen einen schon recht abgegriffenen, alten Schuhkarton hervor. Neugierig hob Ines ihn heraus, und als sie ihn auf ihren Knien hielt, erstarrte sie. In großen Buchstaben stand der Name ihrer Mutter auf dem Deckel des Kartons: Petra.
Liebevoll strich das Kind über den Namenszug. Mama! Warum hatte sie nur sterben müssen? Warum hatte dieses blöde Auto ausgerechnet ihre Mama überfahren müssen? Die Erinnerung an diesen Schicksalstag war unauslöschlich in dem Mädchen verankert. Nur zu genau erinnerte sie sich an die fremden Menschen, die plötzlich in ihrer kleinen Wohnung aufgetaucht waren, ihr sagten, dass ihre Mutter nie mehr wiederkäme, und sie in ein großes Haus brachten, in dem viele andere Kinder lebten, in ein Kinderheim.
Ines glaubte den Menschen nicht. Ihre Mutter hatte sie noch niemals im Stich gelassen. Ihre Mutter war alles, was sie hatte, außer Tante Dani natürlich, die sie hin und wieder besuchte. Aber ihre Mutter kehrte nicht zurück, und langsam begriff Ines, dass sie nun wirklich allein war. Wut und Zorn über diese Ungerechtigkeit beherrschten sie, bis Tante Dani kam und sie aus dem Heim abholte.
Seitdem lebte sie hier bei ihr. Anfangs hatte sie noch viel geweint und an ihre tote Mutter gedacht, aber mit der Zeit wurde der Kummer weniger, und sie erinnerte sich fast nur noch an die schönen Dinge, die sie mit ihrer Mutter erlebt hatte.
Langsam hob Ines den Deckel vom Karton. Drinnen lagen Fotos. Viele Fotos. Von Tante Dani und den Großeltern, die auch schon lange nicht mehr lebten und an die Ines sich kaum noch erinnern konnte, und natürlich Bilder von ihrer Mutter.
Ines starrte auf das Bild einer rotblonden lachenden, jungen Frau. Wie wunderschön ihre Mama doch gewesen war! Das nächste Foto zeigte Jan Färber, ihren Vater. Sie kannte ihn nicht, denn ihre Eltern hatten sich getrennt, als sie noch ein Baby gewesen war. Sie kannte ihn nur aus den Erzählungen ihrer Mutter, und die waren nicht sehr freundlich.
Rasch legte sie das Bild zur Seite und griff zum nächsten. Wieder zeigte es ihre Mutter. Aber diesmal wurde sie fast verdeckt von einem gut aussehenden jungen Mann, der den Arm um ihre Schultern gelegt hatte und mit zärtlichem Lächeln auf sie hinabblickte. Wie jung Mama auf dem Bild aussah und wie glücklich.
Ines betrachtete das Gesicht des Mannes mit einem seltsamen Gefühl. Kannte sie ihn? Nein, sie konnte sich an diesen Mann nicht erinnern, und doch weckte sein Bild ein vertrautes, angenehmes Gefühl in ihr.
Sah er nicht aus wie die Prinzen in ihrem Märchenbuch? Das markante Gesicht wirkte so gut und edel. Vielleicht ein tapferer Ritter? Hatte er ihre Mama vor einem bösen Zauberer oder gar einem Drachen gerettet? Oder vielleicht war er sogar ein König aus einem unbekannten Land.
Unwillkürlich nickte Ines. Ja, eine goldene Krone mit glitzernden Edelsteinen passte gut auf das volle, dunkle Haar. Bestimmt war er ein König. Ein guter und gerechter König …
»Ines!«
Sie zuckte zusammen und fuhr erschrocken herum. In der Tür stand ihre Tante.
***
Daniela Oldenfeld hatte den Supermarkt, in dem sie als Kassiererin arbeitete, sobald es ging verlassen. Zwar arbeitete sie eigentlich nur halbtags, aber gerade über die Mittagszeit war der Kundenandrang oft so groß, dass sie erst am frühen Nachmittag gehen konnte.
Sie machte sich Sorgen um Ines, der Tochter ihrer vor zwei Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Schwester. Allen Warnungen zum Trotz hatte sie das Kind damals zu sich genommen, um ihm ein neues Zuhause zu geben und ihm die geliebte Mutter zu ersetzen.
Sicher, mit diesem Entschluss hatte sie viele Nachteile in Kauf nehmen müssen. Sie konnte nur noch halbtags arbeiten, und finanziell kamen sie und Ines gerade so über die Runden. Hinzu kam, dass sie ihre Pläne von Weiterbildung und Karriere notgedrungen hatte aufgeben müssen.
Aber mehr als all das wog Ines’ Liebe und Zuneigung. Längst liebte sie das Kind, als sei es ihr eigenes. Ein Leben ohne Ines konnte und wollte Daniela Oldenfeld sich nicht mehr vorstellen.
Die Wohnung lag still und wirkte irgendwie verlassen. Wahrscheinlich schlief Ines noch. Leise öffnete sie die Tür zu ihrem Schlafzimmer und blieb wie erstarrt stehen.
Ines hockte in ihrem besten Kleid und ihrem Schleierhut vor der offenen Schublade der Kommode, eine alte Schuhschachtel auf den Knien.