Heimat-Roman Treueband 28 - Sissi Merz - E-Book

Heimat-Roman Treueband 28 E-Book

Sissi Merz

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 186: Sie war sein ganzes Glück
Bergkristall 267: Die Schwestern vom Ziller-Hof
Der Bergdoktor 1729: Versöhnung am Wildbach
Der Bergdoktor 1730: Alpenglühen und Einsamkeit
Das Berghotel 123: Schon früh kann Liebe weh tun

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 650

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2015/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © Bastei Verlag/von Sarosdy ISBN 978-3-7517-1804-2 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Sissi Merz, Marianne Burger, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner

Heimat-Roman Treueband 28

Inhalt

Sissi MerzAlpengold - Folge 186Als der junge Moosbacher-Thomas seine Verlobte Lissi in den Armen seines Bruders überrascht, bricht für ihn eine Welt zusammen. Enttäuscht und außer sich vor Verzweiflung rennt er davon, steigt in den Wagen und braust durch die Nacht! Auch in den engsten Kurven bremst er nicht ab. Als man sein Auto wenige Stunden später ausgebrannt in einer Klamm findet, erkennt Lissi, was sie verloren hat. Doch da scheint es zu spät zu sein ...Jetzt lesen
Marianne BurgerBergkristall - Folge 267"Es wird Zeit, Franzl, dass ich dem Vater die Wahrheit sag", flüstert die junge Afra ihrem Franz zu, einem kräftigen Bursch mit krausem, braunen Haar und dunklen Augen. Doch ihre Stimme klingt besorgt und bebt ein klein wenig, denn noch weiß ihr jähzorniger Vater nichts davon, dass Afra Ziller und der Bittinger-Franz sich einig sind. "Erst am letzten Sonntag hat er wieder gesagt, dass der Haberthaler-Sepp aus Neureuthen ein Auge auf mich geworfen hätte und dass er bald herkommen will, um mir einen Antrag zu machen." Franz nickt bedächtig. "Mei, Afra, zwingen kann dich der Vater ja net, den Sepp zu heiraten. Aber es wird einen harten Streit geben, wenn du ihm sagst, dass wir zwei uns einig sind. Dein Vater hasst alles, was Bittinger heißt." Noch ahnen die beiden Verliebten nicht, was auf sie zukommt, denn bei einem Konflikt wird es nicht bleiben. Afras Vater und Sepp Haberthaler sind noch zu ganz anderem fähig ...Jetzt lesen
Andreas KufsteinerDer Bergdoktor - Folge 1729Seit ihrer Rückkehr vom Wildbach ist Vroni verwandelt. Alle Traurigkeit ist aus ihren Augen gewichen, und ihr Herz singt und tanzt, wenn sie an Peter denkt. Noch immer scheinen seine innigen Busserln auf ihren Lippen zu brennen. Endlich wagt sie, an ein neues Glück mit ihm zu glauben. Nie wieder, das schwört Vroni sich, will sie an seiner Treue zweifeln! So, wie damals, als ihre vermeintlich beste Freundin ihr zugeflüstert hat, dass Peter sie betrügt. Nichts als eine Lüge war das, weil Kerstin ihr Peter abspenstig machen wollte! Doch jetzt sollen alle Schatten der Vergangenheit endgültig vergessen sein. Als das Telefon klingelt, eilt Vroni freudig an den Apparat. Doch es ist nicht Peter, der sich meldet, sondern Kerstin, die ihr etwas sehr Pikantes mitzuteilen hat ..Jetzt lesen
Der Bergdoktor - Folge 1730Schon jetzt fiebert die hübsche Katja dem Tag entgegen, an dem sie wieder zu ihrer Alm aufbrechen kann, um dort als Sennerin die Sommermonate zu verbringen. Nichts hält sie mehr daheim auf dem Strasser-Hof, wo es ständig Streit und Unfrieden gibt. Mit dem Bruder, mit der herrischen Schwägerin und auch mit dem Vater, der Katja unbedingt verkuppeln will. Auf ihrer Alm kann sie so leben, wie sie will! Doch kaum hat sie die einsame Berghütte bezogen, als sie ein ungutes Gefühl beschleicht. Katja fühlt sich beobachtet ...Jetzt lesen
Verena KufsteinerDas Berghotel - Folge 123Irmi kann nicht fassen, dass sie ihren egozentrischen und fordernden Chef, den berühmten Schauspieler Piet Deringer, als seine persönliche Assistentin auch noch in dessen Urlaub begleiten muss. Dabei hatte sich die alleinerziehende Mutter so darauf gefreut, endlich einmal ein paar Tage Zeit für ihren Sohn Max zu haben. Zumindest darf sie diesen aber mit ins Zillertal nehmen, während Piet von seiner Tochter Poppy begleitet wird, für die er seit seiner Scheidung allein verantwortlich ist. In St. Christoph werden die vier von Hedi Kastler, der Inhaberin des Berghotels, freundlich begrüßt. Die Hotelchefin erkennt schnell, dass der attraktive Schauspieler und seine hübsche Assistentin auch im Urlaub viel arbeiten müssen und wenig Zeit für die Kinder haben. Spontan bietet sie an, sich bei Bedarf um die beiden Kleinen zu kümmern. Als sich Max in die lebhafte Poppy verliebt, bahnt sich großer Liebeskummer an, denn Max ist nicht der einzige Verehrer des süßen Madels. Hedi bemüht sich, den sensiblen Jungen aufzuheitern, doch dabei lässt sie für einige Minuten Poppy aus den Augen, die auf einmal verschwunden ist ...Jetzt lesen

Sie war sein ganzes Glück

Warum Thomas glaubte, das geliebte Madel für immer verloren zu haben

Von Sissi Merz

Solange er denken kann, steht der junge Moosbacher-Thomas im Schatten seines jüngeren Bruders Christian. Und der fesche Chris scheint es sich zu einem Sport gemacht zu haben, Thomas zu ärgern und zu quälen. So, wie Thomas als kleiner Bub jedes Lieblingsspielzeug an Christian verloren hat, so gibt es heutzutage kein Madel, das Chris ihm nicht ausgespannt hätte. Erst als Christian nach seinem Studium beruflich nach Afrika geht, kann Thomas aufatmen. Und doch ist es noch ein weiter, steiniger Weg, bis er glauben kann, dass die hübsche Huber-Lissi ihn wirklich liebt und die Seine werden will …

Thomas Moosbacher zog den warmen, wollenen Janker über und verließ das Haus. Ein eisiger Nordwind blies ihm ins Gesicht, feiner Schnee wehte ihn an und schien mit tausend kleinen Nadeln in die Haut zu piksen.

Der Bauer Anfang dreißig senkte den Kopf, sein dichtes, dunkles Haar, das ein wenig lockig und stets widerspenstig war, wehte im Winterwind.

Es ging auf fünf Uhr zu, doch vom neuen Morgen war noch längst nichts zu merken. Jetzt, Mitte Februar, ging die Sonne erst in ein paar Stunden auf. Und Wärme würde sie kaum bringen.

Der Winter hatte den kleinen Flecken Burghausen im Werdenfelser Land fest im Griff. Heuer war er besonders streng. Es war keine Seltenheit, dass die Temperaturen in der Nacht im zweistelligen Minusbereich landeten. Das Leben wurde beschwerlich, denn der Schnee türmte sich auf den Wegen. Manch einer beschwerte sich über die hohen Heizkosten und sehnte den Frühling herbei.

Auf dem Moosbacher-Hof war das Holzlager gut gefüllt, der große Kachelofen in der guten Stube spendete behagliche Wärme. Das traditionsreiche Anwesen war bereits seit mehreren Generationen im Besitz der Familie. Thomas hatte den Hof vor fünf Jahren übernommen. Damals war sein Vater überraschend an einem Infarkt verstorben.

Hier gab es keine materiellen Sorgen, denn der Bauer war tüchtig und fleißig. Glücklich war Thomas Moosbacher allerdings nicht. Doch das hatte andere Gründe.

Nun öffnete der junge Mann die Stalltür und trat ein. Drinnen herrschte eine angenehme Wärme. Das weiß-bunte Milchvieh, das für die Region typisch war, verbrachte nur den Winter im Stall.

Im Frühjahr ging es hinaus auf die Weiden, ein Teil wurde auch zur Krameralm hinauf getrieben, um über Sommer besonders würzige und hochwertige Milch zu geben. Die wurde dann vom alten Franz, der sich auch auf die Arbeit eines Senns verstand, zu Käse verarbeitet. Der Altknecht lebte und arbeitete nun bereits über vierzig Jahre auf dem Erbhof.

Er hatte die Geburt von Thomas und seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Christian miterlebt, und er hätte viel über die Familie Moosbacher erzählen können, wäre er nicht so verschwiegen und treu gewesen. Auch wenn er am Wochenende gerne mal im Wirtshaus eine Maß trank, kam doch nie ein schlechtes Wort über seinen Brotherrn aus seinem Mund. Er stand treu zu Thomas, den er heimlich so lieb hatte wie einen eigenen Sohn.

Als der Bauer nun in die Box trat, in der eine hochträchtige Kuh sich mit dem Kalben schwertat, blickte Franz überrascht auf.

»Mei, Bauer, du hättest net extra so früh aufstehen müssen. Hast schließlich noch genug anderes zu tun. Ich kümmere mich schon um die Milli und ruf den Viehdoktor, wenn es losgeht«, meinte der Alte und rieb sich über sein wettergegerbtes Gesicht.

Franz war früher ein Baum von einem Mann gewesen. Mit den Jahren war er ein wenig schmächtig geworden und konnte nicht mehr so schaffen wie einst. Doch vom Ruhestand wollte er nichts wissen. Er konnte sich mit dem Gedanken, die Hände in den Schoß zu legen, einfach nicht anfreunden.

»Ist schon recht, ich konnte eh nimmer schlafen«, wehrte Thomas ab. Er setzte sich neben Franz auf einen Hocker und betrachtete die Kuh. »Noch keine Veränderung?«

»Sie hat angefangen zu schwitzen, aber das Blaserl ist noch zu«, erstattete Franz Bericht.

»Na gut, dann kannst du jetzt schlafen gehen. Ich bleib da und kümmere mich um alles.«

Der Altknecht konnte sich nicht recht entscheiden, zu gehen. Er musterte Thomas nachdenklich. Dessen markantes Profil trat an diesem frühen Morgen stärker hervor als sonst. Er war blass, und seine klugen, grauen Augen wirkten dunkel vor Kummer.

Franz kannte diesen Ausdruck nur zu gut. Er hatte ihn bereits bei dem Buben von zwölf gesehen und bemerkte ihn nun auch an dem Mannsbild von zweiunddreißig. Er wusste um all die einsamen, trüben Stunden, die Thomas bereits erlebt hatte. Und es schnitt ihm ins Herz, den aufrechten, guten Charakter leiden zu sehen.

»Was hast du?«, fragte der Bauer ihn nun, denn er hatte seinen aufmerksamen Blick wohl bemerkt. »Stimmt was net?«

»Das frag ich dich, Bauer. Ein junges Mannsbild wie du sollte einen gesunden Schlaf haben. Machst du dir Sorgen um die Mutter?«

Marie Moosbacher hatte vor ein paar Monaten einen Schlaganfall erlitten. Sie war lange im Spital gewesen, ihr Zustand hatte sich nur allmählich stabilisiert. Nun lebte sie wieder daheim auf dem Hof, war aber pflegebedürftig. Thomas hatte deshalb eine Krankenschwester angestellt, die im Kammerl neben Maries Schlafzimmer wohnte und stets verfügbar war.

»Oder denkst du eher über die Lissi nach?«

Thomas’ Miene verschloss sich, er knurrte: »Red keinen Schmarren daher, Franz. Geh jetzt und lass mich in Ruh. Mir fehlt nix. Jedenfalls nichts, worüber ich reden mag.«

»Ist schon recht.« Der Altknecht erhob sich ein wenig schwerfällig, klopfte dem Bauern freundschaftlich die Schulter und nickte ihm mit einem schmalen Lächeln zu, eh er den Stall verließ.

Franz hatte seine Kammer im Gesindehaus. Als er sich noch ein wenig ausstreckte, fand er aber keinen Schlaf mehr, denn seine Gedanken kehrten noch einmal zu seinem jungen Brotherrn zurück. Und sie schweiften weit in die Vergangenheit ab …

Damals, als Franz noch ein junges, fesches Mannsbild gewesen war, hatte er den kleinen Thomas oft weinend im Stall gefunden. Der Bub hatte sich bei den Milchkälbern versteckt oder im Heu mit seiner schwarzen Katze geschmust. Die Kindheit des Buben war ein einziges Trauerspiel gewesen. Doch das hatte erst angefangen, als sein jüngerer Bruder geboren wurde und heranwuchs. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Bauer seinen Älteren gut behandelt und durchaus bemerkt, wie aufgeweckt und interessiert der an allem gewesen war, was mit der Landwirtschaft zu tun hatte.

»Der Thomas wird mal ein guter Bauer«, hatte Franz ihn öfter sagen hören und sich darüber gefreut. Denn bereits damals hatte er den ernsten, klugen Buben gern gehabt.

Dann aber war Christian auf den Plan getreten. Ein zartes, schwächliches Kind, das oft krank gewesen war. Die Eltern hatten ihn verwöhnt und wegen seiner schwachen Konstitution dem älteren Bruder stets vorgezogen. Wenn Thomas einmal murrte, wurde ihm seine robuste Natur als Egoismus vorgeworfen, und es hieß, er solle Rücksicht nehmen.

Der Bub hatte unter dem Mangel an elterlicher Zuwendung sehr gelitten, sich aber bemüht, es keinen merken zu lassen. Nur Franz wusste Bescheid, denn Thomas hatte ihm schon damals vertraut.

Je älter Christian wurde, desto tiefer wurde der Graben zwischen den Brüdern. Als sich herausstellte, dass der jüngere Moosbacher ein heller Kopf war, der Matura machte und sich hernach entschied, Medizin zu studieren, war der Bauer vor Stolz fast geplatzt.

Nun konnte der verwöhnte Christian sich Thomas gegenüber einfach alles erlauben. Er machte sich ständig über seinen älteren Bruder lustig und trampelte, unterstützt vom Vater, auf Thomas herum. Er benutzte ihn als Blitzableiter für seine Launen und liebte es, ihn dumm dastehen zu lassen.

Besonders gern machte er sich bei seinen Kommilitonen, die er natürlich oft zu sich einlud, über den »tumben Dorfdeppen« lustig. Seine Scherze wurden immer gemeiner und verletzender. Drohte Thomas ihm einmal Prügel an oder wehrte sich zumindest verbal, hatte er sofort den Vater am Hals. Der machte ihn noch viel heftiger nieder und verbot ihm, sein Herzblatt zu beschimpfen.

Marie war mit alldem nicht glücklich gewesen. Sie hatte ihre beiden Buben lieb und hatte sich stets bemüht, ausgleichend zu wirken, damit aber nie wirklich etwas erreicht.

In den vergangenen Jahren, vor allem seit dem Tod des Vaters, hatten die Brüder sich kaum noch gesehen.

Franz wusste, dass Christian in Tansania ein Buschhospital aufgebaut hatte und leitete. Er war sehr engagiert, hatte schon in Studienzeiten in der Entwicklungshilfe gearbeitet. Er schien ein brillanter Mediziner zu sein, auch wenn da menschlich wohl einiges zu wünschen übrig blieb.

Nach dem Schlaganfall der Altbäuerin war er nach Burghausen gekommen, um sich zu kümmern, doch die ganze Zeit hatten die Brüder nur erbittert gestritten. Schließlich war Christian beleidigt abgereist.

Der Altknecht seufzte leise. Thomas hatte sein ganzes bisheriges Leben im Schatten des bevorzugten Bruders verbracht. Franz hatte gehofft, dass der Tod des Altbauern und die Krankheit seiner Frau die beiden einander doch noch ein wenig näherbringen würden. Dass die Brüder sich aussprechen und zumindest lernen könnten, sich gegenseitig zu respektieren. Doch das war leider nicht passiert. Offenbar konnte es zwischen den beiden keine Versöhnung geben. Dazu waren die Gräben zu tief.

Franz wusste, wie schlimm das für Thomas war. Sein Bruder hatte ihm das Selbstbewusstsein geraubt. Jedes Madel, das sich für den älteren Moosbacher interessiert hatte, musste er ihm abspenstig machen. Es schien fast so, als hätte Christian einen abseitigen Spaß daran, Thomas in den Dreck zu treten.

Und nun war der Bauer, nach außen hin ein fesches, fleißiges Mannsbild, eine der besten Partien im Tal, innerlich ein gebrochener Mann. Er konnte keinem mehr vertrauen, er mochte nicht glauben, dass ein Madel ihn um seinetwillen gern hatte. Er glaubte nicht mehr an die Liebe. Und vielleicht, so vermutete Franz mit bangem Herzen, glaubte er sogar an gar nichts mehr.

Das alles nahm den Altknecht sehr mit. Nicht nur, weil er Thomas gern hatte und ihm ein glückliches, erfülltes Leben wünschte. Sondern auch, weil es auf dem Erbhof jemanden gab, der dieses Glück für Thomas hätte bedeuten können …

***

Als Franz eine Weile später die Küche betrat, werkelte die Hauserin Josefa dort bereits. Zusammen mit einer Magd richtete sie das Frühstück. Franz mochte die dralle Josefa. Sie war eine Frau in den besten Jahren, hatte das Herz auf dem rechten Fleck und verstand Spaß. Und sie nahm es ihm nicht übel, wenn er ein wenig mit ihr schäkerte. An diesem Morgen schien sie allerdings mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden zu sein. Denn seinen freundlichen Gruß konterte sie mit einem spitzen Blick und monierte dabei: »Du hast dich net rasiert, Franzl. Also wenn ich was net leiden kann, dann ist das einer, der wie ein Strolch am Tisch hockt.«

»Sei mir net bös, Seferl«, bat er beschwichtigend und ließ sich an der Eckbank nieder. »Ich hab die halbe Nacht bei der Milli gewacht und war einfach zu müd, um mich noch für dich hübsch zu machen.« Er schmunzelte, als die Magd albern kicherte. »Kannst du mir noch mal verzeihen?«

»Warum hast dich net noch aufs Ohr gelegt? Ich hätte dir was vom Frühstück aufheben können«, erwiderte sie schon zahmer.

»In meinem Alter kommt der Schlaf nimmer so einfach. Da braucht man seine Regelmäßigkeit, sonst geht gar nix. Aber wenn es dich gar so stört, geh ich rasch und rasiere mich.«

»Schmarren.« Sie drückte den Altknecht, der von der Eckbank aufstehen wollte, nieder und stellte ein Haferl Kaffee vor ihn auf den Tisch. Schließlich wusste sie, wie sehr Franz den liebte. »Da, trink das in aller Ruh. Hernach ist das Frühstück fertig.« Sie wies die Küchenmagd an, im Esszimmer den großen Tisch zu decken, dann nahm sie sich selbst auch ein Haferl und gesellte sich kurz zum Altknecht.

Der grinste genüsslich. »Nett von dir, den Kaffee mein ich …«

Josefa lächelte ein wenig. »Sag, Franzl, was meinst du, wird die Altbäuerin wieder? Es geht ihr nun schon recht lang schlecht. Sie wird uns doch net auch noch sterben. Wenn der Bauer ganz allein steht, trifft ihn das gewiss hart.«

Noch ehe der Altknecht ihr eine Antwort geben konnte, wurde die Küchentür geöffnet, und Lissi Huber kam herein. Die junge Krankenschwester grüßte freundlich und erkundigte sich nach dem Frühstück für ihre Patientin.

»Ist schon alles fertig.« Josefa goss den Tee ab und reichte dem Madel dann das Tablett.

»Sie ist tüchtig, gelt?«, meinte Franz, nachdem das Madel wieder gegangen war. »Ich glaub, es geht der Bäuerin schon viel besser, seit sie eine so gute Pflege hat. Mach dir nur keine Sorgen, Seferl. Sie wird schon wieder werden.«

»Ich hoffe, du hast recht«, seufzte die und erhob sich wieder. In diesem Moment fuhr der Jeep des Tierarztes auf den Wirtschaftshof. Als Franz das sah, wusste er, was los war. Und es hielt ihn nichts mehr im Haus, auch nicht die Aussicht auf ein deftiges Frühstück.

Schon wenig später lag ein schwarzes Stierkalb im Stroh, das von seiner stolzen Mutter zärtlich trocken geleckt wurde. Während man im Stall auf das neue Leben einen Enzian leerte, wollte Marie Moosbacher wissen, wer denn so früh zu Besuch gekommen war. Sie hatte den Wagen gehört und bat Lissi, aus dem Fenster zu sehen.

Die junge Krankenschwester warf einen Blick nach draußen und meinte: »Das ist der Viehdoktor, da steht doch eine Geburt an.«

»Ach so.« Marie ließ sich in ihre Kissen zurücksinken und widmete sich wieder ihrem Frühstück.

Von dem Schlaganfall war rein äußerlich nicht mehr viel zu sehen. Sie konnte ihre Hände nicht mehr richtig benutzen. Und ihr Mund war ein wenig schief, was aber kaum auffiel. Auch ihre Aussprache war undeutlicher als früher. Insgesamt war sie noch immer eine schöne Frau mit dem reichen, dunklen Haar und den großen, tiefblauen Augen.

Einst hatte der Moosbacher-Bauer eine wahre Schönheit zum Traualtar geführt. Die Bäuerin hatte ihr gutes Aussehen ihren beiden Söhnen vererbt. In manch stillem Moment fragte sie sich aber, ob dies bei Christian nicht eher ein Fluch als ein Segen war. Durch sein gutes Aussehen hatte er stets alles bekommen, was er wollte, vor allem Thomas’ Freundinnen …

Lissi setzte sich nun wieder an das Bett ihrer Patientin und half dieser beim Essen. Sie war ein hübsches Madel Mitte zwanzig. Das ebenmäßige Gesicht wurde von klaren, blauen Augen dominiert. Das brünette Haar trug sie gern in allerlei kunstvoll geflochtenen Zöpfen und Zöpfchen. An diesem Morgen hatte sie mehrere Zöpfe geflochten und zu einem aparten Knoten gesteckt, der ihre schöne Nackenlinie freigab.

»Sag, Lissi, fühlst du dich denn mittlerweile wohl bei uns?«, fragte Marie nach dem Essen. Sie wusste, dass es dem Madel nicht leichtgefallen war, sich auf dem Erbhof einzuleben.

Lissi kam aus Garmisch, war dort geboren und aufgewachsen. Doch es war wohl nicht nur der Unterschied zwischen Stadt und Land, der ihr die Eingewöhnung erschwert hatte. Es lag vor allem an der ruppigen Art des Bauern.

»Es gefällt mir in Burghausen«, versicherte sie offen. »Die Landschaft ist herrlich. Und ich mag dich gern, Bäuerin. Du bist sozusagen eine sehr pflegeleichte Patientin.«

Marie musste schmunzeln. Gleich wurde sie jedoch wieder ernst und gab zu bedenken: »Das kann man wohl leider net von allen hier auf dem Hof sagen, net wahr?«

»Du meinst deinen Sohn?« Lissi seufzte leise. Sie mochte die Bäuerin wirklich und hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihr.

Bis sie diese private Pflege angenommen hatte, war sie im Spital in Garmisch tätig gewesen. Lissi fand zu all ihren Patienten leicht Zugang, denn sie war ein offener, herzlicher Mensch. Ihre Anteilnahme war nicht aufgesetzt, sondern echt. Sie konnte mitfühlen und fand stets das rechte Wort.

Mit Marie Moosbacher aber ging es noch einen Schritt weiter. Sie mochte die Bäuerin wie eine liebe Verwandte und hatte großes Vertrauen zu ihr. Deshalb war Lissi nun auch ungewöhnlich ehrlich, als sie zugab: »Der Bauer ist zwar ein verschlossener Mensch, aber ich hab das deutliche Gefühl, dass sich hinter seiner ruppigen Art ein sensibler Mann versteckt, der sich gerne anvertrauen und auch vertrauen möchte, es nur net kann.«

Marie war erstaunt. So treffend hatte Thomas noch niemand charakterisiert. Lissi schien über eine außergewöhnlich gute Menschenkenntnis zu verfügen. Als sie diesen Gedanken aussprach, winkte das Madel aber ab und versicherte: »Das ist net schwer festzustellen. Ob einer das Herz auf dem rechten Fleck hat, sieht man meistens schon, wenn man ihm in die Augen schaut.«

»Dann findest du den Thomas sympathisch?«, fragte Marie verhalten hoffnungsvoll.

Lissi lächelte ein wenig, als sie zugab: »Ich glaub, er könnte mir sympathisch werden, wenn er ein klein bisserl netter zu mir wäre. Aber das scheint ihm zuwiderzugehen.« Sie hob recht unbekümmert die Schultern. »Keine Sorge, wir werden uns schon zusammenraufen.«

»Jetzt musst du aber auch frühstücken, Lissi. Ich ruh mich ein bisserl aus, bis du zurückkommst«, beschloss die Bäuerin.

Die junge Krankenschwester nickte und erhob sich. Sie maß ihrer Patientin den Blutdruck und achtete darauf, dass diese ihre Medikamente vorschriftsmäßig schluckte. Dann nahm sie das Frühstückstablett und verließ leise das Zimmer.

Marie hatte schon die Augen geschlossen, sie wirkte erschöpft. Lissi wusste, dass der Zustand ihrer Patientin zwar stabil war, aber durchaus besser hätte sein können. Sie schien Kummer und alte Sorgen mit sich herumzutragen. Es musste etwas sein, das sie daran hinderte, rascher zu genesen.

Gern hätte Lissi der sympathischen Bäuerin geholfen, doch sie musste darauf warten, dass diese sich ihr anvertraute, denn sie wollte sich auch nicht aufdrängen.

Auf der Stiege kam ihr Thomas entgegen. Er beachtete sie nicht, als sie ihn freundlich grüßte.

»Zu Ihrer Mutter können Sie jetzt net, Herr Moosbacher«, ließ sie ihn unvermindert freundlich wissen. »Sie schläft ein bisserl.« Sie wunderte sich fast, dass er stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. Da er ein paar Stufen oberhalb von ihr stand, blickte er auf sie nieder. Lissi hatte den Eindruck, dass seine Miene an diesem Morgen besonders grimmig war.

»Wie geht es ihr?«, fragte er knapp, als hätte er Angst, auch nur ein Wort zu viel mit ihr zu reden.

»Ihr Zustand ist stabil. Wenn Sie möchten, schauen Sie halt am späten Vormittag vorbei, dann …« Sie verstummte, denn er lief wieder nach unten, ohne sie weiter zu beachten.

Mit einem Seufzer folgte Lissi dem Bauern und fragte sich nicht zum ersten Mal, wie lange es wohl noch dauern würde, bis er sich ihr gegenüber zumindest halbwegs freundlich benahm.

Bis zum Sankt Nimmerleinstag, sagte ihr der Verstand. Doch das wollte Lissi nicht glauben. Denn ihr Gefühl, das sagte etwas ganz anderes …

***

»Am Samstag ist Tanz beim Mayerhofer. Magst du net hingehen?«

Thomas musterte seine Mutter verständnislos.

»Für so einen Kinderkram hab ich keine Zeit. Außerdem bin ich auch ein bisserl alt, um mich dort zum Deppen zu machen«, erwiderte er abweisend.

Er hatte Lissis Rat beherzigt und am späten Vormittag, kurz vor der Mittagszeit, nach seiner Mutter gesehen. Marie freute sich, wenn ihr Sohn sich Zeit für sie nahm. Nicht nur, weil sie wusste, dass er viel zu tun hatte, sondern und vor allem deshalb, weil das nicht selbstverständlich war, fand sie.

Schließlich hatte sie nichts an seiner trüben Kindheit und dem Zerwürfnis mit seinem Bruder ändern können, obwohl sie es oft versucht hatte. Und sie fühlte sich deshalb schuldig.

»Du sollst dich net zum Deppen machen, sondern mal ein bisserl ausspannen und dich vielleicht sogar amüsieren. Und ich würde mir wünschen, dass du die Lissi ausführst.«

»Was?« Nun verhärtete sich seine Miene vollends. Er stand auf, vergrub die Hände in den Hosentaschen und trat hinter das Fenster, um einen langen Blick hinauszuwerfen. »Wenn das ein Witz sein soll, kann ich net drüber lachen, Mama.«

»Jetzt setz dich wieder her und hör mir einmal in aller Ruhe zu, Bub«, bat sie, doch er wollte ausweichen, schützte Arbeit vor und hatte bereits die Türklinke in der Hand, als sie ihn streng mahnte: »Ich möchte mit dir reden und erwarte, dass du mich anhörst. Oder bin ich dir das nimmer wert? Ich weiß, da ist viel, was du mir vorwerfen kannst. Und ich werde es gewiss net abstreiten. Aber ich bin und bleibe deine Mutter, solange ich lebe. Und deshalb mach ich mir Sorgen um dich und wünsche mir, dass es dir gut geht.«

Er wandte sich spontan um und schnaubte: »Auf einmal? Woher kommt der Sinneswandel?«

So jäh der Zorn in ihm aufgeflammt war, ebenso rasch erlosch die Flamme und wurde zu Asche.

Thomas senkte den Blick, als er in die ruhigen Augen der Bäuerin schaute, und bat: »Verzeih mir, Mama, ich hab dich net aufregen wollen.«

Sie ging nicht auf seine Worte ein, erklärte mit ernster Stimme: »Die Lissi ist ein aufrichtiges und liebes Dirndl. Sie mag dich und schätzt dich recht ein, weil sie über eine sehr gute Menschenkenntnis verfügt, obwohl sie noch so jung ist. Ich kann dich net zwingen, mit ihr tanzen zu gehen. Aber ich will dich wenigstens bitten, ein bisserl manierlich mit ihr umzugehen. Sie hat es verdient, glaub mir.«

Marie musterte ihren Sohn aufmerksam. »Oder ist sie dir so sehr zuwider?«

Thomas setzte sich und blickte gedankenverloren vor sich hin. Nein, Lissi war ihm gewiss nicht zuwider, ganz im Gegenteil. Sie war ihm auf den ersten Blick sympathisch gewesen.

Er genoss es, in ihrer Nähe zu sein. Der Gedanke, dass sie immer da war, unter seinem Dach wohnte, machte ihn froh. Und wenn er manchmal einen Blick von ihr aufschnappte, dann pochte sein Herz heftig, und die Sehnsucht erfüllte ihn.

Doch all das war unwichtig. Es konnte nicht sein. Denn es gab kein Madel auf dieser Welt, das es ehrlich mit ihm meinte. Thomas war davon überzeugt, dass keine ihn wirklich und aufrichtig lieb haben konnte. Er war es einfach nicht wert.

»Ich finde sie durchaus nett«, behauptete er nun betont gleichmütig. »Aber was geht mich das an?«

»Dass sie dich mag, scheint dir einerlei zu sein. Oder willst du es nur net zugeben?«

»Wieso sollte sie mich mögen?« Seine Miene spiegelte pures Unverständnis. »Ich hab ihr nie einen Grund dafür geliefert.«

»Weil sie ein Mensch ist, der hinter die Dinge schaut. Und weil sie einen oberflächlichen Charakter von einem tiefgründigen unterscheiden kann, falls dir das was sagt, Bub.«

Der Bauer schüttelte leicht den Kopf, die Wehmut, die in seinem Blick brannte, tat Marie im Innersten weh.

»Lass gut sein, Mama. Damit bin ich durch. Ich weiß, du willst nur das Beste für mich. Was früher war, daran denke ich nimmer. Ich glaub dir, dass du es gut meinst. Aber es hat keinen Sinn.«

»Thomas, du bist ein wertvoller Mensch.« Sie griff nach seiner Rechten, denn er schüttelte den Kopf und lachte verächtlich auf. »Ich weiß, du denkst anders. All die Dinge, die der Vater und der Christian …« Weiter kam sie nicht, denn ihr Sohn machte sich von ihr los und stürmte aus der Stube.

Mit einem erschöpften Seufzer ließ die Kranke sich wieder in ihre Kissen sinken. Es hatte wirklich keinen Sinn, das musste sie wohl einsehen. Ein paar Tränen stahlen sich aus ihren Augenwinkeln, und das Herz wurde ihr wieder einmal sehr, sehr schwer.

Warum hab ich mich früher net durchsetzen können? Warum hab ich den Buben net gegen Vater und Bruder in Schutz genommen? Sie haben ihm jedes Selbstbewusstsein genommen und damit beinahe auch jede Zukunft. Was sollte aus einem Menschen werden, der es sich selbst verboten hatte, glücklich zu sein?

Marie weinte leise und bitterlich. In solchen Momenten fühlte sie sich erbärmlich und schlecht. Dann fehlte ihr jede Kraft, gegen ihren Zustand anzukämpfen. So war es auch im Spital oft gewesen. Mehr als einmal war sie nahe daran gewesen, aufzugeben. Einzig der Gedanke daran, an Thomas doch noch etwas gutmachen zu können, ihn vielleicht eines Tages ein erfülltes und glückliches Leben führen zu sehen, hatte sie davon abgehalten.

Aber war denn das nicht nur Wunschdenken? Konnte er sich noch ändern, konnte aus Verbitterung eines Tages wieder Selbstwert entstehen, aus Angst und Unsicherheit Vertrauen? So sehr sie es sich auch für ihren Sohn wünschte, wirklich daran glauben konnte Marie Moosbacher längst nicht mehr.

***

Thomas dachte durchaus über das nach, was seine Mutter gesagt hatte.

Freilich kam es ihm nicht in den Sinn, Lissi tatsächlich zum Tanz auszuführen. Doch er nahm sich vor, sie zumindest mit dem Maß an Freundlichkeit zu behandeln, das er allen anderen Bewohnern des Erbhofes entgegenbrachte.

Also sprach er sie nach dem Mittagessen an und erklärte ein wenig stockend, wie zufrieden er mit ihrer Arbeit sei.

Als sie ihn nur überrascht und auch ein wenig verwundert musterte, murmelte er schroff: »Das musste mal gesagt werden. Sie sollten es aber net falsch verstehen, es war nur beruflich gemeint.«

»Ich hab’s schon verstanden, Herr Moosbacher«, entgegnete sie betont sachlich, auch wenn sie sich über seine Art ärgerte. Da machte er endlich Anstalten, ein wenig freundlich zu sein, und dann hatte er es sehr eilig, diesen Eindruck sogleich wieder zu verwischen. »Allerdings müssen Sie mich net loben. Ich krieg für meine Arbeit schließlich ein Gehalt. Und solange Ihre Mutter mit mir zufrieden ist, genügt das schon.«

»So?« Er wirkte mit einem Mal sehr verkniffen. »Schön, wenn das so ist, dann weiß ich ja jetzt Bescheid.«

Lissi schüttelte leicht den Kopf, während der Bauer sich eilig aus dem Staub machte. Sie fragte sich, was sein Verhalten zu bedeuten hatte. Doch sie konnte nicht recht schlau daraus werden.

Der alte Franz kam nun aus der Küche, wo er sich noch ein Haferl Kaffee nach dem Essen gegönnt hatte, und zwinkerte Lissi freundlich zu. Er hatte den kurzen Wortwechsel in der Diele gehört und schien sich nicht darüber zu wundern, denn er riet dem Madel: »Net ärgern. Der Bauer hat eine sehr raue Schale. Es ist zwar seine Art, die Leut vor den Kopf zu stoßen, aber er meint es gewiss net bös.«

»Sag, Franz, warum ist er nur allerweil so brummig zu mir? Ich hab den Eindruck, du kennst ihn gut. Mach ich was falsch? Gibt es etwas an mir, das ihm zuwider geht? Ich wüsste es wirklich gern, damit ich es abstellen kann. Mir liegt daran, mich mit dem Bauern zu vertragen. Schließlich werde ich wohl noch eine Weile hier sein, bis die Bäuerin keine Pflege mehr braucht.«

»Denkst du, die Bäuerin wird wieder gesund?«, hakte der Altknecht nach. »Wir machen uns hier nämlich alle rechte Sorgen um sie, musst du wissen.«

»Gesund wird sie nimmer. Nach einem so schweren Schlaganfall bleibt man eingeschränkt. Aber es wird ihr gewiss irgendwann so weit besser gehen, dass sie nimmer bettlägerig ist und deshalb auch keine Pflegerin mehr braucht.«

»Aha.« Franz nickte bedächtig. Dann lächelte er das hübsche junge Madel an und erklärte: »An dir ist ganz gewiss nix, was dem Bauern zuwider geht. Ich fürcht aber, es ist gerade das, was ihm zuwidergeht.«

Mit diesen Worten ließ er Lissi in ziemlicher Verwirrung zurück. Doch sie ahnte, was er meinte. Deshalb machte seine Wortspielerei sie auch fast ein wenig glücklich …

Für den Rest des Tages bekam Lissi Thomas nicht mehr zu Gesicht. Er fehlte beim Nachtmahl, weil er im Stall zu tun hatte. Der Tierarzt war noch einmal vorbeigekommen, und Josefa wusste vom alten Franz, dass die Kuh mit dem neugeborenen Kalb wohl Probleme mit dem Milchfluss hatte.

Die Hauserin stellte zwei Portionen Essen warm und meinte: »Wenn der Bauer nur halb so gut mit den Menschen auskäme wie mit dem Vieh, dann könnte man hier eine andere Luft atmen.«

»Er ist nur verschlossen und ein bisserl mürrisch«, urteilte Lissi nachsichtig. »Ich hab ihn aber mit dem Franz auch schon recht nett reden gehört.«

»Ja, der Franzl hat auch eine Sonderstellung auf dem Hof. Er ist so was wie ein Ersatzvater für den Bauern.« Josefa hob die runden Schultern. »Ist auch der Einzige, der mit diesem Griesgram zurechtkommt. Ich versteh das net. Sein Vater war ein umgänglicher Mensch. Und die Bäuerin hat ein goldenes Herz. Vom jungen Doktor ganz zu schweigen …«

Sie bekam glänzende Augen, als sie fortfuhr: »Den müsstest du mal kennenlernen, Madel. Ich sag dir, so was Fesches hast du selten gesehen. Klug ist er auch noch, hat net nur den Doktor gemacht, ist sogar Chirurg. Und verdient er mit seinem Können viel Geld in einem Spital da bei uns? Ganz und gar net! Er engagiert sich schon seit dem Studium in der Entwicklungshilfe, behandelt arme Menschen umsonst und hat sogar sein eigenes Buschhospital aufgebaut. Ja, der Bauer selig war sehr stolz auf den Christian. Von dem könnte unser Bauer sich durchaus mal eine Scheibe anschneiden.«

Lissi sagte dazu nichts. Sie wusste, dass Thomas’ Bruder Arzt war, doch sie fand die Schwärmerei der Hauserin ein wenig übertrieben. Jedenfalls konnte Lissi sich nicht daran erinnern, Josefa schon einmal dermaßen begeistert erlebt zu haben.

Da sich die Behandlung der Kuh hinzog, schickte Thomas Franz schließlich ins Haus, damit er endlich sein Nachtmahl einnehmen konnte.

Lissi saß auf der Eckbank, ihre Patientin schlief. Als sie sich nach dem Bauern erkundigte, winkte der Altknecht ab und vermutete: »Der wird mal wieder die Nacht im Stall verbringen. Schlafen kann er eh net, wenn er sich um ein Viecherl sorgt.«

»Dann bringe ich ihm das Essen rüber«, entschied das Madel spontan. »Ist der Viehdoktor auch noch da?«

»Vor einer Stunde ist er weggefahren.« Franz schaute wohlwollend zu, wie Lissi das Essen auf einem Tablett anrichtete und es dann mit einem Küchentuch bedeckte, denn draußen schneite es mal wieder.

Nachdem Lissi die Küche verlassen hatte, fragte Josefa: »Was denkst du, Franzl, hat die Absichten? Mag sie einheiraten?«

Der Alte musste kichern. »Das wäre wohl ein hartes Stückerl Arbeit. Aber wünschen sollten wir es uns. Das Madel ist hübsch, patent und klug. Es würde gewiss auch eine gute Bäuerin abgeben. Und eines sollten wir dabei net vergessen: Die Lissi ist ja schließlich Krankenschwester, denen graust es net so schnell.«

Josefa schüttelte den Kopf und warf Franz einen strafenden Blick zu. »Red net so daher! Der Bauer ist doch kein Monster.«

»Das net …« Franz seufzte leise. »Aber er benimmt sich manchmal wie ein rechter Stoffel. Wenn es darum geht, ein Madel vor den Kopf zu stoßen, ist er sozusagen Weltmeister.«

***

Thomas war damit beschäftigt, die Kuh intervallweise abzumelken. Der Tierarzt hatte ihm eingeschärft, dies alle halbe Stunde zu tun, bis der Milchfluss sich normalisierte. Das Kalb gab sich mit dem Saugeimer zufrieden, doch auf Dauer war das gewiss kein Zustand. Der Bauer war entschlossen, dies zu ändern, selbst wenn es die ganze Nacht dauerte.

Milli war eine junge Kuh, hatte sie gleich bei der ersten Geburt auf Dauer solche Probleme, würde sich das vielleicht einprägen und sich ständig wiederholen. Wenn möglich, wollte er das verhindern.

Als sich Schritte näherten, sagte Thomas, ohne aufzusehen: »Ich komme schon zurecht, Franz. Du kannst in deine Kammer gehen, falls was ist, sag ich Bescheid.«

»Auch wenn Sie da zurechtkommen, sollten Sie was essen, Herr Moosbacher«, erwiderte Lissi da freundlich.

Thomas fiel fast der Eimer aus der Hand. »Was wollen denn Sie hier? Ich kann Sie net gebrauchen«, brummte er und widmete sich wieder seiner Beschäftigung.

»Der Franz hat gesagt, dass es bei Ihnen noch dauern würde. Deshalb dachte ich mir …«

»Soweit ich mich erinnern kann, hab ich eine Krankenschwester eingestellt. Wollen Sie jetzt vielleicht auf landwirtschaftliche Helferin umsatteln?«

Lissi blieb gelassen. »Ist es verboten, seinen Horizont zu erweitern? Was machen Sie denn gerade?«

»Wenn Sie das net mal erkennen, hat’s keinen Sinn, Ihnen etwas erklären zu wollen«, konterte er schroff.

»Dass Sie die Kuh melken, sehe ich schon. Und Sie werden lachen, ich weiß auch, wie das geht. Meine Tante und mein Onkel haben eine kleine Landwirtschaft. Als Kind hab ich oft bei ihnen die Ferien verbracht. Ganz so unbeleckt, wie Sie vielleicht denken, bin ich in solchen Sachen net. Ich wundere mich nur darüber, dass Sie jetzt melken. Oder ist das net die Kuh mit dem neugeborenen Kalb?«

»Doch«, brummte Thomas. Es ärgerte ihn, dass seine abweisende Art bei Lissi nicht funktionierte. Noch mehr ärgerte er sich aber über sich selbst. Warum konnte er nicht freundlich zu ihr sein? Er mochte sie doch … Also gab er sich einen Ruck und erklärte ihr, worum es ging. Sie hörte ihm aufmerksam zu und entschied dann: »Ich möchte es auch mal probieren. Was halten Sie davon, wenn Sie derweil Ihr Nachtmahl essen, eh alles ganz kalt ist? Die Josefa hat feine Würsteln warm gemacht und dazu gibt es Senf, Gurkensalat und dunkles Brot. Und ein Bier steht auch auf dem Tablett. Wohl bekomm’s!«

Der Bauer zögerte. Er musterte das Madel unschlüssig, dann reichte er ihr den Melkeimer, mahnte sie aber: »Verschütten Sie nix. Die Milch ist für das Kalb.«

Lissi lächelte ihm unbekümmert zu. »Dachte ich mir doch …«

Wenig später hockte Thomas im Stroh und verzehrte mit gutem Appetit sein Essen. Er staunte nicht schlecht, als er sah, wie geschickt Lissi sich beim Melken anstellte. Sie schien ja die geborene Bäuerin zu sein! Die Kuh entspannte sich bei dieser Behandlung. Und es dauerte nicht lange, bis ihr Milchfluss sich normalisierte.

Thomas stellte sein Tablett weg und trat neben Lissi, um sich das aus der Nähe anzusehen. Tatsächlich, sie hatte es geschafft! Das, wofür er vermutlich die ganze Nacht gebraucht hätte, war ihr innerhalb weniger Minuten gelungen. Er war sprachlos.

»Ist die Milch in Ordnung?«, fragte Lissi und schaute fragend zu ihm auf.

Für die Länge eines Herzschlags verspannen sich ihre Blicke ineinander. Lissi empfand ein warmes, tiefes Gefühl der Zuneigung, das bereits seit einer Weile in ihrem Herzen wuchs. Sie mochte den verschlossenen Bauern einfach gern. Und wenn er sie mal nicht grimmig, sondern einfach nur überrascht ansah, dann rückte er ihrem Herzen gleich noch ein wenig näher.

Doch der Moment verging, Thomas senkte den Blick und murmelte: »Freilich, warum denn net? Sie können sie dem Kalb geben. Es steht nebenan in der Box.«

»Jetzt könnten wir es doch zu seiner Mutter geben, oder?« Sie sah ihn fragend an. »Darf ich es bringen?«

»Wenn Sie wollen …« Er starrte ihr irritiert und verunsichert hinterher, denn er wusste einfach nicht, wie er ihr Verhalten einordnen sollte. War es denn möglich, dass seine Mutter recht hatte, dass Lissi ihn mochte? Doch das war Unsinn. Kein Madel hatte es jemals ernst mit ihm gemeint. Er verscheuchte wütend diese dummen Gedanken, denn er wollte sich nicht zum Deppen machen, besonders nicht vor Lissi, die er sehr mochte …

Gleich darauf erschien das Madel mit dem Kalb, das noch ein wenig unsicher auf den langen, dünnen Beinchen ging. Lissi hatte es gemacht, wie es richtig war: Sie lockte das Kleine mithilfe des Saugeimers in die Box der Mutter. Kaum hatte das Kalb diese aber erspäht, war der Eimer mit der Milch uninteressant. Der Kleine stakste zur Mama, die beschnüffelte ihn ausgiebig und begann dann, ihn zärtlich zu lecken, während er die Milch lieber direkt von der Quelle saugte. Ein allerliebstes Bild war das.

Lissi schaute Thomas an, dessen Blick aber auf ihr geruht hatte. Als schämte er sich deshalb, wandte er sich rasch ab, griff nach dem Tablett und drückte es Lissi in die Hand. Als sie nicht sofort reagierte, fuhr er sie schroff an: »Worauf warten Sie noch? Nehmen Sie das mit ins Haus. Ich hab noch zu tun, komme später rüber.«

Sie nickte nur, sagte aber nichts. Doch sie musterte ihn mit einer leisen Enttäuschung, die Thomas erstaunlicherweise wehtat. Eh er sich diesem Gefühl stellen musste, eilte er davon und tat so, als wäre Lissi gar nicht da. Erst als sie den Stall verlassen hatte, atmete er auf. Doch zugleich fühlte Thomas sich sehr allein. Und obwohl er dieses Gefühl kannte, war es doch anders als sonst. Ganz anders.

***

Von diesem Tag an schaute Lissi regelmäßig nach dem kleinen schwarzen Stierkalb und bewunderte dessen Wachstumsfortschritte. Dabei kam es nicht selten vor, dass sie mit dem Bauern über den Kleinen redete. Diese Gespräche wurden nach und nach etwas länger und erstreckten sich auch auf andere Themen.

Dass Thomas immer wieder abblockte oder sich einfach umdrehte und wegging, obwohl sie gerne noch mit ihm geredet hätte, daran gewöhnte Lissi sich langsam. Sie spürte aber auch, dass er allmählich zugänglicher wurde. Ganz selten lächelte er sogar. Und dann sah er völlig anders aus, jung und fast noch wie ein Lausbub.

Doch diese Momente waren rar und kostbar wie Gold. Öfter kam es vor, dass Thomas Lissi zurechtwies oder ihr einfach das Gefühl gab, sich ihm aufzudrängen. Hätte sie ihn nicht besser gekannt, sie hätte ihm dieses Verhalten durchaus übel genommen.

Und weil es gar nicht aufhören wollte, obwohl sie schon sehr viel vertrauter miteinander umgingen und sich auch beim Vornamen nannten, fasste das Madel sich schließlich ein Herz und sprach die Altbäuerin darauf an.

Marie wusste gleich, was Lissi meinte. Sie hatte schon öfter daran gedacht, offen mit ihrer Pflegerin zu reden. Auch wenn sie ans Bett gefesselt war, blieb ihr doch nichts verborgen, was in Haus und Hof geschah. Und dass Lissi nun mehr Zeit mit Thomas verbrachte, das wusste die Altbäuerin aus den Erzählungen der jungen Krankenschwester.

Sie sprach fast liebevoll von Thomas, worüber Marie sich sehr freute. Sie wusste allerdings auch, dass sie behutsam vorgehen musste, wenn sie das zarte Pflänzchen der erwachenden Zuneigung nicht zertreten wollte.

Deshalb erklärte sie vorsichtig: »Es ist so ein Wesenszug vom Thomas, dass er sich schwer anderen gegenüber öffnen kann. Er möchte es schon, aber er hat auch Hemmungen, es zu tun. Ich vermute, er kriegt ein bisserl Angst vor der eigenen Courage, wenn er mit dir redet. Deshalb reagiert er so.«

»Er hat kein Selbstbewusstsein, net wahr? Ich seh oft, dass er sich selbst und seine Arbeit net richtig einschätzen kann. War er denn schon immer so, auch schon als Bub?«

Nun galt es wohl, Farbe zu bekennen. Obwohl die Kranke diesen heiklen Punkt lieber umgangen hätte, war sie Lissi doch die Wahrheit schuldig. Wenn aus ihr und Thomas etwas werden sollte, musste Marie nun aufrichtig sein. Doch es fiel ihr schwer, an diesen Dingen zu rühren. Sie sprach erst ganz allgemein über das eher kühle Verhältnis ihres Sohnes zu seinem Vater und deutete dann an, dass er sich mit seinem jüngeren Bruder nie wirklich verstanden hatte. Darüber wunderte Lissi sich sehr.

»Ich hab wahre Wunderdinge über den Christian gehört«, warf sie ein. »Die Josefa hat richtig von ihm geschwärmt. Hat er denn keinen Zugang zum Thomas finden können, obwohl er ein so einfühlsamer Charakter ist?«

Christian – einfühlsam? Marie hätte darüber lachen können, wäre es nicht so traurig gewesen. Doch sie wunderte sich nicht, dass die Hauserin eine so hohe Meinung von Christian hatte. Er war ein Blender und verstand es wunderbar, die Menschen auf seine Seite zu ziehen, sie sozusagen um den kleinen Finger zu wickeln. Seinen wahren Charakter kannten nur wenige.

»Die beiden sind net miteinander ausgekommen, sie waren zu verschieden«, wich die Bäuerin aus. »Ich nehme an, dass der Thomas sich seinem Bruder unterlegen gefühlt hat. Sie haben viel gestritten und seit dem Tod meines Mannes keinen Kontakt mehr.«

Lissi ließ sich die Worte ihrer Patientin eine Weile durch den Kopf gehen und hielt dieser dann entgegen: »Aber der Thomas hat doch keinen Grund, sich seinem Bruder unterlegen zu fühlen. Ich vermute, wenn der diesen Hof führen müsste, wäre er ebenso überfordert wie der Thomas mit einer Hüft-OP, oder?«

Marie lächelte und drückte der jungen Pflegerin die Hand. »Du bist recht, Madel, weißt du das? Ich glaub, der liebe Herrgott persönlich hat dich auf unseren Hof geschickt, damit endlich auch das Glück bei uns einziehen kann.«

Lissi hielt das zwar für übertrieben, doch sie spürte die große Erleichterung, das Glücksgefühl, das die Bäuerin bewegte, und machte sich ihren eigenen Reim darauf. Vermutlich lag es an seinem Bruder, dass Thomas nie wirklich so sein konnte, wie er war. Dass er sich minderwertig und dumm fühlte und seine eigenen Leistungen nicht richtig einzuschätzen vermochte.

Das Madel hatte den deutlichen Eindruck, in Thomas Moosbacher so etwas wie einen ungeschliffenen Diamanten gefunden zu haben. Er hatte einen guten Charakter und ein goldenes Herz. Doch er gab sich große Mühe, beides hinter einer hohen Mauer voller Bärbeißigkeit zu verstecken.

Lissi jedoch war fest entschlossen, diese Mauer zu beseitigen. Ihr war klar, dass dies nicht mit Schwung und schwerem Gerät zu bewerkstelligen war. Sie würde in mühseliger Handarbeit einen Stein nach dem anderen abtragen müssen. Doch das war es ihr wert. Denn sie musste nur ihr Herz befragen, um sich darüber klar zu werden, wie viel der junge Bauer ihr bedeutete …

***

Thomas wunderte sich, dass Lissi nun öfter einmal vorschlug, am Wochenende etwas zusammen zu unternehmen. Er war nicht abgeneigt, auch wenn er zunächst noch Arbeit vorschützte und Lissi abblitzen ließ. Doch sie gab nicht so schnell auf. Schließlich erklärte er sich bereit, mit ihr eine ausgedehnte Wanderung durch die Umgebung zu machen. Noch hatte Lissi kaum etwas von Burghausen gesehen, denn sie war ja im Winter hergekommen. Nun aber, Anfang März, wehte bereits ein lindes Lüftchen von Süden her und über Tag hatte die Sonne schon Kraft.

Der Bauer beeilte sich am Samstagmorgen, all seine Pflichten zu erledigen. Franz schaute sich das aber nur einige Zeit lang an, dann nahm er Thomas die Mistgabel aus der Hand und riet ihm: »Spring lieber unter die Dusche, damit die Lissi nachher net denkt, am Kramer tät ein Kuhstadel stehen. Ich erledige hier den Rest. Keine Sorge, Bauer, es geht auch mal ohne dich.«

Dieser zögerte kurz, dann lächelte er jungenhaft und wandte sich zum Gehen. Doch er drehte sich noch einmal um und fragte unsicher: »Denkst du, ich mach es richtig, Franz? Ich will mich nämlich net zum Deppen machen, verstehst?«

»Zum Deppen kann sich nur einer machen, der ein Depp ist«, kommentierte der Alte trocken. »Die Lissi hat dich gern, das sieht ein Blinder mit Krückstock. Also sei recht nett zu ihr, der Rest findet sich dann von allein. Und genieß einmal dein Glück ohne Wenn und Aber! Das braucht es bei dem Madel nämlich net, die ist richtig.«

»Ich kann es noch gar net so recht fassen«, gab Thomas da zu. »Die ganze Zeit warte ich darauf, dass sie mich auslacht oder mir sagt, sie hätte sich nur einen Witz mit mir erlaubt.«

»Und warum sollte sie das tun? Du solltest das Madel jetzt wirklich besser kennen.«

»Ja, vermutlich hast du recht. Ich muss versuchen, Lissi zu vertrauen.«

Franz legte dem Bauern eine Hand auf die Schulter und schaute ihn ernst an. »Ich weiß, wie schwer dir das fällt. Aber glaub mir, die Lissi ist es wert. Das Madel wird dich nie enttäuschen. Sie ist ehrlich. Du musst nur in ihre Augen schauen, dann weißt du Bescheid.«

Das wusste Thomas längst. Sein Herz gehörte Lissi, auch wenn er sich das noch immer nicht eingestehen wollte. Er fürchtete, einen Fehler zu begehen, wenn er einem Madel sein Herz zu Füßen legte. Doch war es für solche Überlegungen nicht längst zu spät? Er hatte sie ja lieb, daran konnte keine Macht der Erde mehr etwas ändern.

Als der Bauer sich dann in seine Wanderkluft warf, meinte er kurz, die Stimme seines Bruders zu hören. Ironisch und abschätzig wie eh und je fragte sie: »Denkst du denn allen Ernstes, dass ein süßes Madel wie die Lissi etwas von einem wie dir will? Einen Dorfdeppen und tumben Bauerntölpel? Einem, der keinerlei Allgemeinbildung hat, der sich den lieben langen Tag ums Vieh und die Gülle, um Saat und Ernte kümmert? Geh, mach dich net lächerlich, Tommi, du bist und bleibst der Verlierer!«

Eine schwer zu beschreibende Traurigkeit befiel ihn da und drückte ihn ganz nieder. Er sah keinen Sinn mehr in dem, was er tun wollte. Am liebsten hätte er die gemeinsame Wanderung abgesagt. Wieder nagten Selbstzweifel an Thomas, und er fühlte sich wie das Allerletzte.

Ein leises Klopfen an der Tür riss ihn aus seiner trüben Stimmung.

»Bist du fertig, Thomas? Ich wart auf dich!«, rief Lissi fröhlich.

Thomas lächelte ein wenig. Rasch schnürte er seine Wanderstiefel und wischte die trüben Gedanken beiseite. Franz hatte recht; er wollte das Glück genießen, an das er noch immer nicht wirklich glauben konnte. Ohne Wenn und Aber!

Als Thomas gleich darauf aus seiner Kammer trat, machte er große Augen. Lissi sah zauberhaft aus in Kniebundhosen und zünftigem Janker. Er wollte ihr schon ein Kompliment machen, traute sich dann aber doch nicht so recht. Stattdessen bat er sie um einen Moment Geduld.

»Ich will kurz nach meiner Mutter schauen und ihr sagen, was wir vorhaben.«

Lissi lächelte ihm lieb zu. »Sie weiß es schon. Aber geh nur zu ihr, Thomas, du weißt gewiss, dass sie sich immer freut, wenn du nach ihr siehst.«

»Wirklich?« Er schien das nicht glauben zu wollen, eilte dann aber zu der Kranken, um keine Zeit zu vertrödeln.

Marie wunderte sich sehr, als sie ihren Sohn sah. So entspannt und fröhlich kannte sie Thomas gar nicht. Lissi schien nicht nur auf sie eine heilsame Wirkung zu haben.

»Ihr wollt also los«, stellte die Bäuerin heiter fest. »Ich freu mich, dass du auf meinen Rat hörst. Na ja, net ganz. Ich hatte ja ans Tanzfest gedacht. Du weißt schon, gelt?«

»Ich zeig der Lissi die Umgebung. Sie kennt ja von Burghausen kaum was. Nur unseren Hof, den Kramerladen und die Kirche. Das ist doch ein bisserl wenig, wenn man bedenkt, was wir für eine herrliche Landschaft zu bieten haben, gelt?«

Die Kranke nickte nur, sagte aber nichts. Da gestand Thomas ihr ein: »Ich bin ein bisserl unsicher, Mama. Meinst du denn wirklich, dass ich das Rechte tu?«

Sie lächelte verschämt, als sie ihm gestand: »Ich freu mich, dass du mich das fragst. Und ich geb dir gern eine ehrliche Antwort: Das tust du. Ich wünsch euch beiden viel Spaß. Und kommt mir ja net vor dem Nachtmahl heim!«

Der Bauer erwiderte ihr Lächeln, dann verließ er rasch das Zimmer.

Wenig später hatten Lissi und Thomas den Erbhof hinter sich gelassen. Es war ein klarer, sonniger Frühlingstag. Der Himmel über Burghausen schimmerte in lichtem Blau, kaum eine Wolke trübte den Blick. Über der Natur lag bereits ein erster Hauch von Grün, auch wenn die höheren Lagen noch verschneit waren.

Während sie einem gut befestigten Wanderweg folgten, der in weitem Bogen um das Dorf herumführte, wies Thomas Lissi immer wieder auf Sehenswertes hin.

»Da, schau, dort drüben siehst du die Alpspitze, daneben unseren berühmtesten Berg, die Zugspitze mit 2.964 Metern Höhe. Gegenüber führt die Straße nach Oberau und Griesen. Das sind nur kleine Weiler mit wenigen Häusern. Dahinter endet die Landstraße, dort gibt es nur noch Wald und Almen und einige Berghöfe.«

»Mei, das Leben dort droben muss recht abgeschieden sein, vor allem im Winter«, sinnierte Lissi.

»Das wäre wohl nix für dich, oder?«

Sie warf ihm einen kecken Blick zu. »Mit der richtigen Gesellschaft stelle ich es mir schon romantisch vor.«

Thomas räusperte sich verlegen. »Wenn der Winter so streng ausfällt wie heuer, kann es auf der Höhe beschwerlich werden.« Seine Miene verdüsterte sich kurz, als er noch hinzufügte: »Aber das ist wohl überall so, dazu muss man keinen Berghof haben.« Er merkte, dass sie ihn fragend anschaute, räusperte sich und machte wieder ein freundliches Gesicht.

»Wie heißt der Berg dort drüben im Osten?«, wollte Lissi nun wissen, um Thomas’ offenbar düstere Gedanken zu verscheuchen.

»Das ist der Kramer, unser Hausberg. Er hat eine Klamm an der Nordseite, die an die hundert Meter steil abfällt. Und es gibt dort oben einen festen Bestand an Steinböcken, die sind sonst hier eher selten geworden.«

»Die würde ich gerne mal sehen. Geht das?«

»Im Sommer. Dann kann man einen Steig benutzen, der bis zur Klamm hinaufführt. Und von dort aus kann man die Steinböcke gut beobachten.«

»Wollen wir das im Sommer machen?«

»Wenn du mir vertraust. Der Steig ist schmal und stellenweise sehr steil. Man sollte schon schwindelfrei sein, wenn man ihn benutzt. Oder aber einen verlässlichen Führer haben.«

»Den hab ich doch«, meinte sie ganz selbstverständlich.

Thomas sagte dazu nichts, doch er spürte, wie sein Herz unruhig schlug. Nach etwas mehr als einer Stunde legten sie eine Rast ein. Der junge Mann hatte dazu eine Stelle am Waldensee gewählt, die recht geschützt, doch zugleich direkt am Ufer lag. Hier waren sie ungestört.

Die Sonne stand nun hoch und wärmte bereits angenehm. Ihre goldenen Strahlen tanzten auf dem Wasser. Die nahen Birken neigten ihre noch kahlen Äste in einem zarten rosa Schimmer. Das Gras war frisch und grün, und überall lugten bereits die ersten winzigen wilden Blüten des Frühlings aus der fruchtbaren Erde.

Es war eine zauberhafte Atmosphäre, die vom Brummen der ersten Hummeln und dem Konzert von Meise, Amsel und Bergfink untermalt wurde. Lissi seufzte zufrieden auf.

»Ach, herrlich ist es hier! Ich dank dir, Thomas, dass du mir dieses wunderbare Platzerl gezeigt hast.«

»Ich war lange nimmer hier«, gestand er ihr da ein. »Früher als Buben sind wir öfter zum Waldensee gekommen. Aber meistens im Sommer zum Schwimmen.« Er blickte gedankenverloren über den See und schien fast vergessen zu haben, dass er nicht allein war. »Der Christian wollte, dass ich ihm das Schwimmen beibringe. Aber er hat sich recht damisch angestellt. Und später, am Abend, hat er dem Vater erzählt, dass ich ihn mit Absicht fast hätte ertrinken lassen. Da war aber was los, das kannst glauben.« Thomas wandte nach einer Weile den Blick und bemerkte, dass Lissi ihn bestürzt anschaute.

»Warum hat er das getan?«, fragte sie leise.

Er hob die breiten Schultern. »Das war doch nix Besonderes. Er hatte schon immer Spaß daran, mich in die Pfanne zu hauen.«

»Das verstehe ich net. Ich kann mir einfach nicht denken, dass du ihm so etwas angetan hättest. Das passt net.«

»Ich? Nein, wie kommst du denn darauf?«

»Deine Mutter hat gesagt, ihr hättet euch net verstanden, weil ihr so verschieden seid. Für mich hörte sich das so an, als wäre es einfach eine gegenseitige Antipathie.«

»Das hat sie gesagt? Ja, freilich, das hätte ich mir denken können.« Seine eben noch entspannte Miene verhärtete sich, er bat sie knapp: »Lass uns nimmer darüber reden.«

»Aber ich möchte das gerne verstehen. Es passt net in das Bild, das ich von dir habe, Thomas«, drängte sie.

Da wandte er den Blick und schaute sie an. Es berührte sie tief, als sie den Schmerz in seinen Augen sah. Es war ein dunkler, quälender Kummer, genährt aus vielen Jahren der Traurigkeit. Lissi spürte Tränen in sich, spontan griff sie nach Thomas’ Rechter und hielt sie fest. Ihre Berührung ließ ihn wieder ruhig werden.

»Wir haben uns net verstanden, der Christian und ich. Belassen wir es dabei. Ich möchte net darüber reden, net jetzt. Wir wollen den schönen Tag genießen, einverstanden?«

»Nur wenn du mir versprichst, mir irgendwann alles zu erzählen, alles, hörst du?«

Er schüttelte leicht den Kopf, Unverständnis spiegelte sich in seinem Blick, als er fragte: »Warum denn? Warum willst du das wissen?«

»Muss ich dir das wirklich erklären? Spürst du es net?«

Plötzlich waren sie einander ganz nah, und dann schien es Thomas fast selbstverständlich, Lissi in seine Arme zu nehmen und ihr ein zartes Busserl zu schenken. Es waren süße und zugleich bittere Augenblicke für den jungen Mann. Noch immer regte sich tief in seinem Innern die Angst davor zu vertrauen, zugleich aber wollte er es, unbedingt, ohne Vorbehalte, denn sein Herz sehnte sich nach dem Madel, das er im Arm hielt.

Lissi aber fühlte sich wie im Himmel. In Thomas’ Armen, da war sie wunschlos glücklich. Sie hatte nur diesen Moment herbeigesehnt, wenn er endlich über seinen Schatten springen und ihr seine Gefühle eingestehen würde. Nun hatte er es getan. Nicht mit Worten, doch auf die schönste Weise, die man sich denken kann.

Sie seufzte leise und murmelte: »Ich bin so froh, dass du das getan hast. Ich hab schon gedacht, es passiert nie.«

Er musterte sie fragend. »Soll das heißen, du hast mich schon länger gern? Aber wie ist denn das nur möglich?«

»Wie? Ich weiß net. Warum verliebt man sich in jemanden? Darüber haben sich gewiss schon viele Menschen den Schädel zermartert. Ich bin einfach glücklich, das genügt mir.«

Er schüttelte leicht den Kopf. »Ich kann’s net fassen …«

»Leicht hast du es mir ja auch net gemacht. Aber mein Herz hat gewusst, was es will. Und jetzt ist alles gut.« Sie lächelte ihm warm zu, dann beschloss sie: »Essen wir unsere Brotzeit. Ich hab einen Bärenhunger!«

Und während Lissi den Picknickkorb auspackte, konnte Thomas sie die ganze Zeit nur anschauen. Er war noch immer kaum in der Lage zu begreifen, dass er dies wirklich erlebte. Da war ein einziger Jubel in seinem Herzen, und fast wurde ihm schwindlig vor Glück. Er hatte die Liebe gefunden, und es war, wie Lissi gesagt hatte: Nun war alles gut!

***

Nach diesem ganz besonderen Tag ging mit Thomas Moosbacher eine Wandlung vor sich. Alle auf dem Hof merkten es, und einige wunderten sich oder konnten es gar nicht glauben, wenn der Bauer am Morgen mit einem Lächeln auf den Lippen am Frühstückstisch erschien oder bei der Stallarbeit ein lustiges Lied pfiff.

Franz und Josefa wussten natürlich Bescheid. Und auch Marie kannte den Grund für Thomas’ Veränderung. Sie sprach oft mit ihrer Pflegerin darüber, und bald wusste sie, dass sich hier zwei Herzen gefunden hatten. Das tat der Kranken sehr gut. Auch ihr ging es nun besser als zuvor. Und es dauerte gar nicht mehr lang, bis der Hausarzt der Bäuerin erlaubte, zumindest zeitweise das Bett zu verlassen.

Freilich musste Marie sich weiterhin schonen, doch es erschien ihr wie ein kleines Wunder, dass sie nun auch mal eine Stunde in der Küche bei Josefa sitzen und mit ihr schwatzen konnte.

Je weiter der Frühling fortschritt, je wärmer und schöner das Wetter wurde, desto mehr wuchs in Marie auch der Wunsch, nach draußen zu gehen. Sie dachte schon wieder daran, ihren Nutzgarten zu bestellen und hoffte innig, die Krankheit ein für alle Mal hinter sich gelassen zu haben.

Lissi mahnte ihre Patientin allerdings, es nicht gleich zu übertreiben oder unvorsichtig zu werden.

»Dein Blutdruck ist ein bisserl hoch«, stellte sie fest, als sie an diesem Samstagmorgen der Bäuerin beim Anziehen half. »Der Doktor wird die Medikation erhöhen, wenn er das merkt. Damit es gar net erst so weit kommt, musst du dich mehr schonen.«

»Ich möchte aber bei dem herrlichen Wetter net den ganzen Tag im Haus sein«, widersprach Marie unglücklich. »Ein kleiner Spaziergang kann mir doch net schaden, oder?« Sie schaute Lissi dabei so treuherzig an, dass diese nachgab.

Nach dem Frühstück schlenderten sie also vom Hof und folgten dem Rundwanderweg ein kurzes Stück. Marie schien sich wohlzufühlen, sie plauderte entspannt mit ihrer Begleiterin und kam auch bald auf das Thema zu sprechen, das ihr durch den Kopf ging. »Der Thomas und du, ihr seid euch einig, net wahr?«

Lissi zögerte mit einer Antwort. Sie hatte Thomas lieb und wusste, dass er ebenso empfand. Aber sie hatte bislang nicht weiter gedacht, denn der Zustand, in dem sie momentan lebte, gefiel ihr einfach. »Wir haben noch keine Pläne gemacht, wenn du das meinst«, antwortete sie deshalb ausweichend.

Marie lächelte vielsagend. »Du vielleicht net, der Bub aber schon.« Sie blieb stehen und versicherte dem Madel: »Ich würde mich wirklich freuen, wenn du meine Schwiegertochter wirst. Eine bessere Frau für den Thomas könnte ich mir net denken.«

Die junge Krankenschwester lächelte verschämt, als sie zugab: »Das könnte ich mir durchaus vorstellen. Ich hab deinen Sohn von Herzen lieb, Bäuerin. Aber ich glaube, so schnell geht das net. Da sind doch noch viele Dinge aus der Vergangenheit, die dem Thomas das Herz schwer machen. Er muss sich darüber erst einmal aussprechen, damit er unbeschwert an die Zukunft denken kann.«

»Er wird sich dir gewiss anvertrauen. Und dass er an eine Zukunft mit dir denkt, das ist für mich sonnenklar. Er hat nämlich schon einen Verlobungsring für dich gekauft.« Sie lächelte, als Lissi große Augen machte. »Aber bitte sag ihm net, dass du das von mir weißt.«

Das Madel versprach es. Bis zum Abend hatte Lissi dann Zeit, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen. Und ein inniges Glücksgefühl erfüllte ihr Herz bei der Vorstellung, dass Thomas ihr vielleicht schon bald einen Antrag machen würde …

An diesem Abend war der Bauer aber ernst und schweigsam. Erst als sie allein waren, erfuhr Lissi den Grund für sein Verhalten.