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Eine atemberaubend schöne Dämonenjägerin und zwei sexy Brüder – so heiß war der Kampf zwischen Gut und Böse noch nie
Nachdem Eve ihren ersten Einsatz als Dämonenjägerin überstanden hat, wird sie von ihren Vorgesetzten in eine Art Trainingscamp für Gezeichnete gesteckt. Hier soll sie lernen, mit ihren neuen Superkräften richtig umzugehen, damit sie ein vollwertiges Mitglied im Kampf gegen das Böse sein kann. Doch dann geraten Eve und die anderen Gezeichneten in Schwierigkeiten: Eves Gefährten werden einer nach dem anderen getötet. Und es hat den Anschein, als könnte Eve diesmal nicht mit der Hilfe von Cain und Abel rechnen …
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Seitenzahl: 509
DAS BUCH
Evangeline Hollis, genannt Eve, ist überglücklich: Endlich ist sie mit Cain zusammen, dem Mann, der ihr Herz höher schlagen lässt. Viel Zeit, die neu gewonnene Leidenschaft mit ihrem sexy Lover zu genießen, bleibt Eve allerdings nicht: Obwohl sie ihren ersten Auftrag als Dämonenjägerin bravurös gemeistert hat, wird sie von ihrem neuen Boss, dem Erzengel Raguel in ein Trainingscamp für Gezeichnete geschickt. Dort soll Eve lernen, mit ihren neuen Superkräften umzugehen, damit sie ein vollwertiges Mitglied im Kampf gegen das Böse wird. Doch dann ereignen sich einige mysteriöse Mordfälle im Camp, und Eve hat den schrecklichen Verdacht, dass sich ein Dämon eingeschlichen haben könnte. Als ob das noch nicht genug Stress für Eve bedeuten würde, taucht auch noch Abel im Camp auf. Abel, der mit seinem Bruder Cain so gar nichts gemeinsam hat, außer einer Sache: das unkontrollierbare Begehren, das sie in Eve auslösen …
DIE AUTORIN
Die Nummer-1-Bestsellerautorin Sylvia Day stand mit ihrem Werk an der Spitze der New York Times-Bestsellerliste sowie 27 internationaler Listen. Sie hat über 20 preisgekrönte Romane geschrieben, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurden. Weltweit werden ihre Romane millionenfach verkauft, Lionsgate plant derzeit eine TV-Verfilmung von CROSSFIRE. Sylvia Day wurde nominiert für den Goodreads Choice Award in der Kategorie bester Autor.
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Sylvia Day
Geliebte
Sünde
Eves zweiter Fall
Roman
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
An alle unsere Soldaten im US-Militär: Danke! Ihr werdet geachtet und sehr geschätzt.
An jene von euch, die im Ausland dienen: Kehrt wohlbehalten zurück! Wir lieben und vermissen euch.
Meine Zeit beim Militär wurde enorm bereichert von den Soldaten, die meine Wege kreuzten. Von der Foxtrot Company, 229th Military Intelligence Battalion: Oglesby, Frye, Antonian, Doughty, Anderson, Edmonds, Calderon, McCain, Slovanick und Pat.
Christine: Du wirst immer meine Wahlschwester bleiben.
Ich liebe euch, Leute. Weiter so!
»Darum soll jeder, der Kain erschlägt,
siebenfacher Rache verfallen.
Darauf machte der Herr Kain ein Zeichen,
damit ihn keiner erschlage, der ihn finde.«
GENESIS, 4, 15
Anno Domini 2008
Kurs R4Ado8
Schüler/Herkunftsland
Callaghan, Kenneth; Schottland
Dubois, Claire; Frankreich
Edwards, Robert; England
Garza, Antonio; Italien
Hogan, Laurel; Neuseeland
Hollis, Evangeline; USA
Molenaar, Jan; Holland
Richens, Chad; England
Seiler, Iselda; Deutschland
Anzahl der Teilnehmer mit bestandener Abschlussprüfung:
UNTERLIEGT DER GEHEIMHALTUNG
Anzahl der Unfallverluste:
UNTERLIEGT DER GEHEIMHALTUNG
Status:
LAUFENDE INTERNE ERMITTLUNG
1
Evangeline Hollis erwachte inmitten des Gestanks von Höllenfeuer, Schwefel, Rauch und Asche.
Ihre Nasenlöcher brannten. Sie lag regungslos auf dem Rücken und zwang ihren Verstand, die Lage zu erfassen. Als sie sich die Lippen leckte, schmeckte sie den Tod im dicken Belag auf ihrer Zunge und ihrem Gaumen. Ihre Muskeln spannten sich an, um sich zu strecken, und ihr entfuhr ein Stöhnen.
Was war los? Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war …
… wie ein Drache sie gegrillt hatte.
Mit der Erinnerung überkam sie Panik, und sie war mit einem Schlag voll da. Eve setzte sich ruckartig auf und holte so tief Luft, dass es deutlich zu hören war. Sie blinzelte, doch um sie herum war nichts als tintenschwarze Dunkelheit. Mit einer Hand griff sie nach ihrem Arm und fühlte das erhabene Mal. Das Kainsmal – eine Triquetra, umgeben von einem Kreis aus drei Schlangen, die sich gegenseitig in den Schwanz bissen. Und das Auge Gottes in der Mitte.
Das Mal brannte, wann immer sie den Namen des Herrn missbräuchlich aussprach – was oft vorkam – oder log, was weniger oft vorkam, aber bisweilen ganz praktisch war. Hatte man es mit den Handlangern Satans zu tun, machte ein wenig Verschlagenheit das Kräfteverhältnis schlicht ausgewogener.
Wo zur Hölle bin ich?In ihrer aufrechten Position war der rauchige Gestank noch deutlich schlimmer. Eve rümpfte die Nase.
Bin ich vielleicht in der Hölle? Als eingefleischte Agnostikerin kämpfte sie nach wie vor damit, die reale Existenz Gottes zu akzeptieren. Himmel, Hölle, Seelen … das waren Phänomene, die sich nicht logisch erklären ließen.
Und wenn es einen gnädigen Gott und einen Himmel gab, wäre sie ja wohl da gelandet. Sie war erst seit sechs Wochen mit dem Kainsmal gezeichnet und noch nicht richtig ausgebildet im Töten von Höllenwesen; trotzdem hatte sie in dieser kurzen Zeit eine Tengu-Plage beseitigt, einen Nix getötet und es geschafft, einen Drachen zu besiegen. Sie hatte auch geholfen, eine neue große Bedrohung für die Guten abzuwenden – ein Spezialgebräu, mit dem sich Höllenwesen zeitweise vollständig als Normalsterbliche tarnten. Und es war ihr gelungen, Cain und Abel zum ersten Mal seit ihren Teenagerjahren zur Zusammenarbeit zu bewegen.
Sollte das alles noch nicht reichen, um ihre Seele zu retten, probierte sie ihr Glück eben beim Teufel. Vielleicht hatte der mehr Sinn für Fairplay.
Während sich Eves Verstand abmühte, die Situation einzuschätzen, drang Gesang durch den Nebel in ihrem Kopf. Sie konnte kein Wort verstehen, und dennoch klang es vertraut. Es war Japanisch – und die Stimme war die ihrer Mutter.
Die Vorstellung, gemeinsam mit ihrer Mutter in der Hölle zu sein, war seltsam tröstlich und beängstigend zugleich.
Vorsichtig tastete sie den Grund unter sich ab, um herauszufinden, wo sie war. Sie fühlte Satin, so wie die Laken auf ihrem Bett. Eine kühle Brise strich über ihre Stirn, und vor Eve explodierte alles zu lebendiger Farbe. Vor Schreck zuckte sie heftig zusammen.
Sie war in ihrem Schlafzimmer und saß in ihrem großen Bett. Als wären ihre Sinne stumm geschaltet gewesen, hörte sie nun auch das stete Krachen der Wellen gegen das Ufer von Huntington Beach, laut und deutlich. Das beruhigende Geräusch übertrug sich durch die offene Balkontür im Wohnzimmer bis hierher ins Schlafzimmer.
Zu Hause. Ihre Anspannung ließ nach, und ihre Schultern lockerten sich. Dann brachte sie etwas am Rand ihres Blickfelds dazu, den Kopf zu drehen.
Sie musste die Arme heben, um die Augen gegen das grelle Licht abzuschirmen, und trotzdem erkannte sie kaum die Silhouette des geflügelten Mannes, der in der Ecke zwischen ihrem Schrank und der Kommode aus gebleichter Kiefer stand. Eve blinzelte gegen die Tränen an, die ihr in die Augen schossen. Sie riskierte noch einen Blick auf den Engel und stellte wieder einmal fest, dass ihre neuen Fähigkeiten ihr eingaben, was zu tun war, bevor sie es selbst wusste. Sie nahm die Arme herunter, denn jetzt konnte sie ihn ansehen, ohne dass es sie schmerzhaft blendete.
Der Engel war groß, hatte muskulöse Arme und Beine und trug ein knielanges, ärmelloses Gewand. Es war weiß und in der Mitte mit einem braunen Flechtband zusammengehalten. Die schwarzen Kampfstiefel mit den fiesen Spikes in der Außenseite waren ebenso verblüffend wie die unglaubliche Vollkommenheit seiner Züge. Sein Kinn war kantig, das Haar dunkel und zu einem Zopf gebunden. Seine Iris schimmerte wie blaue Flammen, und er strahlte etwas aus, das Eve ermahnte, sich lieber nicht mit ihm anzulegen.
Sein Blick fiel auf ihre Brust. Eves folgte ihm. Sie war nackt!
»Mist!« Eve riss sich die Bettdecke bis zum Kinn hoch.
Miyoko Hollis erschien mit einer Armladung Wäsche in der Tür.
»Ah, du bist wach«, rief sie. In ihrer Stimme klang nach wie vor ein japanischer Akzent mit.
»Scheint so.« Eve war so froh, ihre Mom zu sehen, dass sie heulen wollte. »Schön, dich zu sehen.«
»Na, das sagst du jetzt.« Mit den energischen Schritten der ehemaligen Krankenschwester kam Miyoko auf das Bett zu. Sie war ein zierliches Energiebündel, ein Tornado, der Eve häufig erschöpft zurückließ. »Du hast dich eine ganze Weile nicht bewegt. Ich dachte schon fast, du bist tot.«
Eve war tot gewesen. Das war das Problem. »Welcher Tag ist heute?«
»Dienstag.«
Noch eine Brise Schwefelgestank wehte Eve entgegen, und sie wedelte mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum. Jetzt entdeckte sie auch die Quelle auf ihrer Kommode – ein Räucherstäbchen.
»Was immer das für ein Duft sein soll«, murmelte Eve, die ein wenig erschrocken war, dass sie zwei Tage verloren hatte, »er stinkt.«
Miyoko warf die noch warme Wäsche auf die Bettdecke. Sie trug einen Hello-Kitty-Pyjama – rosa Flanellhose und ein T-Shirt mit einem gigantischen Hello-Kitty-Gesicht vorne drauf. Mit ihren Zöpfen und dem faltenfreien Gesicht sah sie eher wie Eves Schwester als wie ihre Mutter aus. Und sie benahm sich, als wäre dies ihre Wohnung – was sie nicht war. Darrel und Miyoko Hollis lebten in Anaheim – dem Zuhause von Disneyland, California Adventure und Eves Kindheit. Doch wann immer ihre Mutter zu Besuch kam, musste Eve wie ein Alpha-Weibchen um ihren Platz in ihrem eigenen Heim kämpfen.
Eve beobachtete, wie ihre Mutter geradewegs an dem Engel vorbeiging, ohne mit der Wimper zu zucken. So wie er dastand, die Arme verschränkt, die Beine leicht ausgestellt und die Flügel auf dem Rücken zusammengefaltet, konnte man ihn unmöglich übersehen …
Es sei denn, man konnte ihn nicht sehen.
»Aromatherapie unterstützt den Heilungsprozess«, erklärte Miyoko.
»Nicht wenn sie wie Scheiße stinkt. Und warum machst du schon wieder meine Wäsche? Kannst du nicht mal vorbeikommen und einfach entspannen?«
»Das ist keine Scheiße, sondern Jasmin-Kamille. Und ich mache deine Wäsche, weil sie sich schon wieder stapelte. In einem chaotischen Haushalt kann ich mich nicht entspannen.«
»Mein Haushalt ist nie chaotisch!« Ihre Mom machte jedes Mal die Wäsche, wenn sie zu Besuch kam, ungeachtet der Tatsache, dass Eve mit achtundzwanzig Jahren durchaus imstande war, sie selbst zu waschen und zu trocknen. Egal, wie blitzsauber ihre Wohnung sein mochte, ihre Mutter putzte sie – und räumte bei der Gelegenheit gleich alles so um, wie es ihr gefiel.
»War er wohl«, erwiderte ihre Mutter. »Dein Wäschekorb quoll über, und in deiner Spüle hat sich schmutziges Geschirr getürmt.«
Eve zeigte auf die Boxershorts, Herrenhemden und Handtücher in dem Stapel. »Das sind nicht meine Sachen. Und das Geschirr war auch nicht von mir.«
Wie würde ihre Mutter reagieren, wenn sie erfuhr, dass sie Cains und Abels Sachen wusch? Die Brüder nannten sich heute Alec Cain und Reed Abel, doch sie waren immer noch die legendären Zwillinge aus der Bibel.
»Alec hat alle Handtücher benutzt und seine Sachen auf dem Badezimmerfußboden liegen gelassen.« Miyokos Ton war eindeutig tadelnd. Natürlich. Kein Mann war gut genug für Eve. In den Augen ihrer Mutter hatten sie alle irgendeinen Makel, und sei er noch so klein. »Und er und dein Chef nehmen sich jedes Mal ein neues Glas, wenn sie etwas trinken.«
»Alec wohnt nebenan. Warum verwüstet er nicht seine eigene Wohnung?«
»Das fragst du mich?« Ihre Mutter schnaubte. »Ich weiß immer noch nicht, warum Reed so viel hier ist. Das ist doch nicht normal. Und warum ist dein Freund derCEOeiner Firma wie Meggido Industries, trägt aber nie einen Anzug?«
Bei dem Gedanken an Alec im Anzug musste Eve grinsen. »Wenn man eine Firma leitet und es gut macht, kann man anziehen, was man will.«
Eve streckte sich vorsichtig und verzog das Gesicht, weil ihr Rücken immer noch empfindlich war. Dann rief sie laut: »Alec!«
»Brüll nicht so.«
»Ich bin hier zu Hause, Mom.«
»Männer mögen es nicht, angebrüllt zu werden.«
»Mom!« Sie atmete frustriert aus. »Was kümmert dich das überhaupt? Er lässt Handtücher auf dem Badezimmerboden liegen.«
Das war auch einer der Lieblingsaufreger von Eve, nur wurde ein Mann für sie deshalb nicht zwangsläufig als unheiratbar abqualifiziert.
»Es ist rücksichtslos«, meckerte Miyoko. »Und unhygienisch.«
Eve sah zu dem Engel. Es war ihr peinlich, dass er ihre Kabbelei mitbekam. Sein Flammenblick begegnete ihrem, dann rümpfte er die Nase.
»Mom!« Eve wurde etwas energischer. »Mach das Räucherstäbchen aus, bitte! Ich meine es ernst. Das stinkt.«
Miyoko stieß einen verärgerten Laut aus, ging jedoch auf das Räucherstäbchen zu, um es auszumachen. »Du bist schwierig.«
»Und du bist stur, aber ich liebe dich trotzdem.«
»Du bist wach«, unterbrach Alec sie, der ins Schlafzimmer kam. Er scannte sie mit diesen unergründlichen Augen auf irgendwelche besorgniserregenden Zeichen. »Du hast mir einen Schrecken eingejagt, Angel.«
Angel. Diesen Kosenamen benutzte ausschließlich er, und jedes Mal, wenn sie ihn hörte, krümmten sich ihre Zehen zusammen. Alecs Stimme war samtweich und konnte eine Lesung von Hawking’s Eine kurze Geschichte der Zeit zu einem orgiastischen Erlebnis machen.
In den langen Shorts und dem ärmellosen weißen T-Shirt sah er heißer aus, als die meisten Männer es in einem Smoking schaffen würden. Sein schwarzes Haar war einen Tick zu lang, und beim Gehen wiegte er sich ein bisschen, doch egal, was er trug oder wie lässig er sich bewegte – er wirkte immer wie jemand, mit dem man sich tunlichst nicht anlegen sollte. Es war der Jäger in ihm, das Raubtier. Alec tötete von Berufs wegen, und er war sehr gut darin.
Seinetwegen hatte Eve das Mal. Und er war ihr Mentor.
Hinter ihm betrat sein Bruder Reed das Zimmer. Ihre äußerliche Ähnlichkeit war groß genug, um sie als Zwillinge auszuweisen, doch ansonsten waren sie so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Reed mochte Armani-Anzüge und tadellose Haarschnitte. Er hatte die Organisation der Gezeichneten mal mit dem Justizsystem verglichen. Die Erzengel waren die Kautionsbürgen, Reed der Einsatzleiter und Eve eine Kautionsjägerin. Und keine besonders gute … noch nicht. Aber sie lernte und bemühte sich.
Reed war dafür zuständig, ihr die Aufträge zuzuteilen und oberflächlich für ihre Sicherheit zu sorgen. Als ihr Mentor bestand Alecs einzige Aufgabe darin, sie am Leben zu erhalten – unter normalen Umständen. Aber Gott war nicht gewillt gewesen, auf die Talente seines erfahrensten und stärksten Vollstreckers zu verzichten. Alec musste einen Deal machen, um bei ihr zu sein, und das Resultat war, dass Reed meistens mehr zu sagen hatte, wenn es um Eve ging. Angesichts der himmelschreienden Feindseligkeit zwischen den beiden Brüdern war die Ausgangslage daher denkbar verkorkst.
»Willkommen im Land der Lebenden, Miss Hollis«, begrüßte Reed sie. Er lächelte so arrogant wie eh und je, doch in seinen dunklen Augen war ein Anflug von Unsicherheit zu erkennen, den Eve regelrecht entzückend fand. Er hatte keine Ahnung, was er mit seinen Gefühlen für sie anfangen sollte. Und da sie eine Beziehung mit seinem Bruder hatte, konnte sie ihm dabei nicht helfen. Über ihre Gefühle für ihn dachte sie lieber gar nicht erst nach. Das war viel zu kompliziert, und ihr Leben war bereits eine Katastrophe biblischen Ausmaßes.
Beide Männer bemerkten den Engel in der Ecke, der vollkommen regungslos dastand. Sie verneigten sich ehrfürchtig.
Miyoko, die zu sehr damit beschäftigt war, Eve verärgert anzufunkeln, bekam die Geste nicht mit. Eve schob ihren Job als Innenarchitektin vor, um Reeds häufige Anwesenheit zu erklären. Soweit ihre Familie wusste, arbeitete sie meistens von zu Hause aus, und wenn Reed sehen wollte, was sie machte, kam er eben hier vorbei.
Miyoko glaubte ihr natürlich nicht. Sie ging davon aus, dass alle männlichen Innenarchitekten schwul waren, und das war Reed ganz offensichtlich nicht. Eve hatte keine Ahnung, was ihre Mutter wirklich glaubte, aber ihr war klar, dass die offensichtliche Disharmonie zwischen den beiden Männern Miyokos Misstrauen noch befeuerte.
Bei Alecs Lächeln wurde Eve wunderbar warm. »Wie fühlst du dich?«
»Durstig.«
»Ich hole dir Eiswasser«, bot Reed an.
Sie lächelte. »Danke.«
Alec bückte sich und presste die Lippen auf ihre Stirn. »Hast du Hunger?«
»Eine Banane wäre gut.« Sie fing sein Handgelenk ein, bevor er sich wieder zurückziehen konnte. »Ich hatte einen Traum. Einen Albtraum, in dem ich von einem Drachen umgebracht wurde.«
»Dein Unterbewusstsein versucht, dir etwas zu sagen«, sagte ihre Mutter. »Aber du kannst nicht geträumt haben, dass du stirbst. Ich habe gehört, wenn man in seinen Träumen stirbt, stirbt man auch tatsächlich.«
»Das halte ich für einen Mythos.«
»Kann man nie wissen«, widersprach Miyoko, während sie die Wäsche zusammenlegte. »Wenn dir das passiert wäre, wärst du tot und könntest es uns nicht erzählen.«
Alec saß auf der Bettkante und beobachtete Eve aufmerksam. Ihm war klar, dass sie nicht sagen konnte, was sie eigentlich sagen wollte, solange ihre Mutter im Zimmer war.
»Jetzt ist es vorbei«, beruhigte er sie. »Du bist in Sicherheit.«
»Es war so echt … Ich begreife nicht, wie ich jetzt hier sitzen kann.«
»Darüber reden wir später, nachdem du etwas gegessen hast.« Er drückte ihre Hand, und in seinem Ausdruck lag eine Sanftheit, die er nur bei ihr zeigte. »Ich hole dir eine Banane.«
Er ging, und ihre Mom kam wieder zur Seite des Betts. Sie beugte sich vor und flüsterte laut: »Er zankt sich mit deinem Chef. Wegenallem!Wie ein altes Ehepaar. Die beiden haben zu viel Testosteron und zu wenig Verstand.«
Der Engel stieß einen erstickten Laut aus.
»Mom!« Eve blickte in die Ecke. Der Engel wirkte gequält, und diesen Gesichtsausdruck kannte Eve sehr gut von ihrem Vater.
Miyoko richtete sich wieder auf und nahm die zusammengefaltete Wäsche. »EinumsichtigerMann hätte Sonnencreme mit an den Strand genommen. Er hätte nicht zugelassen, dass du dich so verbrennst.«
Ein Sonnenbrand also. Eve fasste nicht, dass das die Ausrede war. Schön wär’s! »Ich könnte die Männer, die ich jemals mit Sonnencreme gesehen habe, an einer Hand abzählen.«
»Ein guter Mann hätte sie trotzdem dabei gehabt«, beharrte ihre Mutter.
»Wie Dad?«
»Ja.«
»Ich habe Dad noch nie mit Sonnencreme gesehen.«
»Darum geht es nicht.«
»Ja, dachte ich mir.«
Eve liebte ihren Vater heiß und innig. Darrel Hollis war ein sanftmütiger Mann aus Alabama mit einem ausgeglichenen Temperament und einem sanften Lächeln. Außerdem war er vollkommen harmlos und berechenbar. Seit er im Ruhestand war, stand er bei Sonnenaufgang auf, sah fern oder las und ging nach dem Abendessen wieder ins Bett. Das Spektakulärste, was er in seinem Leben getan hatte, war, eine Austauschstudentin zu heiraten. (Und Eve vermutete, dass ihre Mutter ihm keine große Wahl gelassen hatte.)
»Hör auf, mit hübschen Männern auszugehen«, schalt Miyoko, »und such dir jemand Zuverlässigen.«
Eve warf dem Engel in der Ecke einen flehenden Blick zu, worauf er seufzend näher kam. Seine Stimme hatte eine beruhigende Resonanz, die kein Sterblicher zustande brächte.
»Du willst die Blumen in den Töpfen vor der Haustür austauschen«, flüsterte er Miyoko ins Ohr. »Du fährst zum Gärtner und von dort nach Hause, wo du den Rest des Nachmittags ganz in deiner Gartenarbeit aufgehst. Evangeline geht es gut. Sie braucht dich nicht mehr.«
Ihre Mutter hielt inne und neigte nachdenklich den Kopf zur Seite. Ach, die Gabe der Überzeugungskraft! Die beherrschte Eve bis heute nicht.
»Und gönn dir auch eine Pediküre«, ergänzte Eve. »Die hast du verdient.«
Miyoko schüttelte den Kopf. »Ich brauche keine …«
»Geh zur Pediküre«, befahl der Engel.
»Ich denke, ich gehe mal wieder zur Pediküre«, sagte Miyoko.
»Lass dir Blumen auf die großen Zehen lackieren«, fuhr Eve fort.
Der Engel bedachte sie mit einem vernichtenden Blick.
Sofort zog sie den Kopf ein. »Wenn du willst«, sagte sie schnell.
Alec kam mit der Banane. Neben ihrem Bett schälte er sie, und Eve starrte gebannt auf sein Muskelspiel.
»Ich fahre nach Hause«, sagte ihre Mom plötzlich. »Die Wäsche und der Abwasch sind erledigt, und dir geht es besser. Du brauchst mich nicht mehr.«
»Danke für alles.« Eve wollte aufstehen und ihre Mutter umarmen, doch ihr fiel rechtzeitig wieder ein, dass sie unter den Laken nackt war.
Miyoko winkte schon ab und ging zur Tür. »Ich zieh mich um und packe meine Sachen, dann komme ich mich verabschieden.«
Reeds raspelnde Stimme aus dem Flur war wie ein warmer Sonnenstrahl auf Eves Haut. »Ich helfe Ihnen, Mrs. Hollis.«
Eve sah Alec an, der sich wieder auf die Bettkante setzte, sah dann zu dem Engel. »Hi.«
»Hallo Evangeline.« Er trat vor, wobei seine schweren Stiefel auf dem Holzboden keinerlei Geräusch machten. Seine Flügel bestanden aus Unmengen Federn, und vor allem schienen es gleich drei Paare zu ein. Diese Erscheinung war mehr als eindrucksvoll, ja, es war die absolut umwerfendste Gestalt, die Eve je gesehen hatte.
»Wer bist du?«, fragte sie, bevor sie einen Bissen von der Banane nahm. Sie schluckte schnell und biss gleich noch mal ab. Ihr knurrender Magen erinnerte sie wieder daran, dass das Mal eine Tonne Kalorien verschlang, weshalb sie oft und viel essen sollte.
»Sabrael.«
Kauend sah sie wieder zu Alec.
»Er ist ein Seraph«, erklärte er.
Eve machte große Augen und kaute schneller, weil es ihr peinlich war, in solcher Gesellschaft nackt zu sein. Die Seraphim waren die höchsten Engel und rangierten weit über den Erzengeln, die das System der Gezeichneten auf der Erde steuerten. Alec war ein Mal’akh – der niederste Engelsrang –, genau wie sein Bruder. Und Eve war bloß eine schlichte Gezeichnete, einer von Tausenden armen Wichten, die wegen vermeintlicher Sünden in den göttlichen Dienst beordert wurden. Sie erarbeiteten sich ihre Absolution, indem sie Höllenwesen jagten und töteten, die einmal zu oft ihre Grenze überschritten hatten. Für jede erfolgreiche Auslöschung gab es ein Kopfgeld, einen Ablasspunkt für die Rettung der Gezeichnetenseelen.
»Darf ich mich anziehen?«, fragte sie und wischte sich mit den Fingerspitzen über den Mund.
Alec stand auf und nahm ihr die leere Bananenschale ab. »Sabrael wird nicht gehen, ehe er mit dir geredet hat. Die Himmelswesen haben eine andere Haltung zur Nacktheit als Sterbliche. Sag mir, was du brauchst, dann hole ich es dir.«
Eve dirigierte ihn zu einem Strandkleid in ihrem Wandschrank. Es war aus hellblauem Frottee und hatte eine Kapuze, kurze Ärmel und eine Tasche vorn. Alec brachte es ihr und zog es ihr über den Kopf, und Eve fädelte ihre diversen Körperteile durch die dazugehörigen Öffnungen.
»Okay, Sabrael«, begann sie, während sie sich das Haar aus dem Gesicht strich. »Warum bist du hier?«
»Die angemessenere Frage wäre: Warum bist du hier, Evangeline? Du solltest tot sein.«
Sie verkniff sich ein Stöhnen. Wieder mal ein Rätsel. Alle Engel schienen in Rätseln zu sprechen, ausgenommen Alec und Reed. Die beiden waren so direkt, dass Eve permanent rot würde, wäre das Kainsmal nicht, das derlei Energieverschwendung verhinderte. »Ich dachte, das wäre ich.«
»Warst du. Aber Cain behauptet, dass du etwas weißt, das wir brauchen.«
Eve sah wieder zu Alec. »Du hast mich von den Toten zurückgeholt, um mich ins Kreuzverhör zu nehmen?«
Sabrael verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust. »Du warst auf dem Weg an einen Ort, an dem wir dich nicht fragen könnten. Es gab keine andere Möglichkeit.«
Sie blickte gen Himmel. »Du verstehst es echt, mein Herz zu erobern, was?«
»Es kommt dir nicht zu, von Jehovah zu verlangen, dass er sich dir beweist«, sagte Sabrael in furchteinflößendem Ton.
»Du hast gesagt, dass wir in Upland etwas übersehen haben«, half Alec ihrem Gedächtnis nach und verwob seine Finger mit ihren.
Eve dachte an ihren letzten Auftrag: ein Höllenwesen in einer der Herrentoiletten des Qualcomm-Stadions auszuschalten. Alec hatte sie auf ihr erstes »Date« dorthin mitgenommen – ein Footballspiel der Chargers gegen die Seahawks. Dann war Reed aufgekreuzt und hatte gesagt, es wäre Zeit, dass sie den Stoff aus ihrem Kurs in der Praxis anwandte.
»Einen Wolf«, murmelte sie.
»Was?«
»Ich hatte sie auf einen Werwolf angesetzt«, sagte Reed von der offenen Tür aus. Er kam zur anderen Seite des Betts und reichte Eve eine gekühlte Wasserflasche. »Einen Jugendlichen, also ein leichtes Spiel.«
»Nur dass es kein Wolf war«, konterte Alec. »Und beschissen leicht war es erst recht nicht.«
»Da war aber einer«, erklärte Eve. »Einer von den Jugendlichen, die wir im Laden in Upland gesehen hatten.«
Upland. Nie wieder würde sie so über die Stadt denken wie früher. Sie waren im Rahmen einer Ermittlung dorthin geschickt worden. So wie Gezeichnete das Kainsmal trugen, hatten die Höllenwesen ihre »Kennzeichen«, die ihre Art und ihren Rang in der Höllenhierarchie verrieten, ähnlich wie Militärabzeichen. Außerdem stanken sie nach verrottenden Seelen, was es einfach machte, sie zu erkennen. Als Eve über ein Höllenwesen ohne Kennzeichen oder Gestank stolperte, sollte sie mit Alec zusammen herausfinden, wie das möglich war. Sie hatten entdeckt, dass die Wesen über ein Tarngemisch verfügten. Somit bestand die Gefahr, dass das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse hinreichend gestört wurde, um Armageddon herbeizuführen.
Die Operation wurde von einem Steinmetzbetrieb in Upland aus geleitet. Den Laden gab es inzwischen nicht mehr, denn er war komplett in die Luft geflogen, nachdem Eve einen Wasserdämon in einen Brennofen geschubst hatte. Doch das eigentliche Problem war offenbar noch nicht aus der Welt. Der Drache hatte keinen Geruch gehabt, und das konnte nur auf die Tarnmixtur zurückzuführen sein.
»Er hat gesagt, dass ihn der Alpha schickte«, fuhr Eve fort. »Sie wollten meinen Tod als Rache für den Tod seines Sohns.«
Alecs Züge verhärteten sich, und Eve fröstelte. »Charles.«
»Viel problematischer ist aber, dass der Drache, den er bei sich hatte, weder stank noch Kennzeichen hatte«, sagte Eve sofort.
»Irgendwo muss es noch mehr von dem Tarngemisch geben«, stellte Reed fest. »Entweder einen Vorrat oder eine neue Produktion.«
»Könnte die Tarnung dauerhaft sein?«, fragte Sabrael.
»Nein, die nutzt sich ab. Das habe ich selbst gesehen.«
Der Seraph sah Alec an. »Hast du das Höllenwesen auch nicht gerochen?«
»Ich sagte doch schon, dass ich nicht darauf geachtet habe.« Alecs Blick blieb auf Eve fixiert. Der Muskel unter dem Mal an seinem Arm zuckte, als würde es wehtun, und Eve begriff, was los war. Er log. Das Mal brannte, wenn man sündigte.
Dann wandte sich Alec Sabrael zu und sagte: »Ich bin nicht zum Mentor ausgebildet und weiß nicht, wie ich mich gleichzeitig auf das Ziel und auf Eve konzentriere. Ich kann mich nur ganz auf sie einstimmen.«
Um sie von den Höllenpforten zurückzuholen, hatte er jemand Mächtigen belogen. Einen Seraphen. Oder womöglich Gott selbst. Dafür würde Alec bezahlen … auf die eine oder andere Art. Und jetzt log er schon wieder. Für sie.
Sie drückte seine Hand so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden, doch Alec beschwerte sich nicht.
Miyoko kam wieder herein und beäugte die beiden Männer neben Eves Bett misstrauisch. »Okay, ich bin so weit.«
Alec trat beiseite, damit Eve aufstehen konnte, hielt sie jedoch zurück, als klar wurde, dass ihr Kreislauf dem nicht gewachsen war. Stattdessen streckte sie beide Arme zu ihrer Mutter aus.
»Wann hast du dir die Narbe entfernen lassen?«, fragte ihre Mutter.
Ihre Finger streiften das Kainsmal. Mit ihm waren sämtliche Narben aus Eves Kindheit verschwunden. Ihr Körper war jetzt ein Tempel. Er funktionierte wie eine gut geölte Maschine – präzise und ohne Ablenkungen wie Schwitzen, Herzklopfen oder beschleunigte Atmung. Außer wenn Sex im Spiel war – dann lief alles wie bei anderen Sterblichen. Es führte dazu, dass man süchtig nach Orgasmen wurde, denn sie waren die einzige Möglichkeit für Gezeichnete, »high« zu werden.
Als ihre Mutter nichts zu dem Mal auf ihrem Deltamuskel sagte, runzelte Eve die Stirn. Eves jüngere Schwester Sophia hatte sich nach ihrem ersten Tattoo anhören müssen: »Du warst mal so ein hübsches Baby!«
»Ich habe ein Tattoo«, antwortete Eve trocken, »und du sorgst dich wegen eines Leberflecks?«
»Du hast ein Tattoo?«, kreischte ihre Mutter. »Wo?«
Blinzelnd sah Eve auf ihren Arm, dann zu Alec, der den Kopf schüttelte.
Ihre Mutter konnte es nicht sehen.
Eine schwere Beklommenheit überkam Eve. Die Kluft zwischen ihr und ihrem alten Leben war keine symbolische.
»War nur ein Scherz«, hauchte Eve heiser.
»Und ein furchtbarer!«, beschwerte sich ihre Mutter. »Ich hätte beinahe geweint.«
Sie umarmten sich, und Miyoko wich wieder zurück. »Ich habe etwas Onigri gemacht. Es ist in einer Plastikdose neben der Kaffeemaschine.«
»Danke, Mom.«
Reed ging zur Tür. »Ich helfe Ihnen, Ihre Sachen nach unten zu bringen, Mrs. Hollis.«
Miyoko strahlte. Eves Wohnung war im Obergeschoss, und die Garage war ganz unten.
»Schleimer«, murmelte Alec, als sie gingen.
Eve gab ihm einen Klaps. »Sie braucht Hilfe!«
»Ich hätte ihr geholfen, wäre er nicht so aufdringlich.«
Sabrael räusperte sich. »Du wirst den Alpha-Wolf jagen, Cain.«
Einen Moment lang herrschte bleierne Stille, dann sagte Alec: »Eve ist noch in der Ausbildung.«
»Und das wird sie auch bleiben«, bestätigte der Seraph. »Der Klassenraum ist für sie der sicherste Ort, aber du musst weg.«
Alec schüttelte den Kopf. »Kommt nicht infrage. Du kannst kein Mentor/Gezeichnete-Paar trennen.«
»Charles Grimshaw hat mit der Höllenwesentarnung zu tun. Sein Sohn war in der Steinmetzwerkstatt, wo die Tarnmasse hergestellt wurde, und der getarnte Drache, der Evangeline tötete, wurde von ihm geschickt. Uns rennt die Zeit davon. Er muss zur Strecke gebracht werden, bevor er noch mehr Schaden anrichtet. Die Abmachung war, dass du weiterhin Einzeljagden übernimmt, genauso wie deine Zöglinge.«
Alec fuhr sich mit beiden Händen durch sein dunkles Haar. »Sobald bekannt wird, dass sie noch lebt, werden sie nach ihr jagen. Sie braucht mich in ihrer Nähe, um sie zu beschützen.«
»Raguel verfügt derzeit über seine vollen Kräfte. Ich bezweifle, dass du ihr besseren Schutz bieten kannst als ein Erzengel in voller Montur. Und vergiss nicht, dass du für jeden Ausgelöschten den doppelten Ablass bekommst. Ein Höllenwesen von Grimshaws Rang zu töten bringt dich um Jahre voran.«
Alecs Züge verhärteten sich. »Und ich soll einfach sagen, ›Tut mir leid, Angel. Ich muss meinen eigenen Arsch retten, also bist du auf dich gestellt‹?«
Eve zuckte zusammen.
»Ich komme schon klar«, versicherte sie ihm und strich mit dem Daumen über seine Handfläche. »Das dürfte kein Problem sein. Du und Reed kümmert euch um euren Kram und macht euch keine Sorgen. Wir alle wissen, dass Gadara schon auf mich aufpasst, weil er mich braucht, um euch zu erpressen.«
»Was nicht bedeutet, dass wir uns keine Sorgen machen«, entgegnete Reed, der wieder zurück war. »Du verstehst es ziemlich gut, dich in Schwierigkeiten zu bringen.«
Fast hätte sie erwidert, dass Gadara sie mit Vorliebe in brenzlige Situationen scheuchte, um Alec zu ärgern, doch das hätte die beiden nicht unbedingt beruhigt.
»Mir gefällt vor allem nicht, dass in dieser Woche das Außentraining stattfindet«, sagte Alec und blickte zu Reed. »Es ist eine Sache, im Gadara Tower zu sein, aber im Freien …«
»Fort McCroskey ist ein Militärstützpunkt«, wandte Sabrael ein.
»Ein stillgelegter.«
»Trotzdem sind noch Soldaten dort, und Raguel reist mit seiner Wächter-Entourage an.«
Eve runzelte die Stirn. »Wovon redet ihr?«
Reed erklärte es ihr. »Raguel fährt mit deinem Kurs nach Nordkalifornien. Da gibt es eine frühere Army Base, die er gern für praktische Übungen nutzt.«
Eve stöhnte innerlich. Eine Woche lang mit einem Kurs voller frisch Gezeichneter, die Eve nicht ausstehen konnten, weil der berüchtigte Cain ihr Mentor und der nicht minder berühmte Abel ihr Einsatzleiter war! Das dürfte ungefähr so vergnüglich werden wie eine Runde Brazilian Waxing.
»Lebt der Alpha nicht da oben?«, fragte sie.
Alec nickte. »Ein paar Stunden nördlich vom Stützpunkt. Fort McCroskey ist bei Monterey, das Grimshaw-Rudel wohnt in der Nähe von Oakland.«
»Ein paar Fahrtstunden Entfernung sind recht günstig«, sagte Sabrael. »Du könntest auch zu einem Auftrag auf der anderen Erdhalbkugel geschickt werden.«
»Trotzdem gefällt es mir nicht«, konterte Alec. »Und ich bringe Eve nach Monterey und reise von dort weiter.«
Reed grinste. »Ich werde sie im Auge behalten, solange Cain beschäftigt ist.«
»Du hast ein Höllenwesen zu klassifizieren«, erinnerte Sabrael ihn. »Ihr beide müsst darauf vertrauen, dass Raguel für Evangelines Sicherheit sorgt.«
Eve seufzte. »Möchte jemand mit mir tauschen?«
»Bedaure, Babe«, sagte Reed. »Beim Training wird nicht geschwänzt.«
»Sie ist nicht dein Babe«, fuhr Alec ihn an.
Reed hob beide Hände, allerdings verriet das Blitzen in seinen Augen, dass die Geste keineswegs ernst gemeint war.
Der Zwist zwischen den beiden wurde noch dadurch verschärft, dass Eve bereits mit Reed intim gewesen war. Das war, bevor Alec wieder in ihr Leben getreten war, deshalb konnte er es ihr nicht vorhalten. Wollte man allerdings behaupten, dass er seinen Bruder nicht mal in einer Meile Entfernung von Eve wissen wollte, wäre das noch glatt untertrieben.
Alec sah Eve an, und sein Gesichtsausdruck wurde wieder weicher. »Würdest du lieber echte Dämonen jagen, als so zu tun?«
»Vielleicht wurde ich mit einer anderen Persönlichkeit wiedergeboren«, mutmaßte sie. »Wie in Die Invasion der Körperfresser.«
»Oder du bist so sauer, weil du getötet wurdest, dass du es denen heimzahlen willst.«
Ihre Mundwinkel bogen sich nach oben. Wie gut er sie doch kannte!
»Falls du doch einer von diesen Aliens bist, ist dein Körpergeschmack ganz exzellent«, fügte er an.
Ein Kribbeln durchfuhr Eve, und Alecs Zwinkern verriet ihr, dass er es wusste.
»Noch vier Wochen, Angel. Dann reißen wir sie in Stücke.«
Vier Wochen Kurs, eine davon eine Campingtour der besonderen Art. Eve seufzte wieder. Sie war eindeutig zurück unter den Lebenden.
Die Hölle dürfte kaum so subtil foltern.
2
»Tut mir leid wegen Takeo.«
Reed sah zu dem Gezeichneten, der mit ihm in den Gadara Tower ging. »Danke, Kobe.«
Kobe Denner wischte sich mit der Hand übers Gesicht und fluchte in seiner Muttersprache Zulu. »Er hat mir mal das Leben gerettet. Ich war ihm etwas schuldig, und er war ein guter Gezeichneter.«
»Mein bester.« Den Tod von Takeo zu rächen stand ganz oben auf Reeds To-do-Liste. Aber zuerst musste er das Höllenwesen bestimmen, das für die Tat verantwortlich war, und dann herausbekommen, wie er es am besten ausschaltete.
»Ich habe gehört, dass es ein unbekannter Dämonentyp war.«
»Ja, das stimmt.«
»Muss ein richtig übler gewesen sein, wenn er Takeo überwältigen konnte.«
»So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen.« Reeds Ton hörte man an, wie ernst die Lage war.
»Scheiße.« Kobes dunkle Augen wirkten traurig. Das Kainsmal hielt seine Züge jung, konnte jedoch nicht die Last der Erfahrung verbergen, die den einen Meter fünfundneunzig großen Mann niederdrückte. Dämonen zu töten kam die Seele teuer zu stehen. »Es ist so schon schlimm genug da draußen.«
»Wir finden ihn und schalten ihn aus. Das tun wir immer.« Reed war froh, dass er zuversichtlicher klang, als er war.
Kobe blieb neben einer der riesigen Topfpflanzen in der Eingangshalle stehen. »Glaubst du, Takeo ist reingekommen?«
Reed holte tief Luft und überlegte, wie er darauf antworten sollte. Es war eine gängige Frage unter den Gezeichneten. Immerhin arbeiteten sie für ihre Absolution – da wollten sie natürlich wissen, ob man ihnen Einzug in den Himmel gewährte, falls sie ihr Leben verloren, bevor sie hinreichend Ablässe angesammelt hatten.
»Er verdiente es«, antwortete Reed.
Mehr konnte er nicht sagen, ohne gegen die zehn Gebote zu verstoßen, dennoch war es nicht das, was Kobe hören wollte.
Der Gezeichnete nickte ernst. »Falls du mich brauchst, sag Bescheid.«
»Mach ich.« Reed schüttelte ihm die Hand, dann gingen sie getrennter Wege. Kobe schritt auf die versteckten Aufzüge in die unterirdischen Geschosse zu, die einzig für Gezeichnete, Höllenwesen-Verbündete und Gefangene zugänglich waren. Reed durchquerte die belebte Eingangshalle in Richtung des Fahrstuhls, der ihn direkt in Raguel Gadaras Büro brachte.
Mindestens einhundert geschäftige Leute bevölkerten die große Halle. Fünfzig Etagen über ihnen gab es eine gigantische Glaskuppel, die das Atrium erhellte und als architektonische Einladung göttlichen Segens diente. Das stete Raunen unzähliger Gespräche und das elektrische Summen der gläsernen Fahrstühle zeugten nicht bloß von effektivem Design, sondern auch von Raguels allseits bekannter Geschäftstüchtigkeit. Äußerlich war in der Zentrale der nordamerikanischen Firma alles bestens. Die Sterblichen gingen ihren Geschäften nach, ohne etwas von Gadaras eigentlichem Job zu ahnen – der Aufsicht und Kontrolle über Tausende Gezeichnete.
Die sieben Erzengel mussten ihre jeweiligen Firmen auf weltliche Art finanzieren. Raguel hatte ein Händchen für Immobilien und sich neben einem Multimilliarden-Imperium einen Ruf erworben, der Donald Trump und Steve Wynn Konkurrenz machte. Gadara Enterprises hatte Immobilien auf der ganzen Welt, angefangen von Luxus-Resorts in Las Vegas und Atlantic City bis hin zu Bürogebäuden in Mailand und New York. Da Reed seiner Firma zugeteilt war, hatte er die diversen Eingangshallen schon so oft durchquert, dass er sich mit geschlossenen Augen zurechtfinden würde. Doch seitdem er hier Eve gezeichnet hatte, war es anders.
Unwillkürlich wanderte sein Blick zur Treppenhaustür, hinter der sich jener Treppenabsatz befand, auf dem er Eve genommen hatte. Die äußerst bildhaften Erinnerungen prasselten auf ihn ein und waren so lebendig, dass er ihre Kurven unter seinen Händen zu spüren und ihr Parfüm zu riechen glaubte. Sein Schwanz wurde hart, und er musste ihn zur Seite rücken, um gehen zu können.
»Verdammt«, knurrte er, was gleichermaßen Cain und Eve wie ihm selbst galt. Er brauchte Eve, um seine Pläne voranzutreiben; was er nicht gebrauchen konnte, war, sie anzuhimmeln. Oder zu begehren.
Im Aufzug hämmerte Reed auf den einzigen Knopf an der Tafel. Es trat eine längere Pause ein, als sich die Kamera auf ihn ausrichtete. Dann erst setzte der Sicherheitsmann am anderen Ende den Lift in Bewegung. Innerhalb von Sekunden sauste die Kabine dreißig Stockwerke in die Höhe zum Penthouse. Reed hätte die Distanz schneller überwinden können. Teleportation war ein Segen, der allen Mal’akhs gegeben war – mit Ausnahme von Cain, dem die Gabe genommen wurde. Reed hatte heute die langsamere, säkulare Route gewählt, um Zeit zu haben, sich wieder in den Griff zu bekommen. Als die Türen oben aufglitten, fühlte er sich bereit für Raguel.
Er betrat das große, elegante Büro, als gehörte es ihm. Ein edler Mahagonischreibtisch stand schräg in der hinteren Ecke, sodass man von ihm aus freien Blick auf die Panoramafenster gegenüber hatte. Zwei braune Ledersessel umrahmten ein ewiges Licht in dem Kamin an der seitlichen Wand. Über dem Kamin brachte ein Bild vom Letzten Abendmahl, wie da Vinci es sich vorgestellt hatte, ebenso göttliche Gegenwart in den Raum wie das Kreuz an der Wand hinter Gadaras Stuhl.
Der Erzengel selbst stand mit dem Rücken zu Reed am Fenster. Majestätisch und lässig zugleich, hatte er die Hände in den Hosentaschen vergraben. Seine Ausstrahlung wurde durch den Kontrast zwischen seiner cremeweißen Kleidung und der dunklen Haut noch verstärkt.
»Wie geht es Miss Hollis?«, fragte er, ohne sich umzudrehen.
Reed setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. »Sie erholt sich und gibt sich tapfer.«
»Cain kann ihre Auferstehung nicht allein arrangiert haben.« Raguel kehrte der Aussicht auf Orange County den Rücken zu. »Du musst ihm geholfen haben.«
»Cain geholfen? Ich?« Reed lächelte verhalten. Ob er geholfen hatte oder nicht, war allein seine Sache. Der ehrgeizige Erzengel brauchte nicht noch mehr Munition gegen ihn.
Das Gezeichnetensystem war einst auf enge Kooperation zwischen den einzelnen Firmen angelegt gewesen. Doch längst hatte das Wetteifern darum, Gott besser und häufiger zu gefallen, für Unstimmigkeiten und Täuschungen unter den Erzengeln gesorgt.
»Nicht dass es mich stören würde«, versicherte Raguel. »Es wäre ein Jammer, sie zu verlieren.«
»Es ist ein Wunder, dass es nicht früher passiert ist, wenn man bedenkt, welchen Protokollabweichungen sie ausgesetzt war.«
»Sie wurde lediglich etwas schneller in ihr neues Leben eingeführt, weil sie besser als die anderen in der Gruppe sein muss … härter und schneller. Furchtlos. Ihre Arbeit mit Cain wird sie immer zum Ziel von Höllenwesen wie Grimshaw machen.«
Reeds Finger krümmten sich um die Armlehne des Stuhls. Raguel benutzte Eve für seine eigenen Zwecke … und um Cain zu ärgern. »Sie wurde zum Ziel, weil wir sie wie ein rotes Tuch geschwenkt haben.«
Für den Erzengel war es ein gelungener Streich, Cain in sein Team bekommen zu haben, und das war nur möglich gewesen, weil Eve der nordamerikanischen Firma zugeteilt wurde. Sollte Eve durch irgendwelche Umstände Raguels Dunstkreis entzogen werden, wäre auch Cain weg – und mit ihm das ganze Prestige, das Raguel durch ihn gewonnen hatte. Deshalb zog er Reed in diesen Mist mit hinein. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass Eve seine schönen Pläne torpedieren könnte.
»Was sie nicht umbringt, macht sie nur härter.«
Reeds Magen krampfte sich zusammen, als er an das Bild dachte, wie sie verbrannt und gebrochen auf dem Toilettenboden lag. »Sie ist bereits einmal getötet worden. Ich schätze, viel schlimmer kann es nicht mehr werden.«
»Dein Sarkasmus ist unangebracht.«
»Was erwartest du denn, Raguel? Du fragst mich, ob es ihr gut geht, nachdem du der Grund dafür warst, dass sie überhaupt umgebracht werden konnte!«
Der Erzengel atmete hörbar aus. Es war leise, aber nichtsdestotrotz eine Warnung. Solange der Kurs lief, war er ganz in seinem Element, war es doch die einzige Zeit, in der es einem Erzengel gestattet war, frei über seine himmlischen Gaben zu verfügen. Die Luft um Raguel flirrte förmlich vor Macht, und das göttliche Strahlen verlieh ihm einen goldenen Schimmer. Wenn er wollte, könnte er seine Flügel mit den goldenen Spitzen auf zehn Meter Spannweite ausbreiten. Aber ihm blieben nur noch vier Wochen, ehe seine Schüler ihren Abschluss machten und er wieder in seiner weltlichen Tarnung gefangen wäre.
Das Training der neuen Gezeichneten dauerte sieben Wochen, und die Erzengel wechselten sich als Lehrer ab, sodass sie reihum in den Genuss ihrer gottgegebenen Macht kamen. Für den Rest des Jahres legte der Herr ihnen nahe, dass sie wie Sterbliche lebten. Er glaubte, sie hätten mehr Mitgefühl für seine geliebten Sterblichen, wenn sie dieselben Unannehmlichkeiten hinnehmen mussten.
Natürlich stand es den Erzengeln frei, seinen Vorschlag zu missachten. Jehova war ein großer Befürworter des freien Willens. Doch jeder Verstoß hatte seinen Preis, und angesichts des harten Wettbewerbs zwischen den Erzengeln hüteten sie sich, auch nur die kleinste Zurücksetzung zu riskieren.
Raguel wechselte das Thema. »Wir müssen das Höllenwesen finden, das deinen Gezeichneten umgebracht hat.«
»Ja, müssen wir. Gab es schon Berichte über weitere Sichtungen?«
»Möglicherweise eine. In Australien.«
Raguel ging zu seinem Schreibtisch. Sein krauses schwarzes Haar war absichtlich grau gefärbt, denn der Erzengel alterte nicht, also musste er es vortäuschen, um nicht aufzufallen. Irgendwann müsste diese Rolle von Raguel sterben und er als jemand anders wiedergeboren werden. Manchmal war es möglich, in die Rolle eines Nachfahren zu schlüpfen, aber bisweilen war eine komplette Neuerfindung der einzig gangbare Weg.
»Ist noch ein Gezeichneter gestorben?«
»Ja.«
Reed lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er würde nie vergessen, wo Takeo gestorben war. Von dem Gezeichneten waren nur noch Hautfetzen übrig gewesen, die an Ästen geklebt und im Nachtwind geflattert hatten. »Die Handschrift dieses Höllenwesens ist unverwechselbar. Falls es derselbe Dämon ist, ist es offensichtlich. Gab es Zeugen?«
»Ja, die anleitende Person war dabei.«
Mariel, eine andere Einsatzleiterin unter Raguels Kommando, war bisher die Einzige, die einen flüchtigen Blick auf den Dämon erhascht hatte.
Er ist in meine Gezeichnete hineingekrochen, hatte sie erzählt.Ist in ihr verschwunden. Sie k-konnte ihn nicht f-fassen.
Was blieb, war eine Explosion von Gewebe und Haut, die nicht ausreichten, um einen Körper zu bilden. Wo waren die Knochen und das Blut?
Reed atmete scharf aus.
Raguel lehnte eine Hüfte an seinen Schreibtisch. »Vielleicht solltest du mit Mariel nach Australien reisen und selbst Uriels Einsatzleiter befragen.«
»Ich will das Höllenwesen, keine Berichte.«
»Es dauert auch nicht lange. Höchstens ein paar Stunden.«
»Wenn du darauf bestehst, gehe ich. Doch ich halte es für sinnlos.« Reeds äußere Kapitulation ging mit inneren Zweifeln einher. Abgesehen davon, dass er einen Gezeichneten verloren hatte, konnte er keine Hilfe anbieten. Die echten Nachforschungen waren Sache der Gezeichneten. Reeds Job war einfach nur, die Stärken und Schwächen der ihm Unterstellten zu kennen und ihnen die Jagden zuzuteilen, bei denen sie die größten Erfolgsaussichten hatten.
»Du scheinst unzufrieden zu sein«, bemerkte Raguel. »Ich dachte, es würde dich freuen.«
»Warum? Weil ich Wiedergutmachung für Takeos Tod will? Die bringt mir meinen besten Gezeichneten nicht zurück. Ich kann nur beten, dass mein Zeugnis genügte und er jetzt bei Gott ist.«
»Dann bereitet dir etwas anderes Sorge. Was?«
»Diese ganze Geschichte. Die Gewalt eskaliert. Jetzt gibt es eine Maskierung, hinter der sich Höllenwesen verstecken können, und eine neue Dämonenklasse stört das Gleichgewicht.«
»Wir wissen nicht, ob es mehr als einen gibt.«
»Er hat drei Gezeichnete in drei Wochen getötet«, sagte Reed verbissen. »Einer ist genug. Wie lange wird es wohl dauern, bis Sammael den Probelauf für erfolgreich erklärt und mehr von ihnen macht?«
Der Gefallene war stets darauf bedacht, jeden Vorteil zu nutzen.
»Jehova gibt uns nie mehr, als wir verkraften. Die Höllenwesen sind nicht die Einzigen, die besser werden.«
Reed stand auf. »Das hilft mir im Moment nicht.«
Raguel klappte den Humidor auf seinem Schreibtisch auf, nahm eine Zigarre heraus und steckte sie sich zwischen die Lippen, ohne sie zu kappen oder anzuzünden. Er rauchte nicht, aber aus Gründen, die Reed noch nie kapiert hatte, hatte er gern eine Zigarre im Mund.
»Hast du eine Glaubenskrise?«, fragte der Erzengel um die Zigarre herum.
»Falls dieses Höllenwesen weiter einen Gezeichneten pro Woche ermordet, müssen wir mehr neue rekrutieren, ausbilden und anleiten – nur um unsere Zahlen zu halten. Und schaltet er weiterhin unsere Besten und Klügsten aus, haben wir bald nur noch Novizen.«
»Du malst ein sehr düsteres Bild, Abel, als würde der Dämon ungehindert unsere Reihen sprengen.«
»Es ist mein Job, Entwicklungen vorauszusehen und aufzuhalten.«
»Deshalb denke ich ja, dass du Mariel begleiten solltest.«
»Na gut, ich rufe sie und reise mit ihr hin.«
Raguels Auftrag war keine reine Präventionsmaßnahme. Der Erzengel wollte, dass seine Firma diesen neuen Dämon identifizierte und auslöschte. Die Ehre dafür gönnte er weder Uriel noch einem der anderen Erzengel.
»Ich versammle den Kurs heute Abend und bringe ihn nach Fort McCroskey. Berichte mir dort, was ihr herausgefunden habt.«
»Gut. Pass auf Eve auf.«
Raguel nahm die Zigarre aus dem Mund und lächelte. »Selbstverständlich. Sie ist meine Glanzschülerin.«
»Weil sie schon gut ist oder du es so willst?«
»Sie ist recht tüchtig«, antwortete Raguel achselzuckend. »Allerdings könnte sie brillant sein, wäre sie mit dem Herzen dabei. So treibt sie nur ihre Entschlossenheit an, und die genügt nicht, um so herausragend zu werden, wie sie sein könnte.«
»Wie viele neue Gezeichnete sind schon mit dem Herzen bei der Sache? Sie alle werden in den Dienst genötigt.« Reed fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes Haar und dachte abermals daran, dass Eve ganz und gar nicht die Sorte Sterbliche war, die normalerweise zu einer Gezeichneten wurde. Sie war Agnostikerin und hatte vor allem nie etwas verbrochen, das eine solche Wandlung rechtfertigte. Ihr einziges Vergehen war, dass sie für Cain eine Versuchung darstellte – der glänzende, köstliche Apfel in seinem Garten voller Dämonen und Tod.
»Miss Hollis ist anders«, sagte Raguel, dessen sonore Stimme sanft durch die Luft schwebte. »Wenn sie zu uns kommen, sind die Gezeichneten mal mehr, mal weniger gläubig. Sie glaubt gar nicht, und das behindert sie. Andere Gezeichnete schöpfen Kraft aus der Furcht um ihre Seele; sie hat keine, und das könnte ihr Tod sein.«
Falls Raguel nicht schon vorher dafür sorgte. »Sind die anderen Gezeichneten ihr gegenüber immer noch feindselig? Sie könnte sich willentlich zurückhalten, um nicht noch mehr Gegenwind zu ernten.«
»Ich habe nie Anfeindungen bemerkt.«
Reed grinste spöttisch. »Was nicht bedeutet, dass es keine gab.«
Da Cain zu Eves Mentor gemacht wurde, dessen hundertprozentige Erfolgsrate genauso legendär war wie seine Autonomie, triezten sie die anderen aus Neid auf ihr »Glück«. Sie unterstellten ihr kurzerhand, dass Cain den Großteil der Arbeit erledigte, während Eve hübsch in der Gegend herumstand. Wie sehr sie irrten, interessierte sie nicht.
Cain hatte auch einige Fäden gezogen, damit Eve nahe bei ihrer Familie bleiben konnte, und dabei galt grundsätzlich, dass Gezeichnete einer ausländischen Firma zugeteilt werden. Zumeist waren sie schon vorher Einzelgänger gewesen, die sich entweder von ihrer Familie und ihren Freunden distanziert oder aus unterschiedlichen Gründen nie welche gehabt hatten. Ihr Mangel an emotionalen Bindungen war der Anpassung an das Leben als Gezeichnete durchaus dienlich. Und er vertiefte die Kluft zwischen ihnen und Eve.
Raguel bekam nicht mit, wie die anderen sie behandelten – oder er übersah es bewusst.
»Sorg einfach dafür, dass sie am Leben bleibt, solange ich weg bin«, sagte Reed. »Das ist wohl nicht zu viel verlangt.«
»Pass lieber auf, dass du am Leben bleibst, Abel«, konterte Raguel. »Wir haben einen Haufen Arbeit vor uns.«
Als könnte Reed das vergessen!
Armageddon.
Es kam, und zwar eher früher als später.
Alec parkte Eves Chrysler 300 auf ihrem Tiefgaragenplatz im Gadara Tower. Nachdem er den Motor ausgeschaltet hatte, sah er zu ihr und bemerkte, dass sie angespannt war. Ihr langes schwarzes Haar war zu einem Zopf gebunden, und sie trug ein schwarzes Trägertop zu Khaki-Shorts. Sanft massierte Alec ihre harten Schultermuskeln. »Alles okay?«
Sie nickte.
»Lügnerin«, murmelte er.
»Sagen wir einfach, ich würde lieber mit anderen Leuten zelten fahren, wenn ich es mir aussuchen dürfte.«
Er legte eine Hand in ihren Nacken und zog sie zu sich, bis er seine Nasenspitze gegen ihre stupsen konnte. »Du wirst mir fehlen.«
Ein kräftiger Schlag auf Eves Kofferraumhaube rüttelte den Wagen durch und lenkte Cains Blick zum Rückfenster.
»Hier wird nicht rumgeknutscht!«, brüllte eine Männerstimme.
Alec schob seine Sonnenbrille nach oben und stellte fest, dass es sich bei dem Störenfried um einen sonnengebräunten, blonden Mann aus einer Dreiergruppe handelte. Er sah aus, als wäre er Anfang dreißig.
»Das ist Ken«, sagte Eve beinahe lachend.
Kens Blick wanderte zwischen ihnen beiden hin und her, und er riss entsetzt die Augen auf, als er sie erkannte. Eilig zog er sich zurück und reckte beide Hände in die Höhe. Er hatte eine Reisetasche über die Schulter gehängt und so weiße Zähne, dass sie fast blendeten. »Sorry, Cain. Ich hatte nicht gesehen, dass du das bist.«
»Toll gemacht, Arschgesicht«, murmelte einer seiner Begleiter und schubste ihn weiter.
»Ken, hmm?« Alec grinste. »Ich dachte auch gerade, dass er wie eine Barbiepuppe aussieht.«
»Lass dich nicht von seinem Aussehen täuschen. Er ist der Beste in unserem Kurs.«
Alec stieg aus und ging um den Wagen herum zur Beifahrertür. Als er Eve hinaushalf, fragte er: »Wie ist sein Spitzname?«
Eve hatte allen Gezeichneten in ihrem Kurs Spitznamen verpasst, und Cain ahnte, warum. Ein Spitzname konnte den Gemeinten entmenschlichen oder individualisieren. Bei Eve vermutete Alec, dass sie solche Namen aus beiden Gründen benutzte.
»Nur Ken«, antwortete sie. »Weil er wie ein Ken aussieht.«
Alec umfasste ihren Ellbogen und führte sie zu den Aufzügen.
Sie warf ihm einen unsicheren Blick zu. »Übrigens wird es Gadara nicht gefallen, dass ich mit dir nach Monterey fahre statt mit den anderen.«
»Gadara hätte leicht eines seiner Flugzeuge nehmen können, um euch alle da raufzubringen. Wenn er dir das Leben nicht leichter machen will, werden wir uns auch nicht anstrengen, es ihm leicht zu machen.«
»Du brichst immer wieder Regeln für mich.«
Das tat er mit einem Schulterzucken ab.
So wie sie ihn ansah, wollte er sie direkt zurück ins Bett verfrachten. »Der Wolf in der Herrentoilette hat mir erzählt, dass du einen Deal für mein Leben eingegangen bist und ihn dann gebrochen hast.«
»Glaubst du alles, was dir Höllenwesen erzählen?« Er wollte ihre Dankbarkeit nicht. Nicht, nachdem er der Grund war, weshalb sie überhaupt erst zur Gezeichneten geworden war, und ganz sicher nicht, solange er hoffte, dass sie dieses Leben zu mögen lernte.
»Danke«, sagte sie leise.
Es brachte ihn um!
Sie fuhren mit dem Aufzug bis in die Eingangshalle.
Eve rümpfte die Nase. »An diesen Geruch von so vielen Gezeichneten in einem Raum werde ich mich nie gewöhnen.«
»Du musst aber zugeben, dass er angenehmer ist als der Gestank von verrottenden Höllenseelen.«
»Schon, aber er ist zu stark. Da fällt mir das Atmen schwer.«
Die üppige Begrünung in der Eingangshalle intensivierte den süßlichen Geruch von mehr als hundert Gezeichneten gleichzeitig. Für Alec war die Wirkung angenehm, genauso wie die Welle von Macht, die er jedes Mal empfand, wenn er von Gezeichneten umgeben war. Eine Firma zu betreten war immer schwindelerregend, egal welche er besuchte oder wo sie war. Sein Blut pochte vor Energie, und sein Herzschlag wurde schneller, als würden die anderen Gezeichneten ihre Energie mit ihm teilen. Eves Sinne hingegen waren noch sehr empfindlich. Cain fragte sich, wie lange es so bliebe. Da er noch nie zuvor Mentor gewesen war und auch nicht dazu ausgebildet wurde, hatte er keinerlei Vergleichswerte.
Sie gingen quer durch die Marmorhalle zu einem Korridor etwas abseits, von dem aus Privatfahrstühle ins Innere des Gebäudes fuhren.
»Was weißt du über dieses Fort, in das wir fahren?«, fragte Eve. »Irgendwas?«
»Fort McCroskey wurde 1991 stillgelegt. Einige Einrichtungen dort sind noch in Betrieb. Es gibt noch einen Supermarkt von der Army und einige Familienunterkünfte für Studenten an der Militärschule in der Nähe. Aber ansonsten ist es eine Geisterstadt.«
»Warum fahren wir da hin?«
»Weil die Infrastruktur noch fürs Training geeignet ist. Die Army selbst benutzt das Gelände gelegentlich noch für diesen Zweck, und wir tun letztlich dasselbe – gewaltsame Niederschlagung eines Feinds.«
»Wie spaßig.«
Alec nahm Eves Hand. Die nächste Woche würde hart für sie. »Ich bin zurück, ehe du eine Chance hattest, mich zu vermissen.«
Ihre Miene wechselte von Verdruss zu Sorge. »Ich bin blöd, hier herumzujammern, weil ich lernen soll, mich selbst zu verteidigen, während du einen Auftrag erledigen musst.«
»Mach dir keine Gedanken um mich. Pass du lieber auf dich selbst auf.«
Eve sah ihn an. »Aber es wird nicht leicht, oder? Er hat untergeordnete Wölfe, die ihn schützen, und du bist allein.«
»Wenn es leicht ist, macht es keinen Spaß.«
»Ach, könnte ich doch auch so denken!« Sie lehnte sich gegen den Handlauf in der Fahrstuhlkabine und verschränkte die Arme. Das war ihre Mir-machst-du-nichts-vor-Pose. »Hast du das schon mal gemacht? Einen Alpha bei ihm zu Hause, inmitten seines Rudels gejagt?«
»Eine Kaffeefahrt.«
»Und du bezeichnest mich als Lügnerin?«
Alec grinste und musterte sie von oben bis unten. Eve war eine exotische Schönheit, bei der jeder öfter als zweimal hinsah: cremeweiße Haut, pechschwarzes Haar, rote Lippen. Cains ganz privates Paradies und seine Zuflucht in einem erbarmungslosen Leben.
Vor zehn Jahren war es Lust auf den ersten Blick gewesen, und seither hatte sich nichts geändert, obwohl sie dazwischen getrennt gewesen waren. Sie war sein Paradiesapfel, seine Versuchung. Er war ihr Ruin. So viel zu erbärmlichen Grundlagen für eine Beziehung. Beide schleppten sie Ballast, verletzte Gefühle und Reue mit sich herum. Eve war eine Frau, die ein Mann heiraten wollte, um mit ihr im Häuschen am Stadtrand zu leben, mitsamt Kindern und einem Hund. Alec wollte zum Erzengel aufsteigen und seine eigene Firma leiten.
Die Aufzugtüren öffneten sich, und sie betraten das Trainingszentrum. Das gesamte Stockwerk war der Ausbildung von Gezeichneten zur bestmöglichen Streitmacht gewidmet. Hier gab es Unterrichtsräume mit Tischen und Stühlen, Dojos, Schießstände, Kraft- und Fechträume. Manchmal blieb Alec, um sich den Unterricht anzusehen, und er war jedes Mal beeindruckt, wie gut die Ausbildung hier war. Als der Urgezeichnete musste er seinerzeit allein sehen, wie er überlebte. Manche sagten, er wäre zum Töten geboren, wie gemacht dafür, und dem stimmte er zu.
Eve ging voraus in das von Glaswänden abgetrennte Konferenzzimmer. Als sie hereinkamen, verstummten alle und starrten sie an. Es waren gut eine Handvoll Leute in dem Raum, zwischen knapp zwanzig und um die vierzig, männlich und weiblich. Einige saßen an dem langen Tisch in der Raummitte, andere auf ihm. Ken schenkte sich ein Glas Wasser aus einem Silberkrug auf einem Beistelltisch in der Nähe ein. Sie alle sahen erst Eve an, dann verstohlen zu Alec, ausgenommen eine Blondine, die ihn unverhohlen von Kopf bis Fuß musterte.
»Wie geht’s dir, Hollis?«, fragte ein dunkelhaariger Latino in Jeans und einem Button-down-Flanellhemd.
»Gut, danke.«
Während sich Alec zu Eve in die Ecke stellte, erwiderte er jeden der Blicke. Eve hüpfte auf die Fensterbank, ließ ihre Beine baumeln und stützte die Hände auf. Sie umklammerte die Kante der Fensterbank sehr fest, was ihre Anspannung verriet. Insgesamt war die Atmosphäre aufgeladen, und das ärgerte Cain mächtig.
Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und blickte die anderen direkt an. Es folgte unruhiges Fußgescharre, bevor sie wieder ihr Gespräch aufnahmen.
Ken räusperte sich. »Ich bin schon richtig gespannt, wie’s wird.«
»Du hast sie doch nicht alle«, sagte eine zierliche Rothaarige und warf sich das Haar über die Schulter.
»Also die Mädchen erkenne ich an ihren Spitznamen«, raunte Alec leise Eve zu. »Glaube ich jedenfalls. Vor allem ›Goth Girl‹. Die Rothaarige ist ›Princess‹, stimmt’s, wegen dem ganzen Glitzerzeug?«
Eve schmunzelte. »Ich bin furchtbar Highschool, oder?«
»Es ist nicht deine Schuld, dass sie solchen Klischees entsprechen. Außerdem mochte ich dich, als du noch auf der Highschool warst.« Damit spielte er auf die Begegnung an, die sie erst in die Lage gebracht hatte, in der sie heute waren. Alec konnte es unmöglich bereuen, und er nutzte jede sich bietende Gelegenheit, sie daran zu erinnern, warum sie es auch nicht sollte.
Eve knuffte ihn mit der Schulter. »Rätst du, wer ›Mastermind‹ ist? Der ist nämlich schwieriger.«
Alec blickte sich um. Außer ihnen waren sieben Leute in dem Raum, und da er vier der Gezeichneten bereits ausgeschlossen hatte – Ken, die rothaarige Princess mit der Glitzermascara und dem Lipgloss, das Goth-Girl mit dem blassblonden Haar und den Manga-Zügen, und die »Fashionista«, deren Größe und spindeldürre Figur den Stoff für Supermodel-Träume lieferten. Die übrigen Anwesenden waren der Mann, der Eve begrüßt hatte, ein bleicher und leicht untersetzter Junge in einem Nylon-Jogginganzug, und ein grauhaariger Mann in Stoffhose und Polohemd.
»Der alte Typ?«, riet Alec. »Er hat irgendwie diese Blitzmerker-Ausstrahlung.«
»Du bist älter als er«, erinnerte Eve ihn. »Und, nein, das ist ›Gopher‹, das Erdhörnchen. Sein richtiger Name ist Robert Edwards.«
»Okay, dann ist es der Typ in der Jeans.«
»Nein.«
Alec machte große Augen. »Der Junge? Du verarschst mich.«
Lachend antwortete sie: »Nein, tue ich nicht. Er ist älter, als er aussieht. Anfang zwanzig. Chad Richens. Er und Edwards sind aus England, also nehme ich an, dass sie deshalb zusammen rumhängen. Ein anderer Grund wäre, dass Richens sich gern Sachen ausdenkt, aber ungern die Drecksarbeit erledigt.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, als Edwards alle Bajonette gegen stumpfe vom Vortag austauschte. Wir alle mussten uns doppelt so sehr anstrengen wie er, weil er und Edwards die Einzigen waren, die frisch gewetzte Klingen hatten. Die Idee war von Richens, aber Edwards hat die Bajonette getauscht. Claire ist ausgeflippt, als Ken es herausbekam. Ich dachte schon, die kriegt einen Hirnschlag.«
»Die Fashionista?«
»Ja, Claire Dubois, aus Frankreich. Sieht sie nicht sagenhaft aus? Sie sagt, dass es vor dem Kainsmal nicht so war. Anscheinend war sie eine Meth-Süchtige, die ihre Wohnung mitsamt ihrem Freund drinnen abgefackelt hat. Deshalb wurde sie zur Gezeichneten. Sie ist immer noch ziemlich reizbar und zappelig.«
Alec sah sich den Teenager an. »Wie hält sich Richens bei den körperlichen Teilen des Kurses?«
»Nicht gut. Selbst mithilfe des Mals hat er Mühe mit dem Kampftraining, und ich denke, dass er darum versucht, mit irgendwelchen Schlichen durchzukommen. Er ist ein Videogame-Junkie, und Strategie ist seine Stärke, nicht seine Fäuste. Obendrein dreht er schnell durch.« Sie senkte ihre Stimme noch weiter. »Edwards hat mir erzählt, dass Richens’ Vater ihn misshandelt hat. Ich vermute, dass er noch einiges davon mit sich herumschleppt.«
Alec entging nicht, dass sich Eve die anderen Leute in ihrem Kurs sehr aufmerksam angesehen hatte. Das war ein Markenzeichen für einen guten Jäger. Töten war kein rein körperlicher Vorgang, sondern erforderte eine Menge Verstand. »Da muss Potenzial in ihm stecken, sonst wäre er direkt einer Innendienststelle zugeteilt worden.«
»Er hat jemanden umgebracht. Einzelheiten weiß ich nicht. Er redet nicht darüber.«
»Mörder enden normalerweise automatisch im Außendienst.«
»Schön blöd«, murmelte sie. »Wenn du mich fragst, hat irgendwer richtig verkackt, ihn hierher zu packen.«
»Vorsicht!« Alec warf ihr einen tadelnden Blick zu. Eves Überzeugungen waren ihre Sache, und er respektierte ihr Recht, sie zu wahren, aber manchmal gab sie ihre Meinung auf eine Art von sich, die schlicht zu gefährlich war. »Damit bleibt nur noch der Dunkelhaarige. Und das ist ›Romeo‹, nehme ich an?«
Eve nickte. »Antonio Garza aus Rom. Aber deshalb nenne ich ihn nicht Romeo. Er hat was mit Laurel … und Diskretion ist nicht so sein Ding.«
»Wer ist Laurel? Die Princess?«
»Genau die. Laurel Hogan. Romeo hat zuerst das Goth-Girl angebaggert, aber sie meinte, er wäre zu sehr Gigolo für ihren Geschmack. Und zu Laurel passt er sowieso besser. Wenn du mich fragst, fehlen Izzie ein paar Nadeln an der Tanne.«
Alec sah zu der zierlichen Blonden. Sie war schmal und blass, ihre blauen Augen waren dick mit Kajalstift umrahmt, und ihr Mund war in einem tiefen Violett geschminkt. Alec würde sie als »zart« beschreiben, trotz ihres Nietenhalsbands und der passenden Armbänder. »Warum sagst du das?«
»Izzie hat schon so ziemlich jeden hier mal mit ihrem Bowie-Messer bedroht. Sie mag uns alle nicht.«
»Was für ein komischer Name.«