Heimat-Roman Treueband 69 - Sissi Merz - E-Book

Heimat-Roman Treueband 69 E-Book

Sissi Merz

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 227: Als Anni sich verführen ließ
Bergkristall 308: Als ihr Mann die Fremde küsste
Der Bergdoktor 1811: Eine kranke Seele
Der Bergdoktor 1812: Endlich kann Sofia lachen
Das Berghotel 164: Weil ihr nichts heilig war
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 596

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Sissi Merz Carola Martin Andreas Kufsteiner Verena Kufsteiner
Heimat-Roman Treueband 69

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2016/2018 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten. Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln Covermotiv: © Prostock-studio / Shutterstock ISBN: 978-3-7517-6505-3 https://www.bastei.de https://www.luebbe.de https://www.lesejury.de

Heimat-Roman Treueband 69

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Alpengold 227

Als Anni sich verführen ließ

Bergkristall - Folge 308

Als ihr Mann die Fremde küsste

Der Bergdoktor 1811

Eine kranke Seele

Der Bergdoktor 1812

Endlich kann Sofia lachen

Das Berghotel 164

Weil ihr nichts heilig war

Guide

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Contents

Als Anni sich verführen ließ

Sie war zu jung, zu schön – zu unerfahren

Von Sissi Merz

Fröhlich, sorglos und bezaubernd schön ist die junge Mayerhofer-Anni, die als Pflegerin des Altbauern auf den Erlinger-Hof kommt. So wundert es nicht, dass gleich beide Erlinger-Söhne die schöne Anni für sich gewinnen wollen. Zunächst sieht es so aus, als flöge ihr Herz dem Stilleren der Brüder, Andreas, zu. Doch Florian, der geübte Herzensbrecher und Hallodri, versteht es mit seiner Charmeoffensive, Anni zu bezaubern und zu verführen. Nach einem romantischen Abend voller verheißungsvoller Blicke und verstohlener Zärtlichkeiten gelingt es ihm, Anni in seine Arme – und in seine Kammer – zu locken. In dieser stürmischen Nacht voller Glück und Leidenschaft meint Florian vielleicht auch seine Liebesschwüre ernst und träumt selbst von lebenslangem Glück und ewiger Liebe. Doch während Anni jedes seiner Worte glaubt, lockt Florian schon am nächsten Morgen eine andere Schöne – und Anni bleibt enttäuscht und tief verletzt zurück …

Es war Anfang September, und am zeitigen Morgen lag noch leichter Nebel in den Ackermulden, über den Weiden und über den Koppeln rund um den Erlinger-Hof in Oberbach.

Das prächtige Anwesen, ein Erbhof in der fünften Generation, lag am Ortsrand, eine private Allee von schlanken Linden führte zum kunstvoll gepflasterten Wirtschaftshof, dessen Mitte eine fast hundertjährige Kastanie einnahm. Haupthaus und Nebengebäude bildeten ein U, der gesamte Komplex aus Wohn- und Gesindehaus, Stallungen, Remise und Schober mutete wie ein Gutshof an. Alles war gepflegt und vermittelte den Eindruck von beständigem Wohlstand.

Eintracht und Bedächtigkeit strahlte der Erlinger-Hof aus, und man konnte meinen, dass die Menschen hier ein angenehmes Leben hatten. Doch der äußere Schein trog.

Während draußen ein ruhiger Herbstmorgen begann, saß der Jungbauer Andreas Erlinger hinter seinem Schreibtisch und schrieb ein Zeugnis für die Pflegerin Renate Beisel. Die herbe Frau mittleren Alters, die zupackend war und vor nichts so leicht zurückschreckte, war nun endgültig am Ende mit Nerven und Geduld. Sie war kurz zuvor mit bleicher, verkniffener Miene am Frühstückstisch erschienen und hatte nachdrücklich ihre Kündigung ausgesprochen, wobei aus dem oberen Stockwerk der Altbauer Verwünschungen gebrüllt hatte.

Für Andreas war dies leider nichts Neues. Frau Beisel hatte bereits zwei Vorgängerinnen, seit Bonifaz Erlinger vor einem Jahr als Pflegefall aus dem Spital in Bayrischzell heimgekehrt war.

Der Altbauer hatte ein besonderes Talent entwickelt, seine Pflegerinnen in kürzester Zeit an den Rand ihrer nervlichen Belastbarkeit zu bringen und sie dann sozusagen genüsslich über die Klippe zu schubsen. Er setzte alles ein, von scheinbarer geistiger Verwirrung über körperliche Gebrechlichkeit bis hin zu grandiosen Tobsuchtsanfällen. Half nichts davon, wie nun im Falle Beisel, scheute er auch nicht davor zurück, offen zu drohen oder mit dem Hirschfänger zu werfen.

Nach dem Schlaganfall war der Altbauer wochenlang kaum ansprechbar gewesen. Er hatte einen Monat im Spital verbracht und danach noch ein halbes Jahr in einer Rehaklinik. Sein jetziger Zustand, da waren sich die Ärzte einig, würde sich nicht mehr ändern. Er konnte sich verständlich machen, die einseitige Lähmung des Gesichts war nur noch minimal, seine körperlichen Funktionen waren fast wieder als normal zu bezeichnen und er konnte auch noch einige Schritte allein gehen.

Insgesamt benötigte er jedoch Hilfe. Und die, der Meinung waren seine Söhne Andreas und Florian ausnahmsweise beide, musste von professioneller Seite geleistet werden.

Andreas führte den Hof, sein jüngerer Bruder den Viehhandel. Ihnen blieb keine Zeit, um den Vater zu pflegen, doch das wollte dieser nicht hinnehmen.

Bonifaz Erlinger war ein grenzenloser Egoist, ein Tyrann, wie er im Buche stand. Nun, da er nicht mehr über den Erbhof herrschen und seine Familie und das Gesinde tyrannisieren konnte, rächte er sich zumindest, indem er seinen Söhnen das häusliche Umfeld durch ständigen Unfrieden verleidete.

Florian war dies herzlich egal. Der Luftikus kam nur zum Schlafen heim, und das auch nicht regelmäßig. Andreas hingegen musste das unmögliche Verhalten des Vaters täglich ertragen.

»Ich kann es Ihnen net verdenken, dass Sie das Handtuch werfen, Frau Beisel«, sagte der Jungbauer nun zu der Pflegerin und reichte ihr das Zeugnis. »Und ich nehme an, Sie werden auch kaum bleiben wollen, bis wir Ersatz gefunden haben, oder? Wenn wir vielleicht einen Extrabonus aushandeln …«

Das runde Gesicht der Pflegerin verschloss sich und wurde abweisend.

»Sie sind ein netter Mensch, Herr Erlinger«, stellte sie kategorisch klar. »Ihnen zulieb tät ich bleiben. Aber was Ihr Vater mir heut angetan hat, das geht zu weit. Ich hab mich net über all die absichtlichen, unappetitlichen Sauereien beschwert, allerdings kann ich nimmer drüber lachen, wenn mir einer mit dem Messer droht.«

Sie nahm das Zeugnis und fügte noch erbost hinzu: »Nur Ihnen zulieb verzichte ich auf eine Anzeige. Aber Sie müssen Ihrem Vater ins Gewissen reden. So kann das net mit ihm weitergehen. Im Grunde gehört er in eine Anstalt!«

»Ich werde auf ihn einwirken. Und ich dank Ihnen für Ihr Verständnis«, sagte Andreas begütigend. Er begleitete die Pflegerin noch zur Haustür. Nachdem diese sich hinter ihr geschlossen hatte, seufzte der Jungbauer bedrückt auf.

»Schon wieder hat er eine geschafft«, merkte da die alte Hauserin Rosa an. Sie war die gute Seele des Erlinger-Hofes, seit über dreißig Jahren kümmerte sie sich um Haus und Hof und genoss Familienanschluss. Und sie war die Einzige, die dem Altbauern etwas sagen durfte, ohne dass er gleich an die Decke ging. Andreas bekam von seinem Vater nur Frechheiten zu hören, und Florian nahm der Alte gar nicht ernst. Rosa aber hatte etwas an sich, das den Feuerkopf stets zur Räson brachte.

»Ich frag mich, was nun werden soll«, gab Andreas zu. »Es hat sich bereits herumgesprochen, wie der Vater sich aufführt, seit er krank ist. Wo sollen wir nur noch eine anständige Pflegerin herbekommen, die net nach einer Woche wieder das Handtuch wirft?«

»Wenn du mich fragst, braucht der Alte keine Pflegerin, sondern einen Wärter. Warum stellst keinen Pfleger ein? So ein Muskelpaket, das ihn Mores lehrt, wenn er frech wird.«

»Das hab ich gehört, und das kommt net infrage!«, rief der Alte da aus dem oberen Stockwerk. »Andreas, hier herauf, aber ein bisserl flott! Ich hab mit dir zu reden!«

»Fehlt nur noch, dass er pfeift«, spöttelte Rosa. »Lass dir nix gefallen, Bub! Das hast du net nötig.«

Der Jungbauer lächelte schmal, schenkte sich aber eine Antwort. Bekümmert nahm er die Stiege, denn er wusste, was nun folgen würde. Der Alte machte ihn schließlich täglich nieder. Ihm fiel immer etwas ein, wenn es darum ging, seinen älteren Sohn zu beleidigen und zu demütigen. Das war seine Rache, weil Andreas und Florian ihn nicht selbst pflegen wollten. Und die kostete Bonifaz jeden Tag aufs Neue gehörig aus.

Der alte Erlinger war sein Lebtag ein Mannsbild wie ein Baum gewesen. Groß und kräftig, mit breitem Kreuz und Bärenkräften. Im wettergegerbten Gesicht des kernigen Gebirglers bestachen die eisblauen Augen. Das energische Kinn und der schmale Mund sprachen von einem ausgeprägten Willen.

Die Krankheit hatte den Großbauern sichtlich altern lassen. Er war schmaler geworden, um seinen Mund lag ein bitterer Leidenszug. Doch in den hellen Augen schimmerte noch immer der eiserne Willen des ehemaligen Tyrannen. Der schien einfach nicht zu brechen, weder Krankheit noch Einschränkung zwangen ihn nieder.

Als Andreas nun die edel-rustikale Schlafkammer des Vaters betrat, wollte der als Erstes wissen: »Ist das Waschweib endlich weg?« Und das zustimmende Nicken seines Sohnes lockte ein zufriedenes Lächeln hervor, das aber nicht lange vorhielt. Gleich verfinsterte sich die Miene des Kranken wieder, und er drohte: »Dass du net auf den Gedanken kommst, mir noch so eine Schreckschraube auf den Hals zu hetzen! Schwer genug war’s, diese loszuwerden! Ich verbiete dir, mir wieder so was ins Haus zu bringen, hast mich verstanden?«

»Aber, Vater, du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert. Allein schaffst du nimmer alles«, erinnerte der Jungbauer ihn mit wahrer Engelsgeduld. »Das haben wir doch schon öfter besprochen. Sei halt vernünftig.«

»Das bin ich. Und ich sag dir, dass ich wunderbar allein zurechtkomme. Wenn ich mal net so gut rasiert bin oder nach Veilchen dufte, wen stört’s? Eine Jungbäuerin gibt’s ja hier nimmer, die sich drüber beschweren könnt.«

Er registrierte zufrieden, dass Andreas blass wurde. Schmerz flackerte in seinem Blick, doch er sagte nichts, beherrschte sich. Also stichelte der Alte weiter.

»Und dein Bruder ist eh nur selten daheim. Ja, der hat zehn Madeln an einer Hand und kann sich die Beste aussuchen. Die Elvira Habermaier wird mal ein stattliches Vermögen erben. Und was hast du uns angeschleppt? Ein Madel, das net mal Kinder hat kriegen können, ohne …«

»Sei endlich still!« Andreas wandte sich ruckartig ab, während sein Vater leise lachte.

»So empfindlich heut Morgen? Mei, tut mir das aber leid! Du könntest dir den ganzen Kampf ersparen, wenn du mir zur Hand gehen tätst, wie es eigentlich selbstverständlich sein sollte. Statt fremde Krauthexen ins Haus zu holen, solltest du …«

Andreas verließ fluchtartig die Kammer, die Tür fiel hart hinter ihm ins Schloss.

Bonifaz lächelte abfällig. Dem hatte er es wieder einmal gegeben! Seit er zu sonst nichts mehr taugte, hatte er es sich zur Lebensaufgabe gemacht, seinen Söhnen ihr Dasein so sauer wie nur möglich zu machen.

Bei Florian kam er nicht weit, denn der war oberflächlich und ließ sich auf keinen richtigen Streit ein. Andreas hingegen war ein ernster und tiefsinniger Charakter. Es machte dem Alten Spaß, auf ihm herumzutrampeln und ihn bis zur Weißglut zu reizen. Was sollte er auch sonst noch mit dem bisserl Leben anfangen, das ihm blieb?

Im Stillen war Bonifaz schon recht gespannt auf die nächste Pflegerin. Gewiss würde er im Handumdrehen herausfinden, wo ihre Schwachstellen lagen, um sie dann nach Strich und Faden fertigzumachen. Er grinste. Das Leben hatte auch noch seine Sonnenseiten, wenn man in seiner Lage war. Man musste sie nur finden und ausgiebig nutzen …

***

Gegen Mittag kam Florian heim, wie meist gut aufgelegt. Als er in die offen stehende Tür zum Arbeitszimmer trat, wunderte er sich über die angespannte Miene seines Bruders.

»Na, Andi, wieder Ärger mit dem Alten gehabt?«, fragte er lässig und ließ sich rittlings auf der Schreibtischplatte aus poliertem Wurzelholz nieder. »Nimm’s net so schwer. Er brüllt halt gern, weil er sonst nix mehr kann.«

Der Jungbauer lächelte säuerlich. »Ich wünschte, wir könnten mal die Rollen tauschen. Wenn du dir den ganzen Tag vom Vater Unverschämtheiten anhören müsstest, würdest du auch deine gute Laune verlieren, glaub mir.«

»Unbesehen. Deshalb bin ich mit unserer Arbeitsteilung ja auch so zufrieden. Gab’s was Besonderes?«

»Wieso kommst du eigentlich jetzt erst heim?«, antwortete Andreas mit einer Gegenfrage. »Die Fersen sind heut Morgen abgeholt worden. Ich dachte, du wolltest dabei sein.«

»Ich hatte Besseres zu tun …« Florian grinste frech.

Er war ein Mannsbild, das den Madeln gefiel: groß und sportlich, mit dichtem, dunklem Haar und klaren, rehbraunen Augen. Die Brüder waren beide gut aussehend. Andreas hatte etwas helleres Haar und tiefgründige, graue Augen.

So ähnlich sie einander rein äußerlich waren, so unterschiedlich waren ihre Charaktere ausgeprägt. Man konnte ohne Übertreibung sagen: wie Feuer und Wasser. Auch wenn sie verschieden dachten und selten einer Meinung waren, hielten sie doch zusammen und standen zueinander, wie es sein sollte. Der Vater hatte schon oft vergeblich versucht, die beiden gegeneinander auszuspielen.

Trotzdem verstand Andreas nicht, was sein Bruder an all den ständig wechselnden Gspusis fand, zumal er nun bereits seit einer Weile verlobt war.

»Und was sagt die Elvira dazu, wenn ihr Verlobter andere Madeln ›beglückt‹?«, spöttelte der Jungbauer.

»Was sie net weiß, macht sie net heiß.« Florian lachte leise. »Ich hab da ein Madel in Grafensee im Wirtshaus kennengelernt …« Er schnalzte genießerisch mit der Zunge. Bevor er aber ins Detail gehen konnte, wehrte Andreas ab.

»Das interessiert mich nun wirklich net. Ich mag nicht zum Mitwisser deiner Eskapaden werden.«

»Mei, Andi, manchmal frag ich mich, wie zwei Brüder so verschieden ticken können. Wäre da net die Familienähnlichkeit, ich würde glauben, dich hat ein Heiliger hier abgesetzt.«

»Werde net frech, sonst geb ich dir den Heiligen auf die Nas!«, warnte Andreas ihn nicht ganz ernst. »Und um noch mal auf deine Frage von eben zurückzukommen: Die Pflegerin hat heut gekündigt und ist auf und davon. Wir stehen also wieder ohne Hilfe da. Und der Vater lacht sich ins Fäustchen.«

»Überrascht mich keineswegs. Ehrlich gesagt hab ich mich gewundert, wie lange sie ausgeharrt hat. Die war wirklich hart im Nehmen. Nur mal aus Neugierde. Was hat den Ausschlag gegeben? Ich vermute, der Vater hat mit dem Hirschfänger gedroht.«

Der Jungbauer verzog den Mund. »Das Ganze ist net witzig. Ich bin mit meinem Latein am Ende. Wo sollen wir noch eine gescheite Pflegerin herkriegen? Es ist mittlerweile so weit gekommen, dass niemand mehr für uns arbeiten will, weil der Vater sich dermaßen unmöglich benimmt. Die Beisel hat angedeutet, dass wir ihn am besten in die Geschlossene einweisen lassen. Sozusagen als Gefahr für die Allgemeinheit.«

Florian hob die Schultern. »Keine schlechte Idee …«

»Kannst du net mal ernst sein? Wir haben ein Problem, das uns beide angeht.«

»Und wenn die Rosa sich eine Weile um ihn kümmert? Sie ist der einzige Mensch, den ich kenne, der wirklich mit ihm umgehen kann. Falls sie einspringt, übernimmt jemand anders ihre Arbeit im Haushalt. Und du kannst sie noch mit einem Bonus locken, wenn du magst.«

»Keine schlechte Idee. Aber ob die Rosa sich darauf einlässt?«

»Einen Versuch wäre es wert, finde ich.«

Allerdings wollte die Hauserin von diesem Vorschlag absolut nichts wissen. Sonst eine Seele von Mensch, die nur das Beste für »ihre« Buben wollte, lehnte sie doch kategorisch ab, als Andreas eine entsprechende Andeutung machte.

»Sei halt net gleich dagegen. Wir wollen dir diese schwere Aufgabe auch versüßen«, lockte Florian auf seine charmante Art. »Du wirst es nicht bereuen. Ein schönes Sümmerl extra, eine Reise in den Süden und …«

»Und wenn du noch eine Heizdecke und ein Silberbesteck dazulegst, ich mach’s net«, wehrte Rosa sich. »Auf gar keinen Fall, da kannst du sagen, was du willst!«

»Das versteh ich nicht«, wunderte Florian sich. »Für dich wäre es doch keine große Sach. Du weißt, wie du mit dem Alten umzugehen hast. Bei dir würde er spuren. Und uns könntest du dadurch eine Menge Scherereien ersparen. Es wird immer schwieriger, eine Pflegekraft für den Vater zu finden.«

Rosa seufzte. Sie legte die abgearbeiteten Hände in den Schoß und erklärte mit ruhiger Stimme: »Ich hab keine Lust, mir auf meine alten Tage noch eine neue Anstellung zu suchen. Darauf würde es nämlich hinauslaufen. Ihr bildet euch doch nicht im Ernst ein, dass euer Vater mich anders behandeln würde als die drei Pflegerinnen, die er bereits verschlissen hat.«

Die Brüder wechselten einen fragenden Blick, Andreas hielt Rosa entgegen: »Das kann ich mir nicht vorstellen. Er hat immer Respekt vor dir gehabt. Seit die Mama selig nimmer ist, hast du da die Stelle der Bäuerin eingenommen, zumindest was Haus und Hof angeht. Er würde es net wagen, sich bei dir so unmöglich aufzuführen wie bei den Pflegerinnen.«

»So? Meint ihr? Na, wir können es ja drauf ankommen lassen. Ich geh mal hoch und rede mit ihm. Und ich würde euch bitten, in Hörweite zu bleiben. Dann wird sich zeigen, wer richtigliegt.«

»Also gut, probieren wir es!«, meinte Florian optimistisch. Er glaubte, Rosa bereits halbwegs überzeugt zu haben. Dass sie sich ein wenig zierte, gehört wohl dazu. Was er aber dann zu hören bekam, änderte seine Meinung rasch und nachhaltig.

Die Hauserin ließ ihren Brotherrn wissen, dass sie sich von nun an um ihn kümmern werde. »Deine Buben sind der Meinung, das passt, denn wir beide kommen ja recht gut miteinander aus. Was meinst du dazu, Bauer?«

Bonifaz bekam schmale Augen, seine Stimme klang lauernd, als er wissen wollte: »Gehst auf eine Gaudi aus, Rosa?«

»Keineswegs.« Sie lächelte freundlich. »Ich werde dir bei allem, was du nimmer allein kannst, helfen.«

Der Altbauer lief rot an, dann öffnete er den Mund und schrie: »Hinaus, aber schnell! Ich dulde keine Frauenzimmer in meiner Schlafkammer. Und ich warne dich, Rosa: Einmal lässt dich noch hier blicken, dann kann der Andreas dir deine Papiere geben!«

Die alte Hauserin hob nur die Schultern und verließ mit gleichmütiger Miene die Kammer. Zu den Brüdern, die davor warteten, sagte sie: »Ich hab es doch gewusst. Er mag nix davon wissen. Und jetzt lasst mich in Ruh, sonst brennt mir noch das Essen an! In einer Viertelstunde gibt’s Mittagessen!«

Damit verschwand Rosa eilig über die Stiege nach unten und in ihrer Küche. Bonifaz hatte natürlich jedes Wort gehört, das auf dem Gang gesprochen worden war, denn sein Gehör funktionierte nach wie vor einwandfrei.

»Herein da, ihr zwei Deppen!«, donnerte er.

Florian seufzte, dann betrat er als Erster die Kammer und erklärte: »Ich verstehe net, was du gegen die Rosa hast, Vater. Genierst du dich vielleicht, weil du Hilfe brauchst? Ich finde das net schlimm, schließlich …«

»Keiner hat nach deiner Meinung gefragt«, schnitt der Alte ihm unfreundlich das Wort ab. »Und jetzt noch mal zum Mitschreiben: Ich brauch kein Weiberleut, das um mich herumwuselt und dafür noch Geld kriegt. Solange ihr zwei eurer Verpflichtung mir gegenüber net nachkommt, haben wir hier ein Problem, merkt euch das. Es liegt an euch, dies zu ändern. Und jetzt schleicht euch, ich brauch meinen Frieden.«

»Und was machen wir nun?«, fragte Florian seinen Bruder unschlüssig, nachdem sie die Schlafkammer des Vaters verlassen hatten. »Ich find, das war deutlich. Trotzdem seh ich net ein, dass ich mich zu was zwingen lass. Der Alte macht das doch nur, um uns zu schikanieren. Und da spiel ich nimmer mit.«

»Wir müssen uns fügen oder eine neue Pflegerin finden«, schloss Andreas lapidar. »Eine andere Option bleibt uns net.« Er seufzte. »Du hast recht. Es geht dem Vater weder ums Prinzip, noch geniert er sich. Er will uns herumscheuchen und nach altbekannter Manier drangsalieren.«

»Aber da spielen wir nimmer mit, gelt?«

»Freilich net. Ich frag mich nur, woher wir noch eine Kraft kriegen sollen, die hier arbeiten will. Das unmögliche Benehmen vom Vater ist mittlerweile Dorfgespräch in Oberbach.«

»Dann sollten wir uns an einen Pflegedienst in der Stadt wenden. Die können uns eine Kraft auf Zeit schicken. Wenn’s klappt, gut, wenn net, dann halt die nächste«, schlug Florian seinem Bruder vor. »Was meinst, machen wir es so?«

»Das gefällt mir nicht. Es ist der Pflegerin gegenüber nicht fair. Und der Vater wird nur immer unleidlicher. Aber ich fürchte, eine andere Möglichkeit haben wir wohl nimmer …«

***

»Inge, bist du das?« Anni Mayerhofer spitzte aus der kleinen Küche und lächelte, als sie die Schwester erblickte. »Prima, dass du schon da bist. Dann können wir noch zusammen frühstücken. Ich hab erst um neun den ersten Termin.«

Ingeborg Mayerhofer ließ sich mit einem leisen Seufzer am Küchentisch nieder. »Das war wieder ein Schlauch. Ich weiß net, was anstrengender ist. Wenn beim Nachtdienst nix passiert oder mehrere Notfälle nacheinander eingehen …«

Anni goss Kaffee ein und setzte sich zu ihrer Schwester. »War denn viel los? Erzähl, wenn du net zu müd bist!«, bat sie.

»Also, pass auf …« Während Ingeborg von ihrem Nachtdienst im Spital berichtete, vergaß Anni sogar zu essen. Sie hing an den Lippen der Älteren und hörte gespannt zu, was diese erlebt hatte. So war es schon immer gewesen …

Ingeborg Mayerhofer war Anfang dreißig und Krankenschwester im Spital von Bayrischzell. Sie arbeitete in der Notaufnahme, war eine erfahrene Kraft und bei Ärzten und Patienten gleichermaßen beliebt. Und sie war das große Vorbild ihrer um zehn Jahre jüngeren Schwester Anni.

Vor fünf Jahren waren Annis Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ingeborg war die Tochter aus Sepp Mayerhofers erster Ehe. Er war in jungen Jahren verwitwet und hatte noch einmal geheiratet. Trotz des großen Altersunterschiedes waren die Schwestern von Anfang an ein Herz und eine Seele gewesen. Nach dem plötzlichen Tod der Eltern war es für Ingeborg selbstverständlich gewesen, Anni zu sich zu nehmen und sich um sie zu kümmern. Sie hatte dem Madel Halt und sehr viel Liebe und Trost gegeben. So hatte Anni schließlich die mittlere Reife bestanden, und ihr Leben war nach dem schlimmen Schicksalsschlag nicht aus dem Ruder gelaufen.

Anni hatte die ältere Schwester schon immer bewundert. Diese war so klug und tüchtig in ihrem Beruf, dass Anni es ihr gleichtun wollte. Und das hatte sie auch geschafft. Nach dem Schulabschluss hatte sie eine Lehre als Altenpflegerin gemacht, sich noch weiter fortgebildet und schließlich ihre erste Stelle bei einem mobilen Pflegedienst angetreten. Anni ging sehr gerne mit Menschen um, und es war ihr ein Herzensanliegen zu helfen.

Ganz zufrieden war sie in ihrer Stelle aber nicht, denn sie hatte einfach viel zu wenig Zeit für jeden einzelnen Patienten. Sie wusste, dass es nicht anders ging, ihre Chefin hatte ihr das erklärt. Doch es bedrückte das empfindsame Madel, wenn einsame, alte, kranke Menschen sie noch um ein wenig Gesellschaft baten und sie ablehnen musste.

Oft besuchte Anni ihre Patienten deshalb in der Freizeit und kümmerte sich dann ausgiebiger um sie. Aber dabei blieb freilich ihr Privatleben auf der Strecke. Und Ingeborg warnte sie davor, ihr Leben einzig dem Beruf zu verschreiben.

»Das ist zu wenig, du brauchst einen privaten Ausgleich«, waren ihre Worte. »Nur dann kannst du auf Dauer mit all dem Leid und Elend umgehen.«

Anni ahnte, dass dies wohl stimmte. Ingeborg hatte schließlich viel mehr Lebenserfahrung als sie selbst. Nach mehreren Beziehungen, die alle an Zeitmangel gescheitert waren, hatte sie sich entschlossen, nur dem Beruf zu leben. Aber für Anni wünschte sie sich einfach mehr, nur das Beste.

»Jetzt muss ich mich aber schlafen legen«, seufzte sie nun und gähnte verhalten. »Bin hundemüde.«

»Und ich halt dich noch auf, verzeih mir!«, bat Anni.

»Da gibt’s nix zu verzeihen. Es tut mir ja auch gut, über die Arbeit zu reden. Man nimmt halt doch so manches mit heim, das einem nachgeht. Und du? Hast dich mittlerweile an deinen Job gewöhnt, oder bist du noch unzufrieden?«

»Es macht mir Freude, den alten Menschen zu helfen. Aber der Zeitmangel setzt mir nach wie vor zu. Wenn es da nur eine andere Lösung geben könnte …«

»Ich fürchte, darauf wirst du vergeblich warten. Auch bei eurem Pflegedienst ist alles bis aufs Letzte durchkalkuliert. Leider muss ein jeder heutzutage rentabel arbeiten. Dabei bleibt das Menschliche zwangsläufig öfter auf der Strecke. Wenn dir das net gefällt, solltest du dir vielleicht mal überlegen, eine private Pflege zu übernehmen.«

»Gibt es denn da Möglichkeiten? Ich hab schon davon gehört, mir aber noch nie Gedanken darüber gemacht.«

»Was Konkretes kann ich dir dazu net sagen. Vielleicht redest mal mit deiner Chefin, oder du lässt dich beraten. Aber mich musst jetzt entschuldigen, gute Nacht!«

»Schlaf schön«, murmelte Anni abwesend. Die Bemerkung der Schwester geisterte ihr im Kopf herum und ließ ihre Gedanken auf Wanderschaft gehen. Die Vorstellung, einen einzigen Patienten zu betreuen, ihm die ganze Zeit und Aufmerksamkeit widmen zu können, gefiel ihr. Doch wo fand man eine solche Anstellung?

Das Madel seufzte leise, dann erhob es sich und räumte rasch die Küche auf. Nun hatte Anni keine Zeit mehr, Luftschlösser zu bauen, sie musste zur Arbeit. Doch der Gedanke an eine private Pflege spukte weiterhin durch ihre Gedanken …

Es wurde ein anstrengender und hektischer Tag für Anni. Das bildhübsche blonde Madel mit den tiefblauen Augen zeigte stets Ruhe und Freundlichkeit, auch im Umgang mit den etwas schwierigeren Patienten. Schließlich schaute sie gegen achtzehn Uhr im Büro vorbei, wo ihre Chefin sie bereits erwartete.

»Gut, dass du kommst, Anni, ich hab was mit dir zu besprechen«, erklärte sie freundlich. »Setz dich!«

»Hoffentlich hat sich niemand über mich beschwert, Frau Frondorf. Der Herr Gruber war heut sehr unfreundlich zu mir.«

»Beschwert hat sich niemand. Ich kann dir versichern, dass all deine Patienten mehr als zufrieden mit dir sind«, ließ die korpulente Frau mittleren Alters Anni wissen. »Ich muss zugeben, dass ich mit dir einen wirklich guten Griff getan hab.«

»Danke!« Anni bekam vor Freude heiße Wangen. Dass sie für etwas gelobt wurde, das ihr selbstverständlich erschien und noch dazu Freude machte, war fast zu schön, um wahr zu sein.

»Deshalb mache ich dir das Angebot, das jetzt kommt, nur ungern. Denn ich möchte dich lieber hier in Bayrischzell behalten. Ein paar Jahre Berufserfahrung und du könntest als meine Nachfolgerin den Laden übernehmen, wenn ich mich zur Ruhe setze. Doch das ist Zukunftsmusik, jetzt geht’s um was anderes.«

Anni wusste nicht, was sie sagen sollte, deshalb schwieg sie lieber. Dass ihre Chefin sie aber so hoch einschätzte, machte sie stolz und glücklich.

»Ich hab hier eine Anfrage aus Oberbach. Da wird eine Pflege für einen Schlaganfallpatienten gesucht. Es handelt sich um einen Altbauern auf einem Hof. Die Pflegekraft soll rund um die Uhr verfügbar sein, das bedeutet, du müsstest dort wohnen. Als ich das gelesen hab, dachte ich gleich an dich. Du bist jung, belastbar und einfühlsam genug für diese Aufgabe. Ob du sie übernehmen willst, ist allerdings deine Entscheidung.«

»Oberbach ist net weit weg. Ich könnte am Wochenende heimkommen«, überlegte Anni.

Herta Frondorf lächelte. »Du denkst schon praktisch nach?«

»Na ja, Sie werden es nicht glauben, aber heut Morgen hab ich mit der Inge über so eine Stelle geredet. Dass Sie mir nun ein solches Angebot machen, ist schon erstaunlich.«

»Dann wärst du also grundsätzlich interessiert?«

Anni zögerte. »Ich muss erst mit meiner Schwester darüber reden. Und ich weiß auch net, ob ich mir so was schon zutrauen kann. Schließlich hab ich erst wenig Berufserfahrung.«

»Ich dafür umso mehr. Und ich hab, wie gesagt, gleich an dich gedacht, Anni. Ich glaub, du wärst die Idealbesetzung dafür.«

»Danke für Ihr Vertrauen, Frau Frondorf. Ich werde mich mit der Inge besprechen und Ihnen dann Bescheid geben, ist das recht?«

»Gewiss. Du solltest dir nur net zu viel Zeit mit einer Entscheidung lassen. Womöglich haben die Erlingers sich auch noch an andere Pflegedienste in der Region gewandt.«

»Ich verstehe. Dann entscheide ich mich, so rasch es geht!«

Als Anni wenig später heimfuhr, erfüllte noch immer ungläubiges Staunen ihr Herz. Dass ihre Chefin so große Stücke auf sie hielt und ihr eine solche Aufgabe zutraute, konnte Anni kaum fassen. Und dass gerade eine Arbeit wie gewünscht auf sie warten sollte, erschien ihr wie ein kleines Wunder.

Wie sollte sie sich entscheiden? Sie war unsicher. Zuerst musste sie mit Ingeborg reden. Die Schwester würde ihr gewiss gut raten, das hatte sie bislang immer getan. Anni lächelte vor sich hin. Egal, was sie tun würde, dies war eine wunderbare Möglichkeit, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Gewiss wartete in Oberbach ein einsamer Kranker auf sie, der für ihre Hilfe und Unterstützung sehr dankbar sein würde …

***

Ingeborg freute sich mit Anni, als sie die großen Neuigkeiten erfuhr. »Das ist doch toll! Genau das, was du dir gewünscht hast, wird dir nun auf dem Silbertablett serviert. Du musst nur noch zugreifen«, stellte sie fest. »Und was wirst du tun?«

»Wenn ich das wüsste!« Anni verdrehte die Augen. »Es gibt so vieles abzuwägen. Ich bin ganz unsicher. Je länger ich darüber nachdenke, desto verwirrter fühle ich mich.«

»Vielleicht solltest du dann einfach das machen, was dir spontan in den Sinn kommt«, schlug Ingeborg vor.

Anni lachte. »Dann würde ich gleich nach Oberbach fahren.«

»Also, was gibt’s da noch zu überlegen? Es ist genau das, was du willst. Du solltest die Chance ergreifen, finde ich.«

»Ehrlich? Du traust mir das zu? Ich hab doch noch kaum Berufserfahrung, bin erst so kurz dabei.«

»Aber du hast selbst gesagt, dass deine Chefin dich gelobt hat. Und deine Patienten sind auch mit dir zufrieden.«

»Schon. Es ist allerdings was anderes, ob man Patienten daheim besucht und ihnen hilft oder ob man ganz auf sich gestellt arbeiten und sich rund um die Uhr kümmern muss.«

»Hast du Angst vor der Verantwortung?«

»Ein bisserl schon. Schau, Inge, ich denk dabei auch an dich. Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Was immer mir am Tag so passiert, was ich erlebe, das muss ich einfach dir erzählen. Und wenn ich Kummer oder Probleme hab, dann brauche ich deinen Rat. Ich bin mir net sicher, ob ich so einfach darauf verzichten kann. Du findest das vielleicht kindisch, aber ganz allein würde ich mich verloren fühlen.«

»Das verstehe ich. Und ich freu mich, denn es ist ein Kompliment für mich und meine Qualitäten als Ersatzmutter.« Sie lächelte Anni aufmunternd zu. »Trotzdem musst du irgendwann diesen Schritt tun. Gewiss bist du noch sehr jung. Aber ich seh, wie viel der Beruf dir bedeutet. Und wenn diese Aufgabe dich wirklich reizt, dann solltest du einfach ins kalte Wasser springen. Oberbach ist net weit weg. Falls das Heimweh dich plagt oder du dich aussprechen magst, kommst her. Du weißt doch, dass ich allerweil für dich da bin.«

»Ja, das weiß ich. Und ich bin dir sehr dankbar.« Anni umarmte die Schwester herzlich, dann seufzte sie leise. »Gut, ich will es mir gründlich durch den Kopf gehen lassen und morgen dann eine Entscheidung treffen!«

In dieser Nacht fand Anni keinen Schlaf. Sie lag wach und dachte nach. Wie ein Mühlrad drehten sich die immer gleichen Gedanken, Bedenken und Unsicherheiten in ihrem Kopf und verhinderten, dass sie zur Ruhe kam. Als der Wecker klingelte, fühlte das Madel sich ganz zerschlagen. Mit müden Bewegungen stand Anni auf und schaffte es unter der wechselwarmen Dusche, halbwegs wach zu werden.

Als sie dann das Frühstück richtete, fühlte sie sich schon ein wenig besser. Und eine Weile später, Ingeborg war eben vom Nachtdienst heimgekommen, verkündete sie strahlend: »Ich nehme den Job an, ich geh nach Oberbach!«

Die Schwester gähnte verhalten und fragte: »Gab’s denn daran auch nur einen Moment lang Zweifel?«

Anni lachte. »Freilich. Ich hatte einen ganzen Sack voller Zweifel. Und die meisten bestehen nach wie vor. Aber ich hab eingesehen, dass du recht hast, Inge. Ich muss ins kalte Wasser springen, um festzustellen, ob ich schwimmen kann.«

»Du wirst gewiss den Rekord aufstellen«, scherzte die junge Frau lahm. »Beim Schwimmen, meine ich. Oder wovon haben wir gerade eben geredet?«

Anni schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Geh schlafen, Inge, du bist schon halb im Reich der Träume, hab ich den Eindruck.«

»Ja, mag sein.« Wieder gähnte sie. »Und heut Abend erzählst du mir dann, wie du dich entschieden hast, gelt?«

Anni lachte leise, dann beendete sie ihr Frühstück und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Ihre Chefin war erfreut, dass sie sich so rasch hatte entschließen können, die Pflege in Oberbach zu übernehmen. Sie versprach, alle Details bis zum Feierabend zu klären und Anni dann Bescheid zu geben.

Beschwingt erledigte das Madel an diesem sonnigen Herbsttag seine Arbeit. Annis gute Laune färbte auch auf ihre Patienten ab. Die meisten waren allerdings sehr betrübt, als sie ihnen von ihren Plänen erzählte. Da zeigte sich, dass Herta Frondorf nicht übertrieben hatte. Das Madel war bei den Pflegebedürftigen tatsächlich sehr beliebt. Es war ein schönes Gefühl und der größte Dank für Anni, dies zu erfahren.

Am Abend empfing die Chefin sie dann mit den nötigen Informationen für ihre neue Aufgabe.

»Ich hab mit Andreas Erlinger, dem Jungbauern auf dem Hof, ausgemacht, dass du morgen deine Stelle als Pflegerin antrittst. Hier ist eine genaue Wegbeschreibung. Der Hof liegt am Ortsrand und ist leicht zu finden. Der behandelnde Arzt ist Dr. Egon Haslinger. Er kommt zweimal die Woche zum Hausbesuch. Du solltest dich aber vorher mit ihm bekannt machen und die Anamnese studieren. Dr. Haslinger wird dich auch über die Medikation des Patienten informieren.«

Anni nickte und notierte sich alles Wichtige.

»Dann bleibt mir nur, dir viel Glück für deine neue Aufgabe zu wünschen.« Die Chefin drückte ihr herzlich die Hand.

»Ich danke Ihnen sehr, Frau Frondorf. Ich freu mich schon auf die Herausforderung und will mich bemühen, alles richtig zu machen.«

»Alles richtig machen kann man net«, versetzte diese lächelnd. »Gib halt dein Bestes, das genügt. Der Andreas Erlinger hat übrigens angedeutet, dass sein Vater kein ganz einfacher Patient ist. Du solltest also am Anfang net zu viel erwarten. Leb dich erst mal ein und dann schau, wie du mit dem Kranken auskommst! Manchmal braucht man sehr viel Geduld, um Zugang zu einem pflegebedürftigen Menschen zu finden.«

»Ja, ich weiß. Darüber mache ich mir eigentlich keine Gedanken. Bisher bin ich noch mit jedem ausgekommen«, meinte das Madel unbekümmert. »Der Herr Erlinger wird keine Ausnahme sein.«

»Hoffen wir es«, erwiderte die Chefin nachdenklich.

Als Anni heimkam, packte sie einen Koffer und bereitete alles für eine zeitige Abfahrt nach Oberbach vor. Sie schrieb auch eine Notiz für ihre Schwester, falls sie einander verpassen sollten. Dann aß sie in aller Ruhe zu Abend und stand danach lange in der guten Stube hinter dem Fenster.

Hier im dritten Stock hatte man einen schönen Blick über Bayrischzell. In der Ferne, weit hinter dem Häusermeer, erhoben sich die vertrauten Gipfel von Kleinem Traithen und Wendelstein. Diese beherrschten auch im nahen Oberbach die Silhouette. Und doch hieß es für Anni nun, Abschied vom Vertrauten zu nehmen.

Eine leise Wehmut schlich sich da in das Herz des jungen Madels. Doch Anni wollte dieses Gefühl nicht zulassen. Schließlich würde sie nur rund zwanzig Kilometer von daheim entfernt sein und konnte jederzeit herkommen, wenn sie sich einsam oder verlassen fühlte.

Daran mochte Anni nun aber nicht denken. Sie schaute lieber nach vorn und freute sich auf das Neue, das auf sie wartete …

***

»Sackerl Zement, dieser Fraß taugt net einmal für die Schweine! Eine Unverschämtheit ist es, einem so was vorzusetzen!« Der Frühstücksteller flog im hohen Bogen gegen die Wand, wo er zerbrach. Unzählige Scherben und die Reste des Essens rieselten zu Boden und verzierten den dicken Flickerlteppich malerisch. Die Jungmagd Marion rannte weinend davon.

»Flenn net, räum das weg, du dumme Gurrn!«, schrie Bonifaz hinter ihr her, doch sie hatte bereits die Stiege hinter sich gelassen und war in die Küche geflüchtet.

Rosa bedachte das Madel mit einem fragenden Blick. »Was ist denn nun schon wieder los? Manchmal hat man wirklich das Gefühl, hier in einem rechten Irrenhaus zu sein. Marion, sag mir, was passiert ist. Hat ihm das Frühstück wieder mal net geschmeckt?«

»Der Bauer hat mich angeschrien wie net gescheit«, schluchzte das einfältige Ding. »Ich hab Angst vor ihm. Keiner kann von mir verlangen, dass ich noch mal dort hinaufgeh. Er wird mich noch umbringen, der brutale Unmensch!«

Rosa schüttelte den Kopf. Dann griff sie nach Schaufel und Besen und ging hinauf zur Schlafkammer des Altbauern. Der beobachtete sie lauernd, schwieg sich aber aus.

Nachdem die Hauserin sauber gemacht hatte, stellte sie fest: »Du bist ja wieder in Fahrt, Bauer. Mag dran liegen, dass deine neue Pflegerin heut ankommt, gelt?«

Die Miene des Kranken verfinsterte sich. »Was soll das heißen? Haben die Buben sich etwa dazu verstiegen, wieder so eine Krauthexe zu engagieren? Na, die können was erleben!« Er hob die Stimme und brüllte: »Andreas, Florian, sofort zu mir!«

»Plärr net so, es ist keiner da. Der Bauer ist mit dem Viehdoktor im Stall und der Florian ist noch net heimgekommen. Außerdem änderst dadurch eh nix. Die neue Pflegerin kommt. Mich hast du ja verschmäht.«

»Red keinen Schmarren daher, Rosa!«, knurrte der Alte. »Du weißt ganz genau, worum es geht. Die Buben haben mich zu pflegen, darauf bestehe ich. Und eine Pflegerin ist inakzeptabel!«

»Du magst deine Söhne nur schikanieren, das ist kein feiner Zug«, urteilte Rosa sachlich. »Wegen deiner Selbstsucht sollen sie wohl auch noch nachts arbeiten, was?«

»Das geht dich nix an, kümmere dich um deinen eigenen Dreck«, raunzte Bonifaz unleidlich.

»Apropos Dreck …« Sie hielt ihm die Reste seines Frühstücks unter die Nase und drohte: »Wenn du mir noch einmal einen von den guten Tellern zerdepperst und mein Essen an die Wand schmeißt, dann hast du von mir das letzte Mal Frühstück bekommen. So lass ich mich net behandeln!« Sie musterte ihn streng und hielt seinem Blick so lange stand, bis er die Lider senkte und wortlos nickte.

»Schön, dann sind wir uns ja einig.« Nachdem Rosa die Schlafkammer des Altbauern verlassen und gerade die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte, wurde drunten am Klingelstrang gezogen. Die Hauserin ging die Stiege hinunter, stellte ihre Kehrutensilien in der Diele ab und öffnete.

Vor der Haustür stand ein bildschönes, blutjunges Madel, das ihr freundlich zulächelte. Rosa musterte die Fremde abwägend.

»Grüß Gott, mein Name ist Anni Mayerhofer, und ich komm vom ambulanten Pflegedienst Frondorf. Ich soll mich hier um den Altbauern kümmern«, stellte sie sich vor.

Rosa machte ein betroffenes Gesicht. »Du traust dir was zu, Madel! Komm nur herein! Ich sag gleich dem Bauern Bescheid. Ich bin übrigens die Hauserin Rosa.«

»Freut mich.« Anni drückte ihr herzhaft die Hand, nahm ihren Koffer und folgte der Alten ins Haus. Dabei schaute sie sich mit offener Bewunderung um und stellte fest: »Das ist wirklich ein schönes Anwesen. So einen großen Hof hab ich noch nie gesehen. Gewiss hat der Bauer viele Stück Vieh im Stall stehen.«

»Kommst du denn auch vom Land? Ich dachte, aus Bayrischzell.« Rosa bot Anni in der Küche Platz auf der Eckbank an und füllte zwei Haferln mit Kaffee. Das Madel bedankte sich artig.

»Ich bin in Schlehbusch geboren und aufgewachsen. Das liegt gut fünfzig Kilometer von hier entfernt. Vor fünf Jahren hab ich die Eltern bei einem Unfall verloren. Seither lebe ich bei meiner älteren Schwester in der Stadt. Aber im Herzen bin ich schon ein Landmadel geblieben. Die Großeltern hatten noch eine Landwirtschaft, mein Vater war Beamter. Das Landleben hat uns aber allen gut gefallen.«

»Ja, es hat was für sich«, gestand Rosa dem Madel zu, das ihr auf Anhieb sympathisch war. »Der Lärm und Gestank in der Stadt wären auch nix für mich.«

»Idyllisch ist es hier. Ich glaub, ich werde mich in Oberbach wohlfühlen«, meinte Anni optimistisch.

Die alte Hauserin lächelte schmal. »Wart erst mal ab, bis du deinen ›Schützling‹ kennengelernt hast! Unser Altbauer ist nämlich eine Marke für sich. Vor gut einem Jahr ist er aus dem Spital zurückgekommen, nachdem er monatelang seinen Schlag auskuriert hat. Und soll ich dir sagen, wie viele Pflegekräfte er seither verschlissen hat?«

»Rosa, hast du mal ein frisches Handtuch? Der Viehdoktor …« Andreas verstummte abrupt, als er Anni auf der Eckbank sitzen sah. Einen Moment lang schaute er das schöne Madel reglos an, dann murmelte er verlegen: »Du hast Besuch, das wusste ich net. Entschuldige die Störung!«

»Momenterl, Bauer, das ist kein Besuch.« Rosa machte eine bedeutungsvolle Pause, eh sie erklärte: »Das ist die neue Pflegerin für den Altbauern.«

»Das?« Andreas brauchte ein paar Sekunden, um seine Verblüffung zu überwinden, dann räusperte er sich und sagte: »Bring doch bitt schön ein frisches Handtuch in den Stall, Rosa, der Viehdoktor braucht’s. Und Sie kommen mit mir.«

Anni nickte und folgte dem jungen Mann, den sie spontan sehr sympathisch fand. Sie fragte sich nur, warum alle auf dem Hof sich wunderten, wenn sie erfuhren, wer sie war. Hielt man sie womöglich doch für zu jung, dieser Aufgabe nicht gewachsen?

Wieder schlich sich ein Gefühl der Unsicherheit in Annis Herz. Sie gab sich aber Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, als Andreas mit ihr ins Arbeitszimmer ging, sich hinter dem Schreibtisch niederließ und ihr davor Platz anbot.

»Ich freu mich, dass Sie so schnell herkommen konnten, Frau …«

»Ich bin die Anni, Anni Mayerhofer. Die Frau Frondorf hat mich doch angemeldet, net wahr?«

»Ja, schon. Ich hab nur eine etwas … ältere Dame erwartet, muss ich zugeben. Sie schauen noch sehr jung aus.«

Anni seufzte. Sie hatte sich also doch nicht getäuscht. Wenn der Jungbauer sich nur nicht vom Äußerlichen abschrecken ließ und sie am Ende wieder heimschickte! Entschieden erklärte sie: »Ich kenn mich aus in meinem Beruf, auch wenn ich noch net so lange arbeite. Ich bitt Sie, Herr Erlinger, geben Sie mir eine Chance. Sie werden es ganz gewiss net bereuen!«

Andreas stutzte, dann lächelte er ein wenig und versicherte: »Ich hab Ihre berufliche Qualifikation ganz bestimmt nicht anzweifeln wollen, Anni. Mir geht es um was anderes. Ich will ganz offen zu Ihnen sein, alles andere hätte wenig Sinn. Mein Vater ist ein schwieriger Mensch. Bislang haben wir drei Versuche gestartet, ihn pflegen zu lassen, leider sind alle drei gescheitert. Es ist also keine leichte Aufgabe, der Sie sich hier stellen müssen.«

»Die Rosa hat auch so was angedeutet. Ich erschrecke aber net so leicht. Und wenn Sie einverstanden sind, möchte ich es gerne versuchen. Wissen Sie, im mobilen Pflegedienst hat man meist zu wenig Zeit, um sich ausgiebig um jeden Patienten zu kümmern. Deshalb bin ich froh, jetzt eine Einzelpflege zu übernehmen.«

»Das klingt so, als hätten Sie den richtigen Beruf.«

»Ja, ich bin gerne Pflegerin. Es ist einfach schön, anderen Menschen helfen zu können.«

Der Bauer nickte nur, sagte aber weiter nichts. Anni war offenbar ein nettes Madel, zudem bildsauber. Er hatte ein schlechtes Gewissen, wenn er daran dachte, was sie im oberen Stockwerk erwartete. Fast schien es ihm so wie im Märchen, wo eine edle Jungfrau einem bösen Drachen zum Fraß vorgeworfen wurde …

»Dann sollten Sie jetzt wohl meinen Vater kennenlernen«, entschied er schließlich zögernd.

Anni nickte. Ihr hübsches Lächeln rührte Andreas das Herz, zumal er überzeugt war, dass ihr dies bald vergehen würde.

***

Bonifaz Erlinger saß manierlich im sauberen Schlafanzug und frisch rasiert im Bett, als Andreas mit Anni die Kammer betrat. Der Jungbauer stutzte, denn das freundliche Lächeln auf dem Gesicht des Vaters war ihm so fremd wie ein unbekanntes Land. Und dass der Alte ihr die Hand reichte, sich höflich vorstellte und gleich eine nette Plauderei begann, erschien Andreas wie ein seltsamer, unrealistischer Traum. Was war los mit dem Alten? Welche Masche ritt er? Und was hatte er vor? Der Jungbauer vom Erbhof behielt seinen Vater genau im Auge.

Zunächst aber benahm dieser sich tadellos. »Ich hab das unbestimmte Gefühl, dass wir zwei gut miteinander auskommen werden«, sagte er gerade zu Anni, als Florian erschien. Rosa hatte ihm erzählt, dass die neue Pflegerin angekommen war, und die Neugierde trieb ihn her. Einen Moment lang starrte er das schöne Madel an wie eine Erscheinung, dann knuffte Andreas ihn in die Seite und brachte ihn so wieder zur Besinnung. Er warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu, der hob die breiten Schultern und schwieg sich aus. Nun hörten beide Brüder ungläubig zu, wie ihr Vater höflich Konversation betrieb.

»Ich will mich bemühen, Ihnen das Leben ein bisserl zu erleichtern, Herr Erlinger«, versicherte Anni freundlich.

»Das wirst du ganz bestimmt, Madel!« Noch ehe jemand reagieren konnte, tätschelte der Altbauer Anni ungeniert den Po. Sie errötete, trat einen Schritt zurück, doch der Alte lachte nur.

»Net so schamhaft, schönes Madel. Meine Söhne haben mich bislang mit dicken, fetten Krauthexen geärgert. Wird Zeit, dass auch mal was fürs Auge dabei ist. Keine Sorge, viel Gefahr droht von mir nimmer. Aber ein bisserl Streicheln wird noch erlaubt sein bei einer so blutjungen Schönheit.«

»Herr Erlinger!« Anni war empört. Noch ehe sie aber etwas sagen konnte, schob Andreas sie aus der Kammer und schloss die Tür hinter ihr. Florian wäre Anni gerne gefolgt, denn das schöne Madel zog ihn magisch an, sein leicht entflammbares Herz brannte bereits seit dem ersten Blick in ihre Augen lichterloh. Doch er sah sich genötigt, seinem Bruder beizustehen, der dem Alten nun den Kopf zurechtrücken musste.

»Vater, was fällt dir ein, die Anni zu begrapschen!«, regte der sich gerade auf. »So was nennt man Belästigung, das ist strafbar!«

Bonifaz lachte abfällig. »Und wer ist da der Straftäter?«, spottete er. »Der arme bettlägrige Schlagpatient oder die Buben, die ihm eine Sexbombe ans Bett schicken?«

»Findest das net ein bisserl übertrieben, Vater?«, fragte Florian ironisch. »Nachdem du bei den anderen Pflegerinnen den inkontinenten Tattergreis gegeben hast, spielst jetzt den Lüstling? Wer soll dir denn das abnehmen?« Er beugte sich über den Kranken und schaute ihn kalt an. »Das Einzige, was du damit erreichst, ist, dass wir einen Pfleger aus der Psychiatrie holen. Einen, der sich mit solchen auskennt, wie du einer bist. Und hernach wirst du nix mehr zu lachen haben.«

Bonifaz’ Miene vereiste. »Geh mir aus den Augen, du Wurm! Ich zertrete dich auch heut noch, grad in dem Zustand, in dem ich bin. Also geh, solange du es noch kannst.«

»Vielleicht können wir uns mal wie zivilisierte Menschen benehmen«, schlug Andreas entnervt vor. »Ich hab das Gefühl, als wäre ich hier in einem Irrenhaus.«

»Das ist einzig und allein deine eigene Schuld, du Malefiz!«, regte der Alte sich auf. »Du weißt genau, was ich erwarte. Verschon mich mit diesen Pflegerinnen, schick das Madel auf der Stelle weg, oder ich vergess mich!«

Der Jungbauer musterte seinen Vater mit verschlossener Miene. »Ich werde mit der Anni reden. Vermutlich wird sie eh auf die Stelle verzichten, nachdem sie hier gleich aufs Übelste belästigt worden ist. Kannst froh sein, wenn sie dich net anzeigt.« Er wandte sich zum Gehen.

Florian, der beleidigt geschwiegen hatte, wandte ein: »Das hat doch alles keinen Sinn. Wenn der Vater net endlich Vernunft annehmen will, müssen wir eben über eine Heimunterbringung reden.«

»Was hast du gesagt?« Der Altbauer ruckte hoch. »Du wagst es, in meinem eigenen Haus …«

»Der Florian hat recht«, pflichtete Andreas seinem Bruder bei. »Es ist die einzige Möglichkeit, die uns noch bleibt. Wenn du dich partout net mit einer häuslichen Pflege anfreunden kannst, müssen wir uns über eine stationäre Unterbringung Gedanken machen. Tut mir leid, Vater, aber anders geht’s dann nimmer.«

»Ihr Hundlinge! Ich werde euch Mores lehren!« Bonifaz Erlinger sprang aus dem Bett und stürmte auf seine Söhne zu. Allerdings hatte er die eigene Kraft überschätzt, dann er ging schon nach wenigen Schritten in die Knie. Hätte Andreas ihn nicht gestützt, wäre er gefallen. Zornig schüttelte er die Hand seines Sohnes ab und wankte zurück ins Bett. Schwer atmend ließ er sich nieder und schoss wütende Blicke auf die Brüder ab.

»Na schön«, grollte er schließlich. »Das ist Erpressung, aber als Kranker hat man offenbar keine Rechte mehr im eigenen Haus. Ich verspreche, das Madel nimmer anzurühren. Das ändert aber nix an meiner Haltung. Ich finde es nach wie vor falsch, eine Fremde ins Haus zu holen. Ihr müsstet mich pflegen.«

»Ist schon recht, Vater«, murmelte Andreas und verließ die Kammer, gefolgt von seinem Bruder, der ihm die Schulter klopfte und zufrieden feststellte: »Das haben wir sauber hingekriegt.«

»Ich mag’s net, wenn man auf Tricks und Drohungen ausweichen muss«, gab der Jungbauer angewidert zu. »Aber der Vater lässt uns ja keine andere Wahl. Hoffen wir nur, dass die Anni noch da ist! Nach dem Erlebnis würde ich es ihr net verdenken, wenn sie schnellstens unseren Hof verlassen hätte …«

***

So leicht ließ Anni sich nicht vergraulen. Als die Brüder die Küche betraten, saß sie dort bei Rosa auf der Eckbank. Sie war noch ein wenig blass um die Nase, hatte sich aber in der Gewalt.

»Vom Altbauern hört man ja schöne Sachen«, stellte die Hauserin entrüstet fest. »Ist er jetzt unter die Wüstlinge gegangen, oder hat er endgültig den Verstand verloren?«

»Weder noch. Er hat es nur darauf angelegt, die Anni zu vertreiben«, stellte Andreas klar. Dann wandte er sich an die junge Pflegerin und fragte: »Wollen Sie die Arbeit immer noch übernehmen, Anni? Sie haben jetzt erlebt, was alles passieren kann. Wir haben dem Vater ins Gewissen geredet, und er hat versprochen, Sie nimmer zu belästigen. Aber garantieren kann ich leider für nix.«

»Ich muss zugeben, dass ich mich ein bisserl erschrocken hab«, gestand das Madel ihm ein. »Dass so was vorkommen kann, wusste ich natürlich. Zum Glück hab ich selbst es noch net erlebt. Und angenehm war es gewiss net. Aber ich bin kein Mensch, der gleich aufgibt und bei der ersten Schwierigkeit wegrennt. Wenn Ihr Vater sich also bereit erklärt hat, sich in Zukunft anständig mir gegenüber zu benehmen, dann will ich diesen Ausrutscher vergessen.«

»Das ist sehr großzügig von Ihnen, Anni«, entgegnete der Jungbauer erleichtert. »Dann auf ein gutes Miteinander! Und wenn es Ihnen recht ist, wir duzen uns hier alle.«

»Freilich, so ist es schließlich Sitte auf dem Land, net wahr?« Anni lächelte Andreas lieb zu, da mischte Florian sich ein, denn er mochte nicht länger abseits stehen.

Er schaute Anni tief in die Augen, nahm ihre Rechte und meinte: »Ich bin übrigens der Florian. Wenn du mal Hilfe brauchst oder ein Problem hast, sag Bescheid. Ich steh zur Verfügung.«

»Dank schön.« Sie entzog ihm ihre Hand und ging gleich ein wenig auf Abstand. So nett und sympathisch Andreas auf sie wirkte, sein Bruder schien mehr nach dem Vater zu kommen. Ihm sah man den Hallodri und Schürzenjäger schon von Weitem an.

»Dann zeigt die Rosa dir jetzt deine Kammer. Und hernach können wir alles Wichtige besprechen«, schlug Andreas vor.

Anni nickte. Sie folgte der Hauserin, froh, Florians interessierten Blicken fürs Erste zu entkommen.

»Da hast du ja gleich den richtigen Eindruck bekommen, Madel«, merkte Rosa trocken an, nachdem sie Anni zu einer Kammer im ersten Stock in der Nähe des Krankenzimmers geführt hatte. »Dass du trotzdem bleiben willst – Respekt.«

Das Madel lächelte ein wenig und gab zu: »Ich hab genauso eine Stelle gesucht, eine private Pflege. Dass es net ganz einfach werden wird, war mir klar. Ich werde es schon schaffen.«

»Und was hältst du von den Brüdern?«

»Der Andreas scheint ein netter Mensch zu sein. Seinem Bruder geh ich lieber aus dem Weg, der schaut nach Hallodri aus.«

Rosa lachte. »Der Florian schaut net nur danach aus, glaub mir! Ich mein, du bist schon recht, Madel.«

»Ich hoffe es …«

Wenig später hatte Anni ausgepackt und saß beim Jungbauern im Arbeitszimmer. Er erklärte ihr alles, was sie wissen musste, und führte sie danach noch durch das Haus und die Umgebung, damit sie sich auskannte. Am Nachmittag kam Dr. Haslinger vorbei, mit dem Anni sich gleich bekannt machte. So erfuhr sie am ersten Tag auch die gesamte Krankengeschichte ihres Patienten und war über alles Wichtige bald im Bilde.

Als die junge Pflegerin bei der Untersuchung durch den Hausarzt anwesend war, benahm Bonifaz sich manierlich. Er machte nur einen dummen Scherz darüber, dass die neue Pflegerin seinen Blutdruck allzu sehr in die Höhe treiben würde. Doch ein strenger Blick von Anni unterband jede weitere Entgleisung. Nachdem der Landarzt gegangen war, meinte der Kranke: »Ich will mich noch bei dir entschuldigen, Madel. Im Grunde meines Herzens bin ich nämlich kein schlechter Mensch. Wir zwei werden schon miteinander auskommen, net wahr?«

»Das hoffe ich, Herr Erlinger.«

»Magst net Bonifaz zu mir sagen? Gewiss nennst meine Buben auch beim Vornamen. Oder bin ich dir dafür zu alt?«

Anni seufzte leise, da hob der Patient beschwichtigend die Hände. »Schon recht, keine dummen Reden mehr für heut.«

Eine Weile später hatte der Altbauer das Abendessen eingenommen und schluckte seine Medikamente. Anni kontrollierte den Blutdruck, notierte die Werte und fragte: »Brauchen Sie noch was, Herr Erlinger? Wenn net, lass ich Sie jetzt allein.«

»Kannst ruhig gehen, Madel. Ich bin wunschlos glücklich«, spöttelte er. »Soweit man das in meiner Lage noch sein kann.«

»Ich hab Patienten gesehen, denen es nach einem Schlag sehr viel schlechter gegangen ist. Danken Sie Ihrem Schöpfer, dass Sie nur leichte Einschränkungen haben.«

»Wozu muss einer überhaupt krank sein? Soll ich dem lieben Herrgott dafür auch noch danken?«, knurrte er ärgerlich.

»Das sollten Sie vielleicht mit Hochwürden besprechen«, riet sie ihm ironisch und verließ die Schlafkammer.

»Na wart«, murmelte Bonifaz, als er allein war. Dieses Madel würde er nicht ungeschoren davonkommen lassen. Er hatte seinen Söhnen nur im ersten Schreck nachgegeben, als sie angedeutet hatten, ihn ins Heim zu stecken.

Nun, da er länger darüber nachgedacht hatte, meinte er, dass die beiden bloß geblufft hatten. Sie würden es nicht wagen, ihm das anzutun. Er aber hatte schon die eine oder andere Idee, die er gleich am nächsten Morgen bei Anni umsetzen wollte …

***

»Der Hof ist prächtig. Und die Umgebung – ganz wunderbar! Am Wochenende werde ich wandern gehen, das hab ich mir schon vorgenommen. Ein herrliches Fleckerl Erde ist das!«

»Das klingt begeistert. Aber wie ist dein Patient? Über den hast du noch kein Wort verloren, Anni. So schlimm?«

»Ach, Inge, das ist ein harter Brocken!«, seufzte die junge Pflegerin ins Telefon. »Ich glaub, er kann sich net mit den Tatsachen abfinden und lässt seine Wut an allen aus, die in seine Nähe kommen.«

»Ein unzufriedener Kranker also.«

»Ja, so kann man sagen. Ich hab den Eindruck, dass hier früher alle nach seiner Pfeife tanzen mussten. Und jetzt, wo das nimmer der Fall ist, da tyrannisiert er eben seine Söhne und einen jeden, der es wagt, seine Kammer zu betreten.«

»Und wie gehst du damit um? So was ist net ganz leicht.«

»Am Anfang war ich verunsichert. Zum Glück stehen seine Söhne aber hinter mir. Vor allem der Jungbauer, der Andreas, unterstützt mich sehr. Ein netter Mensch ist das.«

»Aha, das klingt nach Sympathie.«

»Er ist wirklich sympathisch«, musste Anni zugeben.

»Und der zweite Sohn? Wie ist der so?«

»Ein Hallodri und Schürzenjäger. Hat es gleich darauf angelegt, mit mir zu flirten.« Das Madel lachte leise. »Dem hab ich die kalte Schulter gezeigt, darauf kannst du wetten.«

»Klug von dir. Dann scheinst du dich auf dem Erlinger-Hof ja schon ein wenig eingelebt zu haben.«

»Nach einer Woche fühle ich mich nimmer ganz fremd. Vor allem auch, weil die Rosa, die Hauserin, von Anfang an sehr freundlich zu mir gewesen ist. Wäre mein Patient noch ein klein wenig umgänglicher, könnte ich rundum zufrieden sein.«

»Das kommt gewiss noch«, war Ingeborg überzeugt. »Du hast bislang noch einen jeden Patienten für dich eingenommen. Ich freu mich, dass du es doch nach Wunsch getroffen hast.«

»Ja, ich kann net klagen. Ein bisserl Heimweh hab ich trotzdem. Vielleicht kann ich nächste Woche schon einen Tag freinehmen und dich besuchen kommen.«

»Das wäre schön. Sag mir aber rechtzeitig Bescheid, damit ich meinen Dienst im Spital auf deinen Besuch abstimmen kann.«

Anni versprach es, dann beendete sie das Telefonat mit ihrer Schwester, denn sie sah den Wagen des Landarztes in den Wirtschaftshof fahren. Dr. Haslinger kam zum Kontrollbesuch, wobei ihm die junge Pflegerin wieder zur Hand gehen wollte.

Anni begrüßte den Mediziner an der Haustür und übergab ihm eine Liste mit allen Werten, die sie seit dem letzten Hausbesuch notiert hatte. Dr. Haslinger überflog sie und nickte dabei.

»Der Zustand des Patienten hat sich weiter stabilisiert. Es ist gut, dass Sie so peinlich genau auf die Dosierung der Medikamente achten. Ihre Vorgängerinnen waren da ein wenig zu lasch, zumal der Erlinger es ihnen auch net eben leicht gemacht hat. Schaut aus, als wäre das bei Ihnen anders.«

»Ich geb mir Mühe, mit ihm auszukommen«, erwiderte Anni in einem Tonfall, der leicht gequält klang.

»Sie machen Ihre Sache gut«, versicherte der Landarzt ihr daraufhin anerkennend. »Wenn man bedenkt, dass Ihre Vorgängerinnen viel mehr Berufserfahrung hatten, ist das erstaunlich. Der Erlinger ist ein wirklich schwieriger Fall.«

Anni konnte ihm nicht widersprechen. Und an diesem Tag schien der Kranke seiner Beurteilung alle Ehre machen zu wollen, denn er weigerte sich, sich in Annis Gegenwart untersuchen zu lassen. Erst nachdem die junge Pflegerin die Kammer verlassen hatte, konnte Dr. Haslinger seine Arbeit erledigen.

»Was ist denn los, Bauer? Bist du neuerdings schamhaft? Ich mein, vor seiner Pflegerin braucht man sich net zu genieren.«

»Tu ich auch net«, raunzte der unfreundlich. »Das dumme Ding geht mir auf die Nerven. Ständig schwirrt sie hier herum und lauert drauf, mir einen Gefallen tun zu können.«

»Das würde ich eine gute Pflege nennen.«

»Mag sein, Doktor. Ich seh das allerdings anders. Meine Buben sollen sich um mich kümmern. Aber die machen es sich leicht. Meinen wohl, wenn sie mir so eine bezahlte Kraft auf den Hals hetzen, geht sie das alles nix mehr an. Dass sie einen kranken Vater haben, der ihre Hilfe und Ansprache braucht, ist ihnen wurscht. Nennen Sie das vielleicht anständig?«

Dr. Haslinger bedachte seinen Patienten mit einem verständigen Blick. »Bauer, du bist unverbesserlich. Was hab ich dir gesagt, als du aus dem Spital heimgekommen bist?«

»Daran erinnere ich mich nimmer«, brummte Bonifaz unwillig.

»Ich aber schon. Es ging darum, dich ein bisserl zurückzunehmen. Du bist nimmer der Bauer auf dem Erbhof und spielst nimmer die erste Geige. Sei dankbar, dass deine beiden Buben so wohlgeraten sind und dein Besitz auch in der nächsten Generation in guten Händen ist! Net ein jeder hat so ein Glück. Meine Kinder haben leider kein Interesse an der Medizin gezeigt, ich werde mir irgendwann einen fremden Nachfolger für meine Praxis suchen müssen. Das ist kein schöner Gedanke.«

»Darum geht’s gar net«, widersprach der Kranke ihm verstimmt. »Der Andreas ist ein tüchtiger Jungbauer, und der Florian schmeißt den Viehhandel, so gut er das kann. Ich hab nix an den Buben auszusetzen. Allerdings gibt’s auch noch was anderes als das Geschäftliche. Menschliches Mitgefühl zum Beispiel.«

»Menschliches Mitgefühl oder Machtspielchen?« Der Landarzt lächelte schmal. »Vielleicht denkst du mal darüber nach, worum es dir wirklich geht. Und noch ein kleiner Tipp zum Schluss: Du könntest es weitaus schlechter treffen. Behandle die Anni anständig, eine so tüchtige Pflegerin wirst du gewiss kein zweites Mal finden.«

Bonifaz Erlinger presste den Mund so fest zusammen, dass er nur noch einen Strich bildete, und schwieg. Er sah ein, dass der Doktor ihn doch nicht verstehen konnte oder wollte. Und im Grunde war ihm das auch ganz einerlei. Er wusste selbst, was er wollte. Und er war fest entschlossen, auch weiterhin seinen Kopf durchzusetzen. Gegen alle Widerstände.

Als Anni wenig später nach ihrem Patienten schaute, beschwerte der sich: »Der Doktor ist net zufrieden mit meinen Werten. Du hast mir meine Tabletten nicht richtig gegeben, Madel. Wenn das noch mal vorkommt, muss ich es meinem Sohn sagen. Der Andreas kann dann darüber entscheiden, was geschehen soll.«

Anni war sich keiner Schuld bewusst. »Zu mir hat der Dr. Haslinger aber was ganz anderes gesagt«, widersprach sie ihm.

Daraufhin bekam der Kranke schmale Augen und wollte lauernd wissen: »Soll das vielleicht heißen, dass ich lüge?«

»Nein, nur … Sie haben vielleicht was falsch verstanden.«

»Du meinst, ich bin net nur verlogen, sondern auch noch dumm. Das wird ja immer schöner!«

»Bitte, Herr Erlinger, regen Sie sich net auf!« Anni nahm einen kleinen Plastikbeutel mit Tabletten aus ihrer Kitteltasche und hielt ihm diesen unter die Nase. »Die hat die Rosa im Bettlaken gefunden, als sie frisch aufgezogen hat. Kann es sein, dass die Ihnen ›zufällig‹ aus der Hand gerutscht sind?«

Bonifaz warf nur einen knappen Blick auf die Tabletten, dafür starrte er Anni gereizt an. Und so klang auch seine Stimme, als er forderte: »Verschwind aus meinem Zimmer! Ich brauch dich heut nimmer. Das Nachtmahl soll mir die Rosa bringen.«

Anni nickte nur und verließ gleich darauf die Kammer. Als sie der Hauserin Bescheid sagte, schmunzelte diese bezeichnend.

»Jetzt weiß er, dass er dich net pflanzen kann. Das ist gut. Aber du musst in Zukunft doppelt auf der Hut sein, Madel. Der Bauer gibt nicht so schnell auf. Er wird es immer wieder versuchen, das ist für ihn so eine Art Volkssport.«

»Ja, ich weiß«, seufzte die junge Pflegerin bekümmert.

»Red halt mit dem Andreas, wenn es dir zu arg wird!«, riet Rosa ihr daraufhin mitfühlend. »Er wird dir helfen und beistehen.«

»Ich will net ständig zum Jungbauern rennen. Das muss ich schon allein durchbeißen«, meinte das Madel entschlossen.

»Nimm dir nur net zu viel vor!«, mahnte die Hauserin.

»Gewiss net. Dass du ihm das Nachtmahl bringen sollst, gefällt mir allerdings nicht. Er wird seine Wut an dir auslassen.«

Rosa winkte ab. »Mit dem werde ich schon fertig, keine Sorge. Ich kenn ihn schließlich lang genug und weiß, wie er tickt.« Sie lächelte. »Deshalb hat er es ja auch abgelehnt, sich von mir pflegen zu lassen …«

***