Heideggers philosophischer Eros - Rolf Friedrich Schuett - E-Book

Heideggers philosophischer Eros E-Book

Rolf Friedrich Schuett

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Beschreibung

'Der größte Denker des 20. Jahrhunderts' noch einmal in ganz neuer Lesart? Dieser Kurzreader versucht zu beweisen, daß die Lektüre der schon veröffentlichten Werke Martin Heideggers ein ausgesprochen sinnliches Vergnügen bereiten kann. Man darf ihn nämlich durchaus ähnlich lesen, wie Arno Schmidt in ' Sitara oder der Weg dorthin' seinen Karl May gelesen hat. Möglicherweise war kein Denker seit Plato vom philosophischen Eros stärker beseelt als die­ser 'Ek-sistenzialist', der die Sexualia nie zu den menschlichen 'Existenzialien' zählte. Ist die sonderbare Kunstsprache, die Heidegger für seine Seins­lehre eigens erfunden hat, vielleicht auch eine einzige philosophi­sche Chiffrierung geheimer erotischer Phantasien, eine metaphysische Verklei­dung höchst physischer Phantasmagorien, ein ächzender Kompromiß zwischen logischen und skatologischen Bedürfnissen des Autors und seiner Kunden, deren beider Unbewußtes hinter ihrem Rücken miteinander kommuniziert? Ein Teil von Heideggers Faszination könnte auf dem Genuß höherer Pornographie im unverdächtigen Gewande von Philosophie als Feigenblatt beruhen. Heidegger: der dirty old man der Berufsdenkerei, geheimer Liebhaber einer Dame namens Sophie? Oder hier nur ein Opfer abwegiger Projektionen, die mehr vom Satiriker verraten als von seinem seriösen Gegenstand? Versucht wird hier eine Psychoanalyse nicht des Denkers, sondern seines Denkens und damit eine Motivdeutung der Argumente seiner Anhänger und Verächter. Heideggers vielberedete ´Kehre´ unter dem Eindruck politischer Enttäuschungen wird wörtlich als Per-Version, sein ´Rückstieg zur frühgriechischen Physis´ als philosophisch symbolisierte infantile Regression zur präödipalen Ursymbiose von Menschenkind und Mutter Natur verstanden. Der so dezidiert antipatriarchalische Antibiblizismus dieses Ex-Katholiken flüchtete vor Gottvater zurück zu neuheiden- fundamentalistischen Muttergottheiten, und daß alles psychisch Regressive als progressiv verkauft wird, macht seine Tiefenwirkung bis heute aus. Die freudianische Interpretation dieser ´Ontologie´ fungiert dabei nicht als reduktionistischer Universalschlüssel, sondern als notwendige Hilfswissenschaft. (Diese Studie gehört zum Projekt des bereits erschienenen Werkes "Wenn die Seele auf den Geist geht -- Zur Tiefenpsychologie der Philosophiegeschichte", 2018)

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„Vielleicht aber kann ein Nachvollzug von Heideggers Denken, der anders ansetzt, als Heidegger selbst es tut, noch am ehesten die Frage wecken, was für Heidegger das zu Denkende ist."

(Otto Pöggeler: „Der Denkweg Martin Heideggers", Pfullingen 1963, Seite 254)

„Wer sich auf den Weg des Denkens begibt, weiß am wenigsten von dem, was als die bestimmende Sache ihn — gleichsam hinterrücks über ihn hinweg — zu ihr bewegt. Wer sich auf das Unterwegs zum Aufenthalt im Ältesten des Alten einläßt, wird sich der Notwendigkeit fügen, später anders verstanden zu werden, als er sich selbst zu verstehen meinte."

(Martin Heidegger: „Wegmarken", Freiburg 1967, Vorwort)

„Nicht sein, sondern denken, denken, denken."

(Stanislaw Lec)

„Die meisten Menschen existieren, sonst nichts."

(Oscar Wilde)

Für Elke in Liebe und Dankbarkeit

Inhalt

Einleitung: Ziel und Methode

Liebeskunst: Heideggers Ästhetik

„Feldwege" und „Holzwege" / „Nietzsche“

Hinab zu den Müttern mit Trakl und Hölderlin

Vom Licht zur Lichtung

Phänomenologie des Natürlichen

Die zweideutige Kehre

Von dürftiger Zeit zum wohnlichen Raum

Das richtende Nichts

Platons Höhlengleichnis

Das Ding und das Geviert

Das Gestell und die Hinterwelt

Die Erkenntnistheorie: Adam verkennt Eva

Das Sein heute

Das Unbewußte der Philosophie: Methodenfragen

Der Existenzialist Ödipus

Sein und Zeit des Ödipus

Die große Möge

Zen und Seyn — Heidegger und Adorno

Die Zitate entstammen folgenden Ausgaben der Werke Heideggers:

SvG

Der Satz vom Grund, Verlag Günther Neske, Pfullingen2, 1958

SdD

Zur Sache des Denkens, Max Niemeyer Verlag, Tübingen1, 1969

META

Einführung in die Metaphysik, Max Niemeyer Verlag, Tübingen2, 1958

HOLZ

Holzwege, Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a.M.3, 1957

WEG

Wegmarken, Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a.M.1, 1967

HOLD

Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung,

Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a.M.2,1951

SuZ

Sein und Zeit, Max Niemeyer Verlag, Tübingen8, 1957

UzS

Unterwegs zur Sprache, Verlag Günther Neske, Pfullingen4,1971

TuK

Die Technik und die Kehre, Verlag Günther Neske, Pfullingen2, 1962

VuA

Vorträge und Aufsätze, Verlag Günther Neske, Pfullingen2, 1959

Einleitung : Ziel und Methode

„Geboren bin ich, Martin Heidegger, in Meßkirch (Baden) am 26. September 1889 als Sohn des Mesners und Küfermeisters Friedrich Heidegger und seiner Frau Johanna, geb. Kempf, beide katholischer Konfession. Ich besuchte Volks- und Bürgerschule meiner Heimat, von 1903 bis 1906 das Gymnasium in Konstanz, seit Obersekunda das Bertholdsgymnasium zu Freiburg, i. Br. Nach hier erlangtem Reifezeugnis (1909) studierte ich in Freiburg i. Br. bis zum Rigorosum. Ich hörte in den ersten Semestern theologische und philosophische Vorlesungen, seit 1911 vor allem Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften, im letzten Semester auch Geschichte."

Dieser unwillig kurze Lebenslauf des 24jährigen zu seiner Dissertation ist „wohl einer der längsten Beiträge, die Heidegger je über sich selbst geschrieben hat".1

Heidegger wurde geboren, arbeitete und starb.

Ginge es nach ihm, würde nach seinem Tode so über sein Leben hinweggegangen, wie er selbst einst eine Vorlesung über Aristoteles lapidar einleitete, um dann brüsk zur philosophischen Tagesordnung überzugehen. Und tatsächlich wäre die Philosophie des „Ereignisses" unbedeutend, müßte ihr Rang aus diesem Leben ohne besondere Ereignisse erschlossen werden. Lange wurden selbst äußere Lebensdaten des „Denkers in dürftiger Zeit" (Karl Löwith) von seinen ebenso vielen wie treuen Schülern in voller Ambivalenz gehütet als Irrelevanzen und priesterliche Fabrikgeheimnisse zugleich. „Sein Werk ist sein Leben", schreibt Walter Biemel in einer Monografie2 und wehrt jeden Versuch ab, die Existentialphilosophie aus der unscheinbaren Existenz des Genies aus Meßkirch abzuleiten. Heideggers gedankliche Grunderfahrung, die immer neu paraphrasierte „ontologische Differenz von Sein und Seiendem", ist auf kein bekanntgewordenes frühkindliches oder pubertäres Initialerlebnis zurückführbar. Wir haben keinen Urtraum wie vom Zunftkollegen Descartes. Mitscherlich konnte den Traum des Chemikers Kekoulé analysieren; wir wissen von keiner Benzolschlange Heideggers, in der ein intrapsychischer Konflikt eine philosophische Lösung begünstigt oder die Arbeit an einem philosophischen Problem ein psychisches Dilemma mitgelöst hätte. Der Philosoph, der das Pathos des Existentiellen gegen alle verdinglichte Sachlichkeit wendete, klammerte seine eigene Existenz ein und aus. Dabei war es gerade Heidegger gewesen, der in jener Existenz eines Gegenstandes, die bei seinem Lehrer Edmund Husserl um der „Wesensschau der Sache selbst" willen einer phänomenologischen Reduktion zu opfern war, die menschliche Existenz diagnostiziert hatte, die subjektive Intentionalität selbst, welche sich selbst in einer „Epoché" durchstreicht vor der „Sache selbst", um deren Wesen reiner hervortreten zu lassen. Der dänische Existenztheologe Kierkegaard, auf den Heidegger anfänglich sich berief, um ihn später als bloß „religiösen Schriftsteller" beiseitezulegen, hätte gegen ihn nichts weniger vorgebracht als gegen Hegel: Sie bauen Paläste und wohnen in Hundehütten. Camouflierte Heidegger seine innere und äußere Biografie aus Angst, seine fundamentalontologische Analytik des menschlichen Daseins könnte als philosophische Projektion der Kontingenz seiner bescheidenen privaten Existenz abgetan werden? Adorno jedenfalls, sonst jedem reduktionistischen Psychologismus gewiß abhold, entdeckte in Heideggers berühmtem „Man" (dem defizienten modus vivendi alltäglicher „Uneigentlichkeit" und „Verfallenheit" an Neugier, Zweideutigkeit, Gerede etc. etc.) nur willkürliche Beliebigkeit, Hochstilisierung von „zufällig Privatem". Andererseits ist der Anspruch dieses Denkens, objektiver zu sein als sein Urheber, in Schutz zu nehmen gegen Heidegger selbst und zu verteidigen gegen das existentialistische Postulat, die Wahrheit des Gedankens reiche nicht weiter, als sie gedeckt sei durch die enge Befangenheit unmittelbaren Lebensvollzuges. Kein Denken hat Sinn, das nicht den Bannkreis existentieller Einlösung überschreitet. Kein Wegweiser geht den Weg, den er weist, beschied der von Heidegger später bewunderte Max Scheler jemanden, der ihn auf die Diskrepanz zwischen seinem hehren Abstraktionsniveau und seiner vergleichsweise kümmerlichen Lebenspraxis festnageln wollte. Daß die Wahrheit eines Denkens identisch zu sein habe mit ihrer Verifizierung, am besten gleich durch das Leben des Denkers selbst, warf auch Jaspers ihm vor, von Habermas gerügt.

Es kann nicht um den Nachweis zu tun sein, auch Heidegger koche nur mit Wasser: Subaltern wäre ein analytisches „II n'y a pas des héros pour le valet de chambre". Inferior, ihm eine unbewußte Inferiorität hämisch vorrechnen und das, was einem zu hoch ist, mit Freuds Messer beschneiden zu wollen. Bedeutend ist Heidegger einzig durch das, wodurch er mehr sagt als über seine innere Mechanik und seelische Chemie. Statt ihn erst aufs Podest zu heben und dann aufs Allzumenschliche wieder herunterzunivellieren, erlaubt es unsere Methode im Gegenteil, seine Größe gleichsam via negationis einzukreisen nicht von dort her, wo er auch nur Mensch ist, sondern wo sein Denken, seinem Anspruch zum Trotz, mehr über ihn als über die Welt sagt und als Denken also erlischt. Wo es ihm mißlingt, über seine Psychologie hinauszudenken, wird sie an diesem Denken selbst greifbar und begräbt es unter sich, ohne daß erst wir seine Anstrengung des Begriffs angestrengt rückgängig zu machen hätten, um hinter ihr einen Normalverbraucher triumphierend auszugraben wie dich und mich. Sicher ist Heidegger auch nur ein Mensch, aber nicht jeder Mensch ist Heidegger. Das Denken verbirgt den Menschen, und um den Menschen Heidegger ist es uns nicht zu tun.

Uns interessieren nicht die schwachen Stellen Heideggers, sondern seiner Philosophie. Eine Subjektivität auf Kosten der Objektivität ist eine falsche und schlechte. Nicht das Ich selbst verstellt den Blick auf die Sache selbst, sondern die Ichschwäche. Wo Heidegger vermeintlich nur noch subjektiv ist, ist diese Subjektivität gerade gestört, erlahmt, und hinter dem Rücken des psychologisch falsch Subjektiven triumphiert das philosophisch falsch Objektivierte, unbegriffen, intransparent, entfremdet, nicht mehr Wahrheit über Fakten, sondern Heideggers Faktizität selbst, die „mit seinem Existieren wütet", Geworfenheit, die dem Entwurf vorweg ist, um mit Heidegger selbst zu sprechen. Subjektives zerfällt dann wieder in seine objektiven Partialmomente, verfällt ans Ontische, aus dessen Subordination seine ontologische „Eigentlichkeit" erst besteht. Das ist der psychologische Kern von Heideggers ontologischem Objektivismus und Realismus : Desintegration, Dekomposition der von ihm analysierten „Existenz", ihre Re-Depersonalisierung zu dem, was sie als „Sichvorwegsein" gerade hinter sich lassen wollte als ontischen Abfall. — Und beruht Heideggers grandiose Wirkung nicht zuletzt darauf, daß er jener Ichschwäche, die von vielen als sozialpsychologische Signatur unserer Zeit angesehen wird, das gute Gewissen verschafft? Warum gerade Heidegger? Eine Analyse Kants, Schopenhauers, Kierkegaards oder Nietzsches wäre nicht weniger lohnend. Aber sie schrieben für eine Zeit, aus einer Welt heraus, die nicht mehr unmittelbar gegenwärtig ist. Heidegger läßt unsere Jahrzehnte verstehen und sich aus diesen Jahrzehnten. Warum dann nicht Russell, Jaspers, Bloch oder Sartre? Heidegger gilt mit welchem Recht auch immer als der bedeutendste Philosoph dieses Jahrhunderts. Seine Wirkung ist weltweite Antwort auf mächtige unterschwellige ideologische Bedürfnisse nach Rebellion und Sekurität zugleich, obwohl seine unmittelbare Attraktivität abgeklungen ist und nicht mehr Studentengenerationen in Bann schlägt. Wo er noch verführt, da nicht durch das Pathos existentieller Spontaneität in total verwalteter Welt, sondern im Gegenteil, weil er soliden ontologischen Halt in Aussicht stellt, säkularisierte Bindungen anbietet und ein zivilisationsmüdes Bedürfnis nach einer Natur ohne Gott zu befriedigen verspricht für jene, die nicht mehr an Gottvater glauben können, ohne auf Gläubigkeit überhaupt zu verzichten : Angeblich kommen wir für die Götter zu spät und für das „Seyn" zu früh („Aus der Erfahrung des Denkens").

Die Wahl fiel zudem auf Heidegger aus einem eher privaten, psychoanalytisch selbst relevanten Motiv; nicht zuletzt ist diese Studie auch ein später Versuch, den Einfluß von Heideggers Heils- und Herrschaftswissen auf den ideologischen Teil meiner eigenen Pubertät im Nachhinein aufzuarbeiten, Heidegger aus der Magie heraus zu entzaubern, die er Jahre hindurch auf meine Jugend ausübte. Verrät dieser Essay deshalb weniger über Heidegger als vielmehr über mich, der ich ihn zu fassen suche durch Selbstanalyse meiner Reaktion auf ihn hindurch? Nur zuinnerst verwandte Impulse sprechen auf ihn an oder schrecken idiosynkrarisch vor ihm zurück wie vor Versuchung und Gefahr in eins. Wir wollen uns durch analytische Psychologie über Heidegger belehren lassen, nicht ä la Binswanger durch Heidegger die Psychologie bereichern, es sei denn, sie profitierte auch von jeder ihrer erfolgreichen Anwendungen. Franz von Brentanos Abhandlung „Über die mannigfaltige Bedeutung des Seienden bei Aristoteles" und Husserls „Logische Untersuchungen" bestätigten schon den Gymnasiasten und Theologiestudenten in seinem starken anti-psychologischen Affekt : Heideggers Invektiven gegen „bloß Psychologisches" sind zahllos. Der 24jährige ergreift mit seiner Dissertation 'Die Lehre vom Urteil im Psychologismus'4 die Partei der Antipsychologisten in der formalen Logik: Die Unabhängigkeit des Urteilsgehalts vom Urteilsvollzug wird ihm zum Paradigma der psychischen Immunität von Denken überhaupt, auch und gerade später, als er sein Denken längst nicht mehr jener Logik unterstellt, die als Bundesgenossin im Kampf gegen Psychologik gerade gut genug war. Warum also Tiefenpsychologie eines Denkens, das Psychologisches, wenn nicht gar Psychisches so tief verachtet wie Tiefe usurpiert?

„Heidegger geht wie ein Tiefenpsychologe vor, obwohl ihm gerade diese Art der „Analyse" am fernsten liegt: er hört aus dem, was gesagt wird, ein Ungesagtes heraus, welches das eigentlich motivierende, wenn auch verborgene Motiv des Gesagten ist: Anfängliche Verfehlungen, die vergessen worden sind und die als anfängliche alle weiteren Geschicke des Menschen im voraus entscheiden und überholen, indem sie unbewußt die ganze Lebensgeschichte bestimmen, bis ein Heilender kommt, der es wagt, die lange Geschichte dieses Geschicks zu „wiederholen". Dem unpersönlichen „Es" des Unbewußten entspricht das anonyme „Es" des Seins und des Ereignens. Freud wie Heidegger, beide übereignen das selbstbewußte Ich einem tiefer liegenden Verhältnis, indem sie im Sichzeigenden und Gesagten ein Sichentziehendes und Ungesagtes erhorchen, das im Spiel der Assoziation von Einfällen unwillkürlich zur Sprache kommt... Die existentialontologische Auslegung hat in jedem Falle recht, weil der Widerstand gegen sie beweist, daß er selbst nur einem „defizienten Modus" des zu Erweisenden entspringt."5

Wenden wir die Psychoanalyse selbst auf Heideggers quasi-tiefenpsychologische Existenzialanalytik des menschlichen Daseins an, übersetzen wir à la Wittgenstein das daseinsanalytische Sprachspiel ins psychoanalytische, wie lächerlich Heideggerschüler Gadamer auch immer das finden mag. Psychoanalysieren wir den Menschen, dessen Wesen Heidegger zeichnet, und relativieren wir seine philosophische Universalität. Ist die „Eigentlichkeit" der Existenz genitalen Charakters oder eher anal organisiert, wo steht sie innerhalb der genetischen, dynamischen, topologischen und strukturellen Dimension des Freudschen Modells? Ist sie eine fixierte, generalisierte Hypostase dessen, was in der psychoanalytischen Theorie der menschlichen Bildungsprozesse bloße Reifestufe und Durchgangsphase darstellt?

„Das Kind, könnte Fundamentalontologie plädieren, wenn es ihr nicht zu ontischpsychologisch wäre, fragt nach dem Sein ... Sein Verhalten malt die Philosophie, gleichsam mit dem Anthropomorphismus des Erwachsenen, als die der Kindheit der gesamten Gattung als vorzeitlich-überzeitlich sich aus."6 Ontogenese rekapituliert Phylogenese nach Freud auch in der Psychologie; in „Totem und Tabu" wiederholt die Familie das Drama der archaischen Urhorde. Dagegen scheint Heideggers Auffassung von der geistesgeschichtlichen Phylogenese der abendländischen Menschheit nur mystifizierende Projektion einer sehr subjektiven Ontologisierung jener menschlichen Ontogenese zu sein, welche die Psychoanalyse zeichnet. Die Geschichte der Philosophie ist als Geschichte der Metaphysik die Geschichte der Rationalisierung von Verdrängung. Philosophie als Aufklärung meint jene Vernunft, in der Heidegger nur rationalisierte „Seinsvergessenheit" sieht, nur Widerstand gegen die Rückkehr eines verdrängten Ursprungs, der abgespaltenen, nicht mehr bewußten inneren Natur, der „Physis". Metaphysik als Urneurose des Abendlandes, als Flucht vor der inneren Physis in das Abseits eines unsinnlichen Meta? Heidegger macht „Mut zur Angst" vor der heilsamen Wiederkunft, Reintegration des Verdrängten, zur Angst um das nur technische Ensemble zwangsneurotisch-ontischer Abwehrmechanismen, zur Angst vor dem Sein um das Seiende, vor allem um jenes Seiende, das implizit aus Seinsverständnis bestehe : um das menschliche Dasein je selbst.

Anstoß für die vorliegende Studie war ein Ähnliches, was dem Schriftsteller Arno Schmidt bei der Lektüre Karl Mays aufging: die unterschwellig psychoerotische Valenz der Sprache und Bilder. Sein Buch „Sitara oder der Weg dorthin" erklärt den weltweiten Ruhm der Werke Mays aus der grandiosen literarischen Strukturierung eines orientalisch virilisierten Wilden Westens, eines homosexualisierten Universums, dem ganze Generationen von Pubertierenden sich angstlos überlassen konnten. Der spätere Riesenroman „Zettels Traum" besteht fast ganz aus erotischer Privatmythologie und -etymotologie, nach Heißenbüttel einer Psychoanalyse von Sprache überhaupt. (Wir wollen mit Arno Schmidt nicht so weit gehen, etwa in Kultur, culture, die anale Dressur zu entziffern in den Lesarten: cul-tür, Kult-uhr, cool tour. Damit kämen wir bei Heideggers Lieblingswort „Sein" auf das französische „sein" für gleichzeitig Busen und Schoß. Ein Roman Schmidts über Heidegger dürfte damit spielen.) Aber merkwürdig bleibt doch, daß Heidegger immer wieder erotisch parodiert wurde. Kabarettisten machten in den Dreißigerjahren aus dem heroischen „Platzhalter des Nichts" den „Zuhälter des Seins", und das Schauspiel „Die Wacht am Sein" des christlichen Existentialisten Gabriel Marcel bezieht seine Komik daraus, daß der feierliche Anspruch der Existenzphilosophie dort ständig kollidiert mit dem uneingestandenen sexistentiellen Interesse des Philosophen Florian an seiner Haushälterin. Später heideggerte Günter Grass in den „Hundejahren".

Sartre fiel auf, daß Heideggers „Dasein" wie geschlechtslos aussehe. Nun ist keinem Denker vorzuwerfen, keine Philosophie der Sexualität geliefert zu haben, welche Bedeutung die Psychoanalyse ihr auch zuerkennen mag. Aber nicht genug damit, unterschlägt Heidegger sie auch dort, wo sie unübersehbar ist. Adorno mokierte sich darüber, daß er den „braunen Frauen" eines Hölderlingedichtes prüde alle erotischen Valeurs weginterpretierte: „Frau" habe dort noch den alten Klang von Herrin und Hüterin. Hätte Heidegger je über Sexualität geschrieben, wäre eine Ontologie von Sexualien herausgekommen. Wir werden im Folgenden nicht sehr viel mehr zeigen, als daß er tatsächlich eben eine solche Ontologie geschrieben hat, eine philosophische Pornographie gleichsam. Immer wieder warnt er, seine Grundbegriffe, die er aus dem umgangssprachlichen Bereich herausnimmt und für seine Absichten umfunktioniert, mit dem zu verwechseln, was sie „gemeinhin", „gewöhnlich" und „vulgär" meinen. Sein „Tod" ähnelt eher seiner eigenen Idee und einem Ideal, „Sorge" ist die gleiche für mich und Rockefeller und einen Neandertaler, und „Angst" schillert, weil unser Schrecken zwar ernst genommen, aber das Unakademische daran ja akademisch gemacht und soweit zu anthropologischer Invarianz verflüchtigt wird, daß niemand mehr darin seine Realängste wiedererkennen mag, von Trennungs-, Kastrations- und Gewissensangst ganz zu schweigen. Ständig wird zurückgegriffen auf ein alltägliches 'Vorverständnis', das wir in unmittelbarem Lebensvollzug von der Bedeutung eines Begriffs haben, dessen philosophische Spezialverwendung daran zu messen dann im gleichen Atemzug verboten wird. Freud lehrt in seiner Arbeit „Die Verneinung", „daß der übereifrige Gestus des Verleugnens im allgemeinen darauf hindeutet, gerade das, was verleugnet wird, sei in der psychologischen Wirklichkeit dennoch dahinter verborgen, so, wenn Menschen mit einem ungeheuren Eifer betonen, sie hätten, was man ihrer Ausdrucksweise entnehme, gar nicht gemeint. Mir scheint dieses psychologische Mißtrauen auch auf den philosophischen Sprachgebrauch übertragen werden zu können, vor allem, wenn so eifrig in der zeitgenössischen Philosophie betont wird, daß irgendwelche in das Bereich des Wesens oder des Seins gehörige Bestimmungen nach Behauptung der Philosophen mit Empirischem, mit Inhaltlichem, mit Seiendem gar nichts zu tun haben sollen. Wenn das so betont und behauptet wird, ohne daß dieser Unterschied aus den Worten selbst herauskommt, und wenn stattdessen die Worte auf genau das verweisen, was durch solche Behauptungen ihnen abgesprochen wird, dann ist der Verdacht begründet, daß in diesen Worten eben das Verleugnete sich versteckt. Infolgedessen soll man diesen Behauptungen nicht allzu sehr glauben."7 Heidegger sucht allzu krampfhaft sein „Seyn" um dessen höherer Dignität willen von jeder Erinnerung an kulturelle Zutat und „bloß Seiendes" zu reinigen, jede Spur von Kontamination mit menschlichen Machenschaften und mit innerweltlich „Vorhandenem" daraus zu tilgen, allzu krampfhaft, als daß das doppelt Verneinte nicht das doppelt Bestätigte wäre. Ein anankastischer Waschzwang befreit unablässig das berührungsängstliche und bakteriophobe „Sein" vom „neugierigen" und „zudringlichen" Zugriff des „Zuhandenen" und menschlicher Begriffe. „Sein ist kein Seiendes und doch nicht nichts", weil es alles Seiende samt dem menschlichen Dasein überhaupt allererst vorliegen, erscheinen und sein lasse. Von keinem Seienden her durch begriffliche Synthesis definierbar, sei es „nichts", nichts anderes als nicht das Seiende, nichts anderes als : anders denn das „Seiende im Ganzen", das es ermögliche. Jede Definition von Sein setze es in der Copula „ist" bereits voraus und grenze es ohnehin auf nur Seiendes ein durch Subsumption unter ein unmöglich Umfassenderes und noch Allgemeineres. Wenn wir der unablässigen Beteuerung nicht glauben, Sein sei das „transcendens schlechthin",8 dann haben wir jene weltliche Abstammung, jene empirischen Menschen und ihre sozialen Interaktionsformen darin nachzuweisen, deren Transzendenz das Sein sein soll, Unser Ehrgeiz stellt nur darauf ab, detektivisch aus Heideggers sparsamen Paraphrasen dieses unbestimmten X, aus diesem Unding und undenkbaren Gedankending jenes ausgezeichnete „vulgäre" Da- und „Mit-sein" zu rekonstruieren und zu identifizieren, nach dessen Modell das berühmte „Seyn" gemodelt ist und aus dem Heidegger so sorgfältig alle rationale Überführbarkeit und peinliche faktische Herkunft zu verdrängen versucht hat. Dabei ist das vulgär-ontische wie analytische Tabu über dem Sein psychologisch nicht weniger motiviert als philosophisch. „Kein Sein ohne Seiendes" : Machen wir also das Ontologische ontisch dingfest. Welches lebendige Seiende „verbirgt und entbirgt sich" hinter dem Neutrum Sein, „in dessen Licht" als transzendentaler Bedingung seiner Möglichkeit alles Vorfindliche allererst „anwest" und „zum Vorschein kommt"? Heidegger selbst fordert uns auf zur „rechten Wahl des exemplarischen Seienden": „Ausarbeitung der Seinsfrage besagt demnach: Durchsichtigmachen eines Seienden — des fragenden — in seinem Sein."9

„Die Philosophie kommt nur in Gang durch einen eigentümlichen Einsprang der eigenen Existenz in die Grundmöglichkeiten des Daseins im Ganzen. Für diesen Einsprang ist entscheidend einmal das Raumgeben ... sodann das Sichloslassen in das Nichts, d.h. das Freiwerden von den Götzen, die jeder hat und zu denen er sich wegzuschleichen pflegt; zuletzt das Ausschwingenlassen dieses Schwebens. ... " (WEG 19)

„Der Hin- und Hergang, das Gleiten und Ausgleiten auf dieser Bahn ist uns so in Fleisch und Blut übergegangen, daß wir sie weder überhaupt kennen, noch auch nur die Frage nach ihr beachten und verstehen." (META 90)

„Aristoteles wurde geboren, arbeitete und starb."

Nach dieser lapidaren Einleitung ging Heidegger einst in einer Vorlesung brüsk zur philosophischen Tagesordnung über. Weiter läßt sich die Verachtung für innere und äußere Biografie als Interpretationsinstrument kaum treiben. Oder hat jeder Denker (mit der Individualpsychologie der Adlerschule) nur an der Philosophie seiner 'Organminderwertigkeit' geschrieben? Aber erschließen sich uns Kierkegaards Bücher besser nach der Lektüre einer Dissertation über seinen Buckel? In „Psychopathographien l" (Frankfurt am Main 1972) erklärt eine Analytikerin die fulminante literarische Produktivität Kierkegaards nach seiner Entlobung von Regina Ohlsen aus der teilerfolgreichen Verarbeitung einer depressiven Vaterbindung. Nun gut, vielleicht verstehen wir jetzt, warum er überhaupt schrieb, aber dunkel bleibt, warum er gerade diese Bücher und keine anderen so und nicht anders schrieb und was sie der Mediokrität enthebt. An Psychographien von Schriftstellern fehlt es nicht, Psychogramme von Denkern sind ungleich seltener. Jean-Paul Sartre hat mit „Les mots" in einer brillanten Selbstanalyse seiner ersten zwölf Lebensjahre eine Ätiologie seiner Denkstrukturen versucht, um uns zu erklären, was ihn die „heilloseste aller bürgerlichen Einsamkeiten" wählen ließ, das Schreiben. Im Allgemeinen aber verstehen Philosophen zu wenig von Psychologie und Psychologen wenig von Philosophie. Philosophen wittern in Psychologie vorschnell bloßen Psychologismus, also überholte Metaphysik zur Liquidierung jeglicher Objektivität: als sei die Wahrheit eines Denkens so ganz immun gegen die Wahrheit dessen, der denkt. Psychologen lassen das hohe Anspruchsniveau des Denkens sich gern hämisch blamieren vor dem, was diese bloßen Rationalisierungen „eigentlich" innerseelisch fundiert: als fiele psychoanalytische Theorie dann nicht selbst pauschal unter dieses Verdikt. (Schon Anna Freuds These war subaltern, alle hochfliegenden Ideologiebildungen von Pubertanten seien „nichts als" Intellektualisierung von Triebkonflikten.)

Was Adorno in seiner „Ästhetischen Theorie" (Gesammelte Schriften 7, Frankfurt a.M. 1970) über Psychoanalyse von Kunstgebilden schrieb, mag auch von philosophischen Texten gelten (S. 20 ff.):

„Das Projektive im Produktionsprozeß der Künstler ist im Verhältnis zum Gebilde nur ein Moment und schwerlich das entscheidende ... Die psychoanalytische Kunsttheorie hat vor der idealistischen voraus, daß sie ins Licht rückt, was im Inwendigen der Kunst selbst nicht kunsthaft ist. Sie hilft, Kunst aus den Bann des absoluten Geistes herauszuholen. ... Kunstwerke sind unvergleichlich viel weniger Abbild und Eigentum des Künstlers, als ein Doktor sich vorstellt, der Künstler einzig von der Couch her kennt. Nur Dilettanten stellen alles in der Kunst aufs Unbewußte ab ... Kunstwerke sind kein thematic apperception test ihres Urhebers. Mitschuldig an solcher Amusie ist der Kultus, den die Psychoanalyse mit dem Realitätsprinzip treibt: was diesem nicht gehorcht, sei immer nur 'Flucht'. Die Realität liefert zu vielen realen Grund, sie zu fliehen, als daß eine Entrüstung über Flucht anstände, die von harmonistischer Ideologie getragen wird; selbst psychologisch wäre Kunst besser legitimiert, als Psychologie ihr zuerkennt. In Künstlern höchsten Ranges wie Beethoven oder Rembrandt verband schärfstes Realitätsbewußtsein sich mit Realitätsentfremdung; das erst wäre ein würdiger Gegenstand der Psychologie von Kunst. Sie hätte das Kunstwerk nicht nur als das dem Künstler Gleiche zu dechiffrieren, sondern als Ungleiches, als Arbeit an einem Widerstehenden. Hat Kunst psychoanalytische Wurzeln, dann die der Phantasie in der von Allmacht. In ihr ist aber auch der Wunsch am Werk, eine bessere Welt herzustellen."3

Hinter diese Einsichten darf nicht zurückgefallen werden. Unsere Studie hätte ihren Zweck mehr als erfüllt, wenn es uns zu zeigen gelänge, daß das Verhältnis zwischen Denken und Denker wahrhaft dialektisch ist : Nur durch eine ebenso notwendige wie nicht hinreichende Psychoanalyse eines Denkens hindurch enthüllt sich der Sinn seines Wahrheitsanspruchs, durch dessen werkimmanente Interpretation hindurch andererseits die Psychologie dieses Denkens erst ihren vollen, nichtreduktionistischen Sinn erhält. In diesem Sinne versuchen wir weniger eine Psychoanalyse das Denkers Heidegger als seines Denkens selbst, seiner spezifischen Reflexionsform, wie sie Alfred Lorenzer als „Symbolisierung einer spezifischen Interaktionsform" versteht, hier eines Philosophen mit dem „Ganzen der Welt".

Unter dem Wahrheits- und Objektivitätsanspruch einer Philosophie werden wir im Folgenden durchgehend den Anspruch verstehen, psychoanalytisch gesprochen, dem Realitätsprinzip zu entsprechen gegen die Instanzen von Triebwünschen und Überichforderungen. Verzwickt wird es, weil Philosophie nicht zuletzt gerade aus einer Definition dessen besteht, was als wirkliche Realität zu gelten habe. Ihr Realitätsbegriff ist zumeist gerade dem gesellschaftlich approbierten des Common Sense zuwider. Aber so wenig Philosophie als eine Art Metapsychologie des Realitätsprinzips automatisch legitimiert ist, das Prinzip einer „höheren" Realität zu usurpieren, in deren Namen der konventionierte Begriff von Wirklichkeit abgekanzelt werden darf, ebenso wenig ist sie als Anwalt eines abweichenden Begriffs von dem, was „wirklich real" ist, allein deshalb schon Philosophie eines Neurotikers. In Philosophie steht nicht in Frage, daß Realität Prinzip zu sein habe. Problematisiert ist, was real sei, welcher Begriff von Faktizität als Wahnschutz normativ werden möge.

Dies ist weder ein Versuch über Freud noch über Heidegger, sondern über Heideggers „Seinsfrage" und durch Heidegger hindurch über Philosophie selbst. Es wird weder eine Philosophie der Psychoanalyse geliefert noch umgekehrt die Philosophie in Psychologie aufgelöst, sondern nur so weit mit den Augen Freuds betrachtet, wie die Objektivität ihrer Systeme nicht nur vom manifesten biographischen Ich der Denker, sondern von ihren unbewußten inneren Abwehrmechanismen und den ebenso unbewußten psychogenen Erwartungshorizonten ihrer Leser gleichsam a priori hinterrücks systematisch verzerrt werden kann. Es gibt so viele Philosophien, wie es Philosophen gibt, und „alles ist subjektiv". Das Denken schützt sich vor dem Denker gemeinhin durch dessen Selbstreflexion auf die Partikularität seiner eigenen befangenen Subjektivität. Aber diese Subjektivität ist nicht nur das privatistisch schon genug bornierte Ich, wie es bewußt zwischen Es, Über-Ich und Realität vermittelt, sondern zudem auch noch Rationalisierungsinstanz, die sich selbst vormacht, wie wenig sie sich angeblich selbst vormacht, wenn sie unter dem Vorwand, um der Objektivität von Erkenntnis willen das Subjektive methodisch durchstreichen zu müssen, es kurzerhand verdrängt. Häufig genug ist das privat Subjektive eines Denkers in seinem Denken weniger aufgehoben als eher verdrängt. Der Philosophie ist zuzumuten, sich außer mit dem positivistischen Sinnlosigkeitsverdacht und marxistischen Überbauverdacht auch mit dem Psychogenitätsverdacht ihrer Konstrukte auseinanderzusetzen. Diese Arbeit hätte ihren Zweck erfüllt, wenn sie die Denker und ihre Abnehmer dafür sensibilisieren könnte, gegen mögliche Fehlerquellen des Denkens aus dieser Richtung ein wenig wachsamer zu werden als bisher üblich und gefordert. Der warnende Katalog von Bacons Idolatrienlehre ist seit Freud zu erweitern um einige Qualitätskontrollgänge, die, wenn sie unter Konkurrenzdruck obligatorisch würden, das Anspruchsniveau an philosophisches Denken erhöhen müßten, weil sie es vom Stigma des subjektiv Beliebigen zu befreien helfen könnten. Wir hoffen, es den Philosophen fortan schwerer machen zu können, aber auch leichter, indem es ihren Gegnern erschwert wäre, sie zeitraubend mißzuverstehen und an der Philosophie vorbei auf die Psychologie des Denkers hereinzufallen oder loszuschlagen. Es gilt nicht, die kontingente Individualität des Philosophen aus dem herauszuoperieren, was an seinen Befunden überindividuell gelten mag. Im Gegenteil ist diese Individualität ihm erst einmal explizit zugänglich zu machen, um das Besondere bewußt mit dem Allgemeinen vermitteln zu können. Der zusätzliche Energieaufwand für selbstkritisch analytische Anstrengung würde bei der dann hinfällig gewordenen Rationalisierungsarbeit ja wieder eingespart. Die neurotisch motivierten Anteile an ungeneralisierbarer privater Kontingenz sollen nicht unbemerkt in den philosophischen Argumentationszusammenhang einfließen und ihn ex ovo verfälschen. Die Artikulation einer authentischen Grunderfahrung ist möglichst freizuhalten von den pseudophilosophischen Übermalungen unbewußter Abwehr intrapsychischen Materials. Ein solches Hilfsinstrument für analytischen Check-up ist dem Philosophen und seinen Interessenten in die Hand zu geben. Nicht, als sollte jeder Philosoph sich erst einmal auf die Couch legen müssen, um seine Kompetenz zu erwerben, über letzte Dinge zu sprechen. Schließlich gilt es ja nicht, den philosophischen Gedanken wieder in das psychische Rohmaterial aufzudröseln, dessen mühsame Bearbeitung er doch darstellt. Der Analytiker ist weder der größere Philosoph noch Psychoanalyse überhaupt Philosophie, geschweige die bessere. Mit Freud läßt sich nicht entscheiden, ob der Gedanke wahr oder falsch, sondern nur, ob er überhaupt ein Gedanke ist, d.h. nicht nur die Funktion hat, etwas durch das hindurch, was er bewußt machen will, gerade nicht bewußt werden zu lassen.

Nachweise

2 Walter Biemel — Heidegger, Hamburg 1973, Rowohlt Bildmonographien Bd. rm 200, S. 7

3 Theodor Adorno — Ästhetische Theorie, Gesammelte Werke Band 7, Frankfurt a. M. 1970, S. 20 f.

4 Martin Heidegger — Frühe Schriften, Frankfurt a.M. 1972

5 Karl Löwith — Denker in dürftiger Zeit, Frankfurt a.M. 1953

6 Th. Adorno — Negative Dialektik, Frankfurt a.M. 1966, S. 114 f.

7 Th. Adorno — Philosophische Terminologie I, Frankfurt a.M. 1974

8 SuZ 38

9 SuZ 7

„Die Psychologie ist die philosophische Wissenschaft u. u." (Theodor Lipps)

„Der große philosophische 'Erfolg' modernen Denkens liegt etwa bei der Psychoanalyse, nicht bei dem, was wir Philosophie nennen." (Karl Jaspers)

Metaphysik als Metapsychologie?

Das Buch läßt sich aber auch zwanglos lesen als eine Wissenschaftssatire auf den Schuljargon von Philosophie und Psychologie.

Martin Heidegger. War das dieser „Denker“ im provinziellen Trachtenanzug, der 1976 gestorben ist und bis zuletzt vom „Sein" und immer wieder vom „Seyn" geredet hat, in einer so komisch originellen Do-it-yourself-Sprache, ein irrationalistischer Wortverdreher, der als Ideologe des Status quo in der Adenauer-Ära wiederum brauchbar war, mit seinem erfolgreichen „Jargon der Eigentlichkeit" (Adorno)? Aber nun ein halbes Jahrhundert nach der „antiautoritären Bewegung“?

Gewiß, seine nostalgische Sehnsucht zurück zur Natur bis zur frühgriechischen Physis scheint heute etwas übertrieben, ebenso wie sein heroischer Opfernihilismus und seine zivilisationsfeindliche Abwehr alles Urbanen und Kosmopolitischen; auch seine metaphysische Todesreklame ist heute nicht gerade „camp and groovy". Aber sein Veraltetsein ist doch auch wieder recht aktuell : Hat er nicht die rustikale „Pracht des Schlichten" und stadtflüchtige Bodenständigkeit bis zum Agrarfetischismus gefeiert? Hat er nicht gegen Intellektualismus, abendländische Rationalität, Kommunismus und Amerikanismus, Individualismus und auch Universalismus gleichermaßen gewettert, dieser antiliberalistische „Professor für Angst und Sorge", der sein Land aus den Niederungen der parlamentarischen Demokratie führen wollte in die „ekstatische Entschlossenheit" fürs Eigentliche? Vorbei die Zeit, da eine ganze Studentengeneration mit seinen Nietzsche- und Hölderlin-Interpretationen im Tornister in den Krieg zog. Vorbei auch die Zeit, als er in Davos und auf Bühlerhöhe gestreßte Manager von ihren „Holzwegen" auf seine früh-alemannischen „Feldwege" zu locken versuchte, um sie das große „Seinlassen" zu lehren. Aber seine schon so lange zurückliegende Warnung vor irrem Fortschrittsglauben und technologischem Raubbau an Mutter Erde, sein Votum für die einfachen vorindustriellen Gebrauchsgegenstände aus unverschandelt reiner Natur, machen ihn rückblickend gleichsam zu einem Atomkraftgegner und Umweltschützer der ersten Stunde, noch vor aller Proklamation der „Grenzen des Wachstums". Sogar den „Linken" imponiert heute, in einer Welt immer knapper werdender Naturressourcen mit dem Staat als Mangelverwalter, Heideggers Anathema gegen schrankenlose Produktivkraftentfesselung, noch vor und jenseits aller politischen Option für kapitalistische oder für sozialistische Produktionsverhältnisse. Außerdem empfiehlt der „Denker in dürftiger Zeit" mit quasireligiöser Heilsattitüde allen eine Seinsmystik, die an keinen christlichen Vatergott mehr glauben können, aber auf Frömmigkeit ohne Gott nicht verzichten wollen, wenigstens im vortheologischen Wartestand. Er verspricht, die Sehnsucht nach traditionaler Sekurität und nach Rebellion zugleich zu befriedigen, nach dem

Destruktiven und dem Positiven, nach existenzieller Innerlichkeit und unpolitischer „Gewalt-tätigkeit".

Das Urteil über seine eindeutschende Spezialsprache schwankt zwischen „berückender Tiefsinn", „kunstgewerbliches Dekor" und „höherer Blödsinn in Kabarettreife". Die einen rühmen Heideggers stupende Originalität, andere monieren gerade, wie wenige Konfektionsklischees des Common Sense er mit seinen unkonventionellen Worten aufgelöst habe. Aber der „bohrende Ernst" des vorerst letzten spekulativen Grüblers hat fernöstliche Anhänger in kontemplativen Meditationskulturen. Wenn sich eine retraitistische Jugendbewegung auf Zen und Hermann Hesse beruft, warum haben dann Landkommunarden, Blumenkinder und Hippies in Heidegger, der als Salonbauer seine Feder für einen Pflug im „Acker des Seins" hielt, nie ihren Guru gesehen? Weil er zu dunkel und schwierig ist? Ist Heidegger tot? Die Gesamtausgabe seiner Werke war auf etwa 80 Bände veranschlagt. Erst ein Gutteil davon soll bisher veröffentlicht sein, z.T. in viele Sprachen übersetzt. Bevor er endgültig den Gelehrten anheimfällt, möchte ich einen völlig neuartigen Zugang zu seinen Schriften vorschlagen, der Fans wie Verächter höchst befremden wird, aber die vielen Indifferenten auf ihn neugierig machen könnte. Graben wir ihn also aus unter den unübersehbaren Titeln an Sekundärbibliographie über ihn! Eine Renaissance?

Mein kurzes Brevier ist nichts als eine Collage von Originalzitaten aus philosophischen Werken Heideggers, nicht etwa aus Briefen oder anderen privatbiographischen Dokumenten. Meine einzige Zutat besteht aus der Art des Arrangements der unverändert wiedergegebenen Belegstellen. Dabei wurden die Passagen nicht soweit zerstückelt, daß sich durch Montage jeder beliebige neue Sinn daraus hätte konstruieren lassen. Heideggers berüchtigt dunkle Gedanken sollen durch den neuen Kontext nur bis zu einer Kenntlichkeit entstellt werden, die den wirklichen Sinn nicht durch willkürliche Unterstellungen verfälschen, sondern durch Verfremdung allererst freilegen will. Mein Kurzreader will die Lektüre der Werke nicht ersetzen, sondern anregen. Keinem der vielen Leser scheint bisher der Gedanke gekommen zu sein, Heideggers umstrittene Sprache einmal ganz ernst und wörtlich zu nehmen, sich seinen Assoziationen bei der Lektüre ganz zwanglos hinzugeben, statt die als esoterisch und gewalttätig verschriene Diktion bewundernd nachzustammeln, höhnisch zu belächeln oder einfach in schulphilosophische Terminologie zu übertragen, um das Ganze leichter lesbar und kritisierbar zu machen. Heidegger-Interpreten werden dann in aller Regel more sophisticated als ihre Vorlage, die ganz zu Unrecht als abschreckend spröde und unverständlich gilt. Ich werde zu beweisen versuchen, daß die Lektüre seiner Werke ein ausgesprochen sinnliches Vergnügen bereiten kann. Man darf nämlich Heidegger durchaus ähnlich lesen, wie Arno Schmidt in „Sitara oder der Weg dorthin" seinen Karl May gelesen hat. Sartre monierte, daß das von seinem Lehrer beschriebene menschliche Dasein „wie geschlechtslos" aussehe, was der Franzose dann in „Das Sein und das Nichts" (1943) korrigierte. Ich behaupte, daß kein Denker seit Plato vom philosophischen Eros stärker beseelt war als dieser „Ek-sistenzialist", der in aller Prüderie die Sexualia nie zu den „Existenzialien" zählte. Aber die sonderbare Kunstsprache, die Heidegger für seine Seinslehre eigens erfunden hat, ist nach meiner Überzeugung eine einzige philosophische Chiffrierung geheimer erotischer Phantasien, eine metaphysische Verkleidung höchst physischer Phantasmagorien, ein etwas ächzender Kompromiß zwischen logischen und skatologischen Bedürfnissen des Autors und seiner Kunden, deren beider Unbewußtes hinter ihrem Rücken miteinander kommuniziert. Ein Teil von Heideggers Faszination beruht, glaube ich, auf dem Genuß höherer Pornographie im unverdächtigen Gewände von Philosophie als Feigenblatt. Die Kabarettisten der späten Zwanzigerjahre müssen das geahnt haben, als sie aus dem „Platzhalter des Nichts" (zwischen weiblichen Beinen) den „Zuhälter des Seins" machten. Heidegger : der dirty old man der Philosophie, ein pornographischer Denker und Liebhaber einer Dame namens Sophie?

Heidegger deutet Hölderlins Gedicht „Andenken" und schreibt: „Denn die Liebe ist der Blick für das Wesen des Geliebten, welcher Blick durch dieses Wesen hindurch in den Wesensgrund der Liebenden blickt. Doch dieser Wesensblick unterscheidet sich vom bloßen Beschauen, das im Genuß eines Anblicks sich erschöpft. Das Blicken des Geistes der Liebe bleibt nicht am Anblick haften, sondern heftet sich selbst im Wesen des Geliebten an, um dieses, durch das 'fleißige' Blicken, fest in seinen Grund zurückzustellen. Das anheftende Blicken der Liebe geschieht mit Fleiß, d.h. nicht nur in steter Sorge, sondern 'mit Absicht'. Allein diese Absicht ist nicht die Absicht der Berechnung. Sie entstammt dem Absehen des Wesensblickes auf den Wesensgrund der Liebenden. Dieses Absehen heftet alles an den Grund. Das anheftende Denken des Geistes der Liebe ist auch ein Andenken. Die Liebenden denken in das Wesen des Geliebten voraus und müssen doch stets dahin zurückdenken, daß sie selbst sich im zugedachten Wesen halten. Was die Liebe in ihrem Wesensblick erblickt, ist ein Bleibendes. Aber das liebende Erblicken ist kein Stiften. 'Was bleibt aber, stiften die Dichter'."

Hier wird noch keine Ehe gestiftet, sondern etwas, wir wissen noch nicht was, „im Festen des Ursprungs festgesteckt. Dies heißt: gestiftet. Demnach ist das Stiften das dem Ursprung sich nähernde Bleiben, das bleibt, weil es als der scheue Gang zur Quelle den Ort der Nähe nur schwer verlassen kann ... Das stiftende Wohnen ist das ursprüngliche Wohnen der Erdensöhne, die zugleich die Kinder des Himmels sind". Was ist das für ein „Stiftungsgrund"? „Grund nennt einmal die Tiefe, z.B. den Meeresgrund, den Talgrund, den Wesensgrund." Heidegger nennt den Humanismus: „Humus. Das ist der gewachsene Grund, der schwere, fruchtbare Erdboden ... Grund meint solches, wohin wir hinab-, worauf wir zurückgehen." Im „Humanismusbrief“ wird dann Philosophie als Große Möge vorgestellt:

„Sich einer 'Sache' oder einer 'Person' in ihrem Wesen annehmen, das heißt: sie lieben: sie mögen. Dieses Mögen bedeutet, ursprünglicher gedacht: das Wesen schenken. Solches Mögen ist das eigentliche Wesen des Vermögens, das nicht nur dieses und jenes leisten, sondern etwas in seiner Herkunft 'wesen', das heißt sein lassen kann. Das Vermögen des Mögens ist es, 'kraft' dessen etwas eigentlich zu sein vermag. Dieses Vermögen ist das eigentlich 'Mögliche', jenes, dessen Wesen im Mögen beruht. Aus diesem Mögen vermag das Sein das Denken. Jenes ermöglicht dieses. Das Sein als das Vermögend-Mögende ist das 'Mögliche'."

„Doch wir vermögen immer nur solches, was wir mögen, solches, dem wir zugetan sind, indem wir es zulassen. Wahrhaft mögen wir nur jenes, was je zuvor von sich aus uns mag und zwar uns in unserem Wesen, indem es sich diesem zuneigt."

„Die Zuneigung des Seins" und seine „Zuwendung" bewirken ein „dem Sein höriges Denken". Aber die Geliebte ist auch kokett: „Das Sein entzieht sich... Wenn wir in das Ziehen des Entzugs gelangen, sind wir auf dem Zug zu dem, was uns anzieht, indem es sich entzieht." Das Sichzieren macht also seine Attraktivität aus: „Die Sehnsucht ist der Schmerz der Nähe des Fernen."

„Ansichhalten, Verweigerung, Vorenthalt zeigt dergleichen wie ein Sichentziehen, kurz gesagt: den Entzug ... verweigernd-vorenthaltende Nähe." Den frühen Griechen habe das Sein sich offenbart als „Physis": „Die mächtige, weil göttlichschöne, weil wunderbar allgegenwärtige Natur berückt und entrückt. Das Zumal der Berückung und Entrückung ist aber das Wesen des Schönen." Die Dichter also lieben die Natur, klar, „die Allerschaffende", „Allebendige" und „Allerglühende". Warum entzieht sich die erglühende Spröde?

„Das Heilige als das Unnahbare wirft jeden unmittelbaren Zudrang des Mittelbaren aus seinem Vorhaben ins Vergebliche ... Aber seine Entsetzlichkeit bleibt verborgen in der Milde des leichten Umfangens." „Sein: der Ab-Grund ... 'Ab-grund' heißt das alles Verschließende, das von 'der Mutter Erde' getragen wird." „Die Erde läßt so jedes Eindringen in sie an ihr selbst zerschellen. Sie läßt jede nur rechnerische Zudringlichkeit in eine Zerstörung umschlagen." „Die Erde ist das zu nichts gedrängte Hervorkommen des ständig Sichverschließenden und dergestalt Bergenden." Im Umfangen geborgen ist das Menschenkind und doch zurückgestoßen von Mutter Natur?

„Realität ist Widerstand, genauer Widerständigkeit... Widerstand begegnet in einem Nicht-durch-kommen, als Behinderung des Durchkommenwollens. Mit diesem aber ist schon etwas erschlossen, worauf Trieb und Wille aus sind ... Das Aussein auf... das auf Widerstand stößt und einzig 'stoßen' kann, ist selbst schon bei einer Bewandtnisganzheit..." Was hat es mit diesem stoßenden Trieb und seinem Widerstand für eine Bewandtnis? Worauf „triebmäßiges Sichbefinden" aus ist, sagt Heidegger in seiner Logik. 'Logos' bestimmt er als 'lesende Lege': „Darin waltet das Zusammenbringen, sich niederlegen in die Sammlung der Ruhe ... Doch diese Ruhe ist bewegter denn alle Bewegung ... Legen heißt: zum Liegen bringen. Legen ist dabei zugleich: eines zum anderen, ist zusammenlegen ... Dies besagt: sammeln, eines zum anderen legen. Hierbei kann es geschehen, daß das eine so zum anderen gelegt wird, daß eines nach dem anderen sich richtet." Das führe dann zur „Richtigkeit der Aussage" in der „Angleichung des Subjekts an sein Objekt".

Lassen wir erst einmal auf sich beruhen, warum das Sein, die Erde und die Natur sich dem Menschenkind verschließen : „Verborgenheit: ... Verschließung, Verwahrung, Verhüllung, Verdeckung, Verschleierung, Verstellung..." „... indem Es, das Sein sich gibt, ... erscheint Seyn anfänglich im Licht des verbergenden Entzugs." 'Es gibt Sein': „Es gibt sich und versagt sich zumal." Schließlich gibt es auch erst beim späten Heidegger nach der berühmten „Kehre" vom menschlichen Dasein zum „Seyn" diesen „Schmerz des Versagens und die Schonungslosigkeit des Verbietens. Lastender ist die Herbe des Entbehrens". Sehen wir zu, was beim frühen Heidegger von 'Sein und Zeit' (1926) die beiden machen, die da zusammenliegen. Ganz logisch : „Akte werden vollzogen, Person ist Aktvollzieher. Aber welches ist der ontologische Sinn von 'vollziehen'?" Der Existenzphilosoph sagt es : „existieren". Was ist das? „Das ekstatische Wesen des Menschen beruht in seiner Ek-sistenz." ,,'Ek-sistenz' ist Sorge ... für das Sein." „Das Sein des Daseins bestimmten wir als Sorge ... um das eigenste Selbstseinkönnen." „Deren ontologischer Sinn ist die Zeitlichkeit ... Zeitlichkeit ist das ursprüngliche 'Außer-sich' an und für sich selbst." In der „ekstatischen Zeitlichkeit" nun „gehört zur Ekstase ein Wohin der Entrückung. Dieses Wohin der Ekstase nennen wir das horizontale Schema". „Die Phänomene des zu ..., auf..., bei ..., offenbaren die Zeitlichkeit als das ekstatikon schlechthin." Existieren ist also „das ekstatische Wohnen in der Nähe des Seins". Wenn das menschliche Dasein aber „Sorge" ist, dann ist es „zunächst und zumeist ein Sein bei dem Besorgten". Wer besorgt hier was wem und womit? „Ekstatisches Wohnen"? „Dieses Wohnen ist das Wesen des 'In-der-Welt-seins'." „In-Sein ... meint eine Seinsverfassung des Daseins und ist ein Existenzial. Dann kann damit aber nicht gedacht werden an das Vorhandensein eines Körperdinges (Menschenleib) 'in' einem vorhandenen Seienden. Das In-Sein meint so wenig ein räumliches 'Ineinander' Vorhandener, als 'in' ursprünglich gar nicht eine räumliche Beziehung der genannten Art bedeutet; 'in' stammt von innan-, wohnen, habitare, sich aufhalten, 'an' bedeutet: ich bin gewohnt, vertraut mit, ich pflege etwas; es hat die Bedeutung von colo im Sinne von habito und diligo. Dieses Seiende, dem das In-Sein in dieser Bedeutung zugehört, kennzeichnen wir als das Seiende, das ich je selbst bin. Der Ausdruck 'bin' hängt zusammen mit 'bei'; 'ich bin' besagt wiederum: ich wohne, halte mich auf bei... der Welt, als dem so und so Vertrauten. Sein als Infinitiv des 'ich bin', d.h. als Existenzial verstanden, bedeutet wohnen bei ..., vertraut sein mit... In-Sein bestimmt als Wohnen bei ..." wäre aber die Eindeutschung des lateinischen Co-habitare.

„Das In-Sein ist Mitsein mit Anderen." In-sein, worin? Im Anderen soll ich sein, aber womit? Heidegger nennt es „Zeug" und wählt als Beispiel ein Handwerkszeug: „... je weniger das Hammerding nur begafft wird, je zugreifender es gebraucht wird, um so ursprünglicher wird das Verhältnis zu ihm, um so unverhüllter begegnet es als das, was es ist, als Zeug. Das Hämmern entdeckt die spezifische 'Handlichkeit' des Hammers." (Was also entdeckt die spezifische „Handlichkeit" des Zeugs im Allgemeinen?) Das Zeug soll „zuhanden" sein fürs „Besorgen". „Das In-der-Welt-sein ist als Besorgen von der besorgten Welt benommen." Und wohin mit dem Zeug? „Das Zeug hat seinen Platz ... Der Platz ist je das bestimmte 'Da' und 'Dort' des Hingehörens eines Zeugs." Mit diesem Zeug ist das Dasein „Platzhalter des Nichts". „Das Nichts ist der Schleier des Seins." Der Mensch ist als „Nachbar des Seins" und als „Hirt des Seins" nicht „Herr des Seins". „Das menschliche Dasein kann sich nur zu Seiendem verhalten, wenn es sich in das Nichts hineinhält." Aber dieses Nichts ist nach Heidegger nicht nichtig und macht das Dasein nicht zunichte, sondern seine Leere ist die „Öffnung des Seins" selbst. Für diese Öffnung wählt er ein Bild aus seiner alemannischen Umwelt, eine Schwarzwaldlichtung : „Die Waldlichtung ist erfahren im Unterschied zum dichten Wald, in der älteren Sprache 'Dickung' genannt. Das Substantivum 'Lichtung' geht auf das Verbum 'lichten' zurück. Das Adjektivum 'licht' ist dasselbe Wort wie 'leicht'. Etwas lichten bedeutet: etwas leicht, etwas frei und offen machen, z.B. den Wald an einer Stelle frei machen von Bäumen." „Das Stehen in der Lichtung des Seins nenne ich die Ek-sistenz des Menschen." (Erinnert das nicht an das Lied: Ein Männlein steht im Walde ...? Sagt, wer mag das Männlein sein, das da steht auf einem Bein? Und das purpurrote Mäntelchen?) Die Lichtung ist für ihn die ganze Welt: „'Welt' ist die Lichtung des Seins, in die der Mensch aus seinem geworfenen Wesen her heraussteht." Er wird „Wurf des Seins" genannt, weil er „dem Sein entstammt". „Dergestalt geworfen steht der Mensch 'in' der Offenheit des Seins." „Ek-sistenz bedeutet inhaltlich Hinaus-stehen in die Wahrheit des Seins." Heidegger geht nun zurück auf das griechische Wort für Wahrheit: Aletheia, Unverborgenheit. „Die Ale-theia, die Unverborgenheit müssen wir als die Lichtung denken ... gutgerundete Unverborgenheit, gedacht als die Lichtung." Das einzig Wahre also für Heidegger ist diese „Öffnung des Seins".

„Eine Lichtung ist. Sie ist, vom Seienden her gedacht, seiender als das Seiende. Diese offene Mitte ist daher nicht vom Seienden umschlossen, sondern die lichtende Mitte selbst umkreist wie das Nichts, das wir kaum kennen, alles Seiende. Das Seiende kann als Seiendes nur sein, wenn es in das Gelichtete dieser Lichtung herein- und hinaussteht. Nur diese Lichtung schenkt und verbürgt uns Menschen einen Durchgang zum Seienden, das wir selbst nicht sind, und den Zugang zu dem Seienden, das wir selbst sind. Doch selbst verborgen kann das Seiende nur im Spielraum des Gelichteten sein ... Die Lichtung, in die das Seiende hereinsteht, ist in sich zugleich Verbergung." Was hat er lichtscheu zu verbergen, dieser „Spielraum der Offenheit..., worin jegliches Seiende in seiner Weise aufgeht"? Womit ist dieser „Vollzugsraum für die Bewältigung des Seienden im Ganzen besetzt"? Wir verstehen aber schon den Titel des Hauptwerks 'Sein und Zeit': „Die Zeit zeitigt. Zeitigen heißt: reifen, aufgehen lassen." Das Menschenkind muß erst „wachsen", mit der „Zeit... die erst das Offene eröffnet", wird es groß. Was macht der Mensch aber dann in der Lichtung des Seins?

„Er bewegt sich in ihr hin und her."

„Für das sinnende Denken dagegen gehört der Weg in das, was wir die Gegend

nennen. Andeutend gesagt, ist die Gegend als das Gegnende die freigebende Lichtung... Das Freigebend-Bergende der Gegend ist jene Bewegung, in der sich die Wege ergeben, die der Gegend gehören. Der Weg ist, hinreichend gedacht, solches, was uns gelangen läßt, und zwar in das, was nach uns langt, indem es uns belangt ... gelangen läßt in das, wohin es gehört." Wir erinnern uns: „dem Sein gehörend", „auf das Sein hörend", „dem Sein höriges Denken". „Bewegen aber heißt: ... einen Weg bahnen, z.B. durch tiefverschneites Land ... Abwässer eines großen verborgenen Stromes, des alles bewegenden, allem seine Bahn reißenden Weges. Alles ist Weg."

Das Zeug „hält die umsichtig gebrauchten Gegenden ausdrücklich offen, das jeweilige Wohin des Hingehörens, Hingehens, Hinbringens, Herholens". Diese „offene Gegend" oder „freie Gegend" ist die erogene „Zone des Seins". Darauf „versteht" sich das Dasein: „Es ist der ekstatische, d.h. im Bereich des Offenen innestehende geworfene Entwurf." Heidegger nennt „den stillen Glanz (das Gold) des Geheimnisses, das im Einfachen der Lichtung immerwährend scheint". Dieses Geheimnis wollen wir lüften. „Aber das Goldene des unscheinbaren Scheinens der Lichtung läßt sich nicht greifen, weil es selbst kein Greifendes, sondern das reine Ereignen ist." Ein freudiges „Ereignis", das auch „Eräugnis" genannt wird. „Daher wird die Erfahrung der Sinne überhaupt als 'Augenlust' bezeichnet."

Was „er-äugen" wir mit dem „Einblick in das, was ist", der ein „Einblitz" sein soll? „Kein Aussehen ohne Licht — das erkannte schon Platon. Aber es gibt kein Licht und keine Helle ohne die Lichtung ... Der Lichtstrahl schafft nicht erst die Lichtung, die Offenheit, er durchmißt sie nur. Solche Offenheit allein gewährt überhaupt einem Geben und Hinnehmen ... erst das Freie, worin sie sich aufhalten können und sich bewegen. Alles Denken der Philosophie, das ausdrücklich oder nicht ausdrücklich dem Ruf 'zur Sache selbst' folgt, ist auf seinem Gang, mit seiner Methode, schon in das Freie der Lichtung eingelassen. Von der Lichtung jedoch weiß die Philosophie nichts. Die Philosophie spricht zwar vom Licht der Vernunft, aber achtet nicht auf die Lichtung des Seins. Das lumen naturale, das Licht der Vernunft, erhellt nur das Offene." „Licht kann nämlich in die Lichtung, in ihr Offenes, einfallen und in ihr die Helle mit dem Dunkel spielen lassen ... Aber niemals schafft das Licht erst die Lichtung, sondern jenes, das Licht, setzt diese, die Lichtung, schon voraus ... Überall, wo ein Anwesendes anderem Anwesenden entgegen kommt, ... da waltet schon Offenheit, ist freie Gegend im Spiel." „Die Wahrheit des Seins kann deshalb der Grund heißen, in dem die Metaphysik als die Wurzel des Baumes der Philosophie gehalten, aus dem sie genährt wird." „Das Ragen des Baumes ist gerufen. Es durchmißt zumal den Rausch des Erblühens und die Nüchternheit der nährenden Säfte. Verhaltenes Wachstum der Erde und die Spende des Himmels gehören zueinander."