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Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!
Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.
Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.
Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:
Alpengold 203: Lang sind die Tage, einsam die Nächte
Bergkristall 284: Das Mädchen aus dem Kloster
Der Bergdoktor 1763: Sprich nicht vom Abschied
Der Bergdoktor 1764: Herz am Scheideweg
Das Berghotel 140: Herzdame in großer Mission
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 577
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2015/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Covermotiv: © Bastei Verlag/v. Sarosdy
ISBN: 978-3-7517-2973-4
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Alpengold 203
Lang sind die Tage, einsam die Nächte
Bergkristall - Folge 284
Das Mädchen aus dem Kloster
Der Bergdoktor 1763
Sprich nicht vom Abschied
Der Bergdoktor 1764
Herz am Scheideweg
Das Berghotel 140
Herzdame in großer Mission
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Contents
Lang sind die Tage, einsam die Nächte
Lenis Schicksal hieß warten und hoffen
Von Sissi Merz
Längst taucht der Herbst das Bergland in seine goldenen Farben, und am Morgen benetzt schon der Tau Wiesen und Matten. Der hübschen Baumgartner-Leni, die hinter dem Küchenfenster steht, entfährt ein trauriger Seufzer. Längst wollte sie um diese Zeit mit Lukas, ihrer großen Liebe, vor den Traualtar getreten sein – doch noch immer heißt es: warten und sehnen. Denn erst wenn ihr Bruder seine Ausbildung beendet hat und heimkehrt, kann Leni den Schwalbenhof verlassen, um an ihrem eigenen Glück zu bauen …
Aber alles kommt anders als gedacht, als Lukas nicht länger auf Leni warten mag und stattdessen beschließt, in der Fremde »nach seinen Wurzeln zu suchen«. Leni bleibt allein zurück – nur mit ihrem kranken Vater als Gesellschaft und mit Max, dem jungen Knecht. Doch als sich auf dem Schwalbenhof die Ereignisse auf dramatische Weise überschlagen, zeigt Max sein wahres, furchterregendes Gesicht! Und da ist niemand in der Nähe, der Leni helfen kann …
Die Sonne war gerade aufgegangen an diesem frischen Septembermorgen in Oberbach, einem kleinen Dorf, idyllisch am Fuße des Sonnwendjochs gelegen.
Noch lag der Nebel in den Senken und hüllte den tiefgrünen Föhrenwald ein, der sich zu beiden Seiten der schmalen, kurvenreichen Landstraße erstreckte. Weiter unten im Tal von Abwinkl ging dieser in einen gesunden Mischwald über, dessen Laubbäume sich bereits verfärbten, als erstes Zeichen der beginnenden dritten Jahreszeit.
Hier oben aber war der Bestand an Föhren seit über hundert Jahren nahezu unverändert geblieben. Der beinahe undurchdringliche Forst schien Oberbach in gewisser Weise vor der Welt zu verstecken. Folgte man der Landstraße bergan, dann öffnete sich unvermutet der Blick auf das Dorf.
Oberbach zählte an die hundert Seelen. Die meisten Familien lebten bereits seit Generationen hier. Das freie Bauerntum, einst eine der Säulen, auf denen der Freistaat Bayern fußte, hatte Tradition und wurde nach wie vor gepflegt.
Rund um den Markplatz scharten sich ansprechende Häuser im Gebirglerstil. Nichts wirkte aufgesetzt oder nur noch rein folkloristisch, wie es in Gegenden mit viel Fremdenverkehr häufig der Fall war.
Oberbach konnte mit einer kleinen Pension aufwarten. Die Reinbacher-Zenzi führte das Haus mit dem halben Dutzend Fremdenzimmern seit vierzig Jahren. Viele Gäste hatte sie freilich nicht, denn der Ort war in keinem Pauschalkatalog oder Reiseportal zu finden.
Oberbach war jedoch ein Geheimtipp unter Freeclimbern. Die Sportler kamen im Sommer gern her, denn an den meisten Steilwänden suchte man vergebens nach Haken oder anderen Steighilfen. Alles aber ursprünglich, darauf bestanden die Oberbacher, denn »modernes Graffel« kam ihnen nicht in ihre Natur. So gab es auch keine Skilifte oder Hütten. Wintersport fand nur auf Loipen statt, die man selbst spuren musste, was wiederum eine kleine, aber treue Fangemeinde anzog.
Jetzt, im beginnenden Herbst, hatte Zenzi ihre Pension geschlossen und widmete sich der Ernte in ihrem großen Gemüsegarten hinter dem Haus. Und auch auf den Höfen rund ums Dorf wurde das eingefahren, was der liebe Herrgott den Sommer über hatte wachsen lassen.
Vier große Betriebe gab es im Umland von Oberbach, der größte und schönste Hof gehörte Ferdinand Baumgartner. Der Bauer führte den Erbhof in der dritten Generation. Das Anwesen lag sozusagen direkt vor den Toren des Dorfes.
Bevor man Oberbach erreichte, bog eine Privatstraße zum Schwalbenhof ab. Ferdinands Großvater hatte den Hof so nach den ersten Bewohnern benannt, die noch vor Mensch und Nutzvieh eingezogen waren: einer Familie Mehlschwalben. Der Name war kunstvoll auf dem Eichenbalken über der Haustür eingeschnitzt und dazu die Jahreszahl 1921 , das Jahr, in dem der Hof erbaut worden war.
Der Schwalbenhof bestand aus einem imposanten Haupthaus mit weiß gekalkter Fassade, Eichenfenstern, einem reich beschnitzten Balkon aus der gleichen, schweren Eiche wie auch die Haustür, einem mit Schindeln gedeckten, tief gezogenen Dach und lieblicher Lüftlmalerei, wie sie für die Gegend typisch war. Da fanden sich alle Heiligen, die Besitz und Bewohner beschützen sollten, dazu die himmlischen Heerscharen und, nicht zuletzt, die majestätische Spitze des Sonnwendjochs, das sozusagen vor der Haustüre des Schwalbenhofs lag.
Eingerahmt wurde das Haupthaus zu beiden Seiten von Scheune, Stall, Remise und Gesindehaus.
Der Wirtschaftshof war ordentlich gepflastert und wurde von einer mächtigen Kastanie beherrscht, die Ferdinands Großvater beim Einzug als zartes Pflänzchen in die Erde gebracht hatte.
Der Baumgartner hatte an die fünfzig Stück Milchvieh im Stall stehen, dazu Schweine und Geflügel. Zum Hof gehörten ausgedehnte Ackerflächen, Weiden und Almen sowie ein Privatwald mit einer Mühle, die allerdings seit mehreren Jahrzehnten stillgelegt war.
Der Forst diente den Baumgartners nur noch zur eigenen Brennholzgewinnung und wurde sonst extensiv gepflegt. Man fand hier seltene Tier- und Pflanzenarten, worauf der Bauer recht stolz war. Seit Anfang des Monats röhrten nun wieder die Kettensägen, die Holzknechte gingen ihrer Arbeit nach. Ferdinand hatte dafür extra zwei Kaltblutpferde im Stall stehen, die die gefällten Stämme schonend aus dem Forst rückten. Er achtete darauf, dass die Natur seiner Heimat, der er sehr verbunden war, keinen Schaden nahm.
Auch die Landwirtschaft betrieb der Bauer seit beinahe dreißig Jahren auf nachhaltige Weise. Sein Motto »Qualität statt Quantität« hatte sich letztendlich durchgesetzt.
Seit ein paar Jahren war der Bauer, der drei erwachsene Kinder hatte, nun verwitwet. Seine Ehe mit der grazilen Moosbacher-Gerda war glücklich gewesen, ihr früher Tod für ihn ein herber Schlag. Vor gut einem Jahr hatte das einst stämmige Mannsbild, das nichts umzuhauen schien, einen Infarkt erlitten und musste seither kürzertreten. Die Zukunft des Schwalbenhofs wusste er aber trotzdem gesichert.
Christian, sein Sohn, hatte kürzlich die Landwirtschaftsschule mit Auszeichnung beendet und absolvierte nun noch ein freiwilliges Praktikum auf einem Mustergut im Allgäu. In absehbarer Zeit wollte Christian dann heimkommen, um den Schwalbenhof zu übernehmen. Bis dahin konnte der Bauer sich auf seinen Großknecht Max Färber verlassen. Er war eine pflichtbewusste Kraft, schon beinahe zehn Jahre auf dem Hof und kannte sich überall aus. Ferdinand vertraute dem fleißigen Burschen, der fast schon zur Familie gehörte.
Seine ältere Tochter Erika hatte vor zwei Jahren ins Nachbardorf Abwinkl geheiratet. Die Jüngste, Leni, war ihm zum Glück noch erhalten geblieben. Das bildhübsche Madel mit den goldblonden Locken und den tiefblauen Augen war das Ebenbild seiner seligen Mutter. Lenis sanfte und liebe Art erinnerte Ferdinand zudem sehr an seine Gerda. Zwar war Leni verlobt und würde bald heiraten, aber sie zog dann nur nach »nebenan«, wie der Bauer das nannte.
Lenis Liebster war Lukas Scharnitzer, der Nachbarssohn. Der tüchtige Bursch war Jungbauer und würde den elterlichen Hof übernehmen. Leni freute sich schon sehr darauf, drüben wirtschaften zu können, denn sie verstand sich ausnehmend gut mit Maria Scharnitzer. Und Sepp, ihr zukünftiger Schwiegervater, hatte einen rechten Narren an dem Madel gefressen. Sah er als Vater zweier Söhne doch die Tochter in ihr, die er nicht hatte, nach der Heirat seines Älteren aber sozusagen geschenkt bekam.
An diesem sonnigen Septembermorgen werkelte Leni bereits fleißig in der Küche. Die schöne Hoftochter war eine geschickte Wirtschafterin. Sie hatte mit Leidenschaft die Hauswirtschaftsschule in Schliersee besucht und verstand sich besonders gut aufs Kochen und Backen. Gerne verwöhnte sie den Vater mit raffinierten Torten, die dieser über alles liebte.
Seit Ferdinand aber nicht mehr ganz gesund war, achtete Leni darauf, dass der Vater sich genau an die Vorgaben des Doktors hielt. Da war das sonst so sanfte Madel knallhart. Ernährung und die nötige Medizin mussten stimmen, damit der Vater sich wohlfühlte und keine Beschwerden mehr bekam. Ferdinand, der allzu gerne den lukullischen Genüssen frönte, litt ein wenig unter dieser kulinarischen »Kargheit«. Doch er beschwerte sich nie, wusste er doch, dass Leni nur aus Fürsorge und Liebe zu ihm handelte.
An diesem Morgen gab es zum Frühstück auch Lenis beliebte Pfannkücherln. Ein süßer Duft zog schon durchs Haus und kitzelte dem Bauern verführerisch die Nase, als er aus dem Arbeitszimmer kam.
Ferdinand Baumgartner war mit Anfang sechzig noch ein fesches Mannsbild. Sein dichtes, eisgraues Haar, der kecke Schnauz und die tiefblauen Augen ließen so manches Frauenherz höher schlagen. Die eine oder andere Witwe gab es in Oberbach, die den Großbauern nur zu gern umsorgt hätte. Doch Ferdinand dachte nicht mehr daran, sich zu binden. Seine Liebe war mit seiner seligen Frau gestorben.
»Mei, wie duftet denn das so fein!«, freute er sich und betrat nun die Küche, wo Leni und zwei Mägde das Frühstück richteten.
Das Madel lächelte vielsagend, als der Vater ihr ein Busserl auf die zarte Wange drückte und sich zugleich ein Pfannkücherl stibitzen wollte. Doch diesen »Diebstahl« unterband das Madel geschickt mit einem leichten Klaps auf die »langen Finger«.
Der Bauer brummte unwirsch. »Ein kleines Stückerl wirst du mir doch wohl gönnen. Sei net so hartherzig, Madel!«
»Ich gönn dir sogar zwei ganze Pfannkücherl, aber nachher bei Tisch. Sie sind mit Vollkornmehl und fettreduzierter Margarine gebacken und vom Doktor abgesegnet.«
Ferdinand lächelte nachsichtig. »Wär doch net nötig gewesen.«
»Oh, doch, du weißt, wie wichtig die richtige Ernährung für Herz und Kreislauf ist, Vater. Und jetzt komm, setz dich an den Tisch, das Frühstück ist sofort fertig!«
»Ist schon recht«, murmelte er und klopfte Max Färber, der eben aus dem Stall kam, die Schulter. »Gut, dass du kommst, Max. Wir haben gleich was zu besprechen. Die letzte Rechnung vom Viehdoktor ist eine Frechheit. Außerdem brauchen wir noch …«
Max warf Leni einen ziemlich resignierten Blick zu, den diese mit einem aufmunternden Lächeln beantwortete. Sie wusste, dass der Großknecht sich vor dem Frühstück gern ein Haferl Kaffee bei ihr abholte und sich ein wenig mit ihr unterhielt. Doch an diesem Morgen machte der Bauer ihm einen Strich durch die Rechnung, denn er belegte seinen Großknecht sogleich mit Beschlag.
Und nach dem Frühstück blieb Max auch keine Gelegenheit, mit Leni zu reden, denn da tauchte ihr Verlobter auf …
***
Auch beim Nachbarn war Frühstückszeit. Lukas Scharnitzer hatte die halbe Nacht im Stall bei einer kranken Sau gewacht. Endlich, gegen halb sechs, war das Fieber gesunken, unter dem das Muttertier nach einem Wurf von vierzehn Ferkeln gelitten hatte.
Da es sich nicht mehr rentiert hatte, noch ins Bett zu gehen, hatte der tüchtige Jungbauer nach seiner Wache gleich mit der regulären Stallarbeit angefangen und kam deshalb etwas zu spät zum Frühstück. Sepp warf ihm einen strengen Blick zu, der sich aber abmilderte, als er hörte, dass die Sau auf dem Weg der Besserung war.
Maria zeigte sich besorgt um Lukas, wie das so ihre Art war. Sie war eine sehr fürsorgliche und warmherzige Frau. »Nach dem Frühstück legst du dich aber hin, Bub«, bat sie ihn nachdrücklich. »Du musst dich ausruhen, ein bisserl Schlaf nachholen.«
»Das mach ich heut Nacht, Mama«, versprach der fesche Bursch mit dem gut geschnittenen Gesicht, den dunklen Haaren und den klugen, grauen Augen. »Heut hab ich noch viel zu tun.«
»Lass nur, die Mama hat schon recht«, meldete sich nun sein Bruder Thomas zu Wort. Er schaute Lukas so gar nicht ähnlich, war blond und blauäugig wie die Mutter und hatte auch deren angenehm ausgeglichene Art geerbt. Die Brüder kamen wunderbar miteinander aus, und es war beschlossene Sache, dass sie den Erbhof weiterhin gemeinsam führen wollten. Der Betrieb war groß genug, um mehrere Familien zu tragen. Freilich nur, falls Thomas nicht sonst wo einheiraten würde.
Der jüngere Scharnitzer hatte sich noch für kein Madel entschieden, war aber bei vielen beliebt. So schien in dieser Beziehung noch alles offen. »Der Betrieb wird freilich net gleich still stehen, wenn du dich mal ein paar Stunden aufs Ohr legst.«
Lukas lachte. »Der Betrieb vielleicht net, aber ich hab nach dem Frühstück noch was vor. Will die Leni an unsere Verabredung heut auf d’ Nacht erinnern.«
»Meinst, sie vergisst es sonst?«, neckte Thomas ihn.
»Wer weiß …« Der Jungbauer wandte sich an seinen Vater. »Ich bleib net lang drüben, wir können dann zusammen in den Forst fahren, die neuen Holzknechte einweisen.«
»Der Förster wird die Ausrüstungen kontrollieren wollen. Ja, mei, es werden halt immer mehr Vorschriften, selbst beim Holzeinschlag, da braucht man bald ein Diplom …«
Thomas grinste. »Das mach ich mit links.« Dann wollte er von seinem Bruder wissen, was er und seine Liebste denn am Abend vorhatten. »Ich treff mich mit der Gabi. Was hältst du davon, wenn wir zu viert nach Schliersee fahren und ein bisserl feiern?«
»Heut net, Thomas. Lieber am Wochenend. Ganz fit bin ich nämlich nicht. Außerdem will ich mit der Leni über einen Termin reden. Es sollte jetzt langsam absehbar sein, wann der Christian aus dem Allgäu zurückkommt. Sie mag ja ihren Vater vorher net allein lassen, auch wenn sie sozusagen nur ein Haus weiterzieht.«
»Es wird auch wirklich Zeit, dass ihr zwei endlich heiratet«, frotzelte sein Bruder. »Nachher schnappt dir noch ein anderer die süße Leni weg. Also, wenn ich ehrlich sein soll, mir könnte sie auch gefallen …«
»Wenn das dein Ernst ist, müssen wir raufen«, entgegnete Lukas in gleicher Manier.
»Mei, Buben, hört auf mit dem Schmarren!«, bat die Mutter da ein wenig verstimmt. Sie machte plötzlich ein so ernstes Gesicht, dass Lukas nicht recht wusste, was er davon halten sollte. Als er seine Mutter aber fragte, wiegelte sie ab und behauptete nur vage: »Heiraten ist ein großer und wichtiger Schritt. Damit treibt man keine Spaßletten.«
»Wie auch immer, ich schau schnell drüben vorbei. Bin in ein paar Minuten wieder da«, meinte der Jungbauer und erhob sich. Dabei bemerkte er, dass die Eltern einen vielsagenden Blick tauschten. Er fragte sich, was das wohl zu bedeuten hatte …
Leni freute sich immer, wenn Lukas vorbeikam, auch wenn er sich nur kurz Zeit nahm, weil die Arbeit auf ihn wartete.
Als er gleich darauf die Küche auf dem Schwalbenhof betrat, schenkte sein Schatz ihm ein zauberhaftes Lächeln, das ihm das Herz öffnete. Liebevoll nahm Lukas das Madel in seine starken Arme und stahl ihr ein langes, inniges Busserl. Sie schmiegte sich an ihn und war ganz selig. Für eine kleine, süße Ewigkeit vergaßen die zwei Verliebten da alles andere und waren einander genug.
Nur widerwillig gab der Bursch seine Liebste wieder frei. Und als sie ihn mit glänzenden Augen anschaute, hätte er ihr am liebsten gleich noch ein Busserl gestohlen. Groß war seine Sehnsucht nach der schönen Hoftochter, und sein Herz quoll über vor lauter Liebe zu ihr. Doch er besann sich darauf, dass sein Vater drüben wartete, und kam deshalb gleich auf den Grund seines Besuches zu sprechen.
»Ich komm heut gegen sieben vorbei, dann haben wir noch genug Zeit für einen kurzen Spaziergang, einverstanden?«
»Freilich. Wir können aber auch gern hierbleiben. Mein Vater hat heut Abend Ratssitzung, da wären wir ungestört«, schlug Leni ihm vor.
»Ich möchte gern ein bisserl an die frische Luft bei dem schönen Wetter«, hielt er ihr entgegen und gab zu: »Außerdem redet es sich im Gehen leichter als im Sitzen.«
Leni bedachte ihren Schatz mit einem verschmitzten Blick. »Was hast du denn so Wichtiges mit mir zu bereden, dass dir noch dazu schwerfällt?«, neckte sie ihn.
»Nix Schweres, aber was Wichtiges. Du wirst es schon sehen. Jetzt muss ich los, der Vater wartet, dass wir zusammen in den Forst fahren. Bis heut Abend, Schatzerl.« Ein Busserl stahl er ihr noch, dann machte er sich schon wieder auf den Weg. Leni schaute ihm versonnen nach. Ihr Herz schlug für Lukas, denn er machte sie rundum glücklich und zufrieden.
Obwohl sie einander schon von Kindesbeinen an kannten, hatte die Liebe ihre Herzen doch tief und stürmisch füreinander entflammt. Das Madel konnte es kaum erwarten, endlich Lukas’ Frau zu werden und das Leben mit ihm zu teilen.
Leni trat hinter das Küchenfenster und schaute ihrem Liebsten hinterher, der nun mit langen Schritten nach drüben eilte. Groß und sportlich war Lukas, ein Bild von einem Jungbauern. Innig und liebevoll blickte sie ihm nach, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte.
Als sie dann den Blick wandte, bemerkte sie Max Färber, der gerade aus dem Stall getreten war. Auch er schaute dem Nachbarn hinterher, doch seine Miene war alles andere als freundlich. Finster war sein Blick, er ballte sogar die Hände zu Fäusten.
Leni erschrak, als sie das sah. Gab es vielleicht einen Zwist zwischen Lukas und Max, von dem sie nichts wusste? Welchen anderen Grund sollte der Großknecht haben, so wütend hinter ihrem Verlobten herzustarren? Leni konnte sich das einfach nicht erklären.
Sie beobachtete, wie Max über den Wirtschaftshof stapfte, die Hände in den Hosentaschen vergraben, den Blick stur zu Boden gerichtet. So kannte sie ihn gar nicht. Was mochte nur los sein zwischen ihm und Lukas?
***
Max war dem Nachbarn tatsächlich alles andere als freundlich gesonnen, im Gegenteil. Er hasste Lukas Scharnitzer, denn er beneidete ihn glühend.
Seit beinahe zehn Jahren arbeitete Max nun schon auf dem Schwalbenhof. Mit nicht mal zwanzig Jahren war er damals zum Baumgartner gekommen, hatte als einfache Saisonkraft angefangen und sich allmählich zum Großknecht hochgearbeitet. Unermüdlich war er auf seinem Posten, geschickt und umsichtig. Er hatte stets alles im Griff und auf jedem Gebiet den Überblick.
Doch so sehr er sich auch anstrengte, sein heimlicher Traum würde sich doch nie erfüllen, das ahnte er. Nicht nur der Wunsch, selbst Bauer auf einem Hof zu sein, bewegte das Herz des Burschen. Auch seine heimliche Liebe zu Leni Baumgartner beherrschte sein Leben. Alles hätte Max für Leni getan, aber sie sah nur einen Spezl in ihm, nicht mehr.
Als er damals auf den Schwalbenhof gekommen war, da war die Hoftochter gerade mal fünfzehn Jahre alt gewesen. Mit ihrem Bruder, der drei Jahre älter war, hatte Max sich auf Anhieb gut verstanden. Die Vorstellung, dass Christian in Zukunft sein Bauer sein würde, hatte vieles für sich, fand der Großknecht.
Er und Christian waren Spezln, ein freundschaftlicher Umgang miteinander schien da selbstverständlich. Doch so wie jetzt würde es in Zukunft nicht weitergehen. Seit Ferdinand die Leitung des Hofes in seine Hände gelegt hatte, war Max sich seiner neuen Freiheit sehr bewusst geworden. Und er hatte diesen Zustand durchaus zu seinen Gunsten ausgenutzt …
Der Großknecht hatte an diesem Tag noch Schriftliches zu erledigen. Die Lohnabrechnungen mussten gemacht werden. Er wusste, dass der Bauer diese Arbeit hasste. Und so hatte er das Arbeitszimmer nun für sich allein, was ihm nur recht war.
Ferdinand schaute gegen Abend kurz herein und lobte den Fleiß des Burschen, der unermüdlich schien.
»Mach bald Feierabend, Max, für heut ist’s genug!«, mahnte er noch, bevor er das Arbeitszimmer wieder verließ.
»Bin eh gleich fertig«, versicherte der und lächelte freundlich. Kaum war er wieder allein, verschloss sich seine Miene und wurde sogar grimmig, als er hörte, dass draußen einer am Klingelstrang zog. Das konnte nur eins bedeuten …
Tatsächlich verließen Leni und Lukas gleich darauf das Haus. Hand in Hand spazierten sie über den Wirtschaftshof und bogen dann auf einen Feldweg ab, der vom Schwalbenhof aus mitten in die frühherbstliche Natur rund um Oberbach führte.
Mit finsteren Blicken starrte Max dem jungen Paar nach. Was hatte der langweilige Scharnitzer nur an sich, das Leni so gefiel? Max konnte das einfach nicht verstehen. Er hatte schon so viel angestellt, um die Hoftochter zu beeindrucken. Einige Male hatte er weite Reisen unternommen, nur um Leni danach Fotos zeigen zu können und ihr von exotischen Orten zu erzählen.
Das teure Motorrad, das er sich nur ihretwegen gekauft hatte, stand kaum benutzt in der Remise. Max hatte keine Zeit für lange Touren. Und Leni hatte keine einzige seiner Einladungen zu einer Spritztour angenommen.
All das hatte viel Geld gekostet, das er nicht besaß. Zunächst hatte er Kredite aufgenommen. Doch sein Gehalt reichte der Bank nicht aus, und er war in Bedrängnis geraten. Als der Bauer ihm dann bei der Hofführung freie Hand gelassen hatte, war Max in Versuchung geraten. Und er hatte dieser Versuchung nachgegeben.
Seither hatte er einiges in die eigene Tasche gewirtschaftet. Seine doppelte Buchführung war überaus geschickt verschleiert. Nur wer ausdrücklich danach suchte, konnte fündig werden. Und da der Bauer ihm blind vertraute, war er – noch – in Sicherheit.
Ob Max seine Betrügereien aber auf Dauer verheimlichen konnte, war ungewiss. Er knirschte mit den Zähnen. Und das alles wegen eines Madels, das ihn nicht mal anschaute!
Eine Weile marschierte er unruhig im Arbeitszimmer auf und ab. Schließlich setzte er sich wieder hinter den Schreibtisch und fuhr mit seiner Arbeit fort. Und auch diesmal floss eine nicht unerhebliche Summe in seine eigene Tasche …
Währenddessen spazierten Leni und Lukas durch den frischen Frühherbstabend. Der Himmel über dem Tal war klar, kein Wölkchen trübte die Sicht. Die Sonne war bereits hinter der Benzingspitz im Westen untergegangen, ein letzter Widerschein von Licht vergoldete aber noch die Schinderwand im Osten und schuf einen schwarzen Schlagschatten, wo die Klamm steil abfiel. Dort stürzte auch ein Wildwasser zu Tal, dessen Rauschen man aus der Ferne vernehmen konnte.
Leni und Lukas passierten ein abgeerntetes Weizenfeld, von dem eine Gruppe Saatkrähen krächzend aufstob. Rot leuchteten die Hagebutten am Wegesrand, kleine, wilde Glockenblumen setzten dunkelblaue Tupfer. Eine Amsel sang im höchsten Wipfel einer Lärche, Bergfinken flatterten zwitschernd zum nahen Föhrenwald. Vom Dorf her klangen die Abendglocken zu dem jungen Paar herauf, das selbstvergessen seinem Weg folgte.
Immer wieder blieben die beiden stehen, um ein verliebtes Busserl zu tauschen. Als sie schließlich eine Bank erreichten, die an einem Wegkreuz stand, schlug Leni vor, sich zu setzen.
»Du wolltest doch noch was mit mir bereden«, erinnerte sie Lukas, der aber nur ans Busserln dachte. »Oder irre ich mich?«
Er seufzte und gab zu: »Ganz und gar net. Ich wollte mit dir über einen Termin für unsere Hochzeit reden. Vor dem Winter soll es noch sein, finde ich. Die Ernte ist fast vorbei, wir haben bald ein bisserl mehr Zeit. Und die sollten wir nutzen …« Er suchte ihren Blick und schaute ihr tief in die Augen.
Leni seufzte sehnsüchtig. »Du hast recht, wir müssen endlich einen Termin festlegen«, pflichtete sie ihm bei. »Aber solange der Christian noch im Allgäu ist …«
»Er sollte doch bald zurückkommen, oder?«
»In vier Wochen, ja. Allerdings hat er sich schon eine Weile nimmer gemeldet. Vielleicht will er ja verlängern. Als ich das letzte Mal mit ihm telefoniert hab, da war er recht begeistert von seiner Arbeit auf dem Mustergut.«
»Das mag ja sein, aber er sollte net nur an sich denken.«
»Lukas … Der Christian ist Bauer mit Leib und Seele. Er geht ganz auf in seiner Arbeit. Und er ist sehr wissbegierig. Trotzdem wird er bald heimkommen, er weiß ja, dass wir warten.«
»Allmählich fange ich an, daran zu zweifeln«, murrte der Bursch da unzufrieden. »Dein Bruder ist manchmal ein bisserl arg leichtsinnig. Er tut auch gern, was ihm so in den Sinn kommt. Und hernach denkt er nimmer an die anderen.«
»Er wird gewiss bald heimkommen«, bekräftigte das Madel da noch einmal und schlug vor: »Wir können trotzdem schon mal einen Termin festlegen. Das Fest muss ja schließlich geplant werden. Deine Mama wird wohl die meiste Arbeit übernehmen. Aber ich möchte auch meinen Teil dazu beitragen. Vor allem bei den Kuchen und Torten bin ich dabei.«
»Mein süßer Schatz«, neckte er sie und stahl ihr ein Busserl. »Gut, dann legen wir den ersten Oktober fest. Oder hast du eine bessere Idee?«
»Ich finde, das klingt richtig gut.« Sie lachte, als Lukas sie stürmisch an sich zog und mit seiner Zärtlichkeit richtiggehend überschüttete.
Eine Weile saß das junge Paar dann noch beisammen auf der Bank, bis der Mond über die Spitze des Schinder lugte und die Sterne am Firmament funkelten. Dann spazierten sie eng umschlungen und wunschlos glücklich nach Hause.
»Komm doch noch auf einen Sprung zu uns und sag den Eltern und dem Thomas Hallo!«, schlug Lukas vor, als sie den Schwalbenhof erreicht hatten, wo kein Licht brannte. Ferdinand Baumgartner schien noch auf der Ratssitzung zu sein.
Leni hatte nichts dagegen. Sie fühlte sich beim Nachbarn schon so gut wie daheim. Und Lukas war froh, weil er seine Liebste noch nicht gleich hergeben musste.
Maria und Sepp saßen in der guten Stube vor dem Fernseher. Thomas war allerdings noch nicht zu Hause. Seine Verabredung schien an diesem Abend etwas länger zu dauern …
Nachdem Leni ihre Schwiegereltern in spe begrüßt hatte, setzte sie sich noch ein wenig zu ihnen und nahm auch gerne das Glas Wein, das der Altbauer ihr anbot.
»Ob es wohl was Ernstes wird zwischen dem Madel vom Bachner und dem Thomas?«, sinnierte er dabei. »Was meinst du, Leni?«
»Die Gabi? Ich weiß net … Ein bisserl leichtsinnig ist sie schon. Sie flirtet gern und hat eine ganze Menge Verehrer. Wenn der Thomas sich wirklich für sie interessiert, wird er sich arg anstrengen müssen.«
Wie aufs Stichwort erschien der jüngere Scharnitzer da und machte einen ziemlich belämmerten Eindruck. Er begrüßte Leni freundlich, ließ sich aufs Sofa fallen und stellte fest: »Dieses Madel ist gewiss net die Rechte für mich. Stellt euch mal vor, sie hat mich beim Tanzen einfach abgehängt, weil ihr so ein Lackel aus der Stadt besser gefallen hat. Aber heimfahren durfte ich sie nachher. So was …«
Leni musste schmunzeln. »Die Gabi hat schon viele Herzen gebrochen. Bei ihr solltest du lieber vorsichtig sein. Eh du dich’s versiehst, hält sie dich am Gängelband, und du reihst dich in die Schar ihrer Verehrer ein. Und die ist wirklich groß.«
Thomas hob unbekümmert die Schultern. »Mag sein, doch so weit kommt es net, das ist gewiss. Ich brauch keine, die mich an der Nase herumführt. Das hab ich wirklich net nötig. Also, für heut reicht’s mir. Gute Nacht allerseits!«
Sepp Scharnitzer trank einen Schluck Wein und meinte, nachdem sein Jüngerer die Stube verlassen hatte: »Meine Frage hat der Bub mir damit selbst beantwortet. Ich mein fast, er war ein bisserl erleichtert. Mag er sich noch net entscheiden? Oder geht er am End darauf aus, einschichtig zu bleiben? Als so eine Art Dorfcasanova von Oberbach?«
Maria schüttelte den Kopf und seufzte: »Nur das net!«
»Der Thomas wird noch die Rechte finden, groß genug ist seine Auswahl«, sagte Lukas nachsichtig. »Und es eilt ja auch net. Zuerst feiern wir zwei mal Hochzeit, gelt, Schatzerl?«
»Ich hab nix dagegen«, meinte Leni. Sie schmiegte sich an ihren Schatz, der einen Arm um ihre Schultern gelegt hatte.
So im Kreise ihrer zukünftigen Familie hatte sie sich stets geborgen gefühlt.
Als sie nun von Maria zu Sepp schaute, hatte Leni aber den unbestimmten Eindruck, als stünde etwas unausgesprochen zwischen ihnen. Die Bauersleute erschienen ihr auf eine schwer zu beschreibende Weise distanziert. Leni konnte das nicht begreifen. Oder bildete sie sich bloß etwas ein? Denn was für einen Grund sollte es schließlich dafür geben?
***
Zwei Wochen später rief Christian Baumgartner daheim an und erklärte, dass er früher zurückkommen würde als abgemacht. Er klang überaus fröhlich, fast aufgekratzt, als er noch hinzufügte: »Ich bringe auch eine große Überraschung mit. Mei, ihr werdet staunen!«
So sehr Leni sich bemühte, ihm sein Geheimnis zu entlocken, ihr Bruder wehrte lachend all ihre Versuche ab und riet ihr, ein klein wenig Geduld zu haben. Nach dem Telefonat sagte das Madel dann zu seinem Vater: »Das gefällt mir ganz und gar net. Wer weiß, was der Christian sich wieder für einen Floh hat ins Ohr setzen lassen! Wenn er so lustig ist, kommt meist eine spinnerte Idee ins Spiel.«
»Er wird sich halt freuen, dass er heimkommt«, vermutete der Vater nachsichtig. »Den eigenen Hof zu führen, das ist doch schließlich was anderes, als irgendwo angestellt zu sein. Auch wenn es sich um ein Mustergut handelt.«
»Dass er den Schwalbenhof übernimmt, steht ja schon lange fest. Nein, Vater, da muss was anderes dahinterstecken. Ich hoffe sehr, er hat sich net auf was Unvernünftiges eingelassen, und wir müssen noch länger mit der Hochzeit warten.«
»Aber ihr habt doch jetzt einen Termin festgelegt. Net einmal mehr vier Wochen, dann wird aus meiner Tochter meine Nachbarin«, scherzte Ferdinand trocken. »Und bis dahin wird dein Bruder hier längst der Bauer sein. Keine Sorge, Leni, es fügt sich alles genau so, wie du es dir wünschst.«
Das Madel machte eine skeptische Miene und murmelte: »Ich hoffe wirklich, du hast recht, Vater …«
Am nächsten Morgen – auf dem Schwalbenhof wurde gerade gemeinsam das Frühstück eingenommen – zog einer so übermütig am Klingelstrang, dass Leni überzeugt war: »Das kann nur der Christian sein!« Sie sprang auf und eilte zur Tür, um ihn hereinzulassen. Und sie hatte sich nicht getäuscht.
Im nächsten Moment lag Leni in den Armen ihres Bruders, der sie nach seiner langen Abwesenheit innig herzte und ihr ein dickes Busserl auf die Wange drückte. Dann aber stutzte sie, denn als er sie freigab, bemerkte sie, dass Christian nicht allein war. Ein Stück hinter ihm stand ein hübsches, schlankes Madel mit glänzenden, dunklen Locken, das Leni lieb zulächelte.
»Schwesterherz«, hörte sie Christian da auf seine lustige Art sagen, »das ist meine Herzallerliebste. Darf ich vorstellen? Martina Bichler. Martina, meine Schwester Leni.«
»Grüß dich. Ich freue mich, dich kennenzulernen. Der Chris hat mir viel von daheim erzählt, auch von dir. Aber dass er eine so hübsche Schwester hat, wusste ich net.«
»Du musst dich gewiss auch net verstecken«, erwiderte Leni automatisch. »Das ist aber wirklich eine Überraschung. Kommt herein, der Vater wird Augen machen!«
Christian lachte übermütig auf und eilte ins Haus, Martina folgte ihm mit gemessenem Schritt.
Leni, die an ihrer Seite blieb, fragte: »Du schreibst dich Bichler? So heißt doch auch das Mustergut, auf dem mein Bruder sein Praktikum absolviert hat, oder?«
Martina nickte. »Ja, das ist der Bichler-Hof. Er gehört meinen Eltern in der fünften Generation.«
»Und du bist demnach die Hoftochter. Hast du denn noch andere Geschwister?«
Ehe Martina ihr antworten konnte, trat Christian in die offene Tür zum Esszimmer und drängte: »Nun komm doch, wo bleibst du denn so lange? Ich will ein bisserl mit dir angeben, mein Schatz.« Er legte einen Arm um sie und zog sie mit sich.
Leni betrat mit einem bangen Gefühl die Stube, wo es bereits hoch herging. Christian brachte immer Leben ins Haus, nun aber war er bis über beide Ohren verliebt und wollte sein Glück gewiss nicht für sich behalten. Seine Schwester fragte sich aber, was dieses Glück wohl für sie zu bedeuten hatte.
Wenn Martina die Hoferbin war, dann …
»Leni, komm mal her! Was stehst denn du da hinten herum wie ein Trauerklöserl?«, rief Christian in ihre Gedanken. Er legte seinen freien Arm um sie und stellte fest: »Nix ist schöner, als heimzukommen mit einer wunderbaren Nachricht im Gepäck. Vater, Leni, ich hab euch was zu sagen. Die Martina und ich, wir wollen heiraten. Ich hab nämlich im Allgäu mein Glück gefunden!«
»Mei, Christian, alter Galgenstrick!« Max sprang von seinem Stuhl auf und klopfte dem Burschen herzhaft die Schulter. »Da geht dieser Frechdachs zum Praktikum fort und kommt mit einer Braut zurück. So was lass ich mir gefallen!«
Christian lachte und nahm auch gerne die Glückwünsche des restlichen Gesindes entgegen. Er versprach, am Abend alle auf eine Maß und ein Stamperl ins Wirtshaus einzuladen, und erntete dafür reichlich Beifall. Nachdem Knechte und Mägde wieder an ihre Arbeit gegangen waren, saßen Ferdinand, Leni und das junge Paar noch in Ruhe beisammen.
Der Bauer ermunterte Martina, ein wenig von sich zu erzählen, und meinte dann: »Es wird wohl eine große Umstellung für dich werden, Madel, wenn du hierher nach Oberbach kommst. Aber du wirst dich gewiss leicht einleben und wohlfühlen bei uns.«
Martina tauschte einen unsicheren Blick mit Christian, der erklärte: »Wir werden auf dem Bichler-Hof leben, Vater.«
Auf diese Eröffnung folgte zunächst einmal betretenes Schweigen. Leni erhob sich mit einem Ruck und eilte aus der Stube. Ferdinand schaute seinen Sohn nachdenklich an.
»Und was soll dann aus dem Schwalbenhof werden, Bub? Wir haben auf dich gezählt. Die Leni wartet ja nur darauf, dass du endlich heimkommst, damit sie ihren Lukas heiraten kann.«
»Na ja …« Der Bursch lächelte schmal. »Die Bichlers haben nur ein Kind, die Martina. Sie brauchen halt auch einen Jungbauern. Ich hab gehofft, dass uns gemeinsam eine Lösung einfallen wird. Freilich will ich der Leni net im Weg stehen, aber ich kann doch auch nicht wegen meiner Schwester auf mein eigenes Glück verzichten.« Er lächelte Martina innig zu. »Wir haben uns sehr lieb und möchten uns nimmer trennen, gelt, Hasi?«
»Gewiss net.« Das Madel schaute Ferdinand schuldbewusst an. »Ich fühl mich aber auch recht schlecht bei dem Gedanken, dass ich euch den Jungbauern stehle …«
»Schmarren!« Der Bauer schüttelte spontan den Kopf und versicherte: »Wir finden ganz bestimmt eine Lösung. Wenn ihr euch lieb habt, ist das allemal wichtiger. Das Glück meiner Kinder steht für mich freilich an erster Stelle.«
Christians Miene hellte sich gleich auf. »Na, siehst du, Schatzerl! Ich hab dir doch gesagt, dass der Vater sich mit uns freuen wird«, meinte er leichthin.
Ferdinand Baumgartner freute sich tatsächlich, dass sein Sohn offenbar die Rechte fürs Lebensglück gefunden hatte. Aber wie es nun auf dem Schwalbenhof und für Leni weitergehen sollte, das vermochte er auf Anhieb nicht zu sagen. Und auch nach etwas längerem Nachdenken fiel ihm da keine rechte Lösung ein …
***
Max Färber hatte die Tür zum Arbeitszimmer offen gelassen, denn ein Gefühl sagte ihm, dass an diesem Morgen noch etwas geschehen würde auf dem Schwalbenhof. Christian war allerweil für eine Überraschung gut. Und dass er so einfach eine Braut mit heimbrachte, noch dazu zwei Wochen früher als verabredet und ohne viel Gepäck, das kam dem Großknecht doch spanisch vor.
Als Leni dann an der offenen Tür vorbeisauste, bleich und verstört, fühlte Max sich in seinem Verdacht bestätigt und folgte der Hoftochter in die Küche. Sie stand vor dem Fenster und starrte blicklos hinaus. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken, ohne dass sie einen hätte festhalten und logisch zu Ende hätte denken können.
Eines aber schien klar zu sein: Ihr Bruder hatte es wieder einmal geschafft, alle in Erstaunen zu versetzen. Lukas hatte gar nicht so unrecht gehabt. Christian konnte wirklich sehr leichtsinnig und egoistisch sein. Warum nur hatte sie ihn vor ihrem Verlobten auch noch in Schutz genommen?
Ihr Bruder hatte nur an sich gedacht und sich keinerlei Gedanken über sie gemacht. Leni biss sich auf die Lippen. Wenn sie an ihren Hochzeitstermin dachte, hätte sie am liebsten geweint. Christian hatte ihr mit seinem egoistischen Verhalten einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. War es denn ihr Schicksal, immer nur warten und für andere zurückstehen zu müssen? Wütend ballte sie die Hände zu Fäusten. Nein, das wollte sie nicht mehr! Sie hatte doch schließlich auch ein Recht darauf, glücklich zu sein.
»Leni, was ist denn los?«, hörte sie da Max fragen.
Sie hatte ihn gar nicht bemerkt, drehte sich nun um und stellte fest, dass er die beiden Küchenmägde hinausgeschickt hatte. Mit einem gequälten Seufzer ließ sie sich an der Eckbank nieder und erklärte: »Der Christian will net heimkommen. Er bleibt bei der Martina im Allgäu, will dort den Jungbauern machen. Mei, Max, ist denn das zu fassen? Fast ein Jahr lang hab ich nun darauf gewartet, dass mein Bruder heimkommt, damit ich endlich auch einmal an mich denken kann. Und nun das!«
Der Großknecht setzte sich zu ihr, nahm behutsam ihre Rechte und drückte sie leicht. Aufmunternd erwiderte er: »Es wird schon werden. Dein Vater findet gewiss eine Lösung. Der Schwalbenhof geht auch ohne den Christian net unter.«
»Mag sein. Aber wie soll diese Lösung ausschauen? Ohne Bauern geht es nicht.«
»Ich bin ja auch noch da. Seit dein Vater es mit dem Herzen hat, bin ich quasi hier der Bauer«, erinnerte er sie mit verhaltenem Stolz. Doch Leni machte ein skeptisches Gesicht.
»Auf die Dauer ist das keine Lösung, das weißt du auch. Und ich will net, dass der Vater sich wieder zu viel zumutet, weil der Christian nur sich selbst kennt.« Sie erhob sich mit einem Ruck und begann, unruhig in der Küche auf und ab zu gehen.
Max beobachtete sie mürrisch. Dass sie ihm nicht zutraute, ständig den Bauern zu ersetzen, wurmte ihn. Hatte er denn nicht bewiesen, dass er den Schwalbenhof ebenso gut führen konnte wie Ferdinand Baumgartner? Warum nur war Leni so borniert?
»Vielleicht redest du mal mit dem Lukas«, riet er ihr nach einer Weile des Schweigens. »Er muss schließlich wissen, was hier los ist, es geht ihn auch was an. Und vielleicht hat er ja eine Idee, mit der alle leben können.«
Die Hoftochter blieb stehen, ihr Blick hellte sich auf. »Du hast recht. Ich dank dir, dass du dir Zeit für mich genommen hast. Mei, Max, gut, dass wenigstens du allerweil einen kühlen Kopf bewahrst! Ich kann das leider net.« Sie lächelte ihm flüchtig zu und eilte dann aus der Küche.
Der Großknecht erhob sich mit einem leisen Seufzer. Einen kühlen Kopf hatte er gewiss, doch sein Herz war alles andere als unbeteiligt. Wie leicht hätte sich alles fügen können, wenn Leni seine Gefühle nur erwidern würde! Aber davon konnte leider keine Rede sein. Es kam ihr nicht mal in den Sinn, an so etwas zu denken. Es war schon ein Kreuz …
Leni hatte derweil Lukas im Stall erwischt. Er war überrascht, aber auch erfreut, sie zu sehen. Doch ihr blasses, aufgeregtes Gesicht machte ihm sofort deutlich, dass es nicht die Sehnsucht nach ihm war, die sie zu ihm getrieben hatte. Etwas musste passiert sein.
»Ich muss dringend mit dir reden«, war dann auch das Erste, was sie statt einer Begrüßung zu ihm sagte.
»Komm, gehen wir ins Haus!«, schlug Lukas vor. Aber das wollte seine Liebste nicht. Sie setzte sich im Wirtschaftshof auf die Baumbank, die den dicken Stamm eines Ahorns umspannte, und erzählte stockend: »Der Christian ist eben heimgekommen. Er hat ein Madel mitgebracht, das er heiraten mag. Die Martina ist die Hoftochter vom Bichler-Hof im Allgäu. Und dort wollen die beiden in Zukunft leben, mein Bruder soll da den Jungbauern machen.«
Lukas erschrak. »Und was ist dann mit unseren Plänen?«
»Wenn ich das wüsste! Mein Bruder hat mal wieder nur an sich gedacht, fürchte ich. Und der Vater wird ihm gewiss net das Lebensglück verbieten wollen.«
»Aber unser Lebensglück zählt doch auch, oder?«
»Mei, Lukas, ich bin im Moment ganz ratlos. Das Beste wird wohl sein, wenn wir uns am Abend zusammensetzen und alles bereden. Die Gemüter müssen sich erst mal ein bisserl beruhigen und dann …«
»Leni, ich bitt dich!«, unterbrach der Bursch seine Liebste da impulsiv. »Wir hätten schon im Frühling heiraten können, wenn es nach mir gegangen wäre. Ich hab gewartet, weil du deinen Vater net hast allein lassen wollen. Aber das kann doch net ewig so weitergehen. Wir müssen auch mal an uns denken!« Als er die Tränen in ihren klaren Augen sah, bereute Lukas seine heftigen Worte gleich. Liebevoll zog er Leni in seine Arme und küsste ihr die Tränen fort.
»Es tut mir leid, mein Engerl. Ich weiß, dass ich dir keinen Vorwurf machen kann. Du hast ja ebenso zu leiden wie ich.« Er schaute ihr in die Augen, die ihn schon wieder lieb anlächelten. »Damit muss jetzt Schluss sein. Ich rede mit meinen Eltern und komm nach dem Nachtmahl zu euch herüber. Dann machen wir aber Nägel mit Köpfen, versprochen?«
Sie nickte und schmiegte sich noch einmal wie Hilfe suchend in seine starken Arme. Wenn Lukas bei ihr war, dann war für Leni alles gut. Aber ein ungnädiges Schicksal schien verhindern zu wollen, dass sich ihr Glück erfüllte und sie ihr Leben endlich miteinander teilten. Ob daran eine abendliche Aussprache im Kreise der Familie etwas ändern konnte? Leni wagte, das zu bezweifeln. Und sie hatte Angst davor, dass ihre Zweifel sich am Abend bestätigen würden. Was sollte dann nur werden?
***
Bis zum Abend hatte Ferdinand Baumgartner sich einige Gedanken über die Zukunft seiner Kinder und nicht zuletzt auch über die Zukunft des Schwalbenhofs gemacht. Es war nicht die Art des Bauern, gleich aufzugeben, wenn sich Schwierigkeiten zeigten oder etwas nicht so kam wie geplant. Sachlich überdachte er die Lage und kam schließlich auf eine Lösung, die nahelag.
Als der Bauer darüber mit seinem Großknecht sprach, war dieser angenehm überrascht und auch gleich einverstanden.
Also ging Ferdinand leidlich optimistisch in das Gespräch mit seinen Kindern.
Christian hatte den Tag damit verbracht, Martina den Hof und die Umgebung zu zeigen. Sie sollte die Heimat ihres Liebsten kennenlernen, wissen, woher er kam und wo er auch jetzt noch Wurzeln hatte. Am Nachmittag hatte Martina Leni ein wenig bei der Hausarbeit geholfen. Die beiden Madeln im ähnlichen Alter waren sich auf Anhieb sympathisch. Leni konnte verstehen, dass ihr Bruder Martina gern hatte. Sie bemühte sich, freundlich zu ihrer zukünftigen Schwägerin zu sein, es ihr nicht unnötig schwer zu machen, denn Martina gab offen zu, dass sie ein schlechtes Gewissen Leni gegenüber hatte.
»Ich weiß, ihr habt darauf gewartet, dass der Chris heimkommt und den Hof übernimmt, besonders du. Ich würde auch gerne hier leben, mir wäre das gewiss net zuwider. Aber meine Eltern sind froh, wenn sie in den Austrag gehen können. Sie sind beide net ganz gesund und müssten sich längst mehr schonen. Deshalb war ich schon auch erleichtert, als der Chris angeboten hat, bei uns auf dem Hof zu bleiben.«
»Du musst dich net rechtfertigen, Martina«, versicherte Leni begütigend. »Es war nur so ein Schock für mich, als der Christian verkündet hat, dass er einfach weggeht. Damit muss ich erst mal zurechtkommen. Wir werden schon eine Lösung finden.«
»Das hoffe ich sehr, sonst könnte ich deinen Bruder net mit ruhigem Gewissen heiraten«, gestand Martina ihr ein.
Ferdinand Baumgartner öffnete nach dem Nachtmahl eine gute Flasche Wein und stieß als Erstes auf das Brautpaar an. Dann schaute er wohlwollend in die Runde, wo neben Leni, Lukas, Martina und Christian auch Max Färber seinen Platz hatte, und erklärte: »Der Max ist dabei, weil er eine wichtige Rolle bei meinem Vorschlag spielt. Ich hab schon alles mit ihm beredet, und er ist einverstanden. Also, wenn der Christian seine Martina geheiratet hat – was, wie ich hoffe, auf dem Schwalbenhof geschehen wird – und die Leni drüben beim Scharnitzer wirtschaftet, dann geht uns bekanntermaßen ein Jungbauer ab.«
»Ich hab mit meinen Eltern darüber geredet«, warf Lukas da ein. »Wenn der Thomas bei uns übernehmen würde, könnten Leni und ich den Schwalbenhof bewirtschaften.«
»Net so schnell«, mahnte der Großknecht ihn gespielt locker. »Lass halt den Bauern ausreden! Hernach kann ein jeder seinen Senf dazugeben.«
Lukas bedachte Max mit einem kühlen Blick und schwieg.
»Danke für deinen Vorschlag«, sagte Ferdinand. »Aber wenn wir es so machen, wie ich mir das denke, dann muss keiner seine Pläne ändern. Was sich im vergangenen Jahr bewährt hat, das könnte ich mir durchaus als Dauerzustand denken. Das hieße dann konkret, dass der Max hier weiterhin den Bauern macht, solange ich noch da bin.
Nach meinem Tod würde ihm dafür ein Teil des Erbes zustehen. Das müssen wir noch testamentarisch genau festlegen. Aber ich denk mir, das wäre eine praktikable Lösung. Vielleicht wird der Thomas einheiraten, dann würden deine Eltern ohne Jungbauern dastehen, Lukas. Ich finde, vieles spricht dafür, es so zu machen, wie ich vorgeschlagen habe. Oder seid ihr anderer Meinung?«
Christian war wie stets der Entschlussfreudigste. »Ich finde deine Idee gut, Vater. Der Max ist ja schon so lange bei uns, er gehört fast zur Familie. Und dass er den Schwalbenhof ebenso gut führen kann wie du, das hat er im letzten Jahr auf jeden Fall bewiesen. Wenn ihr mich fragt, machen wir es so, wie der Vater gesagt hat.«
Lukas hatte nichts dagegen, aber Leni wandte ein: »Das kommt mir ein bisserl komisch vor. Nix gegen dich, Max. Ich will dir auch net absprechen, dass du ein guter Bauer bist. Aber der Schwalbenhof hat allerweil den Baumgartners gehört. Willst du ernsthaft mit dieser Tradition brechen, Vater? Das solltest du dir wirklich gut überlegen, finde ich.«
»Es geht auch um dein Glück, Leni«, erinnerte der Bauer seine Tochter da geduldig. »Außerdem bist du gleich nebenan, dein Mann auch. Und wenn der Thomas auf dem elterlichen Hof bleibt, könnt ihr später auch eine andere Lösung finden. Ich denk mir nur, hier und heute wäre es das Gescheiteste, es so zu machen.«
Leni schaute ihren Verlobten unsicher an, der meinte: »Lass dir den Vorschlag in Ruhe durch den Kopf gehen! Du wirst dich vielleicht erst einmal an den Gedanken gewöhnen müssen. Aber ich finde auch, dass dein Vater recht hat. Wir sollten zustimmen.«
»Wenn die Leni mir net traut, dann geht’s nicht!«
Ferdinand maß seinen Großknecht mit einem irritierten Blick. Bis jetzt war Max sehr sachlich und klug mit dieser Sache umgegangen. Dass er nun mit einem Mal so emotional reagierte, wunderte den Altbauern.
»Was ist los, Max?«, fragte er deshalb begütigend. »Sprich nur aus, was dich drückt! Wir wollen alle ehrlich zueinander sein, sonst hat das Ganze doch kleinen Sinn.«
»Ich … will gern den Hof weiterführen wie bisher«, versicherte er stockend. »Aber ich mag dabei net das Gefühl haben, als Eindringling betrachtet zu werden, als Knecht, der sich anmaßt, den Bauern zu spielen. Wenn die Leni das so sieht, dann steh ich für die Regelung nimmer zur Verfügung.«
Die Hoftochter sagte nichts. Im Grunde hatte Max nur das ausgesprochen, was sie dachte. Das hatte nichts damit zu tun, dass sie ihm misstraute oder ihm unlautere Motive unterstellte. Sie hatte einfach kein gutes Gefühl dabei. Für sie war Max der Großknecht. Und das konnte sich nicht so leicht ändern.
»Sag halt was, Schwesterherz«, forderte Christian sie ungeduldig auf. Ihm waren solche Bedenken, wie sie Leni umtrieben, fremd. Doch er war eben in vielen Dingen ganz anders als seine Schwester. Schnelle Entschlüsse und eine gewisse Nonchalance gehörten zu seinem Charakter. Das Bodenständige, das Abwägende und Tiefgründige war seine Sache nicht. »Wir wollen uns einig werden, damit wir alle nach unserer Fasson glücklich werden können. Gib deinem Herzen halt einen Stoß, Leni! Du kennst den Max doch, er wird seine Sache gut machen.«
Leni fühlte sich in eine Ecke gedrängt, in die sie nicht gehörte, und das ärgerte sie. Lukas spürte, wie es seiner Liebsten ums Herz war, deshalb schlug er vor: »Lassen wir der Leni noch ein bisserl Zeit. Grundsätzlich ist der Vorschlag vom Ferdinand aber für uns andere akzeptabel. Dabei sollten wir es fürs Erste belassen, finde ich.« Er streckte Christian die Hand hin, der gleich einschlug. »Also plant ihr zwei eure Hochzeit, denn wir stehen auch in den Startlöchern. Wir werden uns schon einigen, net wahr?«
»Ganz bestimmt«, meinte Christian. Seine Verlobte nickte nur, während Max mit verschlossener Miene neben dem Bauern saß. Er schien das Wohl und Wehe des Schwalbenhofs tatsächlich von Lenis Meinung abhängig zu machen. Und die schwieg sich aus.
***
Ein paar Tage vergingen, an denen nichts Ungewöhnliches geschah. Das Leben nahm seinen üblichen Lauf, die Hofarbeit wurde erledigt, alle taten ihre Pflicht. Max aber schlich wie die Katze um den heißen Brei um Leni herum. Er beobachtete sie heimlich, beäugte sie und wägte ab. Immer wieder fragte er sich, was die Hoftochter ihm vorzuwerfen hatte, warum sie dem Vorschlag ihres Vaters nicht längst zugestimmt hatte. Hielt sie ihn etwa für einen Erbschleicher? Meinte sie, er wolle sich auf diese Weise in die Familie Baumgartner drängen?
Allerlei unerfreuliche Gedanken gingen dem Großknecht durch den Kopf, während Leni nicht zu erkennen gab, was sie dachte und wollte. Sie plante zusammen mit Martina das Hochzeitsfest, das tatsächlich auf dem Schwalbenhof gefeiert werden sollte.
Ferdinand freute sich darüber, und er war auch ein wenig neugierig auf Martinas Eltern, die ein paar Tage vor der Hochzeit anreisten. Die Bichlers waren freundliche, bescheidene Menschen, mit denen man gut auskommen konnte. Man verstand sich auf Anhieb. Leni stellte bald fest, dass ihr Bruder im Allgäu wohl ein gutes Leben haben würde. Diese Erkenntnis gab für sie schließlich den Ausschlag, Ferdinands Idee zuzustimmen. Als sie mit ihrem Vater darüber redete, bat sie ihn auch, Max gleich Bescheid zu geben.
»Er wartet gewiss ungeduldig darauf, endlich Klarheit zu bekommen«, meinte sie. »In den letzten Tagen hat er mich ständig angeschaut, als wollte ich ihm vorsätzlich die Zukunft verbauen. Dabei war das wirklich net meine Absicht. Ich hab es mir halt nur gut überlegen wollen.«
»Das sagst du ihm lieber selbst«, riet der Vater ihr ernst. »Sonst denkt er nur, ich will ihn beruhigen. Er sollte von dir hören, dass du nix dagegen hast, wenn er hier weiterhin den Bauern macht.«
»Ist denn das so wichtig?« Leni hätte dieses Gespräch lieber nicht geführt. Sie schämte sich ein wenig vor Max, der sie immer gut behandelt hatte. Dass er nun glaubte, sie vertraue ihm nicht und traue ihm nichts zu, war ihr gar nicht recht. Der Vater bestand in diesem Fall aber darauf, dass sie mit dem Großknecht sprach und alles, was noch zwischen ihnen stand, klärte.
Max kam ihr dabei nicht entgegen. Ihre Bedenken schienen ihn schwerer getroffen zu haben, als sie ahnte. Sie wunderte sich darüber, dass er zu allem, was sie sagte, nur stumm nickte.
»Was hast du denn?«, fragte sie ihn schließlich völlig verunsichert. »Bist du denn immer noch bös auf mich, weil ich net gleich zugestimmt hab?«
»Du scheinst wirklich eine schlechte Meinung von mir zu haben«, beschwerte er sich. »Ich bin dir nie bös gewesen, Leni, das könnte ich gar net. Ich war enttäuscht, weil du mir net hast vertrauen können. Und ich hab daran gedacht, zu kündigen, den Schwalbenhof zu verlassen. Es ist kein schönes Gefühl, wenn man so gar net geschätzt wird.«
»Das stimmt doch nicht. Der Vater schätzt dich sehr.«
»Und du? Was denkst du über mich? Hältst du mich denn immer noch für einen, der mehr sein will, als recht ist? So was Ähnliches muss dir doch durch den Kopf gegangen sein, sonst hättest du gewiss net gezögert. Alle anderen waren gleich mit dem Vorschlag deines Vaters einverstanden. Nur du net.«
Leni machte ein ernstes Gesicht. »Wir kennen uns schon lang, Max. Als du bei uns eingestanden bist, da war ich fast noch ein Kind. Und du bist auch sehr jung gewesen. Man kann sagen, wir haben einen guten Teil unseres bisherigen Lebens zusammen verbracht. Und ich denk mir, dass ich dich recht gut kenne.«
Der Bursch lächelte schmal, sagte aber nichts. Was ihm dabei durch den Kopf ging, behielt er lieber für sich.
»Du bist ein wirklich guter Großknecht. Ohne dich hätte der Vater das vergangene Jahr über den Hof nimmer führen können. Ich weiß, dass er dir blind vertraut. Und dass du dieses Vertrauen gewiss nie missbrauchen würdest. Aber darum geht es gar net. Für mich bist du halt allerweil der Großknecht, net der Bauer. Daran kann sich nix ändern, verstehst?«
»Und warum bist du trotzdem einverstanden?«
Leni lächelte verhalten. »Weil der Vater es gern so haben will. Ich glaube, das ist auch seine Art, dir zu danken für alles, was du getan hast. Er macht dich zum Erben, das heißt, du gehörst jetzt sozusagen zur Familie. Aber das ist net alles. Ich möchte endlich den Lukas heiraten. Und das kann ich erst, wenn die Verhältnisse hier geregelt sind. Ich will’s halt so.«
»Verstehe.« Max wahrte sein Pokerface. »Damit kann ich leben. Ich dank dir für deine Offenheit, Leni.«
»Ist schon recht.« Sie atmete nach diesem Gespräch auf, denn sie meinte, dass nun auch zwischen ihr und Max die Fronten geklärt wären und sie wieder so gut miteinander auskommen könnten wie früher. Leni ahnte nicht, wie sehr sie sich irrte …
Am nächsten Tag führte Christian seine Martina zum Traualtar. Die bildschöne Braut im traditionellen Hochzeitsdirndl und ihr schneidiger Bräutigam, der sich für einen dunklen Festtagsloden entschieden hatte, gaben ein Bilderbuchpaar ab, da waren sich alle Oberbacher einig.
In der kleinen Kirche des Dorfes verband Hochwürden die beiden fürs Leben, während der Chor jubelte und die Eltern stolz und gerührt waren. Leni tauschte manch sehnsüchtigen Blick mit Lukas, der an diesem Tag allerdings seltsam abwesend auf sie wirkte. Beim Traugottesdienst schrieb Leni dies noch seinen aufgewühlten Gefühlen zu. Ganz gewiss wünschte er sich ebenso sehr wie sie, dass sie beide an der Stelle von Martina und Christian auch endlich vor dem Altar stehen konnten.
Auf dem Hochzeitsfest änderte sich allerdings nichts an Lukas’ Stimmung. Er hockte die meiste Zeit stumm neben ihr und starrte vor sich hin. Von dem köstlichen Essen rührte er kaum etwas an, und tanzen wollten er mit seiner Liebsten auch nicht.
Leni war bald ratlos. Sie fragte Thomas, doch der hob nur die Schultern und schwieg sich aus. Maria und Sepp Scharnitzer wichen ihr aus. Je länger dieser seltsame Zustand andauerte, desto unsicherer wurde die Hoftochter. Schließlich hielt Leni es keine Sekunde länger aus. Sie folgte Lukas, als der nach draußen ging und ein wenig über den Wirtschaftshof spazierte, und fragte ihn direkt: »Was ist los? Bist du sauer auf mich?«
Der Bursch musterte sie einen Moment lang wie erwachend, dann aber versicherte er: »Gewiss net. Wie kommst du denn auf so einen Gedanken?«
»Weil du dich den ganzen Tag net um mich gekümmert hast.«
»Ich bin ein bisserl abgespannt. Mir geht viel im Kopf herum«, erwiderte er vage. »Sei mir net bös, Schatzerl! Das Beste wird sein, ich geh heim und leg mich nieder. Wir sehen uns dann morgen.« Er wollte tatsächlich gehen.
Leni hielt ihn am Arm fest und forderte: »Sag mir sofort, was das zu bedeuten hat, Lukas! Hast du vielleicht vergessen, dass wir die Hochzeit meines Bruders feiern? Du hast kein einziges Mal mit mir getanzt und willst mir net einmal eine gescheite Antwort geben. Da stimmt doch was net!«
»Leni, bitte.« Er musterte sie seltsam reserviert. »Kannst du nicht einmal akzeptieren, wenn ich was sag?«
»Was?« Sie erwiderte seinen Blick unbehaglich. »Lukas, was hast du? So kenne ich dich gar net. Da stimmt doch was nicht. Willst du mir nicht endlich …«
»Nein, will ich net.« Er machte sich unwirsch von ihr los. »Ich will meine Ruhe, Sackerl Zement! Das ist ja so, als würde man gegen die Wand reden.« Er winkte ab. »Wir sehen uns morgen!« Dann eilte er einfach davon. Leni blieb verwirrt und zutiefst beunruhigt zurück. Sie wusste nicht, was sie tun sollte.
Lukas hatte sich ihr gegenüber noch niemals so abweisend und fremd verhalten. Etwas musste geschehen sein. Etwas, das er ihr nicht sagen konnte oder wollte. Eine kalte Angst kroch in ihr Herz. Hatte ihr Verlobter Geheimnisse vor ihr? Oder vielleicht nur eines? Gab es eine andere, eine, die ihm besser gefiel? Wusste er nur nicht, wie er ihr die Wahrheit sagen sollte?
Diese Vorstellung tat Leni so weh, dass sie sie erschrocken von sich schob. Nein, das konnte nicht sein. Sie war sich Lukas’ Liebe sicher. Niemals würde er sie enttäuschen oder gar betrügen. Es musste einen anderen Grund für sein seltsames Verhalten geben. Aber welchen? Sie fand keine Antwort.
Allerdings war Leni nicht gewillt, das so einfach hinzunehmen. Sie fragte Thomas noch einmal nach seinem Bruder. Und als der ihr wieder ausweichen, sie mit einer lauen Ausrede abspeisen wollte, forderte sie streng: »Jetzt sag mir endlich, was los ist! Ich hab immer geglaubt, dass wir gut miteinander auskommen. Bin ich dir denn auf einmal keine ehrliche Antwort mehr wert?«
Der Hofsohn stöhnte gequält auf. »Leni, ich mag dich, wirklich. Aber ich kann und will mich da net einmischen. Was der Lukas dir zu sagen hat, das ist einzig und allein seine Sache. Du musst eben Geduld haben. Wenn er mit sich selbst im Reinen ist, wird er gewiss zu dir kommen. Tut mir leid, aber mehr kann ich dazu einfach net sagen.«
Leni biss sich auf die Lippen. Thomas’ Worte waren kaum dazu angetan, sie zu beruhigen, im Gegenteil. Sie hatte nun erst recht das deutliche Gefühl, dass da ein Damoklesschwert über ihrem Kopf schwebte, das jederzeit fallen und so eine Katastrophe auslösen konnte. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, was dann tatsächlich auf sie zukommen würde.
***
Am nächsten Morgen reiste das frischgebackene Ehepaar zusammen mit Martinas Eltern ab. Die Verabschiedung fiel sehr herzlich aus, Martina nahm ihrem Schwiegervater das Versprechen ab, sie bald im Allgäu zu besuchen, und ließ Leni wissen: »Wir würden uns sehr freuen, wenn du und der Lukas mitkommt. Ich möchte euch doch unser Daheim zeigen.«
»Das ist lieb von dir, Martina. Wir kommen gern«, versicherte die Hoftochter, obwohl ihr im Moment gar nicht nach Verreisen war. Leni hatte eine schlaflose Nacht hinter sich. Die nagende Frage, was mit Lukas los war, hatte sie einfach nicht zur Ruhe kommen lassen. Dass er noch nicht wieder aufgetaucht war, ließ sie das Schlimmste befürchten. Sie dachte an die seltsamen Andeutungen, die Thomas am Vorabend gemacht hatte, und sah Lukas bereits in den Armen einer anderen.
Obwohl Leni nicht einmal an so etwas denken wollte, drängten sich ihr die Bilder, die sie ängstlich von sich schob, immer weiter auf.
Nachdem die Bichlers abgefahren waren, ging Leni wieder an ihre Arbeit. Es gab viel zu tun an diesem Morgen nach dem Hochzeitsfest. Das Madel machte sich mit Schwung an alle Extraaufgaben, um nur nicht zum Nachdenken zu kommen. Ein dumpfes Gefühl der Angst aber blieb und setzte ihr weiter zu.
Erst am Abend kam die Hoftochter dazu, sich ein wenig auszuruhen. Leni saß in der Küche an der Eckbank und trank ein Haferl Kaffee, als Lukas plötzlich vor ihr stand. Sie erschrak, denn er sah furchtbar aus! Auch er schien in der vergangenen Nacht keine Ruhe gefunden zu haben. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen, die wie im Fieber glänzten. Für einen schrecklichen Moment war er ihr ganz fremd. Ihr Herz krampfte sich zusammen, und sie wäre am liebsten aufgestanden und weggelaufen. Was immer ihr Liebster auf dem Herzen hatte, es musste etwas wirklich Schlimmes sein. Und sie hätte viel dafür gegeben, es nicht hören zu müssen.
»Grüß dich, Leni«, sagte Lukas nun und setzte sich zu ihr. Er gab ihr kein Busserl, machte auch keine Anstalten dazu.
Die Angst in ihrem Herzen verstärkte sich mit jeder Minute, die verging. Unsicher musterte sie ihn von der Seite, sagte aber nichts. Der Bursch schwieg auch, es hatte den Anschein, als müsste er zunächst seine Gedanken ordnen.
Schließlich bat er: »Sei mir nimmer bös, dass ich mich gestern auf der Hochzeit net so um dich gekümmert hab, wie es sich gehört. Ich hatte am Morgen ein Gespräch mit meinen Eltern. Und das hat alles für mich geändert.«
Leni stutzte. »Mit deinen Eltern?«, wiederholte sie lahm.
»Ja, sie hatten mir was zu sagen.« Er lachte verächtlich auf. »Je länger ich darüber nachdenke, desto lieber wäre es mir, sie hätten geschwiegen. Aber sie sind der Meinung, dass ich die Wahrheit kennen muss, bevor ich eine eigene Familie gründe.«
»Was soll das bedeuten, Lukas? Du machst mir Angst.«
»Ich mir selbst auch«, scherzte er grimmig. »Ich war die ganze Nacht draußen, bin bis zur Schinder-Klamm gestiegen, weil ich gehofft hab, dass ich in der Natur einen klaren Kopf kriege.«
Leni schaute ihren Verlobten verstört an. Was hatte er ihr nur zu sagen? Sie verstand überhaupt nichts mehr.
Lukas fuhr sich mit einer unsicher wirkenden Geste durch sein dichtes Haar. Er räusperte sich mehrere Male, bis er endlich einen Ansatz für seine Erzählung fand. »Die Eltern waren am Anfang ihrer Ehe der Meinung, dass sie keine Kinder bekommen könnten. Die Mama hatte zwei Fehlgeburten und hernach große Angst davor, wieder in die Hoffnung zu kommen. Der Vater hat Rücksicht genommen, sie haben sich dann damit abgefunden, dass ihre Ehe kinderlos bleiben würde.
Die Mama hat eine Großcousine in der Steiermark, ihr Name ist Ursula Hollwinkel. Sie und ihr Mann lebten damals in schwierigen Verhältnissen. Der Johannes war bei der Bahn beschäftigt, als Arbeiter. Er brachte net viel heim, und das meiste vom Lohn hat er wieder versoffen. Seine Frau hatte ihre liebe Mühe, die Familie irgendwie durchzubringen. Vier Kinder waren da. Und als sich ein fünftes ankündigte, da blieb den beiden keine Wahl. Sie wussten, dass sie es net ernähren konnten, dass sie es weggeben mussten.