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Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.
Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.
Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:
Alpengold 205: Alter Hass stirbt nicht
Bergkristall 286: Es war nicht nur ein Seitensprung
Der Bergdoktor 1767: Das heimliche Treiben der Erntehelferin
Der Bergdoktor 1768: Angst um ihr geliebtes Baby
Das Berghotel 142: Ein Edelweiß als Abschiedsgruß
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 610
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
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Für diese Ausgabe:
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ISBN: 978-3-7517-2974-1
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Lang ist's her, seit sie die besten Freunde waren: die beiden Nachbarn Konrad Zimmermann und Rupert Seidel. Damals haben sie geglaubt, dass nichts ihre Freundschaft beenden könnte, bis sie sich unglücklicherweise in ein und dasselbe Madel verliebt haben. Seitdem sind sich die einstigen Spezln spinnefeind ...
Niemand glaubt mehr an eine Versöhnung zwischen den Nachbarsfamilien. Doch dann geschieht etwas Ungeheuerliches. Loni Zimmermann und Michael Seidel, die Kinder der Streithähne, verlieben sich ineinander. Aber das wollen ihre Väter niemals dulden ...
"Warum bist du nur ein solcher Feigling?", fragt Gerlinde ihren Verlobten. "Warum sagst du mir nicht, dass du die Haslacher-Roswitha attraktiver findest als mich?" "Ach, das ist doch Schmarrn", erwidert Benno Sattler und lacht unsicher. "Ich bin halt mal mit einem Stadtmadel tanzen gegangen, das ist alles." "Und sonst war nix?" Gerlinde schaut den Burschen forschend an. "Ich schwör’s dir ..." "Tu’s net, Benno", fällt ihm das Madel da ins Wort. "Hab wenigstens den Mut, zu deinem Abenteuer zu stehen. Vielleicht ist’s ja auch mehr als das. Aber das ist allein deine Sach." Gerlinde zieht ihren Verlobungsring vom Finger. "Bittschön, Benno. Vielleicht hast du ja noch Verwendung dafür. Ich brauch ihn jedenfalls net mehr." Mit diesen Worten dreht sie sich um und lässt den Benno einfach stehen ...
Was ist bloß mit ihrer besten Freundin passiert? Valerie Hofer macht sich große Sorgen um Karin, die auf dem Brandstetter-Hof in St. Christoph eine Stelle als Erntehelferin angenommen hat. Doch nachdem sie zunächst noch ein paar Mal angerufen hat und begeistert von ihrem Leben auf dem Bauernhof berichtet hat, ist seit einigen Tagen jeder Kontakt abgerissen. Karin meldet sich nicht und ist auch nicht zu erreichen. Von Jost Brandstetter, dem Bauern, bekommt Valerie lediglich die schroffe Erklärung, dass Karin gekündigt habe und überstürzt abgereist sei. Valerie spürt, dass der Bauer lügt. Hat er Karin etwas angetan? Die Ungewissheit lässt Valerie keine Ruhe mehr, und so beschließt sie, sich ebenfalls als Erntehelferin auf dem Brandstetter-Hof zu bewerben ...
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Dort sorgt derweil ein Gast für reichlich Aufregung. Er will das Berghotel kaufen ...
Cover
Titel
Impressum
Zusammenfassung
Inhalt
Alpengold 205
Alter Hass stirbt nicht
Bergkristall - Folge 286
Es war nicht nur ein Seitensprung
Der Bergdoktor 1767
Das heimliche Treiben der Erntehelferin
Der Bergdoktor 1768
Angst um ihr geliebtes Baby
Das Berghotel 142
Ein Edelweiß als Abschiedsgruß
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Contents
Alter Hass stirbt nicht
Bewegender Roman um die bedrohte Liebe eines jungen Paares
Von Sissi Merz
Lang ist’s her, seit sie die besten Freunde waren: die beiden Nachbarn Konrad Zimmermann und Rupert Seidel. Damals haben sie geglaubt, dass nichts ihre Freundschaft beenden könnte, bis sie sich unglücklicherweise in ein und dasselbe Madel verliebt haben. Seitdem sind sich die einstigen Spezln spinnefeind …
Niemand glaubt mehr an eine Versöhnung zwischen den Nachbarsfamilien. Doch dann geschieht etwas Ungeheuerliches. Loni Zimmermann und Michael Seidel, die Kinder der Streithähne, verlieben sich ineinander. Aber das wollen ihre Väter niemals dulden …
Dichter Nebel verhüllte an diesem Novembermorgen die himmelhohen Gipfel des Wettersteingebirges, ließ den Horizont in diffusen Grautönen verschwimmen und lag wie ein beinahe undurchdringlicher Vorhang über dem Tal von Fischen, nahe Mittenwald im Oberbayerischen.
Die kleine Gemeinde zählte an die hundert Einwohner, die meisten lebten hier traditionell von der Landwirtschaft, aber es gab auch eine Fremdenpension. In Fischen konnte man sehenswerten Wanderrouten folgen, an den steilen Wänden der Hohen Mulde kraxeln und im Winter an der Westseite des Hausbergs von Fischen waghalsige Abfahrten unternehmen.
Im Norden schirmten Alpspitze und Wettersteinspitze das Tal vor späten Frösten und allzu frühen Wintereinbrüchen ab und sorgten so für ein mildes Klima, das auch der Landwirtschaft zugutekam. Südlich von Fischen glitzerte das klare Wasser des Schmalensees inmitten eines ausgedehnten Föhrenwaldes. Folgte man der Landstraße weiter in diese Richtung, gelangte man nach etwa fünf Kilometern in die Kreisstadt Mittenwald.
In östlicher Richtung befand sich Hofberg, der Nachbarort von Fischen. Und westlich erhob sich majestätisch das Karwendel-Gebirge.
Es war eine liebliche und zugleich ursprüngliche Bergwelt, in der die Menschen über Generationen gelernt hatten, mit und von der Natur zu leben. Gepflegte Häuser und Gehöfte reihten sich an der Straße wie Perlen auf einer Schnur.
Das schönste Haus, schon an die zweihundert Jahre alt und denkmalgeschützt, bewohnte am Marktplatz der Bürgermeister. Den größten Hof in Fischen nannte Konrad Zimmermann sein Eigen. Die Familie lebte hier mittlerweile in der vierten Generation, die Fremdenpension im Gebirglerstil nebenan stand aber erst seit knapp dreißig Jahren.
Sie gehörte ebenfalls den Zimmermanns und war von Konrad nach einer in jeder Hinsicht vorteilhaften Heirat erbaut worden. Die gute Partie, Johanna Kugler, war aber auch der Auslöser einer hasserfüllten Feindschaft, die bis auf den heutigen Tag währte und ihre Wurzeln tief in der Vergangenheit hatte …
Neben dem prächtigen Erbhof der Zimmermanns stand das eher bescheidene Häuschen der Familie Seidel. Auch sie lebten schon lange in Fischen, hatten es aber materiell nie zu viel gebracht. In jeder Generation gab es bei ihnen dafür musische Begabungen und grüne Daumen in Hülle und Fülle.
Die Seidels waren Schöngeister, sie liebten die Natur und alles Getier. Sie bauten mit Bedacht ihr Getreide an, ihr Vorgarten quoll über von den schönsten und edelsten Blüten, die woanders sogleich die Köpfe hängen ließen. Dabei waren sie bescheidene, gottesfürchtige und fleißige Menschen, fest verwurzelt auf ihrer Scholle. Ein jeder in Fischen respektierte sie, während manch einer die Zimmermanns mit Neid oder Ablehnung betrachtete.
Als Konrad ein Schulbub war, verband ihn eine dicke Freundschaft mit dem Nachbarssohn Rupert Seidel. Die zwei waren unzertrennlich und ergänzten sich perfekt. Während Konrad stinkfaul war und sich in der Schule durchmogelte, zeigte der aufgeweckte Rupert an vielen Dingen Interesse. Er besaß eine rasche Auffassungsgabe, und es machte ihm Spaß, das Geigenspiel zu erlernen, das schon sein Vater beherrschte.
Obwohl Konrad unmusikalisch war, ging er gerne zu den Nachbarn, wenn die in fröhlicher Runde manches lustige Gstanzl sangen und der Bauer dazu musizierte.
Überhaupt war es für Konrad bei den Seidels eine ganz andere Welt. Daheim wurde er streng behandelt. Gelang ihm etwas, gab es eine reiche Belohnung. Fiel er durch, was oft geschah, wurde er mit eisiger Nichtachtung gestraft.
Bei den Nachbarn gab es keine teuren Geschenke als Anreiz für eine gute Leistung. Hier war es selbstverständlich, dass jeder sein Bestes gab. Und wenn etwas gelang, dann freuten sich alle. Im Stillen war Konrad manchmal neidisch auf die grundsolide Harmonie im Hause Seidel, die durch nichts zu erschüttern war.
Dass Rupert den Freund in der Schule abschreiben ließ, war für ihn selbstverständlich. Und Konrad nahm diese heimliche Hilfestellung nur zu gerne an. Ohne sie hätte er wohl nie den Schulabschluss geschafft, faul und eingebildet, wie er war.
Während Rupert dann mit Erfolg die Landwirtschaftsschule besuchte, fuhr Konrad im schnittigen Sportwagen herum, jeden Tag ein anderes Madel an seiner Seite. Er genoss seine Jugend in vollen Zügen, sonnte sich in seiner Rolle als begehrtester Junggeselle im Tal von Fischen, bis sein Vater dem schließlich ein abruptes Ende setzte.
Nachdem Konrad den dritten Sportwagen zu Schrott gefahren und eine Magd geschwängert hatte, sollte nach dem Willen des Alten aus ihm ein »anständiger« Mensch werden. Von diesem Tag an musste Konrad sich als Jungbauer verdingen und war angehalten, sich eine ordentliche Partie zum Heiraten zu suchen.
Zunächst dachte der verwöhnte Hallodri nicht daran, sich zu fügen. Zusammen mit seinem besten Spezl zog er am Wochenende durch die Wirtshäuser und haute auf die Pauke. Dann aber hatte Rupert mit einem Mal keine Lust mehr auf diese Sauftouren. Er blieb lieber daheim und behauptete, etwas Besseres vorzuhaben.
Was das war, fand Konrad bald heraus. Rupert hatte sich verliebt! Und nicht in irgendein Madel, nein, in die zauberhafte Johanna Kugler, das schönste Dirndl im Tal. Zugleich war sie auch die beste Partie, denn sie stammte vom zweitgrößten Hof in Fischen. Ihr Vater besaß außerdem einen Wald, eine Sägemühle und auch einen Viehhandel, den ihr Bruder einmal übernehmen sollte.
Dieses Madel war nicht nur zauberhaft, es war zudem im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert! Als Konrad dies bewusst wurde, zögerte er nicht, seinem Spezl Johanna auszuspannen.
Zunächst gestaltete sich dies allerdings nicht ganz einfach. Johanna war nicht nur verwöhnt, sie besaß auch einen rechten Dickschädel. Und in denselben schien sie es sich gesetzt zu haben, dass ausgerechnet der Habenichts Rupert der Rechte für sie war.
Die beiden verbrachten verträumte Stunden zusammen, Rupert spielte Johanna auf seiner Geige vor und schenkte ihr die schönsten Blumen. Er war der romantische Kavalier, wie er im Buche stand, und Johannas Herz schlug nur für ihn.
Da konnte Konrad mit all seinem Geld nichts ausrichten. Das schöne Madel rümpfte nur die Nase über den polternden Angeber.
Schließlich wurde dem Burschen klar, dass er geschickter vorgehen musste. Da Konrad schon als junger Mann überall seine Kontakte hatte und ihm in Fischen so leicht nichts entging, wusste er, dass Rupert auch mit Therese Ampacher befreundet war.
Die beiden kannten sich von Kindesbeinen an, es war eine reine Freundschaft. Aber Konrad schaffte es, daraus Untreue und Betrug zu konstruieren. Er intrigierte so lange, bis das verliebte Paar sich nach einem heftigen Streit trennte.
Dann spielte er den galanten Tröster und überschüttete Johanna mit Geschenken, Liebesschwüren und versprach ihr den Himmel auf Erden, wenn sie ihn erhörte.
Das Madel zierte sich eine Weile. Im Grunde ihres Herzens hing Johanna noch lange an Rupert. Nie war ihr ein Bursche wie er begegnet, so sensibel, einfühlsam und zugleich so bodenständig und verlässlich. Das Leben an seiner Seite musste einfach und schön sein.
Doch Rupert nahm es ihr übel, dass sie ihm misstraut hatte. Und er nahm es ihr noch viel übler, dass sie sich mit Konrad einließ. Schließlich gab ihr Vater den Ausschlag, denn dem war ein Schwiegersohn, der Zimmermann hieß, allemal lieber als ein Habenichts namens Seidel.
Als Johanna und Konrad dann Verlobung feierten, erschien Rupert uneingeladen auf dem rauschenden Fest. Mit blasser, verkniffener Miene versetzte er dem ehemaligen Spezl zwei Watschen, die sich gewaschen hatten, und bezichtigte ihn, sein Lebensglück zerstört zu haben.
»Das wirst du bereuen, Konrad!«, rief er mit kalter, fast eisiger Entschlossenheit aus, was seiner sonstigen Art ganz und gar zuwiderlief. »Von diesem Tag an hast du da in Fischen einen Feind, der alles versuchen wird, dir das Leben sauer zu machen! Und daran wird sich nix ändern, solange wir beide leben!«
Fast wie ein Schwur klang das, und hernach wollte bei der Festgesellschaft keine rechte Stimmung mehr aufkommen.
Auch wenn Konrad die Worte des Nachbarn abtat, so klang sein Lachen doch aufgesetzt und unbehaglich. Er hatte durchaus gespürt, wie ernst es Rupert war. Und für einen Moment hatte sich sogar sein Gewissen geregt. Aber dann schob er dieses unnütze Gefühl ärgerlich beiseite und sorgte dafür, dass der Champagner in Strömen floss und alle wieder lustig wurden.
Johanna hatte Ruperts Auftritt durchaus ernst genommen und vor der Hochzeit mehrmals versucht, vernünftig mit ihm zu reden. Aber er wollte nichts mehr von ihr wissen, und so hatte auch sie nicht verhindern können, dass die Fronten sich verhärteten.
Dass die alte Freundschaft zwischen Therese und Rupert sich vertiefte und der Bursche übers Jahr in dem stillen Dirndl mit dem reichen Seelenleben ein Glück für immer fand, konnte nichts an der Feindschaft ändern, die er Konrad geschworen hatte. Und so war das Gefühl des Hasses wie eine Mauer zwischen den Nachbarn gewachsen.
Über die Jahre wollte kein Seidel mit einem Zimmermann reden, die Kinder spuckten sich an oder rauften verbissen miteinander.
Manches Mal versuchte Therese noch, das hässliche Gefühl, das so gar nicht zu dem aufrechten Charakter ihres Mannes passte, zu vertreiben. Doch es gelang ihr nicht.
Schließlich machte Rupert seiner Frau deutlich, dass es hier schon lange nicht mehr um Johanna ging. Wäre es nur eine enttäuschte Liebe gewesen, längst hätte er dem alten Spezl die Hand zur Versöhnung gereicht. Doch der Betrug, dessen Konrad sich schuldig gemacht hatte, die bösen Lügen, die ihn und Johanna auseinandergebracht hatten, das war es, was Rupert ihm nicht verzeihen konnte.
Und so war es tatsächlich bis auf den heutigen Tag geblieben.
***
Als die Sonne an diesem Novembermorgen über der Hohen Mulde aufging, hob sich der Nebel allmählich, der Himmel klarte auf, und das milde Licht ließ die Lärchen im Bergwald über Fischen golden schimmern. Auf den Höfen im Tal regte sich bereits das Leben, fleißige Hände verrichteten die ersten Arbeiten des Tages.
Therese Seidel war in der Küche damit beschäftigt, das Frühstück zu richten. Rupert hatte in der Nacht bei einer kranken Kuh gewacht und war vor einer Weile von seinem Sohn Michael abgelöst worden. Nun saß der Bauer mit müden Augen an der Eckbank und trank ein Haferl Kaffee in kleinen Schlucken.
»Du solltest dich hinlegen, Rupert«, riet seine Frau ihm fürsorglich.
Therese war noch immer sehr hübsch und mädchenhaft mit der schlanken Figur, den sanften Augen und dem blonden Haar, in dem noch kein grauer Faden zu finden war. Ihr Blick ruhte liebevoll auf Rupert, der ihr ein wenig zulächelte.
Der Bauer war groß und schlank, mit breitem Kreuz und Händen, die zupacken konnten. Im kernigen Gesicht des Gebirglers bestachen die klugen grauen Augen. Ein heiterer Zug um den Mund deutete darauf hin, dass der Bauer gelernt hatte, dem Leben die schönen Seiten abzugewinnen und die schweren hinzunehmen. Er machte den Eindruck eines Mannes, der in sich selbst ruhte.
»Ist schon recht, Reserl«, wiegelte er gutmütig ab. »Ich bin gar net so müde. Nach dem Frühstück wird’s schon wieder gehen. Ich mag mich am hellen Tag net ins Bett legen, da käm ich mir ja vor wie ein ausgemachter Faulenzer.«
»Du und faul, dass ich net lach!« Sie tat es dann doch und steckte ihn mit ihrem glockenhellen Lachen glatt an.
»Hier herrscht ja eine fröhliche Stimmung am frühen Morgen«, stellte Babette, Michaels jüngere Schwester, fest. Das hübsche Madel mit dem goldblonden Haar und den großen, klaren Augen war jeden Morgen zeitig auf den Beinen. Denn bevor Babette zu ihrer Arbeit im Kindergarten in Mittenwald fuhr, erledigte sie noch die Aufgaben im Haushalt, die ihr die Mutter aufgetragen hatte.
»Die Wäsche ist sortiert, und die Maschine hab ich auch schon angestellt«, ließ sie die Bäuerin wissen. »Wenn das Wetter hält, können wir heute noch mal draußen trocknen. Wird eh das letzte Mal in diesem Jahr sein, schätz ich.« Sie schnappte sich das Tablett mit dem Geschirr und eilte ins Esszimmer, um den Tisch fürs Frühstück von Bauersleuten und Gesinde einzudecken.
»Das Madel ist fix und patent, das gefällt mir«, lobte Rupert versonnen. »Der Bursche, der sie mal kriegt, kann sich glücklich schätzen.«
»Wen wünschst du dir denn als Schwiegersohn? Hast du schon eine genaue Vorstellung?«, fragte Therese ihren Mann.
Sie tat dies nicht ohne Grund, denn es gab im Leben von Babette durchaus bereits einige Burschen, die in der engeren Wahl waren. Doch für wen sich das tüchtige Madel entscheiden würde, das stand wohl noch in den Sternen.
»Na ja, ein Jungbauer wär net schlecht. Obwohl wir den mit dem Michael ja bereits haben. Vielleicht kann sie einheiraten. Zwei Familien wird unser kleiner Betrieb kaum tragen.«
»Ich bin doch keine Bäuerin«, gab Babette zu bedenken, die eben mit dem leeren Tablett in die Küche zurückgekehrt war.
»Madel, du bist unser Wetterstein-Express«, scherzte der Bauer und erhob sich. »Ich will mich rasch waschen und rasieren. So kann ich mich net an den Frühstückstisch setzen.« Bevor er hinausging, drückte er Therese noch ein Busserl auf den Mund, doch die lachte nur und beschwerte sich heiter: »Das ist wirklich bitternötig, du stachliger Geselle!«
Rupert verließ lachend die Küche, Babette setzte sich kurz auf seinen Platz und meinte versonnen: »So eine Ehe, wie ihr zwei sie führt, die gibt es doch sonst nur im Märchen.«
Die Bäuerin bedachte ihre Tochter mit einem vielsagenden Blick.
»Wir haben es auch net immer leicht gehabt. Vor allem am Anfang, da haben wir uns arg zusammenraufen müssen. Dein Vater hatte immer noch die Johanna im Sinn. Und die Geschichte mit dem Konrad, die hing sozusagen wie eine dunkle Wolke über unserem Leben.«
»Ich versteh das bis heut net so recht«, gab das Madel zu, strich sich eine blonde Locke hinters Ohr und machte dabei ein sehr nachdenkliches Gesicht. »Warum besteht dieser alte Hass zwischen uns und den Nachbarn allerweil weiter? Als Kinder haben wir uns darüber keine Gedanken gemacht, da musste ein jeder, der mit Nachnamen Zimmermann hieß, gewatscht werden. Aber wenn man erwachsen ist und ein bisserl nachdenkt …«
»Das hat damit wenig zu tun.« Die Bäuerin tippte sich an die Stirn. »Sondern nur damit.« Nun wanderte ihre Hand zum Herzen. »Dein Vater und der Konrad waren dicke Spezln. Für den Konrad mag das net die Welt bedeutet haben. Aber du kennst ja deinen Vater. Wenn er zu jemandem steht, dann ist er treu. Er hat es nie verwinden können, dass sein bester Freund ihn belogen und betrogen hat, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen.«
»Und er wird wohl nie nachgeben, nehme ich an.«
»Vermutlich net.« Therese schaute ihre Tochter aufmerksam an. »Fragst du aus einem bestimmten Grund? Das hat net zufällig damit zu tun, dass du dich mit dem Dominik Zimmermann neulich recht angeregt unterhalten hast?«
Babette wurde prompt rot, was eigentlich schon Antwort genug war, noch bevor sie leise zugab: »Er ist ganz nett, finde ich.«
»Madel …«
»Mama, ich weiß selbst, dass der Dominik ein Hallodri und Weiberheld ist, der keiner treu sein kann. Ich hab ja auch net vor, mich auf was einzulassen.«
»Das würde ich dir auch net raten, es sei denn, du magst deinen Vater in ein frühes Grab bringen.« Die Bäuerin schüttelte leicht den Kopf. »So was soll man net sagen, ich weiß. Aber leider hat der alte Hass nix von seiner Schärfe verloren. Für deinen Vater sind alle Mitglieder der Familie Zimmermann Feinde.«
Babette seufzte. »Ist schon recht.« Damit erhob sie sich und verließ rasch die Küche. Ihre Mutter schaute ihr nachdenklich hinterher. Ob ihre zufällige Beobachtung, die sie zuerst für ganz nebensächlich gehalten hatte, am Ende doch etwas bedeutete? Bahnte sich da am Ende etwas an zwischen Babette und dem Sohn des Nachbarn?
Obwohl Therese Vertrauen zu ihrer Tochter hatte und ihr durchaus zugestand, dass sie sich eines Tages schon für den richtigen Burschen entscheiden würde, hoffte sie doch sehr, sich getäuscht zu haben. Eine Liebelei zwischen einer Seidel und einem Zimmermann? Das konnte auf gar keinen Fall gut gehen!
***
Wenig später machte Babette sich auf den Weg zur Arbeit. Sie besaß zwar ein kleines, recht altersschwaches Auto, das aber meist den Dienst versagte. Deshalb fuhr sie lieber mit dem Bus.
Als sie zur Bushaltestelle kam, stand dort bereits ein Fahrzeug. Es war allerdings nicht der Linienbus, der erst in ein paar Minuten abfahren würde, sondern ein flacher, roter Sportwagen, aus dem ihr ein fescher Bursche entgegenlächelte.
»Grüß dich, Betti. Ich fahr nach Mittenwald, kann ich dich vielleicht mitnehmen?«, fragte Dominik Zimmermann sie freundlich. Sein Lächeln vertiefte sich und wurde jungenhaft.
Babettes Herz klopfte einen Takt schneller. Sie wusste nur zu gut, warum kein Madel dem feschen Dominik lange widerstehen konnte. Er war eben einfach zu charmant!
Trotzdem gab das Madel sich spröde. Babette dachte an die Worte ihrer Mutter. Und sie wusste ja auch selbst, dass es ganz unmöglich war. Eine Seidel und ein Zimmermann? Das ging nicht!
»Ich fahr lieber mit dem Bus«, wies sie ihn ab. »Du schneidest mir die Kurven zu rasant. Ich häng nämlich am Leben.«
Er lachte und blickte sie dann so liebenswürdig an, dass es ihr schwerfiel, bei ihrer Entscheidung zu bleiben.
»Und wenn ich dir verspreche, ganz gesittet zu fahren?«
»Du und gesittet?« Das Madel lachte herzlich.
Dominik nahm es nicht krumm.
»Ich hab nur vom Fahren geredet«, stellte er klar und brachte sie damit nochmals zum Lachen. Mit Schwung öffnete er die Beifahrertür. »Nun komm schon, sei kein Frosch. Was glaubst du, wie viele Madeln dich um diesen Platz an meiner Seite beneiden?«
»Die können ihn gerne haben, ich leg keinen Wert darauf«, versetzte sie, denn sie konnte es nicht leiden, wenn er mit seinen Eroberungen prahlte. »Außerdem scheinst du was vergessen zu haben.«
Er hob die breiten Schultern. »Und was?«
»Wie wir zwei heißen. Früher haben wir uns angespuckt, das muss jetzt nimmer sein. Aber ein bisserl Distanz kann net schaden. Und jetzt fährst du besser, da vorne kommt nämlich der Bus. Pfiat di!«
Dominik seufzte, dann schoss er mit einem Kavalierstart davon. Sein ehrlich enttäuschtes Gesicht ging Babette noch eine Weile durch den Sinn.
War sie zu grob zu ihm gewesen? Warum hatte sie sein freundliches Angebot nicht angenommen? Es war ja schließlich gar nichts dabei. Oder vielleicht doch?
Das Madel schüttelte leicht den Kopf. So ging es immer los. Es waren die harmlosen Gelegenheiten, die zu Liebeskummer und Herzschmerz führten, vor allem bei einem Burschen wie Dominik Zimmermann. Da hielt man sich besser zurück, und das aus mehr als nur einem Grund …
Während Babettes Gedanken sich noch eine ganze Weile mit dem Nachbarssohn beschäftigten, erging es diesem mit ihr nicht anders.
Dominik war das mittlere der drei Zimmermann-Kinder und kam ganz nach dem Vater. Er war ein ausgemachter Weiberheld, ließ nichts anbrennen und konnte keinem hübschen Madel widerstehen. Allerdings hatte er auch die diplomatische Ader der Mutter geerbt und schaffte es spielend, Ernst und Spaß nach seinem Geschmack zu kombinieren.
Er leitete das familieneigene Hotel »Goldener Hirsch« erfolgreich und hatte sich vor einer Weile mit einer reichen Erbin aus Mittenwald verlobt. Nach außen hin erfüllte er damit alle Anforderungen, die seine Eltern an ihn stellen konnten. Und dieser Umstand gab ihm die Freiheit zu tun, was er wollte. Er musste dabei nur geschickt vorgehen.
An diesem Morgen hatte Dominik in der Stadt zu tun und wollte später noch seine Verlobte besuchen.
Gisi Haselbeck war die einzige Tochter des Unternehmers Georg Haselbeck, einer lokalen Größe mit Einfluss in Politik und Wirtschaft. Das Madel war recht fad und eingebildet, doch das war Dominik einerlei. Er hatte Gisi ja nicht lieb, sie sollte einfach nur die Aufgaben der Hoteliersgattin wahrnehmen. Ihre Ehe würde eine reine Zweckgemeinschaft sein, denn er wusste, dass Gisi oberflächlich und egozentrisch war. Sie interessierte sich nur für ihr Äußeres und verbrachte die meiste Zeit des Tages vor dem Spiegel.
Die Vorstellung, einen feschen Ehemann wie Dominik zu ergattern, schmeichelte und gefiel ihr. In dieser Ehe würde jeder einvernehmlich seiner Wege gehen, das stand für den Burschen schon von vornherein fest.
Bei diesem Gedanken sah er wieder Babette Seidels liebes Gesicht vor sich. Dominik dachte in letzter Zeit oft an sie. Früher hatte er das kleine Madel mit den goldblonden Zöpfen nicht ausstehen können und bei jeder sich bietenden Gelegenheit geärgert. Dann hatten sie sich eine Weile aus den Augen verloren. Und als Babette eines Tages wieder vor ihm stand, ein zauberhaftes Madel, schön wie gemalt, da hatte er kaum seinen Augen trauen können.
Seither schlich Dominik fast jeden Tag beim Nachbarn herum, darauf bedacht, dass Michael, Babettes Bruder, ihn nicht erwischte. Er suchte ihre Nähe, er redete gern mit ihr, ihr Lächeln bezauberte ihn, und wenn sie da war, dann vergaß er einfach alles andere.
Seltsam, so hatte der smarte Bursche noch nie empfunden. Zwar redete er sich ein, dass es mit Babette so war wie mit allen anderen. Er wollte sie erobern, denn sein unstetes Herz brannte lichterloh für sie. Doch das war längst nicht alles.
Tief drinnen in diesem Herzen steckte auch noch die vage Einsicht, dass da mehr war als die übliche oberflächliche Liebelei. Wenn er manchmal in ihre Augen schaute, dann regte sich etwas in seinem Innern, das wie eine starke, nie ausgesprochene Sehnsucht von Ernsthaftigkeit und Dauer kündete.
Freilich wollte Dominik davon nichts wissen. Es ängstigte ihn sogar, denn der Gedanke, dass er sich tatsächlich aufrichtig in ein Madel verlieben könnte, gefiel ihm gar nicht. Er wollte keine echten Gefühle investieren, weil er meinte, dadurch verletzbar zu werden. Und das war etwas, das in seiner Familie noch nie vorgekommen war.
Johanna und Konrad gingen respektvoll miteinander um, niemals aber zärtlich. Ebenso hatten sie ihre Kinder erzogen.
Ursula, die Älteste, hatte eine gute Partie gemacht und einen reichen Jungbauern aus dem Nachbarort Hofberg geheiratet. Die große Liebe war das sicher nicht. Und seine Verlobte bedeutete ihm im Grunde genommen auch nichts.
Loni, seine jüngere Schwester, war da anders. Sie war schon als Kind gefühlsbetont und eigenwillig gewesen und hatte sich nie mit einem Seidel geprügelt.
Dominik überlegte, wie das heute aussah. Loni war drei Jahre in München gewesen, hatte dort die Hotelfachschule besucht und in den besten Häusern am Platze mehrere Praktika gemacht. Nun würde sie im elterlichen Betrieb arbeiten, und darauf freute Dominik sich schon. Er hatte sich immer gut mit Loni verstanden, er mochte ihre direkte, aber nie verletzende Art, und er bewunderte ihr reiches Gefühlsleben. Woher sie das wohl hatte?
Der Bursche seufzte, als seine Gedanken sich noch einmal Babette zuwandten. Zu gerne hätte er sie mit in die Stadt genommen, ein wenig Zeit mit ihr verbracht, und wenn es nur die kurze Autofahrt gewesen wäre. Doch sie nahm ihn und seine Absichten nicht ernst, hielt ihn für einen unverbesserlichen Schürzenjäger. Hätte sie gewusst, wie es in Wahrheit in ihm aussah, sicherlich wäre sie überrascht gewesen.
Andererseits war es gut, dass sie eben das nicht wusste. Denn Dominik wollte seine wahren Gefühle lieber für sich behalten. Nicht nur, weil er sich davor fürchtete, sich zu offenbaren, sondern eben auch, weil er ein Zimmermann war und Babette mit Nachnamen Seidel hieß …
***
Michael Seidel beobachtete mit skeptischer Miene, wie der Viehdoktor die kranke Kuh abhorchte. Nach drei offenbar nicht zutreffenden Diagnosen und ebenso vielen ergebnislosen Behandlungsversuchen schien der Tiermediziner mit seinem Latein am Ende zu sein.
»Tja, da kann man wohl nix mehr machen, als den Abdecker zu rufen«, meinte er nun auch mit einem Stirnrunzeln. »Tut mir leid, Michael, aber so sieht’s aus.«
»Ich mag eine so gute Milchkuh net vorschnell aufgeben«, hielt der hochgewachsene, sportliche Jungbauer ihm entschieden entgegen. »Wenn es Ihnen recht ist, Herr Doktor, dann versuche ich es mit einem Naturheilmittel.«
»Ich weiß net recht … Willst du das arme Tier quälen?«
»Das hat der Michael gewiss net im Sinn«, kam der Vater ihm nun zu Hilfe. »Wir werden es mit der Naturheilkunde versuchen, die hat schon manch hoffnungslosen Fall wieder auf die Hufe gebracht. Nix für ungut, Doktor, aber da stimme ich mit dem Buben überein. Oder können Sie uns noch was raten?«
»Ich fürchte, nein. Gut, wie ihr wollt. Ich hab alles, was möglich war, getan. Es bleibt euch überlassen, wie ihr jetzt mit der Kuh verfahrt.«
Rupert Seidel begleitete den Tierarzt noch zu seinem Wagen, dann kehrte er in den Stall zurück und meinte: »Wir hätten es gleich selbst versuchen sollen. Der Haslinger hat recht herumgepfuscht an der Lissi. Meinst du, wir kriegen das wieder hin?«
»Freilich.« Michaels markante Miene war geduldig auf das Tier fixiert, mit geschickten Bewegungen massierte er den gespannten Leib und auch das warme, verhärtete Euter.
»Es liegt am Milchfieber, sie hat das immer noch net überwunden«, war der Jungbauer überzeugt. »Ich werde ihr eine Kräutertinktur geben und ihr Euter mit einer Salbe einreiben. Du hast recht, Vater, das hätten wir gleich machen sollen.«
Rupert lächelte. »Ich lass dich damit allein, du schaffst das leicht ohne mich. Im Haus wartet noch Schreibkram auf mich.«
»Darum beneide ich dich net«, scherzte der Bursche, und seine klaren grauen Augen blitzten lustig auf. »Da ist mir die Arbeit im Stall doch viel lieber …«
Rupert lachte und wandte sich zum Gehen. Stolz war er auf seinen Sohn, den er noch einmal mit einem liebevollen Blick umfing, bevor er den Stall endgültig verließ. Michael war schon etwas Besonderes. Ein kluger und tüchtiger Jungbauer, der zupacken konnte und dem keine Arbeit zu viel wurde. Und zugleich war er ein sensibler Künstler, ein Schnitzer, wie sich so leicht kein Zweiter finden ließ.
Die herrlichsten Figuren entlockte er dem harten Holz, unter seinen versierten Händen wurden sie zu verblüffend lebensecht wirkenden Charakteren, die jeden Betrachter sogleich in ihren Bann schlugen. Besonders hatten es ihm die Heiligen angetan. In fast jeder Kirche und Kapelle der Umgebung standen seine Werke, und hätte Michael ein gerechtes Honorar verlangt, hätte seine Kunst ihn längst reich gemacht. Aber davon wollte er nichts wissen.
Für den bescheidenen Burschen war das Schnitzen nur ein Hobby. Und seine gottesfürchtigen Heiligen zu verkaufen, das wäre ihm niemals in den Sinn gekommen. Nicht einmal für eine komplette Heilige Familie, die er für die Kirche in Fischen angefertigt hatte, nahm er auch nur einen Cent an. Und nun arbeitete er an einem Heiligen Florian, der fast vollendet war und ebenfalls der Kirchengemeinde zukommen sollte. Natürlich unentgeltlich.
Rupert fand das nicht richtig, doch er hütete sich davor, seinem Sohn Vorschriften zu machen. Er wusste, dass Michael das bescheidene, sensible Wesen der Mutter geerbt hatte. Er war ein tiefgründiger Charakter, der sich über vieles Gedanken machte, ohne ein Grübler zu sein. Durchaus wusste er das Leben zu genießen. Im Sommer ging er gern kraxeln, im Winter Ski laufen. Keine Abfahrt war ihm zu steil oder gewagt, er meisterte sie alle, ohne dabei leichtsinnig zu sein.
Wenn der Bauer darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass sein Sohn das genaue Ebenbild von Therese war. Und deshalb hatte er ihn wohl auch so lieb.
Rupert überquerte den Wirtschaftshof und warf gewohnheitsmäßig einen Blick in die Runde. Gerade in dem Moment hielt ein Taxi beim Nachbarn, und ein junges Madel stieg aus. Den blonden Locken nach zu urteilen, die im milden Spätherbstlicht wie Gold schimmerten, musste es sich um Loni handeln.
Der Bauer wusste, dass das Madel eine Weile fort gewesen war, um seine Ausbildung abzuschließen. Auch wenn Rupert Konrad nach wie vor als seinen Feind betrachtete, blieben gewisse Dinge doch nicht verborgen. In Fischen wusste jeder über den anderen Bescheid. Und gegen die Kinder seines Feindes hatte der Bauer nichts. Er war sogar der Meinung, dass sie recht gut gelungen waren. Kein Wunder, stammten sie doch zur Hälfte von dem Madel ab, das einst sein Herz gestohlen hatte …
»Die Loni ist wieder da«, sagte Rupert beim Mittagsmahl zu seiner Frau. »Hab sie aus einem Taxi steigen sehen.«
»Typisch«, meinte Michael ein wenig abfällig. »Für das gnädige Fräulein ist anscheinend noch immer nur das Beste gut genug. Kann sie net mit dem Bus fahren, wie jeder normale Mensch?«
»Lass doch, Michi, sie wird schon ihre Gründe haben«, wiegelte Babette ab. »Die Loni ist gar net verkehrt. Sie kann ja nix dazu, dass sie eine Zimmermann ist.«
»Was sind denn das für Töne?«, wunderte sich Rupert und bedachte seine Tochter mit einem strengen Blick. »Ich will net erleben, dass einer in meinem Haus die Nachbarn in Schutz nimmt. Das haben sie nämlich nicht verdient.«
»Geh, Rupert.« Therese musterte ihren Mann mit leisem Tadel. »Die Madeln sind im gleichen Alter, ich finde es net verkehrt, wenn sie sich anfreunden würden und …«
»Ich weiß, Reserl, wenn es nach dir ginge, dann müssten wir uns mit dem Pack da drüben versöhnen«, wurde der Bauer nun sehr deutlich. »Aber das wirst du net erreichen. Ich hab es geschworen, solange ich lebe, werde ich für den Konrad der schlimmste Feind sein, den er hier in Fischen hat.«
»Ich find das auch übertrieben«, wagte Babette einzuwenden. »Lass doch die alte Geschichte ruhen, Vater. Seit damals ist so viel Zeit vergangen.«
»Na und? Wenn hundert Jahre vorbei wären, würde ich mich noch ebenso gut erinnern wie heute. Was der Konrad mir angetan hat, das ist hier eingebrannt.« Er tippte sich an die Stirn. »Und daran wird sich nix ändern. Ende der Debatte!«
Nach dem Mittagsmahl verschwand der Altbauer wieder im Arbeitszimmer, allerdings nicht, ohne sich bei seiner Frau in der Küche noch ein Haferl Kaffee abzuholen.
»Bist du bös auf mich, Reserl?«, fragte er versöhnlich. »Ich mein, weil ich eben ein bisserl heftig geworden bin. Es war keine Absicht, aber du kennst mich ja. Wenn ich den Namen Zimmermann höre, dann seh ich rot. Daran kann ich nix ändern, selbst wenn ich es wollte.«
»Ich versteh dich ja, Rupert«, versicherte sie ihm geduldig. »Aber ich kann auch die Babette verstehen. Wäre es denn net schön, wenn diese unselige Feindschaft zumindest in der nächsten Generation ein Ende nehmen könnte?«
»Reserl …«
»Ich hab ja net gesagt, dass du dem Konrad die Hand zur Versöhnung reichen sollst, auch wenn ich der Meinung bin, dass diese Geste längst überfällig ist. Aber die Kinder könnten miteinander auskommen, so wie es unter Nachbarn üblich ist.«
»So schnell stirbt alter Hass net«, hielt ihr Mann ihr mit grimmiger Miene entgegen und schnappte sich sein Haferl Kaffee. »Tut mir leid, Liebes, aber was anderes wirst du von mir net zu hören bekommen. In dem Punkt gibt es kein Nachgeben, das hat der Konrad sich ein für alle Mal verscherzt.«
Die Bäuerin seufzte leise und widmete sich dem Abwasch. Dabei wanderte ihr Blick durch das Küchenfenster nach draußen, wo eben Michael den Wirtschaftshof überquerte und im Stall verschwand.
Obwohl Therese wusste, dass ihr Sohn in den meisten Dingen so dachte wie sie, schien er doch in dem unseligen Konflikt zwischen seinem Vater und dem Nachbarn leider auf dessen Seite zu stehen. Von klein auf hatte Michael die Nachbarn als Feinde betrachtet, die man selbstverständlich ablehnte und, wenn möglich, bekämpfte.
Diese Einstellung schien sich in sein Hirn eingebrannt zu haben, ohne dass die Möglichkeit für ihn bestand, sie jemals wieder zu ändern. Die Mutter hatte es schon oft versucht, aber ihr Sohn blockte stets ab, wenn die Sprache darauf kam. In dem Punkt war er ebenso stur und starrköpfig wie sein Vater.
Ob sich daran wohl noch etwas ändern ließ? Therese Seidel wagte, dies zu bezweifeln. Sie konnte allerdings nicht ahnen, wie sehr sie sich in dem Punkt täuschen sollte …
***
»Loni, wie schön!« Johanna Zimmermann schloss ihre Tochter kurz in die Arme und betrachtete sie dann wohlwollend. »Hübsch schaust du aus. Du bist noch schöner geworden. Ich wette, die Burschen in München haben bei dir Schlange gestanden.«
Das blonde Madel lachte. »So arg war es auch wieder net, Mama. Aber wo sind denn alle? Ich hatte doch geschrieben, dass ich heut am Vormittag heimkomme.«
»Du wirst auch schon erwartet, keine Sorge«, versicherte die Bäuerin lächelnd. »Komm nur in die gute Stube. Der Dominik wollte dich vom Bahnhof abholen, aber das hast du ja abgelehnt.«
»Ich mag es net, wenn sich einer meinetwegen Umstände macht, die nicht nötig sind. Bin ja schließlich auch so gut heimgekommen«, erwiderte das Madel und machte gleich darauf große Augen, denn die ganze Familie Zimmermann samt Gesinde und beinahe alle Angestellten aus der Pension hatten sich in der großzügig bemessenen guten Stube versammelt, um Loni daheim willkommen zu heißen. Nun musste sie Hände schütteln und sich zu ihrem guten Abschluss gratulieren lassen, mit dem Konrad bereits überall angegeben hatte.
Der Vater schloss seine hübsche Tochter innig in die Arme, dann legte er ihr ein kostbares Armband, das vor Brillanten nur so funkelte, ums Handgelenk und erklärte großspurig: »Das ist nur eine Kleinigkeit, um dir zu zeigen, wie stolz ich auf dich bin, Madel.«
»Eine Kleinigkeit? Na, Vater, ich weiß net recht. Ist das nicht übertrieben?« Loni nahm das Schmuckstück wieder ab und drückte es Konrad in die Hand. »An Weihnachten freue ich mich auch noch drüber«, versicherte sie ihm. Dann wandte sie sich an ihre Schwester Ursula, mit der sie sich gerne in aller Ruhe unterhalten wollte.
Der Großbauer nahm dies zum Anlass, Gesinde und Hotelangestellte wieder an die Arbeit zu scheuchen.
»Sei halt net so ungemütlich, Konrad«, bat seine Frau. »Wir hätten ruhig noch ein bisserl im großen Rahmen feiern können. Selten genug kommt das bei uns vor.« Die gepflegte Bäuerin wirkte unzufrieden. »Unser gesellschaftliches Leben lässt in letzter Zeit sehr zu wünschen übrig.«
»Das Geld verdient sich net von selbst«, versetzte Konrad mit gedämpfter Stimme. »Ich mein das Geld, das du so gerne und mit vollen Händen ausgibst.«
Johanna hob pikiert eine Augenbraue und wandte sich ab. Sie gesellte sich zu Ursula und Loni, die zusammen auf dem Sofa saßen und sich angeregt unterhielten.
»Dann werde ich also bald Tante«, meinte Loni gerade und drückte ihre ältere Schwester an sich. »Ich freu mich für dich, Ursel! Gewiss ist der Markus arg stolz auf euer erstes Butzerl, net wahr?«
Ursula, ebenfalls blond, aber mit wenig ausdrucksvollen Gesichtszügen und einer bereits in jungen Jahren eigentlich zu üppigen Figur, lächelte. Sie verfügte über eine Gemütsruhe, die fast schon an Gleichgültigkeit grenzte.
»Ja, freilich freut er sich. Er geht doch auf einen Hoferben aus.«
Dominik betrat nun die gute Stube und begrüßte Loni herzlich.
»Tut mir leid, dass ich ein bisserl später komme, aber ich hatte noch in der Stadt zu tun. Na, Schwesterherz, wo steckt er, dein Herzbube? Oder willst du mir etwa erzählen, dass du in München net fündig geworden bist?« Er lachte und steckte Loni damit an.
»Ja, weißt du, den einen oder anderen Burschen gab es schon, der mir gefallen hat. Aber nix Ernstes. Mein Herz ist noch frei. Im Gegensatz zu dir, dich scheint es ja in der Zwischenzeit erwischt zu haben, oder?«
Dominik erschrak unmerklich, bevor ihm bewusst wurde, dass seine Schwester von Gisi sprach. Da fand er gleich zu seiner lockeren Art zurück und meinte: »Na ja, so eine Verlobung, die kann nicht schaden, nicht wahr? Schließlich braucht es auch bei uns die so wichtigen Erben, und das gleich für den Hof und das Hotel.«
Seine Mutter bedachte ihn mit einem tadelnden Blick.
»Red net so daher, Dominik, das gehört sich nicht. Wie geht’s übrigens der Gisi? Du warst doch heut bei ihr.«
»Alles in bester Ordnung«, versicherte er ihr leichthin.
»Und wann wollt ihr heiraten?«, fragte Loni interessiert.
»Steht noch net fest. Ich glaub, der alte Haselbeck will erst sichergehen, dass er sich mit mir was Ordentliches in die Familie holt. Immerhin ist die Gisi ja seine Einzige.«
Johanna erhob sich, offenbar hatte sie keine Lust mehr, sich die lockeren Reden ihres Filius weiter anzuhören. Auch Ursula verabschiedete sich, sie musste heim.
»Wir sehen uns aber bald, net wahr?«, fragte Loni sie. »Ich komme in den nächsten Tagen mal bei euch vorbei.«
Ursula hatte nichts dagegen. In ihrer schwerfälligen Art erklärte sie: »Ich freu mich, der Markus gewiss auch.«
»Die Ursel wird immer lahmer«, stellte Dominik fest, als er mit Loni allein war. »Wenn das so weitergeht, wird sie bald eine oder zwei Stunden früher aufstehen müssen, um ihre Arbeit zu schaffen.«
»Geh, sei net so frech«, mahnte die Schwester ihn nachsichtig. »Die Ursel ist schon in Ordnung.«
»Dass sie beim Heiraten nur aufs Geld geschaut hat, weißt du aber, oder?«
»Red net. Die Ursel ist nicht berechnend. Sie hat den Markus gern, sonst hätte sie ihn nicht geheiratet. Freilich ist mir klar, dass der Vater diese Ehe eingefädelt hat. Ganz bin ich ja schließlich auch net auf den Kopf gefallen.«
Ihr Bruder lachte. »Ganz und gar net, stimmt eher. Aber du hast eben von deinen Mitmenschen eine viel zu hohe Meinung. Das solltest du dir noch abgewöhnen.«
»Ich denk net dran. Sonst müsste ich ja annehmen, dass du die Gisi auch nur aus Berechnung heiraten willst.«
»Und wenn’s so wäre?« Dominik erhob sich und goss zwei Stamperln mit Enzian voll. »Oder magst net?«
»Eigentlich ist es dafür noch zu früh am Tag. Aber zur Feier des Tages …« Loni kippte den Schnaps und schüttelte sich. Ihr Bruder lachte.
»Der ist gut, gelt?« Er drehte das leere Stamperl zwischen den Fingern und betrachtete es nachdenklich. So klang auch seine Stimme, als er Loni zugestand: »Ganz unrecht hast du net. Die Gisi ist nicht unbedingt meine Traumfrau. Aber ich hab was Solides zum Heiraten finden müssen. Und da war sie in jeder Beziehung für mich die erste Wahl.«
»Du meinst, was nebenher so läuft, geht keinen was an?«
Dominik seufzte. »Loni, mein Madel, ich stelle fest, dass du mich viel zu gut kennst. Aber im Ernst, wir sind erwachsen, keine Kinder mehr, die ihren Instinkten folgen können. Es gibt eine Menge Rücksichten zu nehmen, und vieles ist zu bedenken, damit man sich sein Leben so einrichtet, dass es rund läuft.«
Loni schien anderer Meinung zu sein. »Wenn man sich verliebt, sollte man ans Heiraten denken und dabei net aufs Bankkonto schielen, finde ich. Das ist auch der Grund, weshalb ich noch alleine bin.«
Sie lächelte verschmitzt, und ihre klaren blauen Augen funkelten dabei schelmisch. »Der Blitz hat nämlich noch net eingeschlagen, wenn du verstehst, was ich damit sagen will …«
Dominik grinste. »Bei mir gab’s schon viele Einschläge.«
»Aber keinen, der durchgegangen ist«, malte Loni das Bild weiter. »Gibt’s denn keine, die dir das Herz erwärmt, an die du nur denken musst, um lächeln zu können, und deren Bild dir am Morgen als Erstes in den Sinn kommt? Das wäre die Rechte.«
»Du hast Ideen.« Dominik schnaubte. »Damit kommst du dem Vater besser net, der wird dir was anderes erzählen.«
»Schau, Bruderherz, ich möchte mein Leben so leben, dass ich zufrieden bin, vielleicht sogar glücklich. Es muss ja net unbedingt die ganz große Liebe sein. Aber ich will es weder so machen wie die Ursel noch mir ein Kartenhaus aufbauen, hinter dem ich die Wirklichkeit verstecke.«
»Damit bin dann wohl ich gemeint.«
»Vielleicht … Wenn du dir den Schuh anziehst. Wir sind doch so erzogen worden, dass es immer nur um Geld und Leistung gegangen ist. Aber ich finde, das kann einfach net alles im Leben sein. Schau doch mal rüber zu den Seidels. Sie haben weniger, aber sie machen mehr draus. Und zufrieden scheinen sie auch zu sein. Irgendwann muss man sich entscheiden, was man aus sich macht. Ich mag net nur ein Abziehbild von den Eltern werden.«
»Mei, Loni, heut Morgen hab ich mich noch gefragt, wie sich meine kleine eigenwillige Schwester wohl in München verändert hat. Und nun stell ich fest, du bist allerweil noch die Alte. Dann werde ich wohl in Zukunft mit einem Freigeist mein Büro teilen müssen. Ob das gut gehen kann?«
»Red keinen Schmarrn. So weit ist es gar net her damit. Ich wünsch mir auch eine Familie, Kinder, das Übliche halt, wenn du so willst. Aber es soll eben net alles nur aufs rein Materielle abgestimmt sein, das Gefühl muss dabei auch eine Rolle spielen.«
Dominik lächelte vielsagend. »Sag ich doch, du Freigeist.«
Sie knuffte ihn in die Seite und schlug vor: »Gehen wir rüber, ich würde mich gern umschauen und schon ein bisserl einarbeiten. Ab morgen hast du dann eine neue Empfangsdame.«
»Ich hab nix dagegen. Übrigens, was die Seidels angeht, der Michael hat sich zum Schnitzer entwickelt. In der Weihnachtsmette kannst du eine Heilige Familie bewundern, die von seiner Hand stammt.« Dominik sagte das ohne einen Hauch von Neid, dafür aber mit ehrlicher Anerkennung.
»Dann macht er nimmer den Jungbauern drüben?«
»Doch, das Schnitzen ist nur sein Hobby.«
»Ist er schon vergeben? Ich hab ihn seit Schulzeiten nimmer gesehen, dafür haben die Eltern gesorgt mit ihren Hassparolen. Eigentlich schade, immerhin sind wir ja doch Nachbarn.«
Der Bursche erhob sich und reichte seiner Schwester die Hand. »Der Michael ist noch allein, falls du Absichten hast …«
Loni legte ihre Rechte hinein, bedachte ihn zugleich aber mit einem sehr strengen und auch tadelnden Blick. »Du hast vielleicht Ideen. Das fehlte noch.«
»Warum denn net?« Er dachte an Babette und verlor sich für einen Moment in seinen Gedanken. Erst als seine Schwester ihn forschend musterte, grinste er schief und behauptete eine Spur zu schnell: »Nix für ungut, war nur ein Spaß.«
***
Zeitig am nächsten Morgen verließ Dominik das Haus und brauste mit seinem Sportflitzer vom Hof.
Am Vortag hatte er Loni in ihre neuen Aufgaben eingewiesen und erfreut festgestellt, dass sie ihren Beruf beherrschte. Er hatte nicht viel erklären müssen, denn seine Schwester war mit den Abläufen in einem Hotelbetrieb bestens vertraut. Das sollte ihm nur recht sein. So blieb ihm etwas mehr Freizeit, die er nach Gusto verbringen konnte. Dass er nicht zu Gisi fuhr, wie er daheim behauptet hatte, verstand sich dabei fast von selbst.
Auch an diesem Morgen passte er Babette Seidel an der Bushaltestelle ab. Seinem charmanten Lächeln und seiner freundlichen Einladung würde sie gewiss irgendwann nicht mehr widerstehen können, davon war er überzeugt.
Als sie dann tatsächlich einstieg, machte sein Herz einen ebenso freudigen wie überraschten Hüpfer. Kurz betrachtete er ihr makelloses Profil und lief schon wieder Gefahr, ins Träumen abzudriften.
Da bedachte sie ihn mit einem ziemlich schnippischen Blick und fragte: »Fährst du heut noch los? Oder soll ich doch besser den Bus nehmen?«
Dominik gab zu hastig Gas und hätte sein Geschoss beinahe abgewürgt, was dazu führte, dass er rot wurde und sich ärgerte.
Babette hingegen schmunzelte still vergnügt vor sich hin und schien bester Laune zu sein.
Auf der Fahrt nach Mittenwald fragte sie ihn nach Loni. »Der Vater hat gesehen, dass deine Schwester wieder heimgekommen ist. Wird sie denn jetzt in Fischen bleiben, oder geht sie wieder nach München zurück?«
»Sie bleibt. Wir führen den ‚Hirschenʼ gemeinsam. Zunächst wird sie mal die Rezeption übernehmen, das liegt ihr am meisten. Aber im Grunde hat das Haus jetzt zwei Chefs, wenn du so willst.«
»Großzügig von dir. Net jedes Mannsbild würde seine Arbeit mit einem Dirndl teilen. Auch wenn’s die eigene Schwester ist.«
»Du hältst mich wohl für einen Macho.«
»Bist du das denn net? Ich dachte, ihr Zimmermanns stellt in jeder Generation den Platzhirsch im Tal.«
Nun musste Dominik doch herzlich lachen. »Madel, du bist net ohne. Ich muss zugeben, dass mir das gefällt. Magst net einmal mit mir ausgehen?«
Babette machte ein skeptisches Gesicht. »Das lassen wir lieber. Ich hab net vor, die x-te Nummer auf deiner Liste zu werden. Außerdem wüsste ich net, wohin wir gehen sollten. Du weißt doch selbst, dass zwischen uns nix laufen kann.«
»Warum eigentlich? Wegen dieser dummen, alten Sache zwischen den Vätern? Ich bitt dich, Betti, das ist doch wirklich Schnee von gestern. Davon sollten wir unser Leben net beeinflussen lassen. Uns geht das doch gar nix mehr an.«
»Ich will mir die Finger net verbrennen.« Sie deutete nach vorne. »Da kannst du mich absetzen. Danke fürs Mitnehmen. Und … viele Grüße an deine Schwester. Vielleicht sehen wir uns ja mal im Dorf. Ich mag die Loni nämlich.«
»Und mich magst net ein bisserl?« Er seufzte. »Du brichst mir das Herz, ist dir das klar?«
»Und wenn schon. Ich möchte net wissen, wie viele Herzen du bereits gebrochen hast. So was nennt man ausgleichende Gerechtigkeit. Pfiat di!«
Dominik schaute Babette mit einem bedauernden Blick hinterher. Sie war so süß, so lustig und frech, dass es ihm das Herz wärmte. Wenn sie in seiner Nähe war, fühlte er sich einfach nur rundum glücklich und zufrieden. Bestürzt dachte er an die Worte seiner Schwester. Hatte sie nicht behauptet, dass ein solches Madel die Rechte für ihn wäre?
Rasch schob er diesen Gedanken weit von sich und machte sich auf den Rückweg nach Fischen. Daran, bei Gisi vorbeizuschauen, dachte er gar nicht …
Babette träumte den ganzen Vormittag mit offenen Augen von Dominik. Sie wollte es sich selbst nicht eingestehen, aber die Begegnung mit dem Burschen und die kurze gemeinsame Fahrt hatten ihr mehr als gut gefallen. Sie war sogar in Versuchung gewesen, seine Einladung anzunehmen. Aber dann hatte doch die Vernunft gesiegt. Trotzdem bekam sie Dominik nicht aus dem Kopf. Das war schon mehr als bedenklich …
Als das Madel am Nachmittag in Fischen aus dem Bus stieg, lief ihr Michael über den Weg. Er kam gerade aus der Kirche, wo er seinen Heiligen Florian abgegeben hatte.
»Sag nur, du hast wieder nix genommen für die Figur«, wollte das Madel mit leisem Vorwurf in der Stimme wissen. »Ach, Michi, wie kannst du deine Kunst nur so verschleudern?«
»Das tu ich gar net. Der Florian gehört in die Kirche, dafür ist er gemacht. Es wäre einfach falsch, daraus Kapital zu schlagen. Dann wär ich ja net besser als die Nachbarn.«
»Meinst du die Zimmermanns?«
»Freilich, bei denen dreht sich doch alles nur ums Geld.« Er machte eine wegwerfende Geste. »Ich würde mich schämen, wenn ich so denken würde. Das ist net recht.«
Seine Schwester sagte dazu nichts, auch wenn sie etwas anderer Meinung war. »Die Loni ist wieder da«, wechselte sie das Thema.
»Ja, ich weiß, der Vater hat’s auch schon gesagt. Ich frag mich nur, was uns das angeht«, brummte Michael ablehnend.
»Wir sind Nachbarn. Das scheinst du zu vergessen. Wie lange hast du die Loni jetzt nimmer gesehen?«
»Net lang genug«, kam die abweisende Antwort. »Sie ist die Tochter des Mannes, der unser größter Feind ist.«
»Mei, Michi, wann wirst du endlich aufhören, dich zum Sprachrohr vom Vater zu machen? Die Loni ist ein nettes Madel.«
»Das geht mich nix an. Und es ist mir außerdem ganz einerlei, weil ich nämlich nix mit ihr zu schaffen hab.« Er hob den Blick gen Himmel und lächelte ein wenig. »Es fängt an zu schneien. Dann ist die Skisaison nimmer fern.«
»Gib nur acht, dass du mit deinen starren Prinzipien net ins Schleudern gerätst«, riet Babette ihm ärgerlich und verschwand vor ihm im Haus.
Michael hob fragend die Augenbrauen. Was war denn mit einem Mal in seine Schwester gefahren? Sie ging doch sonst nicht so aufs Streiten aus. Hatte sie einen schlechten Tag erwischt?
***
In den nun folgenden Wochen arbeitete Loni sich spielend leicht in ihre neuen Aufgaben ein. Sie hatte eine nette, natürliche Art, die nicht aufgesetzt war und bei den Gästen gut ankam. Mit ihrem Bruder verstand sie sich wie in alten Zeiten. Nach und nach übernahm sie mehr Verantwortung und bewies, dass sie ihrer Arbeit jederzeit gewachsen war.
Konrad lobte seine Tochter immer wieder, er war sichtlich stolz auf das tüchtige Madel. Die Mutter hielt sich eher zurück. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn Loni nach einer passenden Partie Ausschau gehalten hätte, statt den ganzen Tag mit Arbeit zu verbringen. Freilich hatte das Madel aber auch Freizeit.
Loni war schon als Kind sportlich gewesen und hatte das erste Mal mit fünf Jahren auf Skiern gestanden. Sie freute sich jedes Jahr, wenn der Winter kam und tüchtig Schnee brachte, denn sie war mittlerweile ein Ass auf ihren Brettern. Und in diesem Jahr gab es schon Ende November eine genügend dicke Schneedecke, um an die ersten Abfahrten zu denken.
Als Loni beim gemeinsamen Frühstück mit ihren Eltern und Dominik erwähnte, dass sie am Wochenende Ski laufen wollte, machte ihre Mutter allerdings ein missbilligendes Gesicht.
»Magst du net mit mir nach Mittenwald fahren, Loni? Da gibt es ein paar sehr interessante neue Geschäfte. Und deine Garderobe könnte gewiss die eine oder andere Neuanschaffung vertragen.«
»Ich geh lieber Ski laufen«, versetzte das Madel unverdrossen. Und mit einem vielsagenden Blick in Richtung ihres Vaters fügte sie noch hinzu: »Das kostet nix.«
Konrad schüttelte leicht den Kopf. »Was haben wir nur für eine sparsame Tochter, net wahr, Hanni? Woher sie das wohl hat?«
Darauf erhielt er keine Antwort, und wenig später fuhr Johanna dann allein in die Stadt.
»Kommst du mit?«, fragte Loni ihren Bruder am frühen Nachmittag. »Wir können ja zum Bergwaldsteig fahren. Dort sind die Abfahrten net allzu anspruchsvoll.« Sie lächelte ihm aufmunternd zu. »Bis du wieder Routine hast.«
»Ne, danke schön. Ich kenne deinen Fahrstil, Schwesterherz. Und ich hab keine Lust, Weihnachten mit einem Gips durch die Gegend zu humpeln.«
Loni grinste. »Angsthase. Du hast wohl was anderes vor.«
»Ich muss noch arbeiten«, behauptete er. »Einer sollte ja schließlich präsent sein, wenn du schon sporteln gehst.«
»Also schön, wie du willst. Aber du versäumst was, glaub mir.«
»Ich kann es mir denken.« Er vertiefte sich wieder in die Arbeit, allerdings ließ seine Konzentration ziemlich zu wünschen übrig. Immer wieder wanderte sein Blick durchs Fenster und zum Nachbarn hinüber.
Babette hatte am Samstag frei. Als sie sich das letzte Mal »zufällig« über den Weg gelaufen waren, hatte er sie noch einmal eingeladen, den Abend mit ihm zu verbringen. Das schöne Madel von nebenan hatte dabei einen eher unschlüssigen Eindruck auf ihn gemacht, auch wenn er sich wieder einmal einen Korb eingefangen hatte. Doch etwas in Babettes Augen verriet ihm, dass sie ihn mochte. Er musste nur am Ball bleiben …
Und seine Ausdauer wurde belohnt, denn wenig später verließ Babette das Nachbarhaus mit einem Einkaufskorb. Wollte sie nach Mittenwald, noch etwas besorgen? Das war sein Stichwort!
Dominik beeilte sich sehr. Wieder einmal war er vor dem Linienbus an der Haltestelle, doch leider war Babette nicht zu sehen. Hatte er sich getäuscht?
Da fiel ihm der kleine Kramladen in der Dorfmitte ein. Womöglich wollte das Madel dort ja ein paar Kleinigkeiten besorgen. Rasch stellte er seinen Flitzer ab und machte sich auf den Weg zum Geschäft von Alma Doplinger. Und tatsächlich – drinnen konnte er Babette ausmachen, die gerade mit der Krämerin redete. Geduldig wartete er vor dem Laden.
Als sie herauskam, grüßte er freundlich und behauptete: »Das ist ja ein Zufall, dass wir uns da treffen. Darf ich dich vielleicht heimbringen? Und den Korb, den gibst du mir bitte auch, den musst du ja net selbst schleppen.«
Babette war zu überrascht von diesem »Überfall«, um gleich zu reagieren. Als Dominik ihren Einkaufskorb nahm, meinte sie aber kühl: »Das brauchst du jetzt wirklich net. Die paar Meter bis nach Hause schaffe ich gewiss, ohne gleich zusammenzubrechen.«
Er zögerte, und sie bemerkte, dass er ehrlich enttäuscht war. Obwohl es nicht sein sollte, rührte dies ihr Herz.
»Hast du schon was vor heute Abend?«, fragte er nach einer Weile, in der sie schweigend nebeneinanderher gegangen waren. »Wenn net, würde ich dich gerne einladen.«
»Du gehst wohl auf einen weiteren Korb aus«, scherzte sie.
Er lachte und ging auf ihren Ton ein. »Freilich, für meine Sammlung. Also, nur her damit.«
Da sie sich bereits ihrem Elternhaus näherten, blieb das Madel stehen und musterte seinen Begleiter aufmerksam. »Was versprichst du dir eigentlich davon, Dominik? Du weißt doch ganz genau, dass zwischen uns nix läuft. Es hätte keinen Sinn, ich mein … es hätte einfach keine Zukunft.«
»Ja, ich weiß. Und ich weiß auch, dass du mich für einen unverbesserlichen Schürzenjäger hältst.«
»Darum geht es gar net.«
»Etwa um diese alte Fehde zwischen unseren Vätern? Ich bitte dich! Dahinter sollten wir uns wirklich nicht verstecken.«
Babette nahm ihm den Korb ab. »Ich hab mich noch nie versteckt, das hab ich net nötig«, stellte sie klar. »Aber mein Vater ist nun mal der Meinung, dass dein Vater ihm bitteres Unrecht angetan hat. Ich kann es net beurteilen, denn ich war damals noch net auf der Welt. Und wenn du mich fragst, ist das wirklich schon lange her.«
»Aber ich respektiere meinen Vater«, fuhr sie fort, »und werde ganz gewiss nix hinter seinem Rücken tun. Deshalb wäre es wohl das Beste, du lässt mich in Zukunft in Ruhe und verbringst deine Freizeit mit deiner Verlobten.«
»Woher weißt du denn …«
»Die Loni hat mir erzählt, dass du seit einer Weile verlobt bist.« Sie warf ihm einen spitzen Blick zu. »Meinen Glückwunsch dazu. Und jetzt pfiat di!« Sie eilte davon, so schnell sie konnte, denn es fiel Babette gar nicht so leicht, Dominik abblitzen zu lassen, im Gegenteil. Sie mochte ihn, und zwar viel mehr, als gut für sie sein konnte.
Er ist unehrlich, er ist ein Hallodri und er ist ein Zimmermann, diesen Spruch wiederholte sie ständig, während sie versuchte, Dominik zu vergessen. Aber es funktionierte nicht. Die Sehnsucht in ihrem Herzen blieb. Zu ihr gesellte sich nun auch noch ein handfester Liebeskummer, der Tränen im Gepäck hatte. Eine schöne Bescherung war das!
***
Während ihr Bruder sich vergeblich bemühte, Babette ein wenig näherzukommen, genoss Loni die erste Abfahrt dieses Winters. Trotz des wenig angenehmen Wetters machte es Spaß, talwärts zu sausen. Es war kalt, der Schnee in einem beinahe perfekten Zustand. Da störten der graue Himmel und die nebelverhangenen Bergspitzen kaum. Loni hatte sich die Westseite der Hohen Mulde ausgesucht, die lange, teils recht steile Abfahrten bot.
Hier gab es auch einen Skilift, der allerdings noch nicht in Betrieb war. Erst Anfang Dezember, wenn die Wintersportsaison begann, konnte man damit nach oben schweben. Nun blieb nur der Steig, der steil und anstrengend war. Loni machte das nichts aus. Als Kinder waren sie immer auf diese Weise nach oben gekommen, da wäre keiner auf die Idee verfallen, den Lift zu nehmen. Und wenn, hätten die anderen ihn ausgelacht.
Bei ihrem zweiten Aufstieg dachte das Madel an diese Zeit zurück. Damals, als sie mit Dominik und Ursula die Hänge hinabgesaust war und unbeschwert die Weihnachtsferien genossen hatte. Nun war sie allein. Ursula würde sich um keinen Preis mehr auf Bretterln stellen. Und Dominik hatte andere »Hobbys«. Die Zeiten änderten sich, auch wenn manches gleich blieb. So zum Beispiel das herrliche Gefühl, den Berg hinabzuwedeln.
Loni lachte, als der Wind ihr das Haar zerzauste und die vertraute Bergwelt wie ein Schatten an ihr vorbeiflog. Doch was war das? Plötzlich hatte sie das seltsame Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Sie hörte einen scharfen Zuruf, und im nächsten Augenblick wurde sie von einer harten Welle aus Schneekristallen eingehüllt und verlor kurz die Orientierung.
Ein knapper Fluch drängte sich über ihre Lippen, wurde aber von einem panischen Schrei übertönt, als sie mit dem rechten Ski gegen etwas stieß, ihr Bein nach oben gerissen wurde und sie die Balance verlor.
Loni versuchte vergeblich, den Stoß auszugleichen. Sie überschlug sich immer und immer wieder. Die Welt rings um sie herum wurde zu einem wirbelnden, dröhnenden, weißen Verderben, aus dem es kein Entrinnen gab.
Während sie versuchte, sich klein zu machen, um einen Knochenbruch zu verhindern, schoss ihr ein grausamer Gedanke durch den Kopf: Sie hatte völlig die Orientierung verloren. Wenn sie nicht geradeaus nach unten gefallen war, sondern nach rechts, dann war es möglich, dass sie auf den steilen Abbruch über der Klamm zuraste. Und dann gab es für sie keine Rettung!
Das Madel versuchte, seine nähere Umgebung auszumachen, aber es war unmöglich. Loni sah nichts außer Schnee. Er schien überall zu sein, erfüllte die Luft und nahm ihr jede Möglichkeit, sich zu orientieren. In diesen schicksalhaften Sekunden schloss sie mit ihrem Leben ab. Denn wer oder was sollte sie nun noch retten? Das war ganz unmöglich.
Unversehens aber knallte Loni wieder gegen ein Hindernis. Ein heißer Schmerz schoss durch ihren Körper, dem eine dumpfe Benommenheit folgte. Dann wagte sie es, die Lider einen Spaltbreit zu öffnen.
Sie blickte in ein gut geschnittenes Männergesicht mit klaren grauen Augen, die sie durchdringend und zugleich bestürzt anschauten. Etwas an diesem Gesicht war ihr seltsam vertraut. Aber in ihrem jetzigen Zustand konnte sie es einfach nicht einordnen. Allerdings erschien ihr der Mann im Skianzug, der sie in den Armen hielt, wie ihr rettender Engel.
»Was … ist passiert?«, krächzte sie tonlos.
»Du hast mich geschnitten, Madel. Und du wärst fast in der Klamm gelandet. Mei, hast du mir einen Schrecken eingejagt!« Er half ihr aufzustehen und wollte wissen: »Bist du verletzt?«